Stähelin, Ernst - Die künftigen Dinge - Zweite Hälfte.

Stähelin, Ernst - Die künftigen Dinge - Zweite Hälfte.

Das ewige Leben.

Nachdem wir in unsrer letzten Erörterung durch das Abhören der verschiedensten Zeugen von innen und von außen die gewisse Ueberzeugung gewonnen haben, daß des Menschen Wesen und Bestimmung unmöglich in diesem irdischen Dasein aufgehen könne, sondern daß nothwendiger Weise noch ein anderes Leben ihm bevorstehe, - nachdem wir, sage ich, diese Ueberzeugung gewonnen, ergibt sich, wie mich dünken will, alles Uebrige und Genauere, was das Christenthum aus der h. Schrift über dieses andere Leben uns lehrt, für das folgerichtige Denken eigentlich ganz von selber, sobald nur die Beschaffenheit des menschlichen Wesens und die Wirkungen, welche das sittliche Verhalten darauf ausübt, recht bestimmt mit in Betracht gezogen werden. Zwar nicht so meine ich das, als reichte das menschliche Denken schon an und für sich dazu hin, die richtige Anschauung von der Gestaltung der künftigen Dinge aus sich zu entwickeln. Diese Behauptung würde vor dem wirklichen Sachverhalte keinen Augenblick bestehen können. Sondern nur darauf will ich mit meiner Bemerkung hindeuten, daß auch in diesem Stücke wie überall die göttliche Offenbarung uns nicht eigentlich Neues, Unerhörtes, unserm Wesen und Denken Fremdes mittheilt, das wir nur eben mit gläubigem Erstaunen in Empfang zu nehmen und lediglich um seines höhern Ursprungs willen für wahr zu halten hätten, sondern daß sie vielmehr vor Allem eine Offenbarung unseres eigenen Wesens an uns ist; eine Offenbarung, die uns dasjenige deutet, was in uns selber wohnt, sich regt, gedacht und ersehnt wird. „Wir wissen von uns aus nicht, was und wie wir bitten sollen,“ sagt der Apostel, „aber der Geist lehrt es uns.“ So wissen wir von uns aus nicht, was es eigentlich ist, das in der Tiefe unsrer Seele lebt und sich uns aufdrängt; wissen nicht, wie wir es zur Klarheit bringen, es aussprechen, begründen sollen, aber die Offenbarung verhilft uns dazu und gibt uns das rechte Wort dafür. Indem wir das Bild erblicken, das sie uns vorhält, indem ihre Rede von uns vernommen wird und wir sie prüfend zusammenhalten mit unserm eigenen Innern, wird es uns: als schaue dieses Innere die Erklärung seiner selbst, als werde sein gehaltenes Denken und Wissen entbunden, die gefesselte, nur verworren stammelnde Zunge ihm gelöst; ganz unmittelbar bezeugt es sich ihm, daß dieses von außen Kommende im Grunde sein Eigenes ist und diese Wahrheit im Grunde seine Wahrheit. Wohl ist es ihr Inhalt, mit dem es sich erfüllt, und ihre Fußstapfen, denen es nachgeht, aber es ist ihm dabei nicht anders, als gehe es seinen eigenen Gedanken - ach, als erfülle es sich mit dem, was aus seinem eigenen innersten Grunde hervorquillt. Das hat Tertullian im Auge gehabt, wenn er die menschliche Seele eine geborene Christin nannte; und in diesem Sinne spreche ich es aus: daß schon unser eigenes folgerichtiges Denken uns auf alles das führen muß, was die göttliche Offenbarung über die künftigen Dinge uns vorhält; nämlich es folgt ihrer Führung Schritt für Schritt, und ist sich doch bewußt, daß es dabei ebensowohl seiner eigenen Führung und seinen eigenen Gesetzen folgt, daß ihm hier einfach in der naturgemäßen Entfaltung gegeben ist, was es für sich selber nur im Keime in sich trägt.

Denn für's Erste gilt das doch ganz gewiß von den Aussagen, die man in der populären Sprache als die Lehren von Himmel und Hölle, von Seligkeit und Verdammniß bezeichnet, und deren Meinung zunächst dahin geht, daß der Zustand im andern Leben nicht für Alle der nämliche sein, sondern sich vielmehr in der bestimmtesten Weise darnach richten werde, wie ein Jeder gehandelt bei Leibesleben: so daß der Gute Gutes empfange und genieße, der Böse aber Böses. In der That erscheint nichts unserm Verstande und Gerechtigkeitsgefühle einleuchtender, und unserm gesamten Wesen, unserer gesamten Erfahrung angemessener als dieß. Daß der Mensch erndten muß was er gesäet hat, und uns alle Tage im Kleinsten und Größten, an uns und an Andern tausendfach vor Augen geführt; daß ein Jeder das wird, was er aus sich macht, ist nicht minder ein anerkannter Satz, der für das künftige Leben so gut seine Geltung haben muß, wie für das gegenwärtige. Denn durch das Abstreifen des Leibes kann ja doch in der Beschaffenheit der Seele keine Veränderung vor sich gehen; wenn wir überhaupt fortleben nach dem Leibestode, so müssen wir fortleben als die Gleichen, die wir vorher gewesen sind: mit dem gleichen Inwendigen, der gleichen Gesinnung, den gleichen Neigungen, der gleichen Richtung und Ausgestaltung unserer ganzen Person. Und wodurch anders wird unser inwendiger Mensch gebildet und empfängt unsere Person ihre Richtung und Gestalt, als durch unser Handeln im vollsten Sinne des Wortes, wonach auch Denken, Fühlen und Reden darunter begriffen ist? Es wäre eine mehr als oberflächliche und gedankenlose Betrachtungsweise, wenn wir meinten, was wir in diesem Sinne thun, bleibe lediglich etwas von uns Ausgehendes und darum uns Aeußerliches, und wirke nicht zurück auf unser eigenes Innere. Die Wahrheit ist: daß im Gegentheile nicht das Geringste, dem irgend eine sittliche Bedeutung zukommt, von uns vorgenommen wird, ohne nach innen einen Einfluß auf uns zu üben und sich gleichsam abzudrücken in unserer Seele und unserem Geistesleben. Und von diesen Rückwirkungen und Einflüssen empfängt dann nach und nach unser inwendiger Mensch seine Form und Beschaffenheit. Schon auf dem Gebiete des äußern Lebens redet man ja von einer zweiten Natur, die man durch seine Lebensweise, durch das zur Gewohnheit werdende Verhalten in diesem oder jenem Stücke sich anbilde. Und in noch viel höherm Grade muß dieß da geschehen, wo es um den Prozeß unseres sittlichen Heranbildens und Werdens sich handelt. Von gewissen groben, unmittelbar der Begierde des Fleisches dienenden Sünden, wie der Trunksucht, der Wollust u. s. w., ist es allgemein anerkannt, wie sie in solchem Maße zurückwirken auf die Seele dessen, der sich in ihnen bewegt, daß diese Seele am Ende für nichts Anderes Sinn und Raum mehr hat, als für ihre Antriebe und Bilder, und unter dem Wandel in der Sinnenlust ganz eigentlich mit versinnlicht, verfleischlicht, zu einem Herde und Organe solcher Lust wird. Aber was von diesen Fällen gilt, gilt nun auch von jeder andern Weise des sittlichen Verhaltens, und zwar selbstverständlich von dem Thun des Rechten wie von dem des Unrechten. Wer nach dem Gebote der Liebe zu handeln sich bestrebt, der bildet nach und nach eine Seele sich an, die liebt und an der Liebe ihre Lust hat; wer den Regungen der Selbstsucht und des Hasses gehorcht, der wird unvermeidlicher Weise immer selbstsüchtiger und selbstsüchtiger und der Geist des Hasses wächst in seinem Innern empor bis sein ganzes Wesen darin aufgeht.

Also das ist unzweifelhaft: als gar sehr verschieden geartete treten die Seelen in das andere Leben; und wie denn in dem Guten schon an und für sich Frieden und Wohlsein liegt, in dem Bösen dagegen Unbehagen und Pein, so kann ihnen offenbar in diesem andern Leben unmöglich das gleiche Schicksal werden, sondern dem Einen wird es wohl ergehen und dem Andern übel, die Einen werden selig sein und die Andern unselig.

Ich habe vorhin gesagt, meine Freunde, diese Wahrheiten, welche die allgemeine Grundlage der christlichen Lehre von Himmel und Hölle, von Seligkeit und Verdammniß bilden, leuchten doch gewiß unserm Denken ganz von selber ein, ja werden ganz von selber von ihm gefordert, sobald es überhaupt nur an ein weiteres Leben nach diesem Dasein glaubt. Aber auffallend genug erscheint es nun, - und legt ein recht sprechendes Zeugniß dafür ab, wie sehr wir einer Offenbarung von oben her bedürfen, die unser Denken entbinde und den Weg ihm bereite: - daß in der Zeit, bevor diese Offenbarung ihr erhellendes Wort gesprochen hatte, also in der Zeit vor Christo, dem Licht der Welt, die Vorstellungen der Menschen nichtsdestoweniger höchstens einzelne Spuren und Ahnungen dieser einleuchtenden Wahrheiten aufzuweisen haben. Den Glauben an die Fortdauer der Seele treffen wir bei ihnen Allen, wie wir dieß in unsrer letzten Betrachtung uns ausführten, aber diese fortdauernde Seele nun auch mit dem bestimmten Inhalte eines seligen oder unseligen Lebens auszustatten: zu diesem weitern Gedanken vermögen sie sich im Ganzen und Großen nirgends zu erheben. Selbst die philosophisch gebildetsten Völker, wie die Griechen, wissen lediglich da von einem derartigen Geschicke, wo es um die äußersten Spitzen des Guten und Bösen sich handelt, also um die ganz Vortrefflichen oder die ganz Verruchten. Die hervorragendsten Helden und Göttersöhne gehen in die elysischen Gefilde ein, da sie ein götterähnliches Leben führen, und wiederum ein Tantalus und Sisyphus werden in den Tartarus gestoßen, um in ausgesuchter, endloser Qual den Lohn ihrer Frevel zu empfangen; aber für die unermeßliche Mehrzahl derer, die weder zu den Einen noch den Andern dieser Gattung gehören, für die gewöhnlichen, durch nichts Besonderes ausgezeichneten Seelen, gibt es weiter keinen Unterschied in Betreff ihres zukünftigen Ergehens, wie sehr sie auch unter einander verschieden sein mögen. Und zwar aus keinem andern Grunde, als weil es überhaupt kein wirkliches Leben für sie gibt. In die dunkle freudenlose Unterwelt muß ihre gesamte Menge hinab, alles dessen beraubt, was zum Leben gehört und Leben wirkt. Kein Strahl der Sonne erhellt die graue Nacht dieses öden Daseins; kein Verkehr der Seelen unter einander, keine Thätigkeit bringt irgend eine Bewegung, irgend einen Wechsel in die traurige Stille. In einem matten, schattenhaften Traumleben wimmeln sie im dichten Gedränge an einander vorüber, in halbem Bewußtsein ihrer selbst und doch ohne jede Klarheit ihres Denkens und Fühlens, etwa den Fieberkranken vergleichbar, die in jenem peinlichen Schlummer sich wälzen, aus dem sie nicht zum Schlafen übergehen können und nicht zum Wachen sich emporraffen. „Nur kein Trostwort über den Tod,“ ruft bei Homer des Achilleus Seele, - denn auch sie nicht einmal ist in das Elysium eingezogen - dem die Unterwelt besuchenden Odysseus entgegen. „Denn lieber wollt ich ja droben auf der Erde dem dürftigsten Manne das Feld alltäglich bestellen, als über die gesamte Schaar der geschwundenen Todten herrschen.“ Nur indem sie das Blut der Todtenopfer trinken, können sie wieder auf kurze Zeit menschenähnlichen Zustand gewinnen; solch ein von außen, aus dem Reiche des Lebens kommendes Leben vermag es allein, ihre Seele, die an und für sich das Leben nicht in sich trägt, wieder für einen Augenblick mit einem Lebensfunken zu durchglühen.

