Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage des Apostels Matthias

Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage des Apostels Matthias

Von dem Lauf eines Christen nach dem himmlischen Kleinod.

Text: 1. Kor. 9,24-27.

Wisset ihr nicht, daß Die, so in den Schranken laufen, die laufen Alle, aber Einer erlanget das Kleinod? Laufet nun also, daß ihr es ergreifet. Ein Jeglicher aber, der da kämpfet, enthält sich alles Dinges: Jene also, daß sie eine vergängliche Krone empfangen; wir aber eine unvergängliche. ich laufe aber also, nicht als auf’s Ungewisse; ich fechte also, nicht als der in die Luft streichet. Sondern ich betäube meinen Leib, und zähme ihn, daß ich nicht den Andern predige, und selbst verwerflich werde.

Der Apostel vergleicht in unserem heutigen Texte den Gang eines Christen durch diese Welt mit dem Verhalten derjenigen Leute, welche ehemals bey den griechischen Kampfspielen erschienen. Es war nämlich bey den Griechen Sitte, daß von Zeit zu Zeit Kampfspiele gehalten wurden. Leute aus allen Landschaften Griechenlands stellten sich dabey ein, um in die Schranken zu treten; eine große Menge Volks aus allen Gegenden strömte herbey, um zuzuschauen, und so gieng dann der Kampf vor sich unter den Augen der großen Volks-Versammlung. Es gab verschiedene Arten des Kampfes, z.B. Wettlauf und Faustkampf. Auf beides weist der Apostel hin in unserem Texte: auf den Wettlauf, wenn er sagt: „ich laufe, aber nicht als auf’s Ungewisse“; auf den Faustkämpfer weist er hin, wenn er sagt: „ich fechte, doch nicht als Einer, der in die Luft streichet.“ So vergleicht er also seinen Lauf mit dem Verhalten der griechischen Kämpfer, und in der That hat auch der Lauf eines Christen eine große Aehnlichkeit mit dem Kampf jener Kämpfer. Es werden sich dabey manche Vergleichungs-Punkte herausheben lassen. Deßhalb will ich zu euch reden:

Von dem Lauf eines Christen nach dem himmlischen Kleinod;

Und zwar:

  • I. von einigen Abweichungen von dem rechten Lauf; und
  • II. von dem rechten Laufe selbst.

HErr JEsu! Du hast uns diese Welt, und das Leben in ihr, zu einer Vorbereitungs-Schule für jene Welt gegeben. Diese Welt ist eine Kampf-Schule; aber Du weißt es, daß wir nur gar zu gern einen Belustigungs-Ort daraus machen möchten. O, öffne uns die Augen, daß wir es klar erkennen, daß uns kein Stillstand gegönnt ist, sondern daß wir laufen müssen nach dem himmlischen Kleinod.

Wecke uns recht auf,
Daß wir unsern Lauf
Unverrückt zu Dir fortsetzen,
Daß uns nicht in seinen Netzenv Satan halte auf,
Förd’re unsern Lauf. Amen!

I.

