Baur, Gustav Adolph - Der Friede, den Christus uns gibt, in seinem Unterschiede von dem Frieden, den die Welt gibt.
Am Pfingstsonntage.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und von dem Herrn Jesu Christo. - Amen.
Es ist ein Friedensgruß und eine Friedensbotschaft, was das heilige Pfingstfest, das Fest der Ausgießung des heiligen Geistes, dir entgegenbringt, in Christo geliebte Festgemeinde. Der heilige Tag verkündet dir ja, daß dein Herr und Erlöser das Werk vollendet hat, welches von seinem Vater im Himmel ihm aufgetragen war. Und dieses Werk hatte er unternommen, auf daß er erscheine denen, die da sitzen in Finsterniß und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens (Luc. l, 7. 9). Um aber zu diesem Frieden hindurchzudringen, hat der Herzog unserer Seligkeit einen schweren Kampf auf sich nehmen, ja sein ganzes Leben hat ein Kampf sein müssen. Es galt dieser Kampf den feindlichen Mächten, welche seine Brüder gefangen hielten in Finsterniß und Schatten des Todes, dem Fürsten dieser Welt und der verderblichen Macht der Sünde. Und der eingeborene Sohn Gottes hat in seiner großen Liebe zu seinen bedrängten Brüdern diesen schweren Kampf nicht gescheut. Er hat die Herrlichkeit, die er bei dem Vater hatte, verlassen und hat sich in das Lager des Feindes selbst begeben, auf diese Erde, über welche der böse Feind die Finsterniß des Todes immer dichter sich hatte lagern lassen, in unser gesunkenes Geschlecht, welches immer tiefer verstrickt worden war in seine schimpfliche Knechtschaft. Um uns zu helfen, hat er sich auf das innigste mit uns verbunden. Er hat unsere Knechtsgestalt angenommen und ist in die ganze Noth unseres Lebens eingetreten; nur daß der Versucher ihn in die Bande der Sünde nicht hat schlagen können. Durch Worte ewiger Wahrheit und durch Thaten göttlicher Liebe hat er seine verirrten Brüder um sich gesammelt und die feindlichen Mächte bekämpft; und da der Kampf durch kein anderes Mittel entschieden werden konnte, so hat er endlich sein Leben hingegeben für seine Freunde. Durch seine Auferstehung aber ist der vermeintliche Triumph des Fürsten dieser Welt vielmehr zur Niederlage ausgeschlagen. Und nun lautete der erste Gruß des Auferstandenen an seine Jünger: „Friede sei mit euch!“ Ja, Geliebte, unser göttlicher Siegesfürst ist auch der rechte Friedensfürst. Als solchen erkannten ihn seine Jünger in seliger Freude, da er am ersten christlichen Pfingstfeste seiner Verheißung gemäß in der Fülle seines heiligen Geistes wieder zu ihnen kam. Da verstanden sie das Wort, welches er zu ihnen gesagt hatte: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich auch; nicht gebe ich wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!“ O möchte auch uns, meine liebe Gemeinde, das heilige Pfingstfest ein Fest des Friedens werden! - des seligen Gottesfriedens, welcher höher ist, denn alle Vernunft, welchen die Welt uns nicht zu geben, aber auch nicht zu rauben vermag. Denn in ihm kann doch die Seele allein ihr volles Genüge finden, weil er sie in Verbindung bringt mit ihrem Gott, und unsere Herzen und Sinne, unser ganzes Wesen und Leben bewahret zum ewigen Leben. Dazu wolle der gnädige Gott unser Pfingstfest und auch unsere gegenwärtige Betrachtung an uns allen lassen gesegnet sein!
Lied: 235, 3.
Auf! schmückt das Fest mit Maien,
Umkränzt mit Blumen den Altar!
Laßt uns ein Loblied weihen
Dem Geiste, der uns neu gebar!
Vergeßt heut' aller Schmerzen;
Was irdisch ist, vergeßt!
Heut' ist das Fest der Herzen,
Der Geister Weihefest.
Komm denn, o Geist der Wahrheit!'
Leit' uns - die Demuth fleht's -
In immer hell‘re Klarheit,
Und bleibe bei uns stets!
Text: Joh. 14, 23-31.
