Bunyan, John - Die überschwängliche Gnade - II. Kapitel. Seine verschiedenen Arten von Erfahrungen in der Selbstgerechtigkeit.
1646-1648.
Bald nach diesem verheirathete ich mich. Es war eine Gnade für mich, daß ich ein Weib fand, deren Vater und Mutter als fromm angesehen waren. Wir kamen zusammen so arm, wie möglich, denn wir hatten nicht einmal eine Schüssel oder einen Löffel; aber sie hatte für ihr Theil „Des gemeinen Mannes Pfad zum Himmel,“ und „Die Uebung der Gottseligkeit,“1) welche ihr Vater bei seinem Tode ihr hinterlassen hatte. In diesen beiden Büchern las ich bisweilen und fand Manches darin, das mir recht gut gefiel, aber in all der Zeit wurde ich nicht von meiner Sündhaftigkeit überzeugt. Meine Frau erzählte mir oft, welch ein gottseliger Mann ihr Vater gewesen, und wie er stets in seinem Hause und unter seinen Nachbarn das Laster gestraft und gezüchtigt, und welch ein strenges und heiliges Leben, beides in Wort und That, er in seinen Tagen geführt habe.
Darum erweckten diese Bücher und ihre Erzählung, obgleich sie es nicht erreichten, mein Herz zu einer Erkenntniß meines traurigen und sündhaften Zustandes anzuregen, doch einiges Verlangen in mir, mein lasterhaftes Leben zu bessern. Ich fügte mich mit Eifer in die Religion der Zeit, nämlich Sonntags zweimal in die Kirche zu gehen und mit den Ersten da zu sein; auch an diesem Tage fromm zu sprechen und zu singen, wie Andere thaten; blieb aber bei meinem sündlichen Leben.
Darneben war ich so vom Geiste des Aberglaubens ergriffen, daß ich alles, was zur Kirche gehörte, Kanzel, Priester, Kirchen-Küster, Priester-Gewänder, Gottesdienst und dergleichen mit großer Ergebung verehrte, indem ich alles heilig achtete, was darin enthalten war, und besonders den Priester und den Küster höchst glücklich und ohne Zweifel sehr gesegnet achtete, weil sie, wie ich damals dachte, die Diener Gottes waren und die Ersten in Seinem heiligen Tempel, um Seinen Dienst zu versehen. Dieser Betrug wurde so stark in meinem Geist, daß ich, wenn ich nur einen Priester sah, so niederträchtig und wüste er auch sein Leben führen mochte, mich doch innerlich tief vor ihm beugte, ihn verehrte und mich zu ihm hingezogen fühlte. Ja ich dachte (denn ich sah sie als die Diener Gottes an) ich könnte mich aus Liebe zu ihnen unter ihre Füße legen und mich von ihnen treten lassen, so berauschte und bezauberte mich ihr Name, ihr Anzug und ihr Werk.
Nachdem ich eine Weile in diesem Zustande gewesen war, kam ein anderer Gedanke in mein Gemüth und das war, ob wir zu den Israeliten gehörten oder nicht? Denn weil ich in der Schrift fand, daß sie einmal das besondere Volk Gottes gewesen, so dachte ich, wenn ich Einer von ihrem Geschlecht wäre, so müßte meine Seele sicher glücklich sein. Mich verlangte sehr, über diese Frage im Reinen zu sein, allein ich wußte nicht, wie ich dazu kommen sollte.
Endlich fragte ich meinen Vater darnach, der mir jedoch sagte, wir wären nicht von diesem Volke. Dadurch wurde meine Hoffnung in dieser Beziehung wieder niedergeschlagen und blieb's auch.
Während dieser ganzen Zeit war mir nichts von der Gefahr und dem Uebel der Sünde bewußt. Ich bedachte nicht, daß die Sünde mich, trotz meines äußerlichen Bekenntnisses verdammen müsse, wenn ich nicht in Christo erfunden werde. Ja, ich dachte niemals darüber nach, ob es einen Solchen (Christus) gäbe oder nicht. So irrt der Mensch in seiner Blindheit, weil er den Weg zur Stadt Gottes nicht weiß. Pred. Sal. 10,15.
