Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - (39 - Tharah).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - (39 - Tharah).

4. Buch Mosis 33, 27.

Tharah ist die 23ste Lagerstätte. Die Bedeutung des Namens dieser Lagerstätte wird zwar auf zweierlei Weise gegeben, aber beide reimen sich sehr wohl in Beziehung auf die vorhergehende Lagerstätte. Sie heißt Thahat, d. i. für, anstatt, welches wir auf die große Stellvertretung Christi gedeutet haben. Wird die Bedeutung des Namens Tharah aus einer der hebräischen nahe verwandten Sprache abgeleitet: so zeigt er ein Verweilen, sonst aber ein Anwehen der Luft oder des Geistes, und daraus entspringende Erfrischung an. Leuchtet es nun nicht schon einem jeden ein, wie fein sich dies zu dem Vorhergehenden passt? Lasst uns dies in den beiden Bedeutungen des Namens dieser Lagerstätte etwas näher erwägen.

Die erste Bedeutung zeigt ein Aufhalten und Verweilen an. Johannes meldet in seiner Geschichte der Leiden Jesu: es stunden aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, Cleophas Weib, und Maria Magdalena, und der Jünger, den er lieb hätte. Ein nachahmungswürdiger Standpunkt. Freilich verstanden diese ehrwürdigen Personen damals noch gar nichts von dem großen Geheimnis des Kreuzes Christi, auch selbst, was den Buchstaben angeht; uns aber ist es deutlich offenbart. Um so mehr sollen wir bei dem Kreuze, bei der Stellvertretung Christi verweilen verweilen mit betrachtendem Verstande, mit gläubigem Sinne, mit liebendem Herzen, mit betender Seele.

