Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage Petri und Pauli.

Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage Petri und Pauli.

1)

Wir fahren heute in der Betrachtung des Sendschreibens fort, welches der Heiland durch den Apostel Johannes an den Bischof zu Ephesus ergehen ließ, und nehmen den 4ten und 5ten Vers des zweiten Kapitels in der Offenbarung Johannis vor uns, welche also lauten:

Aber ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest. Gedenke, wovon du gefallen bist; und thue Buße, und thue die ersten Werke. Wo aber nicht, werde ich dir kommen bald, und deine Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße thust.

Der barmherzige Gott und Vater unsers HErrn JEsu Christi verleihe uns zu der Betrachtung dieser Worte Seinen Segen, und lasse, was nun hier geredet wird, in Gnaden gedeihen zur Erbauung unserer Seelen und zum Preis Seines heiligen Namens!

Ja, lieber himmlischer Vater! wir rufen Dich an, laß doch um Deiner großen Barmherzigkeit willen Keinen unter uns seyn, dem Du nicht zu erkennen gibst, was Du von uns forderst, und öffne uns die Augen, damit wir sehen, was Dir wohlgefällig ist!

JEsu, gib gesunde Augen,
Die was taugen;
Rühre unsere Augen an,

damit wir nicht in unserer natürlichen Blindheit uns Sicherheit dahinfahren, und wenn uns schon das helle Licht Deiner Gnade in die Augen hineingeleuchtet hat, wir nicht mehr schlafen, sondern wachen und immer wachsamer werden. Amen!

„Aber ich habe wider dich“, so fährt der Heiland im Brief an den Bischof zu Ephesus fort. Damit tritt uns sogleich die Treue, die Vorsorge und die Geduld des HErrn entgegen; Er will Seine Knechte nicht niederschlagen und muthlos machen; Er will ihnen das frohe Vertrauen zu Seiner Gnade nicht rauben, sondern sie vielmehr kräftigen und aufrichten. Darum fängt Er in diesem Sendschreiben nicht sogleich mit dem Tadel an, sondern setzt denselben in die Mitte des Briefs, nachdem er dem Bischof zuvor ein Lob ertheilt, und Seine Zufriedenheit bezeugt hatte. Ich bin kein harter Mann, will Er ihm sagen, daß ich deine unermüdete Arbeit und Geduld nicht wüßte und in Anschlag brächte; Ich bin kein Herr, dem man nicht genug thun kann, sondern der kleinste Dienst der Liebe ist bey Mir nicht vergessen, aber och ich gleich das Kleinste achte, und das Gute an dir, Meinem Knechte, zu schätzen weiß, so habe Ich doch Etwas wider dich, so fehlt es dir doch an Etwas, und dieses Etwas legt Er ihm getreu und gerade an das Herz als Freund, Berather, Heiland und Richter. „Du verläßest“ – spricht Er – „deine erste Liebe“, die Liebe, die dich Anfangs beseelte. Was wird doch wohl den Mann mehr gedemüthigt haben, das Lob oder der Tadel seines HErrn? Nach dem Herzenszustande des Mannes zu urtheilen, wird ihm das Lob mehr, oder wenigstens eben so demüthigend gewesen seyn als der Tadel. Denn je getreuer ein Knecht ist, desto mehr erkennt er seine Untreue, desto mehr ist ihm das Lob befremdend; wenn er die Liebe des HErrn anschaut, mit der Er ihn geliebet bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuze, und er hält dagegen seine Liebe zu dem HErrn, so beugt er sich und demüthigt sich, und wenn der Heiland einem solchen Menschen sagt: „Ich weiß deine Arbeit und deine Geduld“, und ertheilt ihm Lob, und versichert ihn seines Wohlgefallens, so fragt er dann: „HErr, wie? und wo? und wann habe ich dieß Lob verdient?“ So wird ja auch am jüngsten Tage einst geantwortet werden; wenn der HErr zu Denen, die zu Seiner Rechten stehen, spricht: „Ihr habt mich gespeist, ihr habt mich getränkt, ihr habt mich beherbergt, ihr habt mich bekleidet“, so sprechen sie: „HErr, wann haben wir das gethan, uns ist dergleichen nichts bekannt.“

