Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Zweite Betrachtung.

Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Zweite Betrachtung.

Des Jakobus Aufforderung zum Gebet.

Über Jak. 1,5-8.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Jak. 1, 5-8
“So aber Jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich Jedermann, und rückt es Niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben, und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde. Ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen.“

„Auf dass ihr seid vollkommen und ganz, und keinen Mangel habt!“ Das, meine Lieben! waren die Worte des Jakobus am Schlusse unserer vorigen Betrachtung. Dahin soll es mit uns kommen; das ist das Ziel, zu welchem wir gelangen sollen, wenn wir in mancherlei Anfechtungen fallen. Aber auf dem Weg zu solchem Ziele werden wir es immer wieder inne, wie viel uns noch mangelt, und wie groß die Gefahr für uns ist, zu straucheln und zu fallen und das Ziel zu verfehlen. „So aber Jemand unter euch Weisheit mangelt“ fährt darum Jakobus fort, „der bitte von Gott!“ Er kennt das Wort des Herrn Jesu: „Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei!“ (Joh. 16,24) und weiß, was für ein heiliges Christenrecht es ist, tun zu dürfen nach diesem Worte. Darum schließt er an seinen Freudengruß und an die Ermahnung, mit welcher er vor seine lieben Brüder hintrat, es eitel Freude zu achten, wenn sie in allerlei Anfechtungen fielen, alsbald diese Aufforderung zum Gebet; wie er denn auch hernach im Verlauf seines nicht umfangreichen Briefes seine Leser wiederholt auffordert, zu beten und Ernst zu machen mit dem Gebet. So betrachten wir denn heute:

Des Jakobus Aufforderung zum Gebet;

  • und zwar zuerst: An wen ist sie gerichtet?
  • sodann: Welche Frucht des Gebets verheißt sie?
  • und endlich: Welche Beschaffenheit des Gebets verlangt sie?

Gott der Gnade segne uns diese Betrachtung, und öffne unsere Herzen seinem Worte, auf dass wir recht beten lernen, und nehmen, und unsere Freude vollkommen sei! Amen.

1.

Not lehrt beten, sagen wir im Sprichwort, und so ist es auch. Wie Mancher, der es in den guten Tagen seines Lebens versäumte, zu beten, hat es in den Tagen der Not, und wenn Mangel an seine Türe klopfte, gelernt. Es ist nun freilich eine besondere Art des Mangels, von welcher Jakobus in unseren Textesworten redet. „So aber Jemand unter euch Weisheit mangelt“, schreibt er an seine Leser. „Weisheit!“ was meint er mit diesem Worte? Doch nicht die Klugheit nur, die Lebensklugheit, die sich in alle Verhältnisse des Lebens zu schicken, auch in den schwierigsten Lagen, unter allen Wirren und Verwicklungen zu raten und zu helfen weißt; nein, er meint mehr als das, er meint die Gabe, in allen Lagen und Verhältnissen des Lebens Gottes Rat und Willen zu erkennen, auf sein Wort zu achten, sich von ihm sagen und gesagt sein zu lassen, was er uns zu sagen hat, die Wege zu gehen, die er uns weist, seiner Gaben recht zu gebrauchen, Alles zu prüfen und das Beste zu behalten, damit also an uns und durch uns sein Name geheiligt werde, und sein guter, gnädiger Wille geschehe! Das ist „die Weisheit von Oben her“, wie sie Jakobus am Schlusse seines dritten Kapitels bezeichnet, deren der Mensch in jedem Stand und Beruf, in allen Lagen und Verhältnissen des Lebens bedürftig ist; der Diener am Wort, dass er das Wort recht teile, und Jedem mitteile, nachdem ihm not ist; der Lehrer und Erzieher der Jugend, dass er es verstehe, sie zu erziehen in Zucht und Vermahnung zum Herrn, und sie weder durch übermäßige Strenge einschüchtere und verbittere, noch durch weichliche Nachgiebigkeit verzärtele; der Jüngling, dass er seinen Weg unsträflich gehe, und nicht seiner Kraft im Vollgefühl derselben missbrauche, noch sein Ohr der lockenden Stimme des Verführers öffne, sondern wohl zusehe, wem er sein Herz vertraue und in Freundschaft hingebe; der Greis, dass er mit Ehren seine grauen Haare trage, und das Sprichwort, dass Alter nicht vor Torheit schütze, an ihm wenigstens nicht wahr werde; der Reiche, Glückliche, durch Gaben des Geistes und der Bildung Bevorzugte, dass sie sich ihres Vorzugs nicht überheben, sondern der Gaben Gottes um so treuer und gewissenhafter gebrauchen, und es nicht vergessen, dass von denen, welchen viel gegeben ist, auch viel gefordert werde! Wie sollte denn nicht der Unglückliche, Leidende, durch Trübsal Angefochtene solcher Weisheit von Oben bedürfen, dass er nicht murre wider die Hand, die ihn schlägt, dass er mit offenem Ohre höre, was Gott ihm zu sagen hat, und es sich mit willigem Herzen gesagt sein lasse! O, leicht ist das doch nicht, und wer, der sich selbst recht kennt, hat es nicht schon erfahren, dass er mit seiner Weisheit gerade da zu kurz kam, wo er derselben am meisten bedurfte! Darum es eben die durch Trübsal Angefochtenen und in der Anfechtung nach Geduld, Standhaftigkeit und jeder christlichen Tugend und Vollkommenheit Ringenden sind, welche Jakobus vor Augen hat bei seinen Worten: „So aber Jemand unter euch Weisheit mangelt“. Er meint auch nicht, es möchte vielleicht einmal der Eine oder der Andere seiner Leser in die Lage kommen, solchen Mangel zu spüren, sondern er seht voraus, dass sie Alle je und je, allermeist aber in den Zeiten der Anfechtung, von solchem bedenklichen Mangel betroffen werden. So oft, will er sagen, einem Jeden von euch Weisheit mangelt!

