Huhn, August Ferdinand - Ich will den Herrn loben allezeit

Huhn, August Ferdinand - Ich will den Herrn loben allezeit

Auf Befehl Seiner Kaiserlichen Majestät wird von dem Revalschen Evangelisch-Lutherischen Stadt-Consistorio desmittelst attestiert, dass in vorstehender Schrift nichts wider die heilige Schrift und die symbolischen Bücher enthalten ist. Reval, Stadtkonsistorium, den 24. Juli 1856.

Im Namen eines Revalschen Evangelisch-Lutherischen Stadt-Consistorii: Präsident Dr. F. G. v. Bunge.


Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Mit diesem Gruße aus dem Herzen des dreieinigen Gottes grüße ich euch, meine Geliebten, heute in einem besondern Sinn. Es ist heute der Sonntag der heiligen Dreieinigkeit (Trinitatis), der Sonntag, an welchem die Kirche die großen Wunder des dreieinigen Gottes im Gnadenreich, wie sie die hohen Feste Weihnacht, Ostern, Pfingsten uns verkünden, zusammenfasst in Ein Lob und Eine Anbetung des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Zu diesem Lobe und dieser Anbetung des Dreieinigen dringt es aber auch heute besonders meine Seele, der ich in diesem Augenblicke zu euch rede. Ich stehe ein Gast und Fremdling an dieser Stätte; aber doch nicht so fremd und unbekannt, dass ich's nicht wagen sollte, euch zuzurufen: preist mit mir den Herrn, und lasst uns mit einander seinen Namen erhöhen. Einmal: sind wir nicht alle Fremdlinge und Pilgrimme hienieden? Müssen wir nicht alle mit einander die Heimat, die bleibende Stätte, suchen? Ist's da nicht lieblich, wenn wir uns auf der oft so beschwerlichen Reise gegenseitig ermuntern und zusammen ein Lied zum Lobe des Herrn singen, und zum Lobe des Herrn ein Wort mit einander reden? Und dann: können Kinder Gottes, wo sie auch wohnen mögen, fremd gegen einander sein? Sind sie nicht mit einander verwandt, und zwar durch noch viel innigere Bande als die der Blutsverwandtschaft? Drückt uns nicht Ein Schmerz; seufzen wir nicht zusammen unter Einer Last? Aber haben wir zusammen nicht auch Einen Jesum, der sein Leben für uns gelassen, sein Herzblut für uns vergossen? Haben wir nicht Ein Vaterhaus, darin wir geboren, dahin unser Herz sich sehnt? Sind wir nicht Eines Geistes teilhaftig geworden durch das Eine Wort und Sakrament? Meine Lieben, ich denke, wir sind nicht unbekannt mit einander. Viele Jahre sind vergangen, seitdem ich diese Stätte, an der ich stehe, und diese Stadt nicht gesehen. Mancherlei, zum Teil sehr liebliche Erinnerungen aus den Jugendjahren knüpfen sich an diese Stadt. Vieles ist anders geworden hier, und in mir. Manch Schweres ist durchlebt. Im vorigen Jahre konnten wir an unserem Ort nicht so freudig reden, wie ich heute hier. Es war eine trübe Zeit, in der Angst und Grauen oft über uns gekommen, in der wir oft aus der Tiefe zu Gott rufen mussten1). Aber wir haben es da auch erfahren, dass der Herr sich zum Gebet der Verlassenen kehrt und der Elenden Seufzen nicht verschmäht. Ja der Herr hat sich erbarmt über Bitten und Verstehen. Er hat uns den goldenen Frieden wieder geschenkt. Wir können uns wieder in Frieden bauen. Was soll ich sagen? Was wollt ihr sagen, wenn wir darauf zurücksehen? Ich kann nicht anders, und ihr könnt auch nicht anders sagen, als: lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht was er dir gutes getan hat.

Geliebte! Mit euch den Herrn zu loben, stehe ich hier. Lasst uns dies Loben lernen aus seinem heiligen teuren Worte. Hört es, wie wir es aufgezeichnet finden

Psalm 34, 2-7.
Ich will den Herrn loben allezeit, sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. Meine Seele soll sich rühmen des Herrn, dass die Elenden hören, und sich freuen. Preist mit mir den Herrn, und lasst uns mit einander seinen Namen erhöhen. Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir, und errettete mich aus aller meiner Furcht. Welche ihn ansehen und anlaufen, derer Angesicht wird nicht zu Schanden. Da dieser Elende rief, hörte der Herr, und half ihm aus allen seinen Nöten.

