Nr. 406 (C. R. – 1991)
Calvin, Jean - An Johann Friedrich II., Johann Wilhelm und Johann Friedrich von Sachsen.
Den drei Söhnen des im März 1554 verstorbenen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen widmet Calvin seinen Kommentar zum 1. Buch Mose. Den sächsischen Kanzler Franz Burckard hatte Calvin am Religionsgespräch zu Hagenau 1540 kennen gelernt. Unter den eigensinnigen Verkündigern des Evangeliums und den frechen Skribenten versteht Calvin die norddeutschen Lutheraner und die Anhänger Castellios.
Vom Wert der biblischen Urgeschichte.
Wenn Paulus mit Recht die böse Trägheit der Menschen tadelt, weil sie das deutliche Spiegelbild der Herrlichkeit Gottes, das sich in seiner Weltschöpfung ihnen beständig darbietet, mit geschlossenen Augen übersehen [Röm. 1, 20] und so ungerecht das Licht der Wahrheit unterdrücken, so ist nicht minder hässlich und schmählich die Unwissenheit über den Ursprung und die Erschaffung des Menschengeschlechtes, die in fast allen Zeiten herrschte. Gewiss ist es glaublich, dass bald nach der Gründung Babels in Vergessenheit geriet, was man unermüdlich hätte erörtern und preisen sollen. Denn da den unheiligen Menschen ihre Zerstreuung eine Art Loskommen vom reinen Gottesdienst war, so lags ihnen weiter nicht am Herzen, das, was sie von ihren Vätern über Erschaffung und Einrichtung der Welt gehört hatten, mitzunehmen in alle Gegenden der Erde, wohin sie kamen. So kams, dass kein Volk, die Nachkommen Abrahams ausgenommen, durch zwei ganze Jahrtausende wusste, was sein Ursprung sei und wann überhaupt die ganze Menschheit entstanden sei. Denn wenn auch schließlich Ptolemäus die Bücher Mosis ins Griechische übersetzen ließ, so war sein Bestreben wenigstens für seine Zeit mehr löblich als fruchtbringend, weil das Licht, das er aus der Finsternis herausholen wollte, durch die Sorglosigkeit der Menschen erlosch und verborgen blieb. Woraus zu leicht zu ersehen ist, dass die Menschen, die mit allen Fasern ihres Herzens hätten darauf aus sein sollen, den Weltschöpfer zu erkennen, in bösartiger Gottlosigkeit freiwillige Blindheit vorzogen. Es blühten dabei die schönen Wissenschaften, herrliche Talente wirkten kräftig, Werke aller Art erschienen: über die Geschichte der Erschaffung der Welt aber herrschte tiefes Stillschweigen. Ja der größte Philosoph [Aristoteles], der an Scharfsinn und Bildung alle übertraf, hat mit seiner Behauptung, die Welt sei ewig, seine ganze Begabung dazu verwendet, Gott um seine Ehre zu betrügen. Freilich, sein Lehrer Plato war etwas frömmer und erwies sich als einer, der wenigstens die wahre Erkenntnis gekostet hat; die winzigen Wahrheitselemente aber, die er geschmeckt hat, verderbt und vermengt er mit soviel Dichtung, dass eine so erdichtete Lehre eher schadet als nützt. Die aber, die sich der Geschichtsschreibung widmeten, begabt und literarisch fein gebildete Leute, rühmen sich zwar mit vollem Mund als Zeugen der ältesten Zeiten, aber schon bevor sie an die Zeit Davids kommen, füllen sie ihre Werke mit viel trüber Brühe; gehen sie aber noch weiter hinauf, so ziehen sie einen ungeheuren Lügenunrat hinter sich her; so weit sind sie davon entfernt, in wahrer, klarer, zusammenhängender Darstellung bis zum Anfang der Welt zu kommen. Dass sie aber nicht wissen wollten, was gar nicht weit zu suchen gewesen wäre, wenn sie nur ihren Sinn auf die Erforschung der Wahrheit hätten richten wollen, dafür sind die Ägypter ein deutlicher Beweis; die rühmten sich, während vor ihren Toren die Leuchte des Gottesworts brannte, ohne Scham der schändlichen Fabeleien ihrer Geschichte, nämlich als ob sie fünfzehn Jahrtausende zurückreiche – vor der Erschaffung der Welt! Nicht minder kindisch und abgeschmackt war die Behauptung der Athener, die sich rühmten, aus der Erde ihres Landes geboren zu sein, und sich dadurch in ihrem Bestreben, sich eine vom ganzen Menschengeschlecht gesonderte Entstehung zu sichern, selbst vor den Barbaren lächerlich machten. Wiewohl freilich alle mehr oder weniger in den Fehler der Undankbarkeit geraten waren, so hielt ichs doch für der Mühe wert, die hervorzuheben, deren Irrtum umso weniger entschuldbar ist, als sie meinten, weiser zu sein als alle anderen.