Mit betrachtendem Verstande sollen wir unter dem Kreuze verweilen, und das von demselben vollzogene Geheimnis der Stellvertretung erwägen. Welche Menge der allerwichtigsten Gegenstände bieten sich hier der Betrachtung dar! Es ist hier ja der Mittelpunkt von Gottes Wegen, der Schlüssel und des Wortes Kern. Hier sehen wir um nur einiges anzudeuten Größe der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, die den eigenen, zur Sünde gemachten Sohn in des Todes Staub legt. Sie erscheint hier in einem Glanze, wie sonst nirgend. Mag die Sündflut alles, was Odem hat auf Erden, selbst den Säugling an der Mutter Brust ersäufen: so sind's nur Menschen, und gottlose Menschen; mag Feuer vom Himmel ganz Sodom mit allen seinen Einwohnern verbrennen, und in einen Abgrund versenken: es sind nur Menschen, und gottlose Menschen; mag die Erde sich dort auftun, um jene aufrührerische Rotte so lebendig zu verschlingen, es gilt von ihnen das Nämliche. Aber wer ist's hier, der unter den Geißelhieben, nicht Pilati, sondern vielmehr des Zornes Gottes selbst seufzt und winselt, dessen von diesem Feuer entzündete Seelenangst statt des Schweißes Blut hervortreibt? Wer ist es hier, der in des schrecklichsten Todes Staub gelegt wird? den Gott verlässt? Es ist ein heiliger Mensch, es ist aber zugleich Gottes eigener Sohn. Welche Gerechtigkeit! Welche Betrachtung! War es nicht möglich, dass dieser Kelch an ihm vorüberging? Ach, wäre es möglich gewesen, so wäre er vorübergegangen. Die Größe und Abscheulichkeit der Sünde erscheint an diesem Kreuze, in dieser Stellvertretung in ihrer ganzen Nacht. Ist das die Sünde? Ist das ihr Lohn? Ist hier, wie Paulus sich ausdrückt, die Erweisung der göttlichen Gerechtigkeit in Absicht derselben? Musste Gottes eigener Sohn sterben, wenn es möglich wäre, dass er sündigte, und musste er wirklich sterben, da er unter die Übeltäter gerechnet wurde? Was soll denn außer Christo, aus uns werden? Hat Gott seines eignen Sohnes nicht verschont, wie viel weniger wird er unsrer schonen, wenn wir nicht in seinen Wegen wandeln, seine Rechte halten und danach tun. Hier stellt sich unserm Verstande zugleich das wunderbare Rettungsmittel zur andächtigen Erwägung dar, das in den merkwürdigen Worten bezeichnet wird: der von keiner Sünde wusste, ist für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Christus hat uns erlöst von dem Fluche des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns, denn es steht geschrieben: verflucht ist Jedermann, der am Holz hänget. Hier, stellt sich uns unerhörter Weise Gott als ein solcher dar, der Gottlose gerecht spricht; ein Geheimnis, was nie in eines Menschen Herz gekommen ist, ja wogegen alle Vernunft sich empört. Durch seine Wunden werden wir heil? durch seinen Tod empfangen wir das Leben? durch seine Verurteilung die Freisprechung? Wer kann's ergründen! Tharah verweile, verweile hier, o Seele, mit deiner Betrachtung. Siehe da das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Schaue an, wie er um unsertwillen zerschlagen wurde. Verweile betrachtend bei der unausdenklichen Liebe Gottes, die sich hier in der Dahingabe des geliebten Sohnes, in der Erweisung der Gerechtigkeit an ihm, die sich erweist in der Übernahme einer Bürde, der nur der Sohn gewachsen war. Wer erweist hier die größte Liebe, der seinen Sohn hingebende Vater, oder der sich opfernde Sohn? Der Vater preist seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist; der Sohn preist seine Liebe gegen uns, als eine solche, die nicht größer sein kann, da er sein Leben für uns lässt. O! dass wir Johannes nachsagen könnten: wir haben geglaubt und erkannt die Liebe, die Gott zu uns hat, dass wir so völlig würden in der Liebe, dass sie alle Furcht austriebe! Es ist ja eine Glut der Liebe Gottes, und ein aufgeklärter Blick in dieselbe hinein muss alles Leid vertreiben. Bleibet in meiner Liebe. Verweile hier so mit deiner Betrachtung, dass du nichts wissen wollest, als Jesum Christum den Gekreuzigten, durch welchen dir die Welt und du derselben gekreuzigt seiest.

Doch nicht nur mit betrachtendem Verstande, auch mit gläubigem Sinne sollen wir bei der Stellvertretung Christi an seinem Kreuze verweilen. Dieser gläubige Sinn setzt einen bußfertigen Sinn voraus, und kann ohne denselben nicht sein. Liebst du die Welt, dienst du mit Vergnügen der Sünde: wie sollte es möglich sein, dass du an Christum glauben könntest, der gekommen ist, diese Werke des Teufels zu zerstören, die du erhalten willst? Suchst du deinen eigenen Sinn und Willen durchzusehen, frönst du deinen Lüsten, ist's Ehrgeiz, Geldgeiz und Lust, die dich leiten: wie solltest du an einen Jesum glauben können, der dir ein ganz anderes Joch auflegen will? Du dünkst dich rechtschaffen, du traust dir richtige Einsichten und genugsamen Verstand zu, du vermeinst die erforderliche Kraft und Fähigkeit zum Guten zu besitzen - wie solltest du, da du so reich bist, an Christum glauben können? Wird sich nicht der Reiche des Bettelns schämen? Wie solltest du an Christum glauben können, so lange du nicht glaubst, dass du selbst arm bist und elend, nackt, blind und bloß. Verweile denn hier mit bußfertigem Sinne. Vergeuß Ströme der wehmütigsten Tränen am Fuße des Kreuzes, indem du dich selbst als denjenigen betrachtest, der Ihn mit seinen Sünden daran geheftet, Ihn also verwundet und zerschlagen hat. Verabscheue dich wegen deiner Sünden, und wegen der sündlichen Art, die sich noch täglich an dir zeigt, richte, verurteile verdamme dich selbst. Erkenne dich schuldig, und wenn jene fragen: weissage uns Christo, wer dich schlug? so erbitte du dir das auch, bis dass du sagen kannst: Wenn du aber einen also geängsteten Geist, und ein also zerschlagenes Herz hast, dann verweile auch unter dem Kreuze mit gläubigem Sinne. Lerne das wichtige Thahat: anstatt und für mich, stammeln, sprechen, singen. Es ist ein großes, es ist wie leicht es auch scheint - ein alle unsre Kräfte übersteigendes Wort, das uns nur der heilige Geist recht aussprechen lehren kann und lehrt. Und ach! was liegt doch alles in diesem unscheinbaren Wörtlein: für mich. Wie reich), wie getrost macht es, wie bahnt es alle Wege, und öffnet alle Tore, welchen Mut flößt es ein, und welche Kraft; wie selig macht es und wie fromm zugleich. Verwende denn allen Fleiß darauf, um es von Herzen sagen zu lernen, und verweile so lange unter dem Kreuze, bis du sagen kannst: er hat mich geliebt, und sich selbst für mich gegeben. Ja, verweile daselbst, bis dies große Geheimnis dir also aufgeschlossen werde, dass du los vom bösen Gewissen, mit Freudigkeit hinzunahen magst zum Gnadenthrone.

