Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Achte Betrachtung.

Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Achte Betrachtung.

Christen dürfen nicht die Person ansehen.

Über Jak. 2, 1-9.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Jak. 2, 1-9:
„Liebe Brüder! Haltet nicht dafür, dass der Glaube an Jesum Christum, unseren Herrn der Herrlichkeit, Ansehung der Person leide. Denn so in eure Versammlung käme ein Mann mit einem goldenen Ringe und mit einem herrlichen Kleide, es käme aber auch ein Armer in einem unsauberen Kleide, und ihr säht auf den, der das herrliche Kleid trägt, und sprächet zu ihm: „Setze du dich her aufs Beste“, und sprächet zu dem Armen: „Stehe du dort, oder setze dich her zu meinen Füßen!“ ist's recht, dass ihr solchen Unterschied bei euch selbst macht, und richtet nach argen Gedanken? Höret zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind und Erben des Reichs, welches er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? Ihr aber habt dem Armen Unehre getan. Sind nicht die Reichen die, die Gewalt an euch üben, und ziehen euch vor Gericht? Verlästern sie nicht den guten Namen, davon ihr genannt seid? So ihr das königliche Gesetz vollendet nach der Schrift: Liebe deinen Nächsten als dich selbst! so tut ihr wohl. So ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde, und werdet gestraft vom Gesetz als die Übertreter.“

Meine Lieben! Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt behalten.„ Das waren die Worte, mit welchen Jakobus das erste Kapitel seines Briefes beschloss. Aber das taugt nicht, fährt er fort, und das ist kein reiner und unbefleckter Gottesdienst, wenn Christen, statt sich der Waisen und Witwen, der Armen und Elenden in ihrer Trübsal anzunehmen, die Person ansehen, und in ihrem Verhalten gegen den Nächsten nicht fragen, was Einer vor Gott gelte, und welcher Liebe und Hilfe er bedürftig sei, sondern, was Menschen von ihm halten, und ob es Ehre und Nutzen bringen könne, auf ihn Rücksicht zu nehmen, und seiner sich anzunehmen. Wie mögt ihr euch Christen nennen, meint er, wenn ihr also die Person anseht? Da seht denn den Gegenstand unserer heutigen Betrachtung!

Christen dürfen nicht die Person ansehen; denn die Person ansehen verträgt sich weder

  1. mit unserem Glauben an den Herrn Jesum Christum, noch
  2. mit dem königlichen Gesetz der Liebe.

1.

„Reiche und Arme“, sagt Salomo in seinen Sprichwörtern, „müssen unter einander sein; der Herr hat sie Alle gemacht.“ (Spr. 22,2.) Und nicht nur Reiche und Arme, auch Hohe und Niedere, Gelehrte und Ungelehrte müssen unter einander sein; die Unterschiede der Geburt, des Besitzes, des Ranges und Standes kommen von Gott. Wie ungleich sind Anlagen, Gaben und Kräfte unter den Menschen verteilt! Wie verschieden sind die Verhältnisse, unter welchen Menschen geboren werden und heranwachsen! Wie verschieden ist die Gelegenheit, welche ihnen zur Ausbildung und zur Anwendung ihrer Gaben und Kräfte geboten wird, und wie ungleich ist der Erfolg ihrer Arbeit!

Reiche und Arme, Hohe und Niedere, Gelehrte und Ungelehrte müssen unter einander sein; die Unterschiede des Ranges, der Bildung, des Besitzes sind unvermeidlich, und machen sich immer wieder geltend im Leben; wir können und sollen bemüht aber sein, die Gegensätze in Liebe zu mildern und auszugleichen, beseitigen können wir sie nicht. Im Gegenteil: Je einfacher, roher, unentwickelter das Leben ist, um so mehr treten diese Unterschiede noch zurück, je mannigfaltiger, vielseitiger und reicher dagegen das Leben sich entwickelt, um so greller machen sie sich geltend; neben dem Reichtum der Millionäre bettelhafte Armut, neben der feinsten Bildung und dem verfeinertsten Genusse Unwissenheit, Aberglaube, tierische Rohheit und Verwilderung; und keine Staatskunst, keine Arbeit der Weltverbesserer, keine Aufklärung, kein Verlangen nach allgemeiner Freiheit und Gleichheit, nach gleicher Bildung für Alle, vermag es, diese Gegensätze zu beseitigen. Und nur eine wahre Ausgleichung derselben gibt es in dieser Welt der Sünde und der Unvollkommenheit, nämlich im Glauben an den Herrn Jesum Christum, den Heiland der Sünder, den Herrn der Herrlichkeit!