Eines Tages predigte unser Pfarrer über den Sabbath, und über die Sünde der Sabbath-Entheiligung durch Arbeit oder Belustigungen oder auf andere Weise. Nun war ich, trotz meiner Religiösität, Einer, der sich in allen Arten von Lastern ergötzte, und besonders war der Sonntag der Tag, an dem ich mir recht gütlich that. Darum wurde ich durch diese Predigt in meinem Gewissen geschlagen, und glaubte, er habe die Predigt gerade dazu gemacht, um mir meine bösen Werke zu zeigen. Damals aber nie zuvor, so weit ich mich erinnern konnte fühlte ich, was Sündenschuld ist; ich fühlte mich sehr damit beladen und ging aus der Predigt heim mit einer schweren Last auf meinem Gemüthe. Dies stumpfte für den Augenblick die Sehnen meiner besten Freuden ab, und verbitterte meine früheren Vergnügungen; aber siehe! es hielt nicht Stand, denn ich hatte kaum zu Mittag gegessen, so war die Traurigkeit aus meinem Gemüthe und mein Herz kehrte auf seinen alten Weg zurück. O, wie froh war ich, daß diese Traurigkeit weg und das Feuer aus war, daß ich wieder ungehindert sündigen konnte. Nachdem ich mich also gesättiget hatte, schlug ich die Predigt aus meinem Sinn und wandte mich mit großem Eifer wieder zu meiner alten Gewohnheit des Spielens und der Vergnügungen. Aber an demselben Tage, mitten in meiner Belustigung mit Ballspielen fiel plötzlich eine Stimme vom Himmel in meine Seele, welche sagte: „Willst du deine Sünden verlassen und in den Himmel, oder deine Sünden behalten und in die Hölle gehen?“ Darüber erschrak ich sehr; verließ deshalb mein Spielwerk und sah auf gen Himmel und es war mir, als sähe ich mit den Augen meiner Erkenntniß den Herrn Jesum auf mich herabsehen, und als wäre Er sehr unzufrieden mit mir und drohete mir ernstlich, mich für diese und andere gottlosen Werke mit einer schrecklichen Strafe zu belegen.
Hierüber hatte ich kaum recht nachgedacht, als sich plötzlich die Betrachtung in meine Seele drängte: ich wäre ein großer und schrecklicher Sünder gewesen und es sei jetzt zu spät für mich, an den Himmel zu denken, denn Christus werde mir nicht vergeben, noch meine Sünden hinwegnehmen. (Diese waren mir durch das eben Erzählte wieder vor die Seele getreten.) Während ich nun darüber dachte und fürchtete, es möchte so sein, sank mein Herz in Hoffnungslosigkeit und schloß, es müsse zu spät sein; und darum nahm ich mir vor, in meinen Sünden fortzufahren. Denn, dachte ich, wenn dem so ist, so befinde ich mich sicherlich in einem elenden Zustande, elend, wenn ich aufhöre zu sündigen und auch nicht elender, wenn ich fortfahre; ich kann nur verdammt werden, und wenn es denn so sein muß, so ist's einerlei, ob für viele Sünden, oder für wenige.„
So stand ich mitten in meinem Spiel unter Allen, die dabei waren; aber ich sagte ihnen nichts. Nachdem ich, wie gesagt, diesen Beschluß in mir selbst gefaßt hatte, ging ich in verzweifelndem Trotz wieder an meine Belustigung. Diese Verzweiflung aber war der Art, daß ich überzeugt war, ich würde nie irgend eine andere Freude genießen, als die in der Sünde; denn der Himmel sei doch schon für mich verloren, darum brauche ich an diesen nicht zu denken. Es entstand dadurch ein großes Verlangen in mir, meinen Vollgenuß der Sünde hinzunehmen und ich dachte darüber nach, was für Sünden ich noch ausüben könnte, um ihre Süßigkeit zu genießen; ich beeilte mich so sehr ich konnte, meinen Bauch mit ihren Leckerbissen zu füllen, damit ich nicht etwa noch sterben möchte, ehe ich all mein Begehren erlangte, denn dies fürchtete ich sehr. In diesen Dingen, das bezeuge ich vor Gott, lüge ich nicht; noch ist es eine erkünstelte Rede; dies war wirklich mein Verlangen von ganzem Herzen. Der gute Herr, dessen Barmherzigkeit unergründlich ist, wolle meine Missethaten vergeben!
