Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Der Advent in der Wüste.
(Am 2. Advent 1854.)
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.
In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Der Herr spricht durch den Propheten Jesaias zu dem Volke Israel: „Gedenkt nicht an das Alte, und achtet nicht auf das Vorige. Denn siehe, ich will ein Neues machen, jetzt soll es aufwachsen; dass ihr es erfahren werdet, dass ich Weg in der Wüste mache, und Wasserströme in der Einöde; dass mich das Tier auf dem Felde preise, und die Drachen und Straußen. Denn ich will Wasser in der Wüste und Ströme in der Einöde geben, zu tränken mein Volk, meine Auserwählten.“ Das hat er getan, er hat den Himmel zerrissen und hat seine Liebe und Gnade niederströmen lassen in seinem Sohne. Das hat er getan, als das Wort Fleisch ward, als das Wort zur Tat ward: „Gott ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.“ Was ist denn neu in der Welt, wenn nicht das, dass der heilige, allmächtige Gott seinen eingebornen, ewigen Sohn in unser Fleisch gibt und unsern Bruder werden lässt? Und wodurch sollte ein Neues in der Welt gemacht werden, wenn nicht durch dies größte und unerhörte Neue? Verdorrt war Israel, wie armes Wüstengestrüpp stand es da in seiner lügenhaften, dürftigen Gerechtigkeit. Zur Wüste war die Heidenwelt geworden: tote Steine die Götter, tote Steine die Menschen. Da war Keiner, der nach Gott fragte, der Gutes tat nach dem Herzen Gottes. In der weiten Wüste blühte keine Blume zur Ehre Gottes, keine Frucht der Gerechtigkeit wuchs auf den dürren Stämmen. Über diese arme Heide hat Gott einen Frühling aufgehen lassen, wie die Welt noch keinen gesehen hatte. Die alten verdorrten Völker, so weit sie das Heil ergriffen, grünten auf vom Geruch des Wassers, Leben und Seligkeit erfüllten die Herzen, ein neuer Wandel und der Preis Gottes die Erde. Ein Neues hatte Gott gemacht. In wenig Wochen feiern wir das teure Fest, wo er das Neue anfing. Nun weißt du aber, wo Gott ein Neues macht, da räumt er zuvor auf unter dem Alten. Wenn der Frühling kommen soll, räumt er auf unter dem alten Eise und Schnee. Er räumt auf auf dem Felde, denn die dürren Stoppeln müssen zuvor verwesen. Auf den Wiesen muss das alte Gras verwelken, und auf den Bäumen bricht er die dürren Zacken durch die Frühlingsstürme weg. Anders macht er es in dem Menschengeschlechte auch nicht. Er pflügt ein Neues. Er will sein heiliges Samenkorn nicht unter die Hecken und Dornen werfen. Der Herr konnte nicht kommen, ohne dass ein Johannes voranging und in dem Herzen des Volkes aufräumte. Er musste erst mit der scharfen Axt des Gesetzes die alten Dornen anbauen. Auch heute noch muss Johannes vorangehen, wenn Christus bei dir einziehen soll. Der Herr kann dir nicht zum Segen kommen im heiligen Abendmahl, wenn nicht derselbe Johannes vorhergegangen ist, wenn dir nicht das Gesetz deine Sünde aufgedeckt und in dem armen Herzen Klarheit gemacht hat. Siehe, so kann er auch bei dir nicht einziehen zum heiligen Christfeste, wenn Johannes nicht vorangegangen ist. Da ist keine Weihnachtsfeier, da ist das Herz keine Krippe, wo wir alle unsere Selbstsucht, alle unsere alte Sündenbequemlichkeit behalten haben. Von der Krippe, in der der Herr ruhte, sagt Luther:
„ Herr und Schöpfer aller Ding,
Wie bist du worden so gering,
Dass du da liegst auf dürrem Gras,
Davon ein Rind und Esel aß.“
So will der Herr auch in deinem Herzen auf Stroh und Stoppeln, auf den mit Reue und Leid bekannten Sünden, ruhen. So kommt denn mit hinaus in die Wüste. Den Johannes wollen wir hören. Die Stadt Jerusalem, das ganze jüdische Land und alle Länder am Jordan sind hinausgegangen. Wir wollen auch mitgehen. Du aber, treuer Heiland, gib Gnade, dass wir recht angetan hinkommen vor deinen Herold. Behüte uns, dass wir nicht vornehm vor den treuen Gesetzesprediger hintreten, als ob seine Predigt für uns überflüssig sei. Behüte uns, dass wir nicht denken: „Wir haben Christum, was brauchen wir den Johannes? Wir haben den freundlichen Heiland, was brauchen wir den Mann mit dem rauen Kleide, mit dem ledernen Gürtel und mit dem harten Wort?“ Ach Herr, jeder Tag ist eine ganze Heilsgeschichte. Wo wir an einem Tage das Gesetz nicht fühlen mit seinen Drohungen und mit seinem Gericht, da haben wir auch dich nicht recht. So erbarme dich unser, dass wir uns erst in der Wüste holen das zerbrochene und zerschlagene Herz, damit wir dann auch an deiner Wiege fingen können: „Meine Seele erhebe den Herrn und mein Geist freue sich Gottes meines Heilandes. Du hast angesehen das Elend deines Knechts, und hast seine Seele errettet von den Ketten des Todes. Ich habe erfahren den Tod des Todes und die Angst des Gerichtes; nun lässt du mich erfahren den Reichtum und die Herrlichkeit der Gnade. Dir sei Preis und Dank und Anbetung in Ewigkeit.“ Amen.
