Riggenbach, Christoph Johannes - Johann von Wiclif, der englische Reformator vor der Reformation

Riggenbach, Christoph Johannes - Johann von Wiclif, der englische Reformator vor der Reformation

(Indem wir hauptsächlich aus dem trefflichen Werk von Gotthard Lechler schöpfen, folgen wir ihm auch in der Schreibung des Namens; andere schreiben Biglef, Vikleff, Wickliffe, Wycliff usw.; gegen 30 verschiedene Formen des Namens zählt Lechler auf, 1,267),

I. Einleitung.

Wenn wir von Basel den Rhein hinabreisen, bei dem schönen Straßburg vorbei, an Speier vorüber, der Stadt mit den Kaisergräbern, so langen wir zuletzt, immer auf dem linken Ufer des Rheins, in Worms, der alten Reichstadt an. Dort stand am 18. April 1521 ein Augustinermönch vor Kaiser und Reichstag und schloss sein gutes Bekenntnis mit den Worten: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen. Zum Andenken an diesen wichtigen Augenblick aus der Geschichte der Reformation ist dort in Worms vor wenigen Jahren ein herrliches Denkmal errichtet worden. In der Mitte zahlreicher Bildsäulen steht alle überragend auf hohem Postament Dr. Martin Luther. Wir wollen von den übrigen Gestalten, die ihn umgeben, nur die hervorheben, die in geringerer Größe zu seinen Füßen auf den Ecken des Postamentes sitzen. Es sind der Franzose Waldus, der Engländer Wiclif, der Böhme Hus, der Italiener Savonarola: vier Männer, die nach und nach aus vier verschiedenen Völkern als Vorläufer des Werkes aufstanden, welches siegreich hinauszuführen am Ende dem Deutschen Martin Luther geschenkt war.

Der älteste jener vier Vorläufer, Waldus, der reiche Bürger von Lyon, gehört dem zwölften Jahrhundert an. Wir wissen über seine Person sehr wenig; es stammen aber von ihm die Waldenser, die nach Jahrhunderten harter, blutiger Verfolgung in unsern Tagen einen neuen Aufschwung genommen haben, das Evangelium durch Italien hin verkündigen und in Florenz eine Lehranstalt für Diener des Worts errichtet haben. Der Engländer John von Wiclif im 14. Jahrhundert ist der nächstfolgende; aber er steht nicht im Zusammenhang mit den Waldensern. Johann Hus dagegen, ein halbes Jahrhundert später geboren, ist nicht ebenso unabhängig aufgetreten, vielmehr ward er durch Wiclifs Schriften zu dem Glauben erweckt, dem er bis in die Flammen treu blieb. Auch Hieronymus Savonarola, der nicht mit Hus zusammenhängt, starb auf dem Scheiterhaufen, und zwar kurz vor der Reformation, 1498, als ihr Prophet und Märtyrer.

Wenn man diese vier Persönlichkeiten näher kennen lernt, muss man denen beistimmen, welche für den bedeutendsten derselben John Wiclif erklären. Es ist eine alte Darstellung vorhanden, welche dessen Bedeutung recht anschaulich macht. In einer Bibliothek zu Prag wird ein hussitisches Gesangbuch von 1572 aufbewahrt, das auf Pergament sehr schön geschrieben und hier und damit zierlichen Miniaturgemälden geschmückt ist. So stehen auch drei Bilder neben dem Lied, das zu Ehren des Märtyrers Johann Hus verfasst ist; da schlägt Wiclif Feuer, daran zündet Hus eine Kohle an, und endlich Luther eine hell leuchtende Fackel. Wenn wir nun möchten Leben und Wirken dessen, der Feuer schlug, näher kennen lernen, so müssen wir zuerst einen Blick auf die Lage des Landes und der Kirche werfen, in deren Schoß er geboren ward, und müssen uns vergegenwärtigen, wie dieser Zustand allmählig entstanden ist.

Der Weihnachtstag des Jahres 800 war ein wichtiger Tag. Da besuchte Karl der Große, der mächtige Frankenkönig, das Grab des Apostels Petrus in Rom und empfing daselbst durch die Hand des Papstes Leo III. die Krönung zum römischen Kaiser. Zum Lohn dafür bestätigte Karl dem Papste Leo die Schenkung von Land, die schon sein Vater Pipin einem früheren Papst gemacht hatte. Das war der Anfang des Kirchenstaats, der erst in unsern Tagen ein Ende gefunden hat. Bald nachher ist die Fabel aufgekommen, schon der erste christliche Kaiser Constantin habe dem Papst Sylvester das Land geschenkt. Das verwerfen jetzt auch die Katholiken und erkennen, dass erst durch Kaiser Karl die weltliche Herrschaft des Papstes begründet wurde. Aber wie? so, dass Papst Leo den Kaiser als seinen Oberherrn anerkannte und als Vasall ihm den Eid der Treue schwor.

Mit diesem bescheidenen Anfang begann die Macht der Päpste und wuchs allmählig, aber zuerst nicht ohne Störung. Ja im zehnten und elften Jahrhundert schien das Papsttum im Sumpf des Lasters und der Schande zu versinken. Der Unfug wurde so arg, dass selbst die Römer einen deutschen Kaiser gegen den Papst zu Hilfe riefen. Noch 1046 hat Kaiser Heinrich III. einen Papst ohne weiteres von sich aus eingesetzt. Aber das wollten die Männer der Kirche nicht weiter dulden. Papst Gregor VII. war es, der zuerst mit Nachdruck versuchte, die vielen Schäden der Kirche durch Hebung der päpstlichen Unabhängigkeit und Herrschaft zu heilen; und mehr und mehr mussten sich die mächtigsten Fürsten unter die wachsende Gewalt der Päpste beugen. Das edle Geschlecht der Hohenstaufen unterlag in diesen langwierigen Kämpfen. Aber mehr und mehr entfaltete sich auch eine solche geistliche Tyrannei, dass ernste Männer anfingen des Wortes zu gedenken, welches Jesus vom Gräuel an Heiliger Stätte geredet hat. Ja strenge Mönche waren unter den ersten, die es wagten den Papst als Antichrist zu bezeichnen.

Dass auch der päpstliche Hochmut vor dem Falle kommt, erfuhr um Jahr 1300 Bonifacius VIII. Er hatte herrische Forderungen wegen Steuerfreiheit der Geistlichen an König Philipp den Schönen von Frankreich gerichtet. Das führte unter andrem zu einem Briefwechsel zwischen König und Papst, an den wir vor kurzem erinnert wurden. Philipp hat aber nicht so würdig als Kaiser Wilhelm, sondern recht höhnisch an den Papst geschrieben. Der französische König setzte seinen Willen durch, und gewann nicht lange danach einen neuen Vorteil, indem es ihm gelang Papst Clemens. V. zu bewegen, dass er von Rom nach Avignon übersiedelte. In dieser südfranzösischen Stadt residierten nun die Päpste fast 70 Jahre lang (von 1309 bis 1377), so dass römische Schriftsteller von der babylonischen Gefangenschaft der Päpste reden. Wir freilich stellen vielmehr Rom selber mit Babylon zusammen. Es gereichte aber wirklich die Residenz in Avignon dem Papsttum keineswegs zur Ehre. So nahe und offenkundig hatte das Abendland, besonders Frankreich noch nie vor Augen gesehen, wie schamlos das Leben, wie schmutzig die unersättliche Habgier, wie gottlos der Unglaube des päpstlichen Hofes war. Die edelsten Männer fanden sich mehr und mehr zum Widerstande genötigt. In dieser Zeit ward Johann von Wiclif geboren.

In dessen Vaterland England hatte König Heinrich II. Plantagenet im zwölften Jahrhundert nicht ohne eigene Schuld sich schimpflich unter den Papst demütigen müssen. Sein jüngster Sohn Johann, grausam und feig und beim Volke verhasst, erlitt noch größere Schmach als er gegen den mächtigsten der Päpste, gegen Innocens III. einen unklugen Kampf unternahm. Der Ausgang war derart, der Untergang so drohend, dass er sich zu einem Schritt der Verzweiflung entschloss: er legte 1213 sein Reich den Aposteln Petrus und Paulus zu Füßen, das heißt er übergab es dem Papst, und gewann dadurch den Spottnamen Johann ohne Land. Zwar empfing er es wieder, aber als Lehen aus der Hand des Papstes. Jetzt war es nicht wie vor 400 Jahren, als Leo III. dem Kaiser Karl den Vasalleneid schwor; jetzt musste umgekehrt König Johann dem Papst als seinem Oberherrn huldigen, ihm als Vasall den Eid der Treue leisten und ihm einen jährlichen Lehenszins von 1000 Mark versprechen. Die englischen Adeligen waren darüber sehr ungehalten und ließen sich erst beschwichtigen, als ihnen der König 1215 die Magna Charta, den großen Freibrief gewährte. Das war die erste freie Verfassung Englands.

Die englische Kirche war übrigens in jener Zeit mit einer Anzahl trefflicher Bischöfe gesegnet. Im höchsten Ansehen stand namentlich und verdientermaßen Robert Grossetête, der 1253 als Bischof von Lincoln starb. Er war ebenso gründlich gelehrt als gottesfürchtig und christlich mannhaft. Aus treuer Sorge für die Seelen kämpfte er gegen Missbräuche aller Art, setzte unwürdige Priester und Äbte ab, verteidigte aber würdige Geistliche gegen Beraubung, und widersetzte sich namentlich fremden Schmarotzern, die nach der Ungebühr jener Tage das Geld der reichen Pfründen im Ausland verzehrten und den Dienst der Kirche verwahrlosten. Selbst dem Papst Innocens IV. hat er einen unerschrockenen und siegreichen Widerstand geleistet, als derselbe einen Neffen solche Einkünfte zuwenden wollte. Als die Stätte der Wissenschaft war von länger her die Universität Oxford durch eine Reihe von ausgezeichneten Scholastikern berühmt, das heißt von Lehrern der Wissenschaft, wie man sie damals betrieb, der Philosophie und Theologie. Noch in die Lebenszeit von Wiclif reichte Thomas von Bradwardina hinein (er starb 1349). Sein Beiname war Doktor profundus, der tiefsinnige Lehrer, und der Name gebührte ihm, denn er wusste ergreifend von der freien Gnade Gottes zu lehren. Durch das ganze Volk von England ging in jener Zeit ein Aufschwung von Kraft und Mut, und an seiner Spitze stand von 1327 bis 1377 der tüchtige König Eduard III. Lange Jahre führte derselbe (seit 1339) Krieg mit Frankreich, und zwar geraume Zeit mit Erfolg. Ein Sohn dieses Volkes war John Wiclif.