Jesus antwortete, und sprach zu ihm: Wer mich liebet, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen, und Wohnung bei ihm machen. Wer aber mich nicht liebet, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr höret, ist nicht mein, sondern des Vaters, der mich gesandt hat. Solches habe ich zu euch geredet, weil ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, derselbige wird es euch alles lehren, und euch erinnern alles deß, das ich euch gesagt habe. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht. Ihr habt gehöret, daß ich euch gesagt habe: „Ich gehe hin, und komme wieder zu euch.“ Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, daß ich gesagt habe: „Ich gehe zum Vater;“ denn der Vater ist größer, denn ich. Und nun habe ich es euch gesagt, ehe denn es geschiehet, auf daß, wenn es nun geschehen wird, daß ihr glaubet. Ich werde hinfort mehr nicht viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt, und hat nichts an mir. Aber auf daß die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe, und ich also thue, wie mir der Vater geboten hat, stehet auf, und lasset uns von hinnen gehen.
Gerade in dem Mittelpunkte dieses Textes steht die herrliche Friedensverheißung unseres Herrn: „Den Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!“ An dieses Wort wollen wir uns denn halten und zu unserer Erbauung jetzt mit einander betrachten den Frieden, welchen Christus uns gibt, in seinem Unterschiede von dem Frieden, welchen die Welt gibt. Der Friede, den Christus gibt, ist aber erstens ein gründlicher Friede, während der Friede der Welt oberflächlich ist. Der Friede, den Christus gibt, ist zweitens ein edler Friede, während der Friede der Welt faul und schmachvoll ist. Und der Friede, den Christus gibt, ist drittens ein ewiger Friede, während der Friede der Welt unsicher und wandelbar ist.
l.
Wenn wir, meine geliebten Freunde, das Ziel, auf welches das gesammte menschliche Trachten gerichtet ist, mit Einem Worte bezeichnen sollen; so können wir sagen, daß dieses Ziel nichts anders ist, als der Friede im umfassendsten Sinne des Wortes. Denn dieser volle Begriff des Friedens schließt ja ein, daß wir frei sind von beunruhigender Zwietracht und verderblichem Kampf, von uns bedrängender Noth und Sorge, von quälenden Bedürfnissen und Entbehrungen; und wenn wir frei sind von diesem Allen, dann haben wir ja. was unser Herz nur wünschen kann, und nach was sollten wir da weiter noch trachten? In der That gilt auch all unser Sorgen und Zagen, all unser Rennen und Jagen, die Sorge, die dich begleitet bis in die Träume auf deinem nächtlichen Lager und die dich wieder aufweckt zu der neuen Arbeit, in welcher du dein Tagewerk verrichtest, das Alles gilt im Grunde nichts Anderem, als dem ersehnten Ziele des Friedens. - Der natürliche Mensch nun, welchen sein sündiger, selbstsüchtiger Wille zu dem Vergänglichen hinzieht, trachtet nach dem Frieden, welchen die Welt gibt. Er sucht seinen Frieden bei den Gütern dieser Welt, bei weltlicher Ehre und einem weitreichenden Einfluß und noch mehr bei irdischem Reichthume und bei wildem und wüstem, oder bei verfeinertem und behaglichem Genuß dieses zeitlichen Lebens. Ja gewiß in keiner Zeit hat so sehr und in solchem Umfange wie in der unsrigen, die sich doch ihrer Aufklärung und Bildung und ihres geistigen Fortschrittes nicht genug rühmen kann, das tolle Rennen und Jagen nach Geld und nach Genuß, wie ein wilder Taumel, die Menschen ergriffen; und es sieht aus, als ob die große Menge zum höchsten Vorbild jenen reichen Thoren im Evangelium sich ausersehen habe, welchen Christus vielmehr zur Warnung uns hingestellt hat und welcher zu seiner Seele sprach (Luc. 12, 19): „Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre; habe nun gute Ruhe, iß, trink und habe guten Muth!