Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 12. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 12. Sonntag nach Trinitatis.

Mark. 7, 31-37.
Und da er wieder ausging von den Grenzen Tyrus und Sidon, kam er an das galiläische Meer, mitten unter die Grenze der zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen Tauben, der stumm war, und sie baten ihn, dass er die Hand auf ihn legte. Und er nahm ihn von dem Volk besonders, und legte ihm die Finger in die Ohren, und spützte, und rührte seine Zunge. Und sah auf gen Himmel, seufzte und sprach zu ihm: Hephata! das ist, tue dich auf! Und alsobald taten sich seine Ohren auf, und das Band seiner Zunge ward los, und redete recht. Und er verbot ihnen, sie sollten es Niemand sagen. Je mehr er aber verbot, je mehr sie es ausbreiteten, und verwunderten sich über die Maße, und sprachen: Er hat Alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend, und die Sprachlosen redend.

Wir haben ein Evangelium verlesen, worin ein beachtenswertes Wunder an dem geheilten Taubstummen enthalten ist, und es ist kein Zweifel, dass es eine ganz wahre Geschichte ist; denn nicht nur die Evangelisten beschreiben solche Wunder Christi, sondern auch die Propheten haben geweissagt, Christus würde die Ohren der Tauben auftun (Jes. 35, 5). Gleicherweise bekennen auch Christi Widersacher die von ihm getanen Wunder. Als er am Kreuze hing, riefen sie laut: „Anderen hat er geholfen, und kann sich selbst nicht helfen,“ obgleich Viele, welche sie nicht leugnen konnten, seine Wunder der Zauberei und bösen Geistern zuschrieben. Sie sagten nämlich: „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub, den Obersten der Teufel,“ geben jedoch die von ihm getanen Wunder zu. Was aber nicht durch Zauberei, sondern durch den Heiligen Geist vollbrachte Wunder sind, das wird anderswo gezeigt. Jetzt genügt, dass Nichts gewisser ist, als dass das heutige Wunder und andere Wunder der Art von Christo auf Erden vollbracht sind.

Daher muss uns jenes heutige anempfohlen sein, aber wir müssen Fleiß anwenden, um recht zu durchschauen und zu erkennen, zu welchem Zwecke es uns vorgestellt und schriftlich aufgezeichnet sei. Denn es ist nicht geschrieben entweder um Christi selbst oder um des Taubstummen willen, sondern der gesamten Kirche wegen, und wir würden töricht handeln, wollten wir am heutigen Tage alle übrigen Geschäfte unterlassen, um eine für uns wenig nützliche Sache anzuhören. Lasst uns also reden

von dem Zwecke dieses Wunders

Erstlich hat Christus nicht nur dieses, sondern auch andere Wunder überhaupt zu dem Zwecke getan, dass er ein himmlisches Zeugnis seiner Berufung und Sendung von Gott seinem Vater darlegte. Denn es ist üblich, dass Gesandte von ihren Herren Beglaubigungsschreiben erhalten, wodurch sie bezeugen sollen, dass sie abgesandt sind und man ihren Berichten Glauben schenken muss. Christus aber ist von Gott seinem Vater auf die Erde gesandt, um das allergrößte Werk zu vollenden, d. h. um Der zu sein, der von Anbeginn der Welt an verheißen war, um die Sünden der Menschen zu sühnen und den Zorn Gottes zu stillen und den Tod und die Hölle zu zerstören, damit das menschliche Geschlecht in sein verlorenes Erbe wieder eingesetzt würde. Das ist die allerhöchste Gesandtschaft und das allergrößte Werk. Darum wollte Gott Christum, seinen Sohn, nicht ohne Beglaubigungsschreiben senden, auf dass wir wüssten, dass alle seine Worte himmlische Offenbarungen sind; diese Schreiben aber sind seine Wunder. Joh. 5,36: „Die Werke, die mir der Vater gegeben hat, dass ich sie vollende, dieselbigen Werke, die ich tue, zeugen von mir, dass mich der Vater gesandt habe.“ Und an einem anderen Orte: „Wenn ihr mir nicht glauben wollt, so glaubt doch meinen Werken.“ Gott pflegt auch sonst seine Gesandten mit dieser Gabe, Wunder zu tun, als mit ihren Beglaubigungsschreiben, auszurüsten. Beispiele sind Moses, Elias, Elisa, die Apostel und Andere. So oft uns daher ein Wunder berichtet wird, sollen wir wissen, dass uns himmlische Beglaubigungsschreiben vorliegen, wodurch wir ermuntert werden, dem Evangelio Christi Glauben zu schenken. Da übrigens auch böse Menschen Wunder tun können (z. B. 2. Mose 7 und 8; 5. Mose 13,1.2; Matth. 7,22), so verdienen Christi Wunder um so mehr Glauben, weil er der wahrhaftige Christus und in keinem Anderen Heil ist, je deutlicher alles Andere, was die Propheten von Christo gesagt haben, bei diesem Jesus zusammentrifft. Er ist ja von der Familie Abrahams und Davids, desgleichen von einer Jungfrau geboren, und zwar zu der Zeit, von welcher Jakob und Daniel geweissagt haben; er ist desgleichen gestorben und wieder auferstanden. Kurz er hat Alles erfüllt, was die Propheten von ihm vorausverkündigt haben. Deshalb bezeugen seine Wunder wahrhaftig die Wahrheit seiner Sendung.