Ich bin überzeugt, daß diese Versuchung des Teufels häufiger vorkommt als man meint; denn er will den Geist damit gleichsam verhärten und verpanzern, und das Gewissen betäuben, welchen Zustand er stille und heimlich durch solche Verzweiflung nährt, auf daß, obgleich keine besondere Schuld auf den Seelen liegen mag, sie doch beständig den heimlichen Schluß ziehen, es sei keine Hoffnung für sie; denn sie lieben die Sünde und darum laufen sie darnach. Jer. 2,25. Cap. 18,12.
Darum fuhr ich in meinen Sünden fort, und war nur unzufrieden, daß sie mir nicht so viel Genuß gaben, als ich wünschte. So ging's einen Monat lang oder noch länger mit mir. Aber eines Tages, als ich am Fenster eines Nachbarn stand und nach meiner Gewohnheit fluchte, hörte es die Frau des Hauses, die inwendig am Fenster saß. Obgleich sie nun eine sehr leichtsinnige und gottlose Person war, so behauptete sie doch, ich schwöre und fluche so fürchterlich, daß sie zitterte, mich anzuhören, und sagte mir weiter, ich sei der gottloseste Flucher, den sie in ihrem ganzen Leben gehört, und daß ich auf diese Weise die Jugend der ganzen Stadt verderben könne, wenn sie nur in meine Gesellschaft käme.
Diese Ermahnung machte mich still und heimlich beschämt und zwar, wie ich dachte, vor Gott im Himmel. Darum wünschte ich, während ich dastand und den Kopf hängen ließ, daß ich doch wieder ein kleines Kind wäre, damit mein Vater mich reden lehren könnte, ohne auf diese böse Weise zu fluchen; denn, dachte ich, ich bin so daran gewöhnt, daß es vergeblich ist, an Besserung zu denken, weil ich nie dazu gelangen werde.
Wie es indessen zuging, weiß ich nicht; aber ich hörte von der Zeit an auf zu fluchen, so daß ich mich selbst darüber wundern mußte; denn, obgleich ich vorher nicht hatte reden können, ohne einen Fluch davor und einen darnach zu setzen, um meinen Worten Nachdruck zu geben, so konnte ich jetzt, ohne zu fluchen, doch besser und angenehmer sprechen als vorher. Während all dieser Zeit kannte ich Jesum Christum nicht und ließ auch nicht von meinen Belustigungen und Spielen.
Aber bald nach dieser Zeit wurde ich mit einem armen Manne bekannt, der ein Bekenner Christi war und der, wie ich damals dachte, lieblich von der Schrift und dem Christenthum reden konnte. Weil mir nun gefiel, was er sagte, so fing ich auch an, die Bibel zu lesen, und ich liebte besonders das Lesen des geschichtlichen Theiles; denn was Pauli Episteln und dergleichen Schrifttheile anging, so konnte ich damit noch nicht fertig werden, weil ich noch unbekannt war mit mir selbst sowohl, als auch mit dem Bedürfniß und dem Werthe Christi, zu meiner Erlösung.
Daher verfiel ich auf einige äußerliche Besserung, beides, in meinen Worten und meinem Leben, und legte mir die Gebote als meinen Weg zum Himmel vor. Nach ihnen suchte ich mein Leben einzurichten, und wie ich meinte, mit gutem Erfolg. Dann und wann brach ich indessen eines und verlegte mein Gewissen. Dann that ich wieder Buße, sagte, es thue mir leid, und gelobte Gott, es das nächste Mal besser zu machen, womit ich mich wieder beruhigte und dachte, ich gefiele Gott nun so gut, als irgend Einer in ganz England.
