Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 19. Vom Stande der Erniedrigung und Erhöhung Christi.

Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 19. Vom Stande der Erniedrigung und Erhöhung Christi.

1.

Die Menschwerdung Christi ist eine Erniedrigung, deren Grad kein Mensch ermisst. Wenn ein freier Mann auf Erden das Leben eines Gefangenen in einem dunklen unterirdischen Kerker teilt, um ihm das Elend zu erleichtern oder ihn zu befreien, so hat er ein großes Opfer gebracht. Hierin siehe eine Ahnung, aber nur eine Ahnung des Opfers Christi. Die Erde ist, verglichen mit dem Himmel, trüber und finsterer, als der tiefste, unterirdische Kerker. Christus gehörte seiner Natur nach in den Himmel. Aber aus Liebe stieg er hernieder in diese Welt, - für Ihn eine Unterwelt. Und hätte Er sich gesonnt in der Erde höchstem Glanze; Er hätte dennoch unendlich verloren. Denn der Erde höchster Glanz ist Finsternis gegen des Himmels Glanz, in dem Er gelebt hatte. Wie tief ist demnach Seine Erniedrigung, da Ihm diese, selbst in ihrem Reichtum für Ihn arme, Erde nur ihre Armseligkeit, ja ihr tiefstes Elend bot! Mein Heiland, mir ahnt Etwas von der Tiefe Deiner Erniedrigung zum Menschenkinde; aber ich denke sie nicht aus. Habe Dank für Deine Menschwerdung!

Es ist mir klar, das ganze Erdenleben des Herrn Jesu ist Ein Leiden. Aber der Höhepunkt Seines Leidens ist auf Gethsemane und Golgatha. Ich sehe ab von den furchtbaren äußeren Qualen Seiner legten Leiden, auch von den unerhörten persönlichen Kränkungen, um die Tiefe Seiner Schmerzen in Etwas zu verstehen. Unendlich tiefer, als die Qual an sich schmerzte Ihn die Sünde der Quälenden. Wie wahr ist der Ausspruch: „Ein Musiker mit einem fein ausgebildeten musikalischen Gehör und Gefühl möchte bei einer schlechten Musik vergehen oder sich die Ohren zuhalten. Wie nun Christus unter dem Geschlechte, das die ganze Harmonie mit seinem Gott zerrissen hatte, und dessen ganzes Leben ein Misston war! Und doch ist er gekommen und hier geblieben, bis dies Geschlecht den wüstesten Misston in seinen Wandel gebracht und ihn ans Kreuz geschlagen hat. Aber so groß ist seine Liebe, dass sein Herz auch unter diesem Abgrunde von Bosheit, unter diesem Misston, der bis in die Hölle hineinschneidet, in und bei diesem Volke bleibt1)!“ Wahrlich, kein Mensch kann nachempfinden, was Christus litt, weil keiner so rein und fein fühlt, wie Er. Nur, wenn ich mir Dieses sage, begreife ich Etwas von Seinem Seelenkampf und Seinem Todesleiden. Da ist nicht eigenes Todesgrauen und Schmerz über Sich Selbst, sondern Schmerz über das Verderben der sündigen Welt. Wüsste ich Dieses nicht, ich könnte mich in Christus nicht finden. Sein Beben vor dem Tode würde Ihn tief unter die Märtyrer der Kirche stellen, die mit Jubelliedern in den Tod gingen. Nun ich aber weiß, dass Sein Leiden viel weniger Schmerz über Seinen eigenen Zustand, als über den Zustand der sündigen Welt, ja, dass es stellvertretend ist, macht mich Sein Zittern und Zagen so wenig an Ihm irre, dass es mich vielmehr mit unwiderstehlichem Zuge zu Ihm zieht, mich Ihm erwirbt und Ihm gewinnt. „Fürwahr, Er trug unsere Krankheit und lud auf Sich unsere Schmerzen. Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf Ihm, auf dass wir Friede hätten und durch Seine Wunden sind wir geheilt2).“ Auf Golgatha ist die größte Tat, die je geschehen, das knechtsgestaltliche Erscheinen, Handeln und Dulden Gottes unter den Menschen fertig geworden! Dort erst heißt es von dem großen Versöhnungsopfer: „Es ist vollbracht!“