Und über diese niedrige, unheimliche Vorstellung hinaus wissen sich nun die Anschauungen der vorchristlichen Menschheit im Allgemeinen nirgends zu erheben. Meistentheils stehen sie sogar noch tiefer, wie bei den Naturvölkern Asiens, Amerika's und Afrikas, vielleicht sogar bei unsern eigenen heidnischen Vorfahren. Als noch auf dieser Oberwelt fortexistierend erscheinen da die abgeschiedenen Seelen, gespenstig umherschweifend auf den Gräbern, in den Wäldern, den abgelegenen, sumpfigen Gegenden, sich selbst eine Qual, den Lebenden ein Gegenstand des Grauens und Entsetzens, den man durch heilige Sprüche und Opfer zu beschwören hat, damit sein feindseliger Sinn nicht jegliches Unheil anrichte.

Ja, was uns für den ersten Augenblick das Auffallendste dünkt, selbst mit dem Volk verhält es sich im Wesentlichen nicht anders, das doch sonst in der Erkenntniß der Dinge des Heils wie ein Leuchter dasteht neben der Finsterniß und Verworrenheit der Uebrigen, das nicht wie sie auf seine eigenen Gedanken angewiesen, sondern mit einer thatsächlichen Offenbarung des wahrhaftigen Gottes ausgestattet ist, mit dem Volke Israel, dem Volke des alten Testamentes. Denn der Scheol, in den die Seelen der Gestorbenen hinabsteigen, seitdem sie durch Adams Fall von dem Lebensbaume des Paradieses geschieden sind, trägt kaum irgend einen andern Zug an sich als der eben geschilderte Hades der Griechen. Wohl walten Ruhe und Stille darin, wie Hiob sich dessen zu trösten sucht, aber die Stille einer völligen Unempfindlichkeit, die Ruhe eines bleichen Schattenlebens. Keiner der Bewohner kann sich erfreuen an dieser Behausung des mitternächtlichen Dunkels; um ihrer Gefangenen sicher zu sein, muß sie verwahrt werden mit festverriegelten Thoren und mit Banden versehen, die stark sind wie die Liebe. Auch die Seelen der Gottesfürchtigen, obwohl sie geduldig in ihres Schöpfers Willen sich ergeben, vermögen sich doch nicht mehr aufzuraffen zum Preise seiner Herrlichkeit oder die im Leben erfahrene Gnade und Huld in lebendigem Glauben festzuhalten. „Die Todten werden den Herrn nicht loben,“ heißt es im 115. Psalm, „noch die hinunterfahren zur Stille,“ oder wie der von Krankheit erstandene König Hiskia im Propheten Jesaja sagt: „Die Unterwelt preist dich nicht, der Tod lobsingt dir nicht; die in die Grube sanken, harren nicht mehr auf deine Treue. Der Lebende, der Lebende, er preiset dich, wie ich heute.“ Aber freilich, meine Freunde, ganz ohne Lichtpunkte bleiben namentlich im Gebiete des alttestamentlichen Offenbarungskreises diese düstern Schatten nicht. Denn hier wird ja ein lebendiger Gott geglaubt und gewußt, und ganz von selbst drängt sich aus diesem Glauben den frommen Gemüthern jene von dem Herrn mit klaren Worten ausgesprochene Wahrheit auf: solch ein Gott kann nicht ein Gott der Todten sein oder der Tod-Aehnlichen, sondern er muß ein Gott sein der Lebendigen. Mögen sie immerhin kein bestimmtes Wissen empfangen haben von einem künftigen Leben, das dieses Namens werth ist: indem sie doch davon wissen, ja es an sich erfahren, daß sie in Umgang und Gemeinschaft treten können mit dem ewigen Gotte, wird es ihnen im innersten Grunde ihres Herzens unmittelbar zur Ahnung und Gewißheit, daß diese Gemeinschaft durch keine Gewalt mehr zerrissen werden kann, auch nicht durch die des Todes, daß dieser Ewige sein einmal erworbenes und in sich selbst aufgenommenes Eigenthum auch festhalten wird in Ewigkeit und es nicht wieder hinausstoßen aus seinem Wesen. „Während die Kinder der Welt, die Weisen wie die Thoren,“ spricht in diesem Glauben der Sänger des 40. Psalmes, „gleich Schafen zur Unterwelt getrieben werden, daß der Tod sie dort weide, wird er meine Seele erlösen aus der Hölle Gewalt, denn er wird mich zu sich nehmen.“ Und wenn in dem Propheten Jesaja gleichsam aus dem allgemeinen Volksbewußtsein, dem allgemeinen Volksmunde heraus die schmerzliche Klage ertönt: „die Todten werden nicht leben, die Schatten stehen nicht wieder auf,“ so antwortet darauf der göttliche Trost: „Aber sie sollen leben, meine Todten! sie sollen auferstehen meine Leichname. Wachet auf und rühmet ihr Bewohner des Staubes! Die Erde gebieret die Schatten wieder!“

Und nicht Nur in dem Volke Israel sind diejenigen, die wahrhaftig zu Gott hindurchgedrungen, damit auch in dieser Weise aus dem Todesschauer zur Lebensgewißheit hindurchgedrungen, sondern das Nämliche, obwohl natürlich in viel unvollkommenerem Maße, läßt sich auch in der Heidenwelt wahrnehmen. Wir haben Sokrates schon das letzte Mal genannt und einzelne seiner Zeugnisse für die Unsterblichkeit der Seele uns vorgeführt; was wir aus der nämlichen Unterredung vor dem Trinken des Giftbechers für unsere heutige Betrachtung uns aufgespart haben, klingt noch höher und reicher und liefert den Beweis, daß er nicht nur von einer unvergänglichen Fortdauer weiß, sondern auch von einem ewigen Leben, das derer wartet, welche die Götter lieben, und von einer Verwerfung der Uebrigen, die dahinleben ohne sie. Oder was kann er Anderes meinen, wenn er zu Kebes und Symmachus gewendet, sie versichert, daß wer wirklich im Trachten nach den obern Dingen sein Leben zugebracht habe, beim Herannahen des Todes getrost sei und die freudige Hoffnung hege: er werde, wenn er gestorben, dort die größten Güter erlangen? „Ja, es kommt darauf hinaus,„ fügt er hinzu, und unwillkürlich wird man dabei an die Aussprüche der Apostel erinnert, „daß diese Alle, ohne daß die übrigen Menschen es bemerken, nichts Anderes bezwecken als zu sterben und todt zu sein. Und warum sollten sie das nicht, da ja dort der Guten etwas viel Besseres wartet? Mit freundlichen Gebietern und Genossen werden sie zusammentreffen; wie unglaublich das auch dem großen Haufen erscheint.“ ) Und noch bestimmter setzt er an einer andern Stelle die ganze Lehre von Seligkeit und Verdammniß auseinander, wie sie für das menschliche Denken sich gestalten muß, wenn es zwar lediglich auf sich beschränkt, aber doch zur Erkenntniß der Anfänge der Wahrheit hindurchgedrungen ist. „Nein,“ sagt er, „nicht zunichte werden wird meine Seele, die für einen edeln Ort, für einen guten und verständigen Gott bestimmte, sondern, so er will, unverzüglich zu ihm kommen. Denn wenn die Seele rein den Körper verläßt, Nichts von demselben mit sich ziehend, sondern ihn fliehend und in sich selbst gesammelt, nachdem sie schon immer in diesem Sinne gelebt, so geht sie in das ihr Aehnliche, in das Unsichtbare ab, in das Göttliche und Unsterbliche und Vernünftige, woselbst es ihr zu Theil wird, glückselig zu sein, indem sie von Irrthum und Unverstand und Befürchtung und Gelüsten befreit ist und die übrige Zeit mit den Göttern verlebt. - Anders aber freilich, wenn sie befleckt und ungereinigt den Körper verläßt, weil sie immer mit ihm in Gemeinschaft war, ihn pflegte und liebte, von seinen Lüsten und Vergnügen sich bezaubern ließ und nichts Anderes für wahr hielt, an nichts Anderes dachte, als nur an das Körperliche, an das, was man berühren und sehen, essen und trinken und zum Genusse verwenden kann, während sie im Gegentheile das für die Augen Unsichtbare, das nur durch den Gedanken zu Erfassende und durch die Liebe zur Weisheit zu Ergreifende von sich abwies und haßte und floh. Solch eine Seele verläßt offenbar den Körper nicht als eine selbständige und rein geistige, sondern vielmehr durchaus durchsickert und erfüllt von dem Körperlichen. Und wie nun dieses schwer und erdenartig ist, so wird eine derartige Seele auch beschwert und wieder in den sichtbaren Raum herabgezogen, da sie dann herum irrt und um die Gräber sich wälzt und Strafe büßt für ihre frühere Lebensweise, welche schlecht war, bis sie durch ihre Begierde nach dem Körperlichen sich etwa wieder an einen Körper binden kann, der ihrer frühern Lebensgewohnheit und inneren Beschaffenheit entspricht. Die Ueppigen und Schlemmer werden da in Esel oder dergleichen Thiere fahren. Die Ungerechten und Gewaltthätigen in Wölfe und Geier und dergleichen. Die gewöhnlichen, rechtschaffenen Leute, die der Mäßigkeit und bürgerlichen Tugend lebten, ohne aber doch etwas Höherem und wahrhaft Geistigem nachzutrachten, werden wieder in eine derartige staatliche und zahme Gattung kommen, etwa in Bienen oder Ameisen, oder auch wiederum in Menschen, aus denen dann ganz ordentliche Leute werden. Aber in die Geltung der Götter zu gelangen, ist demjenigen, welcher nicht nach der höchsten Weisheit strebte und vollkommen rein abscheidet, nicht gestattet, und darum auch enthalten wir uns der körperlichen Begierden und des Trachtens nach Reichthum und leben nicht dem Leibe, sondern der Liebe zur Weisheit und der Erlösung und Reinigung.“

