Hofacker, Ludwig - Predigt am neunzehnten Sonntage nach Trinitatis

Hofacker, Ludwig - Predigt am neunzehnten Sonntage nach Trinitatis

Von der Vergebung der Sünden.

Text: Matth. 9,1-8.

Da trat JEsus in das Schiff, und fuhr wieder herüber, und kam in Seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu Ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun JEsus ihren Glauben sahe, sprach Er zu dem Gichtbrüchigen: sey getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, Etliche, unter den Schriftgelehrten sprachen bey sich selbst: dieser lästert Gott. Da aber JEsus ihre Gedanken sahe, sprach Er: warum denkt ihr so Arges in euren Herzen? Welches ist leichter zu sagen: dir sind deine Sünden vergeben? oder zu sagen: stehe auf und wandele? Auf daß ihr aber wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe auf Erden, die Sünden zu vergeben, sprach Er zu dem Gichtbrüchigen: stehe auf, hebe dein Bett auf, und gehe heim. und er stund auf und gieng heim. Da das Volk das sahe, verwunderte es sich, und preisete Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.

„Lobe den HErrn, meine Seele, und was in mir ist, Seinen heiligen Namen! Lobe den HErrn, meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes gethan hat! Der dir alle deine Sünden vergibt, und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit.“ So hat David im 103. Psalm aus großer Inbrunst des Geistes den HErrn gelobt, der sich ihm in seinem Inwendigen als die barmherzige, vergebende Liebe geoffenbaret hatte, und in dieses Loblied Davids hat schon manches Kind Gottes, besonders in den Zeiten des neuen Bundes, mit völliger Freude einstimmen können. Auch der arme Gichtbrüchige, der nach unserem Evangelium die Heilung seiner innern und äußern Gebrechen aus der Hand der allmächtigen Liebe empfieng, ist wohl mit den Empfindungen, die der 103. Psalm ausspricht, von JEsu hinweg und heim gegangen.

Offenbar war der Gichtbrüchige, da er sich zum Heilande bringen ließ, bekümmerter um seinen innern als um seinen äußern Zustand. Seine Sünden nagten an seinem Herzen; er sehnte sich nach Vergebung derselbigen, nach der Gnade und dem Frieden Gottes. So entschließt er sich, als ein armer Kranker sich zum HErrn JEsu tragen zu lassen. Vier Männer (Marc. 2,3.) tragen ihn herbey; aber sie können, da das ganze Haus mit Menschen überfüllt ist, nicht durch das Volk mit ihrer Last durchdringen. Da decken sie das Dach auf; sie graben es auf, und lassen das Bett, da der Gichtbrüchige innen lag, hernieder vor die Füße JEsu. Da nun JEsus ihren durch alle Hindernisse mächtig hindurchbrechenden Glauben siehet, so wendet Er sich zum Kranken voll Huld und Gnade, und spricht zu dem bekümmerten Menschen: „sey getrost, mein Sohn! deine Sünden sind dir vergeben!“ Ein großes, gnadenreiches Wort! ein Wort, das Leib und Seele mit Lebenskraft durchdringen mußte.

Liebe Zuhörer! Wenn wir nicht verloren gehen wollen: so müssen wir von Dem, der Macht hat auf Erden, Sünden zu vergeben, Vergebung der Sünden erlangen, so gut als der Gichtbrüchige. Dieß will ich weiter ausführen, und unter Gottes Beystande reden

Von der Vergebung der Sünden.

Ich will zeigen:

I. wie bedürftig wir der Vergebung unserer Sünden seyen;

II. wie uns Christus dieselbige erworben habe; und

III. wie wir der Vergebung der Sünden theilhaftig werden.

Liebreicher Menschensohn! offenbare uns durch Dein Wort und durch Deinen Geist die Rechte Deiner Gerechtigkeit, damit wir uns in solche Schranken fügen, und darin das ewige Leben finden! Amen.

I.

„Ich glaube eine Vergebung der Sünden.“ So bekennen wir in unserem Glaubens-Bekenntnisse von dem heiligen Geiste. Wir sagen mit diesen Worten nichts anders als: ich glaube, daß, ob ich gleich ein Sünder bin und die höllische Verdammniß mit meinen Sünden wohl verdienet habe, ich doch darum nicht werde verdammt werden, sondern daß mir Gott meine Sünden, im Wege der Buße und des Glaubens, vergibt und nicht zurechnet; ja, ich glaube, daß in Christo eine Veranstaltung getroffen worden ist, wodurch alle meine Sünden, die großen und die kleinen (wiewohl es gar keine kleinen gibt), die Sünden in Gedanken, wie die, so in Worte und Werke ausgebrochen sind, verschlungen, bedeckt und in die Tiefe des Meeres versenkt sind, daß ihrer ewiglich nicht mehr gedacht werden soll, und um des Blutes und Verdienstes JEsu Christi willen weder Schuld noch Strafe an mir hafte. Dieß ist die große Lehre, die große, aller Annahme werthe Wahrheit, die wir in dieser Stunde näher betrachten wollen.

