Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Fünfte Predigt.

Gehalten den 17. Oktober 1858, abends.

Gesang vor der Predigt.

Psalm 66, Vers 4 und 5.

Rühmt, Völker, unsern Gott! lobsinget,
Jauchzt ihm, der uns sich offenbart!
Der uns vom Tod zum Leben bringet,
Vor Straucheln unsern Fuß bewahrt.
Du läuterst uns durch heißes Leiden
Das Silber reiniget die Glut
Durch Leiden führst du uns zu Freuden;
Ja, alles, was du tust, ist gut.

Du hast uns oft verstrickt in Schlingen,
Den senden Lasten angehängt;
Du ließest Menschen auf uns dringen,
Hast rings umher uns eingeengt.
Oft wollten wir den Mut verlieren
fm Feuer und in Wassersnot,
Doch kamst du, uns herauszuführen,
Und speistest uns mit Himmelsbrot.

Text: Psalm 118, Vers 18.
Der Herr züchtigt mich wohl, aber er gibt mich dem Tod nicht.

Meine Geliebten! Es ist nicht mit der Spekulation zu erfassen, was von Gott und von seinem Tun ausgesagt ist. Die Hauptsache ist und bleibt für den Armen und Elenden, dass er dessen gewiss werde: Der hohe Gott, den die Himmel der Himmel nicht umfassen, der Ewige, der in einem Licht wohnt, da niemand zukommen kann, der Allmächtige, - dieser Gott sei sein Gott, und er, der Arme, sei von diesem Gott in eine so treue und vollkommene Sorge und Pflege aufgenommen, als wäre er allein in dieser Welt. Dadurch wird die Bruderliebe nicht aufgehoben, sondern vielmehr gestärkt. Je mehr wir am Glauben des inne werden, dass der Gott dort oben unser Gott ist, um so mehr werden wir auch des inne, dass die Wege dieses Gottes ganz andere Wege sind, als wir sie uns vorstellen, dass seine Gedanken ganz andere sind als die unsrigen, dass er aber seine Wahrheit und Treue hält, wenn wir auch für den Augenblick es nicht verstehen.

Der Fürst dieser Welt ist eigentlich nicht der Teufel; er hat das Sichtbare nicht wirklich in seiner Macht, aber er umstrickt und bezaubert uns damit, als hätte er es in seiner Macht. Wie wir nun Fleisch und Blut haben, so wollen wir stets, dass es uns nach den Gedanken von unserem Fleisch und Blut gut gehe; aber wenn uns Gott unsere Wege gehen ließe, so würden wir bei all unserem Wahn von Glauben doch zu guter Letzt mit unserem Fleisch und Blut umkommen. Da schickt nun der Herr Gott das Kreuz; wie die Fürsten ihren treuen Dienern ein Kreuz, ein Ehrenkreuz oder einen Stern verleihen, also schickt Gott den Seinen das Kreuz. Wir wissen, dass der Herr Jesus gesagt hat: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme das Kreuz auf sich und also folge er mir nach!“ (Luk. 9,23.) Die Krone der Gerechtigkeit, welche wir dereinst tragen werden, sollen wir hier zuerst tragen als eine Dornenkrone. Es hat aber etwas Scharfes und Hartes, ich möchte sagen, etwas Schmähliches an sich, in Trauer gehen zu müssen, leiden und das Kreuz tragen zu müssen. Das Weltchristentum bleibt Christentum, so lange das Glück ihm scheint, so lange dabei etwas zu erwarten, zu holen und zu gewinnen ist. Aber nicht leitet Gott der Herr die Seinen also, dass sie dem Äußeren nach etwas finden, sondern also leitet er sie, dass sie nichts zu rühmen haben; sollen sie aber rühmen, bann ja, wer versteht's? - dann rühmen sie sich ihrer Schwachheit, ihrer Versuchung und Anfechtung, eben in dem Leiden; denn alles dieses ist zwar das Gegenteil, das Widerspiel dessen, was Gottes Wort zu sagen und zu verheißen scheint, und dennoch kommt es alles recht aus, so dass wir am Ende Gott doch so verstehen, wie er es gesagt hat.

