Binde, Fritz - Unannehmbar!
Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich beurteilt sein.
1. Kor. 2,14
Die Menge der Menschen, besonders heute, hat für das Evangelium nur ein Wort, das heißt: Unannehmbar! Und in der Menge der Menschen hat das Häuflein der Gebildeten dem Evangelium gegenüber nur ein Wort, das heißt doppelt unterstrichen: Unannehmbar!
Ganz allgemein betrachtet die Menge der Menschen und in ihr besonders das Häuflein der Gebildeten die biblische frohe Botschaft vom alleinigen Heil in Christus Jesus als eine unannehmbare Rückständigkeit. Weil diese Heilskunde nun bald zweitausend Jahre alt geworden ist, kann sie nicht mehr wahr und annehmbar sein: das ist die ganz allgemeine Voraussetzung für ihre Ablehnung. Kleider, Möbel, Häuser, Menschen werden alt, abgenutzt und unbrauchbar, also müssen auch die Wahrheiten mit der Zeit alt, abgenutzt und unbrauchbar werden; so meint man. Wer will im Mannesalter Kinderkleider tragen! Oder wer mag im unmodernen Gewande stecken! Als kostbare Seltenheiten läßt man wohl Altertümer im Gegensatz zum Neuen gelten; aber das Neue ist dennoch das weit Begehrtere. So lassen viele die Frohbotschaft von unserer Errettung in Christus Jesus als eine ehrwürdige Altertümlichkeit, gut genug für komische Liebhaber, die selbst unter die Altertümer zu rechnen sind, gelten; aber der hellflutende moderne Kulturbetrieb lasse doch solche Winkelware in düsteren Kirchen und dunklen Köpfen weit hinter sich. Die so denken, reden dann gerne vom biblischen Evangelium als von der „alten Kirchenlehre“ oder vom „alten Glauben“, wie man redet von alten Schränken, Büchern, Gläsern, Bronzen, kurz, wie von staubiger Ware beim Altwarenhändler. Und kommen diese Leute bei irgendwelcher kirchlichen oder privaten Gelegenheit mit Vertretern des „alten Glaubens“ zusammen, so stehen sie bedrückt und starr, als müßten sie Mumienstaub schlucken. Günstigenfalls hält sie noch der Rest von Pietät gegen das einst Dagewesene qualvoll im Zaum, so daß sie den Unsinn, wie man sagt, gezwungenerweise über sich ergehen lassen; aber sobald sie wieder frische Luft kriegen, schreien sie es heraus: Unannehmbar!
Mein teurer Hörer, das ist der Unglaube aus Furcht, hinter der Kultur zurückzubleiben! Dieser Sorte Unglauben sind heute die meisten Kulturmenschen verfallen. Sie schämen sich einfach, dem Evangelium zu glauben, so wie sie sich schämen würden, in ihres Großvaters Rock in Gesellschaft oder auf der Straße zu erscheinen. Wie lange schon ist’s ihnen eingebleut worden, daß es nichts Herrlicheres gäbe als die Kultur und nichts Gewaltigeres als „die Entwicklung“, und da sollten sie „hinter der Kultur“ zurückbleiben?
Sollten sich mit einem Glauben begnügen, wie ihn ihre Großmutter selig pflegte, ja wie ihn die Leute vor Erfindung des Schießpulvers übten oder gar die Jünger Jesu hatten? Nicht wahr, das kann doch niemand von ihnen verlangen? Denn für was ist man denn ein Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts? Für was steht man denn im „Fortschritt“? Für was ist man denn zivilisiert und aufgeklärt? Für was ist man denn mit einem Wort ein „moderner Mensch“? Gehört nicht zur neuesten Kultur auch eine neueste Religion, zur neuesten Mode auch ein neuester Glaube?
Ich entsinne mich eines Studenten, der den „alten Glauben“, wie ihn seine treue Mutter in ihm gepflegt hatte, mit zur Hochschule brachte. Er erzählte, als man ihn dort als Träger und Bewahrer des „alten Glaubens“ entdeckte, habe man ein johlendes Spottgelächter über ihn losgelassen und ihn angehört: „Mensch, Sie blamieren sich ja mit solchen Rückständigkeiten auf Schritt und Tritt! Sie machen sich ja für jeden modernen Menschen ungenießbar! Ziehen Sie schleunigst die Kinderstrümpfe aus und legen Sie sich eine anständige moderne Weltanschauung zu, oder wir können nicht mit Ihnen verkehren!“ Und aus lauter Furcht, weiterhin als „unmodern“ zu gelten, schaffte er seiner Mutter Glauben wirklich in die Rumpelkammer, aus der er ihn allerdings zwanzig Jahre später zur Heilung seines zerrissenen Herzens und Lebens wieder herausholte.
Ungezählte Tausende erleben Ähnliches. Da ist es kein Wunder, wenn man für die biblische Frohbotschaft nur noch das Wort „alte Dogmen“ hat; denn jeder Gelb- und Grünschnabel tut heutigentags mit diesem Schlagwort das Evangelium Gottes ab. Papageienhaft schwatzt es einer dem anderen nach, der Bibelglaube sei „mittelalterlicher Unsinn“, an den man doch heutigentags nicht mehr glauben könne, das Christentum sei längst weit überholt und bereits gänzlich in Verfall geraten, wer ihm noch anhange, bleibe eben zu seinem eigenen Schaden und seiner eigenen Schande „hinter der Kultur zurück“! Und tatsächlich nichts Entehrenderes, nichts Dümmeres, nichts „Unannehmbareres“ kann sich der heutige Mensch denken, als: „hinter der Kultur zurückbleiben“! Die Kultur ist ja sein höchstes Gut, sein Arbeitsziel, sein Arbeitsstolz; all sein Wissen und Können steckt in ihr. Man kann sagen: Die Kultur ist bei uns der meisten Menschen einziger Lebensgewinn; sie haben sonst nichts! Daß sie modern gekleidet gehen, modern essen, trinken, wohnen, leben, lesen, denken, das ist ihr Lebensziel, ihre Lebensfreude, ihr Lebensstolz, danach bewerten sie sich und andere und wollen auch selber danach bewertet sein. Nicht wahr, wie grauenhaft schrecklich muß es ihnen da sein, „hinter der Kultur zurückzubleiben“! So ertönt vom Standpunkt des Kulturfortschrittes aus dem Evangelium gegenüber das erste: „Unannehmbar!“
Mein teurer Hörer, gehörst du auch zu diesen genasführten Leuten? Bist du auch kulturgläubig, statt gott-, christus- und bibelgläubig? Schämst auch du dich, das Evangelium Christi anzunehmen, aus Furcht, hinter der Kultur zurückzubleiben? Meinst auch du, die Wahrheit werde alt wie wurmstichig gewordenes Holz oder ranzig gewordener Speck? Glaubst auch du, das Evangelium Gottes veralte wie ein abgetragenes Kleid? Und meinst auch du andererseits, die Menschheit werde gescheiter und besser, je älter sie werde, sie brauche nur fleißig ihre Gedanken weiterzuspinnen, den Bau ihrer Werke höher zu bauen, so denke und schaffe sie sich schon in irgendeinen Himmel hinein? Wenn du das glaubst, siehe, dann bist auch du ein Betrogener! Denn von nichts ist der Mensch seit seiner ersten Auflehnung gegen Gott so sehr betrogen worden wie von seinen eigenen Gedanken und von seinem eigenen Werk! Im Gegensatz zum Worte Gottes in der Heiligen Schrift hat er sich eingeredet, seine Gedanken seien schon ohne weiteres Gottes Gedanken, sein Tun schon Gottes Tun. So betete er je länger desto mehr seinen eigenen Geist und das Werk seiner eigenen Hände an, kam dabei immer tiefer in die Abgötterei hinein und immer weiter hinweg vom lebendigen Gott. Aus der irrseligen Naturvergötterung kam man zur noch irrseligeren Menschen- und Menschheitsvergötterung, zum sogenannten „Glauben an die Menschheit“, und damit ist man heute angelangt bei der Kulturvergötterung, so daß man sogar meint, „Kulturoffenbarung“ sei ohne weiteres Gottesoffenbarung. Welch irrseliger Wahn!