Wir sind Sünder, liebe Zuhörer! Können wir es läugnen? Ist Jemand da, der dieß zu läugnen gesonnen wäre? Ich glaube nicht. Der blindeste und selbstgerechteste Pharisäer gibt ja zuletzt zu, daß er auch seine Fehler gemacht habe, und verschanzt sich mit seiner Eigenliebe hinter die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts hinum, und spricht: wir sind eben allzumal Sünder. Es ist also Keines hier, das nicht ein Sünder wäre. Nicht wahr? Aber wisset ihr auch, was wir mit dem Bekenntnisse: ich bin ein Sünder! für ein anderweitiges Bekenntniß ablegen? Wenn du sagst: ich bin ein Sünder! so sagst du in der That nicht anders als: ich bin eine sehr elende Kreatur, ich bin ein verdammter und verlorner Mensch, ich bin den zeitlichen und ewigen Strafen Gottes verfallen; wie auch in unserem Confirmations-Büchlein auf die Frage: „was hast du mit deinen Sünden verdient? die Antwort gegeben wird: „nichts anders denn Gottes Zorn und Ungnade, auch allerley zeitliche Strafen, dazu die ewige höllische Verdammniß.“ So ist also keine Seele unter uns, die nicht der ewigen höllischen Verdammniß verfallen wäre, wenn sie nicht Vergebung ihrer Sünden erlangt. Ach wer bedenkt dieß?

Im alten Testamente steht: „verflucht ist Jedermann, der nicht hält alle Worte dieses Gesetzes.“ Dieß ist nun freilich alttestamentlich, und bezieht sich auf das Gesetz, das durch Moses gegeben wurde. Aber es ist doch nicht ein Ausspruch Gottes, der nur auf die Gestalt des Gesetzes paßte, und nun durch den Anbruch des neutestamentlichen Tages aufgehoben wäre, sondern dieses Wort Gottes ist aus der Heiligkeit Gottes unmittelbar herausgeflossen, und bleibt unwandelbar. Verflucht ist Jeder, der nicht das ganze Gesetz erfüllet; verflucht ist der Mensch, der in einem einzigen Gebote fehlet, wenn er auch alle übrigen erfüllet; verflucht ist der, welcher, wenn er auch sonst nichts Unrechtes verübt hätte, nur mit einem einzigen Gedanken sich verfehlen sollte (was eine Unmöglichkeit ist); aber diese einzige in unsern Augen gering geachtete Sünde würde ihn, so er nicht Vergebung darüber fände, der höllischen Verdammniß überliefern (Jak. 2,10.). Dieß ist das Gesetz der Heiligkeit des Gottes, vor welchem jede Sünde ein Greuel ist. Er ist ein Licht, und ist gar keine Finsterniß in Ihm. Er ist die reinste, lauterste Heiligkeit! die vier heiligen Wesen, die vor Seinem Throne stehen, und in die ewigen Abgründe Seiner Gottes-Vollkommenheiten hineinblicken, können, indem sie von einem Abgrund in den andern sehen, nichts entdecken als lauter Heiligkeit; sie rufen daher unaufhörlich: „Heilig! Heilig! Heilig ist Gott!“ Dieses allerreinste, allerlauterste Wesen kann sich aber mit dem unreinen, mit der Finsterniß nimmermehr vermengen; nur, was ohne Flecken und Finsterniß ist, kann in Gemeinschaft mit demselben treten, alles Andere wird von Ihm ausgestoßen, kann nicht bleiben vor dem Angesichte dieser Heiligkeit, ist ein Greuel vor Ihm, ist verstoßen und ein Fluch vor Ihm, der Zorn des Lebendigen bleibet auf ihm. Darum ist’s heute noch wahr, und wird wahr bleiben, so lange Gott Gott ist: verflucht ist Jedermann, der nicht hält alle Gebote Gottes, der in einem einzigen ungehorsam ist.

