Augustinus, Aurelius - Nachtgedanken - Fünfzehnte Nacht. Wohnsitz der Geister.

Augustinus, Aurelius - Nachtgedanken - Fünfzehnte Nacht. Wohnsitz der Geister.

Liebe Mutter, du hast die Schuld der Natur bezahlt. Zerrissen ist das Band, zerstört der Kerker, der dich hienieden umschloss, frei und ungehindert erschwingst du dich in höhere Regionen. Aber hast du mit diesem Wechsel der Wohnung auch deine Gesinnung geändert? Gedenkst du noch in deinem jetzigen seligen Aufenthalte desjenigen, der dir hienieden so viel Kummer verursachte? Erinnern sich noch die Bewohner des Himmels an dasjenige, was ihnen hienieden zu Herzen ging, oder steigen unsere Sorgen nicht so hoch hinauf, legen wir vielleicht mit der irdischen Hülle auch die irdischen Vorstellungen ab? Teure Mutter, nach dir sehnt sich mein Herz; an dich erinnert mich nicht mehr vernunftloser Schmerz, nicht mehr der Gram, dich in deiner gewöhnlichen Gestalt nicht mehr zu schauen, sondern der Anblick des Himmels und das Verlangen nach Weisheit. O du, die du wenige Tage vor deinem Hinscheiden aus diesem Lande des Elendes mit so heißer Sehnsucht mir von den ewigen Gütern redetest, jetzt, da du sie genießt, komm' und erzähle mir von dem, was ich im sterblichen Fleische nicht schauen kann. Aber wo bist du? Siehst du mich? Hörst du mich? Wie weit von hier ist dein Aufenthalt? Wohnst du innerhalb des sichtbaren Weltalls? Wohnst du in jener blauen Höhe, wo sich die Sterne verlieren, oder über den Grenzen des Firmamentes? Wo ist das Land der Glückseligen, wo die Wohnung der Verklärten? Befindet sie sich innerhalb jener Räume, welche die Sterne beleuchten, oder in einem entfernteren Teile der unermesslichen Schöpfung? O wie vergrößern sich meine Gedanken! wie fühle ich mich über mich selbst erhoben! Mein Gedanke erhebt sich und eilt beflügelt in unbekannte Regionen. Er sucht und findet tausend neue Länder über der sichtbaren Welt, und je höher er steigt, desto weiter eröffnet sich vor ihm das Feld. Aber ewiger Gott! ist dies nicht ein bloßer Traum? Großer Traum, großes Gesicht! Aber wenn ich dann erwache, wie wenig hat dieser Traum die Wahrheit erreicht! Wie Großes der Mensch sich auch denken mag, das Verhältnis zwischen unserem Gedanken und der Macht Gottes ist noch geringer als das Verhältnis zwischen einem Sonnenstäubchen und der Welt. Ein Wink vom Allmächtigen, sieh da steigen aus dem Nichts hervor tausend größere Welten, tausend größere Wunder, als irgendein endlicher Verstand sich in Jahrtausenden denken kann.

Also wäre mein Traum doch wahr? Und es existierten wirklich die großen Welten, die ich eben sah? Wer weiß, wie weit sich die Werke des Herrn erstrecken? Wer hat sie je gemessen? Wer kennt die Grenzen zwischen der Schöpfung und dem Nichts? Hier sind wir nur in einem elenden Verbannungsorte; dennoch dehnt sich die Erde, auf die wir gebannt sind, in so unermesslichem Umfange aus. Wie groß muss das Vaterland sein, das unserer wartet! Die Heimat, in der wir uns befinden, so lange wir sterblich sind, ist nur der Aufenthalt für unseren Körper, und dieser kann sie nicht ganz durchlaufen; zu einer so großen Reise ist sein Leben zu kurz. Wie weit wird sich denn die Wohnung unseres Geistes ausdehnen, welcher der edelste Teil von uns ist, und in schnellem Fluge eilt und eine Ewigkeit durchlebt? Hienieden sind wir blind und wohnen in dunkler, finsterer Lehmhütte. Und obgleich blind und im Dunkeln sehen wir doch schon so vieles von den Werken des Herrn. Wie groß werden dann nicht jene Werke sein, die wir einst im Reiche des Lichtes schauen werden; wie weit werden sich jene schönen Gefilde ausdehnen, die uns jetzt noch verschlossen sind? Erreiche ich's, oder folg' ich nur einem trügerischen Wegweiser in jenes Land, das so fern liegt? Verbirgt mir nicht der Allerhöchste den größten und schönsten Teil der Schöpfung, um sie einst zu einer neuen Wonne mir zu enthüllen? So will ich glauben, und in diesem Glauben bestärkt mich die Heilige Schrift.