Unser heutiger Text steht geschrieben:
Ev. St. Matth. Kap. 3, V. 1-10.
Zu der Zeit kam Johannes, der Täufer, und predigte in der Wüste des jüdischen Landes, und sprach: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbei gekommen. Und Er ist der, von dem der Prophet Jesaias gesagt hat, und gesprochen: Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste, bereitet dem Herrn den Weg, und macht richtig seine Steige. Er aber, Johannes, hatte ein Kleid von Kamelhaaren, und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber war Heuschrecken und wilder Honig. Da ging zu ihm hinaus die Stadt Jerusalem, und das ganze jüdische Land, und alle Länder an dem Jordan, und ließen sich taufen von ihm im Jordan, und bekannten ihre Sünden. Als er nun viele Pharisäer und Sadduzäer sah zu seiner Taufe kommen, sprach er zu ihnen: Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen, dass ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, tut rechtschaffene Früchte der Buße. Denkt nur nicht, dass ihr bei euch wollt sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Wir behalten uns aus diesem teuren Gottesworte für unsere weitere Andacht den Grundgedanken:
Der Advent in der Wüste.
Wir sehen
- den Adventsprediger,
- seine Gemeinde,
- seine Predigt,
- ihre Frucht.
I. Der Adventsprediger.
Am Schlusse des alten Bundes spricht der Herr: „Siehe, ich will meinen Engel senden, der vor mir her den Weg bereiten soll. Und bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht, und der Engel des Bundes, den ihr begehrt.“ Und damit man über jenen Engel, welcher dem Herrn den Weg bereiten soll, desto klarer werde, fügt er hinzu: „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag des Herrn.“ Dieser Elias ist gekommen. Keine zwei Männer des alten Bundes sehen sich so ähnlich wie Elias und Johannes. Ihre Namen sind allerdings verschieden. Elias bedeutet: „der Herr ist Gott.“ Ja Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott, Die falschen Götzen macht zu Spott, Gebt unserem Gott die Ehre: das war Elias Aufgabe. Johannes heißt: „Gott ist gnädig, Gott erbarmt sich.“ Weil sein Leben in eine lieblichere Zeit fiel, weil er der Nachbar und der Morgenstern für die aufgehende Gnade war, hatte ihm Gott einen lieblicheren Namen gegeben. Aber im Leben und in der einen Hälfte des Berufs ist er dem Elias ganz gleich. Beide waren eiserne und scharfe Prediger des Gesetzes. Beide kannten keinen Handel und keinen Vertrag mit der Sünde. Beide schnitten mit ihrer Predigt ein bis auf das Mark. Beide schonten weder Hohe noch Niedere. Beide stießen in ihrer Predigt mit den Königen des Landes zusammen. Dort widerstanden dem Manne Gottes Ahab und Jesebel, hier Herodes und Herodias. Beide führten ein Leben in äußerster Selbstverleugnung, und konnten daher auch das Schwert desto schärfer gegen die Fleischesdiener schwingen. Von Elias Tracht heißt es 2. Könige 1, V. 8: „Er hatte eine raue Haut an und einen ledernen Gürtel um seine Lenden.“ Johannes trug ein Kleid von Kamelshaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden. Seine Speise waren Heuschrecken und Wildhonig, und einen Herrentisch hat Elias auch nicht geführt. Beide waren Hämmer des Herrn auf das hart und faul gewordene Geschlecht. Ein Hammer steckt in keinem seidenen Futteral. Er ist hart und kalt. Es ist an ihm nichts Anderes, denn ein guter Griff. Und der war an beiden Männern die göttliche Berufung. Nicht aus Willkür oder eigener Laune hatten sie ihr Amt erwählt, der Herr hatte sie dazu berufen. Diese göttliche Berufung war bei dem Johannes so überwiegend, dass er seine Person, seine Gedanken