So ist es auch in Psalm 118. Da haben wir erst den Ruhm in Vers 16: „Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg“. Bei solchen Worten möchte man so äußerlich denken: Da komme ich hoch zu sitzen! Aber das Umgekehrte ist der Fall. Wo dies nach Wahrheit gesungen wird, liegt man selbst zu Boden; man hat die Schlacht verloren, und befindet sich in äußerster Not; alle Hilfe des Sichtbaren ist abgeschnitten, es ist alles weg, aber gerade da offenbart sich die Stärke Gottes: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen“. Wenn nun auf jenem Dampfschiff, das kürzlich mit fünfhundert Passagieren auf offenem Meere verbrannte, einer gewesen ist, welcher diesen Psalm und diese Worte zu seinem Halt gefunden hat, wie mag er sie ausgelegt haben, als er vor sich nur das Feuer einerseits und andrerseits nur das offene Meer hatte? Es mag ja erlebt werden, dass man die Wunder Gottes erfährt in allerlei Errettung, dass man vom Tod in verschiedener Gestalt errettet wird, und so werden denn diese Worte in mannigfaltiger Weise als Wahrheit sich herausstellen; aber wenn man auch zehnmal vom Tod errettet worden ist, nachdem man den Tod vor Augen gehabt hat, so tritt er am Ende doch noch so an einen heran, dass man wirklich sterben muss, und wo der Gläubige alsdann den hundertachtzehnten Psalm bekommt, dann sagt er dennoch: „Ob ich auch sterbe, so sterbe ich doch nicht! Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen!“ - Das war mit unserem Herrn Jesu Christo auch der Fall; denn da er diesen Psalm sang, hatte er den Tod vor Augen, da hat er bald nachher mit dem Tod gerungen, ist darauf um unsertwillen gestorben auf Golgatha, und gerade da sind diese Worte ihm eine Stärkung gewesen, um über den Tod hinweg und durch den Tod hindurchzukommen.

Ich möchte aber gern dem Teufel und der Welt auch Antwort geben, wenn sie mir die Züchtigungen und Demütigungen des Herrn vorhalten. Nun, das geschieht mit den Worten: „Der Herr züchtigt mich wohl, aber er gibt mich dem Tod nicht“.

Es dachte einst jemand, der von Gott scharf gezüchtigt worden war, bei sich selbst: Ich bin kein Kind Gottes! Er saß wie Hiob auf dem Aschenhaufen, in tiefer Trauer; er hatte keinen Glauben mehr, konnte nichts mehr glauben, und ein anderer kam zu ihm, der trug einen feinen Rock, hatte viel Geld, von Not wusste er nichts, des Glaubens hatte er so viel, dass er dem andern noch hätte etwas davon mitteilen können, und er sprach: Wärst du gesund am Glauben wie ich, dann würde es anders mit dir aussehen! - Da wurde es diesem denn bange, bis er auf den dreiundsiebzigsten Psalm kam und daselbst von den Gottlosen las: „Sie sind nicht in Unglück wie andere Leute und werden nicht wie andere Menschen geplagt“. „Sie vernichten alles und reden übel davon, und reden und lästern hoch her. Was sie reden, das muss vom Himmel herab geredet sein; was sie sagen, das muss gelten auf Erden“. Damit wurde er denn getröstet.

Es ist hier die Rede von Züchtigung. Es ist eine Person da, welche sagt, dass sie gezüchtigt wird. Sie bekennt und verhehlt es nicht: „Der mich züchtigt, ist der Herr“, setzt jedoch ein „aber“ hinzu: „aber er gibt mich dem Tod nicht“.

Das Wort „züchtigen“ ist ein hartes Wort; es bedeutet eine Strafe, und zwar eine solche, wobei mit einem Stock oder einer Geißel gehauen wird, so dass es furchtbar weh tut und bis in's Innerste eindringt. Das Wort: „er züchtigt mich“ kommt hier im Hebräischen so vor, dass es eigentlich heißt: Er züchtigt mich hart, so dass es nicht aussieht wie eine väterliche Züchtigung, sondern vielmehr als hätte der Herr Gott mich dem Teufel und Henker übergeben.

