Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 22. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 22. Sonntag nach Trinitatis.

1541.

Matth. 18, 23-35.

Darum ist das Himmelreich gleich einem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte. Und als er anfing zu rechnen, kam ihm Einer vor, der war ihm zehn tausend Pfund schuldig. Da er es nun nicht hatte zu bezahlen, hieß der Herr verkaufen ihn, und sein Weib, und seine Kinder, und Alles, was er hatte, und bezahlen. Da fiel der Knecht nieder, und betete ihn an, und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, ich will dir Alles bezahlen. Da jammerte den Herrn desselbigen Knechts, und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging derselbige Knecht hinaus, und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig; und er griff ihn an, und würgte ihn, und sprach: Bezahle mir, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder, und bat ihn, und sprach: Habe Geduld mit mir, ich will dir Alles bezahlen. Er wollte aber nicht; sondern ging hin, und warf ihn ins Gefängnis, bis dass er bezahlte, was er schuldig war. Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt, und kamen, und brachten vor ihren Herrn Alles, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich, und sprach zu ihm: Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr ward zornig, und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte Alles, was er ihm schuldig war. Also wird euch mein himmlischer Vater auch tun, so ihr nicht vergebet von euren Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.

Als Christus seinen Jüngern oftmals erklärt hatte, was sein Beruf gegen das menschliche Geschlecht sei, dass er nämlich darum sei auf diese Erde gesandt, um den Menschen Vergebung ihrer Sünden bei Gott, seinem Vater, zu erlangen, und dass Gott, sein Vater ihnen die die Sünden vergebe um seinetwillen: lehrt er nun,

was der Beruf der Menschen unter einander sei,

dass sie nämlich, wie der himmlische Vater ihnen die Sünden vergebe, also auch einander die Sünden und Irrtümer erlassen und vergeben sollen. Das ist eine notwendige Lehre, nicht nur zur Bewahrung des wahren Glaubens vor Gott, wie nachher folgt, sondern auch zur Bewahrung der öffentlichen und persönlichen Ruhe im Leben auf Erden. Denn die Schwachheit der Menschen wegen der Erbsünde ist so groß, dass sie, je vertrauter sie unter sich leben, sich desto weniger gegenseitig genugtun können, und ein Jeglicher am Nächsten immer Etwas findet, das er vermisst oder tadelt. Und wie Niemand ohne Gebrechen geboren wird, so bringt Niemand sein Leben ohne Gebrechen hin. Daher ist es notwendig zur Ruhe des menschlichen Lebens, dass wir unterwiesen werden und uns gewöhnen, dem Nächsten seine Schulden zu vergeben. Allein das ist noch viel notwendiger, um das Erbe und die Ruhe des himmlischen Lebens zu bewahren. Deshalb lehrt Christus im heutigen Gleichnisse, wie streng Gott diese Tugend fordert, dass man sich gegenseitig Irrtümer vergebe.

Wir müssen aber zuerst sehen, was hier unter der Vergebung der Schulden verstanden wird. Denn zuvörderst heißt eine Schuld vergeben nicht: derselben so vergessen, dass man ihrer niemals gedächte; denn es ist unmöglich, dass dir nicht zuweilen die Schuld in den Sinn käme, wodurch schwer wider dich gesündigt worden. ist. Es wäre zwar erfreulich, wenn du des dir angetanen Unrechtes nicht einmal in Gedanken dich erinnertest, allein das liegt in der Natur der Menschen, sich an das vergangene Gute oder Böse zu erinnern, und so lange das Gedächtnis im Menschen Kraft hat, pflegt auch das, was uns an Glück oder Unglück begegnet ist, uns in Gedanken zu kommen. kommen. Und wie sich Vieles dem Auge, Vieles dem Ohr darbietet, was uns unangenehm ist, und wovon wir weit entfernt zu sein begehren, so haftet auch Vieles im Gedächtnis, was uns eben dadurch lästig ist, dass es darin haftet. Gedenkt nicht auch Christus selbst nach seiner Auferstehung des ihm von den Juden widerfahrenen Unrechts, da er zu den zwei Jüngern, die nach Emmaus gingen, redet: „Musste nicht Christus Solches leiden?“ Und nachher auch zu den anderen Jüngern: „Also steht geschrieben, also musste Christus leiden.“ Das heißt gewiss: dessen eingedenk sein, was dir an Unglück widerfahren ist. Allein von solcher Erinnerung ist hier keine Rede.