durchaus daran gab. Er war nur noch eine Stimme eines Predigers in der Wüste. Nicht seine Stimme, sondern Gottes Stimme. Als Predigtstätte hatte sich Johannes die Wüste erwählt. Warum denn diese? Warum predigte er denn nicht in der Nähe von Jerusalem oder etwa in einem Palmenhain bei Jericho? Konnte er denn dem Volke nicht ein Wenig entgegenkommen, dass sie es bequemer, dass sie eine gemütliche Beköstigung und gute Herberge in der Nähe gehabt hätten? dass es zugleich eine kleine Lustpartie gewesen wäre? Nein, das wollte er nicht, das sollte er nicht. Er wäre nicht Johannes, er wäre nicht der neue Elias gewesen, wenn er es anders gemacht hätte. Heraus sollte das Volk aus seinen Städten, heraus aus dem Tageslauf seiner Geschäfte, heraus aus der Bequemlichkeit des Sündenlebens, in welches es durch lange Gewohnheit hineingewachsen war. Zu Fuß musste es durch die lange Wüste gehen. Da hatte es Zeit sich zu besinnen. Die Wüste sollte ihm ein Spiegel werden zur Erkenntnis des eigenen Herzens. Der Weg durch die Wüste war ihm schon eine Vorrüstung auf die Bußtage, welche dort am Jordanufer gefeiert werden sollten. Und nicht ohne Grund hatte Johannes die Wüste am Jordanufer zu seiner Buß- und Predigtstätte gewählt. Es war viel Wasser da. Er konnte die Gedemütigten taufen mit der Taufe der Buße. Er hatte aber auch noch einen andern Grund dieser Wahl. Sah doch diese Gegend aus wie ein Abbild der damaligen Geschichte des Volkes Israel. Auf der einen Seite die Wüste, da es braust und heult, da Alles voll liegt von totem Gestein, da die Sonnenglut jedes Kräutlein ausdörrt, welches seinen dürftigen Stängel emporrecken will. Da ist kein Quell, kein Baum, kein Schatten, keine Frucht. Und neben dieser Wüste strömt der Jordan von den Bergen hernieder.
Schon sein Name bedeutet einen Strom, der von oben herniederwallt. Seine Ufer waren bekleidet mit dem schönsten Grün und mit fruchtbaren Bäumen. Die Propheten reden gar gern vom Jordanschmuck. Lag denn nun dem Volke die Ahnung so fern, dass ihm Gott der Herr mit diesem Nebeneinander in dieser Zeit Etwas sagen wollte? Mit großen, sichtbaren Lettern hatte es Gott der Herr dahingeschrieben: „Du Volk bist in deinen Sünden eine Wüste, dürr und unfruchtbar und versengt von der Sonnenglut meiner Gerichte. Aber es wallt jetzt hernieder von den Bergen des Heils, hernieder in diese Wüste und in das tote Meer der Gnadenstrom, der Leben gibt, und der seine Ufer bekränzt mit Bäumen und Früchten der Gerechtigkeit. Wenn du durch die Wüste hindurchgegangen bist, wenn du deine Sünde, deine Dürre, dein armes Herz, das keine Lebensquellen in sich selber hat, und dein ganzes Elend erkannt hast: dann wallt da der Strom, in welchen dich dein Gott eintauchen will, in welchem er dich aus seinem Leben zum Leben erneuen will.“ Ist es zu Viel verlangt, wenn Israel, das durch die Wüste gegangen war, und nun an das frische Jordanufer kam, dies herauslesen sollte? O nein. Und was die Wanderer selber noch nicht gedacht hatten, oder was sich nur von ferne in den Herzen geregt hatte, das brachte Johannes ihnen zum Bewusstsein und zur Klarheit. Es ward ihnen vollends klar, als der Herr selbst am Jordan erschien, der Himmel sich über ihm in seiner Taufe auftat und eine Stimme herniederrief: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Da strömte der rechte Jordan, der Strom der himmlischen Barmherzigkeit, deutlich in die dürre Wüste hernieder. Du nun, teure Gemeinde, willst Weihnachten feiern. Du willst dich deines Heilandes und deines Heils freuen. Jetzt sind die Rüsttage. Wie sollen wir uns rüsten? Kommt, lasst uns hinausgehen in die