Bunyan, John - Pilgerreise – Die Pilgerin - Achtes Kapitel.
Die Pilger in der Herberge.
Christin verlangte nun nach einer Herberge für sich und ihre Kinder, denn sie waren müde.
Redlich sagte: Da ist eine nahe vor uns, in der ein sehr achtbarer Jünger, Namens Gajus1) wohnt. Und so ward denn von Allen beschlossen, dort einzukehren, und zwar um so mehr, weil der alte Redlich ihm ein so gutes Zeugniß gab. Als sie an die Thüre kamen, traten sie ein, klopften jedoch nicht an, wie man dies bei einem Wirthshause nicht zu thun pflegt. Sie fragten dann nach dem Wirth des Hauses, und er kam zu ihnen. Da erkundigten sie sich bei ihm, ob sie dort über Nacht bleiben könnten?
Gajus antwortete darauf: Ja, wenn ihr redliche Leute seid, denn mein Haus ist nur für Pilger. Da freuten sich Christin, Barmherzig und die Knaben um so mehr, als sie hörten, daß der Wirth ein Freund der Pilger sei. Derselbe wies ihnen nun ihre Zimmer an, eins für Christin, ihre Kinder und Barmherzig, und ein anderes für Muthherz und Redlich.
Muthherz sagte: Lieber Gajus, was hast du zum Abendessen? Denn diese Pilger haben heute einen weiten Weg gemacht und sind müde.
Gajus. Es ist schon spät, und wir können nicht gut mehr um Speise ausschicken, aber wir wollen gerne geben, was wir haben, wenn ihr damit zufrieden sein wollt.
Muthh. Wir wollen gerne mit Dem fürlieb nehmen, was du im Hause hast; denn, soweit ich dich kennen gelernt, fehlt es hier nie am Nöthigen.
Darauf ging Gajus hinunter und sprach mit dem Koch, Namens Gutschmecker; ihm sagte er: Mache ein Abendessen für acht Personen zurecht. Nachdem dies bestellt, kam er wieder herauf und sagte: Kommt, liebe Freunde, ihr seid mir willkommen; ich freue mich, daß ich euch in meinem Hause beherbergen kann. Während aber das Essen bereitet wird, wollen wir uns, wenn's euch gefällig ist, auf eine heilsamliche Weise unterhalten. Gerne! sprachen sie Alle.
Gajus fragte nun: Wessen Gattin ist diese Frau? und wessen Tochter ist diese Jungfrau?
Muthh. Die Frau ist Christin, eines früheren Pilgers Gattin, und dies sind seine vier Kinder. Diese Jungfrau ist aber eine ihrer Bekannten, die sie beredet hat, sich mit ihr auf die Pilgrimschaft zu begeben. Die Knaben arten alle ihrem Vater und sind begierig in seine Fußstapfen zu treten; ja, wenn sie nur eine Stelle sehen, an welcher der alte Pilger ausgeruht hat, oder eine Spur, die sein Fuß zurückgelassen, so erregt es Freude in ihren Herzen, und sie sind begierig, auch selber da auszuruhen, oder auf die nämliche Stelle ihren Fuß zu setzen.
Gajus. Ist dies Christ's Weib und sind dies Christ's Kinder? Ich kannte bereits deines Mannes Vater, ja, dessen Vaters Vater. Viele von diesem Geschlechte sind gottesfürchtige Menschen gewesen; ihre Vorfahren wohnten zuerst in Antiochien. 2) Dein Mann wird euch, wie ich denken kann, davon erzählt haben; ja, es waren sehr würdige Leute. Sie haben sich, vor Andern her, von welchen ich gehört, durch hohe Tugend und Herzhaftigkeit ausgezeichnet, wo es sich handelte um den Herrn der Pilger, seine Wege und Diejenigen, welche Ihn lieb haben. Ich habe gehört von vielen Verwandten deines Mannes, die um der Wahrheit willen alle Prüfungen erduldet haben. Stephanus, einer der ersten aus der Familie, aus welcher dein Mann stammt, ward gesteinigt. 3) Jakobus, ein anderer dieses Geschlechts, wurde getödtet mit dem Schwert. 4) Pauli und Petri nicht zu gedenken, so war unter euren Vorfahren ein Ignatius, der den Löwen vorgeworfen, ein Romanus, dem das Fleisch mit Stücken von den Knochen abgeschnitten ward, und ein Polykarp, der des Feuertodes starb. Ferner war Einer darunter, der in einem Korbe an die Sonne gehängt wurde, um von den Wespen zerfressen zu werden, und wieder Einer, den man in einen Sack steckte und ins Meer warf, um ihn zu ersäufen. Es wäre aber völlig unmöglich, alle Glieder jener Familie zu zählen, die Schmach und Tod erlitten aus Liebe zum Pilgerleben. Und so kann ich mich nur freuen darüber, daß dein Mann vier solcher Knaben, wie diese, hinterlassen hat. Ich hoffe, sie werden den Namen ihres Vaters aufrecht erhalten, in ihres Vaters Fußstapfen treten und ein Ende haben, wie das seinige.
Muthh. Es sind wirklich prächtige Knaben, es scheint, daß sie von ganzem Herzen ihres Vaters Wege wandeln wollen.
Gajus. So meine ich's auch, und deßhalb wird Christ's Familie sich auch weiter über der Erde verbreiten und zahlreich werden. Möchte Christin denn sich für ihre Söhne nach passenden Jungfrauen umsehen, die sich als Gattinnen vor den Augen des Herrn mit ihnen verbinden, damit der Name ihres Vaters und das Geschlecht seiner Vorfahren in dieser Welt nie untergehe.
Redl. Es wäre sehr zu bedauern, wenn sein Geschlecht untergehen sollte.
Gajus. Untergehen kann es nicht, wohl aber vermindert werden. Darum folge Christin meinem Rathe, denn das ist der Weg es aufrecht zu erhalten. Christin, sprach er nun ferner, es freut mich, dich und deine Freundin Barmherzig, ein so liebes Schwesternpaar, hier bei einander zu sehen. Darf ich rathen, so nimm Barmherzig in deine nähere Verwandtschaft auf. Ist sie damit einverstanden, so gib sie deinem ältesten Sohne Matthäus. Auf diese Weise kannst du dir erhalten eine Nachkommenschaft auf Erden. So ward nun diese Heirath beschlossen und späterhin vollzogen: doch mehr hiervon nachher.