Verweile daselbst mit liebendem Herzen. Lasst uns Ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt - ist Johannes Wort. Und wie sehr hat Er uns geliebt! Unmöglich können wir dahineinschauen, ohne dass auch unser Herz in brünstige Gegenliebe entflammt würde. Welche Seligkeit wird das einst in der Seligkeit sein, ihn aus allen Kräften zu lieben und lieben zu können; wie sehr ist's aber zu beklagen, dass hienieden unsere Liebe mehrenteils so lau ist. Wie viel Blindheit und Unglaube steckt doch in uns, die solch einen unfruchtbaren Winter in uns erzeugen. Welch ein Glück indes, dass das die Liebe nicht ist, dass wir ihn lieben, sondern dass er uns liebt.

Das ist aber mein Schmerz, das kränket mich,
Dass ich nicht g'nug kann lieben dich,
Wie ich dich lieben wollte.
Ich werd' von Tag zu Tag entzünd't,
Je mehr ich lieb', je mehr ich find',
Dass ich dich lieben sollte.
Von dir lass mir
Deine Güte ins Gemüte lieblich fließen,
So wird sich die Lieb' ergießen.

Weil nun Er es ist, der dies alles in uns wirkt: so verweile bei dieser Stellvertretung mit betender Seele. Wer kann sich etwas nehmen, wofern es ihm nicht vom Himmel gegeben werde? Wer kann etwas ohne Ihn tun? Kann auch eine Rebe Frucht bringen ohne den Weinstock? Lauft den Herrn an, wie ein Wasserstrom. Eure Angesichter sollen doch auf die Dauer nicht beschämt werden. Was kann uns auch besser zu ihm treiben, was uns mehr bei ihm festhalten, als entweder die Liebe, oder unsere Not und Elend? Wo sollen wir hin? fragte Petrus, und wo wollen wir denn hin? Je elender es um uns aussieht, desto nötiger haben wir ihn ja, und auf welchem andern Wege gedenken wir denn irgend einer Not enthoben zu werden? „Dennoch,“ sagte Assaph, mochte es auch gehen, wie es konnte. „Aber doch,“ sagte jenes kananäische Weib, und es geriet. Hier will ich sterben, sagte Joab, und fasste die Hörner des Altars. Ich lasse dich nicht, schrie Jacob mit verrenkter Hüfte. Mögen denn andere dem Eitlen nachjagen, so bleibt's doch bei uns fest dabei:

Jesus soll es sein und bleiben,
Dem ich lebe, des ich sei.
Nichts soll mich von Jesu treiben.
Du wirst, Jesu mich nicht lassen.
Ewig will ich dich umfassen.