“ Sehen wir aber nur etwas genauer zu, meine Lieben, so müssen wir uns überzeugen, daß dieser Friede, wie ihn die Welt gibt, doch nur ein oberflächlicher Friede ist. welcher dem Menschen eine gründliche Befriedigung nicht zu geben vermag. Wie glänzend stand vor dem lüsternen Auge des Ehrgeizigen das Bild der ehrenvollen und einflußreichen Stellung, auf deren Erreichung fein eifrigstes Trachten gerichtet war; aber wenn er sie nun erreicht hat. so erscheint sie als unbedeutend und wird nur ein neuer Antrieb für das begehrliche Herz/ wieder Höherem nachzujagen. Wie schön dachte es sich der Habsüchtige, wenn er zu dem nur mäßigen Besitz gelangt sei, welcher das Ziel seines Strebens war, und nun ruhig sein Leben genießen könne; aber ist er dabei angekommen, so erscheint ihm, was früher das höchste Ziel seiner Wünsche war, jetzt als ein gar armseliges Loos, und er muß mehr und immer mehr haben. Zu einem ruhigen Genuß des Lebens aber kommt er gar nicht; sondern mit seinem Reichthum mehren sich nur seine Sorgen und seine Arbeit; und wie ein Irrlicht tanzt das Bild des ersehnten Glückes vor ihm her, und, statt ihn zu dem Frieden seiner wahren Heimath gelangen zu lassen, führt es ihn in der Wüste eines äußerlichen Weltlebens nur in der Irre umher. Es würde anders sein, Geliebte, wenn der Mensch nur aus Fleisch und Blut bestände, wenn er nicht auch eine unsterbliche Seele hätte. Das Verlangen dieser unsterblichen Seele aber, in welcher Geist von dem Geiste des ewigen Gottes wohnet und wirkt, läßt sich mit vergänglichen Erdengütern nicht stillen. Man kann sie damit eine Zeit lang täuschen, wie man auch den hungernden Leib in Ermangelung wirklicher Nahrung eine Weile hinhalten kann mit Gegenständen, welche, ohne wirklichen Nahrungsstoff zu enthalten, seiner Eßlust und seinen Ernährungswerkzeugen nur etwas zu thun geben. Aber wie dem Leibe dadurch keine wirkliche Sättigung wird; so kann auch die Seele keine gründliche Befriedigung finden in dem, was die Welt ihr zu geben vermag, und ob sie auch rastlos von einem vergänglichen Gut zum andern gehetzt würde. - Ihre volle Befriedigung findet sie nur in dem Frieden, welchen Christus uns verheißt, wenn er sagt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich wie die Welt gibt.“ Wir haben vorhin gesagt, daß alles menschliche Dichten und Trachten, als auf sein letztes Ziel, auf den Frieden gerichtet sei. Auch die heilige Schrift sagt, daß Gott uns zum Frieden berufen habe (1. Kor. 7. 15). Und um uns den wahren Frieden zu bringen, dazu ist Jesus Christus in die Welt gekommen. Darum hat schon im alten Bunde der Prophet Jesaia den künftigen Erlöser angekündigt als den Friedensfürsten. „Friede auf Erden“ hat bei seiner Geburt der Lobgesang der himmlischen Heerschaaren angekündigt. Und der gottgesandte Friedensfürst selbst hat sich bei seinen in der Knechtschaft der Sünde und im Dienste des vergänglichen Wesens friedlos gewordenen Brüdern eingeführt mit der freundlichen Einladung (Matth. 11, 28. 29): „Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Seine Jünger, welche sein Evangelium hinaustragen in die Welt, werden bezeichnet als die Boten, welche den Frieden verkündigen (Röm. 10, 15). Und der Apostel Paulus faßt den ganzen Segen des Christenthums zusammen in das einfache Gebet: „Der Herr des Friedens gebe euch Frieden allenthalben und auf allerlei Weise (2. Thess. 3, 16).