Gajus fuhr fort und sagte: Ich will nun ein Wort zum Besten der Frauen reden, um ihre Schmach von ihnen zu nehmen. Zwar sind Tod und Fluch durch ein Weib in die Welt gekommen,5) aber ebenso auch Leben und Heil, denn Gott sandle seinen Sohn, geboren von einem Weibe. 6) Ja, um zu beweisen, wie sehr die Töchter Eva's die That ihrer Mutter verabscheuten, so sehnte dieses Geschlecht sich im alten Bunde deßwegen nach Kindern, ob etwa der Einen oder Anderen von ihnen die Gnade wiederfahren möchte, die Mutter des Heilandes der Welt zu werden. Ich will ferner darauf hinweisen, daß, als die Zeit gekommen war, daß der Heiland der Welt erscheinen sollte, sich Weiber über Ihn freuten, bevor Solches von einem Manne oder Engel geschah. 7) Ich habe nicht gelesen, daß irgend ein Mann Ihm je für einen Groschen gegeben, aber Weiber folgten Ihm und thaten Ihm Handreichung von ihrer Habe. 8) Ebenso war es ein Weib, die seine Füße netzte mit ihren Thränen;9) ein Weib, die seinen Leib salbete zu seinem Begräbniß;10) Weiber waren es, die da weineten, als er sein Kreuz nach Golgatha trug;11) und Weiber, die Ihm nachgingen vom Kreuze und sich gegenüber setzten seinem Grabe, da Er begraben war. 12) Auch waren es Weiber, die am Morgen seiner Auferstehung zuerst bei Ihm waren und endlich Weiber, die zuerst seinen Jüngern die Botschaft brachten, daß Er auferstanden sei von den Todten. 13) So haben denn die Weiber große Gnade empfangen und beweisen hiedurch, daß sie auch Miterben der Gnade des Lebens sind. 14)
Nun ließ der Koch sagen, daß das Abendessen ungefähr bereit sei. Sodann mußte Einer den Tisch decken, Teller aufsetzen, Messer und Gabeln legen und Salz und Brodt hinstellen.
Da sagte Matthäus: der gedeckte Tisch und diese Vorboten des Essens machen meinen Hunger noch größer, als er zuvor war.
Gajus. So laß alle Anweisungen, die dir in diesem Leben zur Vorbereitung dienen, ein größeres Verlangen in dir erzeugen, bei dem Abendmahle des großen Königs zu sitzen in seinem Reiche. Denn alles Predigen, gute Bücher und Ordnungen Gottes hienieden sind nichts als die Vorrichtungen des Tisches und das Aufsetzen des Salzes und Brotes, verglichen mit den Zurüstungen zu dem herrlichen Mahle, welches unser Herr uns zurichten will, wenn wir kommen zu seinem Hause.
So ward nun das Essen herausgebracht. Zuerst ward eine Hebeschulter und Webebrust15) aufgetragen, um damit anzudeuten, daß sie das Mahl mit Gebet und Dank gegen Gott beginnen sollten. Denn mit der Hebeschulter hob David sein Herz zu Gott empor, und an die Webebrust, worin sein Herz lag, pflegte er seine Harfe zu lehnen, wenn er spielte. 16) Diese beiden Schüsseln waren ganz frisch und wohlschmeckend, und Alle aßen tüchtig davon.
Darauf wurde zunächst eine Flasche Wein aufgetragen, derselbe war so roth, wie Blut. 17) Trinket nun frei zu, sprach Gajus, das ist der ächte Saft der Reben, welcher Götter und Menschen fröhlich macht. 18) So tranken sie denn und wurden munter.
Hiernach kam eine Schüssel mit reichlich eingebrockter Milch. Lasset diese den Knaben, sagte Gajus, daß sie durch dieselbige zunehmen. 19)
Und nun trug man Butter und Honig auf.
Da sagte Gajus: Esset davon nach Herzenslust, denn es ist gut, eure Erkenntniß helle zu machen und eure Einsicht zu befestigen. Eben dies war auch die Speise unseres Herrn in seiner Kindheit, denn es heißt: Butter und Honig wird Er essen, daß Er wisse Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen. 20)
Dann brachte man eine Schüssel mit Äpfeln, eine sehr wohlschmeckende Frucht. Hiebei sagte Matthäus: dürfen wir denn Äpfel essen, da das gerade die Frucht ist, durch welche die Schlange unsere erste Mutter betrogen hat?
Da sprach Gajus:
Es waren Äpfel wohl, durch die wir hintergangen,
Doch nicht durch sie, nein, durch die Sünde wurden wir gefangen:
Verbotner Apfelbiß verdirbt das Blut,
Gebotner Apfel macht Verdorbnes wieder gut:
Drum bist vor Liebe du, o Gottes Taube, krank,
So lab' an Äpfeln dich und seiner Reben Trank.
Hierauf sagte Matthäus: ich trug dieses Bedenken, weil ich vor Kurzem durch's Obstessen krank geworden war.
Gajus Verbotene Frucht macht krank, nicht aber die, welche unser Herr uns zu essen erlaubt hat.
Während sie so redeten, wurde ihnen eine Schüssel mit Nüssen vorgesetzt. Da sagten Einige, die bei Tische saßen: Nüsse verderben gute Zähne, besonders die jungen Zähne der Kinder. Als Gajus dies hörte, sprach er:
Betrüger nicht möcht' ich die Nüsse heißen —
Doch schwerer Bibelstellen Bild ist hier nicht fern.
Entschließt euch nur, sie muthig aufzubeißen,
Dann findet ihr gewiß den süßen Kern.
Und eben drum sind sie euch vorgesetzt,
Daß ihr sie knackt und euch daran ergötzt.
Sie wurden nun sehr heiter und saßen lange bei Tische und sprachen über mancherlei Dinge. Da sagte denn auch der alte Redlich: Mein lieber Wirth, während wir diese Nüsse knacken, möchte ich dies Räthsel zum Besten geben:
Es war einmal ein Mann, den man für einen Narren hielt.
Und der, je mehr er wegwarf, um so mehr behielt.
Sie gaben Alle genau Acht und waren begierig, was der liebe Gajus darauf antworten würde. Nachdem er ein Weilchen still gesessen, erwiederte er:
Der ist es, der sein Gut den Armen spendet,
Denn zehnfach wird's ihm wieder zugewendet.
Ich muß sagen, lieber Herr, sprach Joseph, ich hätte nicht gedacht, daß ihr's errathen hättet.
