Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Erste Predigt.

Gehalten den 26. September 1858, Vormittags.

Gesang vor der Predigt.

Psalm 61,2-4.

Wollest meinen Fuß regieren
Und mich führen
Auf den hocherhabnen Fels!
Du warst stets in Angst und Grauen
Mein Vertrauen
Und mein Turm, Gott Israels!

Lass mich eine sichre Wohnung,
Schutz und Schonung
Finden, Herr, in deinem Zelt,
Wo mein Herz vor Angst und Sorgen
Sich verborgen
Unter deinen Flügeln hält.

Gott, auf mein Gelübde merkest
Du und stärkest
Immer mich mit deinem Heil.
O, wer deinen Namen ehret,
Dem gewähret
Deine Huld sein Erb und Teil.

Lasst uns, meine geliebten Brüder und Schwestern, aufschlagen und andächtig lesen

Psalm 118, V. 1-21.
Dankt dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währt ewiglich! Es sage nun Israel: Seine Güte währt ewiglich! Es sage nun das Haus Aarons: Seine Güte währt ewiglich! Es sagen nun, die den Herrn fürchten: Seine Güte währt ewiglich! In der Angst rief ich den Herrn an, und der Herr erhörte mich und tröstete mich. Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun? Der Herr ist mit mir, mir zu helfen; und ich will meine Lust sehen an meinen Feinden. Es ist gut auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen. Es ist gut auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Fürsten. Alle Heiden umgeben mich, aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen. Sie umgeben mich allenthalben, aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen. Sie umgeben mich wie Bienen, sie dämpfen wie ein Feuer in Dornen, aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen. Man stößt mich, dass ich fallen soll, aber der Herr hilft mir. Der Herr ist meine Macht und mein Psalm und mein Heil. Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des Herrn behält den Sieg! Die Rechte des Herrn ist erhöht! Die Rechte des Herrn behält den Sieg! Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen. Der Herr züchtigt mich wohl, aber er gibt mich dem Tode nicht. Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, dass ich da hineingehe und dem Herrn danke. Das ist das Tor des Herrn; die Gerechten werden da hineingehen. Ich danke dir, dass du mich demütigst und hilfst mir!

Zwischengesang.

Psalm 107, Vs. 4.

Er führt in Dunkelheiten
Sein Volk auf sicherm Pfad;
Er will sie selber leiten
Zur längst gewünschten Stadt.
Lass sie mit Lobgesang
Hoch seine Güt erheben,
Vor aller Welt ihm Dank
Für seine Wunder geben!