Wüste. Sucht stille Stunden, wo ihr euch herauszieht aus euren Welt- und Geschäftsgedanken. Geht hin und stellt euch vor den ernsten Gesetzesprediger, der die Person nicht ansieht, der durch keine weichliche Freundschaft verwachsen ist mit unserem Sündenleben, der Nichts kennt, als Gottes Willen, der Menschen Sünden und seinen heiligen Beruf. Er hat keine vermittelnde Anschauung, kein milderndes Werk. Sein Angesicht sieht aus wie Gottes Gericht. O wie wird vor solchem Auge schon das Herz zur Wüste! Die schönen Säume, welche die entschuldigende Klugheit um die Sünde genäht und gestickt hat, reißt er ab. Sünde ist Sünde, und das Herz voll Sünde ist eine Wüste. Geh hin in die Wüste. Denke dich hinaus in jene Tage, wo der Herr noch nicht da war oder wo er in sein hohes Amt noch nicht eingetreten war. Was hättest du da? Deine Sünde, aber keinen Heiland; deine Schuld, aber keinen Versöhner; das Feuer im Herzen, aber Keinen, der es löschte mit seinem teuren Blute; den Wurm in deiner Seele, aber Keinen, der ihm den Kopf zerträte. Das ist eine Wüste ohne Quell, ohne Baum, ohne Schatten, ohne Hoffnung endlich eine Herberge zu finden. Von dieser Wüste komm zum Jordanufer, zum lieben Weihnachtsfeste. Da wird es erst ein Fest. Der Herr gießt Ströme auf die Wüste. Sein Tau ist wie der Tau des grünen Feldes. Der Balsam aus Gilead und die Salbe aus Israel fließt in die Wunde, und der Durstige ist zur Quelle gekommen. - Geh, eile zuvor in die Wüste, mache dir dein Elend ohne deinen Heiland recht deutlich! Aber wer geht? Wer steigt gern hinunter in diese alte Nacht? Wer ging denn damals? Wir kommen
II. zur Gemeinde des Johannes.
Es ging hinaus die Stadt Jerusalem, und das ganze jüdische Land und die Länder an dem Jordan. Es war ein Wallfahrten, wie man es lange nicht gesehen hatte. Alle Stände machten sich auf den Weg. Wir begegnen den reichen und bequemen Sadduzäern, den stolzen und satten Pharisäern. Und wieder treffen wir auf dem Wege Scharen von Kriegsknechten und wieder Häuflein von Zöllnern. Juden und Heiden eilen zu dem rauen Mann in der Wüste. Was zog sie denn zu ihm hinaus? War es seine gewaltige Bußpredigt? War es seine ungeschminkte Wahrheit? Wenn auch hier Zehn sagen: „Nein, um mir die Wahrheit sagen zu lassen, laufe ich nicht durch den heißen Sand der Wüste:“ so werden sie doch einmal danach laufen. Gott der Herr hat in die Wahrheit einen wunderbaren Zug gelegt. Sie ist ja aus Gott. Sie ist doch das eigentliche Nahrungsmittel des Menschen. Sie hat verborgene Haken und Klammern, mit denen sie den Menschen zieht. Ja selber wenn er sie hasst, wenn er sie nicht hören will, bleibt immer noch eine Stimme in ihm, die da ruft: „Du sollst, du musst sie hören!“ Oft trägt diese Stimme auch den Sieg davon. Denke dir, du hättest in einer Stadt zwei Prediger, von denen der eine schön mit dir täte, deine Sünden nur mit zarter Hand anrührte, und überhaupt so redete, wie es dein natürlicher Mensch gern hört. Und der andere wüsste Nichts von Schonung der Sünde, sondern nennte sie mit wahrem Namen, risse dir den Schleier vom eigenen Herzen, täte dir das hohle Grab auf, dass du seine Totengebeine sähest, und führte dich mit diesem deinem Herzen hinein in Gottes Gericht. Was meinst du, welchen von beiden würdest du hören? Du sagst im Augenblick vielleicht: „Den, der sanft und zart mit mir umginge.“ Ja, eine Zeit lang würdest du ihn hören; aber bald würdest du müde werden. Er sagte dir nur, was dein natürlicher Mensch dir schon oft und besser gesagt hat. Es würde dich bald ziehen zu dem, der dir die Wahrheit sagt, und wenn du nur hingehen solltest, um ihm innerlich zu widersprechen. Solche Mitgift hat Gott der Wahrheit gegeben. Und wir können sagen: „Wo sich die Gemeinden nicht um uns sammeln, haben wir ihnen auch nicht klar und bestimmt genug die heilige Wahrheit gesagt.“