Aber mich dünkt, meine Freunde, ich höre Sie fragen: zu welchem Zwecke ich denn eigentlich dieß Alles Ihnen vorführe: zuerst jene trüben allgemeinen Volksvorstellungen der vorchristlichen Menschheit, und dann diese anders gearteten Zeugnisse einiger Einzelnen, in denen die höchste Stufe ihrer religiösen Erkenntniß sich darstelle? Durch diese geschichtlichen Rückblicke, werden Sie mir einwenden, werde ja doch der mir obliegende Beweis der Wahrheit der christlichen Lehre von den künftigen Dingen in keiner Weise gefördert, sondern nur der Fortgang der begonnenen Erörterung in verwirrender Weise unterbrochen.

Aber das ist meine Meinung nicht. Vielmehr glaube ich durch diese Darlegungen einen bedeutenden Schritt vorwärts zur Lösung meiner Aufgabe gethan, und in möglichst einleuchtender Weise den Weg bereitet zu haben, auf dem wir zum rechten Verständnisse dessen gelangen können, was den Kern und die Seele der evangelischen Verkündigung über unserem Gegenstand ausmacht.

Nämlich fürs Erste ist ja durch diesen geschichtlichen Rückblick von Neuem erwiesen, daß es in der That wahr ist, was der Apostel bezeugt: „Außer Christo sind wir ohne Hoffnung in der Welt. In Finsterniß saßen sie und Schatten des Todes, als die da keine Hoffnung hatten, bis das wahrhaftige Licht, das alle Menschen erleuchtet, in die Welt gekommen ist.“ Oder wiederum: „sie mußten Alle Knechte der Todesfurcht sein im ganzen Leben; er aber hat sie erlöst und dem Tode die Macht genommen.“ - Gerade hier, bei dieser Lehre von der Gestaltung des künftigen Daseins, von der man doch wohl sagen darf, daß sie vor allen Andern die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und zur ernstlichsten Erkenntnißarbeit auffordern mußte, zeigt es sich recht, was es mit dem vielgerühmten Vermögen der menschlichen Vernunft und ihren Fortschritten, durch die sie nach und nach alle Höhen und Tiefen der Wahrheit durchdringen soll, auf sich hat. Was ist sie denn auf dem uns vorliegenden Gebiete von sich aus zu leisten im Stande gewesen, diese Vernunft? Wo hat sie unser Geschlecht im Ganzen und Großen auch nur über die beschränktesten und widersprechendsten Vorstellungen hinauszuführen, oder in das peinlichste, angstvollste Dunkel den Lichtstrahl hineinzuwerfen vermocht, an dessen Schein die Seelen sich aufrichten konnten zu Hoffnung und Frieden? Und ist das etwa anders und besser geworden im Laufe der Jahrhunderte, mit der Zunahme des Wissens und Könnens in dem Umkreise der irdischen Dinge? Zunächst auf ihre Zeitgenossen beziehen sich ja jene eben angeführten Aussprüche der Apostel. Von denen, die am Schlusse der vorchristlichen Weltentwicklung lebten und alle Resultate derselben in sich aufgenommen hatten und genossen, muß Paulus sagen: „sie sind traurig als Solche, die da keine Hoffnung haben.“ Und wiederum: durch wen anders als durch Christum und sein Evangelium hat sich nun das, nicht erst nach und nach, nicht durch Entwicklung und Fortschritt, sondern mit einem Male, durch das eine Wort der Verkündigung von oben her, in solchem Maße geändert, daß von nun an im geraden Gegensatze zu der bisherigen Anschauung der Dinge, das irdische Leben als das dunkle, trübe, freudlose erschien im Vergleiche mit der Licht- und Verklärungs-Fülle, in der das zukünftige entgegenstrahlt? Daß eben dieses zukünftige jetzt zum Ziele aller Hoffnung wird, zum wahrhaftigen Leben und der wahrhaftigen Lebensfreude? Daß, wenn dort Achilles klagen mußte, wie dieser Zeit Leiden und Trübsale noch für nichts zu achten seien gegen die Trübseligkeit des zukünftigen Daseins, nun der Apostel im Gegentheile ausrufen kann: „Nein! sie sind für nichts zu achten und nicht werth genannt zu werden gegenüber der Herrlichkeit, die dort an uns geoffenbaret werden soll?“ -

Und nicht nur Einige der hervorragendsten und gefördertsten Geister, nicht nur ein Johannes und Paulus sind es nun, die Solches erkennen, und in dieser Gewißheit, auf dieses Ziel hin ihr Leben führen, sondern Allen ohne Ausnahme, welche die neue Verkündigung vernehmen, auch den Geringsten und Unmündigsten, wird ihre Wahrheit alsobald offenbar und verständlich und macht sie innerlich frei und getrost, und lehrt sie in die zukünftige Welt hinüberschauen als in eine Welt der Seligkeit und der Ruhe in dem Schoße Gottes. Jetzt zeigt, wo nur immer Christi Name genannt wird, schon das kleine Kindlein, das kaum noch zu denken vermag und kaum noch zu stammeln, ein freudiges Angesicht, wenn man es fragt: „wo ist deine verstorbene Mutter hin, dein Bruder oder deine Schwester?“ und weist nach oben und antwortet: „Sie ist bei dem lieben Gott als ein heiliger Engel und hat es gut bei ihm.“ —

Ja, wer mit kundigem Auge diese plötzliche Umwandlung überblickt, dem wird es nicht anders zu Muthe, als steige die Tonne empor nach der Nacht; und wo ihre Strahlen hinfallen, ist die Finsterniß ganz von selber entschwunden, und fröhlich gehen die Menschen ihren Weg in der Tageshelle und stoßen nicht an, weil sie im Lichte wandeln. Und damit steht es nun nicht im Geringsten im Widerspruch, daß schon vor Christi Erscheinung Einzelne der Weisesten und Frömmsten sich finden, die nicht mehr völlig in jenem Dunkel tappen. Denn dem Aufgange der Sonne geht ja immer die Morgenröthe voran; und nur deßhalb ahnen sie etwas von dem ewigen Leben, weil sie von der Bestimmung zur Gottesgemeinschaft etwas ahnen und glauben, die in Christo Thal und Wahrheit geworden ist. Zugleich mit der Hoffnung einer künftigen Erlösung erfassen die Frommen Israels die Hoffnung, daß sie nicht in dem Tode bleiben, sondern Gott schauen werden in Gerechtigkeit wenn sie erwachen nach seinem Bilde; und selbst in jener platonischen Schrift, die des Sokrates letzte Reden enthält, kommt etwas Aehnliches vor, wenn einer der Unterredner das merkwürdige Wort ausspricht: „Freilich ist es schwierig, in Betreff der künftigen Dinge etwas Bestimmtes zu wissen; es bleibt nichts Anderes übrig, als sich zunächst an die besten und unwiderlegbarsten der menschlichen Worte zu halten, bis man etwa sicher und gefahrlos auf dem festen Fahrzeuge eines göttlichen Wortes die Fahrt machen kann.“

Das Zweite aber, was jener geschichtliche Rückblick ganz unbestreitbar uns darthut, ist dieß: daß lediglich mit der abstrakten Ueberzeugung von der Unsterblichkeit der Seele noch durchaus nichts gewonnen ist, sondern daß diese Unsterblichkeit sich schlechterdings erst mit einem bestimmten Inhalte erfüllen muß, ehe sie in irgend einem Sinne eine Bedeutung für uns gewinnen kann. Es ist wichtiger als es auf den ersten Anblick scheinen möchte, dieß mit Klarheit zu erkennen. Denn häufig genug kommt es ja auch in unserer Mitte noch vor, daß man den Glauben an die Unsterblichkeit an und für sich schon als etwas Religiöses und Christliches betrachtet, und ihn fast zum Verdienste sich rechnet, wie denn der Rationalismus bekanntlich sein ganzes Glaubensbekenntniß in die drei Worte zusammenfaßte: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit.

Aber was denkt man sich nun unter dieser Unsterblichkeit, indem man so redet, und was kann man sich darunter denken? Der Eine dieß, der Andere Jenes, wie die Erfahrung lehrt, ein Jeglicher nach seiner Phantasie und individuellen Neigung. Bei jenen trübseligen, vorchristlichen Vorstellungen bleibt freilich Niemand stehen, sondern Alle nehmen irgend welche Elemente, die mit dem christlichen Gedankenkreise Ähnlichkeit haben, in ihre Anschauung auf. Gewöhnlich als eine erhöhte und verschönerte Fortsetzung des diesseitigen Daseins wird da das andere Leben gedacht, auf das Wiederfinden und Wiedersehen der Angehörigen und Geliebten wird der Hauptnachdruck gelegt, auf die Befreiung von allen den Hemmnissen, Leiden, Kämpfen, die hienieden unfern Wandel erschweren und verbittern.

