Calvin, Jean - An die Evangelischen in Poitou.

Nr. 414 (C. R. – 2005)

Calvin, Jean - An die Evangelischen in Poitou.

Pflicht und Wert gemeinschaftlicher Erbauung.

Die Liebe Gottes unseres Vaters und die Gnade unseres Herrn Jesu sei stets mit Euch durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes.

Sehr liebe Herrn und Brüder, wir haben Grund, unsern lieben Gott zu loben, dass er Euch von neuem gestärkt hat, so dass Ihr Mut und Kraft bekamt, Euch zu üben in seinem Dienste; und zwar nicht nur jeder für sich, sondern auch alle miteinander, wie wir es tatsächlich nötig haben, uns dadurch selbst anzutreiben, angesichts der in uns wohnenden Schwäche und so vieler Hindernisse, die uns aufhalten bei der Erfüllung unserer Pflicht. Wahr ists freilich, dass das noch nicht alles ist, wenn wir uns versammeln, um zu Gott zu beten und sein Wort zu hören, aber es ist uns doch eine Hilfe und zwar eine recht notwendige, da wir von uns aus nur zu träge sind. Deshalb, liebe Brüder, sollt Ihr Euch zu dem Zwecke versammeln, dass Ihr fest werdet im evangelischen Glauben und vorwärts kommt in aller Reinheit des Lebens. Aber was auch der Zweck sei, so beraubet Euch des Guten nicht, Gott einmütig anrufen zu können und gute Belehrung und Ermahnung zu vernehmen zu Eurer Förderung auf dem guten Wege. Denn wiewohl jeder auch für sich in sein Kämmerlein gehen und dort zu Gott beten kann und soll und jeder auch in seinem Hause die Bibel lesen kann, so ist es doch ein Gott wohlgefälliges Opfer, wenn wir uns versammeln, um gleichsam aus einem Munde zu beten und ihm mit Leib und Seele feierlich zu huldigen. Es wäre wohl wünschenswert, wenn wir es tun dürften vor aller Welt; wenn wir aber durch die Bosheit der Menschen und ihrer Tyrannei von dieser Freiheit ausgeschlossen sind, so ist das mindeste, dass wir nach der Mahnung der Schrift Gott loben mit seinem Volke, und dass dazu sich hier und dort kleine Trüpplein sammeln, bis einst die ganze Gesamtheit der Kirche versammelt wird im Himmelreich. Ich weiß wohl, dass Ihr keine Versammlung halten könnt ohne große Furcht und Bedenklichkeit; ich weiß auch wohl, dass Ihr von Feinden beobachtet werdet; aber die Furcht vor Verfolgung darf uns nicht abhalten, die Lebensweide zu suchen und uns der Führung unseres guten Hirten zu überlassen. Also empfiehlt Euch ihm und fasset Mut. Denn er wird zeigen, dass er seine Schäflein sorglich behütet und dass es sein wahres Amt ist, sie zu retten wie aus dem Rachen der Wölfe. Ja selbst, wenn die Gefahren offen zutage treten, dürfen wir nicht so furchtsam sein, eine Hürde zu verlassen. Wir sehen ja tatsächlich, wie es denen geht, die sich daraus entfernen. Mit der Zeit werden sie so nachlässig, dass sie die Lust an allem Guten verlieren und sich schließlich ihrem Heil ganz entfremden. Deshalb, liebe Brüder, seid standhaft und zeiget, dass der Eifer, der Euch getrieben hat, so wohl zu beginnen, nicht bloß wie ein Windstoß gewesen ist, und jeder gebe sich Mühe, sich umso eifriger zu erweisen, je mehr Gelegenheit er hat. Die, die eigene Häuser haben, sollen es als eine Ehre ansehen, dass sie sie Gott weihen dürfen als Tempel, und die andern sollen sich nicht beklagen, dass sie hingehen müssen. Die Großen sollen die Kleinen anziehen, und die, denen ein Beispiel gegeben wird, sollen sich schämen, wenn sie es nicht befolgen. Doch sage ich nicht, Ihr sollet nicht auf der Hut sein, um Euch nicht unnötig in Gefahr zu bringen; denn Gott hat wohl so weit mit uns Nachsicht, dass wir die Wut der Bösen fliehen dürfen. So finde ich denn auch die Übereinkunft, die Ihr untereinander habt, gut und recht, dass nämlich keiner ohne Erlaubnis der Gesellschaft einer lebendigen Kreatur Eure Organisation entdecke. Ihr könnt also wohl, soweit es in Eurer Kraft liegt, allen Gefahren zuvorkommen, wenn Ihr nur nicht weiter geht und von dem guten Wege abweicht, den Ihr betreten habt. Denn zwischen Tollkühnheit und Ängstlichkeit liegt die Vorsicht in der Mitte, die die Kraft des heiligen Geistes nicht ertötet und uns nicht abwendig macht von den Hilfsmitteln, die Gott uns bietet. Haltet Euch also, liebe Brüder, ganz ruhig in Eurem Verstecke, in Anbetracht der Unvorsichtigkeit und Unehrlichkeit, die heutzutage in der Welt herrschen, aber geht nicht soweit, denen die Tür zu verschließen, die mit Euch ins Gottesreich zu kommen wünschen. Jeder bemühe sich, anzuziehen und zu gewinnen für Jesum Christum, wen er kann, und dann sollen die, die Ihr in guter Prüfung würdig befunden habt, durch einstimmigen Beschluss aufgenommen werden. Im Übrigen möge solche gottesdienstliche Übung einen jeden von Euch dazu bringen, seine Pflicht in besserer Leitung seines Hauswesens zu erfüllen. Denn, wenn man aus einer solchen Vereinigung nach Hause kommt, so muss man zeigen, dass man sich gestärkt hat, besser zu handeln als vorher, und ein gewisses Etwas mitbringen, das sich wohltuend ausbreitet über alle Glieder des Hauses: schließlich muss auch das ganze Leben dem entsprechen. Zeigt, dass das Evangelium unseres Herrn Jesus Euch erleuchtet und Euch den rechten Weg zeigt, so dass Ihr nicht in der Irre geht wie die Kinder der Finsternis. Und je verderbter und verkehrter die Welt heutzutage ist, umso sorgfältiger achtet darauf, Euch nicht zu stechen an den Dornen. Die Zeit unserer Pilgerschaft ist kurz, so kurz, dass, wenn wir auf die unvergängliche Herrlichkeit sehen, zu der Gott uns einladet, wir keinen Grund haben, müde zu werden inmitten des Weges. Wenn wir anderseits an die unschätzbare Güte denken, die uns der liebe Vater im Himmel erwiesen hat, und an die unendlichen Schätze, die er uns in Gnadengaben aller Art gespendet hat, so wären wir recht feige, wenn wir nicht bewogen und entflammt wären, uns ihm zu weihen, ja wenn wir nicht von seiner Liebe hingerissen wären, alles zu vergessen und zu verachten, was in der Welt ist, alle Bande zu zerreißen, die uns zurückhalten und uns aus allen Schwierigkeiten loszumachen, die uns aufhalten.

Und nun, sehr geliebte Brüder, empfehle ich mich herzlich Eurer Fürbitte und flehe zum lieben Gott, er möge Euch in seiner heiligen Hut halten, Euch leiten durch seinen Geist in aller Klugheit und Rechtschaffenheit, Euch stärken in voller Kraft und Standhaftigkeit; er möge Euch immer mehr brauchen und seinen Feinden nicht erlauben, über Euch einen Sieg davon zu tragen, was sie auch versuchen mögen.

Den 3. September 1554.
Euer Bruder
J. Calvin.

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