„Ich habe etwas wider dich“, spricht der HErr; ein scharfes, tief einschneidendes Wort. „Ist Gott für uns, wer mag wider uns seyn?“ so fragt der Apostel Paulus, und so denkt auch jener Sänger, wenn er in jenem Lide frohlockt:

Ist Gott für mich, so trete
Gleich Alles wider mich:
So oft ich ruf’ und bete,
Weicht Alles hinter sich;
Hab ich das Haupt zum Freunde,
Und bin geliebt bey Gott,
Was kann mir thun der Feinde
Und Widersacher Rott’?

O wenn ein Mensch des ganzen Wohlgefallens Gottes und des HErrn JEsu Christi versichert ist, so kann er mit dem Apostel Paulus wohl ausrufen: „In dem Allem überwinden wir weit um Deß willen, der uns geliebet hat, wer will uns scheiden von der Liebe Gottes, Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert, Hohes oder Tiefes, Tod oder Leben?“ So spricht, wer die Liebe Gottes für sich hat: Lasset ihn von Menschen verlassen seyn, er ist nicht verlassen, denn der HErr ist bey ihm; lasset ihn verfolgt seyn, er ist wohl geborgen unter dem Fittich und Schirm des Allmächtigen; lasset ihn geschmähet und gehöhnet seyn, ihm ist die Ehre seines HErrn lieber als die Ehre bey den Menschen; lasset ihn mit Leib und Seele in das tiefste Leiden getaucht werden, und die Wogen der Trübsal über sein Haupt gehen, sein Glaube ist doch der Sieg, der die Welt überwindet, und mit einem Assaph ruft er: „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist doch Du, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil: dennoch bleibe ich stets an Dir, denn Du hältst mich bey meiner rechten Hand“; ja lasset ihn auch sterben und wanden im finstern Thal, lasset die Donner des Gerichtes losbrechen, er spricht mit Paulus: „Ich fürchte mich nicht, wer will mich verdammen? die Welt verdammt, der Satan verdammt, das Gewissen verdammt; aber Christus ist hier, der da gerecht macht, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ O liebe Zuhörer, es muß ein seliger Zustand seyn, wenn eine Seele sich sagen kann: ich bin gewiß, ich kann darauf leben und sterben, daß Gott Wohlgefallen an mir hat um Christi willen, der Gott, welcher König ist Himmels und der Erde, der alle Dinge trägt mit Seinem kräftigen Wort, der auch die Herzen der Fürsten lenkt wie Wasserbäche, der auch meine Schicksale weiß und lenkt nach Seinem Wohlgefallen, Er ist mein Gott und mein HErr, Er liebt mich und kennt mich. O selig, wer also sprechen kann! – Aber hier lautet es ganz anders. „Ich habe etwas wider dich“, spricht der HErr: Da gewinnt die Sache eine ganz andere Gestalt. Nicht als ob der Heiland dem Bischof feindselig entgegengetreten wäre und ihm hätte sagen wollen: ich kann dich nicht mehr unter die Meinigen zählen, du bist verwerflich vor meinem Angesicht, sondern wie wir etwa von Denjenigen, welche wir recht lieben, denen wir aber etwas Unrechtes Schuld gegen müssen, zu denken oder zu sprechen pflegen: es liegt mir etwas auf dem Herzen gegen diesen oder jenen Menschen, ich kann ihn nicht so liebe, wie ich gern wollte, es ist ein Bann da um dieser oder jener Ursache willen, der mich in der Liebe zu ihm zurückhält. Da kann man denn oft lange im Herzen etwas herumtragen gegen einen Menschen, ja gegen den besten Freund; das vorige Verhältniß ist gestört; es herrscht nicht mehr die vorige Herzlichkeit; dieß und jenes ist dazwischen getreten. Oder wie etwa ein Vater von diesem und jenem seiner Kinder sagen kann: im Ganzen wäre ich schon mit ihm zufrieden; aber ich habe doch einen geheimen Kummer über dasselbe in meinem Herzen, es ist Etwas da, was mir viele Sorgen macht. Ich sehe der Sache schon lange zu; aber mein Herz bricht mir, wenn ich daran denke, das Kind hat eine Art an sich, wovon ich die übelsten Folgen befürchte. In diesem Sinne etwa müssen wir jenes Wort des Heilandes auffassen: „ich habe etwas wider dich“, nicht als ob es, daß ich mich so ausdrücke, eine Kriegs-Erklärung des HErrn wäre, o nein, der HErr sagt ihm dieß ja auf die liebreichste Weise; sondern Er will ihm, um menschlich davon zu reden, etwa sagen: siehe, ich liebe dich zwar; dein Name ist in meine Hände gezeichnet; aber dennoch, wenn ich deiner gedenke, regt sich in meinem Herzen Schmerz und Bekümmerniß über dich. Ich kann nicht mit dir zufrieden seyn, da du jene erste Liebe nicht mehr hast, und nicht mehr wandelst, wie ehedem, als ein gehorsames Kind.