Allein, meine Freunde, woher nehmen wir zu solchen Erwartungen auch nur irgendwie Recht und Grund? Auf die heilige Schrift wenigstens können wir uns dafür nicht berufen. Denn diese legt, wie Sie wissen, das Hauptgewicht auf ganz andere Dinge, und thut z.B. jenes vielbesprochenen Sich-Wiedersehens und Wiederfindens auch nicht mit einem einzigen Worte Erwähnung. Schöpfen wir aber nicht aus dieser Quelle, welche andere steht uns dann in unserer Frage noch offen? Etwa unser Gefühl und das Bewußtsein unseres Inneren? Daß dieses keineswegs in so bestimmter und deutlicher Sprache redet, beweist uns ja doch das Beispiel der vorchristlichen Welt; und sowie wir den Sachbestand einigermaßen genauer untersuchen, so werden wir es bestätigen müssen, daß wir lediglich in uns selber eigentlich nicht das Geringste finden, was zu jenen landläufigen Vorstellungen uns berechtigt, daß sie demnach völlig halt- und grundlos in der Luft schweben, ja sogar an unheilbaren Widersprüchen leiden, durch die sie für das schärfere Denken ganz von selber sich auflösen. Denn - um nur Eines anzuführen - was heißt das: unser jetziges Dasein solle von seinen gegenwärtigen Hemmnissen und Widerwärtigkeiten befreit und in verschönerter Gestalt weitergeführt werden? Liegen denn diese Hemmnisse und Widerwärtigkeiten nicht vor Allem in unserm eigenen Wesen? In unserer Selbstsucht, unserer Unzufriedenheit, unserer Schwachheit und Sünde? Und wenn wir nun in der andern Welt einfach wieder als die nämlichen weiter leben, ohne daß eine Erlösung und Verklärung an uns vollzogen worden, ohne daß ein höheres Leben in uns eingegangen ist und uns aufgenommen hat in seine Fülle: wie könnte dann unser jenseitiger Zustand ein wesentlich anderer sein als der diesseitige? Er würde einfach eine Fortsetzung desselben bilden; eine Fortsetzung all dieses gegenwärtigen Leidens und Kämpfens, Strebens und Arbeitens und Fehlens bis in alle Ewigkeit hinein. Und da nun Niemand solch einen widersinnigen, ziel- und trostlosen Gedanken wird vollziehen können, so hat der Verfasser der fünf Vorträge ganz Recht, wenn er sagt: die einzige Vorstellung, die einem derartigen Unsterblichkeits-Glauben übrig bleibt, ist die „eines ewig leeren, langweiligen Einerlei, das uns gleich dem Tode erscheinen muß;“ also eben die Vorstellung, die wir innerhalb der vorchristlichen Welt angetroffen haben.

Und so ist denn das Dritte, was nach alle dem jener historische Rückblick ganz unzweifelhaft uns erweist, daß es gar keinen anderen Inhalt für das künftige Dasein geben kann, gar keinen anderen Inhalt, der dasselbe zu wirklichem Leben macht, als Christum und die Gemeinschaft mit Christo. Es ist eine der tiefsten und anregendsten Wahrheiten, welche aus der heiligen Schrift uns entgegentreten, daß sie nirgends die Unsterblichkeit an sich, die bloße Fortdauer der Seele nach dem Tode zum Gegenstande ihrer Verkündigung macht, so entschieden sie dieselbe auch behauptet, sondern da erst erwähnt sie der Sache und thut ihren belehrenden Mund gegen uns auf, wo diese Unsterblichkeit eine reale Bedeutung gewinnt, wo sie uns hinweisen kann auf ein ewiges Leben im wahrhaftigen und vollen Sinne des Wortes.

Nämlich was ist Leben nach seinem allgemeinen Begriffe? Es kann uns, wenn wir zunächst auch nur dieses irdische Leben in das Auge fassen, nicht schwer werden, darüber zur Klarheit zu kommen. Wir empfinden recht gut, daß die Haupteigenschaft des Lebens darin besteht: zu empfangen, in sich aufzunehmen, fremde Kräfte, selbst andere Stoffe in sich eingehen zu lassen, das Aufgenommene sich zum Eigenthum zu machen, und es wiederum in dieser erhöhten Gestalt nach allen Seiten und Richtungen ausgehen und auswirken zu lassen. Leben ist beständiges Empfangen, beständiges Aneignen und beständiges, erhöhtes Wiedergeben des Empfangenen. Lediglich für sich selber kann also kein Leben bestehen, wenigstens kein kreatürliches wie wir es kennen und in uns tragen, sondern es bedarf durchweg eines andern, außer ihm stehenden Lebens, mit welchem es in gebender und empfangender Beziehung sich befindet, von dem es sich nährt, durch das es sich erfüllt, an dem es sich bethätigt.

Wenden wir dieß auf den Menschen an, so leuchtet es ein, daß er demnach nur da Leben besitzen und genießen kann, wo sich ihm etwas darbietet, das er in sich aufzunehmen, mit dem er in Gemeinschaft zu treten vermag. In der öden, gegenstandslosen Leere würde Keiner von uns leben, Keiner von uns Stoff zum Leben finden. Denn einem Gefäße sind wir vergleichbar, das wohl die Fähigkeit hat, das Reichste und Mannigfaltigste in sich zu schließen, das aber solchen Inhalt nicht aus sich selber erzeugt, sondern dem er von außen her zu Theil werden muß. Wir sind fähig zu denken und zu erkennen, aber wir würden es doch nicht wirklich zu thun im Stande sein, wenn uns keine Gegenstände zum Denken und Erkennen geboten würden. Wir sind fähig zu lieben, aber wir würden doch nicht thatsächlich lieben können, wenn wir nichts zu lieben hätten, wenn unserm Herzen nirgends ein anderes Herz begegnete. Und so weiter auf allen übrigen Gebieten unseres Wesens.

Sie sehen von selbst, meine Freunde, was hieraus für das künftige Dasein folgt. Nämlich unbestreitbarer Weise dieß: daß wir auch in diesem künftigen Dasein kein Leben haben können: es biete sich uns denn darin ein anderes, außer uns befindliches Leben dar, mit dem wir Verbindung haben, mit dem wir in jenem ganzen Prozeß des Empfangens und Wiedergebens zu stehen vermögen, wie wir ihn eben schilderten. Und zwar von welcher Art muß dieses Leben sein? Unsterblich - weil wir selber unsterblich sind; die Fülle der Liebe, der Weisheit, des Friedens, der Heiligkeit, - weil wir zu dem Allem das Bedürfniß und die Anlage in uns tragen, und wir eben gesehen haben: Niemand kann den zukünftigen Zustand sich denken als ein zielloses Weiter-Hungern und Dürsten, sondern Jeder muß ihn sich vorstellen als die Erfüllung und Vollendung dessen, was von seinem Wesen erfordert wird.

Solch ein Leben aber ist nun, wie wir Alle wissen, nirgends anders vorhanden und kann nirgends anders vorhanden sein als in Gott; und nur in dem Falle kann es demnach für den Menschen ein ewiges Leben geben, wenn es eine Gemeinschaft mit Gott für ihn gibt, wenn Gott in ihn eingeht, sich ihm mittheilt, ihn aufnimmt in sich, gleichsam in einen Wechseltausch des Gebens und Empfangens, des Ein- und Ausströmens - in einem Worte: der Liebe mit ihm tritt.

Dieß aber wird uns nun erfahrungsmäßig allein in und durch Christum ermöglicht und geboten. Ich sage: erfahrungsmäßig; denn vor ihm und außer ihm hat ja ganz zugestandener Weise Niemand etwas von solcher Wesensgemeinschaft mit Gott gewußt und in sich getragen; während, sobald er erschienen ist, Alle die ihn aufnahmen nun wie mit einem Munde bekennen: „Wir leben, aber nun doch nicht mehr wir, sondern Christus lebet in uns, in welchem Gott lebt; der Geist Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen; unser Wandel ist jetzt nicht mehr hienieden, sondern im Himmel, da Christus ist, sitzend zur rechten Hand Gottes.“ Und so klar und entschieden als möglich bezeugt er selber auch diesen Sachverhalt. „Niemand kommt zum Vater,“ sagt er, „denn durch mich. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wer an mich glaubt, zu dem wird der Vater kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Und sehen wir nun näher zu, warum das so ist, so finden wir, daß er weiter erklärt: er, der Eins sei mit dem Vater, in dem Gott wohne in seiner ganzen Fülle, sei bereit und im Stande dieses sein gottdurchwohntes Wesen denjenigen mitzutheilen, die an ihn glaubten und durch solchen Glauben sich ihm aufschlössen, so daß nun in der That ihr auf Gott angelegter Mensch mit dem Inhalte ausgestattet werde, dessen er bedürfe, und damit aus dem Zustande eines bloßen leeren Daseins in den Zustand des vollen, wahrhaftigen Lebens erhoben werde, dessen Erfordernisse wir uns eben darlegten. Auf die Gemeinschaft, die tatsächliche persönliche Gemeinschaft, das Einswerden der Menschenseele mit ihm zielt darum Alles ab in des Herrn Wort und Werk. „Das ist es, wozu der Vater mich gesandt hat,“ sagt er, „daß ich euch mein Fleisch zu essen gebe und mein Blut zu trinken,“ d. h. meine ganze eigenste Beschaffenheit so wirklich und wesenhaft in euch eingehen lasse und euch anbilde wie die Speise in euern Leib eingeht und sich ihm anbildet. Mit wem das nicht geschieht, der bleibt eben darum nothwendiger Weise ohne wahrhaftigen Lebensinhalt; bleibt eine bloße Möglichkeit, eine bloße Anlage, welche ihre Verwirklichung, die ihr zukommende Erfüllung nicht empfängt. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken mein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Es gibt kein anderes Brod, das der Welt das Leben gebe als mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt. Wer dieß Brod isset, der wird leben in Ewigkeit. Wer nicht in mir bleibet und ich in ihm, der bringet keine Frucht und verdorret und wird abgehauen und weggeworfen.“

Welch ein Licht wirft uns das nun zurück auf jene Erscheinung, daß die vorchristliche Welt noch kein ewiges Leben kannte, sondern nur eben ein endloses Dasein! Jetzt wird es uns klar: es war das nicht etwa ein selbstverschuldeter Mangel an Nachdenken und Erkennen von ihrer Seite, sondern es konnte sich gar nicht anders mit ihr verhalten; das Leben war damals in der That noch nicht vorhanden, noch nicht erschienen; sie hoffte darauf in ihren gefördertsten Geistern, sie streckte sich darnach aus in dunkler, schmerzlicher Sehnsucht, aber sie schaute es noch nicht, sie besaß es noch nicht. Wie eine ergreifende Weissagung hört es sich nun an, wenn dort die lebenentbehrenden Schatten der Unterwelt den Odysseus anstehen um ein lebenbringendes Blut aus der Welt der Lebendigen, das sie wieder für eine Zeitlang mit Lebenskraft durchströme; es ist, als bestätigten sie schon zum Voraus jenes Wort des Herrn: „Wer mein Blut nicht trinket, der hat kein Leben in sich,“ als ahnten sie etwas davon, daß es ein Blut gebe aus dem Reiche des wahrhaftigen Lebens, das wirklich und bleibend mit Leben erfülle.