Die Person, die das gesagt hat, ist zunächst unser Herr Jesus Christus, welcher in der Nacht, da er verraten ward, diesen Psalm gesungen und gesprochen hat; der spricht hier von Züchtigung, dass er also hart geschlagen und gegeißelt wird, - wie wir dasselbe Wort lesen bei Jesaja (53,5): „Die Strafe, die uns den Frieden bringen sollte“, oder: „Die Züchtigung unseres Friedens lag auf ihm, da er gestraft und gemartert ward“.

Wir haben hier in unserer Übersetzung: „Der Herr züchtigt mich wohl“, es ist also eine Verantwortung gegenüber den Feinden, die da kommen und sagen: Bist du ein Kind Gottes, ha, warum geht es dir denn also? Ach, meine Geliebten, wer nur einen Wahnglauben hat, ist im Leiden alsbald bei der Hand, um zu sagen: Ja, das steht auch im geschriebenen Wort, dass ich solches leiden muss! aber den Kindern Gottes dünkt das Leiden immer etwas Fremdes. Bist du ein Kind Gottes, sprach der Teufel zu dem Herrn, so sprich, dass diese Steine Brot werden; du hast ja vierzig Tage und vierzig Nächte fasten müssen! Und in dieser Stunde, der Stunde des letzten Leidens heißt es wiederum: Einer deiner besten Jünger ist hingegangen und hat dich verkauft, er wird nun bald kommen und dich überliefern; alle deine Jünger, die du drei Jahre lang treulich gelehrt hast, will ich in's Sieb nehmen und sie sichten, und es ist kein Einziger von ihnen, der auch nur ein Körnlein von Glauben und Liebe, oder von Verstand hätte, um zu erkennen dich und dein Tun, dein Leiden und Sterben; sie verstehen von deiner ganzen Liebe nichts. Und nun kommen Kaiphas, die Hohenpriester, alle Schriftgelehrten und Pharisäer heran: Bist du der Sohn Gottes? du wirst bald ringen mit dem Tod! da will ich doch sehen, ob du mit deinem sterblichen Leib den mächtigen Tod verschlingen wirst! Und so ging es weiter, so dass, wenn wir die Geschichte unseres teuren Herrn und Heilandes lesen, wir wohl sehen, dass Gott Vater ihn also übergeben hat, dass alle Mächte der Hölle und der Welt ihren Mutwillen an ihm auslassen konnten, und dass Gott Vater mit seiner ganzen Liebe, dem Gefühl nach, sich ihm entzogen und ihn verlassen hat, also verlassen hat, dass es fast unbegreiflich ist, dass die Hölle nicht den Sieg davon getragen. Nun ja, wir lachen in unserem Herzen und sagen: Es war etwas in ihm, so dass der Teufel es unmöglich konnte fertigbringen. Das ist wahr, aber es ist auch wahr, dass Gott Vater ihn preisgegeben hat der Macht und Wut des Teufels, ihn dahingegeben und wie den Propheten Jona in den Rachen des Ungeheuers hat werfen lassen.

Unser teurer Herr und Heiland hat dieses alles ohne Sünde überstanden (Ebr. 4,15); es kommt ihm nicht in den Sinn, diese scharfen Ruten- und Geißelschläge anzusehen, als kämen sie von der Hand des Teufels und der Hölle; sondern wo alle Teufel und die ganze Macht der Hölle und der Welt ihn umringen, da sieht er auf die Hand des Vaters und spricht: Der mich züchtigt, ist der Herr. Wenn er aber sagt: Es ist der Herr! so meint er das nicht so, dass er denkt: Das sind Schläge für meine Sünde! nicht so, dass er denkt: Gottes Zorn ist über mich losgebrochen zu meinem Verderben! sondern also: Der mich züchtigt, ist der, welcher Raum macht, er ist selbst Raum; der mich züchtigt, ist,1) - er ist mir nahe mit seiner Hand; ob sie mich auch jetzt schlägt, so ist sie dennoch in diesen Schlägen ausgestreckt, mich zu erretten und in die ewige Seligkeit hinüberzuführen. Darum lässt der Herr Jesus in diesem Psalm folgen: „Er übergibt mich nicht dem Tod“. Nicht? Das ist ja nicht wahr! Heißt es denn nicht ausdrücklich: Er hat seines eingeborenen Sohnes nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben? Heißt es doch: Er ist gehorsam gewesen bis zum Tod, ja bis zum Tod des Kreuzes! Es ist also Gottes Wille und Ratschluss gewesen, seinen Sohn dem Tod zu übergeben, der Tod sollte ihn ja in seine Macht bekommen; und nun heißt es hier: Er gibt mich dem Tod nicht! In der geißelnden Hand fühlt er also die Vaterhand; er weiß, ob es auch zum Tod geht, so geht es doch nicht zum Tod, vielmehr: durch den Tod geht es hindurch zum Leben!