Nun weißt du Eins, was das Volk zu Johannes hinauszog. Außerdem zog die ernste Persönlichkeit und die strenge Entsagung. Es war auch lange kein Prophet dagewesen. Die wunderbaren Zeugnisse Gottes bei Johannes Geburt wirkten mit. Viele glaubten auch, er sei vielleicht der verheißene Messias selbst. Wieder Andere wollten sich durch den Besuch bei ihm und durch seine Taufe in die Krone ihrer eigenen stolzen Gerechtigkeit noch einen neuen Edelstein setzen. Aber den letzten Grund haben wir tiefer zu suchen. Es gibt Frühlingszeiten, wo sich jeder noch nicht ganz erstorbene Keim in der Erde regt. Mancher regt sich freilich nur, um dann für immer zu sterben. Aber die Sonne tut in dieser Zeit, was kein Treibhaus tun kann. Solche Zeiten gibt es im Reiche Gottes auch. Haggai hatte geweissagt: „Es ist noch ein Kleines dahin, dass ich Himmel und Erde, und das Meer und das Trockene bewegen werde. Ja alle Heiden will ich bewegen. Da soll denn kommen aller Heiden Trost.“ Diese große Bewegung hatte schon begonnen. Der Himmel war bewegt, da der eingeborne Sohn Gottes Mensch ward. Die Bewegung der Erde begann besonders in den Tagen, wo er hervortrat mit dem Wort und den Taten der ewigen Wahrheit und Herrlichkeit. Auf diesen Tag arbeitete Gott hin. Er kann der Menschen Herzen lenken wie Wasserbäche. Er lenkte sie hinaus in die Wüste. Er war es, der diese bunten Scharen aus allen Ständen vor den Johannes stellte. Das Volk sollte seine Augen aufheben, darum dass sich seine Erlösung nahte. Und du Christenvolk sollst auch wissen, dass sich deine Erlösung naht. Das Christfest ist der Anfang und die Wurzel deines Heils. Wohl feiern wir nicht das erste Christfest. Es ist nicht der Tag, wo der Engel zu den Hirten auf dem Felde sprach: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Aber dennoch ist jedes Christfest in gewissem Sinne immer wieder ein erstes, ein neues Christfest. Denn wenn dein Herz zu dem Feste im Jahre 1854 nicht richtig ist, wenn es da nicht von wahrer, heiliger Christfreude schlägt, hilft dir auch das erste Christfest Nichts. Darum wolle der Herr in seiner Gnade und seiner herrlichen Macht auch in diesem Advent die Völker bewegen. Er wolle auch durch alle Stände seinen heiligen Geist gehen lassen. Er wolle sie alle hineintreiben in die Wüste, auf dass Johannes ihnen ihr Herz aufschließe. Teure Gemeinde, entschuldiget euch nicht. Sagt nicht: „Wir haben keine Zeit.“ Eure Wüste liegt nicht draußen jenseits Jericho, nicht am Jordan bei Enon. Eure Wüste tragt ihr mit euch herum. Mitten in der Arbeit, mitten in der Sorge könnt ihr hinausgehen, ja gerade da könnt ihr es recht. Es hindert euch kein Schnee und kein Wetter. Im Gegenteil, sie treiben euch dazu, weil sie euch von allerlei andern Wegen abhalten. Es hindert euch keine Armut. Der Weg kostet kein Geld. In der Armut, bei der Arbeit, auf dem Krankenlager, in einem Bodenkämmerlein, überall könnt ihr hinausgehen und den Sand und die Steine auf der einen, `den Jordan auf der andern Seite sehen. Wartet nicht, bis ihr im Tode in die Wüste des eigenen Herzens kommt. Es ist dann zu spät. Ihr seht zwar den Sand und die Steine, aber nicht die lieblichen Wasser des Jordans. O geht! Der Herr sammle uns eine Adventsgemeinde, wie er dem Johannes eine gesammelt hat. Er tue ihr auch die Ohren auf, damit sie die große Adventspredigt höre, die gepredigt werden muss, so lange es eine streitende Kirche gibt.