Und kaum bedarf es nun dessen, daß ich dieses ewige, wahrhaftige Leben genauer beschreibe. Daß es für's Erste nicht erst ein künftiges ist, sondern schon ein gegenwärtiges, das indem Momente seinen Anfang nimmt, da wir Christum in uns aufnehmen und damit die ganze Wesenheit Gottes Wohnung in uns, macht, leuchtet ja durch das Bisherige klar genug von selber ein.

Und nicht minder leuchtet es ein, worin es besteht: nämlich mit einem Worte: in dem Einssein mit Gott durch Christum, gleich wie Gott mit sich selbst Eins ist, Vater, Sohn und Geist. „Ich bitte für sie,“ ruft der Herr in dem hohenpriesterlichen Gebete aus, „daß sie in uns Eins seien, gleich wie du Vater in mir und ich in dir;“ und wiederum: „Ich in ihnen und du in mir, auf daß sie vollendet seien in Eins, und die Liebe, damit du mich liebest, sei in ihnen und sie die Herrlichkeit haben, die du mir gegeben hast.“ - Wird es einem Menschenmunde möglich sein, dieß noch näher auszuführen und in seine einzelne Momente auseinanderzulegen? Gott sei Dank! daß allerdings der Erfahrung unseres Inneren solcher Zustand verständlich und zugänglich ist; aber über unser zunächst noch zeitlich geartetes, verstandesmäßiges Begreifen und Reden liegt er weit hinaus. Es genügt, daß wir wissen und uns sagen: Wir leben ewig und sind selig, wie Gott ewig lebt und Gott selig ist, denn wir sind in ihm und er in uns: ein Genießen, ein Lieben, ein Besitzen, ein Wirken, ein Erkennen, ein unerschöpfliches Empfangen und wieder Zurückgeben des Empfangenen, wie die seligen Schaaren in der Offenbarung die Krone der Gerechtigkeit, mit der ihr Haupt geschmückt ward, wieder niederlegen vor dem Throne des Lammes, und in nimmer verstummendem Liebespreise die Worte des Heiles ihm wiedersingen, die sie von ihm vernommen.

Das, meine Freunde, ist der Himmel der Christen, der Himmel, den das Evangelium verkündigt, und von dem sicherlich ein Jeder wenigstens so viel wird bekennen müssen, daß er dem Menschen das Höchste, was überhaupt denkbar ist, in Aussicht stellt, ja was der Menschengeist aus sich selber gar nie zu denken gewagt und vermocht hätte. „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und in keines Menschen Sinn gekommen ist,“ sagt der Apostel, „hat Gott bereitet denen, die ihn lieben.“

Und in dieser Erkenntniß dessen, was so das ewige Leben nach seinem tiefsten Grunde und Wesen ist, verschwinden nun auch von selber alle jene kleinlichen Fragen der Neugierde und der noch irdischen Vorstellungen, die man so häufig über die Zustände im Himmel erheben hört: wie z. B. ob man sich da wieder finden, wieder erkennen werde, wieder zusammengehören wie hienieden? womit man sich zu beschäftigen habe durch die Fülle der Ewigkeit hin? und was dergleichen mehr ist. Ich sage: diese Fragen verschwinden nun von selber. Denn wenn wir erkennen werden wie Gott, nun so erkennen wir ja auch Alles was er erkennt, und wenn wir lieben werden wie er, nun so lieben wir ja auch Alles was er liebt, und lieben es in derselben Weise über die hinaus keine höhere denkbar ist, und wenn wir wirken werden wie er und selig sein wie er, nun so thun wir auch seine Werke und genießen sein unaussprechliches Genügen; und die Fülle dieser Werke und dieses Genügens wird so wenig bei uns sich erschöpfen als sie bei ihm selber sich erschöpft. Wer nun auch dem gegenüber noch sagen mag, wie der Verfasser der fünf Vorträge es thut, das selige Leben der Schrift sei im Grunde ein Nichts; Leben sei eben ein Ringen und Kämpfen mit der Macht der Endlichkeit, und wo diese wegfalle, bleibe nur eine ewige Leere und Langeweile, - mit dem können wir freilich nicht weiter streiten; denn was thut er Anders, als daß er des ewigen Gottes eigenen Zustand für einen Zustand der endlosen Langeweile und Leere erklärt? Ein Gedanke, dessen philosophischen und religiösen Werth zu beurtheilen Sie mir erlassen!

Allein, meine Freunde, dem Worte Himmel stellt sich nun ganz von selber das andere: Hölle gegenüber, dem Erreichen des Zieles ganz von selber das Verfehlen desselben. Und wie die Schrift von dem Einen wie von dem Andern redet, das Eine wie das Andere in seiner vollen Beschaffenheit uns vor Augen stellt, so werden auch wir dieser Pflicht uns nicht völlig entziehen dürfen, wenn gleich die Kürze der Zeit nur noch eine sehr beschränkte und fragmentarische Darstellung mir gestattet.

Bekanntlich ist die Lehre von der Hölle oder der Unseligkeit der in der Trennung von Gott beharrenden Menschenseele eine von denen, welche die ganz besondere Ungunst des widerchristlichen oder überhaupt nur des modernen Zeitgeistes trifft. Hören wir statt aller andern seiner Sprecher nur den Verfasser der fünf Vorträge über diesen Punkt. „Gilt es nun vollends,“ sagt er, „neben dem Himmel und seiner Seligkeit auch noch die Hölle uns vorzustellen, wo nach dem alten Glauben die große Mehrzahl der Menschen im ewigen Feuerpfuhl brennen wird, da müssen wir geradezu allen Begriffen von leiblichen und geistlichen Dingen den Abschied geben. Von der Hölle sprechen darum heutigen Tages nur noch die Vollblutorthodoxen, die kein Bedenken tragen, die Vernunft für ein Blendwerk des Teufels zu erklären, dessen Interesse es allerdings sein muß, die Menschen blind zu machen gegen die höllischen Zustände.“

Wir lassen den Ton und die Haltung dieser Polemik auf sich beruhen, und erinnern zunächst nur an das, was wir gleich beim Beginne dieses Vortrages uns nachwiesen: daß nämlich die ganze Lehre von Himmel und Hölle ja auf nichts Anderem beruhe als auf dem alten Verstandes- und Erfahrungssatze, daß ein Jeder erndte, was er gesäet, ein Jeder das sein werde, was er aus sich gemacht.

Ich meine, wir dürfen mit mehr Recht als der eben erwähnte Redner sagen, daß, wer dieß in Abrede stelle, geradezu allen unsern Begriffen von zeitlichen und geistlichen Dingen den Abschied gebe.

Nun aber ist es, wie wir in unserem geschichtlichen lieberblicke sahen, mit der Weiterbildung und thatsächlichen Ausgestaltung dieser allgemeinen Wahrheit nicht anders gegangen, wo es um die Unseligkeit der Bösen, als wo es um die Seligkeit der Guten sich handelte. Abgesehen von einigen besonders schuldbeladenen Verbrechern ließ die Vorstellung der großen Menge auch die Seelen der Gottlosen einfach hinabsteigen in das fühllose Dasein des Schattenreiches, und nur jene religiös und intellektuell hervorragendsten Geister, deren wir früher erwähnten: einige Propheten Israels und ein Sokrates oder Plato drangen mit Bestimmtheit zu der Erkenntniß hindurch, daß es, nach dem Ausdrucke des Letztern, im künftigen Leben wie den Guten besser, so den Schlechten schlechter ergehen müsse.

Zum allgemeinen Bewußtsein und zum klaren Verständnisse dessen, was es damit auf sich habe, kam auch diese Wahrheit wieder erst durch die Offenbarung des Evangeliums. Denn nur wo es erschienen und begriffen ist, was das Leben heißt und in sich schließt, kann es sich auch herausstellen, was es bedeuten müsse: dieses Lebens verlustig gehen und im Tode bleiben.

Die Lehre, die demnach das Neue Testament im genauesten Anschlusse an die Verkündigung des ewigen Lebens und der folgerichtigsten Entwicklung aus unsern sittlichen und psychologischen Begriffen über diesen Punkt uns vorträgt, ist nach ihren Grundzügen die folgende.