Dieses Wort „aber er gibt mich dem Tod nicht“ ist ein frohes Bekenntnis des Glaubens an die Auferstehung des Fleisches und der lebendigen, untrüglichen Hoffnung ewigen Lebens. Es ist gesagt gegen das Widerspiel an; denn die Schrecken des Todes und der ewigen Verdammnis oder unseres Fluches hat der wohl erfahren, der ein Fluch wurde für uns. Aber trotz all dem hat unser Herr Jesus Christus es bekannt: Der Vater gibt mich dem Tod nicht, er überlässt mich nicht dem Tod! Er wird nicht zulassen, dass, ob ich wohl sterbe, der Tod mich also in seine Macht bekommt, dass er mich ewig halten kann. Es ist unmöglich, dass ich vom Tod sollte gehalten werden; Gott wird die Schmerzen des Todes auflösen, er wird mich auferwecken (Apostelgesch. 2,24.) In demselben Sinn spricht auch der Herr im 16. Psalm: „Das Los ist mir gefallen aufs Lieblichste, mir ist ein schönes Erbteil geworden“, d. i. ich gehe durch den Tod zum Vater, um alles zu ererben, was sein ist. „Ich lobe den Herrn, der mir geraten hat“, nämlich geraten hat, zu dem Tod zu sagen, dass der Herr mächtiger ist mit seinem Leben denn der Tod mit all seiner Gewalt. „Auch züchtigen mich meine Nieren des Nachts“, das ist: in dieser Nacht, Finsternis, Grausen und Schrecken des Todes stachelt mich die Liebe Gottes, ihn für wahrhaftig, gut und treu zu halten. „Ich habe den Herrn allezeit vor Augen“, wenn ich auch den Tod vor Augen habe; „denn er ist zu meiner Rechten“, so hilft er mir gegen alle Todesgewalt. „Darum werde ich wohl bleiben“, ob mich der Tod auch will wanken machen und mich zu verschlingen droht. „Darum freut sich mein Herz“, wenn auch mit Zittern, „und meine Ehre ist fröhlich“, meine Zunge tut davon ein freudiges Bekenntnis gegen den Tod an, - „auch mein Fleisch wird sicher liegen“, der Teufel wird meinen Leib nicht rauben können; „denn du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen“, ob es schon bis so weit mit ihr kommt. „Du tust mir kund den Weg zum Leben“, du lehrst mich festiglich glauben ein ewiges Leben; diese Nacht des Todes wird bald der Lebenssonne weichen müssen; dann geht das Schauen an, und ich sehe dich, Angesicht an Angesicht. Bald ist kein Tod mehr, auch keine Angst und Betrübnis der Seele mehr, keine Träne mehr: „vor dir ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zu deiner Rechten ewiglich“.

Da unser Heiland dieses sang, sangen seine Jünger es mit, und er sah dabei gewiss auf sie, die solches sangen, aber noch nicht verstanden. Er wollte aber durch seinen Geist ihnen das rechte Verständnis beibringen. Darum sang und tat er es ihnen vor, und sprach solches im Glauben und in der Hoffnung aus, auf dass sie, und wir alle, die durch ihr Wort an ihn glauben würden, auch in der schrecklichsten Not und bei den entsetzlichsten Leiden der Seele und des Leibes, wo wir den Tod in grausamster Art vor Augen haben, es ebenfalls wissen und bekennen: Der Herr züchtigt mich wohl, aber er gibt mich dem Tod nicht.