O, sprach Gajus, ich bin eine gute Weile über diesen Weg geführt worden, und nichts belehrt so, wie die Erfahrung. Ich habe von meinem Herrn gelernt, wohlthätig zu sein und erfahren, daß es Gewinn bringt. Einer theilet aus, und hat immer mehr; ein Anderer karget, da er nicht soll, und wird doch ärmer. Mancher ist arm bei großem Gut, und Mancher ist reich bei seiner Armuth. 21)
Da lispelte Samuel seiner Mutter zu: Mutter, hier ist das Haus eines sehr guten Mannes. Laß uns hier noch eine gute Weile verbleiben; mein Bruder Matthäus kann sich hier ja mit Barmherzig verheirathen, ehe wir weiter gehen.
Gajus, der Wirth, hörte es und sprach: dies soll mir von Herzen lieb sein, mein Kind.
Und so blieben sie denn über einen Monat lang hier, und Barmherzig ward dem Matthäus zum Weibe gegeben. Während ihres hiesigen Aufenthaltes machte Barmherzig, wie gewöhnlich, Röcke und sonstige Kleider für die Armen; dadurch aber brachte sie die Pilger in einen sehr guten Ruf.
Doch kehren wir zu unserer Erzählung zurück. Nach dem Essen verlangten die Knaben zu Bette; denn sie waren müde von der Reise. Darum ließ Gaius ihnen ihr Zimmer anweisen. Barmherzig aber sagte: ich will sie zu Bette bringen. Dies geschah, und sie schliefen gut; die Übrigen aber blieben die ganze Nacht hindurch auf; denn Gajus und sie Alle freuten sich so ihres Zusammenseins, daß sie sich nicht von einander trennen mochten. Nachdem sie viel von ihrem Herrn, sich selber und ihrer Reise gesprochen hatten, fing der alte Redlich an einzunicken. Da sprach Muthherz: Wie, lieber Redlich, du fängst an schläfrig zu werden? Wisch' dir den Schlaf aus den Augen — hier hab' ich ein Räthsel für dich. Laß hören, sagte Redlich. Und Muthherz sprach:
Wer tödten will, der muß erst selber sterben;
Wer draußen leben will, zuvor daheim verderben.
Ei! sagte Redlich, das ist schwer; schwer aufzulösen und noch schwerer auszuüben. Aber, komm, lieber Wirth, nimm, wenn's dir gefällig ist, meine Stelle ein, und löse du es auf, dann will ich hören, was du sagst.
Nein, sprach Gajus: dir ist die Aufgabe gestellt und von dir muß die Antwort erwartet werben.
Darauf sagte der alte Redlich:
Der kann den Todesstoß der Sünde geben,
In dem die Gnade Christi mächtig ist;
Und so vermag ein Mensch erst dann zu leben,
Wenn in ihm selbst der alte Mensch ertödtet ist.
Getroffen! sagte Gajus. Wahre Lehre und Erfahrung bestätigen dies. Denn ehe die Gnade sich offenbaret und das Herz mit ihrer Herrlichkeit einnimmt, vermag es sich durchaus nicht der Sunde zu widersetzen. Denn, weil die Sünde des Teufels Strick ist, worin die Seele gebunden liegt, wie sollte sie Widerstand thun können, ehe sie aus dieser Ohnmacht befreit worden? Ferner wird aber auch Keiner, welcher die Vernunft oder Gnade kennt, wähnen, daß Der ein lebendiges Denkmal der göttlichen Gnade sein könne, der noch ein Sklave seiner sündigen Natur ist.
Hiebei fällt mir eine Geschichte ein, die ich euch erzählen will, da sie des Anhörens werth ist. Es waren einmal zwei Menschen, die sich auf die Pilgrimschaft begaben: der Eine war, da er sie begann, noch jung, der Andere bereits alt. Der Jüngere hatte mit mächtigen Leidenschaften zu kämpfen, der Ältere war durch die vorgerückten Jahre abgeschwächt und entkräftet; daher hatte er weniger zu kämpfen. Der Jüngere wandelte aber ebenso fest wie der Ältere und ging einher mit derselben Leichtigkeit. In welchem von Beiden leuchtete nun die Gnade am hellsten hervor, da doch Beide gleich zu sein schienen?
Redl. In dem jungen Manne, zweifelsohne. Denn der, welcher dem stärksten Widerstande gewachsen ist, beweiset eben dadurch, daß er der Stärkste ist, zumal, wenn er auch mit demjenigen gleichen Schritt hält, der nicht bald so viel zu bewältigen hat, wie es offenbar bei dem höheren Alter der Fall ist. Dennoch habe ich selbst wohl die Beobachtung gemacht, daß alte Leute sich in diesem Irrthum selig gepriesen haben. Sie hielten nämlich die Abnahme ihrer Kräfte für einen Sieg der Gnade über ihre Verderbniß, und wurden dadurch verleitet sich selbst zu betrügen. In Wirklichkeit sind alte Leute, die in der Gnade stehen, am besten befähigt, den Jüngern Rath zu ertheilen, weil sie am meisten die Nichtigkeit der Welt erfahren haben. Allein, wenn ein junger und ein alter Mann zu gleicher Zeit die Pilgerreise antreten, so hat der Jüngere den Vortheil, daß das Werk der Gnade in ihm sich am herrlichsten offenbaret, obgleich das natürliche Verderben sich begreiflichermaßen in einem Alten schwächer erweiset.
In solcher Unterhaltung saßen sie zusammen, bis der Tag anbrach. Da nun andern Morgens die Leute im Hause aufgestanden waren, hieß Christin ihren Sohn Jakob ein Kapitel aus der Bibel vorlesen, und so las er dann das 53. Kapitel des Propheten Jesaja. Als es zu Ende war, fragte Redlich: warum es hier heiße: der Heiland werde kommen aus dürrem Erdreich, und daß Er keine Gestalt, noch Schöne hätte?
Muthh. Auf das Erste antworte ich: Weil das Volk Israel, aus welchem Christus herkam, Kraft und Geist der Gottseligkeit fast ganz verloren hatte. Auf das Zweite erwiedere ich: die Worte sind gesprochen im Sinne der Ungläubigen, denn weil sie kein Auge haben, welches in das Herz unseres Fürsten zu blicken vermag, so beurtheilen sie Ihn nur nach der Niedrigkeit seiner Knechtsgestalt; gerade wie diejenigen, welche nicht wissen, daß Edelsteine mit einer häßlichen Kruste überzogen sind; wenn sie daher einmal einen solchen gefunden haben, werfen sie ihn wieder weg, wie einen gemeinen Stein, weil sie nicht wissen, wie schätzbar ihr Fund ist.