II. Jugend und erste Mannesjahre.

Von Wiclifs Jugend ist uns wenig berichtet. Wir wissen, dass sein Geburtsort Spreswell war, ein kleiner Weiler zu dem Dorf Wicliffe gehörig, im nördlichen England am Fluss Tees gelegen. Wahrscheinlich gehörte seine Familie zur Gentry, dem niederen Landadel, und führte den Namen von dem Dorfe, das ihr Eigentum war. Das Volk jener Gegend gilt als ein kernhafter Stamm, der an der altsächsischen Gewohnheit festhielt. Als Geburtsjahr Wiclifs nennt man gewöhnlich 1324, doch ist dies nicht erwiesen, und es ist möglich, dass er etwas früher oder später geboren sei. Aus seinen Knabenjahren wissen wir nichts. Denn einmal sind aus den Zeiten vor der Buchdruckerei überhaupt die Erinnerungen viel spärlicher. Dazu kommt aber, dass Wiclif ein Mann war von klarem Verstand und kraftvollem Willen, aber nicht von dichterischem Gemüt wie Luther. Damit stimmt zusammen, dass er in seinen Schriften oft mit lebendiger Teilnahme von der Geschichte seines Volkes redet, aber nichts von seiner eigenen Kindheit erzählt.

Das wissen wir, dass er in Oxford studierte, aber auch hierüber fehlen uns die näheren Berichte. Er ging ohne Zweifel den regelmäßigen Weg, wie es damals der Brauch war. Man pflegte eine ansehnliche Zeit, zum mindesten zehn Jahre auf die Studien an der Universität zu wenden. Den Anfang bildeten die sogenannten sieben freien Künste, drei, die sich auf Sprache und Beredsamkeit bezogen (Grammatik, Dialektik und Rhetorik), und vier, welche die Rechenkunst und das Naturwissen zum Gegenstand hatten (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik). Seine Schriften zeigen, dass er sich mannigfache Kenntnisse in diesen Gebieten mit Fleiß gesammelt hat. Darauf folgte dann die Theologie, und diese begann mit dem Studium der Bibel. Man las Schriften des alten und des neuen Testaments, aber dieses Lesen litt an mehr als einem schweren Übelstand. Fürs erste kannte man, und das gilt auch von Wiclif, soviel als gar nicht die Ursprachen der Bibel, griechisch und vollends hebräisch. Man war auf die lateinische Übersetzung, die sogenannte Vulgata beschränkt, die neben guten Eigenschaften doch auch nicht unerhebliche Mängel hat, und durch ihre Fehler die Ursache mancher verkehrten Auslegung geworden ist. Sodann las man das Wort, so las man das der Schrift nicht anders als mit der Menge hergebrachter Auslegungen, Fragen und Disputationen, über denen man leicht den Text vergaß. Endlich galt das Bibellesen nur als die niedere Vorstufe, welcher sich bloß die unterste Klasse der Lehrer widmete, während die höheren Gelehrten es unter ihrer Würde gehalten hätten, einen Unterricht in der Bibel zu erteilen. Denn viel wichtiger nahm man es mit dem, was darauf folgte, mit den sogenannten Sentenzen. Das waren gesammelte Aussprüche berühmter Väter und Lehrer oder vollständige Lehrbücher, wiederum verbunden mit den herkömmlichen Erläuterungen, Fragen und Disputationen. Gut, dass in Oxford die Schriften jenes Bischofs von Lincoln, Grossetete und anderer trefflicher Lehrer im Ansehen stunden. Auch das Kirchenrecht musste einer studieren, und Wiclif zeigt sich überdies im römischen und englischen Recht erfahren.

Nachdem Wiclif seine eigentlichen Lehrjahre vollendet hatte, ging er von der Universität nicht ab, sondern blieb wohl 20 Jahre noch weiter in Oxford, nach damaligem Brauch, dass nicht nur Studenten, sondern reife Männer Mitglieder der Universitäten waren und in einer Art Republik zusammen lebten. Er fing auch an Vorlesungen zu halten, zuerst über die philosophischen Fächer, nachher über biblische Bücher. Mit den letzteren nahm er es ernster als gewöhnlich. Nach und nach ward in als einer der sogenannten Hallen oder Kollegien unter die Vorsteher gewählt; das waren Anstalten für die Studierenden etwa denen gleich, die man heutzutage Stift oder Alumneum1) nennt. Mai sieht, wie sein Ansehen stieg. Nach dem Jahr 1365, aber vor 1374 erlangte er die höchste Würde, nämlich den Grad eines Doktors der Theologie. Neben seinem Weilen und Wirken an der Universität lief dann aber (seit 1361) die Ernennung zum Rektor, dass heißt Inhaber einer Landpfarrei her. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass er Oxford für immer verließ. Die Hauptabsicht war, ihm ein Einkommen zu verschaffen, daraus er leben konnte. Es finden sich noch Rechnungen über die Miete einer Wohnung in Oxford, sowie ein Dispens des Bischofs, der ihm für zwei Jahre gestattet, in Oxford zu bleiben; bestimmte Beweise, dass er sein Pfarramt zu Zeiten durch einen Vikar versehen ließ. Mehr als einmal wurde er mit der Zeit auf bessere Stellen befördert, legte dann aber immer diejenige nieder, die er bisher bekleidet. Das verstund sich damals durchaus nicht von selbst. Denn es war einer der verderblichen Übelstände jener Zeit, dass Viele sich eine Menge von Stellen geben ließen, von denen sie nur die Einkünfte verzehrten, ohne sich selber um das Amt zu kümmern. Kam es doch vor, dass einer aus zwölf Pfarreien miteinander das Einkommen zog, ohne auch nur eine derselben zu versehen. Solche Häufung von Stellen, durch welche die Seelen Schaden litten, strafte Wiclif ernstlich, und ließ sich nichts dergleichen zu Schulden kommen. Die letzte Pfarrstelle, die er bis an sein Ende behielt, war diejenige von Lutterworth in der Grafschaft Leicester. Dazu ward er, weil der Adelige, der sonst die Stelle zu vergeben gehabt hätte, minderjährig war, durch König Eduard ernannt (1374).

Bis jetzt fanden wir im Leben Wiclifs nichts von einem Reformator. Sein Lernen und Wirken verlief auf dem völlig regelmäßigen Weg nach der damaligen Form der katholischen Kirche und Wissenschaft. Er war ein tüchtiger Scholastiker geworden, von seinen Schülern mehr und mehr geschätzt, nicht nur um seiner reichen Kenntnisse und seines scharfen Verstandes willen, sondern auch wegen seines lauteren Charakters und seines tadellosen Wandelt. Er nahm die Bibel wichtiger als Viele, bekam auch, wir wissen nicht wie frühe, von seinen Verehrern den Beinamen Doktor evangelicus, der evangelische Lehrer. Aber in der ersten Zeit war er sich, wie er später selbst bekennt, keines Gegensatzes bewusst zwischen der Bibel und der Lehre der Kirche, und in vielen Stücken, als Messopfer, Wandlung des Brotes in Christi Leib, Marienverehrung, Heiligendienst, Ansehen des Papstes dachte und lehrte er noch gut katholisch.

III. Erste Kämpfe.

Seine ersten Kämpfe führte er nicht, wie man früher meinte, gegen die Bettelmönche; sondern in vaterländischen Anliegen lag dazu die Veranlassung. Im Jahre 1365 nämlich verlangte als Oberlehnsherr von England die 1000 Mark Lehenzins, die Johann ohne Land seiner Zeit dem Papste versprochen hatte; und zwar begehrte er nicht nur die genannte Summe, sondern eine Nachzahlung für 33 Jahre auf einmal. Es war nämlich der Zins von jeher nur unregelmäßig entrichtet worden, und Eduard III., seitdem er mehrjährig geworden, hatte ihn grundsätzlich nicht mehr gezahlt. Jetzt tat er gegenüber der maßlosen Forderung das Beste, was er tun konnte: er brachte sie vor das Parlament. Dessen Zustimmung bedurfte er zu den langwierigen Kriegen; und hier konnte er gewiss sein, dass die allgemeine Stimme sich laut nicht nur gegen die übermäßige Ausgabe, sondern ebenso sehr gegen den Angriff auf die Ehre und Unabhängigkeit des Landes erhoben werde. Denn schon seit 1350 hatte das Parlament wiederholt und ernstlich gegen die Ungebühr Klage geführt, dass der Papst die fremden Geistlichen begünstigt, die das Land auszögen, das Reich beraubten, die Seelsorge verwahrlosten.

Jetzt im Mai 1366 war man darum alsobald einig, die päpstliche Forderung abzuweisen. Selbst die hohen Geistlichen, die im Parlament saßen, schlossen sich dem nach kurzer Bedenkzeit an. Allgemein hieß es: König Johann war nicht befugt, solchen Lehenzins zu versprechen, ohne das Land zu befragen, er verletzte damit seinen Krönungseid. Ja man ging noch weiter und sagte im Parlament: auch der Papst war nicht befugt, solche Forderung zu stellen, wenn er doch Diener und Nachfolger dessen sein will, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte. Und wenn er Absolution und andere geistliche Gnaden nicht anders geben wollte, denn um schweres Geld, so wäre das sträfliche Simonie, das heißt die Sünde Simons des Zauberers (Apg. 8,20). So schlug man die Forderung rundweg ab; und es ist merkwürdig, dass weder Urban noch ein späterer Papst je wieder wagten, die 1000 Mark Lehenzins zu fordern.