Zweitens bringt uns dieses Wunder den größten Trost und gleichsam eine Verheißung in unseren beklagenswerten Verhältnissen. Du siehst diesen Taubstummen, dessen Verhältnisse so beklagenswert sind, dass man ihm auf natürliche Weise nicht helfen kann, und dennoch hilft ihm Christus mit einem schlichten Worte, und befreit ihn von seiner Taubheit und Stummheit. Durch dieses Zeugnis zeigt Christus an, er wolle um unsertwillen selbst die Natur der Dinge umkehren, wenn wir nur zu ihm gebracht werden. Das wird uns deshalb zur Betrachtung vorgelegt, damit wir im Glauben ermuntert und erhalten werden, so wir sehen, uns könne auf natürliche Weise keine Hilfe zu Teil werden. Hört im Unglück die menschliche Hilfe auf, dann pflegen wir zu denken, wie Hiob 22,12.131) geschrieben steht: „Was weiß Gott? Sollte er, das im Dunkel ist, richten können? Die Wolken sind seine Verdecke, und sieht nicht, und wandelt im Umgang des Himmels.“ Wir sollen aber wissen, ein Mensch, der Gott im Glauben anruft, liegt ihm so sehr am Herzen, dass er nicht nur um ein ganzes Volk, sondern auch um einen Menschen die Natur umkehrt, um dem ihn Anrufenden beizustehen. Beispiele sind die Israeliten im Meere und in der Wüste, ferner in Babylon; da zerstört er das Reich, um sein Volk zu befreien; ferner David, da er in die Hände seines Feindes beschlossen ist; ferner Elisa (2. Kön. 6,8-23) und unzählige Andere. Jes. 43,1-3: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein. Denn so du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht anzünden. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland.“ Denn ist Christus, Gottes Sohn, für einen Jeglichen insonderheit vom Himmel herniedergekommen und an das Kreuz geheftet, so kann Gott gewiss einen Jeglichen mit besonderer Fürsorge umfassen, zumal er nicht vieler Mühe bedarf. Mit Einem Worte wenigstens kann er uns helfen; Ein Wort hat er geredet, und Himmel und Erde sind geschaffen: so kann er auch uns durch ein Wort befreien, weil er allmächtig ist, und will es, weil er's verheißen hat, und wahrhaftig ist. So lasst uns denn wenigstens darauf denken, dass wir von ihm dieses Wort erpressen; das wird dann geschehen, wenn wir mit ihm durch Christum versöhnt werden, und ihn im Glauben anrufen, und in seinem Berufe beharren.