Ob nun aber alle alten Völker sich absichtlich einen Schleier vor die Augen hielten, oder ob ihnen nur ihre Trägheit im Wege stand, so ist als unvergleichlicher Schatz zu erachten das Buch Mosis, der uns über die Erschaffung der Welt unzweifelhaft Zuverlässiges bietet, ohne das wir nicht wert wären, dass uns die Erde trüge. Die Sintflutgeschichte, die ebenso sehr ein furchtbares Bild der göttlichen Strafgerechtigkeit ist in der Vernichtung des Menschengeschlechts, wie ein liebliches seiner Gnade in der Wiederherstellung, will ich übergehen. Ein Nutzen macht das Buch schon unschätzbar wertvoll, dass es nämlich allein zeigt, was vor allem wissenswert ist, wie nach dem verderblichen Falle des ersten Menschen Gott sich seine Kirche erwählte, was ihr wahrer Gottesdienst war, in welcher Art Frömmigkeit sich die heiligen Väter übten, wie die reine Religion, durch menschliche Nichtsnutzigkeit zeitweise hingefallen, sozusagen nachträglich sich zu ihrem frühern Zustand erneuerte, wie Gott mit dem bestimmten Volk den Gnadenbund der ewigen Seligkeit schloss, wie aus einem Mann, und zwar aus einem unfruchtbaren, hinfälligen, schon fast halbtoten und (wie ihn Jesaja nennt) einzelnen [Jes. 51, 2] Menschen, langsam ein winziger Spross hervorging, der dann rasch zu ungeheurer Menge anschwoll, wie Gott in unerwarteter Weise sein auserwähltes Geschlecht erhoben und geschützt hat, nämlich als es arm, aller Hilfsmittel entblößt und jeder Drangsalshitze ausgesetzt war und vielfache Feindesscharen es ringsum umgaben. Wie notwendig nun die Kenntnis dieser Dinge ist, mag jeder aus dem Gebrauch, den er davon macht, und aus seiner Erfahrung beurteilen. Wir sehen z. B., wie die Papisten einen Lärm machen mit dem falschen Titel Kirche und damit einfachen Leuten Angst machen. Moses malt uns das wahre Gesicht der Kirche; das kann alle unnütze Angst verscheuchen, denn es zerstört ihre Kunststücke. Auch reißen sie kurzsichtige Leute zur Bewunderung hin durch ihren falschen Glanz und das Gepränge ihrer Prozessionen, ja sie machen sie damit wirr und verrückt. Wenden wir aber unsern Blick auf die Merkmale, mit denen Moses die Kirche bezeichnet, so können uns diese leeren Larven nicht mehr täuschen. Oft verwirrt und entmutigt uns fast die geringe Zahl derer, die der reinen Lehre anhängen, besonders, wenn wir sehen, wie weit und breit der Aberglaube das Reich behält. Aber wie einst der Geist Gottes durch den Mund des Propheten Jesajas die Juden schauen hieß auf den Fels, davon sie gehauen [Jes. 51, 1], so ruft er auch uns durch Moses gleichermaßen zurück und erinnert uns daran, wie verkehrt es ist, die Kirche nach der Menge ihrer Glieder zu messen, als ob ihre Würde in der Zahl bestünde. Wenn einmal auch die Religion nicht so in Blüte steht, wie wir wünschen, wenn die Gemeinde der Frommen zerstreut wird und der wohlgeordnete Zustand einer Kirche sich verschlimmert, so wankt unser Mut nicht nur, sondern will ganz zerfließen. Wenn aber dann in der Erzählung Mosis der Aufbau der Kirche aus Trümmern, ihre Sammlung aus zerstreuten Bruchstücken und aus der Verwüstung dargestellt wird, so muss uns doch ein solches Beispiel der Gnade Gottes zu gutem Vertrauen aufrichten. Wenn die Neigung, um nicht zu sagen der Mutwille, des Menschengeschlechts so groß ist, neue Kultformen zu erfinden, so kann uns nichts nützlicher sein, als das Gebot eines reinen, ordentlichen Gottesdienstes bei den heiligen Erzvätern zu suchen, deren Frömmigkeit Moses damit vor allem kennzeichnet, dass sie allein an Gottes Wort hingen. Wie groß auch der Unterschied in äußern Zeremonien sein mag, was unbeugsam bleiben und beiden [Parteien] gemein sein muss, das ist, dass unsre Frömmigkeit sich allein nach Gottes Wink und Urteil bilde.