Wiclif scheint selber, vielleicht im Auftrag des Königs, an jenem Parlament Teil genommen zu Haben. Dass er sich in der Abwehr der päpstlichen Begehren hervortat, müssen wir aus dem Angriff schließen, den ein ungenannter Mönch wider ihn unternahm. Er wusste sich aber schriftlich treffend zu wehren. Auch unterstützte er 1371 den Beschluss, von den Geistlichen eine Beisteuer an die Kriegskosten zu verlangen, und rügte bald darauf das Treiben eines päpstlichen Agenten, eines geborenen Franzosen, der überdies als Spion verdächtig war. Er warf ihm sündliche Erpressungen vor, aus denen der Papst die Feinde England unterstütze; dadurch werden Wohlstand und Wehrfähigkeit des Landes geschädigt, der Segen frommer Stiftungen zerstört. Wenn er also geschworen habe, dass er die Rechte der englischen Krone heilig halten wolle, so sei das nichts als ein falscher Eid. Man begreift, dass Wiclif den Päpstlichen je länger je lästiger wurde. Um so höher stieg sein Ansehen bei König und Volk.

Das Jahr 1374 gab davon ein neues Zeugnis. Es handelte sich um den Versuch, mit Frankreich Frieden zu schließen, und zugleich um Unterhandlungen mit dem Papst zur Beseitigung von allerhand Beschwerden. Für beides ging eine große Gesandtschaft nach Brügge in den Niederlanden. An der Spitze stand Johann von Gent, der Herzog von Lancaster, dritter Sohn des Königs. Ihm waren zwei Bischöfe beigegeben, und außerdem eine Anzahl Gelehrter, darunter zuerst Doktor Johann von Wiclif. Der langwierige Aufenthalt in Brügge tat diesem den gleichen Dienst wie dem Doktor Luther sein Besuch in Rom. Er lernte das päpstliche Wesen aus der Nähe kennen. Er tat einen Blick in die niederen Ränke, womit die Legaten wussten die Gegenpartei zu überlisten. In der Tat wurde das Unwesen nachher ärger als zuvor. Das sogenannte gute Parlament klagte 1376 laut und dringend: fünfmal soviel, als der König aus England ziehe, werde an erpressten Steuern für den Papst in die sündhafte Stadt Avignon geschleppt, und dort die besten Stellen in England an Fremde verkauft, die den Gottesdienst verwahrlosen und in Verachtung bringen. Der Papst hatte es eingeführt, dass wenn ein Bischofsstuhl erledigt wurde, die Einkünfte eines Jahres für ihn bezogen wurden, und pflegte bei solchem Anlass vier, fünf Bischöfe, den einen an des andern Stelle zu versetzen, um alle diese Jahreseinkommen auf einmal an sich zu reißen. So wusste er, klagte man, die Schafe zu scheren anstatt zu weiden. s

Dass Wiclif als hervorragender Gegner an dem Tadel dieses Unrechts beteiligt war, zeigt der Hass, mit dem er angegriffen wurde. Zweimal suchten seine Feinde an ihn zu kommen; zuerst einige englische Geistliche von sich aus. Wilhelm Courtnay, der Bischof von London, lud ihn vor ein geistliches Gericht, das in der Paulskirche sollte gehalten werden. Er kam (den 19. Februar 1377); aber mit ihm kam sein Gönner von Brügge her, Herzog Johann von Lancaster, und dieser nahm den Großmarschall und vier gelehrte Bettelmönche zur Verteidigung mit. Die Kirche war gedrängt voll Menschen. Mit Mühe bahnten sie sich einen Weg durch die Menge. Endlich stand Wiclif vor seinen Richtern, ein hagerer Mann mit scharfen, sprechenden Zügen, langem vollem Bart, im schwarzen leichten Mantel, wie ihn die Oxforder Gelehrten trugen und tragen . Der Großmarschall hieß ihn sitzen, er werde viele Fragen und Anklagen zu hören bekommen. Da fuhr der Bischof zornig auf: es zieme sich, dass der Verklagte vor seinen Richtern stehe. Darüber entspann sich nun ein heftiger Wortwechsel zwischen dem Bischof und dem Herzog, bis zuletzt ein Tumult die Verhandlungen vereitelte. Die Bürger Londons, die nichts gegen Wiclif hatten, waren doch unwillig, dass der Herzog ihren Bischof geschmäht, ja bedroht hatte.

Ernstlicher schien der zweite Angriff zu werden. Einige Bischöfe hatten gegen Wiclif in Rom geklagt, wohin Gregor XI. eben zurückgekehrt war. Sie hatten aus Wiclifs Vorlesungen, Disputationen und Schriften 19 Sätze zusammengelesen, die sie als verwerflich bezeichneten. Es waren Aussprüche mehr von rechtlicher und politischer als von kirchlicher Art; um den Kern des Evangeliums handelte sichs noch nicht. Dass der König könne den Geistlichen, die in einem schlechten Leben hartnäckig verharren, ihr Gut wegnehmen; dass Laien können gegen Geistliche Klage führen: das sind Lehren, welche das Regiment betreffen. Die biblische Wahrheit wird etwa durch die Sätze berührt, dass der Bann des Papstes nur gültig sei, wenn er einen Menschen treffe, der nach dem Evangelium schuldig sei, nicht aber wenn er aus Eigennutz ausgesprochen werde; endlich dass jeder Priester jedes Sakrament spenden könne, weil im neuen Testament kein Unterschied zwischen Bischöfen und Priestern gemacht sei.

Solcher Art waren die Aussprüche, die man Wiclif zum Verbrechen machte. Nun kamen wirklich im Mai 1377 fünf päpstliche Bullen auf einmal, an den Bischof von London, an den Erzbischof von Canterbury, an den König, an seine Prinzen, an den Kanzler von Oxford gerichtet, die verlangten, dass der Ketzer verhaftet werde.

Aber die Umstände waren nicht günstig dafür. König Eduard, alt und gebrechlich, starb; sein Enkel Richard II. war noch ein Kind; an dessen Statt regierte seine Mutter Johanna von Wales, die Wiclif begünstigte; zudem scheuten sich die Bischöfe vor dem Parlament und warteten, bis dessen Sitzungen vorüber waren. So ward es Dezember; und erst noch wagten die Bischöfe keine Verhaftung Wiclifs, sondern begnügten sich ihn vor ihr Gericht zu laden. Im Anfang des Jahres 1378 erschien er im erzbischöflichen Palast zu Lambeth. Johann von Lancaster war jetzt nicht mehr so mächtig wie früher, kam auch diesmal nicht mit. Statt seiner erschien ein Edelmann, welchen die Regentin sandte, und warnte, man solle Wiclif nicht verurteilen; und die Londoner Bürger drangen so zahlreich in den Palast, dass den Bischöfen der Mut entsank. Sie verboten Wiclif, die verklagten Lehren ferner zu verkündigen. Aber er versprach nichts und sie wagten keinen weiteren Schritt.

Bis jetzt ist uns Wiclif noch nicht als Reformator begegnet. Es war mehr ein Eifer für Wohlfahrt und Ehre des Vaterlands, der ihn bisher bewegte, als ein Kampf für den Kern des Evangeliums. Wir mögen es mit Zwinglis Auftreten vergleichen, das sich auch früher gegen das verberbliche Laufen in fremden Söldnerdienst richtete, bevor er die päpstliche Lehre bekämpfte. Aber von jener Zeit an, wo die Gegner ihn heftig angriffen, trat auch Wiclif immer entschiedener für die biblische Wahrheit auf.

IV. Der Doktor evangelicus.

Je mehr Erfahrung Wiclif im Leben sammelte, desto ernstlicher hielt er die Bibel hoch. Immer entschiedener stellte er sie über alle anderen Schriften. Sie galt ihm als Maßstab der Wahrheit für Alles. Was die Kirche lehrt, muss daran geprüft sein. Es wäre Gotteslästerung, wollte der Papst behaupten, er könne für gültig erklären, was gegen das Evangelium wäre. Und als Kern der Bibel erkannte er: Jesus Christus ist der alleinige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Darüber trat ihm mehr und mehr der Mariendienst und die Verehrung der Heiligen zurück, vollends aber der Bilderdienst und das Reliquienwesen. Auch die erzwungene Ehelosigkeit der Geistlichen fing er an als unbiblisch, heuchlerisch und schädlich zu rügen; die Griechen hätten Recht, dass sie nichts davon wissen wollten. Allmählig ward er auch in Streitigkeiten mit den Bettelmönchen verwickelt, weil dieselben den römischen Aberglauben verteidigten und durch Müßiggang und zudringliches Betteln viel Ärgernis gaben. Von jetzt an lernen wir mehr und mehr den Namen Doktor evangelicus verstehen.

Weil es ihm selber mit der Bibel ernst war, so legte er großes Gewicht auf die Predigt des Worts. Während viele Priester sich mit den Zeremonien begnügten, erklärte er die Predigt für das Hauptwerk, zu dem der Geistliche verpflichtet sei. Den guten Samen auszustreuen, das ewige Wort, das die Menschen erneuert, wenn es durch den Geist des Lebens in ihren Herzen kräftig geworden, darin fand er das vornehmste Mittel zur Erbauung der Kirche. Darum tadelte er die Priester ernstlich, die das Predigen unterließen; nicht minder jedoch diejenigen, die zwar predigten, aber nicht Gottes Wort. Nicht Wiclif allein, sondern auch andre ernste Männer in verschiedenen Ländern klagten damals dringend über das Predigen von Fabeln und Possen, von Liedlein und Legenden, ja von heidnischer Mythologie. Ein weiterer Unfug war das Predigen aus Gewinnsucht. Man spürt die Bitterkeit des Tadels, wenn ein Prediger, weil er sofort nach seiner Rede eine Steuer einzog, der Pfennigprediger heißen musste. Entgegen aller dieser Entartung drang Wiclif mit Ernst darauf: Gottes Wort soll gepredigt werden, und zwar in einer des Wortes Gottes würdigen Weise; also nicht mit eitlem Schmuck der Rede, nicht mit hohler Feierlichkeit des Vortrages, nicht mit allerlei menschlichen Spitzfindigkeiten, sondern einfach, schlicht und fromm, und aus rechter Liebe, die aber gegen die Sünden auch muss Schärfe brauchen; endlich so, dass dem Wort des Predigers nicht die Besiegelung durch seinen Wandel fehle.

