Löhe, Wilhelm - Vaterunser - IX. Abschied von dem Leser über Amen und Erhörung.

Löhe, Wilhelm - Vaterunser - IX. Abschied von dem Leser über Amen und Erhörung.

Das Amen ist der Ausdruck des Glaubens im Gebete; wie das Amen, so war das Gebet; wie viel Glauben im Amen liegt, so viel lag in dem vorausgegangenen Gebete. Am Ende jedes Bittgebetes sprechen wir Amen, und allemal ist das Amen der Glaube an Gottes Verheißung und die Gottwohlgefälligkeit unsers Gebetes; ja, es ist die Gewißheit der Erhörung, welche noch nicht erschienen ist, und die gewiße Zuversicht des Gläubigen von dem, das er hofft. Diese Zuversicht unsers Amens hat ihre Grade: das Amen in seiner schönsten Fülle, die Zuversicht in ihrer kühnsten Erhebung ist es, wenn man dem HErrn für Wohlthaten, die mau noch nicht empfangen hat, die man erst erbitten sollte, dankt, als hätte man sie empfangen, und für Wunder lobt, die noch nicht geschehen sind, - wie dort unser HErr Jesus Christus am Grabe Lazari, statt um deßen Auferweckung zu beten, derselbigen schon gewiß ist und spricht: „Ich danke Dir, daß Du mich erhört hast!“ Freilich aber, ein Amen, wie das Amen Jesu Christi, wie wir's am Grabe Lazari erkennen, wird unsern armen Seelen selten zu Theil: wir verstehen nicht zu danken, bevor wir empfangen haben; ach, wir vermögen kaum nach vollbrachtem Bittgebete ein gläubiges Amen zu sprechen; es ist der Glaube und das Amen nicht Jedermanns Ding. - Ost ist der Mensch, so lang er zu Gott ruft, voll Inbrunst, sein Gebet ist dringend und andächtig; aber wenn er am Ende Amen sagen, wenn er das Siegel des Glaubens unter sein Gebet drücken, wenn er sprechen soll: „Ja, ja! es soll also geschehen!“ dann fehlt der Glaube, das Feuer der Andacht verlischt; das Gebet war nichts, als eine eitle „Erhebung des Herzens zu Gott,“ eine Selbsterhebung, ein Versuch, sich selbst zu trösten, ein Selbstbetrug - darum ist sein Ende ein Ermatten nach der Anstrengung, ein Fallen nach dem Flug, ein Nüchternwerden nach erkünstelter Begeisterung, Am Amen wird ein Betender erprobt, ob er Worte gemacht oder als ein Kind mit seinem Vater im herzlichen Vertrauen geredet hat; denn das Amen erfordert eitel gläubige Herzen, und ein ungläubiges Amen trägt Gottes Urtheil über das geopferte Gebet in sich, es straft das ganze Gebet sammt allen Andachtsthränen Lügen.