Indem ich mich in das Leiden Christi versenke, darf ich nicht übersehen das Wort unseres Bekenntnisses: Gelitten unter Pontio Pilato. Einem römischen Richter, also den Heiden, ist Christus übergeben. Furchtbare Tatsache! Ein Volk hat der Herr Sich erwählt zum Eigentum. Durch mehr, als tausendjährige Verheißungen und Weissagungen hat Er es vorbereitet auf die Ankunft des Messias. Es hat selbst als das Volk des Verlangens und der Sehnsucht von der Hoffnung auf Ihn gelebt. Endlich kommt die Befriedigung; endlich kommt die Erfüllung. Jauchzt du nicht, Israel? Wehe! Israel bringt sich um die Frucht seiner mehr, als tausendjährigen Geschichte und vernichtet nach langer, banger unter Seufzen und Sehnen verbrachter Saatzeit den Genuss der Ernte! wie weh mochte Dir, Heiland, in Deinem göttlichen Herzen sein, als Du voraussahst und voraussagtest, welches Todes Du sterben würdest! Der Kreuzestod ist eine heidnische Strafe. Den Kreuzestod vorauswissend, wusste der Herr, dass Er den Heiden werde überantwortet, also von dem Volke Seines Eigentums werde verworfen und ausgestoßen werden! Es ist also geschehen. Israel hat Christum verworfen, indem es von den Heiden Ihn kreuzigen ließ. Damit ist der alte Bund, der ja nur um des künftigen Christus willen mit dem Volke geschlossen war, zu Ende. Die Volksreligion hört auf, die Weltreligion beginnt. Nachdem Christus aus der Gemeinde ausgestoßen und dem Tode übergeben war, mussten Alle, die an Ihn glaubten, mit der jüdischen Gemeinde brechen. Das Christentum war somit frei geworden von den Fesseln des Judentums. Christus musste sterben, damit Er die Kinder Gottes, die zerstreut waren, zusammen brächte3).“ Der Bruch mit dem widerstrebenden und hemmenden Judentume war zugleich Eröffnung des Zugangs aller heilsbegierigen Heiden zum Weltheilande. „Nun hat Christus aus Beiden Juden und Heiden Eins gemacht, und hat abgebrochen den Zaun, der dazwischen war, und hat Beide versöhnt mit Gott in Einem Leibe durch das Kreuz und hat die Feindschaft getötet durch Sich Selbst4).“ Der neue Bund, ein Bund, nicht mit Einem Volke, sondern mit der Menschheit, ist demnach gestiftet durch Jesu Blut.

Der gestorbene Christus ist begraben. Dadurch hat Er die Gräber geheiligt und geweiht. Christus ist der Erstling worden unter Denen, die da schlafen. Nun sind die Totenhöfe Gottesäcker geworden. Denke, o Seele, daran, dass dein Heiland Selbst im Grabe gelegen hat, und schaudre nicht mehr vor dem Grabe!

2.

Christus ist niedergefahren zur Hölle. Damit beginnt der Stand seiner Erhöhung.

Es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werden, denn allein der Name Jesu Christi. Wie sollen sie aber glauben, von dem sie Nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger5)? Die Frage ist beantwortet, das Rätsel ist gelöst. Christus ist hingegangen im Geist und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis6). Den Toten ist das Evangelium verkündigt7). Alle, die den Seligmacher in diesem Leben nicht kennen gelernt, haben Seine Predigt vernommen im Reiche der Toten, und so Viele noch an Ihn geglaubt haben, sind selig geworden.

Wie tröstlich ist diese Lehre! Mein Herz könnte den Gedanken nicht ertragen, dass die armen Heiden, vor denen ich das selig machende Wort voraus habe, in Ewigkeit sollten verloren sein. Und doch könnte ich, wüsste ich Nichts von Christi Höllenfahrt, diesen Gedanken nicht abweisen. Denn es steht zu fest, dass nur in Christo Seligkeit zu finden ist. Habe Dank, Heiland der Welt, dass Du den Toten Dich offenbarst, die von Deiner Herrlichkeit im Leben Nichts vernahmen! Habe Dank, dass Du die Einladung, mit der Du uns hier schon begnadigt hast, an sie noch ergehen lässt in jener Welt. Habe auch Dank für Deine Höllenfahrt um meiner eigenen armen Seele willen. Du hast im Reiche der Toten die Macht der Hölle über die Deinen zerstört, und nun weiß ich, dass wenn Du mich auf Erden in Dein Gnadenreich versetzt hast, keine Macht der Finsternis in einer andern Welt mir die Seligkeit entreißen kann. Sterb' ich nur im Glauben, so bin ich ewig geborgen!