Wiclif hat das alles nicht nur von Anderen verlangt, sondern selbst danach getrachtet. Es sind zahlreiche Abschriften seiner Predigten bis auf uns gekommen, und zwar von zweierlei Art: lateinische und englische. Die ersten hat er offenbar in Oxford vor den studierten Leuten gehalten; sie sind nicht nur in der Sprache, sondern in der ganzen Art und Weise der Ausführung gelehrter als die englischen. Denn diese sind augenscheinlich an das Volk gerichtet, dem er als Pfarrer dient; die meisten wohl in Lutterworth gehalten. Sie haben noch nicht den Stempel der vollen Glaubensfreudigkeit und Glaubensgerechtigkeit wie bei Dr. Luther. Aber durchgängig spürt man: es ist ihm heiliger Ernst, und man freut sich der reichen Bibelkenntnis.

Was er so predigte, nämlich Gottes Wort nach bestem Verständnis, das suchte er allem Volk noch weiter als seine Stimme reichte zugänglich zu machen: er fasste den kühnen Vorsatz einer Übersetzung der Bibel in die englische Sprache. Bisher waren nur einzelne Stücke der Heiligen Schrift, vornehmlich die Psalmen, in die Sprache des englischen Volks übersetzt worden. Jetzt wollte er ihm die ganze Bibel zugänglich machen. Er selber übersetzte wirklich das Neue Testament, und die Kenner bezeugen, dass seine Übersetzung schlicht und fließend englisch sei, epochemachend für die englische Sprache fast wie Luthers Bibel für die deutsche. Nicht eben so gelungen war die Übersetzung des Alten Testaments durch Wiclifs Gehilfen, Nicolaus von Hereford. Derselbe arbeitete treu und fleißig, aber er verfuhr im Übersetzen zu steif buchstäblich, ward auch vor der Vollendung des Werks unterbrochen. Mitten in einem Satz des apokryphischen Buches Baruch hört die Arbeit auf. Wahrscheinlich musste er abbrechen, als er vor den Erzbischof geladen wurde. Er ward verurteilt, ging zur Verantwortung nach Rom, wurde gefangen gesetzt und erst nach Jahren befreit. Die abgebrochene Arbeit führte Wiclif zu Ende.

Es war ein Großes, was Gott ihm hatte gelingen lassen. Das Wort Gottes, diesen edlen Samen, aus welchem Menschen Gottes erwachsen, durch welchen die Kirche sich erneuert, diesen teuren Schatz allem Volk des Landes zugänglich zu machen, das war ein Werk von hoher Wichtigkeit. Es hafteten freilich nicht unerhebliche Mängel daran; vor allem der eine, dass Wiclif und seine Gehilfen nicht im Stande waren, die Bibel aus den Ursprachen zu übersetzen, sondern sich begnügen mussten, aus der lateinischen Übersetzung, der sogenannten Vulgata zu schöpfen. Das war ein Übelstand, dem sie nicht abhelfen konnten. Anders verhielt es sich mit dem zweiten Gebrechen, der starken Ungleichheit der Arbeit. Diese erkannte Wiclif wohl und machte sich sofort an die Überarbeitung. Dabei stand ihm besonders ein treuer Hilfsgeistlicher, John Purvey (oder Purney) bei, und dieser war es, der nach Wiclifs Tode die Verbesserung der Übersetzung 1388 fertig brachte. Zahlreiche Abschriften der ganzen Bibel oder einzelner Teile oder auch der Abschnitte, die man in der Kirche las, der sogenannten Perikopen, geben Zeugnis von der Liebe und Dankbarkeit, womit das Werk aufgenommen wurde.

Den Römischgesinnten freilich war es ein Dorn im Auge. Die Bibel, sagten sie, gehöre von Rechts wegen nur in die Hände der Geistlichen, und es sei die Übersetzung in die Sprache des Volkes, aller Männer und Frauen, eine Bosheit, ersonnen. die Kirche zu bekämpfen. Denn wie leicht können Laien dadurch in Irrtum und Ketzerei verfallen. Wiclif in seiner unverblümten Weise gab trefflichen Bescheid. Was wäre das für eine Grausamkeit, alle Speise aus einem Reich wegzuschaffen, weil einige Toren könnten gefräßig sein! Überdies fragte er, ob nicht auch stolze weltliche Priester über der lateinischen Bibel können in Irrtum fallen? Wer aber aus der Schrift will lernen, was er braucht, um selig zu werden, der wird ein wirklicher Priester, von Gott geweiht.

Er fühlte nun aber, dass auch das noch nicht genug sei, die Bibel zu übersetzen, dass es jetzt auch gelte, sie mit Eifer unter die Leute zu bringen und ihren Inhalt auch denen bekannt zu machen, die keine Abschrift kaufen oder die nicht lesen können. Er begann daher, als er noch in Oxford war, etwa im Jahr 1378, eine Art Seminar einzurichten, um Gehilfen für den Dienst am Wort heranzuziehen. Da unterwies er einen Nachwuchs von Verkündigern der Wahrheit, und, wenn sie ordentlich geschult waren, schickte er sie als Reiseprediger aus. Die Reisepredigt, die Straßenpredigt ist noch heute recht eigentlich in England zu Hause; wir sehen, dass sie es schon damals gewesen. Sie war indessen auch sonst nichts unerhörtes. Der heilige Bernhard in Frankreich zog predigend hin und her, der Franziskaner Berthold von Regensburg sprach oft zu großen Scharen, zu vielen Tausenden im Freien. Desgleichen taten die Waldenser, von denen freilich Wiclif kaum etwas wusste. Aber selbst die Dominikaner bekamen von ihrem Herumziehen und Predigen hin und her den Namen Predigermönche, und die Franziskaner wetteiferten mit ihnen. Es waren freilich Predigten von anderem Schall, die von den Schülern Wiclifs gehalten wurden. Wie das Volk sie aufnahm, zeigt der Namen Biblizisten, Bibelleute, der ihnen von den einen verächtlich, von den andern aus Hochschätzung beigelegt wurde.

Wiclif dachte nicht daran, die im Amt stehenden Pfarrer damit auf die Seite zu drängen. Wenn sie fromm waren und ihres Berufes warteten, nahm er sie kräftig gegen die Übergriffe der. Bettelmönche in Schutz. Aber er fand das Bedürfnis so groß, dass eine Vermehrung lebendiger Prediger dringend nötig sei. Anfänglich sandte er nur ordinierte Geistliche aus, arme Priester, wie er sie nannte. Es geschah nicht nach seiner Absicht, sondern durch die Feindschaft der Bischöfe, dass sie zurückgesetzt wurden und keine Stellen bekamen. Da lehrte er sie das Gute in diesem Nachteil finden: dass sie nicht Gefahr liefen, durch Simonie zu sündigen, und leichter fliehen könnten, wenn sich Verfolgung erhebe. Mit der Zeit entschloss er sich, als nicht genug Priester sich einstellten, auch Laien zu senden, evangelische Männer, die von Gott gelehrt und eingesetzt seien, wenn ihnen auch kein Bischof die Hand aufgelegt. Diese Boten des Evangeliums gingen aus in langen Röcken von grober roter Wolle, barfuß und in der Hand den Pilgerstab. Sie predigten in Kirchen und Kapellen, wo sie ihnen offen stunden, sonst auf Kirchhöfen, auf Straßen und Plätzen, oder in Häusern und Gärten. Denn nicht der Ort ist es, sagte er, der das Volk heilig macht, sondern umgekehrt. So predigten sie aller Orten nach Wiclifs Unterweisung Gottes Gesetz, rügten die Sünden auch der Priester, mahnten die Leute der Ewigkeit zu gedenken, trieben sie an zu lebendiger Bruderliebe. In rascher Zunahme muss ihr Einfluss durch das ganze Land gestiegen sein. Das beweist sogar der Unwille der Feinde, die ihnen heftig vorwerfen, unter heilige und süße Worte als eine Lockspeise wissen sie das Gift der Ketzerei zu mischen.

Jetzt haben wir den Reformator Wiclif, den Doktor evangelicus kennen gelernt, der die Heilige Schrift über alles stellt, der die Bibel übersetzt, der die biblische Wahrheit selber predigt und durch Reiseprediger ausbreiten lässt. Es bleibt uns noch ein Blick auf seine letzte Entwicklung zu werfen.

V. Die letzten Jahre.

Es waren zunächst erschütternde Weitereignisse, welche Wiclifs Erkenntnis zur Reife brachten. Das gilt insonderheit von seinem Urteil über den Papst und das päpstliche Regiment. Früher hatte er, wie auch Luther im Anfang, den Papst in Ehren gehalten. Er hielt ihn zwar nicht für unfehlbar, und ließ sichs nicht wehren, zu prüfen, ob das, was er lehre, mit Gottes Wort übereinstimme. Aber ein oberster Bischof, dachte er, muss doch sein, und wo er nichts gegen das Evangelium lehrt, müssen wir ihm gehorchen. Jetzt aber kamen Schlag auf Schlag Tatsachen, die ihn tief erschütterten.