Doch ich brauche nicht so fein zu Werke zu gehen, um euch zu zeigen, daß ihr ohne Vergebung der Sünden dem Zorne Gottes verfallen seyd. Es ist gewiß Niemand unter uns, der sich in seinem Leben nur ein einziges Mal, nur mit einem einzigen Gedanken verfehlt hätte; es sind keine Leute da, die nur solche unbedeutende Flecken an ihrem Tugendkleide hätten. Nein! ich weiß aus meiner und aus fremder Erfahrung: es sind Sünder hier, rechte Sünder, wahre Sünder, wirkliche Sünder. Das Wort Gottes sagt: „die Hurer und Ehebrecher wird Gott richten!“ Sind keine Hurer und Ehebrecher unter uns? Es werden schwerlich Solche zu finden seyn, die nicht nach dem Spruch Christi (Matth. 5,28.) unter die Ehebrecher zu zählen wären. Das Wort Gottes sagt: „du sollst den Namen deines Gottes nicht vergeblich führen“, und legt den fluch auf die Uebertretung dieses Gesetzes. Sind keine Flucher und Schwörer unter uns? Das Wort Gottes sagt: „die Diebe werden das Reich Gottes nicht ererben“ – sind keine Diebe, keine Betrüger unter uns? Das Wort Gottes sagt: „wer seinen Bruder hasset, der ist ein Todtschläger, und ein Todtschläger hat das ewige leben nicht bey ihm bleibend“ – ist Niemand mit einem Kainssinn da? Niemand, der Neid, Feindschaft, Schadenfreude, Rachgier in seinem Herzen genährt oder ausgeübt hätte, oder noch in diesen Dingen gefangen wäre? Das Wort Gottes sagt: „du bringest die Lügner um“, und draußen sind die Lügner, sie dürfen nicht hineingehen zu den Thoren der neuen Stadt“ – sind keine Lügner unter uns? Das Wort Gottes sagt: „daß ihr über jedem unnützen Worte werden zur Rechenschaft gezogen werden“ – ist Eines unter uns, das in dieser Hinsicht kein Gericht zu erwarten hätte? Das Wort Gottes sagt: „wehe der Welt der Aergernisse halben! Es wäre dem, der Aergernisse gibt, besser, es würde ein Mühlstein an seinen Hals gehängt, und er ersäuft im Meere, da es am tiefsten ist“ – haben wir kein Aergerniß gegeben, den Seelen der Kinder keinen Schaden zugefügt durch sündliche, leichtsinnige Handlungen, Worte, Geberden, Mienen, Augen? Das Wort Gottes sagt: „du sollst Gott lieben von ganzem Herzen“, nicht von halbem Herzen, von ganzem Gemüthe, aus allen Kräften, nicht halb, und deinen Nächsten sollst du lieben als dich selbst“ – haben wir dieß gehalten von unserer Jugend an? Ich antwortete in Aller Namen: Nein! Wem aber sein Gewissen Zeugniß gibt, daß er sich in einem dieser Stücke verfehlt habe, der ist eben darin der göttlichen Strafgerechtigkeit verfallen, er ist verflucht.

Wer glaubt es aber, daß Du so sehr zürnest, und wer fürchtet sich vor solchem Deinem Grimm? Dieß glauben wir nicht. Wenn wir es glaubten, so würden wir uns ja aufmachen, und mit Thränen und großer Angst Gnade suchen; aber wir glauben es nicht. Wir sind zu stumpf dazu, zu ungeistlich, zu sehr in’s Irdische vertieft und verloren, oder wir sind zu sehr angesteckt von der Pest, die gegenwärtig im Finstern schleichet, ja, die im Mittag verderbet. Denn das ist die Hauptsünde unserer Zeit; das ist die Hauptlüge, welche der Vater der Lügen ausgeboren hat, der Sauerteig, womit er alle Welt, den ganzen Zeitgeist durchsäuert hat, daß er alle ernstlichen und strengen Worte Gottes, alle Worte Seiner ewigen Gerechtigkeit geschwächt, heruntergesetzt, in die Weichlichkeit der menschlichen Eigenliebe hineingedreht, und ihnen so alle Kraft an die Herzen der Menschen genommen hat. Sie erkennen ja keinen Ernst der Heiligkeit Gottes, keine Strafgerechtigkeit, die es genau mit der Sünde nimmt, keinen Zorn der beleidigten Majestät Gottes mehr an, der hinunterbrennt bis in die unterste Hölle; solche Vorstellungen mögen sich mit der aufgeklärten Vernunft nicht mehr reimen; daher der Leichtsinn, womit sie schaarenweise der Hölle zulaufen. Aber es bleibt dabey, die armen, verblendeten Knechte des Verderbens mögen sagen, was sie wollen – die Ewigkeit, der künftige Gerichtstag, der Tag, wo das Lamm Gottes in Seinem Löwengrimme sich offenbaren wird, wird das rechtfertigen, was ich sage: wer ein Sünder, ein Uebertreter des göttlichen Gesetzes ist, der ist verflucht, und wenn er nicht auf dem von Gott vorgeschriebenen Wege Vergebung findet: so bleibt er auch verflucht, er wird verdammt.