Wohlan, sagte Gajus, da ihr nun einmal hier seid, und ich weiß, wie gut Muthherz seine Waffen zu führen versteht, so wollen wir, wenn's euch gefällig ist, nachdem wir uns ein wenig gestärkt haben, hinaus auf's Feld gehen, und zusehen, ob wir nicht etwas Gutes thun können. Es hält sich nämlich ungefähr eine Meile von hier ein Riese, Namens Tugendmörder, auf, welcher in dieser Gegend großen Schaden auf der Königsstraße anrichtet; ich weiß, wo sein Hinterhalt ist. Er ist der Anführer einer großen Räuberbande; es wäre schön, wenn wir die Straße davon säubern könnten.
Alle waren mit dem Vorschlag einverstanden und begaben sich auf den Weg, Muthherz mit seinem Schwert, Helm und Schild und die Übrigen mit Speeren und Stäben.
Als sie zu dem Orte kamen, wo der Riese war, trafen sie ihn mit einem gewissen Schwachmuth zusammen, den er unter seinen Händen hatte. Des Riesen Diener hatten denselben unterwegs aufgefangen und zu ihm geschleppt. Der Riese war gerade im Begriff, ihn auszuplündern und beabsichtigte ihn darnach aufzufressen, denn er war von Natur ein Menschenfresser.
Sobald er nun Muthherzens und seiner Freunde mit ihren Waffen am Eingang seiner Höhle ansichtig ward, fragte er, welches ihr Begehren wäre.
Muthh. Dich wollen wir haben; denn wir sind gekommen, um den Tod so vieler Pilger zu rächen, die du von der Königsstraße weggeschleppt und erschlagen hast; deßhalb komm heraus aus deiner Höhle!
Hierauf bewaffnete er sich und trat hervor, und nun hob der Kampf an; sie fochten aber über eine Stunde mit einander, und standen dann eine Weile still, um Athem zu schöpfen.
Nun fragte Tugendmörder: warum seid ihr auf meinem Grund und Boden?
Muthh. Um, wie ich dir schon vorhin gesagt, das Blut der Pilger zu rächen. So begannen sie denn den Kampf von Neuem, und der Riese brachte Muthh er z zum Weichen, allein dieser machte sich wieder auf und schwang im Feuer seines Muthes das Schwert mit solcher Kraft um des Riesen Haupt und Seiten, daß er ihn nöthigte, die Waffe aus der Hand fallen zu lassen. Darauf schlug er ihn zu Boden, hieb ihm das Haupt ab und nahm es mit in die Herberge. Auch brachte er den Pilger Schwachmuth dort mit hin. Als sie nach Hause kamen, zeigten sie der Familie das Haupt des Riesen und steckten es auf einen Pfahl, wie sie es schon mit anderen gethan, zum Schrecken für diejenigen, welche sich in Zukunft gelüsten lassen möchten es zu machen, wie der Riese es gemacht hatte.
Darnach ließen sie sich von Schwachmuth erzählen, wie er den Riesen in die Hände gefallen wäre.
Schwachmuth, der arme Mann, sagte: ich bin, wie ihr sehet, ein kränklicher Mann, und weil der Tod jeden Tag bei mit anzuklopfen pflegte, so dachte ich, zu Hause würde ich niemals besser werden. Da schickte ich mich denn zur Pilgerreise an, und bin aus der Stadt Ungewiß hierher gereist; dort ward ich, so wie mein Vater geboren. Ich bin ein Mensch, der weder Kraft des Leibes, noch der Seele besitzt, dennoch wollte ich gerne, wiewohl ich nur kriechen kann, mein Leben auf der Pilgerreise zubringen. Als ich an die Pforte kam, die am Eingange des Weges ist, nahm mich der Herr dieses Ortes williglich auf, und machte mir weder wegen meines schwächlichen Aussehens, noch wegen meines schwachen Gemüthes irgend eine Schwierigkeit, sondern gab mir vielmehr, was ich zur Reise bedurfte, und hieß mich hoffen auf das Ende. Als ich zu dem Hause des Auslegers kam, wurde mir daselbst viel Freundlichkeit erwiesen, und da der Hügel Beschwerde zu mühsam für mich erachtet ward, ließ er mich von einem seiner Diener hinauftragen. Ich habe wirklich manche Erleichterung durch Pilger erfahren, obwohl Keiner so langsam gehen wollte, wie ich zu thun genöthigt war. Doch, wenn sie kamen, sprachen sie mir Muth zu und sagten, es sei der Wille ihres Herrn, die Kleinmüthigen zu trösten, 22) und so zogen sie ihren Weg weiter im Frieden. Als ich in die Anfallsgasse kam, traf dieser Riese auf mich und forderte mich zum Kampfe heraus. Aber ach! schwach, wie ich war, hätte ich vielmehr eine Herzensstärkung bedurft; so kam er denn auf mich zu und schleppte mich hinweg. Ich hoffte, er würde mich nicht umbringen. Auch da er mich in seiner Höhle hatte, meinte ich, weil ich nicht freiwillig mit ihm gegangen war, ich würde lebend wieder hinauskommen. Ich hatte nämlich gehört, daß nach den Gesetzen der göttlichen Fürsehung, kein Pilger, der mit Gewalt wäre gefangen genommen worden, wenn er sich nur von ganzem Herzen an seinen Herrn halte — durch die Hand des Feindes sterben solle. Geplündert zu werden, versah ich mich, und geplündert bin ich ja auch; allein ihr sehet, daß ich mit dem Leben davon gekommen bin; dafür danke ich meinem Könige als dem Urheber davon, und euch, die ihr dazu die Werkzeuge gewesen seid. Andere Angriffe sehe ich noch kommen, jedoch das habe ich bei mir beschlossen, zu laufen, wenn ich kann, zu gehen, wenn ich nicht laufen kann, und zu kriechen, wenn ich nicht gehen kann. In der Hauptsache bin ich — Dank sei Dem dafür, der mich geliebet hat! klar und gewiß: mein Weg liegt vor mir, mein Sinn ist bereits jenseits des Stromes, der keine Brücke hat, obwohl ich, wie ihr sehet, ein Mensch von kleinem Muthe bin.
Redl. Hast du nicht vor längerer Zeit die Bekanntschaft eines Pilgers, Namens Verzagt, gemacht?
Schwachmuth. Bekanntschaft! o ja. Er kam aus der Stadt Stumpfsinnigkeit, die vier Meilen nördlich von der Stadt Verderben und ebenso weit von meinem Geburtsorte entfernt liegt. Allerdings waren wir recht bekannt mit einander, denn er war mein Oheim, Vaters Bruder. Er und ich waren so ziemlich von derselben Gemüthsart; er war etwas kleiner, als ich, übrigens aber von sehr ähnlicher Körpergestalt.