Zweitens, wenn Christus Vergebung der Irrtümer fordert, beabsichtigt er nicht, der Obrigkeit oder einem Hausvater zu gebieten, bei allen Verbrechen, bei allen Irrtümern der Seinen, welche nach dem Gesetze bestraft werden müssen, nachsichtig zu sein. Vieles zwar muss im Staate sowohl als im Hauswesen ein kluger Haushalter unbeachtet lassen, Vieles vergeben; wer nicht unbeachtet zu lassen versteht, der versteht - so sagt man - nicht zu befehlen. Das höchste Recht ist oft das höchste Unrecht. Man muss aber nicht in allen Stücken ohne Unterschied nachsichtig sein; auch Christus heißt die Obrigkeit oder einen Hausvater ihre Pflicht nicht verabsäumen, wenn er Irrtum vergeben heißt, sondern lehrt sie vielmehr gegen Menschen von heilloser Bosheit ihre Pflicht tun, da er im Gleichnisse erwähnt, der König habe den grausamen Knecht zurückgerufen und ewigem Kerker überantwortet.

Ferner wenn Christus Irrtum vergeben heißt, verbietet er damit nicht, bei unerträglichem Unrecht, das durch den Nächsten geschieht, die Hilfe der gesetzmäßigen Obrigkeit anzurufen. Als Paulus (Apostelg. 23,12 ff.) die Anschläge der Juden erfuhr, die sich zu seiner Ermordung verschworen hatten, ruft er die Hilfe der Obrigkeit an. Vergibt er also seinen Widersachern ihre Schuld nicht? Gewiss vergibt er dieselbe, wendet aber indessen die rechte Maßregel an, um sich vor seinen Widersachern zu schützen. Fordert Christus aber die gegenseitige Vergebung der Schuld, so fordert er, dass du den Irrtum deines Nächsten nicht so im Herzen birgst, dass du beschließest, Böses mit Bösem vergelten und dich selbst ungesetzlicher Weise rächen zu wollen, sondern dass du es so ansiehst, du würdest es niemals verschulden, Unrecht mit Unrecht zu erwidern, vielmehr es so ansiehst, dass du Böses mit Gutem vergelten werdest.

Zur Vergebung des Irrtumes ist erforderlich, dass man keine Rache begehrt, nicht ungesetzlich darüber sich beschwert, nicht das Böse mit der Tat vergilt; d. i. das Ziel, nach dem Christus diese ganze Rede hinlenkt. Und zwar mahnt er uns anfangs in Bezug auf Recht oder Gerechtigkeit, einander die Schulden zu vergeben. Weil mein himmlischer Vater, spricht er, euch eure Schulden erlässt und sie vergibt, womit wider ihn selbst gesündigt ist, wird es also recht sein, dass auch ihr einander eure Irrtümer vergebet. Hier aber pflegen wir den Einwand zu machen: Für Gott ist es leicht, uns unsere Irrtümer zu vergeben, da das, was wir gegen ihn begangen haben, nicht von großer Bedeutung ist, und ihm nahezu keine Beschwerde bereitet hat; was der Nächste jedoch wider uns begangen hat, das hat uns zum größten Schaden gereicht. Wir können darum solchen Irrtum nicht vergeben und uns nicht rächen. Gegen solchen Einwand erzählt Christus das Gleichnis von den zwei Schuldnern.

Der Knecht schuldete seinem Könige zehn tausend Pfund, d. h. sechs Millionen Kronen oder neun Millionen Goldgulden; und das ward ihm erlassen. Sein Mitknecht aber schuldet diesem Knechte nur hundert Groschen, d. i. zehn Kronen oder fünfzehn Gulden, und er wollte sie ihm nicht erlassen. Hier werden die Irrtümer mit einander verglichen, die wir gegen Gott verschuldet haben, und die, welche der Nächste gegen uns begangen hat. Denn wie das Verhältnis von neun Millionen Gulden gegen fünfzehn Gulden ist, so ist das Verhältnis unserer Schulden gegen Gott zu den Schulden gegen uns. Du siehst aber, dass sie unter einander himmelweit verschieden sind. Denn kein Mensch hat von einem anderen Menschen soviel empfangen, wie der Mensch von Gott: von ihm hat er Seele und Leib, hat ferner sein Leben hier auf Erden, hat auch in der zukünftigen Welt das Anrecht auf das himmlische Erbe durch Christum. Von diesen Dingen erhält ein Mensch auch durch seine Eltern Nichts. Obschon also die Sünde Absaloms wider seinen Vater David sehr schwer gewesen ist, so war doch Davids Sünde wider Gott viel schwerer, wenigstens wenn man einen Menschen und Gott vergleicht, gegen welche diese Sünden getan sind, wie es heißt. Denn soviel Gott größer ist als ein Mensch, soviel ist die Sünde wider Gott größer als die wider einen Menschen begangene Sünde. Vergibt uns nun Gott das weit Schwerere, so ist es vollkommen recht, dass wir einem Menschen das weit Geringere vergeben. Wie wir aber vor Gott zur Vergebung der Sünden gelangen, das wird uns auch zum Teil in dem heutigen Gleichnisse zu erkennen gegeben.

