Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 9. Sonntag nach Trinitatis.
1542.
Luk. 16,1-9.
Er sprach aber auch zu seinen Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Haushalter; der ward vor ihm berüchtigt1), als hätte er ihm seine Güter umgebracht. Und er forderte ihn, und sprach zu ihm: Wie höre ich das von dir? Tue Rechnung von deinen Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr Haushalter sein. Der Haushalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt das Amt von mir; graben mag ich nicht, so schäme ich mich zu betteln. Ich weiß wohl, was ich tun will, wenn ich nun von dem Amt gesetzt werde, dass sie mich in ihre Häuser nehmen. Und er rief zu sich alle Schuldner seines Herrn, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Er sprach: Hundert Tonnen Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief, setze dich, und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem Andern: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Malter Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief, und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Haushalter, dass er klüglich getan hätte. Denn die Kinder dieser Welt sind klüger, denn die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht. Und ich sage euch auch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf dass, wenn ihr nun darbt, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.
In diesem Evangelio wird uns ein
Gleichnis von einem ungerechten Haushalter
vorgestellt, worin Christus viele Irrtümer der Menschen tadelt. Obschon nämlich Christus in diese Welt nicht als ein Gesetzgeber gekommen ist, dessen Amt ist, die Sünden zu rügen, sondern gekommen ist als ein Heiland, dessen Amt ist, die Sünden zu erlassen und zu vergeben, so übernimmt Christus dennoch, weil man nicht erkennt, eine wie große Wohltat die Vergebung der Sünden ist, wenn man nicht zuvor die Größe der Sünden erkennt, zuweilen auch solches Amt, dass er die Sünden rügt, damit man sie erkenne. Obgleich ein Arzt sich ganz darauf legt, den Menschen ihre Gesundheit herzustellen und ihnen zu einem angenehmen Leben zu verhelfen, schneidet er doch bisweilen ein faules Glied mit dem Messer ab, und verursacht den heftigsten Schmerz, um auf diese Weise den Kranken zu heilen. Christus ist aber in diese Welt gekommen als ein geistlicher Arzt. Deshalb zeigt er auch dem Amte eines Arztes gemäß die Schwere der aus der Sünde kommenden Krankheit, um uns von der Sünde zu befreien.
Er rügt aber in diesem Gleichnisse vornehmlich drei Sünden der Leute, worüber wir gegenwärtig reden müssen. Die erste ist, dass sich die Leute vielmehr bestreben, ihren Unterhalt durch Ungerechtigkeit und Betrug zu erwerben, als durch Gerechtigkeit und Wahrheit. Christus erzählt nun von dem ungerechten Haushalter, dass er zwar ein sehr achtbares Amt gehabt hat, worin er sich durch Fleiß und Emsigkeit und Gerechtigkeit genügenden Unterhalt hätte erwerben können; er will jedoch lieber träge sein, die Güter seines Herrn umbringen und nachher durch Betrug, durch Diebstahl und Unterschlagung reich werden. Denn dass der Herr den Haushalter gelobt hat, ist nicht so zu verstehen, dass er seine Ungerechtigkeit und seinen Diebstahl gelobt habe (wer würde denn jemals Unterschlagungen empfehlen?!), sondern dass er seine Sorgfalt und Geschicklichkeit gelobt und beklagt habe, dass er etwas ganz Gutes so schlecht angewandt hat. Und es ist zwar im Allgemeinen üblich, Ungerechtigkeiten in Geschäften mit großer Geschicklichkeit zu ersinnen und sich durch Diebstahl und Unterschlagungen den Unterhalt zu erwerben; allein je allgemeiner das ist, je ungerechter ist es. Denn in dem Gebote: du sollst nicht stehlen, und in jenem: du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten, ferner: du sollst nicht begehren deines Nächsten Habe hat Gott jeglichen Diebstahl, alle Unterschlagungen und Betrügereien verboten, wodurch der Nächste mit Worten oder Werken betrogen wird; was Gott aber verboten hat, das ist ungerecht vor der ganzen himmlischen Versammlung. Obwohl also die Leute an Unterschlagungen ihre Freude haben und sie für keine Ungerechtigkeiten halten, so gelten sie doch vor Gott, vor den Engeln und allen Heiligen als die schwersten Sünden. Ferner ist das, was ungerecht ist, nicht nur ungerecht, sondern hat auch seine Strafe und seinen Fluch. „Verflucht (sagt er 5. Mose 28,16.17) wirst du sein in der Stadt, verflucht auf dem Acker. Verflucht wird sein dein Korb und dein Übriges.“ Sein Vermögen also durch Unterschlagung mehren und sich seinen Unterhalt durch Betrug erwerben, ist nichts Anderes, als sich selber sowohl leiblichen als geistlichen Fluch bereiten.
