Hofacker, Ludwig - VII. Am Grabe einer wohlbetagten Mutter und Großmutter

Hofacker, Ludwig - VII. Am Grabe einer wohlbetagten Mutter und Großmutter

Endlich ist die alte, morsche Hütte, die so lange ein Wohnhaus eines erlösten Geistes gewesen war, abgebrochen, und zwar an dem Tage, an welchem vor 25 Jahren ihr geliebter Sohn das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht hat, abgebrochen worden, und wartet in der Erde, der sie anheim gegeben ist, auf die große Stunde, da der Sohn Gottes wird, was durch den Tod und die Verwesung zerstöret schien, wieder neu zusammenlesen, und hervorgehen, die Einen zur Auferstehung des Lebens, die Andern zur Auferstehung des Gerichts. Vier und achtzig Jahre lang hat die Verewigte auf dieser Welt gepilgert, und manchen schweren Stand gehabt. Sie hat zwar von ihrem 9ten Jahre an bis in ihr 83stes eine ununterbrochene Gesundheit genossen, und zuletzt gar nicht mehr recht gewußt, was eigentlich Krankseyn heißt, aber dafür hat sie 30 Jahre lang einen blind gewordenen Ehegatten gepflegt, wobey die ganze Last der Haushaltung und der Kinder-Erziehung auf ihr lag; dafür hat sie manchen, ihr sehr werthen und theuren Menschen, die sie näher oder entfernter angiengen, in das Grab nachgesehen; dafür hat sie manches häusliche Ungemach erlebt, und obgleich eine ausgebreitete Familie, Enkel und Urenkel, welche die alte betagte Mutter sehr in Ehren hielten, ihr manche Erquickung und Genuß und Freude bereitete, so hat es doch nicht, wie es wohl zu vermuthen ist, an niederschlagenden Umständen gefehlt, wozu namentlich auch der vor nicht gar einem Jahre erfolgte Tod ihrer geliebten Tochter gehörte, der sie tief angriff und betrübte, und wie es schien, dazu viel beitrug, ihren Blick himmelwärts zu richten. Und so hat sie sich denn in ihrer letzten Krankheit, wodurch ihre Kräfte langsam verzehrt wurden, mit großer Ruhe und Ergebung in den Willen ihres Gottes, der sie bisher geliebet und wohl geführet, auch ihr aus Manchem herausgeholfen und sie niemals versäumet, noch verlassen habe, hineingelegt, und ist, wie wir zu dem Heiland und Seiner Liebe hoffen, in das Reich der Freiheit eingedrungen, wo kein Alter mehr ist, sondern wo in ewiger Jugend und Erneuerung aus der Fülle Christi Seine Erlösten Frieden und ewige Wonne genießen.

Wenn ich ihren geistigen Zustand beschreiben sollte, wie er sich auf ihrem letzten Krankenlager kund gethan hat, so möchte ich dazu die Worte Jakob’s brauchen, wo er sagte: „HErr, ich warte auf Dein Heil!“ Als er nämlich seine Füße zusammenlegte und im Begriffe war zu sterben, da sprach er noch mitten unter den Segen hinein, den er, der alte abgelebte Pilgrimm Gottes, seinen Söhnen ertheilte: „HErr, ich warte auf Dein Heil!“ Er hatte eine Laufbahn hinter sich, von welcher er selbst gesagt hatte, daß sie kurz und böse gewesen sey; durch manche Aengste und Nöthen war er durchgedrungen, und sein Sinn war darunter gebeuget und weich gemacht worden; es war darunter ein fester Glaube an den Gott seiner Väter in sein Herz gepflanzet und bewähret worden; darum erhob es seinen Blick bey’m Austritt aus diesem Jammerthal, und es erquickte ihn, wenn er an das Heil Gottes gedachte, das seiner Nachkommenschaft noch erscheinen, wodurch ihnen Trost und Freude bereitet werden würde auf dieser Erde, die der HErr verflucht hatte, auf welcher nichts als Ungemach und Kummer ist, und wo nun das große Gesetz in der Führung der Kinder gilt, daß sie nur durch viel Trübsal können in das Reich Gottes eingehen. Es war ihm in seiner Todesstunde zur großen Erquickung, daß er auf das künftige Heil Gottes, auf den Trost Israels, auf JEsum Christum und auf den mit Ihm hereinbrechenden Tag der Erlösung hinblicken konnte, und durfte alle seine bösen Tage und alle Bekümmernisse und Angst seines Herzens in diese große Hoffnung hineinsenken und darin ausruhen. In diesem Lichte Gottes schickte er sich getrost an, seine verfallene Hütte dem Tode zu übergeben.

Auch unsere entschlafene Mitschwester hat im Blick auf die Ewigkeit, der sie entgegen gieng, mit Ruhe und Ergebung auf das Heil gewartet, das in Christo der Welt aufgegangen, und mit dem blutigen leiden ihres Versöhners versiegelt war. Durch den Geist Gottes war sie vor ihrem sündlichen Verderben und von der Menge und Unbezahlbarkeit ihrer Schulden überzeugt, und richtete darum ihre ganze Hoffnung und Vertrauen auf Den, der am Kreuze für Alle bezahlt hat, dessen treue Vorsorge sie in ihrem Leben oft erfahren hatte, der von sich selbst gesagt hat: „es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.“ Diesem Gott traute sie es zu, daß Er sie, ob sie wohl eine große Sünderin sey, und in ihrem langen Laufe so viel Schuld auf sich geladen habe, die sie damals nicht einmal für Schuld ansahe, und welche ihr erst gegen das Ende ihrer Laufbahn als solche aufgedeckt wurde, ich sage, sie traute es dem getreuen Gott zu, daß Er sie nicht verstoßen noch verlassen, sondern um des ewigen Versöhnopfers willen annehmen, und in das obere Vaterland werde aus Gnaden eingehen lassen.

