Kurz, J. H. - Gottes Gnadenwahl

Von Prediger J. H. Kurz, Bern

(Römer 9,14-33)

Kam einmal ein erweckter und geweckter Junge zu seinem Seelsorger mit der Frage, wie denn eigentlich Römer 9 zu verstehen wäre. „O Junge,“ sagte derselbe zu ihm, „Du bist auf der Leiter zum Himmel auf der untersten Sprosse und kommst mit solchen Gedanken! Ein Kind fängt in der Schule an mit dem Haarstrich und dem Grundstrich und Pünktlein darauf. Später kommt all das andere. Lies mal zuerst den Matthäus mit Gebet und dann den Markus, den Lukas und alles andere mit Gebet! Und wenn Du dann an Römer 9 kommst, dann verstehst Du es auch!“ Gewiß ist dies Kapitel eines von den dunklen. Und wenn Paulus von Gottes Gnadenwahl spricht, so enthalten seine Ausführungen mehr Verhüllung wie Offenbarung. Freilich dürfen wir dieselbe nicht fleischlich erfassen wollen. Das wäre grober Unverstand, zu sagen, Gott hat die einen zur Seligkeit erwählt und die andern zur Hölle bestimmt. Wohl sind die beiden Pole: „göttliche Erwählung und menschliche Verantwortlichkeit“ schwer zu vereinigen. Und doch enthält dies Kapitel so viele Lichtpunkte, die uns zur Freude, zum Trost, aber auch zur Mahnung dienen.

Gottes Gnadenwahl ist

Nicht eine Sache des Grübelns oder gar des Rechtens mit Gott, sondern der Beugung und der Anbetung, denn Gott ist gerecht. (Vers 14 und 20)

„Wer bist du, o Mensch, daß du Gott anschuldigst und mit ihm rechtest?“ Die Rechthaberei ist zwar eine gemeine Mode aller Adamssöhne und Evastöchter. Und doch besitzen etliche in besonderer Weise diese Eigenschaft, die manches Kind frühzeitig unleidlich, Dienstboten und Angestellte in ihrer Arbeit schier unmöglich macht, Freundschaften verbittert und manches Eheglück, wenn eines immer recht und das letzte Wort haben will, zerbrochen hat. Ist die Rechthaberei Menschen gegenüber schon widerlich, Gott gegenüber wird sie zur Lästerung. Bei einem Hiob war dies vielleicht der größte Fehler, und er wiegt schwer genug. Wie viel Läuterungsfeuer muß er durchmachen, bis er Gott recht gibt. Auch ein David verrät, was in seinem Innern vorgegangen ist, wenn er schließlich gesteht: „Du bleibst rein, wenn du gerichtet wirst!“ Rechthaberisch waren auch Jesu Gegner; sie murren, daß der Heiland die Zöllner und Sünder aufsucht und sie auf die Seite stellt. Selbst die Jünger waren nicht frei von diesem Übel. Einem von ihnen muß der Herr des Weinbergs bedeuten: „Mein Freund, ich tue dir nicht unrecht; habe ich nicht Macht, mit dem Meinen zu tun, was ich will?“ Und als Petrus, aufgestanden von seinem Fall, den Herrn fragte, was aus dem Johannes werden sollte, antwortete dieser: „So ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an!“ Und hier sagt Paulus den rechthaberischen Gesellen: „Wer bist du, daß du mit Gott rechten willst, du Ton mit dem Töpfer!“

Gott ist und bleibt gerecht, wenn er spricht: „Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich“, und Paulus den einfachen Schluß zieht: „So liegt es nun nicht an jemands Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Gibt denn Gott dem Erwählten etwas, was er verdient hätte, oder entzieht er dem nicht Erwählten etwas, was ihm rechtlich zugehört? Der Erwählte hat die Seligkeit nicht verdient, sondern die Verdammnis, und der Nichterwählte hat die Seligkeit auch nicht verdient, sondern die Verdammnis. Beide sind Gott gegenüber vollständig gleich. Der Herr ist darum nicht ungerecht, wenn er einem Menschen die Seligkeit schenkt. Auch dürfen wir das Wort: „Es liegt nicht an jemands Wollen oder Laufen“ ja nicht falsch verstehen, als läge es nur an Gottes Erbarmen und man brauche überhaupt nicht zu wollen und zu laufen. Sondern: daß der Mensch will und läuft, das verdankt er nicht seiner eigenen Kraft, sondern Gott ist es, der das Wollen und Vollbringen wirkt nach seinem Wohlgefallen.