Es ist dies alles nur darauf abgesehen, mir die unvergängliche Krone zu verschaffen; es ist alles darauf abgesehen, mich, während er mir das Fleisch mit Fetzen vom Leib schlagen lässt, in die ewige Herrlichkeit hinüberzubringen. Nein, ob er mich auch also schlägt, dass es ist, als ob er mich in die Hölle werfen wollte, - o ihr Teufel alle sollt mich doch nicht haben! es kommt von seiner Hand; er schlägt mich nicht, um mich auf ewig von sich zu stoßen, vielmehr um mich auf seinen Schoß zu nehmen, um an sein Herz mich zu ziehen, um mich ihn schauen zu lassen im ewigen Licht. Ob er mich auch scheinbar zur Hölle fahren lässt, er lässt mich doch nicht zur Hölle fahren; und ob er mich auch dem Buchstaben nach in den Tod dahingibt, so gibt er mich doch nicht dem Tod, dem ewigen Tod gibt er mich nicht.

Meine Lieben! Das ist die rechte Meinung dieser Worte. Lasst uns einmal dies sehen, allererst an allen, die um des Zeugnisses willen von Menschen getötet worden sind. Sie gingen auf den Scheiterhaufen, boten ihr Haupt dem Schwert dar, nachdem sie zuvor fürchterlich misshandelt worden waren, und sangen diesen Psalm: „Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg. Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen!“ Und indem die Flammen sie umwogten, sangen sie: „Er übergibt mich dem Tod nicht!“ Könnt ihr mir sagen, wo sie Weib und Kinder ließen, Haus und Hof und alles, da sie um des Zeugnisses willen enthauptet oder verbrannt wurden?

Es ist dies ein Psalm für Arme und Elende, ein Psalm in der Nacht. Durch das eine Fenster fliegt eine Not herein, durch das andere Fenster eine neue Not; durch die Tür dringt der Tod, - Gott weiß woher! Die Angst und Beklemmung ist so groß, dass auch nicht ein Seufzer mehr aus dem Herzen aufsteigen kann; und der Teufel bedient sich dieser Not, dass die Seele ersticken möchte, und sie kann kaum mehr aufatmen in dieser Nacht, dass sie am Leben bleibe. Was soll man da sagen? Es ging allen Kindern Gottes nicht anders, allen Heiligen ist es nicht anders gegangen. Arme Sünder, wie sie sind, steckt es ihnen dennoch immerdar im Kopf, eine feste Burg bauen zu wollen; arme Sünder, wie sie sind, wollen sie immerdar hienieden ihr sichtbares Zelt ausbreiten, wollen dem Buchstaben nach fruchtbar sein, Häuser bauen und sich segnen; aber Gott - er gibt der Welt ihren Willen nicht, so dass ihre Arbeit ihr nicht gelingt und sie nichts hat als gemalte Gräber und Eitelkeit, seinen Kindern jedoch wird er es noch viel weniger geben, es muss alles in die Rappuse2) hinein. Ich sage nicht, dass sie auf ihre Leiden sich etwas zu gute tun sollen; das möge den Schwärmern einfallen, aber nicht den nüchternen Gläubigen; vielmehr sind diese niedergeschlagen und gebeugt bis zum Abgrund, sie begreifen und verstehen Gott nicht mehr. Die Gelehrtesten in der Schule des Herrn sind stets die Dümmsten, wenn es drum geht, dem Tod Jesu ähnlich zu werden, auf dass sie auch dem Leben und der Herrlichkeit Jesu ähnlich werden. Das entnehmen wir diesen Worten, dass es wohl wahr ist: „Die in Salems Mauern wohnen, zeigen ihre Dornenkronen“. Selig werden wir aus Gnaden, und unsererseits kommt nicht ein Seufzer, nicht eine Träne in Rechnung; es ist alles Gnade, es ist alles mit dem Blut Jesu fertig gemacht. Aber Gott kennt unsere Herzen wohl. Entweder für dich ein ewiges Feuer oder jetzt eine zeitliche Glut; entweder ewiglich brennen, wie die Welt, mit allen Teufeln in der Hölle, oder du hast durch das Feuer zu gehen, durch welches Gott die Seinen führt, dass sie von