Das Amen ist nicht allein der Glaube des Betenden; sondern weil es sein Glaube ist, ist es auch sein Friede. Denn wo Glaube, da ist Friede. Wie sollte auch Amen nicht des Beters Friede seyn? Ist nicht jedes Gebet eine im Glauben ergriffene Verheißung Gottes; ist nicht Christus Ja und Amen aller Gottesverheißungen; und ist nicht Christus auch unser Friede in jedem Sinn des Worts? Ist also unser Amen nicht auch unser Friede? - Alle Verheißung ist Gnade - und aus JEsu Fülle nehmen wir Gnade um Gnade, beides Verheißung und Erfüllung. Ja, um Jesu willen, des Gekreuzigten und Erhöheten, neigt sich der himmlische Vater zu dem armen Geschlechte der Sünder, um Seinetwillen verheißt und erfüllt Er uns alles Gute! JEsus ist uns Bürge für die Erfüllung jeder Verheißung, für die Erhörung jedes Gebetes: wie macht uns das in unserm Gebete so ruhig - wie stille und gewaltig sprechen wir, auf Jesu Bürgschaft trauend, am Ende jedes Gebetes: „Amen, Amen, das heißt: es soll also geschehen!“ Gelobt sey JEsus Christus, welcher spricht: „So ihr den Vater etwas bitten werdet in Meinem Namen, so wird Er's euch geben!“ In Seinem Namen beten wir nun - und wißen darum gewiß, daß wir die Bitten haben, die wir von Gott bitten! Auf Sein Wort hin und im Glauben an Ihn sprechen wir das Amen. Im Amen ruhen wir aus, im Amen werden wir wieder stark, wenn wir uns müde gebetet haben. Im Amen ist ein gewißes, sichres Warten auf Erhörung, ein stilles, freudiges Harren auf ein Glück, das wir schon freundlich kommen sehen, - ein seliges Harren, zu vergleichen dem Harren der abgeschiedenen Gerechten auf den Auferstehungstag. Im gläubigen Amen liegt schon der Anfang der Erhörung: das Pfand, den Geist, hat man schon empfangen; nun schaut man fröhlich hinaus auf das, was weiter folgt.

Wir beten: „Dein Name werde geheiligt!“ und sprechen Amen - und im Amen sehen wir, wie Moses vom Berge Nebo das Land der Verheißung, die Erde Seiner Ehre voll und beten, der Erhörung froh, den HErrn an: „Heilig, heilig, heilig ist der HErr Zebaoth!“ Wir beten: „Dein Reich komme!“ und sprechen Amen - im Amen schauen wir eine endlose Ferne, unbegrenzte Gebiete Seines Reiches; wir jubiliren: „Der HErr hat ein Reich! Die Reiche der Welt sind unsers Gottes und Seines Christus geworden!“ Wir beten: „Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel!“ und sprechen Amen - und im Amen, wie in einem Spiegel, sehen wir Himmel und Erde unter Ein Haupt zusammen verfaßt, Engel und Menschen dem Willen Eines Königs mit freudigem Gehorsam dienend, - wir sehen es und freuen uns; denn das ist der gute Hirte und Seine Eine Heerde! Wir beten: „Unser täglich Brot gieb uns heute!“ und sprechen Amen - und unser Amen ist uns lieber, als die Raben Elia und das Oelkrüglein der Sarepterin; denn jene sind vergangen , aber unser Amen nähret mit reicher, überfließender Fülle die ganze Welt! - Wir beten: „Vergieb uns unsre Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern!“ und sprechen Amen - im Amen aber sehen wir den Himmel aufgethan, dortselbst zahllose Schaaren, wir in ihrer Mitte, die von Engeln angesungen werden: „Sie haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider helle gemacht im Blute des Lamms!“ - Wir beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ und sprechen Amen - und im Amen fällt es uns wie Binden von den Augen, wir sehen Engelheere um uns her, uns vor dem Versucher zu behüten - und der HErr spricht über ihnen: „Der Engel des HErrn lagert sich um die her, die Ihn fürchten!“ - Wir seufzen: „Erlöse uns vom Nebel!“ und beten Amen - da steht unser Amen uns zur Seite, sprechend: „Fürchte dich nicht, Ich bin bei dir! Ich habe die Welt überwunden!“ und Seine Hand zeigt auf das neue Jerusalem, welches bereitet ist - und unsre Seele singt: „Der HErr hat den Tod verschlungen ewiglich! Der HErr wischt die Thränen von allen Angesichtern und hebt auf die Schmach Seines Volks in allen Landen; denn der HErr hat's gesagt! - Meine Sonne wird nicht mehr untergehen, noch mein Mond den Schein verlieren; denn der HErr wird mein ewiges Licht seyn und die Tage meines Leidens haben ein Ende!“ Ja! Amen. - - Solchen freudenvollen Frieden hat eine gläubige Seele in ihrem Amen. Ja, er ist noch freudenvoller. Wer ihn kennet, der rühmet ihn.