Vor allen Dingen muß ich bemerken, daß, wenn ich von dem Lauf nach dem himmlischen Kleinod rede, ich nicht von Denen rede, die noch todt sind in ihren Sünden und Uebertretungen, und noch gar keinen Trieb in sich haben, das Reich Gottes in sich pflanzen zu lassen; ich rede also nicht von den eiteln Kindern dieser Welt, sondern von solchen, die schon einigermaßen aufgeweckt und zu einem göttlichen Leben gekommen sind. Wer noch mit Ruhe sündigen kann, wer mit Ruhe seine Gnadenzeit, seine edle Gnadenzeit mit allerhand Eitelkeit der Welt und elendem Tande und allerhand nichtswürdiger Zerstreuung hinmorden, wer noch mit großer Ruhe und mit Wohlbehagen seiner Seele seine weltlichen Gesellschaften besuchen kann, wer noch mit Freuden an den Knochen nagen mag, die ihm Satan vorwirft, oder, wer sich noch in seiner eigenen Tugend und Rechtschaffenheit gefällt, und mit seinem Christensinn brüstet, wer sich noch etwas darauf zu tut thut, daß er nicht gerade ein offener Dieb, Hurer, Ehebrecher, Mörder ist, wer noch auf sein äußeres Christenthums-Werk seine Zuversicht setzt, ohne dabey auf die Aenderung seines Herzens und Sinnes Rücksicht zu nehmen: ein Solcher ist ja ohne Leben aus Gott, noch ferne vom Heilande, der ist ja noch gar nicht in die Schranken der Kämpfer Christi getreten. Von Solchen rede ich also nicht, wenn ich den Lauf des Christen nach dem himmlischen Kleinod kurz beschreiben und darstellen will. Diese Alle finden ihre Abfertigung kurz und gut in den Worten des Heilandes: „Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammniß führet, und Viele sind ihrer, die darauf wandeln.“ Hier aber ist nur von Solchen die Rede, welche ihr Herz schon einigermaßen kennen und schon einigermaß auf das Eine, was noth thut, aufmerksam gemacht sind; von Solchen ist die Rede, welche es schon zu Herzen gefaßt haben, warum sie in der Welt sind, nämlich als bestimmt zur himmlischen Seligkeit und zum Reiche Gottes, nach dessen Gerechtigkeit sie trachten. Von Solchen ist die Rede, die mit jenem Liede sagen können:

Du, HErr, bist mir nachgelaufen,
Mich zu reißen aus der Gluth,
Denn da mit der Sünder Haufen
Ich nur suchte irdisch Gut,
Hießest Du auf dieß mich achten,
Wonach man zuerst soll trachten.
Tausend, tausend Mal sey Dir,
Großer König, Dank dafür!

Ich denke, es sollten doch wohl auch Solche in unserer Mitte seyn, und diese möchte ich nun auf einige Hindernisse und Abweichungen auf ihrem Wege aufmerksam machen, namentlich aber ist es mir angelegen, die jungen Christen, die Anfänger unter uns vor Einigem zu warnen, was ihnen in ihrem Laufe schädlich oder hinderlich werden könnte.

Der selige Hiller sagte einmal:

Als berufen
Zu den Stufen
Vor des Lammes Thron,
Will ich eilen,
Das Verweilen
Bringt oft um den Lohn,
Wer auch läuft und läuft zu schlecht,
Der versäumt sein Kronenrecht.

Liebe Brüder und Schwestern! ihr könnet schon aus diesem merken, daß man laufen, ja vielleicht lange laufen kann, und erlangt das Kleinod doch nicht, und kommt zuletzt doch um den Gnadenlohn. Dasselbe sagt auch der Heiland zu Seinen Jüngern, als sie Ihn einmal fragten: „HErr, meinest Du, daß Wenige selig werden?“ da antwortete Er ihnen und sprach: „Ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet, denn Viele, das sage ich euch, werden darnach trachten, wie sie hinein kommen, und werden es nicht thun können.“ Wie gieng’s dem Volke Israel? Sie zogen Alle aus, aus dem Lande der Knechtschaft: aber wie Viele kamen von den sechsmalhunderttausend Mann in das Land der Verheißung? O nur Zwey, die Andern aber sind Alle in der Wüste geblieben, und liegen dort begraben um ihres Unglaubens willen, und haben die Verheißung nicht gesehen. Sie sind gelaufen: aber nicht recht, und haben darum das Kleinod nicht davon getragen. Wie gieng’s den fünf thörichten Jungfrauen? Sie wollten doch gewiß alle in das Hochzeithaus; sie hatten sich aufgemacht; sie hatten sich gerüstet, dem Bräutigam entgegen: als ihnen nun aber das Oel mangelte, und sie an das Hochzeithaus kamen, da mußten sie dahinten bleiben, und die Antwort hören: „Weichet von mir, ich kenne euch nicht!“ So kann man laufen und lauft doch nicht recht. Ich sage nicht von Denen, die schon zur Erkenntniß der Wahrheit gekommen waren, und wieder ganz abgefallen sind, wie der Apostel von Demas sagt: „Demas ist von mir gegangen, und hat die Welt lieb gewonnen;“ – nein, von Solchen, die den Sohn Gottes auf’s Neue kreuzigen, rede ich hier nicht, sondern von Solchen, die, nachdem sie einmal zum Heiland gekommen sind, nicht geradeswegs wieder von Ihm sich entfernen, aber nach und nach matt und träge werden, und den Eifer nicht beweisen in Seiner Nachfolge, den sie beweisen sollten. O ihr Alle, die ihr laufet nach dem himmlischen Kleinod, bedenket es doch, lasset es euch doch tief in’s Herz geschrieben seyn, daß man laufen kann, und erreicht das Ziel doch nicht; daß man beginnen kann, und wird doch am Ende seines Laufes als eine thörichte Jungfrau abgewiesen. O wenn ihr sonst nichts in dieser Stunde lernen würdet als dieß Einzige:

Wer auch läuft und läuft zu schlecht,
Der versäumt sein Kronenrecht,

so hättet ihr genug gelernt.

Aber woran liegt es denn, daß Einer lauft, und doch nicht recht lauft? Wie gieng es denn zu, wenn jene griechischen Wettläufer das Kleinod nicht erreichten? Entweder waren sie zu träge, oder zu schwach, um im Wettlauf auszudauern, oder aber waren sie nicht einzig und allein auf den Wettlauf und auf das Kleinod gerichtet, und vielleicht mit Nebendingen beschäftigt. So gibt es auch viele verschiedene Ursachen, die einen Christenlauf hemmen und fruchtlos machen können. Ich will nur einige derselben anführen, wie sie mir eben jetzt gerade im Gemüthe liegen.

„Gedenket an Loth’s Weib“ – so sagt der Heiland zu Seinen Jüngern, aber nicht bloß zu Seinen Jüngern, sondern zu allen Seinen Nachfolgern, durch alle Zeitläufte Seiner Kirche hindurch. Loth’s Weib lief aus Sodom heraus, damit die Gerichte des HErrn, die über Sodom hereinbrachen, nicht auch sie mit verschlingen möchten. Aber wie gieng’s ihr? Unterwegs stand sie stille, und sahe zurück nach Sodom. Sie hatte noch eine heimliche Neigung zu Sodom in ihrem Herzen; sie konnte sich nicht so geschwinde davon trennen, und so kam es, daß der rächende Arm Jehovah’s sie so plötzlich übereilte. So können manche Christen den Lauf beginnen; sie machen einen guten Anfang; der Heiland hat ihnen gerufen, und sie haben Seinem Rufe gefolgt; sie ziehen aus aus Sodom, und wollen Ihm nachwandeln; aber sie haben nicht darnach getrachtet, daß doch in ihrem Herzen möchte alle Gemeinschaft mit der Welt und der Sünde abgebrochen werden, daß die Sehnsucht nach den alten Fleisches-Tagen möchte ganz zerstört und ausgetilgt werden; und dieß macht sie in ihrem Laufe matt und träge, hängt ihnen ein beständiges Bleigewicht an ihre Füße, macht, daß sie sich müde dahin schleppen, unterwegs unterliegen, ihr Kleinod verscherzen, und endlich mit der Welt selber verloren gehen. O frage sich doch ein Jedes unter uns, ob es ihm auch ein Ernst ist, daß doch alle Gemeinschaft zwischen der Sünde und ihm abgebrochen werde. Frage dich, ist es dein herzlicher Wunsch und inniges Sehnen, daß du doch den Heiland auf keine Art und Weise betrüben, sondern Ihm zur Ehre leben möchtest, nicht bloß vor Menschen, sondern auch im Verborgenen, zu Seiner Ehre und nach Seinem Willen zu denken, zu wollen und zu handeln trachtest? Ist es dir darum zu thun, daß jede, auch die liebste Lust durch Christi Kraft zerbrochen werde, oder aber gehest du recht schonend um mit deinem alten Menschen, hegest und pflegest du noch heimlich die Lieblings-Sünde in dir, willst du vielleicht Christus und Belial, Geist und Fleisch mit einander vermischen, nach deiner eigenen guten Meinung? Höret, Brüder und Schwestern! ich will nur Einiges fragen: Kann man denn ein Christ seyn und Schlangen-Art an sich haben? Kann man den Heiland liegen und Werke der Finsterniß treiben? Kann man ein Christ seyn und lügen; ein Christ seyn und afterreden? Wisset ihr, wie man das Alles heißet? Das heißt Heucheley. Wer da sagt, er sey ein Christ, er kenne den HErrn, der muß Seine Gebote halten, und wandeln, wie Er gewandelt hat; und wer da sagt, er kenne Ihn und liebe Ihn, und hält Seine Gebote nicht, und wandelt nicht, wie Er gewandelt hat, der ist ein Lügner, und die Wahrheit ist nicht in ihm. So spricht der wahrhaftige Gott, dessen Wort nicht trügen kann. O prüfe sich doch, wer sich prüfen kann, besinne sich doch, wer sich besinnen kann.