Das menschliche Wesen, haben wir gesehen, hat keinen wahrhaftigen, bleibenden Lebensinhalt ohne die Gemeinschaft mit Gott durch Christum. Weist der Mensch es nun ab, in diese Gemeinschaft sich aufnehmen zu lassen, weil er eben jenes selbstsüchtige, an die Kreatur sich hängende Bestehen und Treiben lieber hat, das wir in dem Vortrage über die Sünde uns schilderten, so ermangelt er nicht nur, selbstverständlich, alles dessen, was wir im Vorhergehenden als die Fülle des ewigen Lebens uns darlegten, sondern es kommt nun auch noch das Weitere hinzu, daß seine gesamte Persönlichkeit, die durch und durch für die Gottesgemeinschaft geschaffen und darauf angelegt ist, durch diese Verfehlung ihrer Bestimmung in einen Zustand der vollkommensten Zerrüttung und Verkehrung geräth. Ihre verschiedenen Potenzen, die in Gott hätten ihre Einigung und Befriedigung finden sollen, wenden sich nun, zwiespältig und unbefriedigt wie sie sind, wider einander und hemmen und ertödten sich in unaufhörlicher Gegenwirkung. „Das Fleisch,“ sagt der Apostel, „gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch.“ Der Geist zerstört, so viel an ihm ist, die Seele und den Leib, weil er durch das Gottesbewußtsein ihrem Fleischeswesen widerstrebt und es richtet. Die fleischliche Seele zerstört nach dem Vermögen, welches sie dazu hat, den Geist und den Leib, indem sie den erstren abzustumpfen und zum Verstummen zu bringen sucht, und den letzteren aufreibt in den Lüsten und der Knechtschaft ihres sündlichen Willens. Und der Leib endlich wirkt zerstörend auf Geist und Seele, sofern er in das bloße Naturwesen zurücksinkend dem Geiste nicht mehr Organ sein will und dadurch die Einheit der Persönlichkeit lockert, die Seele aber, der er als Vollstrecker ihrer Lüste dient, durch seine eigene Abnutzung in diesem Dienste, mit abnutzt, und ihre Fähigkeit zu begehren und zu genießen fort und fort vermindert. So lange nun der Mensch noch hienieden lebt, tritt dieser furchtbare Prozeß des Todes noch nicht in seiner ganzen Nacktheit und Fühlbarkeit hervor. Denn da besitzt er ja, sowohl in sich als außer sich, noch anerschaffene Güter, die von seinem Willen unabhängig sind und seinem Wesen noch einen gewissen Lebensinhalt darbieten. Kein Mensch kann hienieden bloß im Bösen leben und das Böse darstellen ganz ungemildert von dem Guten, das in seiner gotterschaffenen Natur liegt. Mit dem Tode dagegen wird nun seine Persönlichkeit, wie sie in dem gottentfremdeten Sündenzustande seines Erdenlebens sich bildete, ihrer Aeußerlichkeit beraubt, in sich selbst zurückgeworfen und lediglich auf sich selbst angewiesen. Es ergeht das entsetzliche Gericht über ihn, daß ihm jetzt das Böse, welches das Werk seines Willens ist, vorgehalten, vom Guten, das ohne seinen Willen noch an ihm war, geschwiegen, daß das Gute in ihm vom Bösen verschlungen wird, weil nur das, was sein Wille aus ihm gemacht, jetzt noch bestehen kann. „Nehmet von dem Schalk auch noch das eine Pfund, das er hat,“ ruft der Herr aus, „denn wer da nicht hat, dem wird auch das er hat genommen werden.“ Im Tode gibt es Keinen mehr, der anders begabt ist, als zur Selbstqual und zur Qual Anderer. Das Wissen von Gott, das die Seele noch besitzt, treibt sie nur zum grimmen und doch ewig erfolglosen Kampfe gegen diesen Gott, den sie als den Urheber ihres Daseins, als den Rächer und Richter, der ihr schwarzes Loos besiegelt, im Bewußtsein hat; in sich vernichten möchte sie ihn, den Feind ihrer Ruhe, den unausweichlichen Gottesgedanken, ja sich von dem gottgeschaffenen Dasein losreißen und in das Nichtsein hinabstürzen; aber fort und fort bleibt er das schreckliche Licht, das in ihre Finsterniß hineinblitzt und vor dem sie umsonst in die äußerste Finsterniß sich flüchtet, mit Heulen und Zähneknirschen, wie der Herr es ausdrückt.

Dasselbe tritt ein, wo es um die göttliche Bestimmung der Menschen für einander sich handelt, um die Berufung zur Gottesfamilie, deren Glieder gegenseitig eins sind und sich tragen. Die Verkehrung, welche alle die gottgeschaffenen Bande, in der Ehe, Familie, Freundschaft, Volksgenossenschaft, durch die Sünde auf Erden erfahren haben, macht jetzt in ihrer vollen Offenbarung sich geltend. Indem in Wahrheit die Selbstsucht es war, die statt der wirklichen Liebe diese Verhältnisse erfüllte, bestehen sie jetzt, nach Wegnahme des anerschaffenen Guten, nur noch als Verhältnisse der reinen Selbstsucht weiter, und diese Selbstsucht führt nothwendiger Weise zu einem gegenseitigen Aneinanderstoßen, das mehr und mehr, wie wir wohl schon auf Erden Vorbilder davon erblicken, zum glühendsten Hasse sich steigert. Jedes dieser Bande möchte sich lösen und keines kann es.

Dazu kommt das Dritte, daß von den andern ehemaligen Gütern, welche die Seele auf der Erde genoß, nur das ihr bleibt, was jeder unrechte Genuß derselben in ihr hervorbringt: die verlangende Lust und Begierde darnach, die jetzt doch nicht mehr gestillt werden kann, und darum um nur so heftiger sich entflammt. An etwas Anderes kann jener reiche Prasser im Gleichnisse auch in der jenseitigen Welt nicht denken, als nur an den Genuß seines Gaumens: „Gib mir wenigstens einen Tropfen Wasser für meine Zunge, denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ Beständig möchte die Seele das Fleischesleben sich wieder erträumen, und kann es doch nicht, ihre Sünde in der Erinnerung fortbegehen, und vermag doch ihre Früchte nicht mehr zu genießen. Ihre Geistesnatur selbst reißt ihr den Becher des erträumten Genusses immer wieder weg; nur das, was sie in dieß Verderben brachte, kann und muß sie fort und fort sich vorstellig machen, aber völlig unfähig ist sie, sich etwa auch die behagliche Existenz des Leibes, wie sie auf Erden zu Zeiten war, zu erdichten. Das ist es, was die Heiden in jenen sprechenden Qualen des Tantalus und Ixion versinnbildlicht, das ist der in der Seele selbst nagende Wurm, der nicht stirbt, und das in ihr selbst brennende Feuer, das nicht erlöscht. Das nicht stirbt und nicht erlöscht. Denn eine Zeit gibt es hier nicht mehr, weil es keine sinnliche Wahrnehmung, keinen Wechsel der Zustände mehr gibt, durch den wir allein die Zeit inne werden. Schon hienieden sind es ja die Umstände und Empfindungen, welche das Verhältniß der Seele zur Zeit bedingen. Tiefe Pein zerrt sie in die Länge wie hohe Wonne sie verkürzt. Ist nun der Schmerz in die innerste Tiefe eingedrungen, hört Alles auf, was irgend davon abzieht, fallen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in Ein Gefühl der Pein und Eine unentrinnbare Erwartung der Pein zusammen: so muß die Zeit, welche die Seele sich noch zu denken sucht, ins Ungeheure sich dehnen und zwischen Sekunde und Jahrtausend ist kein Unterschied mehr. ) Oder woher soll der so beschaffenen Seele noch ein Hoffnungsschimmer leuchten? Um ihrer Unseligkeit zu entrinnen, müßte sie ja sich selber entrinnen, und das hat sie nicht gewollt, so lange noch die Möglichkeit dazu vorhanden war, und es so beharrlich nicht gewollt, bis es ihr endlich, - nicht von außen her, sondern durch ihre eigene Beschaffenheit - durch und durch unmöglich geworden ist. „Es gibt einen Sündenzustand,“ sagt der Herr, und er nennt ihn die Sünde gegen den heiligen Geist, „bei dem keine Vergebung, kein Herauskommen mehr denkbar ist, weder in dieser noch in jener Welt.“ Denn diese Sünde besteht in einer Verdorbenheit des inneren Menschen, da was irgend gut ist und Friede schafft, schlechterdings keine Stätte mehr in ihm findet, sondern ihm nur Haß und Erbitterung erregt.

Und daß diesem inneren Zustande nun auch der äußere entsprechen muß, so bei den Unseligen wie bei den Seligen, leuchtet ja von selber ein. Zwar die Ausdrücke, in denen die Schrift von demselben redet, „Feuer, Finsterniß, Kälte, Ketten“ und dergleichen, sind offenbar an und für sich bildliche Worte, durch die in Menschensprache beschrieben und verständlich gemacht worden soll, was zunächst noch außerhalb irdisch-menschlicher Erfahrung liegt. Aber ihre vollkommene Wahrheit und Wirklichkeit bleibt deßhalb doch bestehen. Das Feuer ist das brennende Begehren, das nie befriedigt wird, der unaufhörlich sich selbst verzehrende Haß, der nie zur Ruhe kommt. Die Finsterniß ist, zur höchsten Höhe gesteigert, jenes Gefühl, das wir hienieden schon mit diesem Ausdrucke bezeichnen, wenn wir sagen: es ist finster im Gemüthe, Alles dunkel in mir, nirgends ein Licht und Schein. Die Ketten sind das unlösbare sich Gebundenfühlen an sich selbst und die eigene Qual, die mit der Seele Eins geworden in entsetzlicher Ineinanderbildung. Und dieß Alles durchdrungen von dem nimmer verstummenden Bewußtsein: „das ist mein eigenes Werk, es widerfährt mir nur, was meine Thaten werth sind,“ ein Bewußtsein, das doch nie die Anerkennung der Gerechtigkeit Gottes in sich schließt, sondern in knirschendem Trotze sie läugnet und gegen ihren Stachel ausschlägt, an dem es immer von Neuem sich verwundet.

Das, meine Freunde, ist die christliche Lehre von der Hölle, von dem Verlorengehen derer, die nicht nach Gott fragen. Eine furchtbare Lehre allerdings; aber doch nicht furchtbarer als die Sünde, deren nothwendiges Ziel, deren selbstgewollter Ausgang sie ist; doch nicht furchtbarer als das trotzige Sichlossagen von dem Gotte seines Lebens und Dahinwandeln ohne ihn und wider ihn; doch nicht furchtbarer als das gleichgültige Verachten der Liebe, die ihr Herz gegen uns aufthut bis zur Hingabe ihrer selbst in Christo, und in dieß ihr Herz uns aufnehmen will um Alles mit uns zu theilen. Und wenn nun trotz alle dem die alte Frage sich erheben möchte: „Wie ist es denn möglich, daß Gottes Heilsplan nicht an Allen in Erfüllung geht?“ so wird die ebenso alte Antwort zu lauten haben: „Für dieß Warum laß Gott sorgen und sorge du, daß du das Heil, das dir geboten wird, ergreifest! Genug, daß du weißt: Es geht Keiner, Keiner ewig verloren, der nicht selbst daran schuld ist, in dessen Hand es nicht gelegt gewesen wäre, gerettet zu werden. Ja, wir dürfen wohl noch mehr sagen: Es geht Keiner verloren, so lange er überhaupt noch gerettet werden kann, so lange er auch nur noch ein Sehnen und Verlangen der Erlösung in sich bewegt dem er nachgibt, solange er noch nicht bei jener Sünde gegen den heiligen Geist angelangt ist, bei der freilich jeder Sünder am Ende anlangen muß, wenn er nicht umkehrt.“ Daß aber das Umkehren uns immer schwerer und schwerer wird, je länger wir die Sündennatur uns anbilden und mit ihrem Inhalt unsere Seele erfüllen, das sagt uns klar genug das eigene Nachdenken und die eigene Erfahrung.