O liebe Zuhörer! Es ist etwas sehr Bedenkliches, wenn der HErr der Herrlichkeit etwas gegen einen Seiner Knechte hat. Wenn ein irdischer Herr zu seinem Knechte sagen muß: ich kann nicht mit dir zufrieden seyn, so kann ihn dieß offenbar nicht gleichgültig lassen; und wenn zwischen zwey wahren, innigen Freunden ein hemmendes, störendes Mißverhältniß eintritt, welchen Schmerz kann dieß verursachen, wie ist man traurig darüber, daß man einander nicht mehr so frey und offen in’s Gesicht schauen, nicht mehr so rückhaltlos gegenseitig sich sein Herz aufschließen kann! Aber ach, was ist dieß Alles dagegen, wenn der HErr der Herrlichkeit, der liebende Heiland, dein künftiger Richter, etwas gegen dich auf Seinem herzen hat! Ach, es wäre wohl der Mühe werth, daß wir uns zuweilen fragten und prüften: hat nicht etwa der HErr etwas gegen mich? ist Er wohl auch mit mir und meinem Laufe zufrieden? hat Er nichts auszusetzen? ist mein Gang richtig und lauter vor Seinem Angesicht? O es verlohnte sich wohl, daß wir recht ernstlich flehten: entdecke mir doch, in was ich noch nicht Deine ganze Freude bin; „erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“ Wir merken gewöhnlich viel zu viel auf Menschen-Urtheil und Menschen-Gerede, was diese, die doch nicht in unser Herz und unsern ganzen Wandel hineinsehen können, über uns denken und urtheilen, das machen wir dann gern zum Urtheil des HErrn über uns, und doch sind oft Seine Gedanken ganz anders als der Menschen Gedanken, Seine Gerichte ganz anders als der Menschen Gerichte.

„Ich habe etwas wider dich.“ Wenn einem Kinde Gottes und einem Liebhaber des Heilandes offenbar wird, daß der Heiland etwas wider ihn habe, so verursacht dieß oft die tiefsten Schmerzen, wahre Geburts-Schmerzen. Und eine große Gnade für ein solches Herz ist es, wenn ihm nur sogleich gezeigt wird, was denn das eigentlich ist, was dem HErrn an uns nicht gefallen kann, und was den freien Erguß Seines liebenden Herzens hemmt. Und dieß ist noch eine leichtere Erfahrung, weil es bey einem Kinde Gottes eines und dasselbe ist, sich eine Sünde gegen den HErrn aufdecken und offenbaren lassen, und diese Sünde selbst, sollte sie auch die liebste Lust seyn, tödten in der Kraft Christi. Aber oft weiß man nicht einmal, woher das innere Mißverhältniß rührt; man fühlt es, der HErr hat etwas wider mich; Er ist nicht zufrieden mit mir; es ist etwas zwischen mich und Ihn hineingetreten. Man kann diesem dunkeln Etwas noch keinen Namen geben; aber daß es da ist und auf der Seele lastet, das weiß man; das erregt Schmerzen, das treibt zum Seufzen und Schreien. Ach, wo fehlt es denn? möchte man da oft rufen, daß es nicht vorwärts will, daß ich so lange nicht näher zum Heile komme; ob ich gleich so oft und so lange darnach seufze: wo fehlt es denn, was hat Er denn wider mich? Wer aber aushält unter der Gnadenzucht des heiligen Geistes, wer sich in die Stille einführen läßt, dem wird der HErr zu erkennen geben, was Er wider ihn hat.