Dieß wird auch durch die Erfahrung bestätigt. Ein jeder unbegnadigter Mensch hat ein böses Geschwür in der Tiefe seines Herzens, einen faulen Fleck, den er nur zu berühren sich scheut, und dieses Geschwür ist eben der Fluch des Gesetzes. Daher kommt’s, daß keine wahre Freudigkeit zu dem Vater in einem solchen Herzen ist; daher kommt es, von diesem Geschwüre kommt es her, ihr unbekehrten Leute, daß ihr zu Zeiten so mißvergnügt, so unruhig seyd in eurem Inwendigen in Absicht auf euch selbst. Daher kommt es, daß sich bisweilen ein Seufzer nach etwas Besserem, nach höherer Freiheit aus eurem Herzen hervorarbeitet; ihr seyd eben gedrückt, gefangen in eurem innersten Geiste, es liegt ein Bann auf euch, es zehrt etwas an euch. Daher kommt es, daß die meisten Menschen sich so gerne in ihre Geschäfte, und in allerhand andere Dinge hineinzerstreuen, und so ungerne allein sind. Sie sagen: sie bekommen Langeweile, wenn sie allein seyen. Nun ich will’s zugeben, daß Langeweile sich einstellt aus Geistesleerheit; aber ich weiß doch noch eine Ursache. Wenn sie allein sind, so kommt Einer zu ihnen, und dieser Zweite ist ihnen sehr unangenehm, weil er ihnen Dinge sagt, die sie nicht hören mögen; mit andern Worten: wenn sie allein sind, so richten sich unwillkürlich die Gedanken rückwärts auf ihren eigenen Zustand, und da kommt man dann eben an dieses Geschwür, welches nur zu berühren sie sich so sehr scheuen. Von diesem Geschwüre kommt es her, daß die meisten Menschen Knechte der Furcht des Todes sind ihr Leben lang. Daher kommt der entschiedene Eckel vor dem Worte Gottes, wenn es in den Häusern, oder in ihren Gesellschaften, oder sonstwo ihnen begegnet; denn in den Kirchen, da können sie es zur Noth noch leiden, weil hier in’s Allgemeine gesprochen wird, und sie sich immer, es mag gesagt werden, was da will, zur Noth hinter den übrigen Haufen der Kirchengänger hinumflüchten können. Aber das Wort Gottes hat eben eine Kraft, jenes Geschwür aufzureißen, und darum scheuen sie dasselbige, wenn es mit ihnen insbesondere sprechen will. Aber, liebe Zuhörer! es ist umsonst, daß wir der Stimme der Wahrheit ausweichen; einmal muß sie gehört werden, sey es nicht in dieser Welt, doch gewiß in der Ewigkeit.

Jetzt kann man freilich diesen innern Schaden noch zuschmieren und überkleistern! Es gibt Leute, die es zu einer erstaunlichen Fertigkeit gebracht haben, Alles von sich abzuweisen, was irgend fähig wäre, ihnen aus ihrem Träume und Selbstbewußtseyn zu helfen. Es gibt Leute, die durch die lügenhaften Vorstellungen dieser Zeit und durch ihre Eigenliebe so bezaubert sind, daß sie auch keine Ahnung mehr von diesem inwendigen Gerichte haben, und darum mit einer Art Behaglichkeit dem Tode sogar entgegengehen, „weil in dem lande der Vollkommenheit ihrer Tugend hoher Lohn auf sie warte.“ Auch kann ein Mensch, wenn er lange der Sünde gedient, und die Gnadenzüge Gottes lange und muthwillig von sich gewiesen hat, und nach und nach durch Betrug der Sünde und unter der gerechten Zulassung Gottes so verstockt werden, daß auch kein einziges schmerzliches Gefühl seiner Verdammungswürdigkeit, kein Seufzer nach etwas Besserem in ihm aufsteigt, sondern das ganze Herz verhärtet, verstockt, wie mit Schmeer überzogen wird. Auch trifft man zuweilen Solche an, die durch langwierige Untreue im Gebrauche des Wortes Gottes, durch bloß gelehrte, oder sonst nur auf’s Wissen oder Lehren Anderer berechnete Behandlung desselbigen endlich für die Kraft des Wortes Gottes ganz unzugänglich werden, und das inwendige Seufzen ihres Geistes mit ihrem Wissen und ihrem anerlernten Troste so vernageln, daß sie nichts, gar nichts mehr davon hören können. Liebe Zuhörer! Jetzt können die Menschen die ihnen unangenehme Stimme der Wahrheit, die durch das Wort und den Geist Gottes von ihrem innern Elende Zeugniß gibt, noch überhören, noch weglachen, wegsaufen, wegschlafen, wegraisonniren, wegarbeiten, weglügen; aber wehe! wehe! wenn dieses innere Gericht erst in der Ewigkeit ausbricht!

O wie elend wären wir, wenn es keine Vergebung der Sünden gäbe! Wie beneidenswerth wäre das Schicksal eines Hundes in Vergleichung mit dem Schicksale eines Menschen! Ein Hund ist zufrieden, wenn seine körperlichen Bedürfnisse und Triebe befriedigt werden. Aber der Mensch hat höhere Bedürfnisse in sich; Gott hat ihm die Ewigkeit in das Herz gelegt, und er sehnet sich mit seinem innersten Trieben nach dem unvergänglichen Gute, nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Aber ohne Vergebung der Sünden könnte dieses Bedürfniß nimmermehr befriedigt werden; denn die Sünde zieht eine für den Menschen unauflösliche Scheidewand zwischen uns und Gott. Da stünden wir, versunken in uns selbst, hineingebrannt in unser eigenes Elend, als Verlorne und Verdammte müßten wir durch dieses Leben gehen, um so unglücklicher, je nüchterner wir wären. Es bliebe uns nichts übrig, als mit den Narren zu sagen: „lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt.“ Aber dieß wäre wieder nichts denn ein Wort der Verzweiflung. Es ist wahr, was in jenem Liede steht:

All’ Sünd’ hast du getragen,
Sonst müßten wir verzagen

II.