Ein anderes Hinderniß in ihrem Laufe nach dem himmlischen Kleinode ist bey Manchen die Eigenliebe. Wenn einer jener griechischen Wettläufer bey’m Eintritt in den Kampfplatz gedacht hätte: du besitzest hinlängliche Kraft, das Kleinod zu erlangen, du hast deßwegen auch nicht nöthig, dir so viele Mühe zu geben, denn es kann dir ja unmöglich fehlen, oder wenn er sich mitten im lauf, nachdem er schon eine gute Strecke zurückgelegt hatte, in stolzem Selbstvertrauen vorgespiegelt hätte: du bist nun bald am Ziele, die Eile und die Anstrengung ist nicht mehr so hoch von Nöthen; - liebe Zuhörer! das sieht ein Jeder, daß er in solchen Gedanken und bey solchem Wahne das Kleinod nie erreicht hätte. Eben so ist’s bey manchen Christen; sie machen einen wackern Anfang, so daß Jedermann, der zusieht, denkt und sagt: nun das ist doch auch einmal eine ernstliche Seele. Aber nach und nach schleicht sich Mattigkeit und Trägheit ein; das Reden vom Christenthume geht vielleicht noch lange fort, aber der Geist und die Kraft ist aus der Seele gewichen, sie entfernt sich immer mehr aus der Gemeinschaft des Kreuzes Christi, und geräth nach und nach wieder in das hinein, wovon sie ausgegangen ist, nur auf eine etwas feinere oder gröbere Weise. Dieß hat häufig keinen andern Grund als die Eigenliebe. Wenn eine Seele wacker läuft, so sucht Satan sie wo möglich aufzuhalten, und kann er ihr keine groben Hindernisse in den Weg legen, worüber sie fällt, so greift er sie bey der verwundbarsten Seite an; er spiegelt ihr große Dinge von ihrem Christenthum vor, und wenn sie nicht anhält mit Gebet und Wachen, so kann es kommen, daß er sie in eine falsche Ruhe einschläfert, in einen falschen Trost der Vergebung der Sünden, in einen falschen Trost vom Frieden Gottes einwiegt. Nun bemächtigt sich der Seele der thörichte Wahn: ja freilich, ich bin eine bewährte, wohl geprüfte Seele, die schon manche Erfahrung gemacht hat, und so gut vom Christenthum und von Erfahrungen reden kann als je Einer. Mit diesen Gedanken legt sie sich auf ihre Lorbeeren, und bringt sich um das Erbtheil der Heiligen im Licht. So gieng es dem Bischof zu Laodicäa. Er hatte ernstlich und wacker begonnen, aber er geräth in die elenden Lügengedanken hinein, daß er wähnte, er sey ein bewährter, erfahrener Christ, er sey reich und habe gar satt, und bedürfe nichts, so daß der Heiland, als Er ihm Licht über seinen Zustand geben wollte, ihm geradezu sagen mußte: arm bist du, elend bist du, jämmerlich, blind und bloß bist du. Liebe Zuhörer! Eben diese Vorspiegelungen, diese Einbildungen, diese Phantasieen, diese Spinnen-Gewebe der Eigenliebe sind eine große Krankheit unserer Zeit, eine Seuche, die im Mittag verderbet. Es ist recht traurig, daß so Viele von ihrem Christenthum hoch denken, daß sie elende Lügengedanken von ihrer Weltüberwindung, von ihrer Verläugnung im Kopfe haben, so viele Lügengedanken von ihrer christlichen Erfahrung, von ihrer Kenntniß im Worte Gottes, Gedanken, die alle wahre Kraft des Geistes lähmen, und entweder die träge Ruhe des Fleisches befördern, oder den Wandel in der Demuth und Liebe, im Geist und in der Wahrheit verhindern.