Höre! So viel der Himmel höher ist als die Erde, sind Gottes Gedanken höher als der Menschen Gedanken und Gottes Wege andere als der Menschen Wege! Diese Wahrheit ist auch eine Bibelwahrheit und obgleich schon Jahrtausende alt, noch nicht ausgedacht, wieviel weniger veraltet. Oder ist etwa der Inhalt der Psalmen veraltet? Ich lese die Psalmen und habe den Eindruck, jedes Wort sei eben heute für mich geredet. Nie solange es trost- und hilfsbedürftige Menschen gibt, wird der 23. Psalm: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln … und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“ ins alte Eisen kommen. Nie, solange sündige Herzen beben, wird Davids Schrei aus dem 51. Psalm verstummen: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, gewissen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.“ Nie, solange aus dem Verderben der Sünde gerettete Menschenseelen Gott danken werden, wird der 103. Psalm verklingen mit seinem tiefen Herzens-Glockenklang: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat! Der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen, – der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit. …“
Und der 1. Psalm und der 22. und der 90. und wieviele noch? Und alle! Ja, das ist mehr als „hebräische Poesie“, viel mehr als „jüdische Kulturoffenbarung“, das ist übergeschichtliche Gottesoffenbarung, die allen Klingklang der sogenannten „Weltliteratur“ hoch überdauert. Und ebenso nie, solange der Fluch der Sünde auf Mensch und Erde lastet und Menschenherzen der Herkunft des Verderbens nachsinnen, wird die biblische Urkunde vom „Sündenfall“ ungültig werden; denn sie allein enträtselt uns unseres Daseins Last und Schwere.
Ebensowenig wird das ganze „Alte Testament“ wirklich bis zum Veralten alt werden; denn es bleibt neu als die Geschichte Gottes mit Israel, die vorbildlich für alle Völker ist, unerschöpflich in den Einzelgeschichten wie in ihrem Gesamtverlauf. Und neu bleibt das „Alte Testament“ in seinem prophetischen Wort, das seit Jahrtausenden die helle Lampe am dunklen Ort ist, den Gang der Menschheitsgeschichte zu erleuchten.
Was aber das „Neue Testament“ anbetrifft, so ist das noch so urneu, daß selbst die Halbgläubigen sagen, jetzt erst fange man an, die Worte Jesu ins Leben einzuführen und Jahrhunderte würden noch nötig sein, bis sie das Völkerleben durchdrungen hätten. Das hat man aber schon immer sagen müssen, seitdem Gott in den letzten Zeiten durch seinen Sohn geredet mit Worten, die Himmel und Erde überdauern sollen. Und so urneu wie Jesu Worte bleibt das ganze „Neue Testament“ als Testament in Christi Blut, als Vermächtnis der Liebe Gottes, die den Sohn für uns alle dahingegeben hat, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben. Urneu wirkt die vor bald zweitausend Jahren in Jesus Christus erschienene Liebe Gottes auf jedes erlösungsbedürftige Herz. Urneu wirken die Evangelien auf jede wahrhaft Heil suchende Seele. Urneu wirken die Briefe Pauli und die Briefe der anderen Apostel auf jedes in der Erkenntnis Gottes und Christi gottselig gewordene Herz. Und immer wieder wundersam urneu wirkt die Offenbarung des Johannes mit ihren zukunftsgewaltigen Gerichtsbildern und ihrer Schau der neuen Himmel und einer neuen Erde. Ihr gegenüber ist die modernste Kulturhoffnung wie Spatzenflug unter der Adlerhöhe!
Willst du also, lieber Hörer, so kannst du sehen: Nicht die Bibel ist rückständig, sondern du bist rückständig! Ja, schauerlich und bedauerlich rückständig bist du in der Erkenntnis Gottes und Christi aufgrund des Wortes Gottes! Schauerlich und bedauerlich rückständig bist du in der Erkenntnis deiner selbst und der Menschheit und Welt! Schauerlich und bedauerlich rückständig bist du in der Erkenntnis deines Lebens und Lebenszieles! Denn schauerlich und bedauerlich bist du im Rückstand mit deiner Sündenschuld vor dem heiligen Gott! Ja, schauerlich und bedauerlich rückständig bist du mit deinem ganzen unzulänglichen, ungerechten, ungöttlichen, gottfeindlichen Leben als ein Übertreter aller Gebote Gottes und als ein Verächter aller Liebe und Gnade Gottes in Christus Jesus! Denn höre! –: So unwandelbar urneu Gottes Wort als die unverbrüchliche Offenbarung des Wesens, Willens und Weges Gottes bleibt, so uralt ist des Menschen ichtrotziger, hochmütiger Kampf gegen Gott und sein Wort, so uralt ist der menschliche Unglaube! Du glaubst, die Bibel sei das Veraltetste und dein Unglaube das Allerneueste, das Allerhochfeinste, die eleganteste Geistesmode des Tages –: O wie irrst du dich! Siehe, gerade die Bibel meldet uns, daß schon vor dreitausend Jahren die Toren in ihrem Herzen sprachen: Es ist kein Gott! (Psalm 14) und schon vor zweitausend Jahren hatten die ichverblendeten Menschen den Barabbas lieber als Jesus! Siehe, so gibt es nichts Rückständigeres als den armseligen Unglauben mit seinem törichten, hochmütigen Kampf gegen Gott! Und währenddem das widersprechende Menschlein abwehrend die Hand gegen den Gott und Christus der Bibel erhebt und ausruft: „Unannehmbar!“ erhebt gerade derselbe Gott im Bibelwort heiligen Einspruch gegen die Rückständigkeit deines irrseligen Unglaubens und den Rückstand deiner Sündenschuld vor ihm und weist dich, den ichsicheren Sünder, ab mit dem Gottesruf: Unannehmbar! Und doch will Gottes Weisheit und Liebe dich gewinnen! Gerade das Evangelium, gegen das du mit dem alten Menschheitstrotz so wahnwitzig kämpfst und das du mit deinem törichten Ruf: „Unannehmbar!“ so gering achtest, hat das Allerneueste für dich bereit.
Höre, das Allerneueste in der Welt ist Gottes täglich neue Geduld mit dir! Das Allerneueste ist Gottes rettende Barmherzigkeit gegen dich, die alle Morgen neu ist! Das Allerneueste ist die Erneuerung deines Herzens und Lebens durch die Gnade Gottes in Christo Jesu als Vergebung der Sünden und Versöhnung mit Gott! Denn es gibt täglich nichts Neueres auf Erden als einen Menschen, der bis gestern ein Feind Gottes und Sündenknecht gewesen ist und heute durch Buße und Bekehrung in Christus eine neue Kreatur geworden ist! Ein in Christus erneuerter Mensch: Nichts Neugewordeneres gibt’s im ganzen Weltall! O, bitte, suche und empfange aus der Hand Gottes dies Allerneueste auch für dich! Dann ist dein erstes, böses: „Unannehmbar!“ verstummt und deine erste Selbsttäuschung, das Evangelium sei etwas „Rückständiges“ geheilt! Dann weißt du, das Evangelium Christi ist aller Annahme wert.