Redl. Ich sehe, du hast ihn gekannt, und ich bin wohl geneigt zu glauben, daß ihr mit einander verwandt waret, denn du hast ein eben so bleiches Aussehen, wie er, gerade solchen Blick und eine ganz ähnliche Sprache.
Schwachm. Das haben die Meisten gesagt, die uns beide kennen, und überdem habe ich, was ich in seinem Herzen gelesen, meist in mir selbst auch gefunden.
Gajus. Komm, lieber Mann, sagte Gajus, sei gutes Muths! du sollst mir und meinem Hause willkommen sein, fordere nur ungescheut, wozu du Lust hast, und Alles, was du von meinen Dienern wünschest, werden sie mit aller Bereitwilligkeit thun.
Darauf sagte Schwachmuth: das ist ja eine unerwartete Gunst, und wie Sonnenschein nach ganz düstern Wolken. Ob der Riese mir diese Gunst wohl zugedacht haben mochte, als er mich packte und festhielt? War es seine Absicht, mich zu einem so lieben Wirthe, wie Gajus zu schicken, als er mich ausgeplündert? Und dennoch hat sich's so zugetragen.
Gerade in dem Augenblick, als Schwachmuth und Gajus so mit einander redeten, kam Einer gelaufen und brachte die Nachricht, daß ein gewisser Unlauter, ein Pilgrim, ungefähr anderthalb Meile von dort vom Blitz erschlagen worden sei.
Ach! sagte Schwachmuth, ist er erschlagen? Einige Tage, ehe ich hierher kam, holte er mich ein und wollte mein Begleiter sein. Er war auch bei mir, als der Riese Tugendmörder mich faßte, aber er war leicht auf den Füßen und entwischte. Allein es scheint, er entwischte nur, um zu, sterben, und ich ward gefangen genommen, um zu leben.
Was, wie wir meinen, uns den Untergang bereitet,
Das gerade hat uns oft aus bitt'rer Noth geleitet.
Die Fürsicht, die dem Sichern Tod gebracht,
Hat des Gebeugten Leben angefacht.
Ich ward gefangen, er entwischt' und floh,
Ihm sandte Gott den Tod, macht' mich des Lebens froh.
Um diese Zeit heiratheten Matthäus und Barmherzig; auch gab Gajus seine Tochter Phöbe dem Jakob, dem Bruder des Matthäus, zum Weibe. Nachdem dies geschehen, blieben sie noch ungefähr zehn Tage in Gajus Hause; ihre Zeit und Stunden verwendend, wie es der Pilger Sitte ist.
Vor ihrer Abreise veranstaltete ihnen Gajus ein Fest; da aßen und tranken sie, und waren froh. Nun aber war die Stunde des Abschieds gekommen, und deßhalb forderte Muthherz denn die Rechnung. Gajus aber sagte, in seinem Hause sei es nicht Sitte, daß Pilgrime für ihre Bewirthung Etwas bezahlten. Er unterhalte sie ein Jahr lang, die Bezahlung dafür erwarte er aber von dem barmherzigen Samariter, welcher ihm versprochen, Alles, was er für sie dargethan, zu bezahlen, wenn er wiederkäme. 23)
Darauf sprach Muthherz zu ihm: Mein Lieber, du thust treulich, was du thust an den Brüdern und Gästen, die von deiner Liebe gezeuget haben vor der Gemeinde, und du hast wohl gethan, daß du sie abgefertigt hast würdiglich vor Gott. 24) Hiernach nahm Gaius Abschied von ihnen Allen, namentlich von seinen Kindern, und besonders noch von Schwachmuth. Auch gab er diesem Etwas zu trinken mit auf den Weg.
Als sie nun aus der Thüre heraus waren, stellte sich Schwachmuth, als wollte er hinter ihnen zurückbleiben. Indem Muthherz dies merkte, sprach er: Komm, Schwachmuth, geh' doch mit uns, ich will dein Führer sein, und es soll dir ebenso gut gehen, wie den Andern.
Schwachm. Ach! ich muß einen Begleiter haben, der zu mir paßt. Ihr seid Alle rüstig und stark, aber ich bin schwach, wie ihr sehet. Deßwegen will ich lieber hinter euch drein kommen, damit ich nicht euch und mir selber zur Last werde, meiner vielen Gebrechlichkeiten halber. Ich bin ja, wie ich bereits gesagt, ein Mann von schwachem Geist und nehme leicht Anstoß an Dingen, die Andere ertragen können. Ich mag nicht lachen, mich nicht freuen über Putz und Schmuck und durchaus keine unnützen Fragen hören. Ja, ich bin so schwach, daß ich mich sogar an solchen Dingen ärgere, die Andern zu thun zustehen. Ich erkenne die Wahrheit noch nicht vollständig und bin ein sehr unwissender Christ. Wenn ich zuweilen höre, daß Andere sich in dem Herrn freuen, macht es mich traurig. , weil ich es nicht auch so kann. Es geht mit mir, wie mit einem Schwachen unter den Starken, oder wie mit einem Kranken unter den Gesunden, oder wie mit einem verachteten Lichtlein. Der Gerechte und Fromme muß verlachet sein und ist ein verachtetes Lichtlein vor den Gedanken der Stolzen. 25)
Muthh. Aber, lieber Bruder, ich habe den Auftrag, die Kleinmüthigen zu trösten und die Schwachen zu tragen. 26) Du mußt durchaus mit uns gehen; wir wollen auf dich warten; wir wollen dir beistehen und uns selbst verläugnen, beides in Meinungen sowohl, wie in Werken, um deinetwillen; wir wollen uns in deiner Gegenwart zweifelhafter Fragen enthalten und wir wollen dir lieber Allerlei werden, Schwache dem Schwachen, als daß wir dich zurücklassen. 27)
Alles dieses wurde verhandelt, als sie noch vor Gajus Thüre standen, und siehe, als sie so im Eifer des Gesprächs waren, kam Hinkfuß vorbei, mit seinen Krücken in der Hand, und war ebenfalls auf der Pilgrimschaft.
Schwachmuth sprach zu ihm: Nun, wie kommst du hierher? Ich habe mich eben darüber beklagt, daß es mir an einem passenden Begleiter fehle, nun aber kommst du — du bist ganz nach meinen Wünschen. Willkommen, willkommen! lieber Hinkfuß; ich hoffe, wir werden uns einander helfen!
Hinkfuß. Ich werde mich deiner Gesellschaft freuen, lieber Schwachmuth. Ehe wir uns trennen, will ich dir noch lieber eine von meinen Krücken geben, da wir so glücklich gewesen, uns zu treffen.