Wenn also einst der Tod meinen Geist vom Körper trennen und diese meine Sinne im Grabe auslöschen wird, so werde ich sie bei der Auferstehung vollkommen wieder erhalten mit eben diesem Körper, der alsdann geistig und unverweslich sein wird. Dieser Körper, alsdann verklärt, verwandelt und nicht mehr Hindernis des Geistes, den er jetzt umhüllt, wird das weite Gebiet der sichtbaren Dinge durchwandern, bei jedem Schritte neue Wunder der göttlichen Allmacht anstaunend. Bald wird er sich versenken in tiefe Betrachtung eines Meisterwerkes der Schöpferhand, bald in eiligem Fluge blitzschnell den gestirnten Himmel von einem Pole zum anderen durcheilen, um andere Gegenstände zu bewundern, aus denen ebenso sehr die Weisheit und Macht des Schöpfers hervorleuchtet.

Wie wenn ein Kind, das noch nie die väterliche Wohnung verlassen, von einem anderen das grünende und mit schönen Frühlingsblumen geschmückte Ufer entlang geführt wird; voll Freude bleibt es stehen bei den ersten Blumen, die es antrifft, und die sein noch ungeübtes Auge in Erstaunen setzen, emsig sammelt es davon ein, so viele seine zarten Hände fassen können. Aber sieh', nach wenigen Schritten findet es wieder neue. Vor Freude außer sich betrachtet es bald die einen, bald die anderen, und bleibt unschlüssig, welche es für schöner halten soll. Endlich wirft es, wiewohl ungern, die ersteren ins Gras hin und pflückt sich die anderen. Aber kaum hat es sich aufgerichtet und seinen Weg verfolgt, da begegnen seinem Blicke wieder andere in großer Menge, die es vorher nie gesehen und sehen es von neuem in Verlegenheit. So schreitet es vorwärts und bei jedem Schritte wird es aufgehalten und hüpft vor Freude und Verwunderung, bis es zulegt an eine große Wiese gelangt, die seinem Auge einen unermesslichen Teppich von tausend und abermals tausend bunten Blumen entfaltet. Dann wirft es seinen erstaunten Blick bald hierhin, bald dorthin und schlägt in die Händchen und kann sich nicht satt sehen und kann nicht von der Stelle kommen. Aber wie wäre es, wenn gleich auf diesen Anblick in unermesslicher Ausdehnung und weiter, als sein Auge reicht, sich königliche Lustgärten vor ihm eröffneten? Und wenn es nun nicht mehr hin und wieder zerstreute, sondern künstlich gesammelte, nicht mehr wilde und gewöhnliche, sondern wunderschöne und fremde Blumen erblickte, hier unter edlen Gewächsen, oder auf künstlichem Rasen, dort auf Gesträuchen, in langen Reihen geordnet, dort unter dem frischen Strahl des murmelnden Wassers, hier an dem Ufer eines klaren Baches, dort unter Kunstgebilden aus Marmor? So wird der unsterbliche Mensch mit Windesschnelle die dem irdischen Menschen unbekannten Regionen durcheilen und wird mit jedem Schritte neue Blumen des Vergnügens und des Staunens sammeln, während sein Geist, nicht mehr von Finsternis umhüllt, sondern ganz entfesselt, rein und mit himmlischem Lichte bekleidet, die ewige Wahrheit ohne Hülle schauen wird.