Gregor XI. war anfangs 1377 von Avignon nach Rom zurückgekehrt, aber schon das Jahr darauf gestorben. Urban VI, der alsbald gewählt wurde, sprach sich in seinen Kundgebungen ernst und würdig über eine Reinigung der Kirche aus. Wiclif war hocherfreut, als er dies zu lesen bekam, und schrieb begeistert von Hoffnung: Gesegnet sei der Herr, der seiner Kirche ein rechtgläubiges Haupt geschenkt hat, dem es ein Ernst ist, bei sich selbst und seinen Nächsten den Anfang der Besserung zu machen. Aber diese Freude war von kurzer Dauer. Denn nicht lange, so wählten die französischen Kardinäle Clemens den VII zum Gegenpapst, und damit begann das große päpstliche Schisma, die Spaltung zwischen Papst und Gegenpapst, welche fast 40 Jahre lang die Kirche zerriss und im tiefsten Grund erschütterte. Wir können uns schwer hineindenken, wie furchtbar das Ärgernis für das Christenvolk war und am meisten für die ernsten Leute, die an der Kirche hielten, wenn sie nun Zeugen sein mussten, wie heftig die beiden Päpste einer den andern verfluchten, mit welchem Stolz und welcher Gewalttätigkeit sie gegenseitig die äußersten Mittel brauchten, um die Gegenpartei zu erdrücken. Da ging ein tiefer Schmerz durch viele Seelen. Welches ist denn der rechte Papst? so fragten sie ratlos. Da jeder seinen Gegner mit dessen ganzem Anhang verflucht, welcher Fluch soll gelten? oder haben sie beide Recht und beide Unrecht? So wie sies treiben, käme es ja, wenn man ihren Befehlen folgte, zum allgemeinen Mord in der Christenheit. Und das tun beide! darum sind beide falsch. Besser gar kein Papst als solche Päpste. So wurde Wiclif in seinem Innern vom Papsttum abgelöst.

Aber er ward noch weiter geführt. Er sah, wie die beiden Päpste sich in Erpressungen überboten und die Christenheit aussogen, jeder um seinen Anhang zu belohnen und die Gegner zu vernichten; er sah, wie die Weltherrschaft ihr einziges Dichten und Trachten war, die Vollendung jener Sünde, zu welcher schon Constantin (nach der Meinung, die auch Wiclif teilte) durch seine Schenkung den Papst verführt hatte; er sah, wie jeder Papst bei all diesem beillosen Treiben doch göttliche Eigenschaften zu haben behauptete. Das drängte ihn zu der Überzeugung: Dies ist der Mensch der Sünde, von welchem der Apostel schreibt, dass er sich in den Tempel Gottes setze und gebe vor, er sei Gott (2 Thess. 2,3.4). Es waren die Gräuel des päpstlichen Schisma, die ihn trieben, immer schärfer und zweifelloser auszusprechen: unter allen Antichristen ist der Papst der Hauptantichrist.

Wiclifs Verwerfung des Papstes hing zusammen mit seiner immer klarer ausgeprägten Anschauung von der Kirche. Die wahre Kirche, lehrte er, ist die Gemeinschaft der Erwählten, der wahrhaft Gläubigen. Die Andern aber, von denen Gott vorausgewusst, dass sie nicht bis ans Ende Glauben halten würden, sind nur scheinbar Glieder Christi, in Wirklichkeit Glieder des Antichrists; diese gehören zur Synagoge des Satans, zur Kirche der Boshaftigen. Schon 300 Jahre früher hatte Papst Gregor VII gleichfalls unterschieden zwischen Gliedern Christi und Gliedern des Teufels. Aber die Kennzeichen, nach denen er urteilte, waren andere: wer zum Papst und seinen Kardinälen hielt, galt ihm als ein Glied Christi, als ein Glied des Teufels aber, wer gegen sie war. Hingegen war Wiclifs Maßstab: Wer dem Gesetz Gottes gehorcht, wer nach dem Evangelium lebt, nur der ist ein wahres Glied der Kirche. Also gibt es innerhalb dessen, was Kirche heißt, zweierlei Glieder, wirkliche und scheinbare; und so auch zweierlei Hirten, Priester Christi und Priester des Antichrists. Diejenigen Priester nämlich, auch die Bischöfe bis hinauf zum Papste, welche durch Hochmut, Grausamkeit und Feindschaft wider das Evangelium getrieben werden, sind Diener der Satanssynagoge. Es waren hauptsächlich die argen Erfahrungen aus Anlass des Schisma, welche diese Überzeugungen in Wiclif zur Reife brachten.

Anders verhielt es sich mit dem zweiten Lehrstück, über welches ihm erst in der letzten Zeit das Licht aufging, hier aber nicht aus den Zeitereignissen, sondern aus der Heiligen Schrift. Es war das die Lehre vom h Abendmahl. Früher (und noch bis 1378) hatte er die katholische Wandlungslehre angenommen. Im Jahr 1380 zum ersten Mal lesen wir bei ihm eine Erörterung, dass wenn man sage: im Abendmahl sei nicht Brot vorhanden, sondern der Leib des Herrn, so wolle das heißen: nicht nur Brot, sondern auch Christi Leib. Bald aber ward er weiter geführt und lehrte nun mit Nachdruck: im Abendmahl sei nicht nur der Schein von Brot, sondern wirkliches Brot. Jetzt war er zur Erkenntnis gekommen: die widersinnige Lehre von der Wandlung, wonach vom Brot nur der leere Schein noch übrig wäre, sei gegen die Schrift und auch gegen die bessere Lehre der Kirchenväter. Jetz erschien ihm insonderheit verwerflich die schauerliche Menschenvergötterung, dass man vom Priester behaupte, er könne aus Brot den Leib seines Schöpfers zu Stande bringen, machen, conficere2). Das führe außerdem zu einer Abgötterei, die den Zorn Gottes auf sich rufe. Wiclif lehrte aber deswegen doch nicht wie Zwingli. Er anerkannte im heiligen Abendmahl etwas Übernatürliches, eine geheimnisvolle Veränderung, die in Kraft des Wortes Christi vor sich gehe. So sei das Brot zwar Brot und bleibe Brot, aber unter der Form des Brotes sei der Kraft nach zugleich der Leib Christi vorhanden. Das suchte er auszusprechen in Worten, die ungefähr zwischen Luthers und Calvins Lehre die Mitte halten. Selbst in Liedern der katholischen Kirche fand er diesen Sinn. Wo Wiclif eine Wahrheit erkannte, verschwieg er sie nicht. Im Sommer 1381 gab er 12 Sätze heraus. worin er seine Abendmahlslehre verkündete. Das erregte ein großes Aufsehen, und zwar nicht zu seinen Gunsten. Selbst von seinen Freunden fanden viele, er gehe zu weit. Die Gedanken waren zu stark davon beherrscht, dass Innocens III und mit ihm ein ganzes Konzil 1215 die Wandlungslehre ausdrücklich bestätigt hatten. Denn wo die Kirche, seis auch nicht der Papst allein, für unfehlbar gilt, da steht, was sie einmal beschlossen hat, als unverbesserlich da. So hatten jetzt die Feinde einen Griff auf Wiclif. Der Kanzler von Oxford verbot ihm sofort, diese neue Lehre zu verteidigen. Wiclif appellierte an König Richard II. Aber das war nur das Vorspiel dessen, was da kommen sollte.

Seine Lage ward um so gefährlicher, da man ihm aus einer schlimmen Sache, daran er unschuldig war, einen bösen Schein bereiten konnte. Es war nämlich im gleichen Jahr 1381 ein blutiger Aufstand der Bauern ausgebrochen. Der schwere Druck der Steuern, die Härte, mit der sie eingetrieben würden, das Begehren nach gleicher Freiheit, wie sie die Bürger in den Städten genossen, das alles hatte die Flamme der Empörung zum Ausbruch gebracht. Sie verfuhren grob mit Verwüsten, Brennen, Rauben und Morden. Manche reiche Leute, Herren, Richter, Geistliche, die in ihre Hände fielen, brachten sie um. Auch der Erzbischof von Canterbury war unter den Opfern, die sie niedermetzelten. Nur die Bettelmönche schonten sie als Ihresgleichen. Natürlich wurden zuletzt die Empörer besiegt. Wir gedenken dabei des Bauernaufstandes in Luthers Tagen, der dem Reformator so heftig zu Herzen ging. Dort war es in der Tat ein fleischlicher Missverstand des Evangeliums, der das Feuer der Empörung entflammte. Ganz anders zu Wiclifs Zeiten. Da sind die Ursachen lediglich weltliche, und wenn die Feinde aussprengten: daran sei Wiclifs Predigt schuld, so war das eine Verleumdung ohne allen Erweis. Gleichwohl lag darin ein Vorteil für seine Widersacher.

An der Spitze derselben stand ein Mann, der schon als Bischof von London sein heftigster Feind gewesen, Wilhelm Courtnay. Er war zum Nachfolger des ermordeten Erzbischofs von Canterbury befördert worden. Mit kalter Klugheit bereitete er seine Schläge vor. Er wartete, bis er von Rom den erzbischöflichen Mantel empfangen hätte. Sobald das geschehen war (im Mai 1382), berief er ein geistliches Gericht von lauter Römischgesinnten nach London. Er legte ihnen 24 Sätze von Wiclif vor, von welchen 10 entschieden ketzerisch, 14 zum wenigsten irrtümlich seien. Als das Gericht beisammen saß, erschütterte ein furchtbares Erdbeben die ganze Stadt. Einige der Richter erschraken und meinten: das sei ein warnendes Zeichen. Der Erzbischof aber war rasch mit der Deutung bei der Hand: das soll uns lehren, dass das Wegschaffen so schlimmer Irrlehren nicht ohne Erschütterung geschehen kann; wogegen Wiclif urteilte: das sei ein Gottesurteil gegen den Frevel der Menschen wie dort, als Jesus am Kreuze starb. Doch die geistlichen Richter taten was der Erzbischof wollte: sie verdammten die Sätze Wiclifs. Jetzt sollte gegen die Anhänger dieser Lehren eingeschritten werden. Die Bischöfe verlangten, es solle das Parlament die Ketzer verhaften lassen. Dazu kam es nun freilich nicht. Aber der König von sich aus erlaubte den Bischöfen, die Irrlehrer gefangen zu setzen. So wurden nun die Hauptanhänger und Gehilfen Wiclifs eingezogen und einer nach dem andern durch Drohungen zum Widerruf bewogen. Nicolaus von Hereford nicht, er ging nach Rom und blieb eine Zeitlang außer Landes. Nun war Wiclif ziemlich vereinsamt. Sie hofften daher auch ihn zu besiegen. Schon hatte der Kanzler der Universität ihm verboten, die neue Lehre vorzutragen. Jetzt ward Wiclif im November 1382 vor eine Synode in Oxford geladen. Er verantwortete sich mit Freimütigkeit, tat durchaus keinen Widerruf, sondern legte ein furchtloses Bekenntnis ab. Aber die Feinde stellten sich, als wären sie mit seiner Erklärung zufrieden. So trachteten sie den Schein zu retten. Man sieht, wie schwer es ihnen ward, den Mann anzutasten; auch hatten sie das Parlament zu scheuen. Sie wagten darum keine Verurteilung und begnügten sich mit dem Erfolg, dass er von Oxford weichen musste. Ihre Hoffnung war wohl, da er schon einen Schlaganfall gehabt, er werde nicht lange mehr leben.

