Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten - Luk. 2,9

Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten - Luk. 2,9

„O du heilige, o du selige Weihnachtszeit“. So singen wir ihr entgegen, die Kinder freuen sich und wir, wir werden Kinder und freuen uns mit. In den Häusern haben die Rüstungen schon angefangen. Auch unsere Herzen lasset uns rüsten! Am ersten Rüsttage haben wir uns darauf gerüstet durch die Furcht: wir haben auf den Fluch hingewiesen, für den, der dieses Heil verscherzt; heute am dritten Rüsttage wollen wir uns darauf rüsten durch die Freude: wir wollen in den Segen uns versetzen für den, der es sich zum Segen gereichen läßt. Jahrhunderte waren vergangen, während deren die Weisen der Welt spekulirt hatten, wie den Menschen geholfen werden könnte, Jahrhunderte, in denen die Propheten auf den hingewiesen, der der Welt helfen könnte: nun war die Zeit da, und er in tiefer Nacht, in Verborgenheit und Fülle, wie die besten Gaben Gottes, zu uns herniederkommen sollte, und arme Hirten waren es, denen es zuerst offenbar wurde, was der Welt in dieser Nacht geschenkt war. Diese Verkündigung ist es, die auch wir heut, um uns freudig zu rüsten, zu Herzen nehmen wollen.

Luc. 2, 9.

„Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. „

Seht, wie erfreulich die Weihnachtsbotschaft für den ist, der sich dadurch selig machen lassen will! so ruft unser Text uns zu. O du Gotteskind voll Gnade und Wahrheit, möchte doch auch unter uns keiner seyn, der durch diese Botschaft nicht selig würde!

Wir richten den Blick auf ihre alle Besorgniß verscheuchende Tröstlichkeit, es heißt: Fürchtet euch nicht. ans ihre alle Aufmerksamkeit gebietende Wichtigkeit, es heißt: Denn siehe. auf ihre zu herzlicher Freude auffordernde Heiterkeit, es heißt: Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. auf ihren alles, was die Menschheit bedarf, umfassenden Inhalt, es heißt: Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr.

So laßt uns denn zuerst auf ihre alle Besorgniß niederschlagende Tröstlichkeit den Blick richten. Fürchtet euch nicht. ruft der Himmelsbote. Wovor? warum sich fürchten? Wenn eine Botschaft vom Himmel kommt, wenn es sich zeigt, daß doch diese dunkele Erde von jenen lichten Regionen nicht so geschieden ist, daß nicht Geister von dort zu ihr herniedersteigen könnten - warum sich fürchten? Und doch finden wir in der Schrift meistentheils, wo solche himmlische Botschaften erklingen, dieses ermuthigende „fürchtet nicht“ vorangeschickt. Aber geht's nicht auch uns selbst so: der Gedanke, daß eine Erscheinung aus einer andern Welt vor unsere Augen treten könnte, erfüllt er uns nicht mit Bangigkeit und Beklommenheit? Wir sind unsicher, was von dorther uns begegnen könnte. Das macht, wir wissen uns unrein und jener lichten Geisterwelt entfremdet, darum können wir nur mit Furcht an sie denken. Und selbst wenn sie segnend an uns herantritt, in einem unversöhnten Herzen wohnt selbst ein Grauen vor den Segnungen des Himmels, es meint einen verborgenen Fluch darin ahnen zu müssen. Als der Herr dort seinen Jüngern bei seiner ersten Bekanntschaft mit überraschend wunderbarem Segen genaht ist, als sie die Netze ziehen und diese voll sind bis zum Zerreißen, wißt ihr's zu erklären, warum Petrus, statt in Jubel auszubrechen, abwehrt und ruft: „Herr gehe von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch“? O ich weiß es zu erklären, ist es nicht so recht menschlich geredet? Ja wie das unversöhnte Menschenherz ist, so lange es noch nicht verbildet worden, trägt es ein tiefes Gefühl von dem in sich, was ihm nach dem Rechte gebührt, daß, wo ein überreicher Segen Gottes kommt, es darin nur mit Grauen einen verborgenen Fluch Gottes erwartet. Denkt an den Ring des Polykrates! Es ist dies das Gefühl des natürlichen Menschenherzens. Denn . weil Heiden, Türken - wie Luther im Katechismus spricht - ob sie gleich nur Einen Gott anbeten, nicht wissen, wie derselbe gegen sie gesinnt sei, können sie keiner Liebe und Güte sich zu ihm versehen und stehen in Zorn und Verdammniß. Irre ich mich, oder hängt nicht selbst jene tiefgewurzelte Wunderscheu der Ungläubigen mit der Furcht vor Gott zusammen? Einen heiligen Gott sich so nahe zu wissen, können sie nicht ertragen. Warum? Weil ihrem unversöhnten Herzen der Gedanke so nahe liegt, daß er ein Rächer und Vergelter ist.