Je mehr du an ihm hängst, je treuer du zu ihm dich hältst, je mehr du alles für ihn in die Schanze schlägst, um so schärfer nimmt er dich unter seine Rute. Das ist auch den Heerführern so eigen; diese haben so ihre alten gedienten Soldaten, die schicken sie wohl mitten in's heftigste Feuer hinein. Das nimmt so ab und nimmt zu. Ich habe schon oft gedacht, es würde einmal aufhören mit all der Trübsal hienieden, habe ich doch schon so viel gelitten, aber nein, es wird nicht aufhören, bis der letzte Atem ausgehaucht ist. Fortwährend geht es wieder in's Feuer hinein. Wir können dabei aber aus uns selbst nicht einen Augenblick bestehen, sondern unser abgesagter Feind, der Teufel, hört nicht auf, uns tagtäglich anzufechten; denn es kann kein Mensch das Glück ertragen. Wir sehen dies auch an Abraham, an Jakob, an David und an so vielen; so lange sie hienieden gelebt haben, hat die Hölle nicht aufgehört, sie anzufechten und alle ihre guten und schönen Sachen in Brand zu stecken. Gott Vater hat nicht aufgehört, mit der Rute hinter ihnen her zu sein, denn es ist ein untreues Volk, es hat ein Hurenherz, immer wieder sind sie von dem lebendigen Gott ab, immer wieder haben sie ihre Püppchen, mit denen sie spielen wollen, und ziehen sich immer wieder ein Kleid an, das wahrlich nicht das Hochzeitskleid ist. Wir möchten so gern nach der Weise und Meinung der Welt, der gläubigen christlichen Welt, der Gottlosigkeit, welche Frömmigkeit heißen soll, einhergehen; aber wenn der Herr uns gnädig ist, dann geht er uns mit väterlicher Treue nach, und macht uns ärmer und ärmer, mehr und mehr schwach, bis wir am Ende nichts mehr können. Das ist Gottes Weg. Wenn er uns auch wohl ein Weilchen die Sonne scheinen lässt, - ist er uns gnädig, so wird es doch keinem an einem Kreuz fehlen, er sei arm oder reich. Und wäre es nur allein die schreckliche Not, worin die Kinder Gottes sich befinden, worin sie dem Sichtbaren nach das Widerspiel von all den Verheißungen Gottes erblicken, es ginge noch an; aber eben da kommt noch allerlei Lust auf, es steigen Sünden auf, die man vorher nicht gekannt, der Teufel ist hinter einem her mit allerlei Versuchungen und Zweifel, Not und Dunkelheit. Wer es aushält, der hält es aus, ein Kind Gottes gewiss nicht, das sinkt zu Boden. Es muss in's Wort hinein. Da findet es denn die Züchtigungen; da findet es, wie die Kinder von jeher von dem Vater gegeißelt worden sind, da findet es Stoß auf Stoß, Stich auf Stich. Ach, wenn es da so schwarz und dunkel wird, und man des Nachts sein Bett schwemmt mit Tränen, wenn alle meine Gebete unerhört bleiben, so wenigstens, dass ich nichts von Erhörung merke; wenn ich so viele Verheißungen habe und sehe alle in's Grab gehen, - wo ist dann Gott? Ist er dann noch mein Gott? Ist er noch mit mir auf dem Plan? Wer kann all das menschliche Elend, das Elend eines Kindes Gottes, das schreckliche Leiden, das es leiden kann, namentlich seiner Unheiligkeit wegen, und dass es nicht glauben kann, - wer kann es beschreiben? Und da liegt der Mann heute oder morgen auf dem Siechbett3) und sieht den Tod vor Augen, was kann da ein Mensch nicht namenlos leiden? Was leidet nicht ein sterbendes Kind, dass es ein Jammer ist, es anzusehen! Ich spreche hier nicht mal von Krankheit, womit man sich Jahre lang herum geschleppt hat, sondern davon, dass einer auf dem Sterbebett liegt, und nun kommen die Züchtigungen, die Geißelschläge, die schweren Anfechtungen; dann kannst du nicht mehr sprechen von Gottes Gnade, es sei denn dass Gott es dir gibt; dann kannst du dich nicht mehr daran halten, dass du gerecht bist vor Gott, dass du Vergebung der Sünden hast. Freilich, wenn die Sonne scheint, wenn es uns gut geht, dann können wir Gott nicht genug danken und jubilieren; aber wenn er uns hinwirft, uns schlägt und züchtigt, bald am Leib, bald an der Seele, bald an den Unsrigen, was dann? Was haben wir da für eine Antwort dem Feinde zu geben?