Schwachm. Nun, ich danke dir für deinen guten Willen, aber ich möchte doch nicht eher hinken, bis daß ich lahm bin. Indessen könnte die Krücke mir doch gelegentlich gegen die Hunde dienlich sein.
Hinkf. Wenn ich selbst oder mit meinen Krücken dir einen Gefallen thun kann, so hast du nur zu befehlen, lieber Schwachmuth.
Und nun gingen wir denn weiter: Muthherz und Redlich voran; darnach Christin und ihre Kinder, und Schwachmuth und Hinkfuß mit seinen Krücken hinterdrein.
Redlich aber hub an: Bitte, lieber Muthherz, erzähle uns, während wir jetzt am Gehen sind, etwas Heilsamliches von denen, die vor uns die Pilgerfahrt angetreten haben.
Muthh. Herzlich gerne. Ich vermuthe, daß du gehört hast, wie Christ früher im Thale Demuth mit Apollyon zusammengetroffen ist, und ebenso, welch' große Beschwerde es ihn gekostet, durch das Thal der Todesschatten hindurchzukommen. Auch mußt du vernommen haben, wie Getreu zugesetzt ward von Madam Wollust, von dem alten Adam, von Mißvergnügt und Verschämt — den vier gefährlichsten Bösewichtern, denen ein Mensch unterweges nur begegnen kann.
Redl. Ja, ich glaube, daß ich von dem Allem gehört habe. Aber wahrlich, es ward dem lieben Getreu von Verschämt am Härtesten zugesetzt; er war ein höchst zudringlicher und lästiger Geselle.
Muthh. Allerdings. Es ist, wie der Pilger ganz richtig bemerkte: kein Mensch unter allen trug seinen Namen so mit Unrecht.
Redl. Aber, bitte Lieber, wo war es doch, daß Christ und Getreu mit Geschwätzig zusammentrafen? Der war ebenfalls ein berüchtigter Mensch.
Muthh. Das war Einer von den Thoren, die auf sich selber ihr Vertrauen setzen, aber, leider! gibt es Viele, die auf seinem Wege wandeln.
Redl. Es fehlte nicht viel daran, so hätte er Getreu betrogen.
Muthh. Freilich, aber Christ brachte ihn schnell auf einen Weg, worauf er die Tücke desselben klar durchschauen konnte.
So gingen sie bis zu der Stelle, wo Evangelist mit Christ und Getreu zusammentraf und ihnen prophezeite, was ihnen auf dem Eitelkeitsmarkte begegnen werde. 28) Hier ungefähr war es — sprach der Führer — wo Evangelist, jenen beiden die Trübsale vorher verkündigte, die sie dort treffen sollten.
Redl. Ach! ja, es war eine harte Lektion, welche er ihnen da zu lesen gab.
Muthh. Das war es freilich, aber er gab ihnen doch auch zugleich guten Muth. Aber, was reden wir von ihnen? Sie waren ein paar Menschen, wie die Löwen und hatten ihre Angesichte hart gemacht, wie Kieselsteine. Erinnerst du dich nicht, wie unerschrocken sie waren, als sie vor dem Richter standen?
Redl. Allerdings, wie muthig erduldete Getreu?
Muthh. Ja, und sein Muth erzeugte solchen hinwiederum in Andern, denn Hoffnungsvoll und Mehrere noch wurden, wie erzählt wird, durch seinen Tod bekehrt.
Redl. Du scheinst genau mit diesen Dingen bekannt zu sein; darum fahre doch fort zu erzählen.
Muthh. Von Allen, welche Christ auf dem Eitelkeitsmarkte begegneten, war Nebenwege doch bei Weitem der Schlimmste.
Redl. Nebenwege? wer war denn das?
Muthh. Ein Erzbösewicht, ein rechter Heuchler, Einer, der den Frommen spielte oder sich so stellte, je nachdem er gerade unter Menschen war, dabei aber so schlau, daß er sicher sein konnte, deßhalb nie einen Verlust oder irgend ein Leid an seinem äußern Menschen erfahren zu müssen. Er hatte für jede Gelegenheit seine besondere Religion, und sein Weib war darin ebenso geschickt, wie er. Er wandte sich von einer Meinung zur andern, ja, er verstand es sogar, sein Benehmen jedesmal zu vertheidigen. Allein, soviel ich in Erfahrung gebracht, kam es zu einem Übeln Ende mit diesem Nebenwege; auch habe ich nie gehört, daß Eins von seinen Kindern je geachtet worden wäre von Denen, welche Gott wahrhaft fürchten.
Um diese Zeit war es, als sie im Angesicht der Stadt Eitelkeit ankamen, wo der Eitelkeitsmarkt gehalten wird. Da sie sahen, daß sie der Stadt so nahe waren, überlegten sie mit einander, wie sie durch dieselbe hindurchkommen sollten; da sagte denn der Eine dies und der Andere jenes. Zuletzt sprach Muthherz: ich habe, wie ihr wohl denken könnt, schon manchen Pilger durch diese Stadt geleitet. Nun bin ich bekannt mit einem gewissen Mnason, einem Cyprier seiner Herkunft nach, er ist ein alter Jünger, in dessen Hause wir Herbergen können. 29) Da wollen wir einkehren, wenn's euch beliebt.
Zufrieden! sagte der alte Redlich; zufrieden! sagte Christin; zufrieden! sagte Schwachmuth, und sagten sie Alle. Indessen war die Abendzeit herangerückt, als sie außen vor der Stadt angelangt waren; Muthherz kannte jedoch den Weg zu dem Hause des alten Mannes. So kamen sie denn dort an und Muthherz rief an der Thüre. Da erkannte der alte Mann drinnen alsobald die Stimme, machte ihnen auf und sie Alle kamen hinein.
Nun fragte Mnason, ihr Wirth: Wie weit seid ihr heute hergekommen?
Sie antworteten: Von deines Freundes Gajus Hause her.
Darauf sagte er: Dann habt ihr wirklich eine gute Strecke zurückgelegt und könnt wohl müde sein.
Und so setzten sie sich denn.
Ihr Führer sagte dann: Richtet euch nun nur ganz nach eurer Bequemlichkeit ein; ich bin überzeugt, daß ihr meinem Freunde willkommen seid.
Mnason. Ich heiße euch willkommen. Saget nur, was ihr bedürfet, und wir werden thun, was möglich ist, daß ihr's bekommt.
Redl. Wir bedurften vorhin sehr einer Herberge und guter Gesellschaft, nun aber haben wir, denk' ich, Beides.