Nicht sage ich Solches von der Welt und von Denen unter uns, welche zur Welt gehören. Sie bekümmert sich ja nicht darum, ob der HErr etwas gegen sie habe; dieß ist ihr ja gleichgültig; sie steht ja in keiner Verbindung mit Ihm, und darum ist sie undankbar gegen Seine Liebe bis zum Tod; dagegen ist sie kalt wie Eis, und hart wie Stein. Was würde aber auch der Heiland der Welt sagen müssen, wenn Er ein Sendschreiben an sie zu erlassen hätte, ja, was würde Er Manchen unter uns sagen müssen? Wir wissen es wohl, denn das Evangelium ist Sein Brief auch an die Welt; nicht: ich habe Etwas wider dich, sondern ich habe Alles wider dich, wie du Alles wider Mich hast; du bist meine Feindin; deine ganze Seelen-Gestalt, dein ganzer Wandel ist gegen Mich; aber schaue mir in’s Angesicht, Ich habe dich also geliebet, daß Ich Mein Leben für dich in den Tod gegeben habe; glaube an Mich, so werden die Bande deiner Feindschaft gesprengt, und du in die Freiheit der Liebe zu Mir versetzt werden.

„Kindlein, bleibet bey Ihm, auf daß, wenn Er offenbaret wird, wir Freudigkeit haben und nicht zu Schanden werden in Seiner Zukunft.“ So lange Er aber Etwas wider uns hat, so lange kann keine ganze Freudigkeit bey uns Statt finden auf den Tag des Gerichts. Wenn ich nicht gewiß weiß, daß, so Er kommt, Er gnädig auf mich hernieder blicken wird als mein Erbarmer, wenn es mir noch bange ist, Er würde mir etwas vorhalten, was Er gegen mich habe, Er werde mich beschämen vor Seinem heiligen Angesichte, so lange herrscht nicht die Freudigkeit, sondern die Furcht, die Furcht aber ist nicht in der Liebe. Darum lasset uns doch darnach trachten, daß wir mit dem HErrn in’s Reine kommen, und unsere Rechnung geschlossen und unser Beruf und Erwählung fest gemacht wird.