Es ist schwer, meine Freunde, hier abzubrechen, wie die schon über den Schluß hinaus gekommene Stunde es erfordert, während doch noch so manche weitere Punkte unseres Themas unerörtert blieben, an die das zweifelnde oder forschende Fragen nicht minder sich hängt als an die bisher besprochenen. Im Vertrauen, daß es auch Ihren Wünschen nicht entsprechen kann, wenn ich sie völlig unberührt lasse, erlaube ich mir darum, Ihre schon mehrmals von mir in Anspruch genommene Nachsicht auch noch für dieses letzte Mal zu erbitten. Mit eingehenden Auseinandersetzungen gedenke ich Sie nicht mehr aufzuhalten, sondern nur noch wie im Fluge die hauptsächlichsten Züge an Ihnen vorüber zu führen, die zur Vervollständigung dieses Bildes der wichtigsten Wahrheiten schlechterdings unerläßlich sind.

Es ist zuerst die Auferstehung des Leibes, die da zur Sprache kommen muß. Ich gestehe, daß es mir als eines der schlagendsten Beispiele für die klägliche Oberflächlichkeit des sogenannten vernünftigen Denkens erscheint, daß dasselbe, um einiger Schwierigkeiten willen, welche die Sache für die Vorstellung hat, sich von jeher so schnell bereit zeigte und immer noch bereit zeigt, diese ganze Aussicht ohne Weiteres daran zu geben und für etwas Unmögliches zu erklären. „Hier ist der Ort,“ sagt der Verfasser der fünf Vorträge, „wo die Kirche Glauben in der höchsten Potenz fordert, d.h. Glauben im Widerspruche mit Allem die Vernunft denken und festhalten kann.“ Aber er irrt darin durchaus. Gerade hier fordert die „Kirche“, um mit seinem Worte zu reden, zunächst nur, daß die Vernunft auch wirklich denke, mit strenger Folgerichtigkeit und eingehender Berücksichtigung des menschlichen Wesens denke und schließe. Oder wie? gehört denn der Leib nicht mit zu dem menschlichen Wesen? Ist er etwas dem Geiste Fremdes, ihn nur äußerlich Umkleidendes, so daß derselbe auch ohne ihn nicht nur fortbestehen, sondern fortleben, sich fortbethätigen könnte im vollen Sinne des Wortes? Wissen wir denn nicht von diesem irdischen Dasein her, daß unser Inwendiges ganz nothwendig eines Organes der Aeußerung und Wirksamkeit bedarf, um eine wahrhaftige Wirklichkeit zu besitzen, daß der Mensch überhaupt nun einmal aus Leib und Geist zu einer Persönlichkeit geschaffen ist und keinen dieser Bestandtheile entbehren könnte, ohne daß seine Art und Beschaffenheit von Grund aus verändert würde? Und nun sollen und können wir doch in der andern Welt nicht fortleben als andere Wesen, sondern eben wiederum als Menschen, können und sollen auch nicht fortleben mit einer veränderten Lebensfähigkeit, sondern im Gegentheile mit einer erhöhten. Selbst wenn die Schrift die Erneuerung des Leibes uns gar nicht in Aussicht stellte, so müßte also unser eigenes konsequentes Denken darauf kommen und sie fordern, sobald es überhaupt von einer Fortdauer unserer Person nach dem zeitlichen Tode überzeugt ist; und zwar sie fordern völlig in derselben Weise, wie der Apostel sie beschreibt: daß was gesäet werde verweslich, auferstehe unverweslich, was gesäet werde in Schwachheit, auferstehe in Kraft, was gesäet werde in Unehre, auferstehe in Herrlichkeit. Wie der Leib ein Theil ist unseres Selbst, das nicht im Verderben und der Unvollkommenheit bleiben soll, so muß es auch für ihn eine Erlösung, eine Vollendung geben, eine Verklärung zu seinem Ideale, wenn wir so sagen dürfen, - eine Erlösung und Verklärung, die, wie bei dem Inwendigen, vor sich geht durch das Absterben des alten und das Versetztwerden in ein neues Wesen. Und zwar so, daß dieß Innere und Aeußere im engsten Zusammenhange stehen. Nicht als etwas, das bloß von außen ihm gleichsam angethan wird, erscheint die Auferstehung des Gläubigen, sondern entsprechend der Auferstehung Christi, zugleich als eine That seines eigenen, neuen, gotterfüllten Lebens, welches an sich zieht was zu seinem vollen Bestande ihm zukommt, und das Organ sich bildet, das seinem Wesen entspricht und in dem sein Wesen sich ausdrückt. Denn da wird dann die vollste Uebereinstimmung bestehen zwischen dem inneren Sein und dem äußeren Erscheinen. Was schon von unserem irdischen Leibe in einem gewissen Maße gilt: daß er das Abbild und der Spiegel ist des Inwendigen und im Gange des Lebens mehr und mehr hiezu sich ausprägt, das wird in unbedingter Weise bei dem Auferstehungsleibe der Fall sein. Als einen völlig adäquaten Ausdruck der Geistesbeschaffenheit wird er sich darstellen, als eine Verkörperung seines Wesens, die jeden Zug, jede Eigenschaft desselben mit der vollkommensten Treue wiedergibt. Da wird nun Alles Wahrheit sein und nach der Wahrheit offenbar werden; „die Weisen werden leuchten wie des Himmels Glanz,“ ruft schon der Prophet aus, „Etliche aber werden aufwachen als ein ewiger Gräuel,“ in der Blöße ihrer Schande, da die ganze verborgene Sündlichkeit, alle Verwüstung, Verkehrung und Verzerrung nach außen sich ausprägt und offen dasteht vor aller Welt.

Es geht aus diesen Andeutungen schon zur Genüge hervor, daß wir bei der Auferstehung des Leibes oder Fleisches nicht an diese sinnlichen Stoffe denken, die schon im diesseitigen Leben in einer steten Verwandlung und im Verschwinden begriffen sind, sondern an die ewige Grundgestalt, an die wesentliche Identität des neuen und des in der Zeitlichkeit getragenen Leibes, und es demnach nur darauf uns ankommt, daß es keine andere, sondern dieselbe leibliche Individualität ist, welche zu ihrem Ideale verklärt auferstehen soll. „Es wird gesäet ein natürlicher Leib, und der wird auferstehen als ein geistlicher Leib.“ Denn wie von der absterbenden Pflanze, deren verwesende Theile nach allen Seiten hin verwehen, doch ein Keim zurückbleibt, welcher dann, neuen Stoff an sich ziehend, unter dem Einflusse der schöpferischen Kräfte von außen zu einem neuen Pflanzenleibe sich gestaltet, der vermittelst des Keimes derselbige ist mit dem erstorbenen und dennoch ein anderer: so, sagt der Apostel, so verhalte es sich mit dem menschlichen Leibesleben. Während seine irdisch-elementarischen Bestandtheile zerfallen und sich auflösen, bleibe doch ein Keim desselben, das Feinste und Innerlichste übrig - für uns ebensowenig wahrnehmbar als die Triebkraft in einem Samenkorne - und dieser entfalte sich nun, kraft des inwohnenden Geistes Christi zu der neuen Leibesgestalt, die ebenso dem neuen Zustand entspreche, wie die frühere dem früheren.

Sie werden mir zugeben, meine Freunde, daß in diesen Anschauungen durchaus nichts liegt, was auch nur den Erfahrungen widerspräche, die wir aus dem uns umgebenden Naturleben schöpfen; und wer nun doch immer noch fragt: aber so zeige mir doch jenen unvergänglichen Keim, von dem du redest, und beschreibe mir erst genau deine überirdische Leiblichkeit, ehe ich an ihre Möglichkeit glaube: dem antworten wir ganz einfach: „Kannst du denn sonst, auch wo es nur um die niedrigeren Naturgebiete sich handelt, dergleichen Keime schauen und die Leiblichkeiten, die daraus entstehen, zum Voraus dir denken? Wenn du von dem Hervorwachsen der Pflanzen aus ihrem Samen gar nichts wüßtest, würdest du dann, so man z. B. eine Eichel dir zeigte, es ihr ansehen, ja es auch nur glauben, daß aus diesem geringen, scheinbar todten Stücklein Holz ein lebendiger Baum von der höchsten Pracht und Herrlichkeit erwachse, oder wärst du vielleicht im Stande, mir diesen Baum schon zum Voraus zu beschreiben?“ „Wenn ihr aber nicht einmal die irdischen Dinge fasset und verstehet,“ dürfen wir mit dem Herrn sagen: „wie möget ihr die himmlischen verstehen und darüber absprechen?“

Diese Befreiung und Vollendung des menschlichen Leibes kann aber selbstverständlich erst eintreten mit der der ganzen Körperwelt, der ganzen Natur, mit dem neuen Himmel und der neuen Erde und der allgemeinen Weltverwandlung, aus der dieses Neue hervorgeht. Bis dahin ist der Zustand der abgeschiedenen Geister nothwendiger Weise eine Uebergangsstufe, von der wir, bei der drängenden Zeit, nur das doppelte andeuten können: Zuerst, daß in ihr das völlige Reifen der Seele vor sich geht, das Reifen zur vollkommenen Gottähnlichkeit oder zur vollkommenen Verstockung; und zum Andern: daß für diejenigen, die Christo einverleibt sind, auch hier keine Scheidung von Christo eintreten kann, sondern sie in ungehemmter Gemeinschaft mit ihm lebend bereits in einem unvergleichlich freieren und höheren Zustande sich befinden als hienieden. Der Herr nennt denselben „das Paradies“, indem er zu dem Schächer am Kreuze redet.