Doch wie dürften wir unterlassen, zu bedenken, was Er selbst von Seinem Verbleiben verheißen hat, da er sagte: siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. Alle Tage, also die trüben wie die heitern, wie die Sonne, obschon sie nicht immer gesehen wird. Das ist's eben, was uns durchbringt. Was könnte es auch sonst, da ja der Feinde sind so viel, die uns leicht rissen von dem Ziel. Wenn der Herr nicht bei uns wäre, sie verschlängen uns lebendig, heißt es Ps. 124.

Jedoch werden wir zwar angewiesen, zu glauben, dass der Herr nicht verzeucht, sondern dass alles ein Annähern ist, und näher zum Ziel führt, wenn's auch nicht allezeit so scheint, wie die Kinder Israel aller Kreuz- und Querzüge, alles Vor- und Rückziehens ungeachtet, doch stets Kanaan näher kamen; es wird aber auch hinzugesetzt: ob er verzeucht, harre sein! Jenen Schwestern in Bethanien, welche ihm ihres Bruders Krankheit hatten melden lassen, verweilte er sicher gar zu lange, da ihr Bruder darüber starb und begraben wurde, und sich doch bis zum vierten Tage kein Jesus weder sehen noch hören ließ. Und doch verweilte er nicht zu lange, weil eben nun die Hilfe um so viel herrlicher war. Die Hilfe des Töchterleins Jairi wusste er auch so lange aufzuschieben, bis sie unmöglich geworden zu sein schien, und wirklich für jeden außer ihm geworden war. Seine Jünger mussten bis gegen Morgen, die ganze Nacht durch, gegen Wind und Wellen ankämpfen, da erschien Er erst, und das in einer Manier, dass sie ihn für ein Gespenst hielten, und schrien vor Angst. In diese seine Manier muss man sich finden lernen, und bedenken, was Er zum Jairus sagte: fürchte dich nicht, glaube nur!

Wollen wir endlich ein auffallendes Exempel eines langen, mühseligen Beharrens und Verweilens, so ist es ohne Zweifel das des Kranken zu Bethesda, der ganze 38 Jahre in der dortigen Halle verweilte, obschon sich alles vereinigte, ihn in die äußerste Ungeduld zu stürzen; er blieb, und hatte großen Lohn davon. Was aber das allerbeste ist, so blieb und verweilte unser Jesus so lange in den Leibes- und Seelenmartern des Kreuzes, bis der ganze Kelch geleert war, und er sagen konnte: es ist vollbracht!

In dieser Lagerstätte zu Tharah ist also auch gut sein. Kindlein, bleibt bei ihm. Reimt sich diese Übersetzung des Namens dieser Lagerstätte sehr wohl zu der vorhergehenden Thahat, Stellvertretung: so tut's die andere nicht weniger, da er durch Anwehen der Luft oder des Geistes, durch Luftschöpfen und dadurch entstehende Erquickung gegeben wird. So ließ Mardachai (Esther 4,14) dieser seiner Nichte sagen: wenn du jetzt schweigst, so werden die Juden Luft schöpfen, und durch irgend ein anderes Mittel, als durch dich errettet werden; oder wie unsere Übersetzung sagt: es wird ihnen Hilfe und Errettung entstehen. Und von wo aus weht die rechte Lebensluft, als vom Kreuze Christi; was gewährt einen freiern Atemzug, als eben das? Das, was daselbst geschieht, führt, wie David Ps. 18 sagt, in einen weiten Raum.