Die zweite Sünde, welche Christus rügt, ist diese: Die Leute sorgen mehr für die Erlangung ihres leiblichen Unterhalts, als für die Erlangung der wahren Gerechtigkeit und Glückseligkeit. Denn Christus sagt also: „Die Kinder dieser Welt sind klüger, denn die Kinder des Lichtes in ihrem Geschlechte.“ D. h. sich größere Mühe, ihre bürgerlichen Geschäfte zu vollbringen und für ihren Bauch zu sorgen, als Gott zu gehorchen und für das Heil ihrer Seele zu sorgen. Siehe die Bestrebungen aller Menschen an, vom Höchsten bis zum Geringsten. Lasst uns von unseren Ständen reden. Der Handwerker arbeitet die ganze Woche, sechs Tage hinter einander, und zwar bisweilen Tag und Nacht, um den leiblichen Unterhalt zu erwerben. Unterdessen aber denkt er sehr selten an das Heil seiner Seele, und kann am Tage des Herrn kaum auf ein Stündlein die Predigten des Evangeliums hören, um auch Nahrung für seine Seele zu haben. Der Kaufmann durcheilt Länder und Meere, und zwar ganze Jahre hindurch; inzwischen ist ihm keine Weile länger als die, welche zum Anhören des Wortes Gottes verwandt wird. Kurz, wenn die Leute den hundertsten Teil der Mühe, die sie an den Erwerb des Unterhalts setzen, an die Erlangung und Erstrebung der Gerechtigkeit verwenden würden, so würden wir ein viel achtbareres und gerechteres Leben führen. Das ist nun eine große, verfluchte Ungerechtigkeit und damit eine Verkehrtheit; denn Christus hat verheißen, der Unterhalt würde uns von selber zufallen, so wir am Allerersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachten. Und er hat nicht verheißen, das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit würden uns zufallen, so wir vor Allem nach dem Unterhalt trachten, sondern hat gesagt, dass, die da reich werden wollen, in Anfechtungen fallen und schwerlich in das Himmelreich eingehen. Deshalb ist's eine große Verkehrtheit, dass wir die Rücksicht auf unser Heil verabsäumen und vor Allem nach unserem Unterhalte trachten.
Derjenige wird für den törichtsten Menschen gehalten, der eine Silbermünze von der Erde aufhebt, und dabei eine Goldmünze verliert. Als gar töricht ferner gilt, wer - indem sein ganzes Haus brennt - das Feuer vernachlässigt und indessen seinen Garten mit einer Mauer umgibt, damit er nicht von den Schweinen verwüstet werde. Allein viel törichter ist der, welcher nur dafür sorgt, dass sein Leib erhalten werde, und indessen sowohl den Hunger als auch die Glut seiner Seele verabsäumt. Denn der Sünde wegen beginnt unsere Seele in fortwährendem Hunger zu schmachten, weshalb wir keine Mühe sparen müssen, um unseren Seelenhunger wegen der Sünde zu heilen. Unsere Seele ist ferner von höllischem Feuer entzündet, und derwegen müssen wir keine Arbeit sparen, um dieses Feuer zu löschen. Bekannt ist das Gleichnis von dem Reichen (Luk. 12,16-21), welcher, nachdem er viel gesammelt hatte, und sich ein angenehmes Leben versprach, zu hören bekam: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern.“ Also müssen wir nicht nach dem Reiche der Erde, sondern nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit vor Allem trachten.