„Ich rathe dir“ – ruft der Erzhirte und Bischof der Gemeinde auch in unsern Zeiten der Kirche zu – „daß du Gold von Mir kaufest, das mit Feuer durchläutert ist, auf daß du reich werdest, und salbe deine Augen mit Augensalbe, daß du sehen mögest.“ Ja freilich, wenn wir Augensalbe hätten, wenn unser Geistesblick so geschärft wäre, daß wir durch alle Verdüsterungen und Verdunkelungen, welche die Eigenliebe herbeyführt, hindurchblicken könnten, so würden wir ja mit Furcht und Zittern schaffen, selig zu werden. Aber man weiß nicht, wer man ist, und bedenkt es nicht, und will es auch nicht wissen. Eingewiegt in das Mode-Christenthum, umgeben von lauter Leuten, die in der leichten Tugend und Religion unserer Zeit blind und verstockt einhergehen, da ist es etwas Leichtes, als ein Tugendbild und als ein ausgemachter Christ einherzugehen. Aber sich unter das Wort der Wahrheit beugen mit allen seinen Einbildungen und eigenliebigen Gedanken, mit seiner Heucheley, mit seinen Herzens-Tücken unter das Kreuz Christi als ein armer fluchwürdiger Sünder sich demüthigen, und um Gnade schreyen, bis man Gnade hat, das will Wenigen gefallen; dazu ist man in unsern Tagen zu träge, zu faul, zu stolz, zu bequem; man mag nicht durchbrechen; man mag nicht anhalten; man bleibt lieber in der Sünde liegen, und träumet von seinem guten Zustande; vielleicht kommt dann wohl auch noch Satan selbst, und flüstert der Seele zu: Bleibe fein in deiner Ruhe; es ist nicht nöthig, daß du dem Himmelreich Gewalt anthust, und es mit aller Macht an dich reißest; und so bleibt man dann in aller Ruhe, aber nicht in der Ruhe des harrenden Geistes und Glaubens, sondern in der Ruhe des Fleisches und des Todes. O ihr Kinder des lebendigen Gottes, stärket die lässigen Hände, richtet auf die strauchelnden Kniee, bittet um gesunde Augen, um Augensalbe, damit ihr wacker werdet, und das Kleinod nicht verscherzet!

O ihr auserwählten Kinder,
Ihr Jungfrauen allzumal!
O ihr trägen Ueberwinder!
Wer ist unter eurer Zahl,
Der da säumet,
Schläft und träumet?
Wißt ihr nicht, was euch gebühret,
Und was euren Wandel zieret?