“ Der Friede aber, welchen Christus uns gibt, das ist ein gründlicher Friede. Denn worin besteht denn dieser Friede? Die Antwort auf diese Frage liegt in den Anfangsworten unseres heutigen Textes: „Wer mich liebet, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Der Friede, den Christus uns gibt, kommt dadurch zu Stande, daß der Vater uns in der Sendung seines Sohnes zuerst seine Liebe bezeugt und verbürgt hat. Im Glauben an den Sohn müssen wir diese Liebe des Vaters erfassen. Dann schließt das Herz sich auf, daß Vater und Sohn in Liebe sich zu uns herabneigen und in der Kraft des heiligen Geistes, welcher von ihnen ausgeht, Wohnung bei uns machen können. Und in dieser Verbindung mit dem ewigen und lebendigen Gott, da findet die Seele erst ihren vollen Frieden. Es gibt kein anderes Gut, was ihr Verlangen vollkommen stillen und sie ganz ausfüllen kann. Dabei behalten allerdings auch die Ansprüche des äußeren Lebens ihr Recht. Ja diese werden auch ihre rechte Befriedigung erst dann finden, wenn vor allem die Seele ihren Frieden mit Gott gefunden hat. Das begehrliche Herz wird dann in die rechten Schranken zurückgewiesen ^werden; auch die Angelegenheiten des äußeren Lebens wird man auf das höchste Ziel, auf das Reich Gottes, beziehen lernen; man wird nicht in selbstsüchtigem Jagen nur nach eignem Gewinn die liebevolle Rücksicht auf die Brüder vergessen; und so wird der innere Frieden der Seele auch über das äußere Leben den Segen des Friedens verbreiten. Aber wehe uns, wenn wir in thörichtem Trachten nach dem oberflächlichen und täuschenden Frieden mit der Welt versäumen, vor Allem den gründlichen Frieden, den Frieden mit Gott, zu suchen! Möge vielmehr der Geist der Wahrheit uns leiten und treiben, daß wir aus dem vielgeschäftigen Marthadienste des Weltlebens und unseres äußeren Berufes, welcher den Hunger unserer Seele doch nicht zu stillen und sie von der Unruhe und Angst des Irdischen nicht zu befreien vermag, nach der Mahnung unseres Herrn immer wieder gerne mit Maria zu seinen Füßen zurückkehren, um bei ihm das Eine zu suchen, was noth ist, den Frieden Gottes, welchen die Welt nicht zu geben vermag, sondern nur unser Herr und Heiland Jesus Christus, indem er uns von dem knechtischen Dienste des vergänglichen Wesens erlöst und uns in den seligen Frieden des Vaterhauses, in die Gemeinschaft mit dem ewigen und lebendigen Gott zurückführt.
II.
Und wie der Friede, welchen Christus uns gibt, einzig und allein der recht gründliche Friede ist, so ist er zweitens auch ein edler Friede, während der Friede, welchen die Welt gibt, nur ein schmachvoller und fauler Frieden ist. -
Wie kommt denn nach den Kämpfen, welche ganze Völker miteinander führen, ein solcher schmachvoller Friede zu Stande? Offenbar dadurch, daß ein Volk, um nur um jeden Preis Ruhe zu bekommen, seine Ehre daran gibt, indem es die edelsten Güter, auf welchen seine wahre Würde beruht, indem es sein eigenthümliches Wesen, wonach es von Gott berufen ist, innerhalb des menschlichen Geschlechtes und dessen fortschreitender Entwicklung einen eigenthümlichen weltgeschichtlichen Beruf zu erfüllen, indem es seine Freiheit und die selbständige Verwaltung j einer Angelegenheiten opfert, um dagegen die mir zeitlichen Vortheile der äußeren Ruhe, des äußeren Wohlstandes und nichtiger Ehren, welche ihm zuzuerkennen der fremde Machthaber vielleicht für gut findet, sich zu sichern, und indem es damit eigentlich sich selbst aufgibt. Ein solcher schmachvoller Friede ist aber immer auch ein fauler Friede. Er beruhet nicht auf ehrlicher Verständigung. Die Unterdrückten werden unter der äußerlichen Ruhe - und wohl ihnen, wenn das noch der Fall ist! - das drückende Gefühl ihrer Schande nicht los. Sie warten nur die Gelegenheit ab, um das drückende Joch abzuschütteln und durch einen ehrlichen Krieg dem schimpflichen und faulen Frieden ein Ende zu machen. Und ein solcher schmachvoller Friede ist nun auch der Friede, welchen die Welt uns gibt. Die