Mnas. Was die Herberge anlangt, so sehet ihr die, was aber die gute Gesellschaft betrifft, so wird sich's zeigen, wie es damit ist.
Muthh. Gut, willst du den Pilgern ihre Zimmer zeigen?
Mnas. Gerne. Und so geschah es denn; auch zeigte er ihnen ein sehr schönes Speisezimmer, wo sie sich aufhalten und miteinander zu Nacht essen könnten, bis sie sich zur Ruhe begeben würden.
Als sie nun ihre Plätze eingenommen und sich ein wenig gestärkt hatten, fragte Redlich seinen Wirth, ob es viele christlich gesinnte Leute in der Stadt gebe?
Mnas. Nein, wir haben deren nicht viele, denn vergleicht man sie mit den Andern, so kommt in der That nur eine kleine Zahl heraus.
Redl. Wie sollen wir's aber anfangen, um Einige von den Guten zu Gesicht zu bekommen? Denn der Anblick guter Menschen ist für Pilger, wie das Aufgehen von Mond und Sternen für Seefahrer in dunkler Nacht.
Da stampfte Mnason mit dem Fuße auf und herein trat seine Tochter Gnade. Er aber sprach zu ihr: Gnade, geh' und sage meinen Freunden Bußfertig, Heiligmann, Heiligenfreund, Lügenfeind und Reumuth, daß ich einige Freunde bei mir habe, welche sie diesen Abend hier zu sehen wünschten. — Darauf ging Gnade denn hin, lud sie ein, und sie kamen. Nachdem sie einander begrüßt, setzten sie sich allesammt um den Tisch herum.
Sodann sagte Mnason, ihr Wirth: Liebe Nachbarn, ich habe, wie ihr sehet, eine Gesellschaft von Pilgern in meinem Hause aufgenommen; sie kommen weit her und wollen nach dem Berge Zion. Aber, was meint ihr wohl — fragte er, indem er mit dem Finger auf Christin hinzeigte — wer diese hier sei? — und er fuhr fort: Es ist Christin, die Frau Christ's, jenes berühmten Pilgers, welcher nebst Getreu, seinem Bruder, in unserer Stadt so schmählich behandelt worden ist.
Hierüber waren sie sehr erstaunt und sagten: Wir konnten nicht daran denken, Christin hier zu finden, als wir von Gnade gerufen wurden; daher ist uns dies eine sehr angenehme Überraschung. — Sie erkundigten sich nun nach ihrem Wohlergehen und ob die jungen Leute da Christ's Söhne seien? Und als sie dies nun bejahte, sagten sie: Der König, den ihr liebt und dem ihr dienet, mache euch gleich eurem Vater und bringe euch im Frieden dorthin, wo er ist!
Nachdem sie nun wieder Alle Platz genommen, richtete Redlich an Bußfertig die Frage: in was für einem Zustande sich ihre Stadt gegenwärtig befinde?
Bußfertig. Ihr könnt schon denken, daß zur Meßzeit Alles in großer Unruhe und Eile ist. Da ist es schwer, Herz und Sinn in rechter Verfassung zu halten, wo man so in Anspruch genommen wird. Wer an einem Orte, wie dieser lebt, und wer mit solchen Leuten zu thun hat, wie wir es haben, mag sich wohl ein Denkzeichen machen, worauf er jeden Augenblick im Tage achtet, um auf seiner Hut zu sein.
Redl. Aber, wie ist's denn nun damit, halten sich eure Mitbürger ruhig?
Bußfert. Sie sind doch jetzt viel gemäßigter, als vordem. Ihr wisset wohl, wie Christ und Getreu in unserer Stadt behandelt worden sind, doch seit Kurzem sind sie, wie gesagt, weit gemäßigter. Ich glaube, das Blut Getreu's liegt noch jetzt wie eine Last auf ihnen; denn seit sie ihn verbrannt haben, schämen sie sich doch, so Etwas noch einmal zu versuchen. In jenen Tagen waren wir zu bange über die Straßen zu gehen, aber gegenwärtig können wir uns getrost sehen lassen. Damals war der Name eines Bekenners Jesu Christi verhaßt, jetzt wird, namentlich in einzelnen Theilen der Stadt — ihr wisset nämlich, sie ist groß — die Gottseligkeit für etwas Ehrenvolles erachtet. — Aber nun saget mir doch einmal, wie geht es euch auf eurer Pilgerfahrt? Wie ist man im Lande gegen euch gesinnt?
Redl. Uns geht es, wie es Wanderern zu gehen pflegt. Zuweilen ist unser Weg rein, zuweilen schmutzig; zuweilen geht's bergauf, und zuweilen bergunter, selten aber sind wir gewiß, wie es kommt. Nicht immer haben wir den Wind aus den Rücken, und nicht Jeder, dem wir unterwegs begegnen, ist unser Freund. Wir haben bereits einige merkliche Stöße bekommen, und was noch dahinter ist, das wissen wir nicht; allein meistens finden wir den alten Spruch bestätigt: Der Gerechte muß Viel leiden. 30)
Bußf. Du sprichst von Stößen; was für Stöße habt ihr denn erlitten?
Redl. Nun, frag' einmal unsern Führer Muthherz, denn er kann am Besten Auskunft darüber geben.
Muthh. Wir sind schon drei- oder viermal angefallen worden; zuerst Christin und ihre Kinder von zwei Bösewichtern, die ihnen, wie sie fürchten mußten, das Leben nehmen wollten. Darnach wurden wir überfallen von drei Riesen: Blutmensch, Hammer und Tugendmörder. Doch den letztern griffen wir mehr an, als er uns. Damit verhielt es sich also: Nachdem wir eine Zeitlang im Hause des Gajus gewesen, der mein und der ganzen Gemeinde Wirth ist, wurden wir gemahnt unsere Waffen zu nehmen, um auszugehen und zuzusehen, ob wir nicht den einen oder andern Feind der Pilger antreffen könnten, denn wir hatten gehört, daß ein berüchtigter sich dort in der Gegend aufhalte. Gajus wußte nur seinen Hinterhalt besser, als ich, weil er sich gerade dort herum aufhielt. So lauschten und lauschten wir, bis wir den Eingang zu seiner Höhle entdeckten; und nun wurden wir froh und faßten Muth. Alsdann näherten wir uns seiner Höhle, und siehe, als wir dorthin kamen, hatte er diesen armen Mann Schwachmuth, gewaltsamer Weise in sein Netz hineingearbeitet und war im Begriff, demselben den Todesstoß zu geben. Als er uns aber sah, dachte er wohl eine andere Beute machen zu können, ließ den armen Mann in seiner Behausung und kam heraus. Nun fielen wir jedoch mit aller Macht über ihn her und schlugen wacker auf ihn drein; endlich ward er von uns zu Boden geworfen und ihm der Kopf abgehauen; diesen stellten wir sodann am Wege auf, zum Schrecken für Alle, die in der Folge sich zu einem ähnlichen Frevel möchten hingezogen fühlen. So ist's in Wahrheit, wie ich sage, und hier ist der Mann selber, der's bestätigen kann; er war wie ein Lamm, welches aus dem Rachen des Löwen gerissen wird.