Es ist aber das Amen des Gläubigen nicht allein ein frieden- und freudenvoller Vorausblick auf die erbetenen Güter, sondern demselben, als der Hand und Kraft des Glaubens, ist - o daß wir des HErrn Gnade so hoch rühmen dürfen! - ist in Wahrheit beigelegt alle Macht und Gewalt, welche JEsus Christus leidend und sterbend zum Heile Seiner Kirche gewonnen hat. Von dem, welcher im Unglauben betet, blos um sein Herz in etwas durch den Erguß seines Jammers zu erleichtern, von dem, welcher auf inbrünstiges Gebet nicht Amen sagen kann, gilt, was St. Jacobus spricht: „Ihr bittet und krieget nicht, darum, daß ihr übel bittet!“ Aber wo das Amen im Glauben aufsteigt, da ist das Gebet über des himmlischen Vaters Herz und Arm so mächtig, wie der Arm eines jammernden Kindes, welches mit Liebesinbrunst das abgewandte Angesicht seiner Mutter wieder zu sich wendet und ihren Arm um seinen Hals legt! Ein gläubiges Amen ist mächtiger, als alle andre Macht der Creaturen. Ein gläubiges Amen überwindet den Satan in großen Anfechtungen, wirst Berge der Erde, ja Berge von Sünden ins Meer! Ein gläubiges Amen lenkt Ströme des heiligen Geistes auf die Kirche und ihre dürren Aecker herunter, - lenkt Menschenherzen zu JEsu Christo, findet verlorene Schafe, die sonst kein Suchen findet, keine Sorge gewinnt, keine Mühe und Arbeit treuer Menschenliebe umzukehren vermag! Das gläubige Amen einer frommen Mutter geleitet stark, wie der Engel Raphael, einen Sohn durch die Fremde dieser Welt! Das gläubige Amen des Gebets trägt Sterbende und uns selber, wenn wir sterben, zu Gott und in Sein Paradies! Das Amen der Kirche am Ende der Offenbarung St. Johannis, von der Kirche in allen nachfolgenden Zeiten gläubig wiederholt, zieht mit gewaltiger Kraft den jüngsten Tag herbei, überliefert die Welt dem Feuer und öffnet die selige Ewigkeit! Ja, das gläubige Amen am Vater-unser thut und wirkt mehr, als es bittet und versteht, ist wie der treue Knecht, der zehen Pfunde gewann und nicht wußte, daß er zugleich ein eilftes und zehen Städte gewonnen hatte!„ Das gläubige Amen beherrscht die Welt, - ist eine Sonne, welche aufgeht und Segen über alle Berge und Thäler und in alle Winkel der Erde traust! - Ach, wenn die Beter wüßten, was sie Großes thun, wenn sie zu ihrem Vater-unser Amen sprechen, - wenn sie wüßten, wie hoch sie da von Gott geehrt werden, wie sich mit ihrem Amen Gottes Kraft vermählt, zu vollbringen, was sie gebetet haben: wie würde sie die große Gnade demüthigen, ihr Herz reinigen und allen ihren Wandel heiligen! - Bedenket es wohl, ihr betenden Christen!

Darum achtet euer Amen hoch und zweifelt nicht an Seiner Macht, nicht an der Erhörung, wenn ihr sie gleich nicht so, wie ihr gewollt habt, oder nicht gleich auf euer Gebet sehet! Noch einmal suche ich euch diese Ermahnung nahe zu bringen! -