Kommen doch gerade die am ehesten mit ihrer Weisheit zu kurz, die diesen Mangel nicht spüren, sondern sprechen: „Ich bin reich und habe gar satt, und bedarf nichts, und wissen nicht, dass sie sind elend, jämmerlich, arm, blind und bloß!“ (Offb. 3,17.) Armer Mensch, der sich in der Anfechtung genügen lässt an der törichten Weisheit der Welt, welche in trägem Gram über das Elend seufzt, oder das Unvermeidliche in stumpfer Ergebung trägt, oder, was ihm das Herz abdrücken will, in vielgeschäftiger Arbeit oder in eitlen Zerstreuungen zu vergessen sucht! Wie oft, wie oft, dass der Mensch sich so um die Frucht selbst betrügt, welche im Leiden an seinem Herzen gewirkt werden sollte! Wahrlich, Gottes Schuld ist es nicht, wenn wir so wenig lernen, was wir lernen sollten, in der Schule der Anfechtung, sondern die unsrige ist es, weil wir nicht ernstlicher bitten: „Rede, Herr; denn dein Knecht hört!“ (1 Sam. 3,9.) Bewahre mich, dass ich doch nicht so viel umsonst leide! Gib selbst mir die Weisheit, deren ich bedarf, um zu merken, und mir gesagt sein zu lassen, was du mir zu sagen hast, damit in dieser Trübsal dein Wille an mir geschehe und dein Name verklärt werde! Darum warte nicht, bis erst die Not dich beten lehrt, sondern sorge, dass du es schon in den guten und glücklichen Tagen deines Lebens lernst, damit es dir, wenn die Tage der Not und der Anfechtung über dich hereinbrechen, nicht zu schwer werde, es zu lernen! Es soll dir ja auch in den Tagen der Not und der Anfechtung nicht verwehrt sein, bei Menschen, zu deren Weisheit und Liebe du Vertrauen hast, Rat und Hilfe zu suchen, und jede von Gott dir verliehene Gabe eigener Kunst und Einsicht und gewissenhaften Überlegung treu zu gebrauchen. Wie töricht ist der Mensch, der, wo es drauf und dran geht in seinem Leben, die Hände träg in den Schoß legt, als müsse Rat und Einsicht ihm auch ohne den treuen Gebrauch seiner eigenen Kraft wie durch göttliche Eingebung von selbst zufallen! Nur, dass wir es nicht vergessen: Es gibt doch nur eine rechte Quelle aller Weisheit, und doch nur Einen, der, wo menschliche Kraft und Einsicht ein Ende hat, zu raten und zu helfen vermag, und dem es, wie an Wegen allerwege, auch an williger Liebe, zu raten und zu helfen, nimmer gebricht.