Doch sucht der Mensch viele Künste, und sein zweites: „Unannehmbar!“, mit dem er Gottes Frohbotschaft abzulehnen sucht, hat die Begründung, das Evangelium Christi sei „etwas Ungebildetes“. Dieser Vorwurf hängt mit deiner Rückständigkeit aufs engste zusammen. So wie man „modern“ sein möchte, so will man auch „gebildet“ sein. Beides entspringt durchaus nicht zuerst der Wirklichkeits- und Wahrheitsliebe, sondern der Ehrliebe. Es ist auch hier wieder die Furcht vor der Schmach, hinter der Kultur zurückzubleiben. In diesem Falle bedeutet das: Man will nicht hinter der Wissenschaft zurückbleiben. Als „ungebildet“ zu gelten, welch eine unerträgliche Schande! Eigentlich fürchtet der moderne Kulturmensch nichts so sehr als dieses. Ja, man kann sagen: An Stelle der Gottesfurcht ist die Furcht vor dem Ungebildetsein getreten, wie ja auch an Stelle der Anbetung Gottes die Anbetung der Wissenschaft getreten ist. Darum strebt man vor allem nach „wissenschaftlicher Bildung“. Und ich wiederhole: Nicht zuerst die Wahrheitsliebe leitet dies Streben, sondern die Ehrliebe. Man will sein und gelten.
Man will sich sehen und hören lassen können. Man will rangieren und präsentieren. Dazu braucht man als Sprungbrett die sogenannte „wissenschaftliche Ausbildung“. Um jeden Preis wollen die Eltern ihren Söhnen und heute auch ihren Töchtern „eine gute Bildung“ geben und glauben ihren Kindern gar nichts Besseres geben zu können, als eben – „Bildung“. Ja, sie glauben ihre Elternschuld völlig abgetragen zu haben, wenn sie ihre Kinder „etwas haben lernen lassen“. Ist der Junge, die Tochter dann glücklich durch so und so viele Examina „durchgekommen“, welch eine Anschwellung der Familienehre! Welch eine „gesicherte Zukunft“! Die Kinder gehören ja nun zu den „Gebildeten“; nun kann es ja nicht mehr fehlen! Nicht studiert nun der „Herr Sohn“ etwa Rechtswissenschaft, weil er für die Gerechtigkeit entbrannt ist, sondern weil er gerade diese „Karriere“ für die gegebenste ansieht. Nicht wird der andere „Herr Sohn“ Pastor, also Seelenhirte, weil demütige Gottesfurcht ihn frühe schon zu Jesu Füßen niedergezwungen und er seine göttliche Berufung zum Glaubenszeugen erkannt hat, o nein, das kommt in den seltensten Fällen vor, sondern die Kaste ist es, für die er bestimmt ward und die ihn bestimmte; er wird nun ein im Amtskleide geehrter und gebildeter Herr; mehr wollte man ja auch gar nicht.
Das ist die Wahrheit und das ist zugleich der Trug! Denn so ist’s auf der ganzen Linie der sogenannten Bildung, besonders der ruhmredigen „akademischen“ Bildung. Kaste, Zunft, Ehre, Einkommen entscheiden da ungleich mehr als reine, innere göttliche Berufung und dementsprechende Anlage. Wie mancher „Akademiker“ hätte besser zum Handwerker getaugt, und wie mancher Handwerker zweifellos besser zum Akademiker! Aber nun ist ja der Zweck erreicht, man zählt ja nun zu den „Gebildeten“! Das heißt, man rangiert in der „Gesellschaft“, hat deswegen auch „seinen Doktor gemacht“, wie das so bezeichnend schön heißt, lebt von Stand, Ansehen, Würden und Ehren, nährt sich von Fremdwörtern und abgezogenen Begriffen, redet in zusammengesetzten Sätzen, gibt sich den „gewöhnlichen“ und „kleinen Leuten“, den nur „Halbgebildeten“ und „Ungebildeten“ immer überlegen, glaubt an sich mit aller Zuverlässigkeit behördlich beglaubigter, bestandener Prüfungen und – ja, was nun „und“? Und lehnt aufgeblasen und hochnäsig das Evangelium Gottes ab als etwas „Ungebildetes“.
Denn der größte Feind der biblischen Frohbotschaft ist der heutige Bildungs-Pharisäer! Das ist der Mensch, der so an seine Selbstweisheit glaubt, wie die damaligen Religions-Pharisäer an ihre Selbstgerechtigkeit glaubten. Seine „Bildungswürde“ kann ihm unmöglich gestatten, dem alten Evangelium zu glauben. Er würde sich ja damit mit seinem Dienstmädchen auf eine „Bildungsstufe“ stellen; man denke! Also schüttelt er sich vor Grauen, wenn er nur an solche Möglichkeit denkt und schnurrt heraus: „Unannehmbar!“ Für gewöhnliche Leute, die nicht denken gelernt haben, mögen diese Glaubensgeschichten ja gut genug sein; aber von mir, als gebildeten Menschen wird doch niemand verlangen wollen, daß ich an solches Zeug glaube!, so entrüstet er sich. So weit als möglich, geht er dem Worte Gottes aus dem Wege. Beschäftigt er sich doch noch mit Religion und Christentum, so verlangt er gebieterisch ein annehmbares „Christentum für Gebildete“, das auf der Höhe seines eigenen Denkens zu stehen hat. Alle Worte und Werte der Heiligen Schrift sollen sich vor seinem „Bildungsgrad“ beugen. Ungleich stolzer noch als jene jüdischen Pharisäer meistert er den Gottessohn und ruht nicht eher, als bis dessen Bild so aussieht, wie er es haben will, nämlich so, daß er, der Herr Bildungs-Pharisäer, vor diesem „von jeder zeitgeschichtlichen Übermalung gereinigten Jesus“ weder Buße noch Bekehrung zu erleben braucht, sondern ganz er selbst bleiben kann.
Dieser anmaßende Bildungsdünkel ist die Ursache aller frechen Bibelkritik. Und da sich dieser Dünkel mit der eitlen Ehrliebe deckt, so macht jeder ehrliebende Bildungs-Pharisäer vor der Bibelkritik seine große oder kleine Verbeugung. Man will doch um keinen Preis hinter den „neuesten Ergebnissen der Wissenschaft“ zurückbleiben! Also erfordert es das eigene Ansehen, daß man Zugeständnisse macht. Man wäre ja sonst blamiert! Und in der Tat: zwanzigtausend gelehrte sogenannte „Diener am Wort“ wollen lieber zwanzigtausendmal „unbiblisch“ als ein einziges Mal „ungebildet“ sein!
Da ist es denn ganz natürlich, daß die Bibel dieser Herren und besonders das Evangelium bald aussieht wie ein Garten, in dem das Ungeziefer Herr geworden ist, nämlich das Beste ist weggefressen. O, es ist so bezeichnend für den Herrn Bildungs-Pharisäer, daß er zwanzigtausendmal lieber der Kritik glaubt, als ein einziges Mal der Bibel! Da zeigt sich so recht die eitle Menschenart. Ja, bis in die Kreise der „Gläubigen“ hinein geht das Bestreben, den Glauben „wissenschaftlich“ beweisen und recht „gebildet“ vortragen zu wollen. Auch da liegt man vor der Bildung auf dem Bauch und ordnet die Gottesweisheit der Menschenweisheit unter, weil auch da Ehrliebe und Bildungsdünkel noch nicht abgetan sind, sondern Stand und Titel oft mehr gelten, als Gottes- und Glaubenskraft. Armseliger Betrug!