Ehre und Würde des Menschen beruht gerade darauf, daß er berufen ist, nicht in dem Dienste dieser vergänglichen Welt sich selbst zu verlieren, sondern zu bestehen in dem Dienst des ewigen und heiligen Gottes. Verläugnen wir diesen Beruf um der äußerlichen Vortheile willen, womit die Welt ihre Diener lohnt, so geben wir unsere wahre Würde und unser besseres Selbst auf. Und wenn wir das köstliche Heimathsrecht der Kinder Gottes hingeben, um Kinder dieser Welt zu werden, um in ihr unsere einzige Heimath, in ihren trügerischen Gütern und flüchtigen Genüssen unser einziges Glück zu finden; so sind wir nicht besser als Esau, der sein Erstgeburtsrecht um ein Linsengericht verkauft, ja wir sind nicht besser, als Judas, der seinen Herrn und Heiland um ein paar elende Silberlinge verschachert hat. Und wohl uns, wenn dieser Friede mit der Welt auch von uns noch als ein fauler Frieden empfunden wird, wenn das Gefühl der Schande, in welche er uns gestürzt hat, uns noch nicht verlassen hat, wenn unsere arme Seele, die wir in den Dienst der Welt verkauft haben, sich aus der Nichtigkeit dieses elenden Lebens noch in das Vaterhaus zurücksehnt! Denn, wenn der Mensch erst an die Schmach seiner Knechtschaft sich so gewöhnt, daß er sie gar nicht mehr empfindet, dann schreitet unter der täuschenden Hülle eines heiteren, ja vielleicht eines glänzenden äußeren Lebens die innere Fäulniß unaufhaltsam fort und läßt endlich den Menschen bei lebendigem Leibe, in Gleichgültigkeit gegen alle höheren und wahren Güter des Lebens und gegen seinen eigentlichen Beruf, dem geistlichen Tode verfallen. Als zu Anfange dieses Jahrhunderts der französische Unterdrücker unser Vaterland mit Krieg überzog; da war es das heiße Gebet der Besten in unserem Volke, daß doch nicht ein fauler Friede diesem Kriege ein Ende machen, sondern daß er lieber möge durchgekämpft werden bis zum letzten Athemzuge. Und als dann doch verschiedene Stämme und Staaten unseres zerrissenen Volkes dem Eroberer zur Beute wurden, und er Fürsten und Völker ihre Knechtschaft zu versüßen wußte mit allerlei äußerlichen Vortheilen, scheinbaren Ehren und nichtigen Titeln; da war es wieder das Gebet unserer besten Männer, daß doch der allmächtige und gerechte und barmherzige Gott diesem faulen Frieden ein Ende machen wolle! Und dieses Gebet hat Erhörung gefunden: aus dem faulen Frieden ist ein gesunder Krieg und aus dem gesunden Krieg ein edler Friede hervorgegangen. So, meine geliebten Freunde, muß auch unserem schmachvollen Frieden mit der Welt ein Ende gemacht werden. Wir müssen uns zum Kriege rüsten nach dem Worte unseres Herrn; denn in Bezug auf diesen schwachvollen und faulen Weltfrieden hat er gesagt, daß er nicht gekommen sei, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Dann wird es uns mit Gottes Hülfe gelingen zu dem Frieden hindurchzudringen, den Christus uns gibt, - Und das ist ein edler Friede, meine Lieben! Er geht hervor aus dem siegreichen Kampfe gegen den Feind, welcher uns unserer wahren Freiheit, Ehre und Würde berauben will, aus dem Kampfe gegen die Sünde, welche uns aus unserem wahren Berufe, Gott den Herrn anzubeten und ihm allein zu dienen, herabziehen will in den Dienst des vergänglichen Wesens. Er wird erkämpft unter dem Beistande des allmächtigen Gottes und seines eingeborenen Sohnes, welchen Gottes Gnade als den rechten Mitstreiter in diesem Kampfe uns auserkoren hat. Und wenn wir in diesem Kampfe bestehen, wenn wir den schnöden Sündenlohn von uns weisen, womit die Welt in ihren Dienst uns locken und das Joch ihrer schimpflichen Knechtschaft uns schmücken und versüßen will, wenn wir gegen ihre Versuchung unsere ewigen Güter des wahren Lebens schützen; dann geschieht auch uns, was damals