Das liebliche Anwehen der Luft, und daraus entstehende freie Atemschöpfen, setzt Beklemmung, erschwertes Atmen voraus, sei es, dass dies von einer schwülen und dicken Luft herrühre, oder von den fehlerhaften Gefäßen der Lunge. Es ist etwas äußerst beschwerliches. Atemnot gehört zu den allergrößten Nöten und Übeln und welche daran leiden, sind in hohem Maß bemitleidenswert. Ein unbeschwerter Atem gehört zu den größten göttlichen Wohltaten. Aber wie wenig wird ihm dafür gedankt! Welche Undankbare und Sünder sind wir schon um dieser Einen Ursache willen. Und wie viele andere gibt's noch außerdem. Wenn man sagt, jeder Atemzug sollte ein Dank sein: so ist dies auch im eigentlichen Sinne nichts besonderes, sondern sehr billig und recht. Es kann aber ein Gläubiger bei diesen und andern körperlichen Leiden also innerlich unterstützt werden, dass es ihm wenig oder nichts macht.

Es gibt geistliche Beklemmungen, die noch empfindlicher sind. Da ist eine heiße, drückende Luft in der Geisteswelt. Der Teufel herrscht, nach dem wunderbaren Ausdruck Pauli, Eph. 2,2, in der Luft. Er hat allerlei im Sinne, 2. Kor. 2,11. Er kann jemand sichten, wie den Weizen, wie die Jünger; jemand binden, dass er nicht aufsehen kann, wie jene Tochter Abraham; kann mit Fäusten ins Angesicht schlagen, wie Paulum. Es gibt feurige Pfeile des Bösewichts. Er ist ein Verkläger. Er kann also freilich im geistlichen die Luft verderben, dass schwer darin zu atmen ist; mit andern Worten: er kann allerlei Beklemmung und Beängstigung zuwege bringen. Gewiss war dem Hohenpriester Josua beklommen zu Mute, als der Satan, nach Sach. 3, zu seiner Rechten stand, ihn zu satanieren, ihm zu widerstehn.

In dem Luftkreise Sinais, d. i. des Gesetzes, atmet sich's auch schwer. Im Gesetz ist keine Rast noch Ruh mit allen seinen Werken. Das, was es predigt, ist herrlich, aber schrecklich, denn es predigt die Verdammnis, 2. Kor. 3. Es tötet. Es deckt nur die Sünde auf, und zeigt den damit verwirkten Fluch. Unter demselben ist alles, was mit demselben umgeht. Je eifriger sich jemand mit der Erfüllung der Forderung dieses von keiner Barmherzigkeit etwas wissenden Gesetzes beschäftigt, desto tiefer blickt er in den Abgrund des Elends und der Sünde, worein er versenkt ist, und in die bodenlose Ohnmacht, worin er gefangen liegt. Wir sterben schrien die Kinder Israel am Sinai. O! ich elender Mensch! ruft der nach dem Gesetz unsträfliche Paulus, und Luther schreit:

Die Angst mich zum Verzweifeln trieb,
Dass nichts als Sterben bei mir blieb,
zur Hölle musst ich sinken.

Hie ist kein Tharah, kein Luftschöpfen, sondern Gefahr, in dem Schwefel zu ersticken. Die Majestät und Heiligkeit Gottes, wenn sie uns Sündern nahe kommt, bildet auch eine solche Stickluft für Sünder. Wer uns rein ist, bleibt nicht vor dir. In dieser Gewitterluft überfiel Taniels Gesellen, obschon sie nichts sahen, ein solcher Schrecken, dass sie flohen und sich verkrochen, und er selbst sank kraftlos nieder auf sein Angesicht zur Erde, Dan. 10. Petrus konnte es in dieser Luft bei Jesu selbst nicht aushalten, sondern fiel zu seinen Füßen nieder und schrie; und der heilige Prophet rief ja aus: wehe mir, ich vergehe! und warum? ich bin unreiner Lippen. Mehrenteils ist der Stand der ersten Buße ein solcher beklemmter Stand. Paulus schlief nicht, aß nicht, trank nicht, und weinte nur, zitterte und bebte. Davids Gestalt verfiel vor Trauern, die Angst seines Herzens war groß, seine Sünden ergriffen ihn, dass er nicht sehen konnte, sie umgaben ihn wie Bienen, deren jede mit einem giftigen Stachel bewaffnet, ist, ihm den Untergang drohte, und deren Zorn mit der Mühe wuchs, sie zu verscheuchen. Da fragt man: ist noch ein Weg, dass ich selig werde? und welcher? Wer kann, wer wird mich elenden Menschen erlösen? - Wir sagen nicht, dass es so gehen müsse, wir sagen nicht, dass es immer so gehe, wir sagen nur, was meistens geschieht. O! wie schwer ist es alsdann, einige Luft des Trostes, der Zuversicht, der Hoffnung zu schöpfen.