Denn ganz abgesehen von der eitlen, ichgefälligen Ehrliebe, die dem Bildungsdünkel zugrunde liegt, ist das sogenannte „wissenschaftliche Denken“ unserer Gebildeten ein irregeleitetes und deshalb ein verdorbenes Denken. Es ist aller Einfalt beraubt, zu keiner Unmittelbarkeit mehr fähig, kann sich nicht mehr erheben, sondern nur äußerst umständlich und schwerfällig auf Krücken des sogenannten logischen Beweises in seiner eigenen Niederung vorwärtskommen. Zu einer Aufwärtsbewegung hat es keine Kraft mehr; denn es ist versklavt an die selbstgeschmiedete Kette des sogenannten „Kausal-Nexus“, des sinnlich-ursächlichen Zusammenhangs. Beweisen Sie mir das!, schreit einen jeder „Gebildete“ an, wenn man von Glaubensdingen redet. Man hält sich für sehend und weiß nicht, daß man blind ist. Man hält sich für gescheit und weiß nicht, daß man dumm ist. Es ist ganz so, wie jener Gymnasiast seinem Vater klagte: „Vater, du glaubst gar nicht, wie dumm einen das Wissen macht!“ Ja, da sie sich für weise halten, sind sie zu Narren geworden!
Wenn sich ein „Gebildeter“ in meine Sprechstunden wagt, so brauche ich sechsmal so viel Zeit dazu, ihm biblische Wahrheiten verständlich und begreiflich zu machen, als für den einfachen Besucher nötig ist. Der „Gebildete“ bringt gleich eine Zone von kritischer Kälte und selbstbewußter Unnahbarkeit mit, mit der er dem Geiste Gottes widersteht. Jeder Satz ist gepanzert mit Bildungs- und Standeswürde, daß man sich nur ja nichts vergebe, noch viel weniger sich selber gebe! So bleibt zunächst alles äußerlich, steif, förmlich, schwerfällig, umständlich, unwahr, zeitraubend und nutzlos. O, welche innere Gebetsmühe und äußere Weisheit ist da nötig, um diesen Eisgürtel von unnahbarer Bildungswürde zu durchbrechen, die Wüste der Umständlichkeit zu durchqueren, das Bildungs-Garde-Regiment der Fremdwörter in die Flucht zu schlagen, den Feind aus den Laufgräben moderner Zeitideen, in die er sich zäh festgesetzt hat, zu vertreiben, das Gewirre der leidigen „Problem“-Sucherei zu zerstören, um endlich in die unmittelbare Hauptstellung des geweckten Gewissens und ehrlichen Willens einzudringen und von da aus das Herz für Gottes Wahrheit und Gottes Sohn zu erobern!
Wie ganz anders der sogenannte „Ungebildete“ mit seinem einfachen, geschichtlich unbelasteten, unverdorbenen Denken! Er denkt viel gerader und unmittelbarer und deshalb viel schneller als der „Gebildete“. Er hat auch noch die Fähigkeit, aufwärts zu denken. Er steht dem Unsichtbaren viel näher, als der von des Gedankens Blässe angekränkelte Gebildete. So ist sein Denken auch viel gewisser und freier, zielstrebiger und entschlossener. Infolgedessen ist es auch wahrer und aufrichtiger, und wiederum infolgedessen viel offener und zugänglicher für Gottes Wahrheit und Gottes Sohn. Wenn ich den „Ungebildeten“ frage: „Wissen Sie, daß Sie ein armer, verlorener Sünder sind?“ oder: „Wissen Sie, daß Sie sich nicht selbst erlösen können?“, so antwortet er in neunzig von hundert Fällen mit einem ehrlich beschämten Ja. Der „Gebildete“ dagegen antwortet auf solche Fragen mit unehrlichen philosophischen Ausflüchten. O, ich möchte sagen, ich kann es Gott im Himmel nachfühlen, daß er seinem lieben Sohne nicht zwölf „Gebildete“ als Schüler und Zeugen gab, sondern zwölf „Ungebildete“; die „Gebildeten“ haben ja nachher immer noch früh genug das Christentum verpfuscht! Und bis zur Stunde wird der biblisch-christliche Glaube nicht von den „Gebildeten“ getragen, gehalten und bewahrt, sondern von dem, was töricht und schwach ist vor der Welt, nämlich von den Unmündigen und Armen im Geiste, die am Glauben reich sind und Erben des Reichs. Und auch ich frohlocke mit dem Gottessohn aus Stall und Zimmermannswerkstätte: „Ja, Vater; denn es ist also wohlgefällig gewesen vor dir!“ Nicht die wissenschaftlich-theologischen Sicherstellungen haben den biblisch-christlichen Glauben auf Erden in seinem Bestand gesichert, sondern die Gottes-Einfalt der „Ungebildeten“! Und wo Gott je „Gebildete“ gebrauchte, deren Namen die Geschichte nennt, da hat er sie erst zu Toren, also zu „Ungebildeten“ machen müssen, ehe sie Zeugen seiner Weisheit werden konnten. Auch heute wird das eigentliche Christentum nicht erhalten durch die Reichgottes-Geschäftigkeit der gebildeten Führer, sondern durch die gesunde Glaubens-Einfalt der niedrigen, geringen und unbekannten Seelen. Sie sind die „Gebildeten Gottes“! Denn was ist wahre Bildung? Wahre Bildung ist die Ausbildung des Wesens und Bildes Christi in uns! Alle andere sogenannte Bildung ist Pseudobildung, Scheinbildung. Wahre Bildung wird nicht gelernt auf höheren Schulen und Hochschulen, sondern aus dem Worte Gottes in der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi. Wahre Bildung wird gewirkt durch richtiges Denken, nämlich durch die Erlernung des göttlichen Denkens, das uns offenbart ist im Bibelbuche. Biblisch denken lernen, heißt göttlich denken lernen, heißt denken lernen wie Gott denkt. Solches Denken erlernt man nur in der Furcht Gottes, die bekanntlich aller Weisheit Anfang ist und daher auch allein wahre Bildung verbürgt. Bibellogik ist Gottes Logik; wer sich ihr unter der Zucht und Wucht des Geistes Gottes beugt, sitzt in der höchsten Hochschule und gewinnt Gottes Weisheit. Wer biblisch klar denken gelernt hat, ist jeder Weltweisheit überlegen; denn er hat Gottes Logik und Ethik auf seiner Seite. Wer durch den göttlichen Lehrmeister, den Heiligen Geist, den unsichtbaren Gott im Bilde Jesu Christi erkannt und Christi Geist und Gesinnung empfangen hat, der besitzt nicht nur die wahre, sondern auch die höchste Bildung und ist vorbildlich geworden, könnte er auch sonst weder „gebildet“ reden noch schreiben. Und eben solche wahre und höchste Bildung ist vielmehr bei den sogenannten ungebildeten Leuten als in den sogenannten gebildeten Ständen zu finden. Die „Gebildeten“ sind meist auch die Reichen; das heißt, sie sind die an den irdischen Besitz gebundenen Unfreien, Weltförmigen. Die „Gebildeten“ sind auch die „Geist-Reichen“; das heißt, sie sind die über und über vom menschlichen Gedankengute Belasteten und Beschwerten. Es wird ihnen so ungeheuer furchtbar schwer, sich vom Ballast ihres Lebens, als auch vom Ballast ihres Kopfes zu trennen, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher wirklich ins Himmelreich, das heißt in die befreiende Armut des Geistes Christi eingeht.