Aber Gott Lob! All’ Sünd’ hat Er getragen. Das ist wahr; das ist begründet; das ist eine felsenfeste Wahrheit, ein Felsen, den kein Teufel und kein Zweifel jemals umwerfen wird. JEsus Christus hat alle Sünden getragen, die Sünden aller Sünder getragen, abgebüßt, abgethan an seinem eigenen Fleische; Er hat allen Bann aufgehoben, allen Fluch hinweggethan; Er hat eine ewige Erlösung erfunden. Er sahe unser Elend, da jammerte Ihn, und da Niemand helfen konnte, so stellte Er sich selbst ein als der einzige, als der wahre Helfer. Er wurde ein unmündiges Kind um unsertwillen, ein Knabe, ein Jüngling, ein Mann, ein Handwerksmann, ein Lehrer im völligsten Gehorsam gegen den Vater. Er gab Sich hin williglich in Noth und Tod; Er hat das ganze Gesetz erfüllet; Er hat das ganze Gericht der Sünde an sich hinausführen lassen; Er hat die Sünde wesentlich abgebüßt; Er hat den ganzen Schrecken der beleidigten Majestät, den ganzen Zorn Gottes auf Sich genommen; Er ist ein Fluch geworden für uns; denn es stehet geschrieben: „verflucht ist Jedermann, der am Holze hängt. Gott hat Den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in Ihm die Gerechtigkeit Gottes. Hallelujah!“

Weil JEsus Christus der Schöpfer aller Kreaturen ist, weil alle Kreatur aus Seinem Willen ihr Daseyn erhielt, weil jede Kreatur ein Gedanke Seiner Gottes-Weisheit, eine Geburt Seines Willens ist, weil die ganze Schöpfung wesentlich in Ihm lag, ehe Er sie in’s Daseyn rief: so konnte auch Er allein für die gefallene Schöpfung einstehen, so konnte an Ihm das hinausgeführt werden; Er konnte die Schuld und Strafe der Menschheit an Sich erdulden; Er konnte unser wesentlicher Bürge, unser wesentlicher Repräsentant, unser Lamm werden, das unsere Sünden büßte; denn Er ist unser Schöpfer, und durch Seine Menschwerdung unser Bruder und Blutsfreund. Ein Engel hätte das nicht gekonnt, denn es kann kein Bruder den andern erlösen. Aber JEsus Christus konnte es, denn die Menschheit liegt in Ihm; Er ist ihr Schöpfer und auch ihr Bruder. Was Er gelebt hat, das ist gerade, wie wenn es die Menschheit und ein Jeder insbesondere gelebt hätte; was Er gethan hat, das gilt gerade, wie wenn es die Menschheit gethan hätte; was Er gelitten hat, das gilt gerade, wie wenn es die Menschheit gelitten hätte; Seine Kämpfe, Seine Arbeit, Seine Geduld, Seine Wunden, Seine Beulen, Sein Tod, Alles gilt für die Menschheit; denn der Schöpfer ist für die gefallene Schöpfung eingetreten. „So halten wir nun“ – sagt der Apostel – „daß, so Einer gestorben ist, so sind sie Alle gestorben“; Sein Tod ist der Tod Aller. So müssen wir den Lauf des Heilandes ansehen; es ist Alles, was Er that und litt, verdienstlich für uns.