Gott ist darum gerecht, daß er den Verächter der Erstgeburt und der messianischen Hoffnung, einen Esau mit seiner irdischen, fleischlichen Gesinnung für unfähig erklärt, Träger der Gottesverheißungen zu werden. Er ist gerecht, wenn er zu Maleachis Zeiten das Geschlecht der Edomiter straft: „Esau hasse ich und habe sein Gebirge öde gemacht und sein Erbe den Drachen zur Wüste gegeben!“ Gott ist gerecht, daß er den tückischen Weingärtnern das Reich nimmt und es gegen besseren Zins den Heiden austut, daß er die Letzten zu Ersten, nachdem die Ersten die Gnade auf Mutwillen zogen. Er ist gerecht, wenn er den Eckstein der Kirche, der für die Pforten der Hölle unbesiegbar, denen, die daran Anstoß nehmen, zum Stein des Ärgernisses werden läßt, an dem die Anstürmenden zerschellen. Gott ist gerecht, wenn er keine andere Gerechtigkeit gelten läßt als die volle, ungeteilte seines geliebten Sohnes auf Golgatha, keine andere als die, welche aus dem Glauben kommt. Gott ist und bleibt gerecht, wenn er zuletzt die, welche das Zeichen des Vaters der Lügner, des Mörders, von Anfang an an der Stirne tragen, in den Pfuhl wirft, der mit Feuer und Schwefel brennt. Denn niemand hat den Himmel verdient. - Wir wollen uns unter diese Tatsache beugen und anbeten. Nicht grübeln sollen wir, es sei denn, wir achten auf Luthers Rat: „Niemand stürze sich in diese Grübeleien hinein, dessen Geist noch nicht gereinigt ist, damit er nicht in den Abgrund des Grausens und der Verzweiflung falle.“

Nicht eine Sache der Willkür, sondern der Allmacht und Weisheit Gottes, denn Gott ist heilig.

Daß die Gnadenwahl nicht Willkür ist, dafür haben wir hier zwei Beispiele von Männern: Moses und Pharao, an denen Gott seine Macht kundgetan hat. An Moses sehen wir, was Gottes Gnade aus einem Manne machen kann. Ein Gelehrter betrachtete einst den gesegneten Prediger Rowland Hill lange und aufmerksam. Diesem fiel es endlich auf, und er fragte: „Was betrachten sie an mir?“ Er antwortete: „Die Züge ihres Gesichts.“ „Was halten sie davon?“ Die überraschende Antwort lautete: „Ich denke, wenn sie nicht ein ernster, aufrichtiger Christ geworden wären, so würden sie heute ein schlimmer Verbrecher sein.“ Der 17. Vers zeigt uns die Kehrseite der Bundesgnade an Pharao. Denn die Schrift sagt von Pharao: „Eben darum habe ich dich erweckt, daß ich an dir meine Macht erzeige, auf daß mein Name verkündiget werde in allen Landen.“ Diese Macht wurde ihm allerdings eine Macht zum Verderbnis. Ist dies aber Willkür? Keineswegs. Gott ist heilig. Er läßt sich nicht von einem Pharao am Narrenseil führen, von diesem leichtfertigen, hochmütigen Menschen. Gottes Langmut währet lang, aber endlich muß sich seine Liebe zum Gottesgericht verhärten, wie in einer Tropfsteinhöhle das von oben sickernde Wasser zum Wachstum des von unten aufsteigenden Steingebildes dient. Jede Verstockung hat ihre Geschichte; hier steht sie im Zusammenhang mit der steigenden Selbstverschuldung Pharaos. Die Verstockung wird nämlich siebenmal (2. Mose 7,13. 22f.; 8,15.19.32; 9,7) Pharao selbst zugeschrieben. Dann erst von Kapitel 9,12 an kommen die göttlichen Verstockungen und zwischenhinein wird noch einmal eine Selbstverstockung (Vers 9,34) erwähnt. Der Verstockung von seiten Gottes geht immer Selbstverstockung voraus, wenn der Mensch fortgesetzt den Warnungen und Mahnungen Gottes widersteht.