Aber Wiclif war noch keineswegs gebrochen. Ja er ließ 1383 eine seiner kräftigsten Schriften ausgehen. Die Veranlassung war ein Kreuzzug gegen den französischen Papst und seinen Anhang. Ein kriegerischer Bischof, Spencer von Norwick, stellte sich an die Spitze.

Die Engländer scheinen anfangs ziemlich lau geblieben zu sein. Da ward ein reicher Ablass verkündet, mit dem lästerlichen Versprechen: sobald einer auch nur zahle für diesen heiligen Krieg, so fahren die Engel vom Himmel hernieder, die Seelen aus dem Fegfeuer zu holen. Dagegen erhob sich Wiclif in gerechter Entrüstung: es sei unchristlich, einen solchen Krieg nur um der Herrschsucht willen anzufachen; es sei eine Lüge, Ablass der Sünden für Mord zu verheißen; es sei höchst grausam, Tausende in einen unbußfertigen Tod zu jagen. Ja er sagte es derb heraus: die beiden Päpste seien wie zwei Hunde, die um einen Knochen zanken; es wäre gut, wenn die Fürsten den Knochen, nämlich, die weltliche Herrschaft wegnähmen. Die Kreuzfahrer wurden übrigens kläglich zu Schanden und der Bischof gebüßt.

Wiclif saß unterdessen ruhig in Lutterworth. In Oxford durfte er nicht mehr lehren. Um so fleißiger predigte er in seiner Pfarrei. Daneben arbeitete er mit treuen Gehilfen fort, teils an der Durchsicht und Besserung der englischen Bibel, teils am Herausgeben anderer Schriften. Weil nämlich das Werk der Reiseprediger zwar noch nicht unterdrückt, aber doch erschwert war, so schrieb er eine Reihe von Traktaten, Auslegungen des Unser Vaters, des Glaubens, der zehn Gebote usw. Über 100 Jahre lang haben diese kleinen Schriften segensreich nachgewirkt. Wohl 50 derselben sind bis auf uns gekommen.

Nach dem, was die Zeitläufe Wiclif lehrten, war er darauf gefasst, dass die Wahrheit könne an manchen Orten auf eine Zeitlang gestürzt werden und aus Furcht vor den Drohungen des Antichrists verschwiegen bleiben; aber ganz auslöschen könne sie nicht. Denn Jesus habe gesagt: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen (Matth. 24,35). Ja zu einem wahrhaft prophetischen Ausblick erhob er sich. Er, der so manches scharfe Wort wider die Torheiten und den Müßiggang der Bettelmönche geschrieben, sagt doch in einer Schrift aus seinen letzten Jahren: Ich nehme an, dass einige Bettelmönche, welche zu unterweisen Gott gefallen wird, sich zur ursprünglichen Religion Christi mit aller Andacht bekehren und dann die Kirche bauen werden wie Paulus. Wenn wir uns erinnern, dass Savonarola der Dominikaner und besonders, dass Luther der Augustiner Bettelmönche waren, von einigen minder berühmten zu schweigen, so staunen wir über dieses Wort der Weissagung, das ihm geschenkt war.

Am 28. Dezember 1384 war Wiclif in seiner Kirche zu Lutterworth und hörte der Messe zu, die ein Gehilfe las. Da traf ihn ein neuer Schlagfluss und am 31. Dezember hatte er ausgehaucht. Auch die Gegner hatten kein Wort einer Verdächtigung gegen die Lauterkeit seines Wandels vorzubringen. Das Lob seiner Wissenschaft vollends ließen sie unbestritten. Nur sagten sie: er sei deshalb um so gefährlicher gewesen, ja ein Hauptvorläufer des Antichrists. So gaben sie ihm sein Urteil über den Papst zurück. Wir aber sind froh, dass das Gericht des Herrn ist und nicht der Menschen. Vor unsern Augen steht Wiclif als ein ganzer, gerader Mann, ein furchtloser Zeuge, der wohl auch freudig, wenn es an ihn gekommen wäre, den Märtyrertod für die Wahrheit erlitten hätte.

VI. Nachwirkungen von Wiclifs Leben und Lehre.

Wir hätten nur ein unvollständiges Bild von Wiclifs Leben und Wirken gewonnen, würden wir nicht auch noch einen Blick darauf werfen, wie sich die Nachwirkungen desselben gestalteten. Die Feinde hofften, sobald er tot sei, habe es ein Ende damit. Aber sie täuschten sich. Er war gestorben und lebte noch. Ja seine Anhänger nahmen erst jetzt einen recht selbständigen Aufschwung. Bald fingen die Widersacher an, den Schülern Wiclifs den Namen Lollarden beizulegen. Das war ein Ketzername, der schon 80 Jahre früher in den Niederlanden aufgekommen war. Dort hieß man so eine Bruderschaft, die Alexiusbrüder, welche die Kranken pflegten und die Bestattung der Toten besorgten. Auch Begharden, das heißt Betbrüder wurden dieselben genannt. Lollarden dagegen oder Lollharden kommt von dem Worte lollen, lullen, das ist leise singen. Ein Teil der niederländischen Lollarden waren in bedenkliche Freigeisterei und Sittenlosigkeit geraten; wer den Geist habe, lehrten sie, für den sei nichts mehr Sünde. Dadurch kam der Name Lollarden überhaupt in Verruf, und es war eine gehässige Beschimpfung, wenn die Freunde Wiclifs damit bezeichnet wurden. Schon da der Meister noch lebte, 1382, tat dies ein gelehrter Mönch in Oxford, wurde aber vom Kanzler als Verleumder gestraft. Jetzt nach Wiclifs Tod bedienten sich sogar die Bischöfe (seit 1387) dieser Schmähung.

Sie hinderte aber keineswegs die mächtige Verbreitung der Lehre. Viele vom hohen wie vom niederen Adel, Bürger und Bauern, Männer und Frauen fielen den Reisepredigern zu. Selbst die Gegner schätzten mehr denn das halbe Volk als verführt. Hier und dort stellte ein Edelmann einen Schüler Wiclifs als Kaplan bei sich an, rief das Volk zusammen und hütete mit dem Schwert, dass niemand die Versammlung störte. Die Reiseprediger ordinierten andere zum gleichen Beruf. Bekehrte Handwerker gewannen neue Genossen des Glaubens. Männer und Frauen lernten lesen und Beschämten die Geistlichen durch Bibelkenntnis.

Die Kühnheit der Lollarden war mit ihrer Zahl gewachsen. Sie wandten sich endlich geradezu an das Parlament. Dieses hatte 1390 eine Petition der Römischen gegen die englische Bibel verworfen. So wagten nun die Schüler Wiclifs 1395 zu bitten: es möge das Parlament die Schäden der Kirche bessern, die Ehelosigkeit der Geistlichen, Götzendienst, Wallfahrten, Seelenmessen abschaffen, und in allem die Urgestalt der Kirche herstellen, wie sie in der Heiligen Schrift gezeichnet sei. Aber Richard II., von den Bischöfen aus Irland geholt, gab den Adeligen, welche die Bittschrift eingebracht hatten, ungnädige Antwort. Doch war er weiter nicht zum Verfolgen geneigt, ja er misstraute den Bischöfen und nicht ohne Grund. Geschah es doch bald genug, dass der neue Erzbischof von Canterbury, Thomas Arundel, als ihn der König verbannte, sich mit dem gleichfalls geflüchteten Heinrich Bolingbroke, einem Vetter des Königs, geradezu in eine Verschwörung einließ. Die Empörer landeten im nördlichen England. Richard fiel durch List in ihre Gewalt, ward 1399 abgesetzt und 1400 im Gefängnis ermordet. Der Sieger, nun König Heinrich IV., war der erste Fürst aus dem Hause der roten Rose. Sein Vater war jener Herzog Johann von Lancaster gewesen, welcher den Doktor Wiclif schätzte und schützte. Heinrich aber, um der Geistlichkeit zu danken, deren Verrat ihm zum Thron geholfen, erließ 1400 das erste Strafgesetz gegen Ketzerei. Darin wurden die Beamten verpflichtet, gegen die Versammlungen einzuschreiten. Besonders scharf wurden die Reiseprediger bedroht, aber auch die Zuhörer nicht geschont. Ketzerische Bücher sollten binnen 40 Tagen ausgeliefert werden. Auch gegen das Abschreiben der Bücher wurden Strafen bestimmt, und wer die Verdächtigen unterstützte, sollte nicht leer ausgehen. Die strengste Strafe, besonders für die rückfälligen und hartnäckigen Ketzer, war der Scheiterhaufen.