Ein solcher Stand der Beklemmung ist das böse Stündlein der Anfechtung. Da will der schmachtenden Seele keine Sonne mehr scheinen, das erquickliche Licht nicht mehr scheinen. Dieser Zustand wird ein Ofen des Elends, ein Gehen durchs Feuer genannt. Wer mag darin frei atmen? Was man sonst so deutlich einsah, ist jetzt umwölkt, und man sieht sich außer Stande, von den Heilswahrheiten den angenehmen Gebrauch und die heitere Anwendung auf sich selbst zu machen, die einem sonst zu Dienste stand, und worin man fröhlich war. Ja sie, die sonst so rund waren, bekommen Stacheln und Ecken, ihr Saft vertrocknet, wie wenn es im Sommer dürre wird. Das Börnlein der Friedensgabe rinnt spärlich, das Zeugnis des Geistes wird leise, und seine Frucht versteckt sich. Der Glaube, das freudige Vertrauen bekommt harte Stöße, und wie er sonst der Sieg war, der die Welt überwand, gestaltet er sich jetzt zu einem heißen Kampfe, dem der Sieg streitig gemacht wird. Die neue Kreatur, sonst so kräftig und rege, wird von ihrem Widerpart heftig angefallen, und allerlei Klagelieder wollen den Freudengesang überstimmen. In der Weise geht's auch zuweilen her in dieser Wüste, so dass auch eine der folgenden Lagerstätten ihren Namen von einem engen Loch hat.

Diesen beengten und bedrängten Zustand nun stellt sich diese Lagerstätte lieblich entgegen, da sie auf ein Anwehen der Luft deutet, und auf eine daraus entspringende Erfrischung, und ein freies Luftschöpfen ja selbst Ruhe bezeichnet. Wie angenehm ist es schon im Natürlichen, wenn sich nach schwülem Wetter ein kühlendes Lüftchen erhebt. Wie gern gibt man sich demselben hin, und atmet's in tiefen Zügen ein. Wie fühlt man sich so gestärkt und an allen Sinnen belebt. Wie wohl ist vollends solchen Kranken, welche an Atemnot leiden, wenn ein Anfall davon wieder vorüber ist; dann ist ihnen, als fehle ihnen nichts mehr.

Etwas Ähnliches, aber viel Herrlicheres, gibt es im Reiche Gottes. Auf der, im Ganzen mühsamen Reise nach Kanaan, gibt's auch manche Tharahs. Der heilige Geist ist die Luft, der Odem des Lebens, und wenn der Herr den auslässt, verjüngt sich, wie der 104te Psalm sagt, die Gestalt der Erde und des Herzens. Die verdunkelnden Wolken weichen, und das Thahat, die Stellvertretung des Kreuzes und der ganzen Geschichte Christi, leuchtet in ihrer eigentümlichen, dem gebeugten Sünder so angemessenen und erfreulichen Glorie und Herrlichkeit. Die Seele bekommt Luft, sie bekommt Mut und Atem, um zu fragen: wer will verdammen? Christus ist hie, der gerecht spricht. Jetzt wird der Atemzug des Glaubens, der Anwendung und Deutung dieser Heilsgeschichte auf sich selbst und seine Fallsgeschichte frei, tief, unbeschwert. Und was hat man nun noch weiter zu begehren. Sagte Jakob: ich habe genug, dass mein Sohn Joseph lebt - in einem viel höhern Sinne sagt man nun im Glauben; ich habe genug, dass mein Jesus lebt.