Unser hochgelobter Herr und Heiland, Jesus Christus, der, wiewohl er der Sohn war, doch an dem, das er litt, Gehorsam gelernt hat, und, also vollendet, eine Ursache ewiger Seligkeit geworden ist für alle, die geheiligt und in dem Ofen des Elendes auserwählt gemacht werden, er hat zu allen seinen Jüngern, keinen ausgeschlossen, gesagt: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach“. (Luk. 9,23). Es verleihe uns der Herr, - der von seinen Schafen rühmt, dass sie seine Stimme hören, - seine mächtige Gnade, auf dass wir durch das schwache Herz und das Einraunen des Teufels uns nicht bewegen lassen, uns wegzumachen von solch gnädiger und treulich warnender Stimme! Er hat nicht gesagt, der treue Herr, er hat nicht gesagt: „Wer mir vorgehen will“, als wollte er uns dran wagen, sondern: „Wer mir nachfolgen will“. Er geht voran und stellt es jedem, auch dem Elendesten, frei, ihm nachzukommen. Er stellt es jedem frei, ihm zu folgen, der in der Angst seiner Seele nicht weiß, wo sonst hin, - jedem, dem es um Worte ewigen Lebens, die Er allein hat, zu tun ist. Wo geht es hin? In die ewige Herrlichkeit. Er stellt es jedem frei, auch dem Elendesten, ihm nachzufolgen, und er geht voran. Da finden sich aber auf dem Weg schreckliche Fluten, da sind Tod und Grab, und du siehst die großen, die tiefen Wasser. Doch der Herr ist nicht der letzte, er ist der erste, durch die tiefen Wasser hindurchzugehen. Durch diese Wasser muss es hindurch der Sünde wegen; diese Wasser sind tief, und da kann ein Mensch nichts anderes vermuten, als: hier komme ich um! Der Herr geht aber voran, er nimmt alles auf sich, er will sich gleichsam von den Fluten ersäufen lassen, um aus ihnen wieder hervorzukommen und als der erste den Feind anzugreifen, der Schlange den Kopf zu zertreten und dann die Seinen einzuladen, dass sie auch ihre Füße setzen auf diesen zertretenen Kopf des Feindes. Darum sagt der Herr: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst“; er denke nicht an sich, wo er bleibe, - nicht an das, was sein Ich angeht, nicht an Fleisch und Blut, nicht an Weib und Kind, an Haus und Hof, an Hab und Gut, an dieses alles nicht. Es muss hindurch! Er verleugne sich selbst! Hinter mir her! Mir nach! Ich werde für alles sorgen! Halte fest an meinem Wort! Und nun ist das Kreuz, nun ist das Widerspiel stets von neuem da. Der Wahnglaube freilich, der steht fest; der wahre Glaube aber wankt, er kann nicht glauben und glaubt dennoch; aber man hat den untersten Weg zu gehen. Und will man rühmen ja, die Welt hat zu rühmen im Sichtbaren, aber der Christ rühmt sich der Trübsal, er nimmt sein Kreuz auf sich täglich und folgt dem Herrn nach. Es hilft nichts; dieser Herzog unserer Seligkeit geht in die Schlacht, und sein Diener mit; wie es dem Herzog ergeht, so auch seinem Diener; er kann und darf es nicht anders haben, er darf und soll die Blutfahne, das Kreuz, nicht abgeben. So zieht er seinem Heiland nach, durch ungebahnte Wege, durch tiefe Meere, durch Finsternisse hindurch. Da ist keine Sicherheit, auch nicht einen Augenblick, es sei denn, dass man auf des Herrn Wort achte -: „Mir nach!“

So, meine Geliebten, lesen und singen wir den hundertachtzehnten Psalm. Wir haben vom hundertdreizehnten bis zum Schluss dieses hundertachtzehnten Psalms Einen Lobgesang. Nun sollt ihr aber nicht allein mitessen vom Tisch des Herrn, sondern auch trinken den Kelch zu verkündigen seinen Tod, bis dass er kommt, den Kelch des Lobgesangs, womit wir danksagen. Diesen Psalm, meine Geliebten, hat unser Herr und Heiland mit seinen Jüngern gesungen in der Nacht, da er verraten ward. Er hat gesungen, nicht angesichts der Krone und der Herrlichkeit es wurde davon nichts gesehen - vielmehr angesichts des Todes und der Verlassenheit -: „Ich sterbe nicht, ich werde leben!“ „Das ist nicht wahr! nein, das ist nicht wahr. Du stirbst des andern Tags!“ heißt es nach dem Sichtbaren. - „Es ist dennoch wahr!“ spricht der Glaube.