Und nun sehet Ihn an in Seinem Erniedrigungslaufe durch diese Welt! Hier hat Er die Sünde abgethan und die ewige Gerechtigkeit erworben. Die Sünde hat Er abgethan, damit, daß Er sich allen Folgen derselben, der ganzen Schwachheit des Fleisches, dem ganzen Zorne der Heiligkeit Gottes über die Sünde, und eben darum zuletzt den bittersten Leiden und dem Missethäterstode am Kreuze unterworfen hat. Die Gerechtigkeit hat Er erworben dadurch, daß ER trotz dieser Schwachheit des Fleisches, trotz der härtesten Versuchungen des Teufels und der Welt, doch den Gehorsam gegen den Vater durchbehauptet, und als ein reiner Mensch ohne Sünde Seinen dreyunddrreißigjährigen Lauf durch diese Welt vollendet hat. Nun ist Seine Gerechtigkeit durch den Glauben an Ihn unsere Gerechtigkeit vor Gott; nun ist’s gerade, wie wenn an uns die Sünde abgestraft worden wäre, wie wenn wir diesen heiligen, fleckenlosen Wandel durch die Welt gemacht hätten. Er ist ganz für uns eingestanden. O sieh Ihn recht an, mein Herz, betrachte Ihn, und beuge dich anbetend in den Staub, daß du einen solchen vollkommenen Versöhner und Bürgen hast! Seine heilige Zeugung in dem Leibe Seiner Mutter macht gut meine unheilige Zeugung, denn ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen; Seine heilige Geburt macht gut meine unheilige Geburt; Seine heilige Kindheit und Jugend macht gut meine unheilige Kindheit und Jugend; Sein Gehorsam macht gut meinen Ungehorsam; Seine Liebe macht gut meine Lieblosigkeit; Seine Geduld macht gut meine Ungeduld; Seine Arbeitstreue meine Untreue und Faulheit; Seine Demuth meinen Hochmuth; es kommt Alles mir zu gut. Seine Schmach ist meine Schmach; Seine Verspottung und Verspeiung ist meine Verspottung und Verspeiung; Seine Dornenkrone ist meine Dornenkrone! Seine Schläge sind meine Schläge; Sein Kreuz ist mein Kreuz; Seine Wunden sind meine Wunden; Sein Tod ist mein Tod. In Ihm bin ich frey gemacht von den Strafen der Sünde; in Ihm bin ich dargestellt als ein vollkommener Mensch Gottes; die Handschrift, die wider uns war, ist zerrissen; die Schuld ist entrichtet; das Lösegeld ist bezahlt; das Blut der Versöhnung ist geflossen; der Hohepriester ist eingegangen in das Heiligthum, und hat eine ewige Erlösung erfunden – die ewige Gerechtigkeit ist wiedergebracht. Schon vor 1800 Jahren ist dieß geschehen, und es gilt noch heute und hat die nämliche Kraft, wie wenn es jetzt gegenwärtig geschähe, denn Er hat sich selbst Gott geopfert durch den ewigen Geist.

Ach! was soll ich mehr verlangen?
Mich beschwemmt die Gnadenfluth;
Er ist einmal eingegangen
In das Heil’ge durch Sein Blut;
Die höchste Gerechtigkeit ist mir erworben,
Da Er ist am Stamme des Kreuzes gestorben;
Die Kleider des Heils ich da habe erlangt,
Worinnen mein Glaube in Ewigkeit prangt.

Sehet da den Abgrund der Liebe Gottes, sehet da

Den Abgrund, welcher alle Sünden
Durch Christi Tod verschlungen hat!
Das heißt die Wunden recht verbinden;
Hier findet kein Verdammen Statt,
Weil Christi Blut beständig schreyt:
Barmherzigkeit! Barmherzigkeit!

Höret! höret, ihr Sünder, ihr Leute des Verderbens, ihr Knechte der Sünde! alle losen Worte und Werke, aller Werke des Fleisches, Alles, Alles, was jemals Böses geredet, gedacht, gethan worden ist, Alles ist bezahlt, ist abgebüßt, ist weggethan, ist in den Abgrund des Meeres hineingeworfen, und ihr könnet an dieser Gnade Theil bekommen; ihr könnet frey werden, und los von eurem bösen Gewissen, wenn ihr wollet! Höret es, ihr verzagten Herzen, die ihr den Fluch des Gesetzes in eurem Inwendigen fühlet; es gibt nichts mehr abzumachen; es gibt nichts mehr gut zu machen; JEsus Christus hat Alles gut gemacht; es ist nimmer Zeit zum Bezahlen, seitdem der Bürge gekommen ist; Freiheit, Freiheit im Blute des Lammes!

Dieß ist die große Gnade des Neuen Testaments, welche die Väter des Alten Bundes nicht hatten. Im Alten Bunde gab es keine eigentliche Vergebung der Sünden; es gab einen Vorschmack davon, und dieser Vorschmack wurde den suchenden Seelen zu Theil; aber eine Vergebung im neutestamentlichen Sinne fand nicht Statt. Die Sünde wurde nur bedeckt, und gleichsam vergessen; sie blieb und lief dahin unter göttlicher Geduld; sie wurde aufgespart auf das große Opfer, das auf Golgatha sollte geopfert, und in welchem sollten Alle vollendet werden, die da geheiliget werden. Auch die Opfer das Alten Testaments konnten die Sünde nicht wegnehmen; denn es ist unmöglich, daß Ochsen- oder Bocks-Blut Sünden wegnehme. Dieß Alles war nur ein Schatten der zukünftigen Güter. Aber seitdem das Blut der Versöhnung auf Golgatha auf die unter den Fluch gerathene Erde trof, seitdem soll es nun gepredigt werden in der ganzen Welt, daß ein Lamm ist, das die Schulden aller Schuldner getragen hat, daß eine Vergebung und Versöhnung sey im Blute dieses Lammes.

III.