Der König rechnet mit seinen Knechten. So rechnet uns Gott anfangs unsere Schulden vor durch das Verzeichnis, welches man die zehn Gebote nennt. Dem Könige kommt einer vor, der war ihm zehn tausend Pfund schuldig, d. h. neun Millionen rheinische Gulden1)), eine Summe, die größer ist, als dass sie auch vom reichsten Könige könnte bezahlt werden. Das sind unsere Sünden, die wir gegen Gott getan haben. Wie nun der König Alles, was der Knecht hatte, zu verkaufen befiehlt, so wird gegen uns das Urteil der ewigen Verdammnis gefällt. Das ist der erste Teil; nun folgt der zweite. Der Knecht fiel nieder, bat seinen Herrn, Geduld zu haben, und versprach ihm Alles zu bezahlen. Da jammerte den Herrn desselbigen Knechts, und er erließ ihm die Schuld, und ließ ihn los. Also geschieht es auch, wenn wir an Christum glauben, ihn durch den Glauben mit uns bringen, vor Gott niederfallen und bitten, wenn wir gleich nicht zu zahlen vermögen, Christum, seinen Sohn, als Lösegeld anzunehmen. Hier nun kann sich Gott, wenn er auf seinen Sohn blickt, nicht enthalten, uns all' unsere Sünden zu erlassen uns wieder in Freiheit zu sehen. Und auf diese Weise erlangen wir Vergebung unserer Sünden, nämlich durch kein Verdienst unsererseits, sondern allein durch Gottes Barmherzigkeit um Christi willen.

Danach mahnt er uns an die Vergebung des Unrechts in Bezug auf den Nutzen, d. h. auf die Größe der Wohltat, die wir durch Vergebung des Unrechts behalten, und in Bezug auf die schwere Strafe, die uns trifft, so wir das Unrecht nicht vergeben haben; denn vergeben wir fremdes Unrecht, dann behalten wir bei Gott die Vergebung unserer Sünden. Das ist die größte Wohltat, die uns zu Teil werden kann. Rächen wir aber Alles nach dem höchsten Rechte, dann werden in Wahrheit auch unsere Sünden behalten, die wir gegen Gott gesündigt haben, und das gibt uns Christus im letzten Teile des Gleichnisses zu verstehen.

Der Knecht legt nämlich Hand an seinen Mitknecht, der ihm nur hundert Groschen schuldig war, d. i. fünfzehn Gulden, und wirft ihn ins Gefängnis. Allein die übrigen Mitknechte klagen entrüstet über seine Grausamkeit bei ihrem Herrn, welcher den grausamen Knecht zu ewigem Kerker zurückruft. Also wird euch, sagt Christus, mein himmlischer Vater auch tun. Denn ist Jemand, nachdem er Vergebung seiner Sünden von Gott empfangen hat, so grausam gegen den Nächsten gewesen, dass er ihm Nichts vergibt, dann seufzt alle Kreatur wider ihn, und sinnt gegen ihn auf göttliche Rache. Es erscheint uns zwar schwierig, Böses nicht mit Bösem zu vergelten; hast du jedoch bedacht, wie großes Gut daraus für uns hervorgehe, wenn wir dem Nächsten seine Irrtümer vergeben haben, dann wird es uns leicht sein; denn wir behalten die Vergebung unserer Sünden, haben wir dem Nächsten seine Irrtümer vergeben. Von einem geizigen Menschen kann man es kaum erlangen, dass er zehn Goldgulden einfach ausgibt ohne Hoffnung auf einen Vorteil. Ist er jedoch dessen gewiss, durch Ausgabe von zehn Gulden tausend Gulden ungeschmälert zu behalten, denn gibt er mit großer Bereitwilligkeit seines Herzens die zehn aus. Bei der Entrichtung der öffentlichen Steuern trägt ein Jeglicher einen bestimmten Teil nach der Abschätzung seines Vermögens bei; und diese Steuern werden deshalb beigetragen, dass das übrige Vermögen sicher sei. Kluge Bürger tragen also gern Geringes bei, um das Große zu bewahren. So wird es uns auch bei dem Gedanken, durch Vergebung des Unrechts unseres Nächsten die Vergebung unserer Sünden bei Gott zu bewahren, leicht werden, dem Rufe Gottes Folge zu leisten. Deshalb wollen wir uns unsere Schulden gegenseitig vergeben, auf dass wir sowohl unserem himmlischen Vater nachahmen, als auch die Vergebung unserer Sünden bei Gott behalten durch Jesum Christum, unseren Herrn. Amen.

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ein rheinischer Gulden entsprach damals etwa 90 Euro heute (2024
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autoren/b/brenz/evangelien_predigten/brenz_evangelienpredigten_22_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von aj
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