Es ist nicht auszuhalten in dieser Welt. Für alle Weltkinder geht es eine Weile, bis dass die Genüsse und Lüste des Lebens ein Ende haben, - aber für ein Kind Gottes ist es nicht auszuhalten in dieser Welt; hinüber, zu Gott will es hin. Erst dann bekommt alles ein anderes Aussehen, wenn wir gewürdigt werden, einen, und sei es auch nur den geringsten Strahl zu erblicken von unserm Gott, der da wohnt im Heiligtum droben. Also lesen wir hier im fünften Vers: „In der Angst rief ich den Herrn an, und der Herr erhörte mich und tröstete mich!“ Wer sagt das? Er, der da gesagt hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“; er, der gesagt hat: „Ich will euch nicht Waisen sein lassen, ich komme wieder“. Er erzählt seinen Kindern in ihrer Angst von seiner Angst. „O, mein Herr und Heiland, bist du in solcher Angst auch gewesen?“ „Ja, mein Kind, um deinetwillen, um dich zu befreien, - und ich stecke augenblicklich noch in solcher Angst; denn wenn du leidest, so leide ich mit“. Ach, da liegt so mancher unter dem Grabstein und kann nicht heraus; zwischen zwei Felsen muss er hindurch und kann nicht; er wird gedrängt durch die Feinde, die hinter ihm her sind; und das Fleisch, das arme Fleisch, es wird zu Fetzen zerrissen an den scharfen Felsen; er kann nicht durch, der Atem geht aus! Es wird nichts gesehen von Gott und von Leben, vom ewigen Leben nichts, nichts von einer väterlichen Hand, sondern da steht man und bleibt stehen bei der Leiche, und kann nicht fort, bei der Sünde, und kann nicht weg. Und ach, alle Teufel fallen über den armen Menschen her - wo sind nun Gottes Verheißungen? wo seine vorige Gnade? Ist es das, was er mir versprochen hat? - Da wird lauter Zorn gesehen, lauter Sünde, lauter Umkommen; alles, alles schreit: Tod! Tod! - „In solcher Angst stecktest du, o mein teurer Herr und Heiland?“ „Ja, darin steckte ich für dich, so dass ich schrie: Angst ist nahe, denn hier ist kein Helfer! Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich heule, aber meine Hilfe bleibt ferne! Mein Gott, des Tages rufe ich, so antwortest du nicht, und des Nachts schweige ich auch nicht!“ Ach, die Verdammten in der Hölle mögen es besser haben, als ein Kind Gottes es oft hat in der Angst seiner Seele. Wer da weiß, dass er des Teufels ist, kann sich am Ende unter den Teufeln trösten; aber wer da weiß, dass er Gottes ist, und weiß sonst nichts mehr, wo soll der hin? Sünde, Teufel, Welt, Finsternis hasst er; allein geht er dahin und verlangt nach einem Stab; gib mir einen Stab, ein Wort vom Himmel, dass ich mich daran halte! Alles schweigt, und es donnert oben und blitzt; alles ist wie vom Feind niedergemetzelt und zerstört.

Wo ist der Herr? Ich weiß es nicht; ich suche ihn und kann ihn nicht finden; ich taste, ich greife nach ihm, aber kann ihn nicht ergreifen! Wo ist er? er, der doch mein Gott ist von alters her? mein Bundesgott, der geschworen: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen!“ (Jes. 54,10.) Wo ist er? ich muss ihn haben!

Da macht mich die Not gleich einer Kreisenden, dass ich muss anfangen in solcher Angst, in solcher Enge zu schreien zu dem Herrn. Zu wem? Zu dem, des Name dir gegeben wird in zwei Buchstaben1), in dem Buchstaben, welcher „Raum“ bedeutet, und in dem anderen Buchstaben, der „Leben“, „Errettung“ bedeutet. O, wo dieser Name kommt, da hat mein geängstigtes, wie eingeklemmtes Herz wieder weiten Raum bekommen! Nein, ich kann nicht mehr Raum wünschen, ich frage nicht nach Raum, aber ich möchte ihn, den Herrn, haben, dass Er Raum mir ist, auf dass der Tod und der Druck mir vom Herzen genommen sei, und ich wieder einatmen möge den Geist des Lebens von meinem Gott. - Ich rief also zu ihm, der da Raum ist, der Leben ist, der die Hand ausstreckt zu erretten, und es wurde noch mehr und mehr Nacht, finsterer und finsterer, so dass ich meinte, es sei aus und vorbei; und da eben hörte er! Ich suchte ihn, meine Seele suchte ihn und fand ihn.