Fern ihr alle, deren Lust im Sinnlichen beruht und denen das Geistige zu hoch steht, denen die Vernunft eine lästige Gebieterin und denen der Glaube unbekannt ist. Fern ihr alle, die ihr den Tag hasset, der dem Menschen hienieden seine Zukunft enthüllt. Euere Gedanken streifen an der Erde, sind durch die Zeit beschränkt und dürfen sich nicht dorthin erheben, wohin mich jetzt ein überirdischer Glanz einlädt. Ich suche nicht mehr den körperlichen Wohnsitz der seligen Bürger, suche nicht mehr das Gebiet des neuen Himmels und der neuen Erde, die ihrer beim Hinscheiden aus diesem armen Leben harren; ein anderer Wohnsitz zieht meine Gedanken auf sich hin, der Wohnsitz ihrer Geister. Dieses Gebiet durcheilen seine Bewohner mit Blitzesschnelle und kommen ewig an kein Ende. In Vergleich mit diesem Gebiet ist alles Erschaffene nichts, da gibt es weder Raum noch Zeit noch Materie. Alles ist unendlich, und dieser große Wohnsitz ist Gott.

Meer, in dem sich alles verliert, was da groß genannt wird, bodenloses, uferloses Meer, wer kann deine unermessliche Größe beschreiben, wer deine Tiefen ausmessen? Nicht nur alles wirklich Erschaffene, auch die unzählige Menge möglicher Wesen, alles ist in dir einbegriffen. Alles, was da ist, ward durch deinen Willen aus dem Nichts hervorgezogen; alles bestand schon vorher in dem Schatze deiner Allmacht und Weisheit, und auch jetzt umfasst du alles wie das Sandkörnchen im ungeheuren Weltmeere. Der Gerechte, der Vollkommene, der in dem anderen Leben keine Makel zu tilgen hat, schließt seine Augen dem gegenwärtigen Leben und öffnet sie einer ewigen Freude. Dort sieht er alles ohne Hülle; er schaut den Ewigen, dessen Bild er ist, und wird vor Freude entzückt … O, in dieser sterblichen Hülle fühle ich mich schon jenem erhabenen Ziele nahe. Die Hülle sinkt, der Geist zerbricht seine Bande, schon tauche ich mich in die Tiefen der Gottheit, die sich mir offenbart.