Und nun, wenn es an dem ist, daß der Himmel sich öffnet, nicht damit ein dienender Geist, damit Gottes eingeborener Sohn zu uns herabsteige, wird nicht der erste Gedanke seyn: Nun will er kommen, Rechnung mit mir zu halten? Aber es ist anders, anders ist es: er will kommen, um mich selig zu machen! Wer soll da nicht in's Knie sinken und rufen:

Herr, wenn mich zu ewigen Flammen, du herabkämst zu verdammen,
Spräch' ich: mit ist recht geschehn,
Doch du kommst um Seligkeiten über Sünder zu verbreiten,
O Herr, wer kann das verstehn?

Sage ich darum nicht mit Recht: die Botschaft, die an Weihnachten zu uns kommt, ist keine gewöhnliche, ist eine Botschaft von einer alle Aufmerksamkeit gebietenden Wichtigkeit. Es ist eine Botschaft von dem schlechthin größesten Ereignisse, das sich jemals in der Welt zugetragen - größer als die denkwürdigste Schlacht, als die weltberühmteste Entdeckung, als die überraschendste Erfindung. Das hat auch die Welt anerkannt, denn von da an hat sie eine neue Zeitrechnung datirt. Alle andern Ereignisse, wie wichtig sie sind - je länger die Zeit, die sie hinter uns liegen, desto mehr verlieren sie an Bedeutung und Wichtigkeit, und dies Ereigniß, je mehr sich das Menschenleben dem Ende naht, desto wichtiger wird es uns. Fraget alternde Christen, ob nicht mit jedem Weihnachten, mit jedem Schritte nach dem Grabe zu es ihnen wichtiger wird, daß sie ein Weihnachten haben, und so wird's in der Ewigkeit fortgehen. Jetzt nämlich haben wir nur geglaubt auf Hoffnung, dann aber werden wir schauen, und je mehr wir schauen werden, desto mehr werden wir's erfahren, was für eine über alle Maaßen große Wichtigkeit das Ereigniß hat, das wir an Weihnachten feiern. - Daher uns denn auch der Text zuruft: „Sehet!“ Wenn ihr für sonst nichts Augen habt, hiefür, ihr Menschen, müßt ihr Augen haben. Es ist ja ein Schauspiel, wobei selbst die Bewohner anderer Welten nicht ohne Theilnahme bleiben, wie Petrus schreibt, daß es ein Geheimniß ist, welches auch die Engel gelüstet zu schauen, und wie Paulus schreibt, daß selbst den himmlischen Herrschaften und Fürstenthümern seitdem die . vielmannichfaltige Weisheit Gottes erst recht kund geworden. Denkt euch, daß in einem großen Reiche eine der entlegensten Provinzen gegen ihren Herrscher sich in Aufruhr erhöbe und der Herrscher, in dessen Macht es gestanden hätte, mit der Gewalt der Waffen zu siegen, hätte der Sieg nur durch die Gewalt der Liebe zu erringen beschlossen - wer würde nicht als Zuschauer des großen Schauspiels stehen bleiben? Wäre es aber auch nicht die Erhabenheit dieses Schauspiels, welche ein solches Siehe! verdient, so schon das Ueberraschende, wie dieses Ereigniß eintritt: die Verborgenheit, in der es auftritt und die Niedrigkeit, in die es sich hüllt. Wenn sonst Königssöhne geboren werden, da hallt der Kanonendonner von den Höhen und tönen die Posaunen von den Thürmen: als dieser Königssohn geboren wird, da tönt nur ein leiser Engelgesang; wenn sonst Königssöhne geboren werden, da flammen die Lichter an allen Fenstern und ist's laut auf den Straßen: als dieser Königssohn geboren wird, da ist's Nacht und Stille auf dem Felde; wenn sonst Königssöhne geboren werden, da fliegen die Eilboten in alle Theile des Reichs: als dieser Königssohn geboren wird, bekommen nur etliche arme Leute etwas davon zu erfahren. Und bei dieser Verborgenheit und der Niedrigkeit dieses Ereignisses, da sollte nicht ein lautes Siehe! nothwendig seyn? Siehe, siehe, du thörichte Welt, wie du vor den eitelsten Begebenheiten stehen bleibst, um zu gaffen: hier geschieht ein Ereigniß, vor dem du nothwendig stehen bleiben solltest!