Sollen wir auch da noch einmal der Einrede des Unglaubens Antwort geben, der spottend frägt: wo denn die „Lokale“, wie der Verfasser der fünf Vorträge sich ausdrückt, für diese Zwischenzustände wie für Himmel und Hölle sich finden: so müssen wir uns zunächst sehr ernstlich gegen die geistreiche Ansicht verwahren, als ob es vor Allem eine äußere Räumlichkeit, eine sinnliche und zeitliche Schranke sei, welche die Abgeschiedenen von uns trenne. Vielmehr ist ihr Dasein über alle sinnlichen Raum-Kategorien hinausgerückt. Die Richtung der Seele nach dem Tode ist nicht eine nach außen gehende, wie ein geistvoller Theologe sagt, sondern eine nach innen gehende, eine zurückgewandte. Und weit vollkommener als das moderne Bild, daß die Seele sich zu den Sternen hinaufschwingt, ist das andere, daß sie sich zurückbegibt zu den dahintenliegenden, zu den innersten, mystischen Gemächern des Daseins. Wo aber weiterhin allerdings eine gewisse Räumlichkeit gedacht werden muß, die den sich entwickelnden oder schon zum Ziele gelangten Seelen zu ihrer Lebenssphäre dient: da erlauben wir uns jene Frager wiederum unsererseits zu fragen: was sie denn überhaupt von dem Weltall außer unserer Erde uns Genaueres zu sagen wissen, von diesem Weltall, das ihre besten Fernrohre noch nicht in der alleroberflächlichsten Weise zu durchdringen im Stande sind?“ Wenn es, wie der Dichter sagt, „schon auf dieser Erde mehr und tiefere Dinge gibt, als solche Philosophen sich träumen lassen“, um wie viel mehr wird dies der Fall sein in dieser Fülle der Welten, die unser Geist, unser Auge nicht einmal ihrer äußeren Quantität nach zu fassen vermag. - Und was dann schließlich das Reich der Vollendung betrifft, sowohl das der Seligkeit als das der Unseligkeit, so verlegt die Schrift bekanntlich dasselbe in jenen neuen Himmel und jene neue Erde, über die auch unsere Astronomen uns keine Auskunft geben.

Denn dieß ist ja das Letzte und Höchste, und wenn wir so sagen dürfen, Prächtigste und Erhabenste der christlichen Weltanschauung, daß sie auch für die Gesamtheit der Dinge, für Alles was irgend besteht, eine Befreiung und Vollendung kennt, eine Erhebung und Vollendung zu seinem Ideale. Denn Jeglichem, auch dem Geringsten, was geschaffen ist, liegt ja ein Ideal zu Grunde, nämlich der Gedanke Gottes, der es in's Dasein rief, und der in dem irdischen Stoffe zunächst nur in einem Vorbild und Abbild sich verwirklichte, aber zu wirken nicht aufhören wird, bis das Vorbild hindurchgedrungen ist zu seinem wahrhaften Wesen. „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniß,“ sagt Goethe mit einem tiefsinnigen Worte, ein Gleichniß dessen, was es in Wahrheit sein soll, was es endlich sein wird; „das Unzulängliche“, fährt er fort, „wird zum Ereigniß.“ Es wird sich zeigen, daß nicht ein einziger der göttlichen Schöpfergedanken, nicht ein einziges seiner Werke nur von zeitlicher Bedeutung ist und wieder verloren geht, daß er nichts, was er gegründet, wird zerstört, sondern thut nach der Weissagung des neutestamentlichen Propheten: „Siehe, ich mache Alles neu.“ Die Decke der irdischen Stofflichkeit und Vergänglichkeit, die jetzt noch über dieser reichen Welt mit all ihren Substanzen und Kräften liegt, wird aufgehoben werden mit all dem Wuste von Zerstörung und Verwesung, der daranhängt, und das Verhüllte und Verschüttete wird hervortreten in dem unvergänglichen Glanze seiner reinen Gestalt und seines wahren Wesens.

Und zwar wird auch hier diese Erneuerung und Vollendung nicht eine nur von außen kommende sein, sondern eine aus dem innersten Geiste der Welt und ihrer Bestimmung mit Nothwendigkeit hervorgehende. Was wir bei der Erneuerung des Einzel-Leibes uns vorgehalten haben, daß der ihm innewohnende vollendete Geist es ist, der auch ihn, sein Organ, in seine Vollendung nach sich zieht: das wiederholt sich nun in größerem Maßstabe im Ganzen und Großen. Denn in demselben Verhältnisse wie der Leib zum einzelnen Geist - steht die Welt zur Gesamt-Menschheit. Sie ist für dieselbe geschaffen und gehört mit ihr zusammen als ihre Wohnung und ihr Organ; und in Alles, was von ihr ausgeht, folgt sie ihr darum nach und theilt es mit ihr. „Sie ist mitunterworfen worden der Eitelkeit,“ sagt der Apostel, „nicht durch ihren Willen, sondern um deß willen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. Und nun wartet sie mit ängstlichem Harren auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Denn auch die Creatur wird frei werden von dem Dienste des vergänglichen Wesens zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes,“ zu einem Dasein, da nur „noch Gerechtigkeit auf ihr wohnt“, wie Petrus hinzufügt.

Gleichwie der Leib im Verwesungsprozesse verbrennt, aber doch seine mit dem Geiste zusammenhängende Grundgestalt zurückbleibt, aus der dann die neue Leiblichkeit sich bildet, so wird es auch mit dieser Weltsphäre gehen. Sie wird sich auflösen in ihre Elemente durch Feuer, wie es in der Schrift heißt, und aus dieser Auflösung wieder erstehen nach dem ihr innewohnenden Ideale in verklärter Gestalt zur Wahrheit ihres Wesens. „Da wird dann,“ wie einer der tiefsten theologischen Denker unserer Zeit bemerkt, „die Chemie, die Verwandlung der Stoffe, das in Vollendung leisten, was sie jetzt stückweise arbeitet, und ihren höchsten Triumph feiern.“

Wie wir es aber eben andeuteten, nicht anders als mit und durch die Vollendung der Gesamt-Menschheit wird das geschehen. Denn wie für die Einzelnen, so auch für sie muß ein Tag des Abschlusses kommen, ein Tag, da sie am Ziele ihrer Entwicklung angelangt ist, und nun die Resultate dieser Entwicklung gezogen werden. Wenn das Evangelium einmal der ganzen Welt gepredigt ist und in den Frieden der Erlösung einging was eingehen wollte, wenn die Sünde ihre äußerste Consequenz erreicht und die nach ihrem eigenen Willen von Christo Unberührten zusammengefaßt hat zu einem Bunde nicht mehr nur der Gleichgültigkeit, sondern der ausgesprochenen Feindschaft gegen ihn, des Widerchristenthums, — wie wir das ja von Jahrhundert zu Jahrhundert deutlicher sich anbahnen sehen —, wenn auf der andern Seite die auf diese Weise befeindeten und aus der Weltgemeinschaft hinausgedrängten Gläubigen gerade durch diese Erfahrungen nun auch ihrerseits gereift sind zu der wahrhaftigen Ausgestaltung ihres Glaubenslebens, - zu einem auch innerlichen Ausscheiden aus der Welt und völligen sich Hingeben, alleinigen sich Verlassen auf den Erlöser, - wenn somit jede Richtung innerhalb der Menschheit ihre ganze Gesinnung geoffenbaret und alle ihre Früchte getragen hat: dann ist keine weitere Entwicklung mehr denkbar, dann muß das Ende eintreten, welches einer jeden dieser Richtungen das nun in Wahrheit zutheilt, was sie erstrebt und erworben hat, und damit das Gericht über sie ist. Nachdem neben einander gewachsen Waizen und Unkraut bis zur vollen Reife, kommt die Zeit der Erndte, wie es in dem Gleichniß heißt, und nun werden sie geschieden, und ein Jedes dahin gebracht, wohin es gehört. Es ist aber klar, daß dieß nicht anders geschehen kann als durch das unmittelbare Eingreifen des Herrn selber, als durch sein persönliches Erscheinen zum Richten und Vollenden. Und ebenso ist es klar, daß an diesem Gerichtet- und Vollendetwerden Alles Theil nehmen muß, was jemals auf dem Acker dieser Welt gewachsen ist und zur Menschheit gehört. Denn auch die vordem Abgeschiedenen sind indessen in jenen Zwischenstufen, deren wir oben erwähnt, herangereift zur letzten Consequenz ihres Wesens, zur vollen Fähigkeit der Gottesgemeinschaft oder zur vollen Verstocktheit, - und es bleibt demnach nichts Anderes mehr übrig, als daß jetzt der definitive Zustand hergestellt werde, der diesen Beschaffenheiten entspricht. Auf der einen Seite das Reich Gottes, von dem es heißt: „Darnach das Ende, wenn Christus das Reich Gott und dem Vater überantworten wird und aufheben alle Herrschaft und Obrigkeit und Gewalt, und den letzten Feind, den Tod. Wenn aber Alles ihm wird untergethan sein, dann wird auch der Sohn selbst unterthan werden dem, der ihm Alles untergethan hat, auf daß Gott sei Alles in Allem.“ Und auf der andern Seite das Reich des Todes, von dem es gilt: er ist der andere Tod; wer Unrecht thut, der thut da ferner Unrecht, und seine Genossenschaft ist der Satan und seine Engel, das Böse und die Bösen, darin keine Spur eines Bessern mehr übrig ist.

„Und ich sahe“, spricht der neutestamentliche Seher, indem ihm nun alles Andere verschwindet vor dem Bilde der Vollendung, in der die erlöste Menschheit ihr Ziel erreicht hat und die Erfüllung ihrer Bestimmung gefunden, „und ich sahe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen und das Meer ist nicht mehr. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmückte Braut ihrem Manne, und hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da, eine Hütte Gottes unter den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Stuhle saß, sprach, Siehe, ich mache Alles neu. Und er spricht zu mir: Schreibe denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß.“

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