Das soll nach den verlesenen Psalmworten meine arme Rede zu euch sein.

Du aber, großer Gott und Heiland, der du aus dem Munde der Kinder und Säuglinge Dir Macht und Lob bereitest, gib, dass auch wir mit fröhlichem Munde Dich loben mögen. Erwecke unsere Herzen, dass wir solch Loben aus Deinem Worte lernen. O dass unsere Seelen sich reizen und ermuntern ließen, in solchem Lobe und Preise Deines herrlichen Namens zu stehen täglich. Dazu segne denn auch das, was hier geredet werden soll, segne es in Gnaden. Amen.

1.

Ich will den Herrn loben.

Wer ist dieser Herr, von dem es in unserm Psalm heißt: ich will ihn loben? Könnte jemand noch so fragen, nun dem müssten wir entgegnen: wahrlich dieser Herr ist doch kein Unbekannter. Er hat sich ja nicht unbezeugt gelassen. Er hat sich geoffenbart. Es ist derselbe Gott, der Himmel und Erde gemacht, der jetzt von Neuem um uns seine Werke so prächtig entfaltet, dessen Wunderarm wir in Wald und Feld, auf Bergen und in Tälern spüren können. Es ist derselbe, der da spricht: ich bin der Herr dein Gott, derselbe, der aus des Himmels Höhen auf unsere arme Erde gekommen, unser Fleisch und Blut an sich getragen. Derselbe, der in der Krippe von Bethlehem gelegen und am Kreuz von Golgatha gehangen. Auf ihn haben hoffend die Väter im Alten Bunde gesehen. Ihn hat im Geiste David geschaut, da er unseren Psalm gesungen.

Jesus Jehovah ist's, der da spricht: wer mich sieht, der sieht den Vater, und von dem der Apostel ruft, dass die Herrlichkeit Gottes in seinem Angesicht zu sehen. Nicht in die Höhe und nicht in die Tiefe sollst du Mensch fahren, um den Herrn deinen Gott herunter oder herauf zu holen, sondern er ist dir nahe, er ist in deinem Munde, er ist in deinem Herzen. Siehe Jesum an, wie er im Evangelio leibt und lebt. Da hast du den Herrn, von dem es heißt: ich will den Herrn loben.

Und fürwahr, erst wenn wir in Jesu dem wahrhaftigen Menschen den wahrhaftigen Gott erkennen, wenn der Geist uns gelehrt, ihn unseren Herrn nennen, dann kommt's zum Lobe, dann wird der Vorsatz: ich will den Herrn loben, lebendig täglich. O was ist das für ein Unterschied zwischen dem Lobe Gottes ehe es Pfingsten wird im Herzen, und wann es Pfingsten geworden! Wie lau und träge, ja wie so ganz ohne Lob Gottes geht der Mensch hin bei den eigenen Gedanken von Gott. Man weiß wohl etwas von einem unsichtbaren Gott, aber dieser Gott ist Millionen Meilen weit von einem, was sollte er sich um einen kümmern! Was ist das Gebet zu einem solchen Gott, der einem nicht persönlich ins Herz getreten? Was wird's mit seinem Lobe sein?? Aber welch eine neue Welt geht dem Herzen auf, auf, wenn der Pfingstgeist über einen kommt, wenn der Menschgewordene Herr und Gott einem offenbar wird! Welche Wunder der Gnade entfalten sich da täglich vor einem! Wie wird da das Herz getrieben von Tage zu Tage, von Stunde zu Stunde zu loben, zu danken und zu preisen! Ist solcher Drang nicht in euren Herzen, seht zu, woran es liegt. Ihr kennet den Herrn dann noch nicht recht. Aber ihr müsst ihn kennen lernen. Ihr dürft nicht ruhen, als bis ihr mit Thomas zu Jesu Füßen niedersinkend gerufen: mein Herr und mein Gott!

2.

Ich will den Herrn loben.