Der Herr erhörte mich und tröstete mich. Er gab mir Antwort, indem er mich frug: „Hältst du mich für Raum?“ „Ja, Herr, wenn ich dich habe, dann habe ich Raum, dann atme ich wieder auf; wenn du deine Hand ausstreckst und dein Leben offenbarst, dann ist Errettung da! Ich bin nichts, ich kann nicht mehr leben, ich muss sterben in dieser Angst; aber wenn du kommst, dann müssen die Felsen weichen und auseinanderbrechen, dann muss der Stein vom Herzen ab, und ich bin wieder in Freiheit, im weiten Raum!“ Und der Herr antwortete mir: „Hältst du mich dafür, so widerfahre dir nach deinem Glauben!“ So hat er erhört und mir geantwortet in meiner Not. Nicht hat er mir Raum gemacht, sondern er ist mir selbst zum Raum geworden; er hat seine Hand ausgestreckt, und ich bin hindurchgekommen; ich sah das Licht als durch ein Nadelöhr hineinscheinen in meine Nacht, und ich sah darin des Herrn Macht, so dass ich des gewiss ward: Durch dieses Nadelöhr komme ich durch!

Diesen Psalm hat unser teurer Herr und Heiland hinterlassen, nachdem er, der Anfänger und Vollender unsers Glaubens, ihn selbst gesungen, angesichts des Todes; er hat ihn aufschreiben lassen für seine Gemeine auf Jahrtausende, dass einst alle ihn lesen, die in solcher Not stecken, indem sie in Gemeinschaft stehen mit seinem Leiden. Er hat uns diese Worte hinterlassen, auf dass wir, eben in solcher Angst der Sünde wegen, wo wir keine väterliche Hand finden können, sondern nur Schrecken und Hölle, dennoch wissen: Einer ist in dieser Angst gewesen, ja, er ist jetzt mit dir darin, und also hat er darin geklagt, gesungen und gejauchzt.

Darum lässt unser Herr diesen Psalm auch also anheben: „Dankt dem Herrn!“ Lobt ihn, bekennt von ihm, dass er dennoch Gott und Vater ist; wie auch der Apostel Paulus anhebt: „Gelobt sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen“, - uns verfluchte und verdammungswürdige Sünder! Und dennoch stecken wir stets voll Angst. Denn nachdem wir von Gott abgekommen sind und unsere Schuld noch täglich größer machen, was kann denn bei uns anderes sein als Angst? Jedoch Raum hat er verheißen; ja, er hat's verheißen und er gibt es auch. Aber die eine Angst vor, die andere nach, der eine Verlust vor, der andere nach! und es kommt immer schlimmer! Doch gerade so macht der Herr von der Erde los, los von Fleisch und Blut; so macht er das Verlangen rege nach der himmlischen Herrlichkeit, so dass je länger je mehr vom Menschen nichts übrig bleibt, sondern dass er arm wird und immer ärmer, dass er ein Wurm wird und kein Mensch. (Ps. 22.) Und über einen solchen Wurm will Gott sich erbarmen! Der große Gott will über solch einen seine Flügel ausbreiten und ihm gnädig sein! Ja, er will mir gnädig sein in meiner Angst, nicht um meinetwillen, sondern um seinet-, um Gottes willen, um seiner Wahrheit und Ehre willen; auch auf einen solchen Wurm will Gott herniederschauen in Gnade und Barmherzigkeit und ihm alle seine Sünden vergeben, so dass er singen darf: Ich habe den ewigen Tod verdient und erbe das ewige Leben!

„Dankt dem Herrn!“ Wo geht es weiter hinein? In das tiefe Meer, meine Geliebten! durch die grausame Wüste, meine Geliebten! durch den Jordan hindurch, meine Kinder! Aber wenn er voll ist; wenn seine Wasser reichen bis an den Hals, kann man da danken? danken dem Herrn? Ist es dir nicht genug, wenn du in Gottes Augen Gnade gefunden hast mit den Deinen? Oder was hast du gesucht für dich und die Deinen, lag es hier oder jenseits des Grabes? Hast du für sie erstrebt Geld und Gut, Ehre, Pracht und Lob bei den Menschen? Ist es dir nicht genug, wenn du Gnade gefunden hast in den Augen Gottes mit den Deinen? wenn du mit ihnen versiegelt bist mit seinem Siegel? Ja, spricht die Seele, es sei mir genug! ich glaube, hilf meinem Unglauben, auf dass ich glaube, durch das Grab hindurch und über das Grab hinweg, dass trotz Teufel, Grab, Sünde und Hölle ich dennoch die Augen aufschlage zu dir und dich halte für den lebendigen und wahrhaftigen Gott!