„Ich habe wider dich.“ Und was hatte denn der Heiland wider den Bischof? Antwort: „daß du deine erste Liebe verlässest“, d.h. die Liebe, welche dich bey dem Anfang deiner Bekehrung, bey dem Anfang deines Bischof-Amtes beseelte und begeisterte. Man hat schon Vieles über die „erste Liebe“ geschrieben, und ihr werdet wahrscheinlich schon wissen, was der Apostel darunter versteht. Wenn nämlich ein Mensch zu der Erkenntniß Gottes und des Heilandes gelangt, wenn er es glauben kann, und der Geist Gottes in seinem Herzen versiegelt hat, daß alle Sünde ihm verziehen, die Missethat vergeben, und die Schuld von ihm genommen ist, da entsteht die erste Liebe. So war es bey der großen Sünderin, von welcher Lukas erzählt, ihre Seele habe sich in solcher Liebe zum Heiland ergossen, daß sie mit ihren Thränen Seine Füße benetzt, und mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet, und der HErr selber ihr das Zeugniß ertheilt habe: „Du hast viel geliebet, gehe hin im Frieden.“ Das war ihre erste Liebe. Es hat schon manche Seelen gegeben, welche in einem guten und dem Worte Gottes gemäßen Gange sich befanden; aber gerade über diesen Gegenstand in ein ängstliches, gesetzliches Treiben hineingeführt wurden. Es konnte so weit kommen, daß sie, weil sie sich ein besonderes Bild von einer solchen ersten Liebe machten, und dieses Bild nicht mehr bey sich selber fanden, an ihrer eigenen Bekehrung verzweifeln wollten. Es ist aber wohl zu merken, daß das Wort Gottes niemals regelrechte Bekehrungs-Methoden aufstellt, wie sie Menschen etwa ausdenken und ausbilden. Sehet in die ganze Bibel hinein, ihr werdet nirgends finden, daß der große Erzieher der Geister alle Seelen auf gleiche Weise geführt hat, oder daß es nur Eine Form und Ein Modell gibt, nach dem Er sie bildet. Auch wird uns der Gang der innern Zustände nicht so ausführlich aus einander gelegt, wie es in unsern Lebens-Beschreibungen manchmal der Fall ist, sondern gerade in der heiligen Schrift ist die Freiheit des Geistes, der da wirket in Allem, wie und was Er will, auf die schönste Weise dargelegt. Denn Gott hat sich die Freiheit vorbehalten, der alleinige Führer und Regierer der Seele, der alleinige Töpfer des Thons zu seyn, und jeden Menschen, wie Er will, zu führen, nicht wie der Mensch sich einbildet, daß er geführt werden müsse. O tiefe Weisheit des unerforschlichen Gottes!

Unter der ersten Liebe, welche der Bischof verlassen hatte, kann die Liebe zum Heiland, oder auch die Liebe zu den Brüdern, oder Beides zugleich gemeint seyn. Als der Apostel Paulus zu Ephesus das Evangelium predigte, wurde die ganze Stadt in große Bewegung versetzt, wobey der mächtigen Göttin Diana großer Abbruch gethan wurde; denn es wurden viele Seelen erweckt und brünstig gegen den HErrn, so daß sie einmal eine Menge magischer Bücher, welche von der Zauberey handelten, und nach unserem Gelde 10,000 Gulden werth waren, zusammen trugen und verbrannten. Unter diesen Seelen, die in der ersten Gluth der Liebe zum HErrn standen, mag wohl auch der Apostel gewesen seyn und sich ausgezeichnet haben. Aber auch die Liebe zu den Brüdern könnte unter jener ersten Liebe verstanden seyn, von welcher der Apostel Johannes sagt: „Darum lieben wir die Brüder, weil wir aus dem Tode in’s Leben gekommen sind“, und wie er, Johannes, selber in seinem hohen Alter als hundertjähriger Greis der Gemeine, in deren Versammlung er sich stets noch tragen ließ, nichts Anderes an’s Herz legte als: „Kindlein, liebet euch unter einander“, weil, wie er sich ausdrückte, wo Bruder-Liebe ist, auch Liebe des Heilandes ist. Von dieser Liebe war der Bischof abgekommen; in ihr war er einst gestanden; jetzt war er aus ihr gewichen. O das ist traurig, und das ist noch trauriger, daß er es selbst nicht wußte, und der HErr ihm deßwegen selbst seines Herzens Grund aufdecken mußte.