Dieses Anwehen der Himmelsluft, der Luft von Bethlehem und Golgatha und dem Ölberg her, hebt den, in der Beklemmung der Buße Ächzenden aus den Schrauben, und zeigt ihm eine Fülle des Heils, die seine Bedürfnisse unendlich übersteigt, und wäre er von den Mördern noch viel ärger zugerichtet als jener, der hinabging von Jerusalem nach Jericho. Er muss selber sagen: warum sollte ich doch im geringsten zweifeln, warum nicht aus aller Macht glauben, und hätte ich allein der halben Welt Sünde auf mir, und alle Teufel wider mich. O! welch eine herrliche Luft! Welch ein Atemholen. Schöpft nun, heißt es, und alles Wasser ist Wein geworden.

Dieses Anwehen der Luft aus Salem stellt den Angefochtenen wieder ins Freie, und er sieht mit Anbetung und Freude, dass zwischen seinem himmlischen Vater und ihm, durch Christum in Kraft des heiligen Geistes, noch alles beim vorigen und in Richtigkeit ist.

Jesus spricht: ich bins! und alles Gespensterartige und Furchterregende löst sich in Dank und Friede und vermehrtes Vertrauen auf. Wie regt sich nun die Liebe samt der ganzen Frucht des Geistes, obschon die entzückte Seele viel zu viel mit Jesu selbst zu tun hat, als dass sie darauf sonderlich achten könnte. Aber wie wohltuend ist es, dass die Hemmungen des alten Feindes einmal zu Füßen liegen. Wie ist der Atem so frei im Annehmen aller Verheißungen, in der Zuversicht einer beständigen Bewahrung, im Gebet, in Danksagung, in Fürbitte. Waren es sonst nur ängstlich ausgestoßene und kurz abgebrochene Stoßseufzer, so beschäftigt sich jetzt das Herz stets mit Jesu, und sein Beten ist Genießen.

O, tröstliches Tharah! O, liebliches Anwehen der Luft des Geistes Jesu Christi. Komm, du Südwind, und durchwehe meinen Garten, damit seine Würze triefen. Das gibt eine Erfrischung, der sonst nichts beikommt. Mit erfrischtem und neubelebtem Mut setzt man dann seinen Fuß weiter, mag's auch durch dürre Wüsten gehn.

Wenn mir mein Herz, o Gnadenfüll',
Vor Durst nach dir verschmachten will,
So lass mich dich zum Labsal finden.
und wenn ich schließ' die Augen zu,
So bring' mich zu der stolzen Ruh',
Da Streit und alle Müh' verschwinden.
Lass mich ja sein in Abrams Schoß
Dein Liebling und dein Hausgenoss.

Getrost geht man neuen Leiden entgegen, greift wieder mutig zu den Waffen, und wagt's auf den Gott Amen hin.

Es ist eine Lager- nicht eine Wohnstätte. Es kommt immer wieder anders und anders. Von hier geht's nach Mithka, auch eine angenehme Lagerstätte, zu deutsch: Süßigkeit. Bald darauf folgt Moseroth, Bande, Züchtigung. Es heißt auch zu uns, wie zu dem Prophet: nimm Wandergeräte!

O, was wird's sein, wenn endlich das rechte und ununterbrochene Anwehen der Luft, das ewige, stille, sanfte Säuseln sich erhebt, worin der Herr selbst ist! Wenn jegliche Hemmung und Beklemmung auf ewig weicht! - In dies Friedensland erhebe und trage uns der Wind vom Herrn, um der Stellvertretung Christi willen. Amen.

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