Der Glaube an ihn lehrt uns ein Heil, dessen Alle, wie verschieden auch sonst, Reiche und Arme, Hohe und Niedere, Gelehrte und Ungelehrte, in gleicher Weise bedürfen, und welches auch für sie Alle bereit ist. Hier ist der Schatz, welchen Rost und Motten nicht fressen, und nach welchem die Diebe nicht graben, zu welchem der Zugang Allen erschlossen ist, und ohne den alle irdischen Schätze uns nichts nützen. Hier ist die rechte Quelle aller menschlichen Bildung, der Herzensbildung, für welche Alle empfänglich sind, und ohne welche alle Bildung des Geistes keinen Wert hat. Und nun wir allzumal, ob reich oder arm, ob hoch oder niedrig, ob weise oder unweise vor der Welt, vor Gott eitel arme, heilsbedürftige Sünder, und nichts vor ihm, als was wir durch seine Gnade in Christo geworden sind, und wofür er, der Herr, uns einst erkennen wird am Tage unserer großen Versammlung vor ihm, wenn er kommt in seiner Herrlichkeit. Was sind auch die größten und grellsten Gegensätze des Ranges, des Besitzes, der Geburt, der Bildung, welche Menschen hier von einander scheiden und unterscheiden, dann vor ihm; was alle Prunk- und Prachtgewänder, und Paläste und Königskronen der Reichen und Großen und Gewaltigen dieser Erde, wenn es auf den Rock des Heils ankommt, das hochzeitliche Kleid, mit welchem er aus Gnaden uns bekleidet, wenn es sich um die Krone des Lebens handelt, welche Gott denen verheißen hat, die ihn lieb haben!

Was aber ist jede Versammlung hier im Hause des Herrn, zu welcher sich Christen vereinigen, als ein Vorbild jener unserer großen Versammlung vor ihm am Tage seiner Herrlichkeit, da er die Seinen, Gottes Kinder und Hausgenossen, mit sich führen wird in das Erbe des Reichs, das ihnen bereitet ist? Wie unnatürlich darum und wie unchristlich, wenn das Ansehen der Person, die Rücksicht auf Reichtum, Stand und Rang, sich bis in diese unsere Versammlungen im Hause Gottes hineindrängt! Das aber ist es gerade, was Jakobus seinen Lesern vorhält. Was macht ihr, schreibt er, wenn ein reicher Mann mit einem goldenen Ringe und herrlichen Kleid in eure Versammlungen kommt, dass ihr davon ein Aufheben macht, als ob dem Herrn und seinem Hause damit eine große Ehre widerführe, und eilt, ihm einen Ehrenplatz anzuweisen: „Setze du dich her aufs Beste!“ während ihr zu dem Armen, der in einem unsauberen, geringen Kleide kommt, geringschätzig, als ob der Herr sich seiner schämen müsste, und als ob an seinem Kommen nichts gelegen wäre, sprecht: „Stehe du dort, oder setze dich her zu meinen Füßen!“ Ihr setzt euch damit an Gottes Statt zu Gericht, und macht einen bösen Unterschied in euren argen Gedanken.