Wenn an einem Orte das Evangelium lauter und rein gepredigt wird, und durch Gottes Gnade Manche aus dem Schlafe aufwachen und vom Tode zum Leben kommen, wenn dem Heiland Kinder geboren werden wie der Thau aus der Morgenröthe: so pflegt gewöhnlich ein großer Drang, eine gewaltige Bewegung der Gemüther zu entstehen: denn das Evangelium rumort, wie Luther sagt, und obwohl die Sache aus Gott ist, so läuft doch dabey viel Fleischliches und Unlauteres, manches ungeistliche Naturwerk mit unter, was mit der Zeit immer mehr weggeschmolzen werden muß, damit die Seelen tiefer gegründet, und durch Stille und Lauterkeit fester gewurzelt werden im Christenthum. Der gährende Most wird ja nur zu einem trinkbaren Weine, wenn er mehr und mehr von seinem herben, rauhen Charakter verliert, und eine gewisse Milde erlangt. Es heißt darum nicht die erste Liebe verlassen, wenn dieser fleischlich-geistliche Drang nachläßt; sondern du hast nur an deiner natürlichen Unlauterkeit etwas abgenommen. Das Verlassen der ersten Liebe ist nicht ein eingebildeter, sondern ein wahrhaftiger Verlust, ein Verlust am reinen, lauteren Golde des Glaubens und der Liebe, das der HErr dir geschenkt hatte; du bist nicht mehr in deinem vorherigen Seelen-Zustande; du hast Schaden erlitten an der Seele, und zwar an der Hauptsache, an der Liebe. O wie traurig ist es, wenn es von einem Menschen heißt: er hat verloren, was er hatte, er ist statt vorwärts rückwärts gekommen; wenn man von einer Seele sagen muß, was der Apostel von den Galatern sagte: „ihr habt Christum verloren.“ Und wahrscheinlich wußte dieß der Bischof nicht einmal, denn so sehr kann sich ein Kind Gottes selbst betrügen, so weit in Träumerey und Verblendung hinein gerathen, daß es, wie der Bischof, viele Vorzüge, Geduld und Ausdauer besitzt, ein treuer, eifriger Arbeiter im Weinberge des HErrn, und kein Miethling ist, so daß es auch um die Ehre Gottes eifert, und die Feinde Christi nicht ertragen kann, wie der Bischof that; aber dabey das verliert, was allen diesen Tugenden erst die wahre Weihe, den wahren Werth verleiht, nämlich die Liebe. Denn „wenn ich mit Menschen- und mit Engel-Zungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“

Woher mag es aber wohl gekommen seyn, daß der Bischof diesen großen Schaden an seiner Seele nahm, und wie kann es denn bey einem Kinde Gottes dahin kommen, daß es in solche Blindheit hineingeräth, daß es nicht einmal mehr weiß, wie es um seine Liebe zu dem HErrn und seinen Brüdern steht? Liebe Zuhörer, wir dürfen nicht glauben, daß dieß auf Ein Mal, gleichsam mit Einem Schlage bey dem Bischof so geworden wäre; vielleicht war es natürliche Unachtsamkeit, welche Anfangs zwar nur gering war, aber nach und nach wuchs, so daß der Sinn mehr und mehr in’s Aeußerliche sich verlor, und in’s Irdische sich hinein zerstreute. Vielleicht beobachtete der Bischof fortwährend noch den nämlichen Amts- und Berufs-Eifer wie früher; vielleicht hat kein Mensch den innern Verfall, der mit ihm vorgieng, bemerkt, er selber vielleicht ihn nicht geahnet; aber die frühere Liebe war aus seinem Herzen gewichen; die Sünde hatte dadurch Raum gewonnen, das Böse wurde nach und nach stark und immer stärker, es war dem Feinde gelungen, Unkraut zu säen unter den Waizen. Das sah der HErr; denn

Ob uns die Welt an einem Halme,
Ob sie uns an der Kette hält
Ist Alles Eins in Seinen Augen,
Da nur ein ganz befreiter Geist,
Der alles And’re Schaden heißt,
Und nur die laut’re Liebe taugen.

Wie ganz anders beurtheilt doch der HErr die Menschen! Vielleicht war der Bischof, seit seine Liebe erkaltete, in seinem Amte eifriger gewesen als früher; vielleicht fühlte er, daß es nicht mehr so gut um ihn stand wie früher; vielleicht mochte er diesen innern Mangel durch äußerlichen Eifer ersetzen, und dann sagten natürlich die Leute: wie ist doch dieser Mann so eifrig in seinem Amte, er ist ein treuer Knecht Gottes, wie wächst er an seinem inwendigen Menschen. Die Menschen sagten: er wächst: Der aber, der das Herz ansah, sagte: er nimmt ab. O meine Lieben, wie sehr thut Wachsamkeit noth, wie sehr thut noth, daß wir mit David sprechen lernen: „ich trage meine Seele in den Händen“, und mit Paulus bedenken: daß wir unsern Schatz tragen in irdenen Gefäßen?