Loben, das heißt alles Gute, alles Liebenswerte, das an dem Herrn ist, sich vorhalten, es sich vor Augen sehen, es sich wiederholen, es aussprechen im Herzen und mit dem Munde, vor dem Herrn und vor den Menschen. Wie es in unserem Psalm heißt: sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. Nun, meine Lieben, das Loben verstehen wir recht gut, wenn es Menschen und Menschlichem gilt. Wir haben ein scharfes Auge, wenn es gilt, an uns selbst etwas Gutes und Liebenswertes herauszufinden, und finden auch wohl Worte, um es auszusprechen. Und doch, ist's nicht so, wie der Apostel sagt: ich weiß, dass in mir wohnt nichts Gutes? Oder wie wir singen: an mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd'? Es wird uns nichts helfen, wenn wir Tag und Nacht auf das sinnen, was doch an uns lobens- und liebenswertes sei. Solch Loben wird uns keine Liebe und kein Leben geben. Aber den Herrn loben, das ist unser Leben! Das Gute und Liebenswerte an Ihm lieben, das schafft Lobens- und Liebenswertes an uns. So viel Seliges haben wir am Herrn als wir Ihn loben. So viel erkennen wir ihn, als wir Alles an ihm lieben. Am Herrn muss Alles, wenn ich so sagen soll, abgelobt und abgeliebt werden. Das ist der große und doch so einfache Weg des Heils, von dem es Psalm 50,23 heißt: wer Dank opfert, der preist mich, und das ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes. Das ist der Weg zu der Fülle aller geistlichen Gaben, wie Paulus ihn 1. Kor. 13,1 zeigt, wenn er sagt: und ich will euch noch einen köstlicheren Weg zeigen: wenn ich mit Menschen und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle. Loben und Lieben ist Eins. Ein Lob Gottes ohne Liebe zu Gott ist knechtisch, aber nicht kindlich. Staunen und sich verwundern vor dem Herrn müssen auch die Teufel, aber loben und lieben können nur Kinder Gottes. Und daran zeigt sich's, ob wir aus Gott geboren, ob das an uns vorgegangen, worauf das heutige Evangelium hinweist. Was aus Gott geboren ist, das ist zum Loben und Lieben des Herrn geboren. Gottes Lob ist das Leben und die Seligkeit der Kinder Gottes hier in der Zeit und einst in alle Ewigkeit. Es ist ihr Element, ihre Lebenslust, darin sie leben. Es ist ihre Freude, ihre seligste Hoffnung, dass sie einmal ungestört und vollkommen werden loben können. Was sie sind, das sind sie zum Lobe der herrlichen Gnade des Herrn.

Darum seht zu, was ihr wollt, wenn ihr selig werden wollt. Die Seligkeit wird ein ewiges Loben des Herrn sein. Und doch, wie viele sind noch da, die dieses Lob nicht lieben, die die Stätten fliehen, wo man den Namen des Herrn erhebt; die einen Ekel davor haben, in deren Herzen und Häusern kein Lobgesang zu Gott emporsteigt. Und doch wollen die Alle selig werden. Was wollt ihr eigentlich? Kämt ihr auch in den Himmel, würdet ihr auch vor das Angesicht Gottes versetzt, könntet ihr euch selig fühlen? Ich sage: nein. Denn es fehlt euch das Herz, es fehlt euch der Sinn dazu. Herz und Sinn muss himmlisch werden, anders taugt ihr nicht in den Himmel. Merkt ihr nun, was das ist, wenn der Herr sagt: es sei denn, dass jemand von Neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen?

3.

Aber unser Psalm sagt: ich will den Herrn loben allezeit, sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.

Allezeit, immerdar loben. Können wir das auch? Können wir loben, wo das Auge weinen muss? Können wir ausbrechen in des Herrn Preis, wenn das eigene Herz einen verdammt, wenn das Elend von Innen und Außen nur zum Seufzen und Klagen dringt? Sind in dem Bibelbuch lauter Lob- und Dankpsalme, oder gibt's nicht auch viele Klage- und Buß- und Tränenpsalme? Wohl wahr. Darum heißt's aber auch in unserem Psalm: ich will den Herrn allezeit loben, sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. Diese Worte geben allerdings dem Klagen und Seufzen und Flehen und Schreien zu Gott seine Zeit, aber sie sagen uns auch dies Fröhliche und Selige: Du brauchst nicht in Deinem Klagen und Weinen stecken zu bleiben, du brauchst dich von deinem Leid und deiner Traurigkeit nicht so herunterdrücken zu lassen, dass du dich nicht in dem Herrn freuen, ihn nicht loben und preisen dürftest. Nein, du darfst aus jeder Klage und aus jedem Leid heraus und in das Lob Gottes hinein. Aus deinem ganzen Sündenelend sollst Du dich herausreißen und in die erworbene Herrlichkeit hinein. Gott hat dich nicht zum Klagen und Weinen, sondern zu seinem Lobe von Neuem geboren. Du darfst auch mitten in der Trübsal loben. Es ist ja auch immer noch etwas zum Loben und Danken da. Bedenke es recht. Dass du dein Stücklein Brot hast, dass du am Abend ruhig dein Haupt niederlegen kannst, dass dir täglich von des Herrn Tisch für deine Seele gegeben wird was du brauchst, ist Lobes und Dankes wert, denn du hast's nicht verdient, du hast's aus Gnaden, du hast also allezeit und immerdar Ursache Gott zu loben. Ja dies Immerdarloben ist ein Privilegium der aus Gott Geborenen, die Jesum in Wahrheit ihren Herrn nennen. Was ihnen auch widerfahren mag, der Geist Gottes lehrt sie, dass es ihnen zum Besten dienen muss. In welcher Tiefe der Not und Anfechtung sie auch liegen mögen, sie dürfen und sollen den Herrn in der Höhe loben. Und tun sie das, wie selig können sie dann hier schon sein!