III. Seine Predigt.
Alle, die in den Wüsten des Morgenlandes gewesen sind, wissen nicht genug zu sagen von ihrer Einförmigkeit und Eintönigkeit. Ein Odem des Windes zieht durch dieselben hindurch; einen Ton hört das Ohr, ein Bild sieht das Auge. Also hat auch die Predigt des Johannes nur einen Grundton: „Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Die Nähe des Himmelreichs ist der Grund, weshalb die Leute jetzt Buße tun sollen. Der Herr steht vor der Tür und klopft an. So Jemand seine Stimme hören und ihm die Tür auftun wird, zu dem will er eingehen, und das Abendmahl mit ihm halten. Dem Herrn sollten sie den Weg bereiten, seine Steige sollten sie richtig machen. Alles, was hoch war, sollte geniedrigt, Alles, was niedrig war, sollte erhöht, was höckricht und krumm war, sollte gerade und schlecht werden, denn die Herrlichkeit des Herrn sollte offenbart werden, der Herr wollte seinen Einzug in das Seine halten. -
Wie nun, teure Gemeinde, gilt der Grund bei uns auch: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen?“ Er gilt, aber nicht allein. Nicht nahe herbeigekommen ist das Himmelreich. Es ist da, es ist angekommen, und wir sind aus Gnaden hinein gekommen. Wir haben unsere Sünde nicht mit bis vor die Tür desselben gebracht, wir haben sie mit hineingenommen, wir haben sie in den Hochzeitsaal, in den Tempel des Ehrenkönigs mitgenommen. Wir reinigen unsere Füße gar sorgfältig, wenn wir in das Zimmer eines Großen dieser Welt eintreten; und in die heilige Wohnung Christi, in die Hütte Gottes bei den Menschen, haben wir allen Schmutz unseres natürlichen Menschen mitgebracht. Hier ist mehr denn Johannes, hier ist viel mehr Aufforderung zur Buße, als dort in der Wüste. Dabei gilt auch jener Grund zur Buße: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen,“ immer noch. Das liebe Christfest wird gefeiert, damit der Herr in den Herzen der Seinen einkehre. Er ist der König des Reiches Gottes, und das liebe Fest ist nahe. Außerdem aber kommt die triumphierende Kirche täglich näher herbei. Du weißt nicht, wie lange der Herr mit deinem letzten Stündlein noch ansteht. Die Axt ist dem Baume immer an die Wurzel gelegt. Erst braucht Gott das Messer und schneidet dem Weinstocke die wilden Reben ab. Will er dann doch nicht tragen, dann nimmt er die Art und haut den Stamm ab. Du weißt auch nicht, wie lange er mit seiner glorreichen Wiederkunft noch zögert. und wehe dem, der dann kein hochzeitlich Kleid anhat. Wie bekommen wir dieses? Durch Jesum Christum.
Christi Blut und Gerechtigkeit
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott bestehn
Und zu der Himmelsfreud' eingehn.