Aber wieviel wahre und höchste Bildung habe ich bei den „Ungebildeten“ angetroffen, die dem Evangelium Christi im Glauben gehorsam geworden waren. Hier bin ich den meisten vorbildlichen Menschen begegnet: den treuen alten Mütterchen, den kinderreichen, glaubensfesten Hausfrauen, den schlichten, glaubensstarken Männern mit dem ehrerbietigen, kristallklaren biblischen Denken und der daraus geborenen edlen, unbestechlichen Einfalt, und unvergleichlich vornehmen Einfachheit und königlichen Freiheit, die sich an keinen Trug der Welt mehr verkauft. Wie oft habe ich die Probe auf ihre Bildung gemacht! Nämlich sie auf ihre Übereinstimmung mit dem Bilde Christi geprüft. Geradezu beschämend vorbildlich war die treue Ehrlichkeit, die unbedenkliche Selbstlosigkeit, die rückhaltlose Opferwilligkeit, die kindliche Reinheit ihres von Christi Geist beherrschten Wesens. Und wie geistesklar ihr gottgeschultes Denken! Kürzlich gab ich einem einfachen, biblisch denkenden Manne einen Aufsatz von einer „geistvollen“ christlichen Berühmtheit zu lesen. Er las ihn mit scharfem Nachdenken, schüttelte wiederholt den Kopf, bezeichnete nachher richtig die verschiedenen unbiblischen Gedanken in dem Aufsatz und meinte zum Schluß: „Die Wahrheit, die da drin ist, hätte man viel klarer in drei Sätzen sagen können.“ Wie hoch stand solche bibelklare, unbestechliche Einfalt über der blinden Allesleserei der „Gebildeten“, die sich von jeder „namhaften Autorität“ berauschen läßt!
Darum empört sich auch der Bildungs-Pharisäer über nichts so sehr wie über das Glaubensleben der Ungebildeten, die es wagen, mit der Bibel in der Hand der Welt und ihrer Weisheit zu trotzen. Ah, das sind die Leute, sagen sie, die einem das Christentum unannehmbar machen! Wie können diese ungelehrten Leute die Bibel verstehen? – Der Bildungs-Pharisäer von heute und der Religions-Pharisäer aus der Zeit Christi und seiner Jünger reichen sich mit dieser Frage einheitlich die Hand. Und wieviel Bildungs-Pharisäertum stolziert selbst in der „Reich-Gottes-Arbeit“! Was ist das erste, das man sucht, wenn etwas „geschehen“ soll? Antwort: eine Reihe großer Namen mit möglichst hohen Titeln, die die gute Sache decken und empfehlen sollen, und einen Sack voll Geld! So erbärmlich erliegt man der Weltförmigkeit! So vergöttert man die „Bildung“ und den Mammon! So flieht man Pauli Wort: „Haltet euch herunter zu den Niedrigen!“ So verachtet man die Armen! So stößt man das Schwache und Törichte Gottes beiseite, das in der Welt nichts ist, und das doch Gott gerade dazu erwählt hat, um das zunichte zu machen, was etwas ist, auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme!
Und so glaubt man denen entgegenkommen zu müssen, die die biblische Frohbotschaft als „etwas Ungebildetes“ „unannehmbar“ finden! Und sieht nicht, wie man sich dabei gegen Christus und seine Apostel, gegen Evangelium und Bibel und damit gegen Gott versündigt und in religiös geschäftiger Weltförmigkeit versinkt! Nein! Wer Christentum als etwas Ungebildetes unannehmbar findet, dem gilt: Wer ist der Ungebildete? Du bist’s, du aufgeblasener Bildungs-Pharisäer mit deinem ich- und ehrliebenden Wissensdünkel und deiner hochnäsigen Überlegenheit, die das treue Gotteswort und seine Gläubigen „unannehmbar“ findet! Du bist der Ungebildete, der du meinst zu wissen, und weißt noch nicht einmal, daß du vor Gott und seinem Wort ein Tor und Narr bist, der noch nicht einmal das Reich Gottes von ferne zu sehen vermag! Dir helfen nicht apologetische Vorträge von den Herren Gebildeten für die Herren Gebildeten, die dir „Probleme“ lösen und „Kopfnüsse“ knacken!
Nein, die Bande deines entsetzlich ungebildeten Bildungswahns müssen dir erst einmal gelöst, das eitle Herz muß dir geknackt werden! Daß du einmal als ein armer, verlorener Sünder vor dem Bilde des Gekreuzigten liegst und dir da deine Unbildung so schauerlich zu Bewußtsein kommt, daß dir alles wissenschaftliche Sehen und Hören vergeht und du nichts mehr weißt als: Ich elender Mensch, wer rettet mich? Siehe, alle Macht deines Wissens löste nicht die Bande deiner Leidenschaften! Alle moderne Aufklärung brachte dir keine Klarheit über dein sündiges Herz! Alle Bildung zerstörte nicht deine Einbildung! Alles Licht der Wissenschaft erhellte dir nicht das Dunkel deines Bildungs-Pharisäertums! Welche Unbildung! Und nicht eher wirst du gebildet werden, als bis du dich bilden lässt nach Christi Bild! Nicht eher bist du ein wahrhaft Wissender, als bis du weißt und bittest:
„Herr, präge du dein Bildnis
Mir tief in meinen Sinn;
Dann kann ich dankend rühmen,
Daß ich gebildet bin.“
Das gilt aber auch dir, du eingebildeter Ungebildeter! Denn der Bildungsdünkel herrscht auch bei den Ungebildeten. Die Kuhmagd kann noch stolzer sein als der Professor. Sie kann eine solche hohe Meinung von ihrer Klugheit haben, daß kein Gotteswort mehr in sie hinein geht. Und welchen Bildungsdünkel haben die sozialdemokratisch aufgeklärten Fabrikarbeiter! Sie lassen sich ja längst nicht mehr mit der Bibel beikommen. Ihr Kopf ist ausmöbliert mit angelesenem Parteiwissen wie eines Emporkömmlings Stube mit Polstermöbeln. Der naturwissenschaftliche und geschichtliche Materialismus hat sie ganz dünkelhaft dumm gemacht. Infolgedessen halten sie sich für die fortgeschrittensten Leute der Welt. Niemand schaut so dünkelhaft überlegen auf die Bibelgläubigen herab wie sie. Sie werden solange an die befreiende Macht ihres Wissens und an ihre Kraft zur Selbsterlösung glauben, bis ihre Seele einmal nach Gott und dem Brot des Lebens in Christus schreien wird, wie sie jetzt nach Kulturgerechtigkeit und Sättigung mit Kulturgut schreit.
Dann wird auch das bitter gehässige „Unannehmbar!“ des aufgeklärten Arbeiters dem Evangelium Christi gegenüber verstummen. Indes bleibt als dritter Grund für die Ablehnung des Evangeliums: Man empfindet die biblische Botschaft vom alleinigen Heil in Christus als „etwas Störendes“.
„Unannehmbar!“ ruft man aus, weil man die Kunde von unserer Erlösung in Christus für etwas Rückständiges und Veraltetes hält, das einen zwinge, hinter der Kultur zurückzubleiben. „Unannehmbar!“ ruft man aus, weil man dieselbe Kunde für etwas Ungebildetes und Bildungsfeindliches hält, das einen zwinge, hinter der Wissenschaft zurückzubleiben. Aber noch viel mehr und feindseliger ruft man „Unannehmbar!“ aus, weil man das Evangelium als etwas Störendes empfindet.
Dieses Empfinden liegt in jedem Menschen und verzögert die Annahme der Frohbotschaft allenthalben. Mehr oder weniger deutlich fühlt man, daß in der biblischen Botschaft ein entscheidungsschweres, ganz unvergleichlich tief in unser Leben eingreifendes Angebot Gottes vorliegt. Selbst der Gottlose steht unter dem Eindruck: Aus dem Evangelium redet eine eigenartige, höhere Macht, der man erliegen müßte, wenn man ihr nachgehen würde. Und diesem Eindruck entspricht das innerste, unverlierbare Wissen, daß man dieser höheren Macht gegenüber eigentlich zum Gehorsam verpflichtet ist. Aber gerade gegen diese Gehorsamsleistung wehrt sich die Macht der eigenen Ichgröße. Man will nicht in den Bannkreis der Macht kommen, die als überragende Gottesmacht unsere Ichgröße verzehren könnte. Der Wille des Menschen zu sich selbst erträgt diese Übermacht Gottes nicht ohne weiteres. Ja, der menschliche Eigenwille streitet gegen den Gotteswillen wie gegen seinen gewaltigsten Feind. Es steckt in jedem Menschen seit dem Sündenfall drin, daß er selbst wie Gott sein möchte, das heißt selbstherrlich an Macht. So sind wir alle ichherrlich, ichsüchtig, ichgefällig gesinnt, machen uns zum Mittelpunkt und halten uns den lebendigen Gott möglichst weit vom Leibe. Natürlich können wir dabei ideell mit Gott liebäugeln, aber praktisch sind wir alle geborene Gottesgegner; denn wir sind gottfeindlich gesinnt, weil wir irdisch und ichsüchtig gesinnt sind. Da erscheint jede machtvolle Annäherung Gottes als eine bedenkliche Bedrohung unserer Ichherrlichkeit, nämlich als eine peinlich unangenehme Störung unserer Selbstzufriedenheit.