Liebe Christen, es ist doch wohl niemand unter uns, der nicht in irgend einer Not zu Gott dem Herrn gebetet. Und es wird noch manche Not kommen, da ihr beten werdet. Wie werdet ihr's machen, wie habt ihr's gemacht? Wisst ihr, was Vater Luther sagt? Fang dein Gebet mit Loben an. Das ist ein Rat, der sich bewährt. Wir lassen uns nur allzuleicht von dem Sichtbaren und Fühlbaren einnehmen; der gegenwärtige Mangel, die drohende Gefahr und Not, die Sündenschuld, die wir fühlen, machen uns kleingläubig. Da geht es denn mit dem Gebet schlecht. Wir können's dem Herrn nicht zutrauen, dass er hören und helfen kann und will. Was ist da das Geratenste? Denke zurück, wie oft Er dich gehört, wie oft er dir geholfen. Denke, wie oft du es erfahren, dass Er kann und will, wie oft er dir die Sünde vergeben, wie oft er dich beschämt in deinen argen Gedanken. Lobe Ihn für das was du also erfahren. Erfahrung, wenn sie also in Gottes Lob treibt, bringt Hoffnung, und Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden. Hoffnung hält an am Gebet. Hoffnung nimmt was zukünftig ist, schon als gegenwärtig. O fangt euer Gebet immerdar mit Loben an, so wird es ein rechtes sein!

4.

Nun heißt's weiter in unserem Psalm: meine Seele soll sich rühmen. Meine Seele soll sich rühmen wie klingt das? Ja, das klänge schlecht, das klänge nach Eigenlob, wenn nicht dabei stände: meine Seele soll sich rühmen des Herrn. Also des Herrn, des Herrn soll meine Seele sich rühmen beim Loben. Ja das soll unsere Seele, wenn anders wir erkennen, was dieser Herr ist und was wir an ihm haben. Welcher elenden Dinge haben wir uns vielleicht gerühmt? Soll ich sie nennen? Ein glattes Gesicht, ein hübsches Haus, hübsche Möbel oder Equipage, elegante Kleider, ein bisschen Witz und Verstand, eine Auszeichnung vor der Welt, Umgang mit diesem oder jenem aus den Vornehmen, ja sogar Fressen, Saufen, Spielen, Narrenteidinge, Sünden und Schanden, von denen der Apostel sagt, dass wir uns ihrer schämen müssen, wenn wir daran denken, dass wir von ihnen geknechtet gewesen, und was für Frucht sie uns gebracht - das, das sind die Gegenstände des Rühmens bei noch gar vielen, die sich Christen nennen. Und der Herr, der liebe Herr mit seiner Güte und Treue, mit seinem Erbarmen, mit seinem reichen Gnadenhimmel, wie ist Er doch so ausgestrichen aus dem Register der Dinge, die gerühmt und gelobt werden und die bei der Welt so hoch angeschrieben sind? Mensch, hast du es je bei dir bedacht, was das heißt, der große Gott, der Herr aller Herrn und König aller Könige tut sich zu dir, sucht Umgang mit dir, zieht dich aus deinem Elend in seine Herrlichkeit?! Was gibt man doch darauf, wie hört man nicht auf, sich dessen zu rühmen, wenn ein Ungesehener dieser Welt mit einem ein Wort gesprochen oder einen ausgezeichnet. Wie weiß man das bei jeder Gelegenheit anzubringen. Und nun redet der Herr dein Gott zu dir, nun tut Er der Hohe und Erhabene sich zu dir dem elenden Wurm. Bedenke es, das tut der große Herr und Gott an dir. Wer ist Er und wer bist Du? Bedenkst du's, glaubst du's, hast du's erfahren, kannst und musst du's bekennen: ja der Herr mein Gott hat sich meiner erbarmt, er hat mich den Ärmsten erwählt: dann musst du auch bleiben bei den Worten unseres Psalmen: meine Seele soll sich rühmen des Herrn; dann muss es heißen bei dir: fahre hin aller andere Ruhm: ich darf mich meines Herrn rühmen! Ich darf singen und sagen:

Ist Gott gleich Alles und ich nichts,
Ich Schatten, Er die Quell des Lichts,
Er noch so stark, ich noch so blöde,
Er noch so rein, ich noch so schnöde,
Er noch so groß, ich noch so klein:
Mein Freund ist mein, und ich bin sein.

5.

Meine Seele soll sich rühmen des Herrn. Damit hat die Seele ihre Seligkeit und ihr volles Genüge hier schon. Das ist gewiss: wenn ich nur Dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde. Aber die Anderen sollen auch was davon haben, wenn meine Seele sich rühmt. Rühmt sie sich selbst und sucht ihr eigenes Lob, so haben die Anderen nur Schmerz und Leid und Verderben davon. Rühmt meine Seele sich aber des Herrn, dann geschieht das was unser Psalm sagt, nämlich: dass die Elenden hören und sich freuen. O merkt das, die ihr es mit Elenden zu tun habt, merkt das, wenn ihr Elende trösten und aufrichten wollt, welch Elend es auch sei, darin sie stecken, leibliches oder geistliches, selbstverschuldetes oder von Außen Gekommenes. Merkt es, ihr Ehegatten, die ihr neben einander geht, und eins kann sich aus seinem Elend, aus seiner Sorge und Plage nicht herausmachen. Weint mit den Weinenden, das ist wahr. Verseht euch in die Not des andern. So will's der Herr. Die Not des anderen Gliedes soll als die eigene Not gefühlt werden. Aber bleibt mit den andern nicht liegen in ihrem Elend. Habt ihr den gnädigen und barmherzigen Herrn erfahren in eurem Leben, müsst ihr's Ihm sagen: Herr, wer bin ich, dass Du mir so oft aus dem Elend geholfen, dass Du mir immer wieder die Sünde vergeben: auf und verschweigt das nicht den Andern, erzählt's ihnen, rühmt euch vor ihnen des Herrn aus eurer eigenen Erfahrung; sagt's ihnen: so und so ging's mir, das und das drückte mich, so elendiglich war ich damals, und er hat sich meiner erbarmt der Herr. O wenn die Elenden das hören würden aus unserem Munde, sie würden sich freuen und ein Herz zu dem Herrn fassen. Sie wissen vielleicht nicht, wie sie's anfangen sollen, sie wagen es nicht den Herrn anzugehen. Aber wenn sie sähen, dass solche Elende wie wir sind, sich des Herrn rühmen können, dann bekämen sie Mut zum Herrn zu kommen. Wenn wir als die Elendesten uns unter die Elenden stellten und dann des Herrn uns rühmten, ob wir nicht aus Elenden fröhliche Leute machen könnten! Liebe Mitchristen, wollt ihr lieben das was ihr lieben sollt, vergesst das Loben des Herrn nicht. Wollt ihr helfen den Elenden, so sei eure Seele bereit sich des Herrn zu rühmen.

6.

Und was ist das für ein köstlich Ding, wenn man auch die Elenden dazu bringt, dass sie mit einem den Herrn loben. Darauf geht das Herz des Heilandes aus, dazu dringt sein Geist, dass sie alle die Erlösten mit Einem Herzen und mit Einem Munde loben Gott und den Vater unseres Herrn Jesu Christi. Ein rechter Vater und eine rechte Mutter sehen's gern, wenn sie alle ihre Kinder zum Lobe Gottes zusammen um sich haben können; es schmerzt sie, wenn eines der Ihrigen seinen eigenen Weg geht und düster und sauer sieht, wo es fröhlich zu Gott sein sollte. Wiederum ist es ihres Herzens Freude, wenn aus aller Kinder Herz und Mund zusammen Ein fröhlicher Lobgesang emporsteigt. So haben wir's, die wir doch arg sind, gern. Um wievielmehr wird's der Vater im Himmel gern haben!