Wo bin ich? was seh' ich? welche neue Aussicht eröffnet sich meinem Geiste? Was für neue Sinne empfang' ich auf einmal? Ein neues Licht strahlt mir vor den Augen und umglänzt mich und macht mich zu einem höheren Wesen. Du unendliche Weisheit, die du offen und ohne Hülle mich umgibst! Welch große Gestalten erheben sich rings um mich her? Welch eine endlose Verkettung von Wirkungen und Ursachen, die ich früher nicht kannte? Wie viele Wesen, die ich mir nimmer denken konnte? Wie viele Klassen unbekannter Gegenstände und neuer ungeahnter Wesen? Wie viele höhere Welten, die erst werden sollen? Ach! was waren doch meine Sinne, meine Vorstellungen, meine Vernunft und der kurze Inbegriff meines Wissens? O wie düster und enge war meine Höhle! Was für ein Land bewohnte ich? Ich war blind; nun aber sehe ich und je weiter ich wandere, desto mehr finde ich zu bewundern. Wo ist mein früherer Aufenthaltsort, die Erde, die mir bekannte Welt? Ist es jener Punkt? Und wo ist die Zeit? Das ist der andere Punkt, der Maßstab von jenem. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, verflossene und zukünftige Jahrhunderte, große Namen sind darauf beschränkt und verlieren sich und sinken in dieses unermessliche Meer. Von allen Seiten bedeckt sie die Unendlichkeit, und die Ewigkeit verschlingt sie in ihren bodenlosen Abgründen. So lasst uns denn weiter gehen und das Ende dieser großen Wunder schauen. Aber immer größere Erscheinungen, Wunder auf Wunder. Wo endigt sich dieses Meer von Wundern? Ich komme doch nicht von der Stelle. Schon hat die Sonne, die mein irdisches Vaterland beleuchtet, tausend und tausendmal ihren großen Lauf durch die zwölf Zeichen vollendet, während ich hier voranstrebe und ich bin noch keinen Schritt weiter gekommen. Immer noch habe ich unermessliche Räume zu durchlaufen. Ich schaue und beobachte und bringe im Schauen Jahrhunderte zu, und immer ist's, als hätte ich erst diesen Augenblick angefangen. Jeden Augenblick quillen tausend und tausend neue Gegenstände aus dem unerschöpflichen Born, und die Quelle nimmt nicht ab, versiegt nicht, sie strömt ewig fort. Ach, ich bin nicht mehr im Reiche der Endlichkeit, rings umgibt mich das Unendliche, das ist meine Wohnung. Hier wird doch endlich mein Geist immer lüstern nach neuen Gegenständen, gesättigt; hier wird mein unauslöschlicher Durst nach Weisheit endlich gestillt. Welch eine dreifache und doch einfache Sonne, die alles erleuchtet, hervorbringt, belebt und umgibt! O, ich kann den Glanz dieses Lichtes nicht ertragen. In Vergleich mit diesem Lichte ist die Sonne, die den Erdball erleuchtet, dunkle Nacht. O welch ein vielfacher, wunderbarer Glanz! Mit ihm verglichen hat der glänzende Regenbogen nur Eine Farbe. Ist das die ewige Weisheit, die so glänzt? Ist das die Gerechtigkeit, die in so mannigfaltigem und doch unzerteiltem Lichte strahlt? Ist das die Güte, die dieses Licht und diese Wärme verbreitet? Sieh' da den Urquell 10 großer Wunder, den Urquell der Weisheit und Tugend. Ist dieses das göttliche Antlitz, das Urwesen? O Größe! o Schönheit! o Majestät! Wo finde ich eine Sprache, wo Worte, mich auszudrücken? Ihr himmlischen Wesen, ihr Geister, die ihr in diesem unermesslichen Meere schwimmt, welche Sprache redet ihr? Wie nennt ihr hier denjenigen, den Adams schwaches Geschlecht auf

Erden Gott nennt? Aber keiner gibt mir Antwort; keiner merkt auf meine Worte. Alles ist hier stumm vor dem höchsten Wesen, alles in ihn versunken, und kein Laut ertönt. Hier ist nicht mehr das Land der Bilder, der Allmächtige hat keinen Namen, der ihn würdig bezeichnet. Die einzige Sprache, die hier gilt, ist Liebe, Freude, Ehrfurcht, Bewunderung, Erstaunen. Hier schaut man und wird des Schauens nicht müde. Die unzähligen Scharen der seligen Geister sind seit Jahrhunderten in Betrachtung des höchsten Wesens, der Quelle ihrer Seligkeit, versunken, und immer ist es noch der erste Augenblick, und noch keiner konnte sich ein Bild von ihm entwerfen. Für ein geschaffenes Wesen reicht die ganze Ewigkeit nicht hin zu einem bloßen Entwurfe. Gott allein schaut und begreift sich vollkommen.

Großer Gott! Wer bist du doch? Wer darf sich rühmen, dich zu kennen? Niedergedrückt von der Größe deiner Majestät fühle ich meine Nichtigkeit. Solange ich mich mit geschaffenen Wesen vergleiche, glaube ich etwas zu sein; aber vor dir bin ich nur ein Sonnenstäubchen. Solange ich mein eigenes Wesen und meine Fähigkeiten betrachte, scheine ich etwas Großes an mir wahrzunehmen. König der Erde ist ein Titel, der meiner Eitelkeit schmeichelt. Groß scheint mir der Geist

, der ganze Königreiche, der die Tiefe des Meeres und die Dauer von Jahrhunderten umfasst.