2.

„So aber Jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich Jedermann, und rückt es Niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden“, schreibt Jakobus.

Einen Gebegott nennt er hier Gott, einen Gott, dessen Wesen und eigenste Art es ist, zu geben, der geben muss, weil er die Liebe ist. Ist er doch der Gott, der Leben und Odem Jedermann allenthalben gibt, von dem alle gute und vollkommene Gabe herabkommt, ja von dem die allerbeste und vollkommenste Gabe herabgekommen ist; denn „er hat die Welt also geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab“; und „welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns Alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht auch Alles schenken?“ (Joh. 3,16. Röm. 8,32.)

Er gibt denen, die ihn bitten. Es ist also das Gebet nach der Meinung dieses Knechtes Gottes und des Herrn Jesu Christi nicht ein bloßes Mittel zu andächtiger Sammlung und Erhebung des Gemüts; wir erlangen vielmehr durch das Gebet, was uns mangelt, und was wir ohne das Gebet nicht erlangt hätten. Darum ermahnt auch Jakobus, für Andere zu beten, und sagt: „des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“. (Kap. 5,16.) Was wäre das auch für ein Gott, der nicht die Macht hätte, seinen Menschenkindern zu geben nach ihrer Bitte, oder dem es an Liebe fehlte, es zu tun? Möchten nur wir immer wieder von dieser Weise unseres Gottes, unseres Gebegottes, recht lernen, zu geben!

Wir geben so oft nur, um zu nehmen, sei es Ehre und Beifall der Menschen, und weil wir das Sprichwort kennen: Eine Hand wäscht die andere, oder auch, weil wir auf Lohn bei Gott rechnen. Wir geben, und schielen dabei zur Seite, ob es die Leute auch gesehen haben, dass wir geben. Gott aber gibt einfältiglich, nur um zu geben, aus lauter Freude am Geben. Wir machen einen bösen Unterschied, und geben nach Gunst und Laune; Gott aber gibt Jedermann ohne Unterschied der Person; er gibt Jedermann, ob ihm gleich Niemand etwas zuvor gegeben hat, und Keiner seiner Gabe wert ist. Er gibt, auch wenn man ihm nicht einmal für seine Gabe dankt; er lässt seine Sonne scheinen über Gute und Böse, und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wir geben oft nur mit der Hand, und schließen das Herz zu; wir nennen unsere Gabe eine Wohltat, während sie durch die verächtliche Miene, mit welcher wir geben, durch das verlegende Wort, mit welchem wir die Gabe begleiten, zu einer Wehetat wird für den Nehmenden. Gottes Weise, zu geben, ist nicht also. Er rückt es Niemand auf; er hält es keinem vor, dass er schon wieder, dass er so oft komme; er macht es keinem von uns fühlbar, wie abhängig wir von ihm sind, und wie sehr wir seiner Gabe bedürfen. Oder vielleicht doch, er rückt es dir auf, aber dass du nicht schon früher kamst, dass du erst jetzt kommst, dass du nicht öfter gekommen bist! Vielleicht er rückt es dir auf, dass du ihm für seine Güte bisher so wenig gedankt, seiner Gaben so untreu gebraucht hast! Das Aufrücken streitet nicht wider das Wort des Jakobus; ach, lass es dir willig gefallen; denn es fließt aus der Liebe deines Gottes, der dich vor neuem Undank und Missbrauch seiner Gabe warnen, dich die rechte Weisheit lehren will in ihrem Gebrauche, damit dir dieselbe auch wirklich zur Wohltat und zu einer Quelle des Segens werde!