Darum ruft der Sänger in unserem Psalm, er ruft es allen Kindern Gottes zu: Preist mit mir den Herrn, und lasst uns mit einander seinen Namen erhöhen. So hat Jesus der Herr für die Seinen gebetet: dass sie Eins seien. Einssein der Glieder Christi unter einander, das ist die Stärke des Reiches Christi hienieden. Zwei und drei Sünder, die Eins sind in Christo, können die Hölle zittern machen. Umgekehrt aber werden tausend Christen, welche Macht und Gewalt sie auch haben mögen, vom Feinde in die Flucht geschlagen und zerstreut und zerstört, wenn sie nicht Eins sind. Euer Haus und Euer häusliches Leben, die Kinderzucht und alle gute Ordnungen zerfallen, wenn ihr nicht Eins seid in Christo dem Herrn. Eure Ehe, ihr Ehegatten, ist auf Sand gebaut, wenn ihr nicht zusammen festhaltet an Christo. Fragt ihr, wie fangen wir's an? Es ist nicht schwer. Der Mann spreche zum Weibe und das Weib zum Mann und der Vater zu den Kindern und der Herr zu seinen Untergebenen: preist mit mir den Herrn und lasst uns mit einander seinen Namen erhöhen. Tut euch täglich zusammen zum Preise des Herrn und erhöht mit einander seinen Namen. Wo das geschieht, da müssen alle Feinde weichen, da muss Alles, was selbstsüchtig zerstören und zerreißen könnte, herunter. Wo des Herrn Name erhöht, da tritt der eigene Name, das eigene Ich, dieser Störer alles wahren Glückes und alles wahren Friedens, zurück: da wird aus vielen Seelen Ein Herz und Eine Seele, Ein Sinn und Wandel, Ein Denken und Tun nach Christo. Da wird des Einen Leid von allen geteilt, des Einen Freude durch Aller Freude erhöht. Wo die Glieder des Leibes Christi einträchtig bei einander wohnen und mit einander den Herrn preisen und seinen Namen erhöhen, daselbst verheißt der Herr Segen und Leben, wie ihr es im 133,3 Psalm lesen könnt, und vor allem den geistlichen Segen in allerlei himmlischen Gütern.

Darum, meine Geliebte, wie David, der Mann nach dem Herzen Gottes, uns heute zuruft: preist mit mir den Herrn: so rufe ich es euch jetzt im Namen Gottes selber zu. So rufe es täglich einer dem andern zu, und sage ihm dann auch, wie David es uns sagt, was ihn dringe und bewege, auch die andern zum Preise des Herrn zu ermuntern.

7.

Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir und errettete mich aus aller meiner Furcht. Sucht den Herrn, weil er zu finden ist, ruft ihn an, weil er nahe ist. Ja Er lässt sich finden, der gnädige und barmherzige Herr, und von den Elendesten am allerersten, wie unser Psalm ausdrücklich sagt: da dieser Elende rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten. Dieser Elende dabei denkt an einen recht Elenden. Und David, als er von Saul verfolgt ward, oder als er den schrecklichen Sündenfall getan. Denkt an das Kanaanäische Weib mit ihrer vom Teufel besessenen Tochter, an die zehn Aussätzigen mit ihrer ekelhaften Krankheit, an den Blinden mit seinem Gebrechen, das ihn der lieben Sonne Licht nicht schauen ließ, an Petrus, als er versinken wollte und seine Seelenangst in jenem Augenblicke, an den Schächer am Kreuz und an die Übeltaten, die auf seiner Seele brannten. Das ist für dich geschrieben, mein Bruder, meine Schwester, und für mich. Wir sind die Elenden. Da im Evangelium finden wir das Wort für unser Elend. Das rufe, was da der Elende ruft, und der Herr wird dich hören, der Herr wird dir antworten Denn unser Gott hat ein Herz und einen Mund für uns Menschenkinder. Er hat Worte für uns, er redet zu uns. Die Bibel ist Gottes Wort. Geh in dies Wort, wenn dein Herz den Herrn sucht: da findest du ihn. Geh in dies Wort, wenn dein Herz eine Frage an den Herrn hat: da antwortet er dir. Und wenn du gebetet, gerufen, geschrien zum Herrn, dann denke an das, was den Knaben Samuel gelehrt ward, das er sagen sollte: „rede Herr, dein Knecht hört.“ Sei stille vor dem Herrn; er wird dir antworten. Wir überhören nur zu oft seine Antwort, weil unser Herz sich nicht stille machen lässt. Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen. Wir übersehen die Hilfe des Herrn und seinen rettenden Arm, weil wir uns nur gar zu oft in dem unruhigen Meer der eigenen Gedanken umtreiben lassen und nicht durch Stillesein in Gottes Gedanken und Wege eingehen. Wir machen uns eigene Vorstellungen von Gottes Erhörungen und Hilfen, so dass, wenn die wirklichen Hilfen und Erhörungen Gottes kommen, wir dieselben nicht als solche erkennen. Wir sind hundertmal immer wieder mit einer neuen Bitte da, ehe wir auch nur einmal in Stille, in Glauben und Geduld die Eine Bitte abwarten, die wir vom Herrn gebeten haben. Solch ein armseliges Gemächte sind wir, und so schlecht machen wir's solchen großen Gottes Verheißungen gegenüber, wie sie uns noch heute das Wort des Herrn gibt. Bleiben wir nun bei dem Anblick dieser unserer Armseligkeit hängen, lassen wir uns dadurch abhalten vom Loben und Preisen und Suchen und Anrufen des Herrn, weil wir es immer nur so schlecht gemacht, weil es immer noch nicht zu was Rechtem gekommen: dann müssen wir wohl verzagen und wie die ungeduldigen Kinder, eben weil es ein und zwei und dreimal nicht gegangen, wie wir wollten, Alles wegwerfen und sagen: was hilft's, ob ich's auch versuche, es geht doch nicht, es wird doch nicht besser; das alte Elend ist immer wieder da.

Liebe Menschen, die ihr so denkt, meint ihr, der Herr wisse nicht, was für ein Gemächte wir sind? Er wisse nicht, wie schwach und erbärmlich es in uns zu gehe? Was meint ihr wohl, warum hat der Heiland uns die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner erzählt? Dass wir wie der Pharisäer bei unserem Beten und Loben und Danken allerhand Eigenes und Selbstgemachtes herauskramen, oder dass wir uns in unserer ganzen Armut und in unserem ganzen Elend vor das Angesicht Gottes stellen sollen? Dass wir uns in uns selbst bespiegeln sollen, oder dass wir, wenn wir in uns gegangen, zu Ihm aus Herzensgrund rufen mögen: Gott sei mir Sünder gnädig?

Nun, ihr werdet über die Antwort auf diese Frage nicht in Zweifel sein. Und unser Psalmentext drückt sie euch recht ins Herz, wenn er sagt:

8.

Welche Ihn ansehen und anlaufen, derer Angesicht wird nicht zu Schanden.