Aber vor deiner Größe verliere ich mich, ich verschwinde und mit mir verschwindet mein Gedanke. Wo ist nun der Schauplatz des Ruhmes für den Menschen, der sich groß dünkt ohne Gott; wo ist der Held der Erde, wo der Eroberer, wo der König? Hier ist die ganze Welt verschwunden, und doch will der Mensch noch etwas Großes jein? O, die einzige Größe des Menschen besteht darin, dass er fähig ist, sich zu dem zu erschwingen, der allein groß ist. Die höchste Höhe, zu der ein endliches Wesen hinaufsteigen kann, der höchste Flug des vernünftigen Geschöpfes besteht darin, dass es im Gefühle seiner Nichtigkeit vor dem Allerhöchsten niedersinke. Der Mensch, der diese große Probe nicht besteht, ist nichts. Wie weit auch immer sein Lob erschallen mag in dem Lande, das er bewohnt, er bleibt dennoch ein Insekt ohne Flügel, ein blinder Wurm und nichtiger Staub. Er hat nicht einmal einen Begriff von wahrer Größe und sein Hochmut offenbart seine Niedrigkeit.

Aber ach! da komm' ich wieder zurück zu meiner finsteren Höhle. Ach! da sind' ich mich ja wieder ganz ermattet auf der Erde. Welch ein schauerlicher Aufenthalt! O welch eine schwere Last muss ich hier tragen! O wie elend komm' ich mir selber vor in diesem niedrigen Zustande! Welche Finsternisse von außen! welche Blindheit von innen! Meine körperlichen Augen sehen bloß sinnliche Dinge. Der Blick meines Geistes ist begrenzt und mit dichtem Gewölk umhüllt. Bin ich noch derselbe, der sich schon in seiner ewigen Wohnung befand? Doch ich bin es wirklich; aber wie ist mein Zustand verändert! O welch ein Unterschied ist zwischen diesem unglückseligen Lande und dem Aufenthalte der seligen Geister! Dort ist alles klar; hier alles in nächtliches Dunkel gehüllt. Wir sind hier nicht in unserem wahren Elemente. Alles hienieden hat sich verschworen, uns zu den sinnlichen Dingen herabzuziehen. Eine irdische Hütte, eine dunkle, enge Wohnung, einem Merker gleich, umschließt uns.