Welch’ eine Sorg’ und Furcht soll nicht bey Christen wachsen,
Und sie behutsamlich und wohlbedächtig machen!

Denn ihre drey Feinde, der Teufel, die Welt und das eigene Fleisch und Blut sind ja immer geschäftig, sie zu verrücken von der Einfalt auf Christum, und ihre Liebe zu schmälern; und wer nicht fleißig wacht und betet, und unter dem Kreuze Christi kämpft und streitet, der kann sinken und einen großen Fall thun.

„Ich habe etwas wider dich“, spricht der HErr zu dem Bischof; und was hätte Er denn wohl wider uns, wenn Er auch also mit uns redete? O gewiß müßte Er auch zu Manchem unter uns sagen entweder: du hast nicht mehr, was du hattest; oder: du hast noch nie gehabt, was du haben solltest. Wenn aber der HErr bey uns sucht und nichts findet, was wird wohl das Ende seyn? „Haue ihn ab“, spricht Er, „denn Er hindert das Land.“

„Gedenke“, fährt der Heiland fort, „wovon du gefallen bist, und thue Buße, und thue die ersten Werke.“ Hier leuchtet uns abermals die liebreiche Treue und Barmherzigkeit des HErrn entgegen. Der Bischof war so tief, so tief gefallen; dennoch will Er ihn nicht verderben, dennoch ermahnt Er ihn auf’s Liebreichste zur Buße. Das kränkelnde Schaf verstößt der treue Hirte nicht; es hat einen Platz in Seinem liebevollen Herzen. Die ungesunde Pflanze haut der Gärtner nicht ab; er siehet zu, ob sie nicht bey erneuter Pflege erneute Früchte bringe. So ist die Art des Heilandes, und in diesem Sinne wendet Er sich an den Bischof: Gedenke, spricht Er, wovon du gefallen bist, gedenke an die Zeit deiner ersten Liebe, wie selig und glücklich warst du da! Und diese Zeit ist verschwunden, und Schattenwerk ist an ihre Stelle getreten. Besinne dich doch, wache doch auf aus deinen Träumereyen, thue Buße, wende dich wieder zu mir, und thue die ersten Werke der ersten brünstigen Liebe. Auch mit diesen scharfen Worten wollte Er Seinen Knechte nicht abschrecken, nicht dräuen, sondern locken wollte Er und wieder zu sich ziehen, wie Er einst Seinem Volke rief: kehre wieder, du abtrünniges Israel, so will ich mich wieder auf’s Neue erbarmen, und du sollst auf’s Neue von mir nehmen Kraft um Kraft, Liebe um Liebe, Erbarmung um Erbarmung.

O könntest du Sein Herz nur sehen,
Wie sich’s nach armen Sündern sehnet,
Sowohl wenn sie noch irre gehen,
Als wenn ihr Auge vor Ihm thränet.

„Gedenke, wovon du gefallen bist!“ dieß ist die Rede des HErrn an die ganze Menschheit, denn sie sind ja Alle tief, ja sehr tief gefallen; einem jeden Menschen ruft Er zu: bedenke, wie du gefallen, wie du von der Herrlichkeit herabgestürzt bist in die Tiefe, wie du den Ruhm und das Ebenbild verloren hast, das du vor Gott haben solltest. Und wie Manchem unter uns muß Er sagen: ich habe bey der Taufe einen Bund mit dir gemacht, Ich habe dir versprochen, dein gnädiger Gott und Vater zu seyn, und du hast Mir versprochen, Mein gehorsames Kind zu seyn; Ich habe den Bund gehalten, du hast ihn verlassen; Ich habe Meine Liebe bewahrt, du hast sie verläugnet; Ich bin ein Licht und keine Finsterniß ist in Mir, du aber hast die Finsterniß mehr geliebt als das Licht, und hast Werke der Finsterniß vollbracht. O mit wie manchem Menschen ist es ganz anders geworden seit seiner Confirmation, oder seit einem andern Zeitpunkte seines Lebens, da der HErr mächtig zu seiner Seele geredet hat; ach! wie tief ist Mancher gefallen, wie ganz anders ist’s mit ihm geworden?