Ist es doch auch keine Trauerbotschaft, sondern eine Botschaft von herzergreifender Heiterkeit. „Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Er sagt allem Volk und meint das ganze Volk, denn daß der Welt ein Heiland geboren ist, das ist in der That nicht bloß eine Freude für diesen und jenen. Das Christenthum ist nichts weniger, als eine aristokratische, aber auch keine bloß demokratische Religion. Die Geburt des Messias ist ein Volksfest Israels, und gerade, daß es so eine allgemeine Freude ist, das vervielfältigt den Freudenstrahl, der in das einzelne Herz fällt. Auch schon das Prophetenwort spricht von diesem gemeinsamen Antheil an der Heilandsfreude: Kein Einwohner in der Gottesstadt wird sagen, ich bin schwach, denn das ganze Volk, das darinnen wohnt, wird Vergebung der Sünden haben. „Keiner, der in die Gottesstadt eingeht, wird mehr den andern zu lehren brauchen, denn sie werden alle den Herrn erkennen. “ Um diese Freudenbotschaft, wie sie hier verkündigt wird, mit Freuden aufzunehmen, dazu gehört freilich auch, daß man nach dem verlangt, was sie verkündigt. Denn verkündigt wird sie auch heut noch, so oft das Christfest kommt: „Siehe ich verkündige euch große Freude“ aber dem wie vielten ist denn das eine große Freude, daß ein Heiland geboren ist? Das war nun in dem Volke, dem hier die Botschaft verkündigt wird und insbesondere bei den Leuten aus diesem Volke, denen sie verkündigt wird, etwas anderes. Israel war das einzige unter allen Völkern, das mit seinem Sehnen und Hoffen mehr in der Zukunft lebte als in der Gegenwart. Der Heiland Israels war ein Objekt der Volkssehnsucht - nach einem Heiland nicht verlangen, das hieß: gar kein rechter Israelit seyn. Und sagt, muß man nicht die Zweige dieses Volksstammes mit Rührung und mit Staunen anblicken, wenn man sieht, wie die Blicke derer, welche ächte Juden sind, noch immer in die Zukunft und in's Vaterland gehen? Dieser Gegenstand war ihnen auch so vielfach beschrieben und abgebildet, daß sich sein Bild in aller Herzen eingegraben hatte. Wir finden ein solches sehnsüchtig um den Heiland bittendes Häuflein im Tempel Jerusalems um Simeon und Anna, sie heißen die, welche der Erlösung Israels warten. Zu diesem Häuflein haben ohne Zweifel auch diese Hirten gehört, welche dessen gewürdigt werden, das von der Welt her verschrieene Geheimniß zuerst zu vernehmen; vielleicht war dies der Gegenstand ihrer Gespräche gewesen, als sie bei nächtlicher Weile bei ihren Heerden saßen. Was gilts, als der Engel noch nicht weiter als bis zu den Worten gesprochen: Ich verkündige euch eine große Freude - die Leute haben nicht daran gedacht zu fragen: was mag das wohl für eine Freude seyn? ihr brennendes Herz hat ihnen die Antwort gegeben. Ja wenn wir, so oft wir an Weihnachten predigen: „Siehe ich verkündige euch eine große Freude. solche Hörer hätten, deren Herzen schon mit Warten und Sehnen dieser Botschaft entgegenschlagen, o was wäre es dann für eine Lust an Weihnachten Prediger zu seyn! Seht nun endlich den alles, was das Menschenherz bedarf, befriedigenden Inhalt dieser Botschaft. Von dem Gegenstande der großen Freude spricht der Engel als von einem längst bekannten: der Heiland sagt er, Christus den Herrn, und nicht bloß einen Heiland. Den also meint er, den auch ihr armen Hirten schon als den Verheißenen kennt. - Was ist nun ein Heiland? Heiland in unserer alten Sprache ist ein Heilender, einer, der ganz macht, was zerbrochen und gesund, was krank ist, der alles so macht, wie es nach Gottes Willen seyn soll. Einen umfassenderen Namen für ihn giebt's nicht. Um ihn indeß recht zu verstehen, ist zweierlei