Oft erhört uns der HErr wörtlich, und es geht uns wie Christus gebetet hat: „Dir geschehe, wie du willst!“ Doch ist das der seltenere Fall, gewöhnlich ist es, daß die Erhörung beßer, reichlicher, gewaltiger ist, als wir gebetet haben. Unerhört bleibt kein gläubiges Amen, auch nicht eines, wenn gleich die meisten Beter das nicht saßen mögen. Hätten sie Augen zu sehen; so würden sie in ihrem Leben oft bemerken, daß eine ewige, weise Liebe ihren Lebensgang regiert, daß sie niemals beßer berathen sind, als wenn es ihnen nicht geht, wie sie wünschen und vom HErrn begehren. Wollte der HErr alle Gebete erfüllen, so wie sie gebetet werden, er müßte viele Beter in ihr Unglück hingeben; denn es gilt von vielen, was der HErr von den Kindern Zebedäi sagt: „Ihr wißet nicht, was ihr bittet!“ Er thut aber meistens über Bitten und Verstehen, d. i., mehr und herrlicher, als gebetet wurde. Mag der Unglaube diese Lehre lästern, als wäre sie weiter Nichts, als eine schlechte Auskunft derer, welche zugeben müßten, daß der HErr nicht wörtlich, d. i. nicht erhöre, daß es nur Zufall, ein Zusammentreffen natürlicher Umstände sey, wenn es manchmal scheine, als wäre eine Erhörung wörtlich nach dem Gebete eingetroffen; wahr, und in Gottes Wort gegründet ist sie doch, der HErr bleibt Sich dennoch treu in Seiner Erhörung und in der überschwänglichen Weise derselben, und wir, theure Brüder, bleiben Ihm treu mit unserm Glauben und loben Seine Erhörung, auch wenn sie nicht nach unsern Worten ist, wenn sie nur nach Seinem Worte ist und nach dem Maße Seiner Gnade. Da Salomo um ein weises, verständiges Herz betete, Gottes Volk wohl zu richten, gab ihm Gott nach seiner Bitte, aber ER sprach auch zu ihm: „Das du nicht gebeten hast, habe Ich dir auch gegeben, nämlich Reichthum und Ehre!“ - und es wurde an Salomo wahr, daß dem Alles zufallen muß, der am ersten nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit trachtet. Das war eine schöne Erhörung - wörtlich und doch nicht! Da das Volk Israel Jahrhunderte lang um einen irdischen Messias betete, erhielt es einen himmlischen, einen König, deß Reich nicht von dieser Welt war, deßen Reich das Reich des Himmels seyn sollte! Das war nicht wörtlich erhört, aber mehr, - eine Erhörung, unerwartet, weil man so viel nicht erwarten konnte noch durfte! Gelobt sey diese Art zu erhören, wir geben uns gerne darein!

So unlieb dem Menschen in der Regel eine Erhörung ist, die nicht wörtlich ist, so unlieb ist ihm auch Verzug der Erhörung. Aber oft ist der Verzug nur ein eingebildeter, und die gegenwärtige Erhörung nur nicht erkannt. Wenn z. B. ein Herz das Elend der Sünde fühlt, wenn es mühselig und beladen nach dem Erlöser schreit, so ist es erhört, ehe es schrie; denn der Erlöser ist schon gekommen und allgegenwärtig. ER ist da und ruft den Geängsteten zu: „Hier bin Ich, hier bin Ich! Warum klagest du, warum jammerst du? Ich habe dich je und je geliebt und aus lauter Liebe zu Mir gezogen! Ehe du geboren warest, war Ich für dich gestorben, - ehe du ins sterbliche Leben kamest, habe Ich dir das ewige Leben aufgethan, - ehe du sündigtest, habe Ich deine Sünden getragen, ehe du unter dem Zorn giengst, den Zorn von dir genommen, ehe du Unruh fühltest, fühlte Ich sie statt deiner und bereitete dir den Frieden, ehe du hungertest, war dir die Speise vergönnt, ehe du dürstetest, sprangen schon die Quellen lebendigen Waßers, ehe du betetest, warest du erhört, ehe du Mir riefest, war Ich dir nahe, du hast Mich nicht erwählt, sondern Ich habe dich erwählt, du hast nicht Mich gesucht, sondern Ich habe dich gesucht und dich gefunden! Ich habe dich zum Schafe Meiner Weide gemacht! Hier bin Ich, hier bin Ich! Israel vergiß Mein nicht, Ich habe dich erlöset, Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist Mein!“ - Seht, liebste Seelen! so sind es gerade die ewigen Güter, um welche keiner von uns zu beten hat, keiner von deren Verzug zu haben; sondern vorhanden sind sie für alle offenen Augen, auf daß sie mit Dank empfangen würden! Es ist Gott geringe Ehre, wenn wir erst um sie beten, da sie seit t800 Jahren als geschenkt und bereitet für alle, die sie wollen, gepredigt werden!