Unser Reich ist von dieser Welt. Jesu Christi Reich ist nicht von dieser Welt. Wir sind von unten her. Jesus Christus ist von oben her. Wir machen den Menschen zum Mittelpunkt. Jesus Christus macht Gott zum Mittelpunkt. Wir sprechen: Mein Wille geschehe! und: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Jesus Christus spricht: Dein Wille geschehe!, und des Vaters Willen zu tun, ist sein Himmelreich. Wir sind alle Gott gegenüber Ungehorsame; denn wir sind Eigenwillige. Jesus Christus ist der einzig Gottgehorsame; denn er ist der durchaus Gottwillige.
Darum ist Jesus Christus der andauernde Störenfried auf Erden, nämlich der Zerstörer der menschlichen Ichherrlichkeit und Selbstzufriedenheit auf Erden. Ehe er Frieden mit Gott bringt, bringt er das Schwert, nämlich sein durchdringend scharfes, richtendes und zerteilendes Wahrheitswort, das jede Menschenart trifft. Er ist zuerst gekommen, zu entzweien, und dann erst ist er gekommen, zu versöhnen. Er entzweit den Menschen mit sich selbst; denn nur der mit sich selbst entzweite Mensch läßt sich mit Gott vereinen; denn nur der mit sich selbst entzweite Mensch schreit aufrichtig nach Einheit mit Gott. Jesus Christus löst den Menschen von sich selbst; denn nur der von sich gelöste Mensch schreit halt- und hilflos nach einem Erlöser und begehrt Gott als Los. Jesus Christus stellt als erste Bedingung für seine Nachfolge fest: Selbstverneinung; denn nur, wer sich selbst verneint, kann Jesus, kann Gott bejahen. Darum ist das Erleben der von Jesus Christus gepredigten Buße nichts anderes als das Erlebnis der vom Heiligen Geiste in uns gewirkten Selbstentzweiung und Selbstverneinung; denn allein dieses Erlebnis bringt die grundstürzende Sinnesänderung, die uns befähigt, Christi Sinn zu empfangen.
So steht also der Mensch, wenn er vor dem Evangelium Christi steht, zunächst vor dem Furchtbarsten, das es für ihn geben kann, nämlich vor dem Zusammenbruch seiner Selbstzufriedenheit, Selbstverliebtheit, Selbstbejahung, Selbsteinheit. Er steht vor der unerhörtesten Bedrohung seiner Ichgröße und Ichherrlichkeit. Er steht vor dem Vernichtendsten, das ihn treffen kann, nämlich vor der Vernichtung seines Eigensinns und Eigenwillens. Er steht vor der Willigkeit zur Buße.
Nicht wahr, das bedeutet Störung im Lebensbetrieb! Und etwas von dieser drohenden Störung ohnegleichen ahnt jeder, dem das Evangelium irgendwie nahekommt. Denn wahres Christentum ist heute noch keinen Pfennig billiger geworden, als es vor zweitausend Jahren war: Es kostet noch immer das Leben, nämlich den Tod des natürlichen Eigenlebens. Darum ist der Kampf der Menschheit gegen Gottes Evangelium der Verzweiflungskampf um den Weiterbestand der alten, angeborenen Natur, die die Sinnesänderung mehr haßt als den Tod. Und darum, sobald die ichverwurzelte Menschenart nur von ferne merkt, daß es sich beim wirklichen, wahrhaftigen Kommen zu Jesus um die Entwurzelung ihrer Art handelt und ihr die Axt bereits an die Wurzel gelegt ist, scheint ihr das Evangelium mehr eine Drohbotschaft als eine Frohbotschaft, und sie schreit entsetzt auf: „Unannehmbar!“ Das steckt in jedem Menschen drin. Das habe auch ich erlebt. Wie oftmals hat man mich früher eingeladen, Evangelisationsvorträge zu besuchen: Nie bin ich der Einladung gefolgt. Warum? Ich merkte, da würde mir eine Welt in Trümmer gehen; das wollte ich nicht. Aber ich war zu feig, das den Einladenden zu gestehen; lieber log ich und sagte, ich hätte keine Zeit. Ja, lieber belog ich auch mich selbst und redete mir ein, der biblische Glaube sei „etwas Rückständiges“ und „etwas Ungebildetes“, das nicht einmal des Anhörens, wie viel weniger des Annehmens wert sei. So glaubte ich der drohenden Störung gut vorgebeugt zu haben. Millionen machen es so.
Es gibt ganze Vorbeugungssysteme gegen die Gefahr eines ernsthaften Christentums. Unser ganzes konventionell-zeremonielles Namenchristentum ist nichts anderes als ein allgemein durchgeführter Versuch, der Bedrohung des Eigenlebens durch Christi Sinn und Geist zu entfliehen. Und man muß sagen, der Versuch ist großartig gelungen. Aber man bedenke, welch eine Teufelslist: Um der Störung des eigenwilligen, ichsicheren Lebensbetriebs durch das ernsthafte, biblische Evangelium zu entgehen, erfindet man nach und nach ein äußerst annehmbares Scheinchristentum, das jedem Menschen nichts leichter macht, als das auch-Christsein. Von grundstürzender Sinnesänderung, Buße und Bekehrung ist da keine Rede mehr. Man hat da nur eine Reihe äußerer religiöser Gebräuche zu befolgen, die man von der Wiege bis zum Grabe über sich ergehen läßt, und verstandes- oder eigentlicher unverstandesgemäß einem erbmäßig aufgehalsten, papiernen Glaubensbekenntnis zuzustimmen, sich dabei bürgerlich ehrbar aufzuführen, und man ist schon – ein Christ! So hat man die Störung des Eigenlebens durch Christi Sinn aufs Gelungenste ausgeschaltet, indem man die natürliche alte Menschenart einfach „christlich“ umgestempelt und einem „Christentum“ einverleibt hat, das einen nun tatsächlich „nicht im geringsten mehr stört“.