Die dritte Sünde ist die Verachtung des Nächsten. Die Menschen sind von Natur anmaßend, und wir pflegen danach zu streben, dass wir den Dienst Anderer nicht bedürfen; wir arbeiten darauf hin, dass unser Eigentum sicher sei, und wir nicht nötig haben, uns von Anderen mit Füßen treten zu lassen. Wir gebrauchen ehrenrührige Redensarten: „Was geht mich dieses Menschenkind an? Er kann mir, wenn's ihm beliebt, meinen Fischteich ausbrennen.“ Aber solche Verachtung rügt Christus im heutigen Evangelio und sagt: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf dass, wenn ihr nun darbt, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“ Mit solchem Worte mahnt uns Christus, dass Niemand seinen Nächsten verachten und als für sich unnütz verwerfen soll. Denn wie auch unser Nächster sonst immerhin sein mag, so ist ihm dennoch von Gott solche Ehre angetan, dass er für einen Jeglichen das Himmelreich in das Haus und in die Hand seines Nächsten gelegt hat. Wir müssen freilich nicht meinen, dass uns der Nächste das Leben und das Himmelreich verdiene; denn Christus allein ist unser Verdienst, und wir nehmen Christum vermittelst des Glaubens an. Sobald wir indessen an Christum glauben, da werden wir wieder an unseren Nächsten verwiesen, um an ihm unseren Glauben zu bewähren und damit in ihm unser Himmelreich oder unsere Verdammnis zu finden. Denn Christus verbirgt sich in unserem Nächsten und Bruder. Was ihr (sagt er) Einem unter diesen meinen Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.
Man sagt gewöhnlich: „ein Mensch ist des anderen Gott;“ das muss man aber nicht so verstehen, dass zuweilen Einer den Anderen in Gefahren errette, sondern vielmehr dass Gott in jedwedem Nächsten geehrt und beachtet werden will. Denn der Mensch ist geschaffen zum Gleichnis und Bilde Gottes, und dieses Bild wird nicht vertilgt durch Unglück und Elend. Wer daher seinem Nächsten übeltut, der verunehrt das Bild Gottes. Man würde es für einen großen Frevel halten, so Jemand ein hölzernes Bild des gekreuzigten Christi mit Kot bewerfen würde; allein viel schwerer sündigt, wer seinem Nächsten Unrecht tut oder ihn verachtet; denn er ist wahrhaftig Gottes Bild, und hat mehr von Gott als ein hölzernes Bild Christi. Sein Bild wird aus Holz oder Stein gemacht und an das Kreuz geheftet; ein bekümmerter Christ jedoch ist mit mehr Wahrheit ein Bild des am Kreuze hangenden Christi, als eine hölzerne Bildsäule. Man sagt nämlich, Christus leide dann, wann Christen leiden. So lasst uns denn auch Christum ehren. Unserem christlichen Nächsten müssen wir wohltun. Wir sehen zwar etliche Laster an unserem Nächsten, aber man muss an ihm nehmen, was man nehmen kann. Die Alten sagten, eine jede Sache habe zwei Griffe, einen, woran man sie tragen könne, einen anderen, woran man es nicht könne. So hat auch der Nächste zwei Griffe: einen, welcher fehlerhaft ist; diesen kann kann nicht erfassen; einen anderen, wonach er Gottes Bild ist, wonach Gott ihm wohlzutun gebietet, und an diesem soll man ihn anfassen. Wir stellen uns nur das Böse des Nächsten vor Augen, müssen uns aber sein Gutes vorstellen; denn so wird es geschehen, dass wir das Himmelreich, welches uns Christus verdient hat, in unserem Nächsten finden. Amen.