Noch an einem anderen Gleichnis - vom Töpfer und Ton - erläutert Paulus diesen Gedanken. „Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Gefäß zu Ehren und das andere zu Unehren?“ Hier werden Menschen mit Gefäßen verglichen, vom himmlischen Töpfer zubereitet, sei es zu einem Gefäß, das einen Ehrenplatz einnimmt, oder zu Unehren, das heißt zu ganz gewöhnlichem Gebrauch. Aber kein Töpfer schafft Gefäße, um daran seinen Zorn auszulassen. Einen solchen Wahnsinn bürdet man dem Paulus auf, dazu noch im Widerspruch mit seiner ganzen Lehre. Ein Gefäß der Barmherzigkeit oder des göttlichen Zorns wird man, je nachdem man sich füllen läßt. Es ist also nie Gottes Schuld, sondern eigene, wenn ein Mensch zu einem Gefäß des Zorns geworden ist und zur Verdammnis ausreift. Dadurch werden Menschen zu Gefäßen des Zorns, daß sie die große Langmut Gottes verachten, sich dann noch rebellisch gegen Gott auflehnen: „Warum machst du mich also?“ Aber gerade dieses „Ich“, dieser Rebell, muß zerbrochen werden. Das ist der erste Schritt, um ein Gefäß der Barmherzigkeit zu werden. Wenn Gott die Gefäße des Zorns lange genug mit großer Geduld (Vers 22) getragen hat, reifen sie aus zum Gericht. Durch das Verstockungsgericht sind die Juden reif geworden für das Verderben. Laß dich warnen!

Eine Sache nicht zum Verzagen und Verzweifeln, sondern des Glaubens und der Liebe, denn Gott ist die Liebe (Vers 30-33)

Daß wir nicht verzweifeln noch verzagen müssen, das sagt uns schon der 16. Vers. Das ist ein großer Trost, daß unser Heil nicht von unserem Wollen oder Laufen abhängt. Es ist Gottes Erbarmen; Gottes Vorausblicken und Vorausbeschicken ist der letzte Grund unseres Heils, jene vorausblickende Liebe, welche das Leben aller von Ewigkeit als Gehorsam Erkannten zu seligen Zielen ordnet und lenkt. Die Erwählung ist der tiefste und festeste Fundamentstein unserer Errettung. Gott sei Dank! Die Erwählung weist uns fernerhin nach Golgatha. Von uns erwartet der Herr Glauben und Vertrauen zum Versöhnungswerk am Kreuz, Gehorsam der Hirtenstimme Jesu gegenüber, Treue und Hingabe an den Herrn. Heute, so du seine Stimme hörest, so verstocke dein Herz nicht, sondern mache glaubend, betend, kämpfend deine Berufung und Erwählung fest.

Wir brauchen nicht zu verzweifeln noch zu verzagen, sondern es liegt am Glauben. Das sagt uns der 32. Vers, welcher der Schlüssel vom ganzen Kapitel ist. Die Juden suchten ihre Errettung aus den Werken des Gesetzes, anstatt sich auf den von Gott festgelegten Heilsgrund zu stellen. Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, mit seiner Gnade für arme Sünder, ist der Fels, an dem sich fleischliche, selbstgerechte Menschen stoßen und zu Schanden werden. Wer aber glaubt, der flieht nicht, der ist in seinem Gewissen getrost und gerecht und hat Mut wie ein junger Löwe. Dagegen der Gottlose flieht und niemand jagt ihn. Durch Hesekiel ruft uns der Herr der Liebe zu: „So wahr als ich lebe, spricht der Herr: ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe.“

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1931

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