Und auf diesem Wege ist man dann weitergegangen. Was ist die Arbeit der ungebundenen Bibelkritik anderes, als der fortgesetzte Versuch, immer noch vorhandene Störungen des natürlichen Eigenlebens durch unannehmbare Bibelwahrheiten zu beseitigen! Alles, was das moderne Selbstbewußtsein als „störend“ (weil den menschlichen Ichgeist bedrohend) empfindet, muß aus der Heiligen Schrift ausgemerzt werden. Nur keine unbedingten Schriftwahrheiten mehr! Alle Schriftworte und Schriftwerte dürfen nur noch bedingte Gültigkeit haben. Über das Maß von Gültigkeit entscheidet der „Geist der Wissenschaft“. Der sorgt dann dafür, daß aller übernatürlicher und übergeschichtlicher Offenbarungswert der Heiligen Schrift nur noch natürliche und entwicklungsgeschichtliche Bedeutung hat. So wird alle Festigkeit der Schrift gebrochen und zerbrochen; denn eben das Feste ist ja das Anstößige und Störende, das man nicht dulden kann. Das Unangenehme ist allenthalben das Unannehmbare! Nenne dem vom Geiste solcher Wissenschaft Geleiteten das Wort „gläubig“, sofort fragt er mit überlegener Pilatusgebärde: „Was heißt ,gläubigʻ ?“ Längst sieht er dieses Wort seines biblischen Nennwertes und Inhalts entleert und entledigt. Rede von Gottes Wort: dieselbe Gebärde und überlegene Frage: „Was heißt ,Gottes Wortʻ?“ Rede von Gottes Sohn: dieselbe Gebärde und überlegene Frage: „Was heißt ,Gottes Sohnʻ?“ So hat man es verstanden, alle Urwerte des Evangeliums fraglich und unwirksam zu machen, nur damit die stolze Menschenart durch sie nicht mehr gestört und entwertet werde. Denn entweder entwertet das Evangelium die Ichherrlichkeit des Menschen oder der Mensch entwertet die Gottesherrlichkeit des Evangeliums!
Zu letzterem Zweck hat man auch Jesu Wort von der „Selbstverneinung“ gefälscht. Jesus meinte die grundsätzliche Verzweiflung am eigenen Wesen, die grundstürzende Sinnesänderung, wo der Mensch in Selbsterkenntnis und Selbstbeschämung reif geworden ist zur Selbstverwerfung und mit dem Schlag an die eigene Brust spricht: Ich bin nicht wert! Aber nicht wahr, solche Selbstverneinung als Selbstverwerfung in rechter biblischer Buße erträgt doch der ichgläubige, ichherrliche Mensch nicht! Also mußte diese unangenehme Störung als etwas „Unannehmbares“ beseitigt werden. Wie erreichte man dieses? O, sehr einfach! Man machte aus der „Selbstverneinung“ eine menschliche Heldentat! Man erniedrigte das Wort zur menschlichen moralischen „Höchstleistung“! Aus der ichverzweifelten Selbstverwerfung, die Jesus meinte, machte man die allerhöchst ichgläubige, heldenmütige Selbsteinsetzung; und das nennt man nun „Selbstverleugnung“! So hat man das Biblisch-Evangelisch-Christliche ins Allerwelts-Menschlich-Heidnische zurückverdreht! Seitdem preist man z. B. jeden Soldaten, der als „Held“ auf dem „Felde der Ehre“ kämpft oder dort sein Leben verliert, als ein Vorbild der christlichen Selbstverleugnung! Sollte man es für möglich halten? Mit demselben Rechte könnte man die altgriechischen Helden zu Nachfolgern Jesu stempeln! So verflacht man die ausgesprochendsten, überragenden christlichen Urworte und Urwerte des Evangeliums zu allgemein menschlichen Tugendwerten! So beseitigt man das Störende im Evangelium, das die menschliche Ichherrlichkeit bedroht, ohne die man nicht leben kann.
Das geht bis in die frommen Kreise hinein. Statt ichstürzender Buße, ichgefällige religiöse „Höchstleistung“! Man gibt Zeit, Geld, Bier, Tabak, Weltmode usw. dran, aber sein Ich gibt man nicht dran! Man gibt Lebensgut und Lebensgewohnheiten preis; aber sich selbst gibt man nicht preis! Und doch hält man diese pharisäische religiöse Betriebsamkeit für christliche „Selbstverleugnung“. Welch ein Schwindel! Ja, man wäre eher bereit, sein leibliches Leben zu lassen, als sich selbst zu lassen! Fasse es, wer es kann! Denn der Mensch haßt die Buße als ichstürzende Sinnesänderung mehr als den Tod. – So ist man selbst in „gläubigen Kreisen“ bemüht, das unangenehme Störende im Evangelium als „Unannehmbar!“ zu beseitigen. Und doch bleibt das „Störende“ im Evangelium, wie man auch das Wort Gottes verstören und scheinbar zerstören mag. Und es wird weiterhin die menschliche Ich- und Kulturseligkeit stören, bis sie durch Christi Siegesmacht zerstört ist. Und es wird auch dich, mein teurer Hörer, unerbittlich weiter stören, bis jede Höhe deiner Ichgefälligkeit abgetragen und zerstört sein wird und du in biblischer Buße dich vor Jesus als dem beugst, dem allein dein Leben gehört und dem allein auch jede Ehre gebührt! Dann wird verstummt sein dein „Unannehmbar“!
Die Menschen ahnen etwas von der kommenden Zerstörung ihrer Ich- und Kulturherrlichkeit durch den wiederkommenden, zum heiligen Gericht über alles unbußfertige Wesen erscheinenden Christus.
Wer je reine biblische Klänge vernommen hat, weiß: zwischen dem erschienenen Gottessohn Jesus Christus und dieser im Argen liegenden Menschenwelt kann es keine andere Beziehung geben als die, man wird entweder durch ihn gerettet oder gerichtet. Will man sich nun nicht einmal von Jesus Christus ernsthaft stören lassen, wieviel weniger will man sich von ihm endgültig richten lassen! Darum nimmt die Ablehnung des Evangeliums bei allen ichsicheren Leuten je länger desto mehr zu. Das führt zur gröbsten und heftigsten Begründung des „Unannehmbar!“, nämlich man empfindet das Evangelium Christi als „etwas Beleidigendes“.
Es ist eigentümlich, wie sich die Bibel von allen anderen Büchern unterscheidet. Nämlich alle dem Menschengeist entstammenden Bücher und Schriften machen den Menschen groß, schmücken ihn mit Würde, Ehre und Ruhm und preisen eben sein Menschentum. Nur die Bibel tut das nicht. Sie macht den Menschen klein, nimmt ihm alle Würde, Ehre, allen Ruhm und preist Gott in Christus allein. Entstammte die Bibel dem allgemeinen Menschengeiste, wie anders sähen ihre Männer und Frauen aus! Dann wären sie alle Heilige und Helden. Denn Menschen machen aus Menschen entweder Heilige oder Helden. Die Bibel kennt beides nicht im menschlichen Sinne. Weil sie keine Menschenvergötterung kennt, hat sie uns weder Heiligenbilder gemalt; denn dann wäre sie ein Legendenbuch, noch Heldenfiguren gezeichnet; denn dann wäre sie Heroengeschichte. Aber dann wäre sie nicht mehr Gottes Wahrheitsbuch!
Ihre „großen“ Männer und Frauen sind alle vor Gott ganz kleine Leute, und das einzige, was sie so groß macht, ist, daß sie sich vor Gott so klein wissen. Sie werden alle gezeichnet als in sich ganz unzulängliche Menschen, von denen auch nicht einer an sich selbst zu glauben wagt, und die Gott mit viel Geduld erst zu brauchbaren Werkzeugen seines Geistes zubereiten muß. Nur der allezeit ruhmredige Menschengeist hat sie zu „Glaubenshelden“ gemacht; die Bibel nennt nicht einen von ihnen so. Die redet nur von Helden Davids, wovon einer sechs Zehen an jedem Fuß und sechs Finger an jeder Hand hatte; und dann redet sie von Engeln Gottes als von Helden, und sonst nur von dem Einen, der allein Held auf Erden ist und bleibt, und dem allein Ruhm gebührt, Jesus, das Lamm Gottes, der Löwe von Juda.
Darum kann sich der Mensch nirgends anderswo erkennen, wie er in Wahrheit gestaltet ist, als nur im untrüglichen Spiegel des Gotteswortes, der Heiligen Schrift. Nicht Romane noch Geschichtswerke, nicht künstlerische noch wissenschaftliche Werke zeigen uns, wer und was der Mensch ist; das tut nur die Bibel. Und vor dem Bilde, das sie zeigt, vergeht uns, wenn wir es recht sehen, alle Ich- und Menschheitsgröße. Da muß alle menschliche Ruhmredigkeit verstummen und bleibt nur noch Ruhm übrig für Gott und seinen Gesalbten Jesus Christus.