Indeß dünkt es unserm Unverstande freilich in diesem oder jenem Fall doch, als habe Gott die Stunde vorüber gehen laßen, welche die rechte für die Hülfe gewesen wäre. Aber am Ende müßen wir uns dennoch vor Ihm schämen. Einige Beispiele mögen uns hier etwas mehr zum Licht verhelfen, - Oft betet eine arme, bedrängte Mutter, ein schwer bekümmerter Vater viele Jahre lang für ein abtrünniges, ungerathenes Kind: „Zu uns komme Dein Reich!“ aber des Kindes verstockter Sinn scheint alle Gebete unnütz und unfruchtbar zu machen. Wenn nun solche Aeltern bereits an der Seele des Kindes verzagen, im Gebete matt werden, ihre grauen Haare mit Jammer zur Grube bringen wollen und ihre Augen keine Thronen mehr haben vor Jammer; so kommt gerade der HErr mit Erhörung, und alle Engel dürfen sich über einen Sohn freuen, welcher die letzten Jahre oder Tage seiner Aeltern mit Freuden krönt. Werden diese Aeltern über die Stunde des HErrn klagen?! - Oder aber, sie sterben im Jammer über ihr Kind, welches nach der Aeltern Tode nur desto mehr ein Sclave des Lasters, ein Auswurf der Menschheit wird, daß die Knaben auf der Gaße auf dasselbe, als auf ein merkliches Exempel, deuten. Seine Seele ist trübe, sein Inneres heiß und trocken, es kennt keine Freuden außer solche, welche nicht wahrhaftig erfreuen, welche die geheime Angst und Pein der Seele nur mehren. Ein solcher Sohn geht lang über den Gräbern seiner Aeltern, er denkt nicht mehr an sie, - er ist wie Cain, sich selbst aufgebend, an sich selbst und an Gottes Hülfe, verzweifelnd. Da kommt die Erhörung des Gebets seiner Aeltern, die Stunde des HErrn: da kommt zu diesem Sohn die Predigt des heiligen Evangeliums, von dem Heilande, der die Sünder annimmt, - da kommt, von Gottes Boten getragen, die Stimme des Sohnes Gottes, des getreuen Hirten, und erweckt Leben im tobten Herzen dieses Sohnes, seine Seele erkennt und glaubt an den Erlöser von allen Sünden - und ihr Geburtstag ist da. Werden die Aeltern dieses Sohnes die Stunde Gottes beklagen? So lang sie lebten, säeten sie Zucht und Vermahnung auf diesen Sohn mit Thronen, am Tag der Freuden und der Ernte dürfen sie auch ihren Sohn, als eine Frucht, fürs ewige Leben gereift, in Gottes Scheuern tragen mit Freuden! - Und, um noch an das größte Beispiel zu erinnern: Einst hieng JEsus Christus am Kreuze in großen Schmerzen: ER sahe die sündenvolle Welt vom Kreuze herab in ihrer größten Tiefe, in ihrer schnödesten Häßlichkeit; da dachte ER nicht an Sich und Seine Schmerzen, sondern an diese arme Welt, für welche ER litt und starb, und betete: „Vater, vergieb ihnen!“ ER starb, stand von dem Tode wieder auf, gieng hin zu Seinem himmlischen Vater, setzte sich zur Rechten der Kraft, ohne daß alsbald das Gebet in Erfüllung gieng, das ER, der Heilige und Gerechte, gebetet hatte. Den einzigen Schacher nahm ER zum Pfande der Erhörung alsbald mit. Aber an Pfingsten kam Erhörung brausend vom Himmel nieder - seitdem geht sie fort, geht fort bis ans Ende, wird offenbar werden am jüngsten, d. i. am größten Tage der Vergebung. Da werden sie stehen zahllos, wie Sand am Meere und leuchtend, wie die Sterne, - die, welche die Erhörung des Gebetes JEsu am Kreuze in der Vergebung ihrer Sünden und in untrüglicher, auf Gottes unwandelbares Wort gebauter Gewißheit derselben erfahren haben! Da wird es offenbar werden, daß die nicht thöricht thaten, welche auf das Gebet JEsu Christi am Kreuze hin glaubten, was sie hofften, obwohl sie es nicht sahen, nämlich Vergebung ihrer Sünden!