Soll in euren Versammlungen, meint Jakobus, ein Unterschied gemacht werden, und Einer mehr gelten, so sei es derjenige, welcher, ob auch arm an irdischen Gütern und vor der Welt gering, „reich ist am Glauben“ und zum „Erben des Reichs“ durch die Gnade Gottes erwählt. Auch von diesen Christen, an welche der Brief des Jakobus gerichtet ist, gilt, woran Paulus die Christen zu Korinth erinnert: „Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen“. (1 Kor. 1,26.) Während unter den Armen und Geringen sich nicht selten Empfänglichkeit für die Wahrheit zeigte, widerstanden die Reichen derselben, ja erwiesen sich als Bedrücker ihrer gläubigen Volksgenossen. Ist es denn recht, sagt daher Jakobus, dass ihr solchen Unterschied macht? Ihr ehrt die Reichen, die den Namen Christi, nach welchem ihr genannt seid, lästern, und die Gemeinde bedrücken, und verunehrt die Armen, welche Gott „erwählt hat, reich im Glauben zu sein, und Erben des Reiches, welches er verheißen hat denen, die ihn lieb haben!“

Nun, meine Lieben! wollte doch Gott, dass dies Wort des Jakobus von allen Armen unter uns könnte gesagt werden, dass sie durch Gottes Gnade im Glauben reich und Erben seines Reiches seien! Und gottlob! sie fehlen ja auch nicht unter uns, die Armen, welche die Not beten, und die Anfechtung aufs Wort merken lehrte, denen in der Schule der Trübsal das Herz für das Wort der Wahrheit aufging, und die bei aller Armut durch einen einfältigen Wandel in lauterer Frömmigkeit und christlicher Geduld ihre reicheren und besser gestellten Brüder beschämen. Aber bei wie Vielen ist es doch nicht also! Wie groß ist unter unseren Armen die Zahl derer, die in ihrer Trübsal sich gegen den Trost des Wortes Gottes verschließen, die, der Kirche und dem Glauben an den Herrn Jesum Christum entfremdet, ihr „unsauberes Kleid“ als Vorwand gebrauchen, weshalb sie von unseren gottesdienstlichen Versammlungen fern bleiben! Und wollte Gott, es gäbe unter uns keine Reichen, die von dem Worte des Jakobus getroffen werden! Denn wiederum: Gottlob! sie fehlen ja auch nicht unter uns, die Reichen, welche wissen, von wem sie ihre Güter zu Lehen tragen, und dass ein Mensch, wie reich auch an irdischen Gütern, doch bettelarm ist, wenn er nicht reich ist in Gott! Aber wie groß ist auch die Zahl derer, die nichts wissen, und nichts wissen wollen von solchem Reichtum in Gott! Wie groß ist gerade in dem Geschlechte unserer Tage und wie verbreitet der Mammonsdienst, die Vergötterung der eigenen Weisheit, das krankhafte, krampfhafte Festhalten an den Vorrechten der Geburt und der ererbten Lebensstellung! Aber eben darum, was macht ihr, wenn ihr den Reichen, Hochgestellten, durch Bildung und Kenntnisse Hervorragenden, um dieser Vorzüge willen einen Platz in der Gemeinde einräumt, auf welchen sie nach dem geringen Maße ihrer christlichen Erkenntnis und ihres Glaubens keinen Anspruch haben, wenn ihr bei der Wahl der Ältesten und Vertreter der Gemeinde den ungläubigen Reichen und Vornehmen dem gläubigen, aber armen Bruder vorzieht, oder wenn ihr den Geist und den Scharfsinn eines hochbegabten und hochgelehrten Mannes in den Himmel erhebt, ohne danach zu fragen, in wessen Dienst er seinen Geist und seine Kenntnisse gestellt hat, und zu wessen Ehre er seine Gaben gebraucht? Das ist kein böser Unterschied, welchen ihr macht, wenn ihr im bürgerlichen Leben und Verkehr einen Jeden nach seinem Range und Vermögen ehrt; es ist vielmehr recht und billig, wenn da der Arme und Geringe neidlos und bescheiden hinter dem Reicheren und Höhergestellten zurücktritt. Aber in der Gemeinde des Herrn gelte ein Jeglicher nur in dem Maße etwas, als er den Herrn kennt und ihm dient, und an ihn glaubt, und ihn mit uns als seinen Herrn und Heiland bekennt, und hier in diesen unseren Versammlungen in seinem Hause und an seinem Tische sei uns der Ärmste und Geringste neben dem Reichen und Hochgestellten als Bruder zu gleichem Rechte und zu gleicher Ehre willkommen, in herzlicher Liebe, und eingedenk jenes Tages der Herrlichkeit und unserer großen Versammlung vor ihm, dem Herrn der Herrlichkeit, an welchem die Ersten die Letzten, und die Letzten die Ersten sein werden!