Dieses harte Gesetz betraf sofort eine Anzahl Lollarden. Sie erlitten den Feuertod. Andere wurden dadurch erschüttert und widerriefen, darunter zum Schmerze Vieler auch Purvey, jener Gehilfe Wiclifs am Bibelwerk, 1401. Doch ward er nachher wieder verdächtig. Jahrzehnte lang gingen die Verfolgungen fort. Die Foltern wurden immer grausamer. Manche schworen ab und wurden oft nicht einmal freigelassen. Die Standhaften gar blieben lange gefangen. Die Entschiedensten, Männer und Frauen, starben in den Flammen. Im Jahre 1415 ward in London ein Kürschner Claydon, der schon zweimal widerrufen hatte, als rückfälliger Ketzer verbrannt. Sein Verbrechen war, dass er, der selbst nicht lesen konnte, sich von seinem Diener, der es verstand, einen Traktat von Wiclif hatte vorlesen lassen.

Um die Ketzerei wirksam zu unterdrücken, trachteten die Geistlichen vor allem die hohen Gönner der Lollarden zu brechen, und dahin gehörte zuerst die Universität Oxford. Noch 1406 hatte dieselbe in einer förmlichen Urkunde erklärt, dass Wiclif ein frommer Mann und eine Zierde der Anstalt gewesen. Hus las diese Erklärung öffentlich vor und zeigte das Siegel, und man hat ohne Grund ihre Echtheit bestritten. Der Erzbischof von Canterbury drohte. Aber erst 1414 gelang es ihm völlig, die Behörden anders zu bestellen. Von dann an verfolgte die Universität die Lollarden, verdammte auch 267 Sätze von Wiclif. Aber die Unwissenheit nahm seitdem überhand.

Eine zweite Stütze der Lollarden waren manche Personen vom höheren Adel; darunter der angesehensten einer Sir John Oldcastle, oder wie er auch in Folge seiner Vermählung und in Anerkennung seines Charakters hieß: der gute Lord Cobham. Er war ein tapferer Ritter, ein weiser Ratgeber, gegen die Geringen gütig, und seit er durch Schriften von Wiclif bekehrt war, liebte er Gottes Wort und Christi Nachfolge, sandte auch Reiseprediger auf seine Kosten aus. So lange Heinrich IV. lebte, bei dem er hoch in Gunsten war, durfte niemand ihn antasten. Nach dessen Tode (1413) suchte der Sohn Heinrich V. ihn auf andere Gedanken zu bringen und ward sehr unwillig über seine Hartnäckigkeit. Jetzt kam es zu seiner Verhaftung und zu einem wiederholten Verhör. So demütig er seinen Glauben bekannte, so offen rügte er allerlei Missbräuche. Man hieß ihn um die Absolution der Kirche bitten. Nein wahrlich, sagte er, das werde ich niemals tun, denn ich habe nie wider sie gesündigt; und kniend rief er mit aufgehobenen Händen: Ich bekenne dir, lebendiger, ewiger Gott, dass ich in meiner Jugend dich oft beleidigt habe mit Stolz und Zorn, mit Üppigkeit und schrecklichen Sünden. O gütiger Herr, erbarme dich! Dann stand er auf und sprach zum Volk: Seht, gute Leute, wegen meiner Übertretungen von Gottes Gesetz haben sie mir nie geflucht, nur wegen ihrer eignen Satzungen sind sie so grausam. Er machte seinen Richtern scharfe Vorwürfe, dass sie sich selbst und das Volk verführten, schloss aber endlich mit einer Fürbitte für seine Feinde. Merkwürdiger Weise wagten diese nicht sogleich, ihm das Urteil zu sprechen, sondern gaben ihm 40 Tage Bedenkzeit. Bevor sie abgelaufen, ward er durch eine Schar von Bürgern befreit und konnte nach einiger Zeit sich flüchten. Einige Zusammenrottungen, an deren er völlig unbeteiligt war, warfen auf ihn den Schein des Hochverrats. Lange blieb er verborgen. Erst 1417 in Wales entdeckt, ward er nach ritterlicher Gegenwehr gefangen, nach London gebracht, verurteilt und schimpflich auf den Richtplatz geschleift. Er betete noch für seine Feinde, mahnte das Volk, dem Gesetz Christi zu gehorchen, wurde dann zwischen zwei Galgen an Ketten in die Höhe gezogen und durch ein Feuer von unten langsam getötet. So lange er rufen konnte, pries er Gott.

In der gleichen Zeit, da in England dieser harte Schlag die Lollarden traf, waren bereits die Augen von ganz Europa auf Wiclifs Lehren gerichtet. Es waren nämlich schon vor dem Jahr 1400 viele Böhmen nach Oxford gekommen und hatten von da zahlreiche Abschriften von Wiclifs Werken nach Hause gebracht. Seine philosophischen Schriften waren zuerst abgeschrieben worden; 1396 brachte Hieronymus von Prag auch eine Anzahl der theologischen heim. Er selber ward dadurch ein Anhänger des englischen Reformators, und ebenso Johannes Hus, der 1396 in Prag Magister wurde, 1398 Vorlesungen zu halten begann, 1402 daneben ein Predigtamt antrat, und zwar in der Bethlehemskirche zu Prag, die von einigen reichen Männern ausdrücklich für die Predigt in böhmischer Sprache gestiftet war. Die Zerrüttung der Kirche durch das päpstliche Schisma war auch hier der Hauptanlass zum Heftigwerden des Streites; und dabei waren es lauter Lehren Wiclifs, für welche Hus angefochten und zuletzt vor das Konzil in Konstanz geladen wurde. Ja er ging nicht einmal so weit als sein Meister, denn er hat z. B. die römische Lehre von der Wandlung im heiligen Abendmahl niemals bestritten. Es war ein trauriges Schauspiel, dass ein Konzil, welches sehr würdige Mitglieder zählte und den päpstlichen Schändlichkeiten mit Kraft entgegentrat, dass das gleiche Konzil zwei fromme Männer, weil sie die Unfehlbarkeit des Konzils nicht anerkannten, zum Feuertod verdammte. Sie starben glaubensfreudig, Hus den 6. Juli 1415, Hieronymus den 30. Mai 1416, man kann wohl sagen: als Schüler Wiclifs.

Aber mit dem Tod der Führer war die Bewegung nicht erstickt. Denn die große Mehrzahl des böhmischen Volkes hing an Hus und seinen Lehren. Es entbrannte ein Krieg, der über ein Jahrzehnt Europa wachsend mit Schrecken erfüllte. Ein Kreuzfahrerheer ums andere ward von den Böhmen vernichtet, Man fing an auf den Sieg mit eisernen Waffen zu verzichten und den Weg der Unterhandlungen zu versuchen. Das Konzil zu Basel (seit 1431) lud die Böhmen zu Beratungen ein. Im Januar 1433 kamen ihre Gesandten nach Basel. Am 13. April hielt der vornehmste von ihnen, Procopius der Große die Abschiedsrede. Es war ein denkwürdiger Augenblick, als dieser Mann, gleich furchtbar auf dem Schlachtfeld, wie gewaltig in Erkenntnis und Rede, die Väter des ökumenischen Konzils ermahnte, dass sie die Kirche zur apostolischen Reinheit zurückführen sollten. Auch hier waren es zumeist Wiclifs Gedanken, die er dem Konzil vortrug. Aber das Ergebnis der Verhandlungen war ein geringes. Die wenigen Bewilligungen wurden mit List und Gewalt vereitelt, die Hussiten durch Entzweiung unter sich selber gebrochen. Nur ein Rest von frommen Brüdern, denen mehr am Evangelium lag als an politischer Macht, erhielt sich unter blutiger Verfolgung, und später erwuchs aus ihren Flüchtlingen die Brüdergemeinde zu Herrenhut. Die Pflanze, von Gott gepflanzt, ward nicht ganz ausgerottet.

Aber auch in England ebenso wenig. Das Konzil von Konstanz hatte kurz vor der Verurteilung von Hus über die Lehren Wiclifs ausdrücklich verhandelt, hatte am 4. Mai 1415 eine Reihe von Aussprüchen desselben, 45 an der Zahl, verdammt, und hatte zugleich beschlossen, dass seine Gebeine sollten ausgegraben und verbrannt werden. Das geschah nun doch nicht augenblicklich. Der Bischof, in dessen Sprengel Wiclif begraben lag, war dazu nicht geneigt. Immerhin war die Lage der Lollarden eine gedrückte. Die Universität war ihnen feindlich geworden, die hohen Adeligen durch Cobhams Tod eingeschüchtert. Nur wer ohne nach der Gunst der Großen zu fragen, rein um des Evangeliums willen an Wiclifs Schriften und Lehre hing, blieb unter allen Gefahren treu und standhaft. Aber leicht war dies nicht. Die Reisepredigt war sehr erschwert, da seit 1408 eine bischöfliche Bewilligung dazu gefordert wurde und römische Wanderprediger entgegenwirkten. Die Lollarden sahen sich daher auf geheime Versammlungen beschränkt. Sie kamen in abgelegenen Bauernhöfen auf den Grenzen der Dörfer zusammen, nicht selten auch in Höhlen und Gruben. Doch fanden sich immer noch einzelne Kaplane und selbst Rektoren oder Hauptpfarrer, die im Geist Wiclifs das Wort verkündeten. Einer derselben, Wilhelm Whyte, gab seine Stelle auf, zog predigend durch das Land, ja er trat in die Ehe, indem er das Verbot derselben als antichristlich verwarf. Aber er musste auch 1428 den Scheiterhaufen besteigen. In dieser Zeit entbrannte gegen Wiclif ein neuer Hass, weil man gegen die Hussiten in Böhmen einen Kreuzzug betrieb. Jetzt endlich wurden die Gebeine Wiclifs, der selber nicht einmal im Bann gestorben war, den Flammen übergeben. Der letzte Geistliche, der 1431 verbrannt wurde, war der fromme Kaplan Richard Wiche. Von jetzt an begegnen uns lange Zeit keine Geistlichen mehr unter den Lollarden.