So fuhr ich ungefähr ein Jahr lang fort, während welcher Zeit mich meine Nachbarn für einen frommen und religiösen Menschen hielten und sich über die große Veränderung in meinem Leben und Wesen verwunderten. Die Veränderung war auch groß, obgleich ich damals weder Christum, noch Gnade, noch Glauben, noch Hoffnung kannte; denn, wie ich seitdem eingesehen habe, wäre ich damals gestorben, so wäre mein Los schrecklich gewesen.
Aber ich sage, meine Nachbarn verwunderten sich über diese meine große Bekehrung von grober Gottlosigkeit zu einem etwas moralischen Leben. Das mochten sie auch wohl, denn diese Bekehrung war so groß, wie wenn ein großer Trunkenbold ein nüchterner, mäßiger Mann wird. Darum fingen sie nun an, mich zu loben, zu preisen und wohl von mir zu reden, beides in's Angesicht und hinter dem Rücken. Nun war ich, wie sie sagten, fromm geworden; nun war ich ein recht braver Mann. Ach! als ich erfuhr, daß sie so von mir dachten und redeten, gefiel es mir überaus wohl; denn ich war ja noch nichts als ein armer gefärbter Heuchler und liebte es, daß man von mir als von einem wahrhaft frommen Menschen sprach. Ich war stolz auf meine Frömmigkeit, und in der That, ich that alles, was ich that, um von Menschen gesehen und gelobt zu werden. So ging's etwa zwölf Monate oder noch länger fort.
Nun müßt ihr wissen, daß mir vor diesem das „Glockenläuten“ großes Vergnügen machte; aber jetzt fing mein Gewissen an, zart zu werden; ich dachte, so Etwas sei nur eitel und zwang mich es zu lassen. Dennoch hing mein Herz daran; darum pflegte ich ferner in's Thurmhaus zu gehen und zuzusehen; obgleich ich selbst nicht läuten durfte. Zwar dachte ich auch dabei, das schicke sich nicht zur Frömmigkeit; aber ich überwand das und fuhr fort zuzusehen. Gleich darnach fiel mir ein: „Wie, wenn eine von den Glocken herunter fiele?“ deshalb stellte ich mich unter den Querbalken, der durch den Thurm lief, weil mir schien, als wäre ich hier sicher. Allein wieder dachte ich, wenn die Glocke im Schwung fiele, so möchte sie an die Mauer stoßen und zurückprallen und auf mich fallen und mich tödten, trotz des Querbalkens. Dieses bewog mich, in die Thür zu treten; und nun, dachte ich, sei ich sicher; denn wenn eine Glocke fallen sollte, so könnte ich hinausspringen und doch erhalten werden. Ich ging also noch hin, dem Läuten zuzusehen, aber ferner nicht weiter, als bis unter die Thür. Dann aber kam mir ein neuer Gedanke: „Wie wenn der Thurm fiele?“ Dieser Gedanke beunruhigte mich so sehr, wenn ich stand und zusah, daß ich auch nicht mehr an der Thür stehen konnte, sondern gezwungen war zu fliehen, weil ich fürchtete, der Thurm möchte auf mein Haupt fallen.
Eine andere Schwierigkeit war mein Tanzen. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis ich dasselbe lassen konnte. Aber während all dieser Zeit, so oft ich meinte, ich hätt dies oder das Gebot gehalten, oder etwas durch Wort oder That ausgerichtet, das ich für gut hielt, hatte ich großen Frieden in meinem Gewissen und dachte bei mir selbst: „Gott muß jetzt Wohlgefallen an mir haben;“ ja, um es auf meine eigne Weise zu sagen, ich dachte, kein Mann in ganz England könnte Gott besser gefallen als ich.
Aber armer Elender, der ich war! Während all dieser Zeit wußte ich nichts von Jesu Christo und trachtete, meine eigene Gerechtigkeit aufzurichten und wäre damit verloren gegangen, hätte nicht Gott in Seiner Erbarmung mir mehr von meinem natürlichen Verderben gezeigt.