Es ist mir nicht verborgen, wie viel reicherer Stoff da noch vorliegt, und wie weit auch hinter dem Wert des hier kurz Berührten meine Rede noch zurückbleibt. Weil aber das Einzelne am passenden Ort von mir behandelt wird, wenn auch nicht mit dem ihm geziemenden Glanz und Schmuck, so doch ausführlicher und reichlicher, so lasse ich es jetzt damit genügen, die frommen Leser in Kürze darauf aufmerksam zu machen, welch wertvolles Tun es ist, wenn sie lernen, das Vorbild der alten Kirche, wie es von Mose dargestellt wird, klug für ihren Gebrauch zu benutzen. Gewiss hat uns ja Gott deshalb mit den heiligen Erzvätern durch die Hoffnung auf dasselbe Erbe verbunden, dass wir den langen Zeitraum, der uns trennt, überwinden und in gemeinsamer Übereinstimmung des Glaubens und der Geduld dieselben Kämpfe bestehen sollen. Umso größern Hass verdienen gewisse unruhige Leute, die, getroffen vom giftigen Stich irgendwelchen fanatischen Eifers, die schon allzu sehr gespaltene Kirche unserer Zeit beständig auseinander zu reißen suchen. Ich rede nicht von den erklärten Gegnern, die mit offener Gewalt darauf ausgehen, alles zu verderben, was von Frommen da ist, und ihr Gedächtnis von Grund aus zu vertilgen, sondern von ein paar eigensinnigen Verkündern des Evangeliums, die nicht bloß, um die Zwistigkeiten stets im Brennen zu erhalten, unablässig neuen Stoff heranschleppen, sondern direkt den Frieden, den fromme, gelehrte Männer gerne hielten, stören. Gewiss, das war neben anderm der Hauptgrund für mich, Eurer Hoheit dieses Werk zu widmen, dass sich dadurch unter den räumlich weit entfernten Kirchen immer mehr eine heilige, brüderliche Eintracht ausbilde. Denn wenn wir zu Liebesdiensten gegenseitigen Gemeinschafthaltens auch wenig geneigt und träge wären, so zwänge uns doch schon die ungeheure Zerstörung der christlichen Welt dazu, wider Willen die fromme Eintracht zu pflegen. Wir sehen, wie unter den Papisten, so harte Kämpfe sie unter sich in andern Dingen ausfechten, doch eine frevelhafte, verschwörerische Einmütigkeit wider das Evangelium bestehen bleibt. Wie gering die Zahl derer ist, die an der wahren Lehre Christi festhalten, verglichen mit ihren ungeheuren Streitkräften, ist unnötig zu sagen. Indessen tauchen gleichsam in unserm Schoß freche Skribenten auf, die nicht nur das Licht der reinen Lehre mit dem Nebel der Irrlehre verdunkeln und mit bösen Verrücktheiten die einfachen und minder gebildeten Leute um den Verstand bringen, sondern sich auch erlauben, in unheiliger Freiheit des Zweifels die ganze Religion zu zerstören. Denn wie sie sich mit ihren schmutzigen Ironien und Spöttereien als echte Jünger des Sokrates beweisen, so findet kein Grundsatz bei ihnen mehr Beifall als die Glaubensfreiheit, dass es nämlich jedem, der über irgendetwas im Zweifel ist, erlaubt sein soll, der Schrift, wie man sagt, eine wächserne Nase zu drehen. So erreichen die Leute, die, von dieser neuen Philosophenschule verlockt, mit jeder zweifelhaften Spekulation Nachsicht haben, schließlich das, dass sie stets lernen, aber nie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Mit wie manchen Ränken uns nun auch der Satan bekämpft, so mancher scharfe Ansporn soll uns das sein, Verbindung zu suchen. So hoffe ich, schon diese Notwendigkeit