Die Verfolgung lässt nach. Es sieht aus, als sei die Sekte erloschen. Aber sie war es nicht. Eine Anzahl untrügliche Zeichen beweisen uns, dass sie fortbesteht. Dahin gehört die große Menge von Bibelabschriften, die aus dem ganzen fünfzehnten Jahrhundert und noch aus späteren Jahren stammend bis auf uns sich erhalten haben. Daraus sehen wir unbestreitbar, dass die Abschreiber und ebenso die Käufer und Leser der biblischen Schriften nicht ausgestorben waren. Solches aber waren keine anderen als Jünger Wiclifs, Bibelleute. Aus der Zeit ums Jahr 1450 wird uns sogar ausdrücklich bezeugt, dass Lollarden, welchen man die Bilder zur Belehrung des unwissenden Volks empfehlen wollte, zur Antwort gaben: Viel besser wäre, man hielte von Jugend auf beide Geschlechter an, dass sie englisch lesen lernten. Ein weiteres Merkmal des Fortbestands der Sekte liegt in der Verordnung, die um 1440 nötig erschien: es ward nämlich ein Verbot erlassen, die Stätte feierlich zu besuchen, wo Richard Wiche den Märtyrertod erlitten hatte. Wir sehen, dass sie Vielen teuer war, Endlich hat sogar ein Bischof Pecock, so eifrig er die Lollarden bekämpfte, doch so viel von ihnen angenommen, dass er selbst in einen Ketzerprozess verwickelt und 1457 von seinem Bistum Chichester abgesetzt wurde.

Die während langer Zeit verborgene Sekte nahm kurz vor und nach 1500 einen neuen Aufschwung, selbst in Schottland, wo man auch duldsamer war. In England dagegen wurden unter den Königen vom Hause Tudor, Heinrich VII. (seit 1485) und dessen Sohn Heinrich VIII. (seit 1509) von neuem eine Menge Ketzer verbrannt. Im Jahr 1494 traf dieses Los eine achtzigjährige Mutter Young. Sie bezeugte fröhlich, dass sie der Liebe Gottes und der heiligen Engel viel zu gewiss sei, um das Feuer zu fürchten, und noch aus den Flammen heraus befahl sie ihre Seele in Gottes heilige Hand. Im Jahr 1498 erlitt denselben Tod zum ersten Mal wieder ein Priester. Sechzig Personen auf einmal wurden 1506 zu Amersham vor Gericht gezogen. Der Leiter der Zusammenkunft wurde verbrannt, und noch dazu zwang man grausamer Weise dessen eigene Tochter, den Scheiterhaufen anzustecken. Andere Glieder der Vereinigung wurden eingekerkert, ihrer Güter beraubt, etliche an der Wange gebrandmarkt, andere gezwungen einen kleinen Galgen am Hals zu tragen, und das alles für welches Verbrechen? dass sie die Heilige Schrift gelesen oder angehört, gegen Aberglauben und Götzendienst geredet hatten. Noch im Jahr 1519 standen in Coventry ihrer Sieben mit einander auf einem Scheiterhaufen, darunter eine Witwe, die zuerst war freigelassen worden. Aber wie man sie gehen ließ, hörte man etwas in ihrem Kleid rascheln. Man untersuchte und fand ein Papier, darauf das Unser Vater, der Glaube, die zehn Gebote englisch geschrieben standen. Das hatte sie wie die anderen ihre Kinder gelehrt, und musste jetzt dafür mit den andern brennen. Das waren härtere Verfolgungen als die wir heute kennen.

Aber alle diese Gewalttat löschte den Eifer nicht. Es war als ob der Sturm die Flammen nur stärker entfachte. Reisende Leser und Lehrer besuchten die Getreuen. Nächte lang saßen dieselben über der Bibel und andern Schriften beisammen. Und was ließen sie sichs kosten, um solche Bücher zu erwerben! Die Buchdruckerei kam den Schriften der Ketzer noch nicht zu gute. Daher kam es vor, dass einer für die Abschrift eines einzelnen biblischen Buchs einen Wagen voll Heu hergab, ein andrer für ein neues Testament bares Geld soviel als heute 250 Franken. Und dabei hielten sie treulich zusammen, Mann und Frau, Eltern und Kinder. Wie oft kommt es vor, dass sie bezeugen, die reine Lehre von Mutter und Großmutter, von Vater und Urgroßvater her empfangen zu haben. Auch hielten sie sich an den Grundsatz: Besser als Bilderdienst sei es, Arme und Kranke zu besuchen, denn damit dienten sie dem Bild Gottes. Sie nannten sich unter einander „Brüder in Christo, erkannte Leute, gute Leute.“ Solche Benennungen waren auch die Erkennungszeichen, durch die sie erprobten, ob einer zu ihnen gehöre. Wie frisch und freudig ihr Glauben auflebte, geht auch daraus hervor, dass hier und da ein Pfarrer durch die Laien fürs Evangelium gewonnen wurde.

Das alles wuchs in England aus dem Samen Wiclifs. Nun aber kam von Deutschland herüber die Kunde von Luthers Reformation. Ein Widersacher Luthers, König Heinrich VIII., der 1521 gegen ihn schrieb, lenkte zuerst die Aufmerksamkeit der Engländer auf den deutschen Reformator. Mehr und mehr verbreitete sich unter den gebildeten Ständen durch den Einfluss vom Festland herüber sowohl die Liebe zu Gottes Wort als eine bessere Wissenschaft. Im Jahr 1526 ward eine neue Bibelübersetzung von Wilhelm Tyndale und Wilhelm Roy in Antwerpen gedruckt. Reiche Engländer zahlten den Gelehrten dafür einen Gehalt und halfen die Kosten des Drucks bestreiten. Nachdem z. B. der Londoner Kaufmann Petit gestorben war, fanden sich in dessen Handlungsbüchern ansehnliche Posten angemerkt unter dem Titel: Christo geliehen. Es wird uns aus dem Jahr 1527 eine anziehende Geschichte aufbewahrt von zwei Bürgern aus Essex, die nach London kamen, einen Augustinermönch besuchten, ihn als einen „guten Mann“ begrüßten, entsprechende Antwort erhielten, und nun mit der Bitte um ein neues Testament ausrückten. Sie bekamen eines, von dem gerühmt ward, dass es viel besser englisch sei, und doch nur den zwanzigsten Teil eines alten koste. So flossen die beiden Ströme zusammen.

Der Geist der Reformation, der aus Deutschland herüberkam, ergriff mehr und mehr die oberen Stände. Im niederen Volk aber stammte die Bereitschaft, die Predigt des Evangeliums zu begrüßen, aus der starken Nachwirkung her, die von Wiclifs Tagen England durchzog und durch alle Verfolgung nicht völlig vertilgt war. Auch hier also können wir sehen: die Pflanzen, die Gott gepflanzt hat, werden nicht ausgerottet.

Johann von Wiclif ist uns ein heller Beweis, wie Gott vermag mitten in dunkler Zeit ein Licht auf den Leuchter zu stellen. Das einfache Mittel, welches dieser Gottesknecht zur Erneuerung der Kirche in Anwendung brachte, war die Heilige Schrift, in die Sprache des Volks übersetzt und durch Reiseprediger eifrig verbreitet. Darin liegt eine Gotteskraft, die sich immer von neuem mächtig erweist. Eine Zeitlang schien es, als sollten sich die Bibelleute schon damals eines völligen Erfolges freuen. Aber es kam, wie es Wiclif wohl selber ahnte: Verfolgungen, wie wir sie aus Erfahrung nicht kennen, nahmen dergestalt überhand, dass der Glaube sich verbergen musste. Doch ward er nicht ausgelöscht. Ja die Freunde desselben erlebten nicht bloß die Not, sondern auch die läuternde Kraft der schweren Befeindung. Und als die Stunde kam, die Gott sich vorbehalten, da gewann das Evangelium von neuem den vollen freudigen Lauf.

Damals war es die scheinheilige Welt, von welcher Hass und Verfolgung ausging, nämlich die fanatische Priesterschaft. Heute bäumt sich wider das Evangelium die offenkundig unheilige Welt, die ungläubige Menge. Es kann wohl auch hier geschehen, dass sie die Oberhand gewinne, hier und da den äußeren Sieg behaupte, dem lauteren Evangelium kaum noch Duldung gewähre, die Predigt desselben unterdrücke oder doch verfälsche. Da muss sich, wer dem veralteten Wort anhängt, verachten und schmähen lassen. Aber alle die hohen Fortschritte von Wissenschaft und Kunst, alle die Eisenbahnen und Telegraphen und Photographien unserer Tage können doch die Wahrheit des Worts nicht ändern: was hilft es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? und wer sehen will, der kann wohl merken, dass alle diese glänzenden Erfindungen ihm nicht können das Eine, was über alles Not tut, verschaffen: den Frieden seiner Seele, den Frieden mit Gott. Wer danach ernstlich hungert und dürstet, der wird unter aller Verwirrung der Zeit und nach allen persönlichen Irrfahrten zuletzt zu der Quelle zurückkehren, aus welcher Wiclif schöpfte: zum Wort Gottes. Das ist aber auch das Große, worauf es ankommt. Sonst würde das Lutherdenkmal, von dem wir ausgingen, und alle ähnlichen Denkmale wider uns zeugen, dass wir gleich denen seien, welche der Propheten Gräber bauten und in Hochmut und Selbstgefallen sich als Söhne der Prophetenmörder kund gaben. Nicht also. Sondern gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, und folgt ihrem Glauben nach.

Johann von Wiclif, der englische Reformator vor der Reformation
von J. R.
Basel,
im Verlag christlicher Schriften.
1874.
(Für den Buchdeckel bei C. Detloff).

1)
Alumnat oder Alumneum (von lateinisch alumnus‚ Schüler, Zögling) ist eine historische Bezeichnung für Schulen mit Unterbringungsmöglichkeiten, vor allem an Gymnasien und höheren Schulen. In der Gegenwart wird meist der Begriff Internat verwendet.
2)
zustande bringen, anfertigen, herstellen, ausführen, vollenden
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