Was sagt denn der Feind? Er sagt: „Höre nur auf! Dein Glaube ist eitel! Es hilft dir alles nichts! Segne Gott und stirb!“ Was sagt er? „Das hast du für deine Sünde! kannst du dich noch erinnern, da und da? Da schickt Gott dir jetzt diese Krankheit, und du kannst wohl sehen, dass er dir nicht gnädig ist, sonst würdest du nicht so daniederliegen, sonst würde Gott dich nicht so schlagen, nicht so in dich einschneiden, wie er jetzt tut“. Was soll nun ich, ich armer schwacher Mensch, antworten? Dass ich geschlagen bin, ja, das ist wahr! Dass Gott tief in mich eingeschnitten hat, das ist wahr! Dass ich es verdient habe mit meinen Sünden, das bekenne ich, und wenn er mich noch mehr heimsuchen will, so habe ich es verdient, aber sollte er mich auch töten wollen, so will ich dennoch auf ihn hoffen. Denn dass er dies tue in der Meinung, mich in die Hölle zu stoßen, das lasse ich dir nicht gelten, du Teufel! Wenn das seine Absicht wäre, dann ließe er mir all das Meine, dann würde er mir noch vollauf Geld und Gut dazu geben, dann gäbe er mir volle Gesundheit, dann würde er mich mit Ehre vor der Welt überschütten, dann würdest du nicht kommen mit deinen Anfechtungen, dann würdest du mir vielmehr predigen von bequemem Leben, meiner Lust zu folgen und mit Singen und Springen in den Himmel einzugehen; das würdest du Teufel predigen. Aber nun Gott nicht niederschlägt und in die Hölle bettet, habe ich eben darin den Beweis, dass er mein Gott und gnädiger Herr ist; aber er überlässt mich nicht der Hölle, er überlässt mich nicht dem Tod; ich bin darin, und ich hätte es verdient, darin gelassen zu werden, denn ich habe keine Gerechtigkeit und Heiligkeit; aber wenn ich auch alle Gerechtigkeit hätte, so würde ich mich doch damit wieder versündigt haben, dass ich es kaum glauben kann, es sei seine väterliche Hand, die mich schlägt; ich würde mich damit wieder versündigt haben, dass ich es kaum auf meine Lippen nehmen und aussprechen kann, die Worte: „Es sage nun Israel, dass des Herrn Güte ewig währt“. Dennoch aber sollst du nicht recht haben; denn eben an dem Schlag, an dem so scharfen Schlag, eben daran erkenne ich, worauf es bei ihm abgesehen ist, dass du, Tod, mich nicht halten, dass du, Hölle, mich nicht haben sollst, sondern umgekehrt: gibt er mich nicht hin in die ewige Verdammnis, so glaube ich das gerade Gegenteil: so gibt er mir die ewige Herrlichkeit! und ich bleibe dabei: eben in aller Demütigung und Züchtigung, während wir uns beugen unter Gottes väterliche Hand, auf dass er uns erhöhe zu seiner Zeit, wird er unsere Parole wahr machen: Wir kommen nicht um! Denn also spricht der Apostel: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal, oder Angst, oder Verfolgung, oder Hunger, oder Blöße, oder Fährlichkeit, oder Schwert? In dem allem überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat; denn ich bin gewiss, dass weder Tod, noch Leben, weder Engel, noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges, noch Zukünftiges, weder Hohes, noch Tiefes, noch keine andere Kreatur, mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn“.

Amen.

Schlussgesang.

Lied 82, Vers 5.

Gott Vater, o mein starker Held!
Du hast mich ewig vor der Welt
In deinem Sohn geliebet.
Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut;
Er ist mein Schatz, ich seine Braut;
Drum mich auch nichts betrübt.
Eia, Eia!
Himmlisch Leben
Wird er geben
Mir dort oben.
Ewig soll mein Herz ihn loben!

1)
Vergl. Ebr. 11,6. und die Bedeutung des Namens „Jehovah“ -: Er wird sein, oder: Er ist. 2. Mos. 3,14.
2)
Plünderung, Beute, Raub
3)
Krankenbett
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