„Dankt dem Herrn!“ Das sind die Worte unsers Königs, der die Dornenkrone getragen hat und hienieden noch trägt.

„Dankt dem Herrn, denn er ist freundlich“. „Zorn ist nicht bei mir“, das hat er gesagt. „Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“, das hat er gesagt. Dankt dem Herrn! Wohlan, ob es denn auch durch die Hölle hindurch gehen soll, dankt dem Herrn! Was ist besser: mit klingendem Spiel zur Hölle zu fahren, oder schwarzgekleidet gehen im Trauergewand, und ohne Leichenbegleiter hinübergehen in die Stadt, deren Gründer und Baumeister Gott ist? „Dankt den Herrn!“ Er spricht: Ich habe die Krone der Gerechtigkeit euch erworben, und ihr werdet sie erhalten, wenn ihr den Lauf vollendet und den Glauben bewahrt. Der Herr ist freundlich und gut, - O, eine süße Traube in dem Mund des Sterbenden! Er vergilt uns nicht nach unserer Sünde und straft uns nicht nach unserer Missetat, sondern so weit der Himmel ist von der Erde und so fern der Aufgang vom Niedergang, also weit hat der Herr unsere Übertretung hinweggetan!

Dankt dem Herrn, denn er ist freundlich! Und scheint er auch oft zu sein als ein reißender Bär, so dass die Seele im Staub liegt und fragt: „Ach Gott, was soll das? Was tust du? Sind das deine Verheißungen? Heißt das Gnade und Ehre geben? Da stehe ich vor einem Grab; wie kommt mir das! Du hast Heiligkeit versprochen, und es ist nichts da als Sünde! du hast Frieden verheißen, und es ist nichts da als Verdammnis!“ Dankt dem Herrn! Es sieht dennoch anders aus, als es aussieht! Wenn er auch tief einschneidet ins Fleisch, so ist er dennoch freundlich, so ist er dennoch gut!

„Dankt dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währt ewiglich!“ Alles andere ist doch nur zeitlich, und ob ich jetzt euch ansehe, und ihr mich, nach so und so viel Jahren sind wir doch nicht mehr hienieden. Aber wenn wir ewig zusammensein dürfen, ihr, die ihr mit mir gekämpft und gerungen, viele werde ich dort oben sehen, meine Krone und mein Ruhm am Tage Jesu Christi, das ist ewig! Und wir werden wiedersehen, die vorangegangen sind: Vater, Mutter, Weib und Kind; dann haben wir alles wieder, und wir werden dem Herrn noch anders danken, eben für diese Schläge, für diese Demütigungen, und dass er uns so viele Tränen ausgepresst! Alles dies ist ja vergänglich; aber Gnade, Gnade bei Gott, Gnade gegen alle Sünde, Barmherzigkeit, dass man sagen darf: „Mir ist Erbarmung widerfahren!“ o meine Geliebten, das ist doch das höchste Gut! Sein Zorn währt nur einen Augenblick, aber ewig seine Gnade. Und das bleibt wahr: „Wer ihn einmal kennt, des Wohlstand nimmt kein End“.

Da der Herr Jesus diesen Psalm sang, da ging er der Verdammung und dem Tod entgegen. Kaum hatte er den Psalm zu Ende gesungen, da ging er aus der Stadt, aus seiner Stadt, über den Kidron nach Gethsemane, und daselbst sprach er: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod!“ und er rang mit dem Tod. Was hat er gesehen? Nichts, als von allen Verheißungen Gottes das Widerspiel; und da hat er gedacht an uns, die an ihn glauben würden, und hat uns darum den Psalm gegeben und kommt mit diesem Psalm, auf dass wir an alles Widerspiel uns doch nicht kehren, und dass wir, wenn wir zerbrochen daliegen, geheilt werden in der Liebe des Herrn Jesu und am Leben bleiben. Darum gibt er uns diesen Psalm: „Dankt dem Herrn!“ und es kommt im Herzen des Kindes Gottes auf: Wenn ich nur Gnade habe, so frage ich nichts nach Himmel und nach Erde!