Wie komme ich zu Christo? - Durch die Buße. Diese Buße ist aber nicht etwa eine Ausbesserung, ein Flickwerk in einem einzelnen Stücke, sondern eine Umwandlung des ganzen Herzens und Sinnes; nicht ein neuer Lappen auf ein altes Kleid, sondern ein neues Kleid. Und doch sieht es aus, wie wenn Johannes solch Flickwerk triebe! Wie wir schon gehört haben, kamen auch Zöllner zu ihm in die Wüste. Auch sie ließen sich taufen und sprachen zu ihm: „Meister, was sollen wir denn tun?“ Er antwortete ihnen: „Fordert nicht mehr, denn gesetzt ist.“ Ingleichen kamen auch die Kriegsknechte und sprachen: „Meister, was sollen denn Wir tun?“ Er sprach zu ihnen: „Tut Niemand Gewalt noch Unrecht, und lasst euch begnügen an eurem Solde.“ Andern sagte er: „Wer zwei Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat; und wer Schuhe hat, der tue auch also.“ War nun der Zöllner etwa ein gerechter Mann, wenn er seine Taxe nicht überschritt? Oder war der Kriegsknecht vor Gott gerecht, wenn er die Leute nicht drückte noch plünderte? Nein, da fehlte noch gar Viel. Aber Johannes baute ihnen mit diesem Befehl eine Stiege in ihr eigenes Herz, er gab ihnen damit ein Licht zur Erkenntnis ihrer selbst in die Hand. Fange du es nun einmal mit einer Sünde, mit deiner Lieblingssünde, mit deiner Berufssünde an! Du Lügner, der du immer versprichst und nimmer hältst, der du die heiligen Grenzsteine der Wahrheit alle Tage verrückst, beginne einmal den Krieg gegen die Lüge. Und du Habgieriger, für den das siebente Gebot kaum in den gröbsten Stücken einige Bedeutung hat, beginne einmal den Krieg gegen deine Schoßsünde. Und du Träger, dem alle Arbeit zu schwer oder zu langweilig oder zu uninteressant ist, greife einmal deinen Feind an. Tut ihr es auch, ihr Hoffärtigen, ihr Zorneskinder, ihr Trunkenbolde und Genussmenschen, ihr Unreinen und Wollüstlinge. Beginnt einmal mit eurer natürlichen Kraft den Streit. Ihr pflegt so oft zu sagen: „Wenn ich es mir nur fest vornehme, dann kann ich das wohl lassen.“ Nehmt es euch einmal fest vor! Und wo kommt ihr hin? In wenigen Wochen macht ihr die Erfahrung: „Ich kann es nicht, ich bin meiner nicht selbst Herr. ich mich dessen versehe, reißt meine Begierde wie ein wilder Strom den Willen und den Verstand mit fort.“ Wenn dann noch ein Fünklein von Wahrheit in dir ist, und wenn es dir mit der Besserung in jenem Stücke wirklich noch ein Ernst ist, musst du bekennen: „Ohne ein neues Herz werde ich auch nicht einmal in diesem einen Stücke ein neuer Mensch!“
Dieweil du dir aber das nicht selbst geben kannst, musst du vor den Thron dessen, der schaffen und neuschaffen kann, und bitten: „Schaff in mir Gott ein reines Herz, und gib mir einen neuen, gewissen Geist.“ Wenn du aber so bittest, dann bist du herum, dann bist du mit deinem Angesichte zu Gott gekehrt. Das ist Buße. Dahin wollte Johannes seine Zöllner und Soldaten auch bringen. Und wenn sie dahin gekommen waren, dann war auch für sie das Himmelreich nahe herbeigekommen. Dann konnte er sagen: „Seht da! da ist der, welcher mit Feuer und mit dem heiligen Geiste taufen kann. Da ist er, welcher sprechen kann: Siehe, ich mache Alles neu. Das Alte ist vergangen, es ist Alles neu geworden.“ Seine Predigt war wohl angelegt und festgegürtet wie er selbst. Sie war recht dazu gemacht, aus der Wüste zum Jordan, von Johanne zu Christo hinzutreiben.