Welche Ihn ansehen. Was ist's, wenn es nicht zum rechten Loben und Preisen des Herrn, wenn es nicht zum seligen Erfahren seines Antwortens und Helfens kommt? Du siehst dich zu viel an, du siehst die Not und das Elend, darin du gerade bist, zu viel an. Du sollst's freilich ansehen. Du sollst deine Sünde und Schuld erkennen. Du sollst nüchtern die Not auch für Not, die Züchtigung für Züchtigung, das Gericht für Gericht halten. Aber du sollst bei diesem Anblick nicht hängen bleiben. Das will Gott nicht. Nicht du mit deiner Sünde und Not bist allein da, sondern Gott dein Heiland ist auch noch da. Siehst du den nicht an, so verleugnest du Ihn. Ach, das ist der Fluch des irdischen, weltlichen Sinnes, das unselige Sinnen und Trachten des unbekehrten Herzens: wie es in guten Tagen seines Gottes vergisst, Ihm nicht dankt, sondern sein Auge nur nach dem gehen lässt, was in der Welt ist: so ist es in bösen Tagen mit seinem Blicke gebannt an sich selbst und an das eigene Elend, kann nicht wegsehen davon, kann Ihn den Herrn nicht ansehen. Es lasse sich lösen von diesem Bann und Fluch wer noch darunter liegt, wer ihn fühlt und darunter seufzt. Es kehre seine Augen weg von sich und von allem Sichtbaren, es wende sich von allen eigenen Gedanken und Sorgen und Grämen, wessen Angesicht nicht zu Schanden werden will. Ja, tauche deine Sünde und Schuld auch immer wieder auf, dränge sich das Zerrbild deines alten Wesens immer wieder zwischen Gottes Bild und dein Herz, musst du auch sagen: nein, ich kann, ich kann es nicht vergessen was ich dort geredet, da getan, es ist wie ein Mord in meinen Gebeinen: hast du's nur rein aus deinem Herzen ausgeschüttet und unter Jesu Kreuz gebracht, hast du's dem Herrn bekannt und Vergebung der Sünden empfangen da wo du sie gewiss findest: - nun so wende dich weg davon nach dem Zuruf des Apostels: ich vergesse was da hinten ist und strecke mich nach dem das da vorne ist wende dich dem Herrn zu und siehe Ihn an. Siehe Ihn an den Gekreuzigten. An Ihm ist deine Sünde abgetan. Siehe sie an die ausgereckten Arme. Nach dir breiten sie sich aus, für dich bittet sein Mund: Vater vergib! Deinen Fluch wandeln die durchgrabenen Hände in Segen und wollen dir den Frieden geben, den die Welt nicht hat. O siehe Ihm in sein brechendes Auge! Der letzte Blick der Liebe und des Erbarmens, er gilt dir! Und wie Er da am Kreuz nach dir geblickt ehe du geboren warst, so sieht Er heute auf dich. Denn Jesus lebt. Und wir sollen auch leben. Ist unser Elend gestern und heute dasselbe und wird's morgen wieder sein, so vergesst es nicht: Jesus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. Welche Ihn ansehen und anlaufen, derer Angesicht wird nicht zu Schanden. O seht Ihn nicht bloß an, lauft Ihn an! Ihr kommt Ihm nie zu ungelegener Zeit. Uns kommt man wohl oft ungelegen. Auch die geduldigste Mutter wird unwillig, wenn ihr Kind zu oft mit derselben Unart, mit derselben Klage kommt. Nicht so das Herz des Heilandes. Ihr könnt hundertmal mit derselben Not, mit derselben Bitte, mit derselben Klage kommen. Er wird euer Angesicht nicht zu Schanden werden lassen. Nur kommt. Nur macht ihm nicht die Schande und den Schmerz, dass ihr nicht hört, wann Er ruft, dass ihr euch nicht finden lasst, wann Er euch sucht. Nur seht Ihn an und lauft Ihn an. Lauft Ihn an, je öfter, je zudringlicher, desto besser!

O hört die große Bitte aus seinem eigenen hohenpriesterlichen Munde Psalm 69,7: lass nicht zu Schanden werden an mir, die deiner harren, Herr Herr Zebaoth, Lass nicht schamrot werden an mir, die dich suchen, Gott Israels. So hat Er selbst zum Vater gebetet, und der Vater sollte zu Schanden werden lassen die Ihn den geliebten Sohn ansehen und anlaufen? Nein, das kann Er nicht. Denn Er ist ein wahrhaftiger Gott. Was Er zusagt, das hält Er gewiss. Das ist die Bitte seines Sohnes: lass nicht zu Schanden werden an mir, die dich suchen. Da ist Sein Wort: welche Ihn ansehen und anlaufen, derer Angesicht wird nicht zu Schanden. Dabei bleibe, meine Seele. Dafür lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen. Geliebte, das ist alles Lobes wert. Lasst euch denn zu solchem Lobe reizen. Ich bitte euch: Lasst euch mit Gott versöhnen. Reißt euch heraus aus Seufzen und Klagen und Weinen, werft es hin; ihr dürft es. Ihr dürft den Herrn loben! Ach, dass wir es Alle einmütiglich und mit Einem Munde täten! Dass keines dahinten bliebe! Dass wir uns Alle dereinst vor dem Gnadenthron lobend und dankend und anbetend wiederfänden und keines von uns dort fehlte! Herr Gott, Du kannst es schaffen, Du kannst es geben. O schaff und gib es zur Ehre Deines Namens. Amen.

Votum.

Ich will den Herrn loben allezeit. Steht's so in deinem Herzen, liebe Gemeine, nun so erhöre dich der Herr in der Not, der Name des Gottes Jacob schütze dich; Er sende dir Hilfe vom Heiligtum und stärke dich aus Zion. Er gebe dir, was dein Herz begehrt und erfülle alle deine Anschläge. Amen.

1)
Gemeint ist wohl der Krimkrieg
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