Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 21. Gottes Räthsel.

Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 21. Gottes Räthsel.

Wo sind wir? Bei dem Grabe eines lieben Kindes. - Also Thränen und blutende Herzen! Gott heilige eure Thränen, ihr alle meine Theuren, die ihr da weinet; Er segne euern Schmerz, der da heißt Wunderbar, Wunderbar im Geben, Wunderbar im Nehmen, in Allem aber wahr, und treu, und groß. Die mit Thränen säen, so spricht Sein Wort, werden mit Freuden ernten an jenem Tage. Ps. 125.

An jenem Tage! Wo hat uns das Mitleid über die gute Chasida hingeführt? Nun ja, an jenem Tage werden wir sehen, wie Gott das liebe Mädchen hienieden geführet, und warum also, und nicht anders. Und wenn sie kindlich Ihm gefolget, und wir selber treu blieben sind, so werden wir sie einst Alle hören und sehen vor dem Throne danken, dafür, daß der Gott ihrer Väter sie solche Wege, und nicht andere gehen hieß.

An jenem Tage werden sich die vielen oft so dunkeln Geheimnisse des Lebens enthüllen, die großen Räthsel dieser Welt werden sich lösen, die Ursache so vieler Thränen und Schmerzen, ihre Quellen, ihre Saaten, ihre Garben werden uns offenbar sein. Und Wer glaubest du wohl, wird da kleinlaut und zu Schanden werden? Gott, oder die Menschen?

Ach, mein Freund, es gibt noch viele andere Räthsel auf Erden, als Chasida's Räthsel, dunkler, undurchdringlicher, peinlicher. Sie hatte es noch gut in Naeman's Hause; sie lebet, sie wächst, sie blühet, äußerlich und innerlich auch, unter seinem Friedens-Dach. Die Syrer hatten noch unter andere Schaaren Israels Mord und Feuer gebracht; jene Kinder Bethlehems wurden allein in Juda vom Mordbeil Herodis gewählet; und die vielen Hundert-Tausende jeden Alters und Geschlechts, die bei Jerusalems Untergang im Feuer und Brand der schuldigen Stadt, in der Wuth des Römers ihr blutiges Ende gefunden, waren wohl nicht Alle gleich schuldig und bös; auch in den zahllosen Kriegen, welche, von jenen Zeiten her und früher bis auf unsere Tage, unsere Lande verwüstet, Eroberungs-Kriege, Eifersuchts-Kriege, Religions-Kriege, Bürger-Kriege, sind die Gerechten meistens mit den Ungerechten zugleich umgekommen. Frage jene Ströme von Thränen und Blut, welche in allen Jahrhunderten mit Blitz, Donner und Stürmen, mit Leichen und Trümmern, höllentrüb über unsere teutschen Lande sich einwälzten, - eine Woge wird dir's um die andere erzählen; der Jünglinge und der Jungfrauen, der Witwen und der Waisen, der Mütter mit den Säuglingen an der Brust, ward wenig geschonet, ja, diese Wehrlosen sind oft die Wuth-Scheibe der Sieger in ihrem Rausch gewesen, und das geschiehet auch überall und zu allen Zeiten unter Gottes Himmeln, Alles unter den Augen dieses Gottes, Der Sich vorzugsweise einen Vater der Waisen und Richter der Witwen nennen läßt. Meinest du nun, dies zeuge gegen unsere Erde selbst, oder gegen unseren Gott? - Und doch möchten Viele, die es Alles sehen, und es wohl nicht Alles verstehen, diese zitternde Erde zu einem Tanzboden schmücken!

Ich weiß aus Seinem Worte, ich weiß es aus dem Munde so Vieler Seiner Freunde und Vertrauten, ich weiß es aus dem, was ich so oft in meinem Leben mit Ohren gehöret und mit Augen gesehen, und weiß doch nur ein Stäubchen davon, denn die Proben Seiner Treue sind wie der Sand am Meer, den Niemand zählen kann, und wie die Sterne am Himmel, die kein Auge alle sah: Der HErr ist Allen gütig, und Er erbarmet Sich über alle Seine Werke. Die Augen des HErrn merken auf die Gerechten, und Seine Ohren auf ihr Geschrei; wenn sie schreien, so höret Er, und Er errettet sie aus aller ihrer Noth. Auch die Haare auf euerm Haupte sind alle gezählet, hat Jesus zu Seinen Jüngern aller Zeiten gesprochen; Ein Haar von euerm Haupte soll nicht - ohne Gottes Willen - umkommen.

Ich weiß aber auch, wie oft die Freunde Gottes es schwer haben in dieser Welt, und müssen mit sauerm Schweiß verdienen, und mit Thränen essen ihr tägliches Brod; ich weiß, wie oft die Gerechten mit den Ungerechten umkommen; wie die Gottlosen oft keine Pein, keinen Pfahl im Fleisch bis an ihren Tod haben, und ihre Kraft ist gesund und wohl genähret; Viele sind nicht im Unglück, wie andere Leute, und werden nicht mit anderen Menschen geplaget; ich weiß aber, Wer zu mitspricht: Erzürne dich nicht über die Bösen, und eifere nicht über die Uebelthäter; denn wie das Gras werden sie bald verdorren, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken; die Bösen werden ausgerottet, aber die Gerechten werden das Land erben, und bleiben darin ewiglich. Ps. 37. 73.

Welch ein Land? Wir haben's früher gesehen, es ist jene Heimath jenseits, da Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen; da der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz; dort werden sie leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Offenb. 21, 4. Matth. 13,43. Werden sie dort irgend einen ihrer Seufzer unter den schweren Lasten bereuen, eine Thräne von ihren Augen, einen Tropfen Blut aus ihrem Herzen geflossen? Ich meine: Nein! Gott hat alle ihre Seufzer, ihre Thränen gezählet, und sind deren Keine für Seine Ewigkeit verloren worden; Er weiß diese Leiden, und Sein Gottes-Herz fühlt's, wenn Seine Kinder bluten, und wenn sie verbluten. Er hat Seine Augen über sie, Er hat Seine Engel um sie her. Der Gerechte kommt um, und Niemand ist, der es zu Herzen nehme; und heilige Leute werden weggerafft, und Niemand achtet darauf (Es. 57, 1.); aber jene Myriaden Seiner dienstbaren Geister sehen's aus der unsichtbaren Welt, und die Himmel Gottes achten darauf; der Tod Seiner Heiligen ist kostbar in den Augen des HErrn.

Schaut das Ende treuer Zeugen,
Wenn ihr Haupt Sieg-umlaubt
Darf zum Tod sich neigen.
Schauet wie sie fröhlich scheiden
Himmelan! Solche Bahn
Lehrt im Glauben leiden.

In des Oceanes Buchten,
An dem Strand, In dem Sand,
In der Berge Schluchten,
Ferne, wo die Löwen brüllen,
Fern im Schnee Nord'scher Höh'
Schlummern ihre Hüllen.

Aber sieh' das Auge schimmern,
Sieh' im Blick, Himmels-Glück,
Glaubens-Wonne flimmern.
Also stirbt, Wer selig endet.
Wem vom Thron Gottes Sohn
Engel zugesendet.

Hin, wo sich die Engel freuen.
Gehen sie, Werden nie
Ihren Gang bereuen.
Dort umfängst Du Deine Kinder,
Nach dem Streit Dieser Zeit,
Todes-Ueberwinder!

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