Liebe Zuhörer! wollet ihr nicht auch Theil haben an dieser neutestamentlichen Gnade? Wir bemühen uns sehr um äußere Güter, wir sorgen und ängsten uns ab, wir plagen uns um das, was vergehet, um die Bedürfnisse unseres Leibes, um Speise und Kleidung für uns und Diejenigen, die uns anvertraut sind; aber siehe, hier ist etwas, das über alle andern Güter ist; hier ist Gnade und Freiheit von allen Sünden, ewiges Leben, Gemeinschaft mit dem Vater. Durch den Glauben werden wir dieser Gnade theilhaftig, durch den lebendigen, durch Gottes Geist gewirkten Glauben.

Gott hat eine Bedingung gemacht, unter welcher wir der vom Heilande erworbenen Gnade und Vergebung der Sünden theilhaftig werden, und diese Bedingung heißt: Glaube. „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Es ist auf den Glauben ausgesetzt. Wer es glaubt, daß JEsus Christus, der eingeborne Sohne Gottes von Ewigkeit, als ein armer Mensch gelebt habe, und daß Er für die Sünden der Welt am Kreuze gestorben sey; wer dieß glaubt, nicht wie man eine Zeitungs-Nachricht glaubt, wobey das Herz meistens unberührt bleibt, - wer dieß glaubt, nicht weil er es auswendig weiß von seiner Jugend an, sondern weil ihm dieß die allerwichtigste, die allerunentbehrlichste Geschichte ist; wer es mit völliger Zustimmung seiner Herzens ergreifen, und in den Grund seines Gemüthes kann sinken lassen, daß dieß eine wahre Geschichte sey; mit andern Worten: wem diese Geschichte offenbar wird durch den Heiligen Geist, daß er nicht mehr so gleichgültig darüber hinweg sehen kann, sondern sie in der Tiefe seines Herzens bewegt und Nahrung daraus zieht, der hat in solchem Glauben Vergebung seiner Sünden.

Im Herzen muß es sich offenbaren, daß JEsus Christus, Gottes Lamm, wahrhaftig starb am Kreuzesstamm; wem dieß klar ist im Herzen, der glaubt an den Sohn Gottes, und der hat in solchem Glauben Vergebung der Sünden.

Aber eben dieser Glaube wächst nicht auf unserem Grund und Boden; er will erbeten seyn; er ist eine Gabe des Vaters, von Dem alle gute und vollkommene Gabe kommt, ein Geschenk und eine Wirkung des Geistes, der JEsum verkläret. Wir können diese große Geschichte wissen; wir können die Wahrheiten, die darin liegen, in eine schlußmäßige Form bringen; wir können darüber vernünfteln und daran uns ärgern, wir können darüber stutzen und fluchen, - dieß Alles kann die Natur, aber wahrhaftig glauben an das Kreuz des Sohnes Gottes, das können wir nicht aus uns selber; das ist eine Schöpfung des neugebärenden Geistes JEsu Christi selbst. Und weil wir hierin so gar unmächtig und schwach sind, so thut es noth, sich auf’s Bitten zu legen, und sich um nichts so sehr zu bekümmern, als daß in unsern armen Herzen der Glaube möchte gewirkt werden, weil wir ohne denselben arm, elend, blind, gnadenlos bleiben in Zeit und Ewigkeit.

Es hat schon Vieles gegeben, die sich lange und ängstlich bemüht haben, ein solches Trostwort in ihrem Herzen zu vernehmen, wie der Heiland eines zum Gichtbrüchigen sprach; sie haben sich abgekümmert, und die Vergebung ihrer Sünden nicht glauben wollen, weil sie eigensinnig darauf bestanden sind, es müsse ihnen in ihrem Innern vom Heilande zugerufen werden: „sey getrost, mein Sohn, meine Tochter! deine Sünden sind dir vergeben“ – oder ein anderes ähnliches Wort, und sie haben sich mit diesem Eigensinn manchen Monat, vielleicht manches Jahr unnöthiger Weise verkümmert, die sie hätten können in der Freiheit der Kinder Gottes und los vom bösen Gewissen zubringen. Aber darauf sind wir nicht angewiesen. „Gleichwie Moses eine Schlange erhöhet hat in der Wüste, so ist des Menschen Sohn erhöhet worden, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ So sagt das Wort Gottes. Wir sollen hinaufblicken auf den am Kreuze erhöheten JEsus, und sollen so lange hinaufblicken, bis es uns gegeben wird, zu glauben, daß unsere und aller Welt Sünde dort abgethan sey. Dieß ist der Weg, den uns Gott vorgeschrieben hat zu unserer Rechtfertigung vor Ihm und zu dem Genuß der neutestamentlichen Gnade, wie es auch in einem alten Liede heißt:

Laß uns in Deiner Nägel Maal’
Erblicken uns’re Gnadenwahl.

Hier liegt die Vergebung der Sünden.