Darauf sprach Schwachmuth: Ja, so habe ich's erfahren zu meinem Schrecken und zu meinem Troste; zu meinem Schrecken, als der Bösewicht jeden Augenblick drohte, mich zu zerfleischen, und zu meinem Troste, als ich Muthherz und seine Freunde erblickte, die mit ihren Waffen herzukamen, um mich zu erlösen.
Hiernach sagte Heiliger: Zwei Dinge sind's vornämlich, deren diejenigen bedürfen, welche sich auf die Pilgerreise begeben, nämlich Muth und einen unbefleckten Wandel. Fehlt ihnen der Muth, so können sie ihren Weg nicht einhalten, und ist ihr Wandel befleckt, so machen sie den Namen eines Pilgers stinkend.
Heiligenfreund. Ich hoffe, daß es solcher Mahnung bei euch nicht bedarf. Aber das ist wahr, Manche begeben sich auf die Pilgrimschaft, die sich mehr zu der Erde als zu der himmlischen Heimath hingezogen fühlen.
Lügenfeind. Es ist wahr; sie haben weder Pilgertracht, noch Pilgermuth; sie gehen nicht aufrecht, sondern mit verschränkten Beinen; mit einem Fuße einwärts, mit dem andern auswärts, und mit zerlumpten Kleidern, hier ein Fetzen und da ein Riß, Alles zur Unehre ihres Herrn.
Reumuth. Um diese Dinge sollten sie vor Allem bekümmert sein; denn ein Pilger kann weder für sich, noch für seine Reise der Gnade — die er doch begehret — eher gewiß sein, bis er von solchen Flecken und Fehlern rein ist.
Unter solchen Gesprächen brachten sie die Zeit hin, bis das Abendessen aufgetragen ward. Nachdem sie dasselbe verzehrt und daran ihre müden Leiber erquickt hatten, begaben sie sich zur Ruhe.
Sie weilten aber geraume Zeit in diesem Markte, in Mnason's Hause, der im Lauf der Zeit seine Tochter Gnade, Christin's Sohne, Samuel, und seine Tochter Martha dem Joseph zum Weibe gab.
Es war, wie ich so eben sagte, eine lange Zeit, während sie sich hier aufhielten, denn es ging dermalen hier anders, als in frühem Zeiten. Daher wurden unsere Pilger mit vielen gottseligen Leuten des Ortes bekannt und erwiesen ihnen so viele Dienste als sie nur konnten. Barmherzig arbeitete nach ihrer Gewohnheit viel für die Armen: dafür wurde sie von denselben herzlich gesegnet und gereichte ihrem Bekenntniß zur Zierde. Und so muß es ferner zur Steuer der Wahrheit gesagt werden: Gnade, Phöbe und Martha hatten allesammt einen biedern Sinn und thaten ebenfalls ein jeder an seinem Theile viel Gutes. Auch vermehrten sich sämmtliche junge Familien sehr, so daß Christ's Name, wie vorher gesagt, in der Welt fortlebte.
Während die Pilger mit ihren Verwandten und Freunden hier weilten, kam ein großes Ungeheuer aus den Wäldern und brachte viele Leute aus der Stadt um. Überdem suchte es die Kinder wegzuschleppen und lehrte ihnen an seinen Brüsten saugen. Indessen durfte kein Mensch in der Stadt es wagen, demselben entgegenzutreten, alle flohen vielmehr, wenn sie das Getöse hörten, welches seine Ankunft vermeldete.
Das Ungeheuer war keinem Thier auf Erden zu vergleichen. Sein Leib war wie eines Drachen, und es hatte sieben Häupter und zehn Hörner; es stellte gräuliche Verheerungen unter den Kindern an und ward dennoch beherrscht von einem Weibe. 31) Es machte dasselbe Verträge mit den Menschen, und die, welche ihr Leben lieber hatten, als ihre Seelen, gingen diese Verträge ein, wurden aber dadurch dem Ungeheuer unterthan.
So gestalter Sache machte Muthherz nun mit denen, welche die Pilger in Mnason's Hause besuchten, einen Bund, hinzugehen und mit diesem Thiere zu kämpfen, ob sie die Leute dieser Stadt vielleicht aus den Klauen und dem Rachen des mächtig verschlingenden Drachen erretten möchten.
Muthherz, Bußfertig, Heiligmann, Lügenfeind und Reumuth zogen aus mit ihren Waffen, ihm entgegen. Zuerst nun war das Ungeheuer sehr übermüthig und sah mit großer Mißachtung auf seine Feinde herab; allein, da sie sammt und sonders sehr waffentüchtige Männer waren, bearbeiteten sie dasselbe dermaßen, daß es sich zum Rückzuge genöthigt sah. Hierauf kehrten sie wieder zu Mnason's Hause zurück.
Das Ungeheuer — müsset ihr wissen — hatte seine bestimmten Zeiten, in welchen es herauskam, und seine Angriffe auf die Kinder der Stadt machte. In diesen Zeiten nun paßten unsere wackern Streiter ihm auf und griffen es fortwährend an und zwar derart, daß es im Laufe der Zeit nicht nur verwundet, sondern auch lahm wurde. Auch richtete es nun nicht mehr solche Verheerung unter den Kindern der Stadt an, wie früher, und überdem glauben Viele, daß das Thier sicherlich an seinen Wunden sterben werde.
Dadurch nun erlangten Muthherz und seine Gefährten großen Ruhm in der Stadt, so daß Manche dort, die zwar in ihrer Anschauungsweise nicht mit ihnen übereinstimmten, dennoch große Achtung und Ehrerbietung vor ihnen hatten. Und so kam es denn, daß den Pilgern hier wenig Leides zugefügt ward. Freilich gab es ebendaselbst auch Leute schlechterer Art, welche nicht besser sehen konnten, als ein Maulwurf, und ebenso wenig Verstand hatten, wie ein Thier; die hatten denn auch keine Ehrfurcht vor diesen Männern und achteten gar nicht auf ihre Tapferkeit und ihre Thaten.