geschah, als der Versucher vor der sündlosen Reinheit des Erlösers und vor seinem standhaften Gehorsam gegen seinen Vater im Himmel weichen mußte: Die Engel Gottes traten zu dem Herrn und dienten ihm. Auch wir, meine geliebten Freunde, werden dann angethan mit Kraft aus der Höhe. Der heilige Geist, welchen der Sohn vom Vater uns sendet, gießet die heilige Liebe aus in unser Herz, welche uns treibt und lehrt, sein Wort zu halten und seinem Dienste treu zu bleiben, und welche uns mit dem seligen Bewußtsein unserer lebendigen Verbindung mit dem Gut aller Güter, mit unserem Vater im Himmel, erfüllt. Und je länger und je tiefer wir uns hineinleben in diesen edlen Gottesfrieden, desto wohler wird es uns um's Herz, desto lebendiger überzeugen wir uns, daß wir in dem Dienst und unter der Hut eines guten und mächtigen Herrn stehen, und desto mehr lernen wir die Güter erkennen und schützen, welche sein Friede uns verbürgt. Unser euch allen bekanntes Lied: „Nun danket alle Gott“ ist von dem seligen Martin Rinkart zu der Zeit verfaßt, da aus der entsetzlichen Noth des dreißigjährigen Krieges endlich die Hoffnung des ersehnten Friedens auftauchte. Es spricht sich aber in diesem Liede das Gemüth eines Mannes aus. welcher, obwohl er von jener Noth persönlich auf das furchtbarste und auf eine für uns kaum glaubliche Weise zu leiden hatte, doch inmitten des wilden Kampfes der Welt im Glauben an seinen Erlöser und Versöhner den edlen Gottesfrieden sich bewahrt hatte. Und darum betet er in jenem Liede: Der ewig reiche Gott woll' uns bei unsrem Leben Ein immer fröhlich Herz und edlen Frieden geben Und uns in seiner Gnad' erhalten fort und fort; Und uns aus aller Noth erlösen hier und dort! Und das. meine lieben Brüder und Schwestern, laßt auch unser herzlichstes Gebet sein, daß der ewig reiche Gott durch seinen .Sohn uns diesen edlen Frieden geben wolle. Denn damit gibt er uns in der That Alles. Wir sind dann gewiß, daß er in seiner Gnade uns fort und fort erhalten wird. Und dann darf ja unser Herz allezeit fröhlich sein; denn keine Noth und keine Lust der Welt kann uns dann das Ziel unseres wahren Berufes verrücken und von dem wahren Leben und seinen unvergänglichen Gütern uns scheiden.
III.
Und dieß führt uns denn endlich drittens noch darauf, daß der Friede, welchen Christus gibt, auch ein dauerhafter. ewiger Friede ist. während der Friede der Welt unsicher und wandelbar ist. - Wie der Grund, auf welchem er ruhet, so ist der Friede mit der Welt selbst unsicher und wandelbar. Denn er ruhet ja nur auf der Verbindung des Menschen mit den Gütern dieser Welt. Und sollte ich nun nöthig haben, die Unsicherheit und Wandelbarkeit dieser Güter weitläufig zu beweisen und auseinanderzusetzen in einer Stadt und unter Verhältnissen, in welchen man von der Zerbrechlichkeit alles irdischen Reichthums fast täglich bestimmte und oft wahrhaft erschütternde Erfahrungen machen kann; in einer Zeit, da auch solche Ordnungen der menschlichen Gesellschaft, welche man als festgegründet anzusehen gewohnt war, zu wanken anfangen; in einem Leben, in welchem jede Stunde ein neues Zeugniß davon bringt, daß wir mitten in ihm vom Tode umfangen find? Und gegen so unzuverlässige Güter sollen wir den sicheren Besitz der ewigen Güter hingeben, auf welche unser Vater im Himmel uns eigentlich angewiesen hat, und in welchen unsere Seele allein ihren wahren und vollen Frieden finden kann? Wahrlich, wer diesen thörichten Tausch eingeht, der gleicht jenen unseligen Menschen, von welchen die Volkssage erzählt, daß sie mit dem Bösen einen Bund eingegangen und von ihm um den Preis ihrer Seele Haufen Goldes empfangen hätten, daß diese aber, da sie ihres Reichthums sich nun hätten erfreuen wollen, in