würde Euch dazu genügen, diese meine Widmung zu billigen, wenn ich nicht schon vielmehr auf Eure sehr große Freundlichkeit das Vertrauen setzte, sie werde auch an sich Euch lieb und angenehm sein. Gewiss habe ich manchen guten Zeugen dafür, dass ich, als ich diesen Kommentar zu schreiben begann, im Sinne hatte, ihn Eurem Vater, dem trefflichsten Fürsten, zu widmen, wenn wir ihn länger unter den Lebenden hätten haben dürfen. Nun aber, da ich mich nach seinem Tode an seine Söhne und Erben wende, so scheint es mir, ich könne damit das Werk seinem Andenken widmen; wie denn, den eben Verstorbenen zu feiern und sein Gedächtnis der Nachwelt zu überliefern, nicht nur sich ziemt um seines persönlichen Verdienstes willen, sondern auch als Beispiel für alles Volk. Es war schon etwas Großes, an ihm, einem Fürsten von höchstem, edlem Rang Tugenden wahrzunehmen, die nicht nur sein damals noch blühendes Glück als verdient erscheinen ließen, sondern auch seine hohe Stellung und seinen hervorragenden Ehrenrang noch besonders zierten. Die geradezu unglaubliche Standhaftigkeit aber, die nach der Niederlage des [schmalkaldischen] Kriegs in seinem Heldenherzen sich glänzend bewährte, errang sich so die Bewunderung aller Welt, dass er an wahrem Lob gerade soviel gewann, als er an Macht verlor. So hege ich keinen Zweifel, dass die ungebrochene Charaktergröße dieses einen Mannes auch in der folgenden und noch heute dauernden traurigen Lage der Kirche viele Tausende von Frommen aufgerichtet hat.
Wenn er darin allen zum Beispiel gesetzt war, so müsst Ihr, edle Prinzen, Euch umso eifriger und mehr bemühen, zu werden wie er, der in Eurer Familie ein Vorbild war, und ohne Zweifel eifert Ihr danach um die Wette, ohne Neid. Für umso passender hielt ich es, Euch gemeinsam in einem Widmungsschreiben zusammenzufassen, als alle Frommen sicher hoffen, ja heiß wünschen, dass Ihr durch mehr noch als dadurch, dass Ihr Brüder seid, eng verbunden bleibet, nämlich durch Eure Ähnlichkeit mit Eurem edeln Vater. Wenn drei Söhne Abbilder eines solchen Vaters werden, den selbst die Feinde loben müssen, dann können dem Haus Sachsen Glück wünschen alle wahren Anhänger des Evangeliums, die ihm verpflichtet und befreundet sind. Zur Empfehlung meines Werkes bei wahrhaft Christo ergebenen Fürsten mag das eine genügen, dass ich überall mit ebenso großer Treue und Ehrfurcht mich bestrebe, die reine evangelische Lehre zu verteidigen und das heilige Wort Gottes einleuchtend zu erklären. Bin ich aber vielleicht Eurer Hoheit noch unbekannt geblieben, so lebt an Eurem Hof als hochberühmter Mann der Kanzler Franz Burckard, der nach dem Wohlwollen, das er mir vor vierzehn Jahren bezeugt hat, mir auch jetzt Gunst bei Euch erweisen wird. Ohne mich zu loben (das will ich gar nicht), möge er nur ein Zeugnis ablegen für meinen Eifer um die Ausbreitung des Reiches Christi. Da er bei Euch mit Recht die gleiche Gunst und das gleiche Ansehen genießt, wie einst bei dem hochherzigen Fürsten, Eurem Vater, so wird er für das, was er von mir erfahren, ein guter Zeuge sein. Lebtwohl, erlauchteste Fürsten, der Herr behüte Euch mit seinem Schutze, leite Euch mit dem Geist der Klugheit und Gerechtigkeit und stärke und mache Euch reich in aller Art Segen.
Genf, 31. Juli 1554.