Bin ich nicht ein Geist? Bin ich nicht geschaffen zu einem höheren Zweck? Hienieden wohne ich als ein unglückseliger Gefangener, als ein verlassener Einsiedler. Tausend Mühseligkeiten und Kümmernisse umgeben mich von allen Seiten. Eine dichte und ungesunde Luft drückt mich zu Boden und erstickt mich. Wie viele Seuchen, wie viele schreckliche Todesarten drohen mir nicht! Welche verpestete Dünste steigen auf, mich zu vergiften! Wie viele Schlingen sind mir gelegt! Vor wie viel Fallstricken muss ich mich hüten! Ich bin zu kurzsichtig, um die Abgründe zu erkennen; der Schein trügt und die Täuschung ist verführerisch. Keinen Augenblick bin ich hienieden sicher, und ich finde nichts, was mich trösten kann. Fern von der Urquelle meiner Seligkeit bin ich genötigt, mit den Bewohnern der Erde und mit irdischen Dingen mich zu beschäftigen. Welch eine niedrige Beschäftigung, und doch hat es Gott zu meinem Besten so gewollt. Aus eigener Kraft bin ich nichts, finde auch nichts an diesen niedrigen Dingen. Alles weiß und erfahre ich vermittelst anderer. Darum sind mir die Sinne als Werkzeuge beigegeben. Sie sind meine Diener, meine Boten. Selbst die Seelen der Menschen sind hienieden voneinander getrennt durch die sterbliche Hülle, haben miteinander keine Verbindung, sind sich unsichtbar und unbekannt. Nur durch die Sinneswerkzeuge verstehen sie sich und teilen sich einander mit. Durch ihre Vermittlung schließen sich die Geister aneinander; alles geschieht durch sie; überall bedürfen wir ihrer, überall verlassen wir uns auf sie. Gott allein, unser Urheber und unser Ziel, behielt sich hienieden einen unmittelbaren Verkehr mit unserem Geiste vor und würdigt ihn seines Umganges. Er allein spricht zu unserem Geiste, unabhängig von den Sinnen, und leitet ihn nach seinem Wohlgefallen. Er ist allein sein rechtmäßiger Herr, er allein sieht ihn unverhüllt und schaut seine verborgenen Gedanken. Und wenn er zuweilen zu unseren Sinnen spricht, so hat er keine andere Absicht, als uns auf seine innere Stimme, auf seine unsichtbaren Werke aufmerksam zu machen, und sich zu unserem dermaligen armseligen Zustande herabzulassen. Erhabener Verkehr zwischen Gott und dem Menschen, Majestätsrecht unseres Schöpfers, göttlicher Vorzug der vernünftigen Wesen auf Erden, du bist in diesem Zustande mein einziger Trost. Durch dich genießen wir schon 'unsere eigentliche Bestimmung, durch dich bewohnen wir schon unsere ewige Heimat. Durch dich sind wir den seligen Geistern gleich, nur dass jene ohne Hülle schauen, was uns verborgen ist. O, wie ich mich da von neuem erhoben fühle! Da seh' ich in mir den glücklichen Keim der künftigen Größe. Ihr Bewohner der Erde, ihr Vögel der Luft, ihr Fische des Wassers, ihr zahmen und wilden Tiere und all ihr Geschöpfe dieser Erde, mir gebührt Achtung und Ehrfurcht. Wiewohl ich unter dieser niedrigen Hülle euch gleich scheine, so bin ich doch ein himmlischer Geist, der diesem irdischen Aufenthalt Ehre bringt, ein Enger, der ungekannt unter euch umherwandelt. Aber was sag ich? Zu wem sprech' ich? Mit Unrecht beklag' ich mich über euch, ihr unschuldigen Geschöpfe. Ich selbst achte mich nicht gehörig. Ihr seid mir unterworfen; ihr seid dem Menschen untertan und gehorsam, wie Gott es verordnet, und wenn ihr euch gegen uns empört, so sind wir selber schuld daran; denn ihr ahmt uns nach. Wir sind die einzigen Geschöpfe, die diese Erde entweihen. Der Mensch gab das erste Beispiel der Empörung, indem er sich gegen Gott auflehnte; und wenn ihr dem Menschen den Gehorsam versagt, so geschieht ihm Recht. Ihr straft ihn für sein Vergehen gegen

den Herrn, ihr vergeltet ihm, was er seinem Schöpfer getan, und das auf Gottes Anordnung. Und was tut ihr uns denn auch Übels, ihr unschuldigen Geschöpfe? Wohl könnt ihr mein Kleid zerreißen; aber mein eigentliches Wesen nicht verletzen. Ich allein verletze und beschimpfe in mir den Menschen, ich erniedrige das englische Wesen in mir zur niedrigsten Sklaverei und ertöte es. Oft verleite ich es zur niedrigen Gemeinschaft mit den unedlen Lüsten des Körpers. Ich verlasse die hohe Stufe eines Himmelsbürgers und geselle mich ihnen zu und werde sogar ihr Sklave, um mich mit ihnen von der niedrigen Speise der Tiere zu nähren. Ihr täuschenden und arglistigen Sklaven, ihr möchtet eueren Herrn erniedrigen, um selbst die Herrschaft zu behaupten und eine törichte Freiheit zu erringen. Aber ihr werdet einst büßen für euere Treulosigkeit, der Mensch wird büßen für seine Schlechtheit. Die Zeit wird kommen, da der Allmächtige den Herrscher, den er euch gegeben hat, zurückfordern wird; denn er ist sein Sohn. Und wenn er ihn ausgeartet und einer so hohen Ehre unwürdig findet, weh euch, ihr schmeichelnden und arglistigen Sklaven! Euer Los wird sein, wie das Los eueres Herrn, den ihr verführt habt. Eine ewige Strafe wird ihn und seinen Anhang treffen. Aber wenn er dem ewigen Herrscher getreu bleibt, so werdet ihr die ewige Belohnung mit ihm teilen.

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autoren/a/augustinus/augustinus-manuale/augustinus-nachtgedanken_15_nacht.txt · Zuletzt geändert: von aj
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