„Aber wie geht er doch um mit den Pharisäern und Sadduzäern? Der Gruß, mit dem er diese empfängt, kann doch wohl nicht zur Buße führen,“ hat schon Mancher gedacht. Es ist wahr, er fährt hart mit ihnen. Er redet sie an: „Ihr Otterngezüchte, wer hat euch gewiesen, dass ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, tut rechtschaffene Früchte der Buße! Denkt nur nicht, dass ihr bei euch wollt sagen: „Wir haben Abraham zum Vater. Ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken.“ Teure Gemeinde; Johannes kannte die Leute, welche vor ihm standen. Er hatte hineingesehen in diese übertünchten Totengräber, die überall äußerlich mit der Farbe der strengsten Gesetzlichkeit gefärbt, innerlich aber voll Tod, Moder und Übertretung waren. Er wusste, dass sie durch die Abstammung von Abraham, durch die Geburt, aber nicht durch die Wiedergeburt selig werden wollten. Nun steht es fest: wenn man einen verstockten Sünder vor sich hat, namentlich einen solchen, welcher im Heilswege und im Worte Gottes gut Bescheid weiß, sich aber das Wort auslegt zur Beschönigung seiner Sünde, so kann ein solcher nur getroffen werden mit den schwersten Waffen aus der heiligen Rüstkammer Gottes. Darum schreibt Johannes diesen Pharisäern in so gewaltigen Zügen gleich ihren Lebenslauf. Er sagt ihnen, von wem sie nach ihrer innern Art herstammen. „Ihr seid mit eurer Heuchelei Otterngezüchte, Kinder des Teufels, der alten Schlange. Es wird euch schwer werden, dem zukünftigen Zorne zu entrinnen. Nicht neue gesetzliche Heuchelei kann euch retten; ihr sollt vielmehr euren Ernst ausweisen durch rechtschaffene Früchte der Buße. Es hilft euch Nichts, dass ihr Abrahams Kinder seid. Die Steine, die hier vor euch liegen, sind der Kindschaft Gottes und der wahren Kindschaft Abrahams näher, denn ihr. Diese Steine sind nur tot, ihr aber seit tot in Sünden. „Eilt, denn die Axt ist dem Baume schon an die Wurzel gelegt. Welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ Das gilt jenen Pharisäern und Sadduzäern. Das gilt auch uns, wenn wir mit unserm Heile ein loses Spiel treiben. Es ist dies ein Wort, vor dem sich die Seele entscheiden muss. Wenn man mit der Axt auf den Stein schlägt, fliegen entweder die Funken heraus und er bleibt ganz, oder er zerbirst. Mag denn dies letzte Wort des Täufers unter uns mehr ausrichten, als unter jenen Pharisäern. Mag es, wenn Felsen hier sind, ein Hammer sein, der Felsen zerschmeißt, damit Gott der Herr diese Stücke, diese zerbrochenen Herzen in seinen heiligen Tempel einbauen könne. Wir sind damit wieder an der Tür des Reiches Gottes. Endlich fragen wir
IV. nach der Frucht dieser Predigt.
Sie war eine verschiedene. Von den Pharisäern lesen wir gar Nichts. Die scharfe Predigt hatte ihnen nicht gefallen. Sie gingen noch verstockter wieder nach Hause, als sie gekommen waren. Den Toten ist das Wort Gottes ein Geruch zum Tode. Die Andern ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden. Damit war dem Herrn in sie hinein der Weg bereitet. Wo ein ehrliches Sündenbekenntnis ist, da ist auch das Bedürfnis eines Heilandes und eines Glaubensbekenntnisses. Wer die Taufe des Johannes empfing, versiegelte es damit, dass er ein armer Sünder sei und wartete auf den Herrn, der die Sünden vergeben, und mit Feuer und dem heiligen Geist taufen konnte. Als der Herr kam, waren diese Johannesjünger zum Teil seine ersten Jünger. Die Sonne schien in die Wüste und die Gnadenströme flossen in die Einöde. Und du, mein Christ, für den Johannes auch gepredigt hat, den er auch zu der neuen Ankunft des Herrn wieder rüsten will: was willst du tun? Denke an die Worte: „Sie ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden.“ Denke du zurück an deine Taufe. So viele unserer getauft sind, die haben Christum angezogen. Wir sind ja mit Christo durch die Taufe begraben in den Tod, auf dass, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen wir auch in einem neuen Leben wandeln. Wir haben aber das neue Kleid befleckt, wir sind in das alte Leben zurückgefallen, wir haben den Bund des guten Gewissens mit Gott gebrochen. Das fühle du nur recht. Das zerlege dir vor dem heiligen Gesetze Gottes. Erforsche dein verkehrtes Herz in seiner Tiefe und in seinen einzelnen Irrgängen. Klage es deinem Herrn: „Herr Herr, ich bin vielfach gewandelt, als ob ich nicht getauft wäre, als ob du mich nicht reingewaschen hättest mit deinem teuren Blute. Erbarme dich meiner, reinige du mir das weiße Kleid wieder, dass ich wieder als ein liebes Kind Gottes vor dir stehe.“ Wenn du so bitten kannst, dann hat die Predigt des Täufers an dir eine gute Frucht geschafft, dann weißt du, warum wir immer wieder ein Christfest feiern; dann freust du dich auch dies Jahr auf den heiligen Christ. Wenn dir dann sonst auch Niemand Etwas schenkt, so schenkt dir doch der Herr sich selbst. Es regnet in der Wüste, es taut in der Einöde und der Strom der Gnade rinnt in das dürre tote Land. Herr, so rüste uns, und so erquicke uns mit deiner gnädigen Heimsuchung. Amen.