Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 13. Mancherlei Aussatz in der Welt.

Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 13. Mancherlei Aussatz in der Welt.

Es gibt mancherlei Aussatz in der Welt; auch die Natur und Creatur um uns her seufzet an diesem gemeinen Schaden dieser Erd'. Wenn ich schöne Bäume sehe, auf dem Feld, in unseren Gärten, in dem Wald, wie sie ein fremdes Uebel, wie sie Schwamm und Geschwür überzieht, - wenn ich im Frühling die zarten Blüthen wahrnehme, wie weiß und eckelhaft sie die Raupen-Nester umranken, und das lose Ungeziefer all ihrer Schönheit und Güte sie beraubet, wie, in's Herz zum Tode gestochen, die Blüthe zugleich mit der Frucht abfällt, oder das Obst, das golden wär, wurmstichig wird im Sommer, und voll Unraths, - das machet mir Viel zu denken.

Hast wohl oft nach der schönen Pflaume im Herbste gegriffen, die so gesund und schön an Duft und Farben, wie Erz, wie Gold, das im Purpur verschmilzt, so freundlich uns lacht: Pflücke mich! - Du pflückest Eine, und siehe da, es ist Alles darin Wurmfraß, eckelhaft und unrein. - In Eden ist wohl unseren ersten Eltern so Was nie begegnet; als sie aber vom Baume der Erkenntniß gekostet hatten, dort, mitten im Garten, da wurde es bald anders, und sie schauderten zurück und erschracken, was sie da für einen Fund gemacht, und wie die Frucht so bitter schmeckte und wurmte.

Die Frucht war die Sünde. Ach, wenn das Herz des Menschen sich von einer unreinen Lust beschleichen läßt, von einem ungöttlichen, losen Gedanken antasten, wenn der Stolz, der Geiz, oder Neid, oder Bitterkeit, oder Haß, oder Zorn in sein Inneres dringet, wenn die Lust nach dem Verbotenen, unkeusche Lieb' und Brunst in seiner Brust auflodert, - das ist auch ein Uebel, das naget an seinen edelsten Keimen, das frißt und zerfrißt, das mache t den ganzen Menschen eitel, unruhig und unrein, und schändet die schönsten Blüthen seines innersten Lebens, daß es keine Frucht bringet, oder eitel faule, ja, giftige Früchte, denn es theilet sich aus einem Herzen in das andere Herz mit; die Sünde ist ansteckend; ihr Hauch, Eis oder Glut, verwundet was sie berührt, und tödtet was von ihr ergriffen wird; wahrlich ein schlimmer, der allerschlimmste Aussatz, mit größerer Schaam oder Schande verbunden, und wie jener, durch keine Menschen-Kraft- noch Kunst auf den Grund zu heilen, auch eckelhaft anzusehen, wie die Sünde mit den zweideutigen Mienen ihr Lügen-Wesen verräth, oft mit hohlen, garstigen Zügen sich manchem Angesicht der Sünder einprägt, und an ihrer ganzen Gestalt höllisch sich abspiegelt: Sehet da, Menschenkinder, die Sünde, ihre Laster und ihre Wunden!

Bei manchen Menschen tritt die Sünde ihres Lebens nicht so derb und eckelhaft hervor; ihr Angesicht ist eine Schminke, ihre Gestalt ist lieblich, oft stattlich und schön; ja, äußerlich rein, innerlich unrein; um so gefährlicher, je glätter und feiner, wie Jesus jene Heuchler schalt: Verdeckte, übertünchte Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, inwendig aber voller Todtenbeine und allen Unflats. Matth. 23,27. Luc. 11,39. So siebet Gott manche Herzen an, deren sich manche Herzen freuen; denn ein Mensch siehet nach Dem, was vor Augen ist, der HErr aber siehet das Herz an, weil in das Herz hinein. l. Sam. 16,7. Wem aber Gott einen göttlichen Blick in sein eigenes Herz gegeben, der fühlet auch und stehet, wie dieser Aussatz dringet und brennet durch Fleisch und Mark und Bein; der kann nicht mehr mit der Lust scherzen, noch mit der Sünde spielen; und je der Bessere fühlt's feiner, der Reinere scheuet und schämet sich inniger und mächtiger vor dieser Ansteckung, mehr denn vor Todes-Geruch und Todes-Verwesung. Einer, der doch nicht der Schlimmsten Einer war, hat also gebeichtet und geseufzt:

Nichts von Weisheit, nichts von Güte
Wohnet in mir von Natur;
Wo ist jetzt in dem Gemüthe
Jener ersten Schönheit Spur?
Ach, dein Bild ist ganz verblichen.
Reine Kräfte sind entwichen,
Meine Gestalt fällt dahin,
Wie die Blumen, die verblüh'n.

Fluch und Elend, Zorn und Sünde
Ist nunmehr mein Element,
Wo ich meine Nahrung finde,
Wo mein Fuß im Staube rennt.
Tausend Wunden, tausend Flecken
Schänden mich an allen Ecken;
Und in der verderbten Brust
Grünt die Wurzel böser Lust.

Was ich Gutes an mir habe,
Ist ein Denkmal Deiner Hand,
Ist von Dir, Gott, Deine Gabe,
Die Du mir hast zugewandt;
Deine freit, milde Gnade
Schmücket mich, die arme Made
Nähmest Du zurück, was Dein,
Ach, was würde übrig sein?

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