Was ist es doch, wenn durch den Geist Gottes solch’ ein gebeugter, vertrauender Sinn in das Herz eines Menschen gepflanzt werden konnte! O! in solcher gewissen Hoffnung und Zuversicht, die man auf das Herz Gottes stellet, nicht auf eigene Würdigkeit, sondern auf das Herz und Verdienst seines Erbarmers, da läßt es sich gar sanft hinsterben, da ist es eine süße Sache, seine Füße über einander zu legen, und dem Tode, der nur eine Erlösung bringen kann aus dem Jammer dieser Zeit, entgegen zu blicken. Wo ein solcher Sinn recht mächtig, recht durchbrechend worden ist, und allen Unglauben des gebeugten und gedemüthigten Herzens aufgehoben, und in das Erbarmen hinein verschlungen hat, da läßt man mit Freuden und im Frieden seine irdische Arbeit stehen, und eilet dem ewigen Sabbath und dem Anschauen und Genießen der Seligkeit entgegen, die Christus erworben hat, und in welche aus Gnaden einzugehen das Herz eine gewisse Zuversicht heget.

„HErr, ich warte auf Dein Heil!“ hat Jakob gesagt, und eben damit das innerste Seufzen seines Herzens vor dem HErrn, seinem Gott, laut werden lassen. Die Welt wartet freilich auf ganz andere Sachen als auf das Heil Gottes, sie wartet auf Dieses oder Jenes, auf diesen oder jenen Genuß, Freude, Ehre, aber ein Herz, das in sich selbst arm worden ist, das seine Schuld erkennet, ein Herz, dem das Seufzen der Kreatur im Inwendigen offenbar worden ist, das kann nicht mehr auf Dinge warten, die da vergehen, es wartet auf das Heil Gottes, auf Sein ewiges Heil; ein alter Pilgrimm Gottes, wie Jakob war, wünschet nicht mehr das zurück, was er froh ist, überstanden und durchgemacht zu haben, sondern er siehet vorwärts, er wartet, und seine ganze Sehnsucht gehet auf das Neue, auf die Stadt, die zukünftige, wo nicht mehr Pilgerhütten aufgeschlagen werden, sondern das Vollkommene offenbar wird. Und ob ein solcher Pilgrimm Gottes auch lange warten müßte, so wird seine Freude nur desto vollkommener und größer, wenn endlich der gewünschte Tag erscheinet, wo sein Gebet um Befreiung von allem Uebel und um den Anbruch des großen Erlösungsmorgens erscheinet.

Unsere verewigte Mitschwester ist, wie wir zu der Gnade Gottes hoffen, durch Christi Blut und Gerechtigkeit, auf welches sie im Gefühle ihrer Nichtigkeit und Sündhaftigkeit vertraute, zur seligen Endschaft ihres Pilgerlaufes, welche für die Erlöseten der Anfang der durch Christum bereiteten Erbschaft ist, hindurchgedrungen, und genießet, wie wir hoffen, nun das Heil Gottes, auf das sie wartete. Ach, was ist nun ihr langer Pilgerlauf! was sind nun ihre Beschwerden, die sie gehabt hat! was ist nun der häufige Schmerz über den Hingang ihr so theurer Menschen, den sie hienieden empfunden hat! was ist nun die langwierige Schwäche und Krankheit, die sie am Ende ihres Lebens im tiefen Schmerz empfunden, und aus der sie sich lange hinausgesehnet hat! was ist es nun! Es ist vorbey, damit ist Alles gesagt. Im Frieden hat ihr getreuer Schöpfer ihre Hütte abgebrochen und die Bande ihres Leibes aufgelöst; „ich habe alles Dings ein Ende gesehen, aber Gottes Liebe währet in Ewigkeit.“

Was soll ich den Hinterbliebenen sagen? Ich weiß nichts zu sagen, als daß ich wünsche, der Geist des Friedens und des Gebets möge doch die ganze, so große Familie zu einem Hause verbinden, in welchem der HErr wandelt, das sich mit Ernst und Liebe rüstet für den Tag der Offenbarung JEsu Christi, damit doch ja Keines dahinten bleibe, und unsere Verewigte, die, wie wir hoffen, jetzt daheim ist, wenn sie einst herumblickt auf ihren Familienkreis, unter ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln doch Keines vermissen möchte in den Wohnungen des Friedens. Ich rufe der ganzen Familie im Namen der Verewigten zu, und ich bitte euch, daß ihr es als Stimme von ihr selbst annehmen wollet:

Mein’ Wallfahrt ich vollendet hab’
In diesem armen Leben,
Jetzund trägt man mich in das Grab
Darauf wird sich anheben
Ein’ neue Freud’ und Seligkeit
Bey Christo, meinem HErrn,
Die allen Gläub’gen ist bereit’t;
Dieß ist die Kron’ der Ehren.

Ich hab’ auf meinen HErrn JEsum Christ’
Mein’ Hoffnung, Thun und Leben
Gestellt, der auch zu aller Frist
Mir Hülf’ und Trost gegeben.
Der woll’ zugleich die Freunde hier,
Die ich zurückgelassen,
Beschirmen, und mit großer Zier
Endlich auch zu Sich fassen.

Amen!

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