„Gedenke, wovon du gefallen bist, und thue Buße, und thue die ersten Werke; wo aber nicht“, setzt der HErr hinzu, „so werde ich zu dir kommen bald, und deinen Leuchter wegstoßen, wo du nicht Buße thust.“ Als der gewaltige Richter, der da thun kann, was Er will, spricht Er hier, der HErr der Herrlichkeit, der Augen hat wie Feuerflammen. Den Leuchter will Er wegstoßen von seiner Stätte, die Gemeine will Er zerstreuen, und die Beilage des Evangeliums will Er von ihr nehmen. Dieß ist zu Lebzeiten des Bischofs nicht eingetroffen; er muß Buße gethan haben; aber nach einigen Jahrhunderten ist es doch eingetroffen. Der Leuchter der evangelischen Wahrheit ist daselbst umgestoßen, und Ephesus ist ein Schutthaufen geworden. Auch uns gilt das Wort: „thut Buße, thut Buße.“ „Ach, daß du es bedächtest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient; aber nun ist’s verborgen vor deinen Augen“, so sprach einst der HErr über die Stadt Jerusalem, und dabey giengen Ihm die Augen über. Jerusalem aber hat Seine Stimme nicht vernommen, darum ließ Gott Seinen Zorn entbrennen, und die Tage der Rache hereinbrechen. Es fällt mir hier ein, was Luther schreibt: „Hütet euch, ihr Deutschen, daß euch das Evangelium nicht genommen wird; die Juden haben es gehabt, nun ist es ihnen genommen; die Griechen haben’s gehabt, jetzt haben sie den Türken; die Römer haben’s gehabt, und jetzt haben sie einen Papst, und meinet denn ihr, ihr werdet’s behalten, wenn ihr nicht Buße thut? Das sey ferne!“ Ja, höre es, wer es hören kann, wer Buße thun will, der thue es bald, ehe der Leuchter der Wahrheit von seiner Stätte gestoßen, ehe die Thüre verschlossen wird.

O HErr, Gott! wir hätten es wohl verdienet, daß Du um unserer Lauigkeit und Bosheit willen unsern Leuchter längst von seiner Stätte gestoßen, und die Beilage Deiner evangelischen Wahrheit von uns genommen hättest; aber, treuer Heiland, Du hast uns Dein Evangelium bis jetzt erhalten, so unwerth wir desselben waren; wir können Dir nicht so dafür danken, wie wir sollten, deßwegen danken wir Dir in Schwachheit und bitten Dich demüthiglich, Du wolltest es uns fernerhin bewahren und erhalten. Mache doch uns Alle, die wir hier versammelt sind, alle unsere Mitbrüder und die ganze Christenheit recht aufmerksam auf die gegenwärtige große Zeit der Heimsuchung, denn Dein Odem weht ja unter Christen, Heiden, Juden und Türken. O gib, daß wir aufwachen und nicht dem ewigen Tode entgegengehen, damit wir nicht zu spät kommen, wenn der Bräutigam naht, und in dem Hochzeithause die Thüren zugeschlossen werden!

Wecke uns recht auf,
Daß wir unsern Lauf
Unverrückt zu Dir fortsetzen
Und uns nicht in seinen Netzen
Satan halte auf;
Förd’re unsern Lauf!

Ach, laß doch Keinen unter uns heute aus unserer Versammlung gehen, der nicht mächtig von der Wahrheit ergriffen wäre, daß, so wir nicht Buße thun und uns bekehren, Du Deinen Zorn entbrennen lässest, der hinunterbrennt bis in die unterste Hölle. HErr, erbarme Dich über uns! Amen.

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29. Juni zum Andenken an den Tod von Petrus und Paulus
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