unnütze Kohlen verwandelt gewesen seien; denn welches Gut dieser Welt muß sich nicht als werthloser Staub und Asche erweisen, wenn es dazu dienen soll, einen Verlust an dem Heil unserer Seele zu ersetzen? Und wenn es auch vorhält so lange, als dieses flüchtige Erdenleben selbst, o wie oft brennt es wie feurige Kohle im Herzen derer, die es gesammelt haben, mit den stechenden und quälenden Schmerzen des bösen Gewissens. Uns ist es ja nicht gegeben, durch die äußere Erscheinung des Menschen hindurchzuschauen in sein Herz. O, wie viel glänzendes Elend würden wir sonst entdecken! Wie würden wir durch den trügerischen Schein äußeren Friedens und Behagens hineinsehen in so manches vollkommen friedlose und in seiner Friedlosigkeit elende Herz. Der allwissende und heilige Gott aber sieht wirklich hinein, und er kennt auch die Stunde, da er dem vergänglichen Frieden der Welt ein Ende machen wird, indem er denjenigen, welche nur diesen Frieden gesucht haben, zuruft (Luc. 12, 20): „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und was wird es sein, das du bereitet hast?“ - O so laßt uns doch von diesem unsicheren und wandelbaren Scheinfrieden der Welt hinüber flüchten zu dem Frieden, welchen Christus uns gibt; denn der ist dauerhaft und ewig. Selber dieses seligen Gottesfriedens voll im Bewußtsein der vollkommensten Gemeinschaft mit seinem Vater im Himmel, hat Jesus Christus im Angesichte des schwersten Kampfes und des qualvollsten Todes zu den Seinen die Worte des Friedens in unserem Texte gesprochen. Er schließt sie mit der Aufforderung: „Auf daß die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe und ich also thue, wie mir der Vater geboten hat: „stehet auf und lasset uns von hinnen gehen!“ Mit diesen Worten ist er vom letzten Abschiedsmahle seinem Leidens- und Todeskampf entgegengegangen. In der Gewißheit des unzerstörbaren Friedens mit seinem Gott bat er den Kampf mit der Welt getrost wagen können; er hat gewußt, daß der Fürst dieser Welt keinen Theil an ihm habe. Als er im Garten zu Gethsemane in den tiefsten Seelenschmerzen mit seinem Gott rang, hat er doch in der völligen Ergebung in den Willen seines Vaters den Frieden behalten. Als er am Kreuze schrie: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen?“ da ist es doch unter der furchtbaren Last seiner Schmerzen Friede geblieben in seiner Seele, und dieser Friede hat ihm verbürgt, daß es doch sein Gott und Vater sei, der diese schwere Last ihm auferlege, und in Frieden hat er seinen Geist in die Hände seines Vaters befohlen. Und nicht umsonst, meine Lieben, hat der Auferstandene auch die Seinen zuerst mit der freudigen Friedensbotschaft begrüßt. Er hat ihnen, da er von ihnen scheiden mußte, den Tröster gesandt, seinen heiligen Geist, der ein Geist der Wahrheit und des Friedens ist, und der in alle Ewigkeit bei ihnen bleiben soll. Auch am heutigen Pfingstfeste bietet er dir, meine liebe Gemeinde, diese herrliche Gnadengabe wieder an. Und wo sie aufgenommen wird mit verlangendem, gläubigem und willigem Herzen, da werden auch wir der unzerstörbaren Gemeinschaft mit unserem Erlöser und mit unserm Gott gewiß, da ziehet der selige Gottesfriede ein, den nichts in der Welt von uns nehmen kann, sondern der unsere Herzen und Sinne bewahret zum ewigen Leben.
O du treuer, ewig reicher Gott, gieße auch heute deinen Geist aus auf deine Gemeinde und lass' ihr durch ihn die herrliche Pfingstgabe deines Friedens zu Theil werden, damit wir aus freudigem Herzen sprechen mögen:
Allein Gott in der Höh' sei Ehr,
Und Dank für deine Gnade,
Darum, daß nun und nimmermehr
Uns treffen kann kein Schade!
Ein Wohlgefalln Gott an uns hat.
Nun ist groß Fried ohn' Unterlaß,
All Fehd hat nun ein Ende!
Amen.