Drittens wollen wir auch die Art der Heilung des Taubstummen betrachten. Den Finger legt er ihm in das Ohr und berührt mit Speichel seine Zunge. Eine wunderbare Sache, dass der Speichel solche Bedeutung hat; wie er ein ander Mal mit Speichel einen Kot gemacht und dem Blinden als Pflaster aufgelegt hat, so hätte er viel mehr als dadurch an und für sich den Blinden sehend gemacht, allein wir sollen wissen, dass Alles gesegnet und wirksam ist, was Christus in seine Hand nimmt. Er nahm in seine Hände fünf Brote, die also gesegnet worden sind, dass viele Tausende damit gespeist wurden. Er nimmt die Bahre des toten Jünglings in seine Hand, und der Tote richtete sich auf. Alles ist in Christi Hand gesegnet. Das lasst uns erstlich betrachten, um die Wirksamkeit unserer Sakramente zu erfahren. Des Wassers ist sehr wenig bei der Taufe; des Brotes ist sehr wenig bei dem Mahle des Herrn; aber in des Herrn Hand ist durch sein Wort beides sehr wirksam. Zweitens sollen wir erinnert werden, unser Weniges in die Hand des Herrn zu legen. Ps. 37,16: „Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser, denn das große Gut vieler Gottlosen.“ Warum? weil das Wenige, das ein Gerechter hat, in der Hand des Herrn ist, und gesegnet wird. Desgleichen: „Wer verlässt Haus und Äcker um meinetwillen, der wird es hundertfältig wiedernehmen.“ Warum? weil das, was man um Christi willen verlässt, in des Herrn Hand aufgenommen und gesegnet wird. Wie der Acker den Samen, den er aufnimmt, hundertfältig wiedergibt, so die Hand des Herrn. Daher wollen wir uns gewöhnen, unser Weniges in die Hand des Herrn zu legen, und das wird geschehen durch unsere Versöhnung mit Gott durch Christum, durch Anrufung im Glauben und durch Gehorsam.

Viertens hat uns der Heilige Geist in diesem Taubstummen ein Abbild des gesamten Menschengeschlechts vorgestellt: wie dieser Taubstumme vor Menschenaugen ist, so ist das gesamte Menschengeschlecht seiner Natur nach. Von Natur nämlich sind wir vor Gott taub, weil wir Gottes Wort nicht hören können, noch wollen; wir sind stumm, weil wir Gott nicht recht anrufen. In dieser Welt freilich sind wir scharfhörig und beredt genug. Wie die Nachteulen bei Nacht besser sehen als bei Tage, so sind auch wir in der Finsternis dieser Welt scharfsichtiger als in göttlichen Dingen. Das geschieht durch die Sünde, welche uns Ohren und Mund verschließt. Das ist unser größtes Elend, denn so wir hörten, wenn Gott redet, und so wir umgekehrt mit ihm redeten, dann wären wir gesund. Wir sind aber taub und stumm von Natur. Wie werden wir also genesen? Wenn wir uns zu Christo führen lassen, und das wird geschehen, wenn wir uns fleißig nahen, um die Predigt des Evangeliums zu hören, und die Sakramente im Glauben durch Christum gebrauchen, auf dass wir wandeln in Gottes Beruf. Mit einem Juden redet Gott nicht; ein Jude kann auch nicht mit Gott reden; er ist taub und stumm, weil er sich nicht zu Christo bringen lässt, das Evangelium nicht hört. So auch kein Türke, so auch kein unbußfertiger Christ. Das ist das größte Elend, dass diese kein Vaterunser beten können. Darum wollen wir uns zu Christo bringen lassen.

Es ist auch nicht not, dass wir von Christo solche Wunder tun lernen, sondern nur, dass wir ein gerechtes, frommes Leben beginnen. Denn wie sich die menschlichen Verhältnisse in diesen Zeiten gestalten, ist's ein großes, gewaltiges Wunder, ehrbar zu leben, wenn das wenigstens ein Wunder ist, was dem gemeinen, alltäglichen Herkommen zuwider geschieht. Nun ist's aber ein alltägliches Herkommen, sich zu berauschen; also ist's ein Wunder, ein nüchternes Leben zu führen. Nun ist's ein alltägliches Herkommen, Betrug zu üben, ferner zu fluchen, zu lästern, zu huren und andere Frevel zu begehen. Also ist's ein Wunder, gerecht zu handeln, ehrbar zu reden und sich der Keuschheit zu befleißigen. Das sind die Wunder, die wir von Christo lernen wollen, nicht Taube zu heilen, oder Todte zu erwecken, es sei denn, dass wir es bildlich verstehen, auf dass wir alle darauf unsere Mühe verwenden, dass die Leute Christo sich zuführen lassen und hören und reden mögen.

Da hast du den Zweck dieses Wunders, d. h.: eins von den Beglaubigungsschreiben zu sein, das uns in unseren beklagenswerten Verhältnissen Trost bringt, weil, was man in die Hände des Herrn legt, gesegnet wird; weil wir ermuntert werden, uns zu Christo führen zu lassen, auf dass wir hören und reden mögen. Gott fördere unser Wachstum durch seinen Heiligen Geist. Amen.

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Von Brenz nur aus dem Gedächtnis, hier wörtlich angeführt.
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autoren/b/brenz/evangelien_predigten/brenz_evangelienpredigten_12_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von aj
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