O! wie wohl wird es einem herzen, wenn ihm gegeben wird, seinen Versöhner im Glauben zu erblicken! Wie brünstig liebend siehet es hinauf an dem treuen Heilande, wie zerflossen setzt es sich hin an den Marterleichnam Christi, und findet in den Wunden des Sohnes Gottes, in Seinem blutigen, bleichen Antlitze alle seine Sünden, aber auch die Versöhnung für alle seine Sünden, Gnade und Freiheit! Da wird der Gekreuzigte recht groß und unentbehrlich; man erfaßt Ihn mit seinen Glaubenshänden immer inniger; man drückt Ihn immer liebender an das Herz; man stehet immer deutlicher in Seinem Tode den ganzen Reichthum Seiner Erbarmungen; man schickt sich immer mehr an, in die Gemeinschaft Seines Leidens und Todes einzugehen; man findet Alles in Ihm. Das ist die Uebung des Glaubens in dieser Welt. So wird die Sünde getödtet; so kommt man zur Freiheit der Kinder Gottes; so lebt man in der Versöhnung, in der täglichen Vergebung der Sünden, weil man in Christo lebt, und Christus ist die Vergebung der Sünden.

Wie ist es, liebe Zuhörer! wollen wir nicht auch dieser Seligkeit theilhaftig werden? Es kommt nur auf den Glauben an, aber ich weiß wohl, der Glaube ist nicht Jedermanns Ding, und dieß hat seine guten Ursachen. ich weiß wohl, ihr getröstet euch Alle des Verdienstes Christi; aber mit welchem Rechte? das ist eine andere Frage. ihr führet Alle das Sprüchlein im Munde: „Das Blut JEsu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.“ Aber ich will euch sagen, wie der ganze Spruch heißt: „So wir im Lichte wandeln, wie Er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft mit einander; und das Blut JEsu Christi macht uns rein von aller Sünde.“ Es ist unmöglich, die Kraft des Blutes Christi zu erfahren, und Theil haben an dem Verdienste Christi, und doch zugleich in der Finsterniß wandeln. Wer mit der Sünde und den Werken der Finsterniß noch im wissentlichen Bunde steht, wer nur noch heimliche Gemeinschaft mit der Sünde pflegt, der hat keinen Zugang zu der neutestamentlichen Gnade der Sündenvergebung; es liegt ein Bann auf ihm; er kann nicht hindringen zu den Wunden Christi, die Kraft des Todes Christi zur Absolution nicht schmecken, wenigstens nicht recht, nicht völlig schmecken, mit andern Worten: ein Solcher bekommt kein vollendetes Gewissen. Dieß ist die erste Ursache, warum nicht Alle der Seligkeit der Sündenvergebung theilhaftig werden, ob sie ihnen gleich so sauer erworben ist. Es gibt aber noch eine Ursache. In unserem Katechismus stehet geschrieben: „Ich glaube, daß JEsus Christus mich verlornen und verdammten Menschen erkauft, erworben und gewonnen habe.“ Will man sich unter die Erkauften, Erworbenen und Gewonnenen rechnen, so muß man vorher erkannt haben, daß man zu den Verlornen und Verdammten gehöre, und eben daran fehlt es häufig. Man demüthigt sich nicht, und mag sich nicht demüthigen unter die ganze Verdammung des Gesetzes; man glaubt das nicht in Beziehung auf sich selber, was ich im ersten Theile gesagt habe; man sträubt sich dagegen, und will sich nicht unter die Gottlosen, die gar kein Recht mehr haben, hineinwerfen lassen durch das Wort und den Geist der Wahrheit; man hält und strengt sich an, zu halten den gefleckten Rock der eigenen Gerechtigkeit, so lange man kann, und deßwegen schmeckt man nicht viel von der Gnade; denn wo noch ein Recht will behauptet werden, da bekommt die Gnade keine Raum. So kommt man zu keiner völligen Freudigkeit. Wer aber seinen Hochmuth und Unglauben unter der leitenden Zucht des Heiligen Geistes kann so weit fahren lassen, daß er sich in der Wahrheit als einen gänzlich Hülflosen zu den Füßen JEsu hinlegt wie der Gichtbrüchige im Evangelium, der hat keine weite Reise mehr zur Freiheit der Kinder Gottes; er ist auf dem rechten und geraden Wege zu derselben.

Einem solchen armen Kinde,
Das sich für verloren hält,
Krümmt und windet in der Sünde,
Zahlt das Lamm das Lösegeld.

Sehet da die enge Pforte. O liebe Seelen! wir mögen uns sträuben, wie wir wollen, durch diese Pforte müssen wir hindurch, wenn wir wollen selig werden. Ich weiß von keinem andern Wege zur Seligkeit, und das Wort Gottes weiß auch sonst von keinem. Der HErr gebe, daß Ihm Seine Kinder geboren werden wie der Thau aus der Morgenröthe, und lasse auch uns unter Diejenigen gezählt werden, die im Geiste der Freiheit williglich Ihm dienen im heiligen Schmucke! Amen.

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