Das Kreuz sieht denn doch nicht so aus, wie ihr denkt. Gott ist nicht ein Mensch, dass ihn etwas gereue, und dass er wegnehmen sollte seine Güte, nachdem er einmal gesagt hat: „Ich habe aus lauter Güte dich zu mir gezogen“. Denn seine Güte ist es eben, wenn da kommt Leid auf Leid, wenn es geht aus der einen Grube in die andere, wenn die eine Angst kaum vorbei ist, und schon die andere hereinbricht. „Dankt dem Herrn!“ Das sind meines Herrn Jesu Worte. Er hilft und errettet. Ich weiß nicht wie, aber er errettet! Der König wird stehen bleiben; du glaubst es oder glaubst es nicht, so sollst du es doch erfahren: Jesus bleibt Jesus.

„Es sage nun Israel: Seine Güte währet ewiglich!“ Israel kann das nicht sagen; er ringt in der finsteren Nacht mit dem Mann an der Furt Jabbok. - „Israel, hast du denn nicht den Segen?“ „Nein, ich sehe nur Elend, nur Tod, Fluch und Verdammnis; ich sehe nichts anderes als die Mütter samt den Kindern erschlagen! ich bin nicht Israel, sondern Jakob! Es ist aus mit den vorigen Verheißungen! Mein Recht geht vor meinem Gott über!“ (Jes. 40,27). „Und doch hast du den Segen, den neuen Namen! du heißt dennoch Israel!“ Aber Israel, aber Rahel will sich nicht trösten lassen ihrer Kinder wegen, denn es ist aus mit ihnen! (Jer. 31,15). Jakob, du bist dennoch Israel, wenn du dich auch nicht willst trösten lassen, du bist dennoch Israel. Also: danke dem Herrn! Sprich es aus, so hast du den Teufel vom Hals, hast Angst und Not, Sünde und Verdammung vom Herzen ab! - Wohlan, mein Herr und Gott, da hast du alles, was mir das Liebste und Teuerste ist. Willst du es nehmen, mein Vater? Du hast es gegeben, du hast es genommen; nimm es hin! Deine Güte währt ewiglich!

„Es sage nun“, da ich euch alles wiedergebracht habe, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit, spricht unser Herr, „es sage nun das Haus Aarons“, das priesterliche Haus, berufen das Evangelium zu predigen, welches erfahren hat, wie Gott die Gebete seiner Heiligen erhört, und das an Mose den Beweis gesehen hat, wie Gott zürnt, wo er nicht geehrt und sein Name nicht verherrlichet wird in der Gemeine. „Es sage das Haus Aarons“, das da erzittert vor Gottes Heiligkeit, das da erzittert vor Gottes Gerichten, die ergehen über die Gemeine und über die ganze Welt, - ich vertrete es; und ob ich auch unbeschnittener und unreiner Lippen bin und nicht wert, den Namen des Herrn auszukündigen vor dem geringsten Kind, auch nicht im Stande, aus mir ein Wort zu verkündigen im Namen des Herrn Jesu, so weiß ich dennoch, dass die Kohle, die Kohle vom Altar genommen, und damit die Lippen berührt, alle Missetat hinwegnimmt, alle Sünde versöhnt! Es sei dem Hause Aarons nicht bange vor Hohen und Niedrigen, vor den Feinden, die da sagen: „da! da!“ Es lasse sich den Mund nicht stopfen, zu predigen vor der großen Gemeine von Gottes Gerechtigkeit, Gottes Wahrheit, Gottes Treue und Langmut, Gottes Liebe, Weisheit und Souveränität! Und ob auch der Feigenbaum nicht grünt, und kein Gewächs ist an den Weinstöcken, und die Arbeit am Ölbaum fehlt, - du wirst mir doch nicht lügen, Herr, mein Gott! Deine Güte währt ewig!

