Müller, Heinrich - Von der Rarität der Frommen.

Müller, Heinrich - Von der Rarität der Frommen.

Wunder über Wunder.

Daß noch ein frommer Mensch auf Erden ist. Unter Menschen einen Menschen finden ist seltsam. Wie viel ziehen den Menschen aus? Diesen wandelt der Neid in eine giftige Schlange, jenen die Hadersucht in einen bellenden, beißenden Hund, den dritten der Grimm in einen grausamen Löwen, den vierten Völlerei und Unflätherei in eine garstige Sau, und so fortan. Wie wenig Menschen findet man unter Menschen! Kein Geschöpf verläugnet seine Art, allein der Mensch thuts. Findest du einen Menschen, verwundre dich. Unter Menschen einen Christen finden ist noch seltsamer. Fürwahr es ist schwer, Pech angreifen, und doch die Hände nicht besudeln; unter verkehrten Leuten leben und doch nicht verkehrt werden. Sagt nicht Paul.: Böse Geschwätze verderben gute Sitten? 1. Cor. 15, 33. Siehst du nicht, daß das Wasser den Geschmack und die Farbe des Erdreichs annimmt, dadurch es quillt? Daß nach Balsam riecht, der mit Balsam umgeht? Daß derer Gemüth verwildert, die Wild immerfort nachsetzen? Ach wie schwer ist, auf glühenden Kohlen gehen, und doch vom Feuer nicht verzehrt werden; unter Klippen fahren, und keinen Schiffbruch leiden; auf Netzen wandeln, und den Fuß nicht verwickeln; im Hurenhaus die Keuschheit, in der Mördergrube die Gerechtigkeit erhalten; ein keuscher Joseph in Egypten, ein gerechter Lot in Sodom bleiben. Wie viel Fromme hat die verkehrte Welt verkehrt, wie wenig Gottlose hat ein bekehrter Christ bekehrt! Doch es ist keine Kunst fromm sein, wenn man keine Reizungen zum Bösen hat, und Tugend üben, wenn Tugend ihr Lob und Lohn findet. Mitten unter den Dornen vieler sündlichen Anstechung wie ein Röslein unversehrt aufwachsen und Tugend üben, wenn sie von allen gehaßt und verfolgt wird, das ist preiswürdig. Ich will mit Menschen umgehen als ein Christ, ihnen gern meinen Christen mittheilen, auch ihren Menschen ertragen, so lange er mit gutem Gewissen zu ertragen ist, doch ihn nicht an mich nehmen. Mein Freund soll so mein sein, daß seine Laster seine eigene bleiben.

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