Sieh, lieber Bruder, so gewiß ist dein Amen, so sicher kommt deine Erhörung! Glaube sicher, Alles in der Welt, was geschieht zum Heile der Menschheit, ist Erhörung des Gebetes, ist erdetet, wenn von Niemandem, doch von dem ewigen Fürbitter JEsu Christo! Die Worte der Könige sind manchmal umsonst und wie weggeworfen; aber kein Amen, sey's auch das Amen des Geringsten, der da glaubt, ist umsonst; jedes Amen ein Samenkorn, von Gott gesegnet, welches Frucht bringt sechzigfältig und hundertfältig und tausendfältig! Die Gebete sind die unsichtbaren Säulen, welche die Welt noch aufrecht halten und die Grundsteine der Säulen heißen Amen! Hab Ehrfurcht vor deinem Vater unser, vor deinem Amen! Es ist in JEsu vor Gott hoch geachtet; was aber Gott hoch und rein achtet um Christi willen, sollst du nicht für klein und gemein achten! Bete getrost, bet' anhaltend, bet' ohne Unterlaß, bete bis du aufs Todtenbett kommst - und hast du auch dann deine Erhörung noch nicht gesehen; so bete doch fort und glaube fort und sprich mit Jacob auch dann: „HErr, ich warte auf Dein Heil!“ Drückt dich das Ausbleiben der Erhörung, der Verzug des Reiches Gottes, der Heiligung des göttlichen Namens, der Erfüllung des göttlichen Willens noch so sehr, oder kannst du deiner Sünden Vergebung nicht im seligen Licht erkennen, betest und singst daher so traurig und scheinbar umsonst Lebenslang: „Wollst mir ein fröhlich Herz und edlen Frieden geben;“ fürchte dich nicht, glaube nur: ehe deine Erhörung völlig ausbleibt, muß dir die Hand des Todes zur Freudengeberin werden und dein brechendes Herz in ein fröhliches verwandelt werden! Ja, ob du auch stürbest, scheinbar unerhört; es ist doch nur Schein: der große Name muß doch endlich in Heiligung triumphiren, das Reich kommen, der Wille des Allerheiligsten geschehen, das Vater-unser erfüllt werden - denn ER hat einmal, dabei bleibt es, uns geboten, also zu beten und wahrlich mit solchem Gebote verheißen uns zu erhören! Da können Himmel und Erde vergehen, aber Seine Worte nicht! Seine Worte sind Amen, Seine Verheißungen trügen nicht, Seine Antwort fehlt nicht. Es ist nie Einer zu Schanden worden, der seine Hoffnung auf Gott gesetzt hat; es ist in Ewigkeit gut auf den HErrn vertrauen - und welch eine große Belohnung der erhält, der sein Vertrauen nicht wegwirst, auch nicht im Tode, das wird - auf Ihn berufe ich mich, Brüder! ER wird Zeugniß geben! - das wird der Tag des HErrn beweisen am Ende der Welt, wenn unsre Ewigkeit beginnt. Ja, Amen.

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