nothwendig. Wir müssen erkennen, was alles krank ist in der Welt und wie viel zu heilen, und wir müssen erkennen, wo der Grundschaden liegt, von dem alle Heilung ausgehen muß. Was hilft es, wo das Herz krank ist, an Händen und Füßen zu curiren, was hilft es, wo die Spiralfeder an der Uhr gesprungen ist, an den Rädern zu bessern? Was ist nun diese Spiralfeder im Leben eines menschlichen Geistes? - Es ist der Wille, es ist das Herz, und wird das nicht erst heil, werden die zwei Stücke nicht heil: das anklagende Gewissen und der Zwiespalt des Willens, so ist alle andere Heilung vergebens. Das aber ist die große Blindheit der Menschen, daß sie das von jeher nicht erkannt haben. Nach einem politischen Messias haben die Juden vor Alters verlangt, nach einem philosophischen die Heiden, einen Heiland für Industrie und Wohlstand verlangt die fleischlich gewordene Christenheit der Gegenwart. Wer läßt sich's einfallen, daß alles Arbeiten an den Rädern der Menschheit vergeblich ist, so lange die Spiralfeder gesprungen? Was murren die Menschen im Leben also? „Es murre ein jeglicher wider seine eigene Sünde,“ ruft der Prophet. Die Predigt von einem solchen Heiland geht nun auch durch alle Weissagung hindurch. „In Jakob wird ein offener Born seyn wider die Sünde. nicht mehr soll man Frevel hören in deinem Lande, noch Schaden und Verderben in deinen Gränzen. der Herr wird dein ewiges Licht und dein Gott wird dein Preis seyn. der da übrig bleiben wird in Zion, der wird heilig heißen. der Herr wird einen neuen Bund schließen, und das Gesetz wird in die Herzen geschrieben werden. “ Neben diesen Weissagungen stehen andere, welche in der Zeit der Erscheinung Christi gar keine Erfüllung gehabt zu haben scheinen. Wir wollen annehmen, sie hätten dieselbe nicht gehabt, aber spricht denn die Weissagung nur von dem Reiche Gottes, wie es bei seinen Anfängen in Christo erschienen ist? Wohl predigt er: das Reich Gottes ist da und mitten unter euch. aber lehrt er uns nicht auch zugleich beten: Dein Reich komme?“ So reicht nun auch die Weissagung hinaus auf die Zeiten, wo das Reich Gottes wird vollkommen gekommen seyn, und wo der, der damit angefangen hat, sich als ein Heiland zu erweisen des sündigen Herzens, sich auch als ein Heiland erweisen wird des sterblichen Leibes, als der Heiland der ganzen irdischen Kreatur, wo er einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird nach seinem Worte: Siehe, ich mache alles neu!' Aber erst neue Herzen, dann neue Geister, dann neue Leiber, eine neue Erde, ein neuer Himmel. So ist denn im weiteren Hinausblick in die Zukunft des Reiches Gottes verheißen: Der Herr wird abthun die Trauerhülle, damit alle Heiden zugedeckt sind, er wird die Thränen von allen Angesichtern wischen und den Tod verschlingen ewiglich. - Seht da den unermeßlichen Umfang seines Heilandsamtes. An dieser kleinen Welt meines und deines Herzens fängt er an und endigt mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde! Aber noch einmal, das ist die göttliche Ordnung: erst neue Herzen, dann neue Geister, neue Leiber und dann neuen Himmel und neue Erde.

O Vater der Barmherzigkeit, du hast der Menschheit, du hast diesen allen, die ich hier vor mir sehe, einen Heiland geschenkt, der alles, was an ihnen krank ist, heilen will und heilen kann. O hilf nun auch dazu, daß wir uns für solche deine Wohlthat dir dankbar erweisen. Wer es auch sei, ein jeder, der Mensch ist, der spreche an diesem Feste: Gottlob, ich habe nun einen Heiland, der alles, was an mir krank ist, heilen kann. Bei ihm will ich nun auch Heilung suchen. Amen.

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