2.

Oder wolltet ihr sagen: „Ist es nicht eben die Pflicht der Liebe, welche solche Rücksicht auf den reicheren und höher gestellten, wenn schon noch nicht für den Glauben an den Herrn Jesum gewonnenen Bruder von uns fordert?“ Es ist, als ob Jakobus solchem Einwande begegnen wollte, wenn er schreibt: „So ihr das königliche Gesetz vollendet nach der Schrift: 'Liebe deinen Nächsten als dich selbst!' so tut ihr wohl“. Wie sollte es nicht wohlgetan sein, wenn ihr euch ernstlich bemüht, das Gebot der Nächstenliebe zu erfüllen? Ist es doch das königliche Gebot, nicht nur des alten Bundes als das vornehmste und größte Gebot, in welchem die anderen alle als in der Summe zusammengefasst sind, nein, erst recht auch das königliche Gesetz des neuen Bundes für die Reichsgenossen des Herrn Jesu, unseres himmlischen Königs, welcher den Seinen seine königliche Reichsordnung gelassen hat: „Ein neu Gebot gebe ich euch, dass ihr euch unter einander liebt, wie ich euch geliebt habe“, (Joh. 13,34.) und der am Tage seiner Herrlichkeit und unserer großen Versammlung vor ihm uns nach dem königlichen Gesetze seines Reiches richten wird: „Was ihr getan habt Einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ (Matth. 25,40.)

Aber eben darum, wie kann das die Erfüllung dieses königlichen Gesetzes sein, wenn ihr es als ein Großes achtet, dass ein Vornehmer und Reicher sich herbeilässt, eure Versammlungen zu besuchen, und habt des Bettlers nicht Acht, der in seinem geringen Kleide kaum wagt, über die Schwelle des Gotteshauses zu treten? Das ist nicht Erfüllung, sondern Übertretung des Gesetzes und Sünde; ihr tut Sünde, indem ihr also die Person anseht; ihr tut dem Armen wehe, indem ihr ihn zurücksetzt, und erweist dem Reichen keine Wohltat, wenn ihr seiner Hoffart und Eigenliebe schmeichelt. Die wahre Liebe fragt nicht nach Rang und Stand des Bruders, sondern ob er der Hilfe bedürfe; und der ist ihr als Gast im Hause des Herrn willkommen, der arm im Geiste, Leid tragend um seine Sünde, hungernd und dürstend nach der Gerechtigkeit, zu Gott naht, und nach dem Heile seiner Seele fragt: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“ (Apgesch. 16,30.) Das ist die Ansehung der Person, welche, wie mit dem Glauben an den Herrn Jesum Christum, so mit dem königlichen Gesetz der Liebe stimmt: Jede Person des Nächsten darauf anzusehen, ob sie unserer Liebe und Pflege bedürftig sei, und wie ihr zum Leben möchte geholfen werden. Von der Liebe getrieben lasst uns hinausgehen, und sie einladen, die Mühseligen und Beladenen Alle, und rufen:

„Kommet Alle, kommet her,
Kommet, ihr betrübten Sünder;
Jesus rufet euch, und er
Macht aus Sündern Gottes Kinder“,

Gottes Kinder und Erben Gottes, Miterben Christi und seiner Herrlichkeit, eins mit uns im Glauben an ihn und in seiner Liebe, und in der seligen Hoffnung auf den Tag seiner Herrlichkeit und unserer großen Versammlung vor seinem Angesicht!

Das walte, o Herr Jesu, Du Herr der Herrlichkeit, unser Heiland! Also vereinige uns in der Gemeinschaft eines Glaubens an Dich, und lehre uns, ohne Ansehung der Person uns unter einander zu lieben in der Liebe, die des Gesetzes Erfüllung ist, und in welcher Du uns erst geliebt hast! Amen.

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autoren/l/luger/luger_der_brief_des_jakobus_8._betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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