Das empfindet der Mensch wie einen Peitschenschlag ins Gesicht. Er sieht in dem Bilde, das die Bibel vom Menschen malt, die Zertrümmerung seiner sogenannten „Menschenwürde“ und empfindet das als etwas Beleidigendes, dem er sein „Unannehmbar!“ entgegensetzt. So muß er das Menschenbild der Bibel als „veraltet“, den Spiegel als trüglich, den Gott der Bibel als unzulängliches Menschengebilde abzutun suchen, damit er über den entehrenden Schimpf der Bibel hinauskomme. Um dem Urteil Gottes im Worte Gottes zu entgehen, muß der Mensch es immer dreister wagen, Gott mitsamt seinem Worte zu verurteilen. Das ist der geheimste Grund aller ungebundenen Bibelkritik, komme sie vom Gelehrten oder vom Straßenbuben.
Darum gibt es nichts Natürlicheres und Selbstverständlicheres, als daß sich die Menschenart da am beleidigtsten fühlt, wo sie am endgültigsten verurteilt wird; und das ist am Kreuz Christi auf Golgatha. Denn am Kreuze Christi hat Gott allen ruhmredigen Menschenwesen den Mund gestopft. Daß Jesus Christus zum Schuldopfer für unsere Sünde gegeben werden mußte, das zeigt die Größe unseres Überschuldetseins vor Gott an. Ein Geschlecht von Abgewichenen und Übertretern und Untüchtiggewordenen mußte mit Gott versöhnt werden. Das kostete das Leben des Einzigartigen, des Einzig-Schuldlosen, des Einzig-Gerechten, der sich für die sündig und gottfeindlich gewordene Menschheit haftbar hatte machen lassen vor Grundlegung der Welt. Das kostete das Blut des Gotteslammes.
Ei, wie beleidigend, dies Wort vom Kreuz! Denn, wenn es wahr ist, daß Jesus Christus für der Welt Sünde sterben mußte, dann ist’s aus mit jeder menschlichen Selbsterlösung. Wenn es wahr ist, daß er an unserer Statt ein Fluch werden mußte, damit wir vom Fluch des Gesetzes, das uns alle als Übertreter verurteilte, frei würden, dann ist’s vorbei mit jeder Selbstveredlung. Dann hat Gott tatsächlich alles unter den Ungehorsam beschlossen, damit er sich aller erbarme. Dann sind die Menschen ein Geschlecht von verlorenen Sündern, dem nur noch Gott selber helfen konnte in der Hingabe seines geliebten Sohnes, an dem er als der gerechte Gott unsere Sünde nach dem Gesetze richtete, und in dem er als der barmherzige Gott nach seiner Gnade unsere Sünde vergab. Das sind wir, ein Geschlecht von begnadigten Verbrechern, von denen keinem mehr erlaubt ist, die Nase hoch zu tragen.
Ei, welch eine Beleidigung! Welch ein Ärgernis! Welch eine Torheit! –: Unannehmbar! Was mußte geschehen, um solcher Beschimpfung der „Menschenwürde“ zu begegnen? Sehr einfach! –: Man mußte den Spieß umdrehen! Brachte das Evangelium das Kreuz als Gericht Gottes über die Menschenart, so brauchte nun der Mensch das Kreuz als Gericht des Menschen über Gottes Art. Gott mußte als blutdürstiger, grausamer, ungerechter Gott verdächtigt werden, der den armen, schwachen Menschen nicht eher vergeben kann, als bis er seinen „Sohn“ blutig am Kreuz hingeschlachtet sieht. Hinweg mit einem solchen Scheusal von Gott, das ja gar kein Gott ist! Hinweg mit einer solchen Deutung des Sterbens Jesu, der ja nur als Märtyrer für seine reine, hohe Lehre starb!
Hinweg mit dem Schandbilde vom Menschen, als eines verlorenen Sünders und begnadigten Verbrechers! Hinweg mit der „Lehre“ vom „Sündenfall“! Hinweg mit dem Märchen vom „ersten Adam“, dessen „Sünde“ auf uns gekommen sein soll! Hinweg mit einem Christus als „letzten Adam“, der uns vom Fluch des Gesetzes vom Sinai und vom Fluch des Gesetzes der Sünde durch sein Blut erlöst haben soll! Hinweg mit der Gültigkeit der alten Moses-Vorschrift! Hinweg mit dem steinernen Gesetz und hinweg mit der blutrünstigen Gnade! Hinweg mit der Gültigkeit der Bibel! Hinweg mit dem sogenannten Evangelium! Hinweg mit der Gültigkeit der Worte Jesu! Hinweg mit Jesus selbst! Hinweg mit jeder Beleidigung der Menschennatur! Hinweg mit jeder Schranke für die Entfaltung des Menschenwesens und der Menschengröße! Denn es gibt keine andere Gottesgröße als die Menschengröße! – Siehe, die Bibel bedeutet den einen, hohen Einspruch Gottes gegen die Menschen, und der Halbglaube und Unglaube bedeutet den einen niedrig-trotzenden Einspruch der Menschen gegen Gott.
Wer wird recht behalten? Höre! –: Es gibt ein doppeltes: „Unannehmbar!“ Ein „Unannehmbar!“ von Seiten Gottes dem sündigen Menschen gegenüber, und ein „Unannehmbar!“ von Seiten des ichherrlichen Menschen dem heiligen und gnädigen Gott gegenüber.
Welches „Unannehmbar!“ wird gelten? Willst du auf der Seite der Menschen im „Glauben an die Menschheit“ bleiben und ich- und kulturselig weiterträumen von Fortschritt, Bildung, Selbstveredlung und Menschheitsveredlung, Himmel auf Erden und Weltverklärung?
Siehe, die Bibel weiß von solcher Menschheitsveredlung nichts. Die kennt am Ende nur durch das Blut des Kreuzes von Golgatha erlöste arme Sünder, die durch Buße und Glauben in Christus neue Menschen und selige Gotteskinder geworden sind, und andererseits unerrettet gebliebene, ichtrotzige, unbußfertige, ungläubige Rebellen gegen Gottes Wahrheit und Gottes Gnade, die in ihren Sünden sterben und deren Namen nicht geschrieben stehen im „Lebensbuch des Lammes“. Die Bibel kennt nur eine Ausreife der Menschen als Gläubige, die ihr Leben nicht mehr geliebt haben bis in den Tod, zur Seligkeit und ihre Gleichgestaltung mit Christi ewigem Bild – und eine Ausreife der Menschen als Ungläubige, die ihr Leben vor dem Gericht des Kreuzes zu retten suchten, und nicht Buße taten und deren Leben verloren ist und in äußerster Gottesferne endet. Willst du nicht doch lieber auf die Seite Gottes und seines Evangeliums treten, dein Eigenleben als gottfeindliche Gesinnung in grundstürzender Sinnesänderung an Jesus verlieren, um es als Gesinnung Christi in seliger Gemeinschaft mit Gott neu und ewig wiederzufinden?
O wolle es! Tue es! Siehe, dann schweigen beide „Unannehmbar!“ Das von Gottes Seite und das von deiner Seite. Siehe, dann ist dir das Wort Gottes als Frohbotschaft von unserer Erlösung in Christus und als unaussprechliche Gabe Gottes im Sohne der Liebe aller Annahme wert! Und siehe, dann bist du angenehm gemacht in dem Geliebten, an welchem du dann hast die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade! Dann hast du das Selbstleben verloren und Christi Leben gewonnen! Nun laß los und greif zu!