„Es sagen nun alle, die den Herrn fürchten“, beide klein und groß, alle die den Herrn fürchten und hinschwinden vor seinem Gesetz, - die es also machen, wie geschrieben steht im ersten Psalm: die nicht wandeln im Rat der Gottlosen, noch treten auf den Weg der Sünder, noch sitzen, da die Spötter sitzen, sondern ihre Lust haben zum Gesetz des Herrn und von seinem Gesetz reden Tag und Nacht. „Es sagen nun alle, die den Herrn fürchten“, die aber eben deshalb in großer Not der Seele sind, - denn sie sind zart gebaut, das leiseste Lüftchen wirft sie um, sie können nirgends stehen bleiben. Ach, die Sünde vor und nach, und nun kommt das äußere Leiden obendrein, was ist nun wahr? „Ein dürrer Baum bin ich“, so hört man sie seufzen, „aber nicht ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen; meine Blätter sind verwelkt, und alles, was ich tue, ist vergeblich!“ Aber doch, hast du Lust zu Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen und schreist: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leib dieses Todes!“ - ist Gottesfurcht in deinem Herzen, trotzdem dass dein Herz bald hier, bald dort hinaus irrt, und du nicht mit den heiligen und frommen Leuten wandeln darfst, wohlan, bist du traurig deiner Sünde wegen; weinst du: was wird aus mir werden, wenn ich sterbe? ich bin nicht heilig! ich armes Kind, was wird aus mir werden? ist auch Gnade für mich da? stehst du von ferne und fürchtest dennoch Gott: „so sage nun“ denn also spricht der Herr: Ich bin dein Bürge! ich habe für dich mit dem Tod gerungen, habe dich genommen auf meine Rechnung, habe für dich gerufen und bin erhört worden! „so sage nun“, und lass dir den Mund nicht stopfen, trotzdem dass dein Herz bebt, und alle Teufel sagen: es ist nicht für dich! trotzdem dass Gott selbst scheint dir entgegen zu sein mit seinen Wegen, und dir alles Licht fehlt - es sagen dennoch alle, die den Herrn fürchten, dass des Herrn Güte ewiglich währt! Ja, seine Güte währt ewiglich! Wohl allen, die zu solcher Güte ihre Zuflucht nehmen! Ob auch das Herz zerbrochen daliegt, so dass man sagen möchte: Gott ist nicht gnädig! und Lästerungen des Namens Gottes im Herzen aufkommen, wohl dennoch allen, die da hören auf das Wort ihres Heilandes, der da lehrt zu sagen: Seine Güte währt ewiglich!

Darum, meine Geliebten, wenn euch angst ist, so haben wir des Herrn Wort: Ich rief ihn an, der da kaum ist, der Leben ist, der seine Hand ausstreckt in die tiefe Grube und die Seele errettet. Dankt dem Herrn!

Der Herr Gott in seiner Erbarmung verleihe euch, meine Geliebten, dass bei allem, was noch weiter über euch kommt, ihr nicht auf der Bank liegen bleibt, nicht in Traurigkeit versunken bleibt, auf dass nicht der Teufel Fleisch und Blut gefangen nehme, sondern lasst uns halten an seiner Gnade bloß.

Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, dass er euch gesegnet hat in Christo Jesus, dass ihr, die ihr des Herrn seid, euch nicht kehrt an das Widerspiel, das ihr seht! Und gelobt sei Gott für eure Liebe, womit ihr tragen wollt euern Lehrer und sein Haus.

Amen.

Schlussgesang.

Psalm 118, Vs. 13.

Gesegnet sei des Herrn Gemeine,
Die hier in seinem Namen kniet!
Sie sei geweiht dem Herrn alleine,
Der huldreich auf sie niedersieht!
Der Herr ist Gott, zu dem wir wallen,
Bald macht er sich uns offenbar;
Ein jeder such ihm zu gefallen
Und bring sich selbst zum Opfer dar!

1)
Der Name des Herrn wird an dieser Stelle im Hebräischen bezeichnet durch „Jah“, abgekürzt für Jehovah. Das sind die gemeinten zwei Buchstaben. Das hebräische Wort für „Angst“ heißt eigentlich: Enge; und was unsere Übersetzung durch „und tröstete mich“ wiedergibt, bedeutet eigentlich, dass der Herr ihn in weiten Raum geführt habe.
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