Auf den Triumph Christi in der Unterwelt folgte Sein Triumph auf Erden in Seiner Auferstehung. „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ erscholl es vom Himmel, als Christus eingeweiht wurde zu Seinem Amte. „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ erscholl es vom Himmel, als er verklärt wurde auf dem Berge vor den Jüngern, die bald seines Seelenkampfes Zeugen sein sollten. „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ predigte mächtiger, als Alles und tatsächlich Seine Auferweckung von den Toten. Durch sie hat Gott vor Augen gestellt, dass der Erwürgte der ewig Lebendige ist. Indem Er Ihm aufgelöst die Schmerzen des Todes, hat Er die Unmöglichkeit schaubar gemacht, dass Christus vom Tode gehalten werden sollte8). Er hat Ihn durch die Auferweckung kräftig erwiesen als den Sohn Gottes9). Die Auferstehung ist die höchste Beglaubigung des Sohnes. Damit ist aber lange nicht erschöpft die Tiefe des Gnadenreichtums, den wir der Auferstehung Christi verdanken, und von dem die heiligen Apostel an so vielen Stellen zeugen. Vor Allem ist sie uns eine trostreiche Erklärung, dass Gott das Opfer unseres Bürgen als zureichend angenommen10) und uns samt ihm versetzt hat in das himmlische Wesen11); dass der Vater, der den Sohn auferweckte, auch uns auferwecken wird durch Seine Kraft12), und dass Christus bei Sich hat alle unsere Lieben, die im Glauben starben; denn so wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird Gott auch, die da entschlafen sind durch Jesum, mit Ihm führen13).“ O, halt im Gedächtnis Jesum Christum, der auferstanden ist von den Toten. Wenn's möglich wäre“ sagt Luther-so sollte ein jeder Christ das Wort Resurrexit (er ist auferstanden) mit güldenen Buchstaben, davon einer so groß wäre, als der höchste Berg, in sein Herz schreiben, damit der aufgestandene Christus ja nimmermehr aus unsern Herzen kommen möchte. Denn so Der, von dem es heißt Resurrexit, hinweg ist aus dem Tode und Grabe, so muss, der da sagt Credo (ich glaube) und an Ihm hängt, auch hernach. Denn Er ist darum uns vorangegangen, dass wir sollen hinnach.“ Da aber Luther einst von tiefer Betrübnis angefochten wurde, schrieb er vor sich auf den Tisch: Vivit (er lebt). Als man ihn fragte, ob er nicht seinen Jesum meine, antwortete er: Ja freilich; denn wenn Der nicht lebte, wollte ich mir nicht eine Stunde zu leben wünschen.

Wir wissen aber, dass Christus, von den Toten erwecket, hinfort nicht stirbt14). Er durfte nicht wieder sterben; denn durch einen zweiten Tod wäre die Frucht seiner Auferstehung wieder vernichtet. Die alte Trauer und Verzagtheit, die Seine Auferstehung in Freude und Jubel verwandelt hatte, wäre zurückgekehrt. Die Leiche Christi wäre die Leiche Seiner Sache gewesen. Auch liegt es nicht in der Natur Christi, durch den Tod in den Himmel einzugehen. Der Tod ist der Sünde Sold. Ohne Sünde wäre kein Tod. Christus, der Sündlose, ist dem Tode nicht unterworfen. Nur Ein Mal ist Er gestorben zur Sühne der fremden Sünde15). Dieser freiwillige Tod ist getötet durch die Auferstehung. Christus hat Sein Leben wieder. Hinfort stirbt er nicht. Ohne Tod ist Er in den Himmel eingegangen.

O Herr, wo Du bist, da soll auch ich sein. Du hast gebetet: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, dass sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast16).“ Siehe, Du sitzt zur Rechten Gottes. Du hast Anteil an der Macht und Herrlichkeit Gottes, des Vaters. Die Rechte Gottes ist überall. Auch Du bist allgegenwärtig, verklärter Heiland, wie Du verheißen hast: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende17).“ Aber Deine Gegenwart wird nur verspürt von Denen, die sich Dir nahen18). O Vater, ziehe mich zum Sohne. O Heiland, ströme mir Dein Wesen ein. Verleibe mich Dir ein. Alle Gläubigen sind Dein Leib, o Haupt im Himmel. Und das Haupt zieht die Glieder nach.

Bis Er wiederkommt zum Weltgericht, wartet und bittet der Herr, dass die Menschen zu Ihm kommen, Seine Glieder werden und als solche Anteil an Seiner Herrlichkeit erlangen. Wenn Er kommt, ist Sein Warten und Bitten zu Ende; die Zeit der Gnade ist vorüber und durch eine Tat der Gerechtigkeit kommt die Unterscheidung der Seinen von Seinen Widersachern und damit die Entscheidung von Seligkeit und Verdammnis zu Stande. Noch ist es Zeit, o Seele; zu Ihm, und du bist gerettet!

1)
Ahlfeld in der Vorrede zu den Bausteinen, Bd. 6.
2)
Jes. 53, 4. 5.
3)
Joh. 11, 52.
4)
Ephes. 2, 14 ff.
5)
Röm. 10, 14.
6)
1 Petri 3, 19.
7)
1 Petri 4, 6.
8)
Apostelg. 2, 24.
9)
Röm. 1, 4.
10)
Röm. 4, 25.
11)
Eph. 2, 6.
12)
1 Kor. 6, 14.
13)
1 Thess. 4, 14.
14)
Röm. 6, 9.
15)
Röm. 6, 10.
16)
Joh. 17, 24.
17)
Matth. 28, 20.
18)
Jak. 4, 8.
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