3.

An Gott liegt es also nicht, wenn du nicht empfängst nach deiner Bitte, sondern an dir selbst und der Beschaffenheit deiner Bitte liegt es. „Er bitte aber im Glauben“, mahnt Jakobus, „und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde!“

„Er bitte im Glauben, und zweifle nicht!“ Gott gibt einfältig, so soll der Mensch auch einfältig nehmen. Der Glaube ist die Hand, welche es gilt aufzutun und hinzuhalten. Im Glauben sieht der Mensch allein auf Gottes Macht und Güte und auf seine gnadenreiche Verheißung, und hat kein Auge für die Berge von Hindernissen, welche sich der Erhörung seiner Bitte in den Weg stellen, und sie nach menschlichem Ansehen unmöglich machen. Im Glauben fragt der Mensch nicht nach seiner eigenen Unwürdigkeit, sondern getröstet sich des, dass der Vater im Himmel, ob wir wohl der Keines wert sind, das wir bitten, haben es auch nicht verdienet, uns dennoch unsere Bitte nicht versagen werde. Sagt doch der Herr selber: „Alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubt, so werdet ihr es empfangen!“ (Matth. 21,22.)

Wie viel Segen des Gebets verderben wir uns doch selbst durch Unglauben und kleinmütigen Zweifel an der Erhörung desselben! Wie oft, dass wir dem Petrus gleichen, welchem der Mut entsank, als er die Woge sah, die ihn zu verderben drohte, und der Herr muss auch zu uns sprechen: „O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?“ (Matth. 14,31.) Wir gleichen der Meereswoge selbst, die vom Winde hin und her getrieben wird. Der Zweifler hält nicht still, bis Gott ihm seine Gabe in die Hand legt. Er sieht nicht einfältig auf Gott, sondern schielt zur Rechten und zur Linken umher nach menschlicher Hilfe. Er glaubt nur so weit an die Erhörung seiner Bitte, als er Mittel der Hilfe gesehen hat, oder nachrechnen zu können glaubt, woher die Hilfe kommen möge. Darum stockt er auch in seinem Gebete, wenn er Mittel der Hilfe entdeckt, und hört auf und wird lau in seinem Gebete, weil er desselben nun nicht mehr zu bedürfen glaubt. „Ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen“; er ist ein doppelherziger Mensch, der nach beiden Seiten hinkt, hin- und hergeworfen zwischen Furcht und Hoffnung, nun von Gott, nun von Menschen Rat und Hilfe erwartend. Woher soll da die rechte Weisheit kommen, die Anfechtung zu erdulden, sich im Glück des Glückes nicht zu überheben, im Unglück nicht zu verzagen, in allen Wegen das Rechte und Richtige zu erkennen und zu tun? „Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde!“ Er fasst die Gabe nicht, welche Gott ihm darreicht, oder, was er gefasst hat, entgleitet seinen Händen wieder und geht verloren. „Des Narren Herz“, sagt Jesus Sirach, „ist wie ein Topf, der da rinnt, und kann keine Lehre halten“. (Kap. 21,17.)

So lasst es uns recht zu Herzen nehmen, woher es kommt, dass wir so oft umsonst bitten, und nicht empfangen nach unserer Bitte, und um so demütiger und inbrünstiger Gott bitten, dass er selbst uns helfe, allen Unglauben und alle kleinmütigen Zweifel unseres trotzigen und verzagten Herzens zu überwinden. „Wir glauben, lieber Herr, hilf unserem Unglauben“, und „stärke uns den Glauben!“ (Mark. 9,24. Luk. 17,5.) Hilf, dass wir aus einfältigem Herzen und in kindlicher Zuversicht dich bitten können, und es wissen, dass uns gegeben werde nach unserer Bitte! Abba, lieber Vater! Das walte an uns Allen, auf dass wir mit deinen guten und vollkommenen Gaben je länger, je völliger die allerbeste und vollkommenste von dir empfangen, ein weises, von dir gelehrtes und dir gehorsames Herz! Amen.

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