Liebe Zuhörer! jetzt komme ich noch auf etwas zu sprechen, wodurch es Manche an den Tag legen, daß sie laufen, aber nicht recht laufen. Ich finde nämlich in dieser betrübten Zeit, daß erstaunlich viel Geschwätz und Gerede vom Christenthum ist, aber gar wenig Kraft und Thun des Willens Gottes. Es gibt manche Seelen, die der HErr gründlich angefaßt hat, aber leider hat alle Geduld Gottes, alle Kraft des Geistes bey ihnen bis jetzt nichts gefruchtet, als daß sie, statt sich in der Stille für die Ewigkeit vollenden zu lassen, nun vom Christenthume schwatzen und heucheln können. Wie man vorher von eiteln, von weltlichen Dingen, von Tages-Neuigkeiten, von sündlichen Belustigungen und Freuden geschwatzt hat, so schwatzt man jetzt vom Heiland, vom Blute Christi, von seinem eigenen bösen Herzen, von den wichtigsten, heiligsten Dingen: ich sage, man schwatzt davon, denn reden darf und soll man von diesen allerwichtigsten Gegenständen, wenn es mit der gehörigen Ehrfurcht und mit demüthiger Beugung geschieht. Unter einem solchen Geschwätz vom Heilande läßt man dann dem Fleische Raum, bedeckt mit seinen guten und frommen Gedanken, die man auswendig gelernt hat, die Schalkheit und Bosheit seines Herzens, sieht aus wie ein Christ, ist es aber nicht, sondern oft weniger aufrichtig als ein anderer, den man für ein natürliches Kind der Welt erklärt. Das Wahrste an diesem Geschwätz ist das Bekenntniß, daß man ein böses Herz habe. Ja freilich, das glaube ich dir gerne, aber siehe zu, daß dich dein böses Herz nicht einst an jenem Tage zur Hölle bringe; denn mit dem Schwatzen davon ist die Sache wahrlich nicht ausgerichtet. Ich weiß es freilich wohl, wie schnell man in ein ungeistliches Geschwätz vom Christenthum hineingerathen kann; geschwatzt ist freilich bald Vieles: aber das Christenthum ist eben nicht da zum Schwatzen, sondern zum Ueben, zum Willen-Brechen, zum Laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist; in das tägliche Leben, in das tägliche Denken, Reden und Handeln soll es eingeführt werden. Ein alter Jünger des Heilands sagt in einem Liede:

Ich bitte meinen Heils-Erwerber:
HErr, wende nur die Schmach von mir,
Darüber ich kein Leiden herber,
Und keinen größern Schmerz verspür’,
Ich meine: JEsum Christum nennen
Und Seinem Herzen ferne seyn,
Sich selber nicht im Grunde kennen,
Und also nicht um Gnade schrey’n.

„Und“ – sagt auch der Heiland – „nicht Alle, die zu mir sagen: HErr, HErr! werden in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen thun Meines Vaters im Himmel.“ Ich erstaune darüber, wenn ich darüber nachdenke, wie es nur möglich ist, daß so Manche so sehr verblendet werden können, daß sie in der Einbildung und dem Wahne von ihrem Christenthum dahin gehen können, ohne daß ihnen über ihrem Elend die Augen aufgehen, in einem Wahne, in den sie durch das Geschwätz des Christenthums sich verwickelt haben, ja daß sie, wie der Heiland voraussagt, selbst am jüngsten Tage noch auftreten und sprechen werden: „Haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt, Teufel ausgetrieben, große Thaten gethan?“ Ueber diese Schönschwätzer und Vielredner aber wird der Spruch ergehen: „Weichet von Mir, ihr Uebelthäter; Ich habe euch nie erkannt.“

O liebe Brüder! es ist meines Herzens innigster Wunsch, daß doch kein Einziges von Denen, welche von dem HErrn ergriffen sind, möchte sein Erbtheil verscherzen. Aber das weiß ich gewiß, so wir uns mit dem Geschwätz vom Christenthum begnügen, so wir nicht darauf ausgehen, uns als wahrhaftige Jünger Christi in Wort und That zu bezeugen, so werden wir an jenem Tage von Ihm als die heillosesten Heuchler ausgestoßen werden. Es läge mir gar schwer auf dem Herzen, wenn ich einer Seele dadurch zur Verdammniß geholfen hätte, daß sie aus der Predigt des göttlichen Wortes, deren ich unter euch gewürdiget bin, nichts davon träge, als daß sie vom Christenthum desto besser schwätzen gelernt, also sich ein doppeltes Gericht auf den Rücken geladen hätte. Prüfe sich doch ein Jedes nach dem Grund seines Herzens: denn so wahr der HErr lebt, Sein Wort bleibt ewig fest, es ist nicht Seine Art, daß Er sich nach uns richtet, sondern unsere Schuldigkeit ist’s, daß wir uns nach Ihm richten, und wenn wir wollen selig werden, so müssen wir uns zu einem ernsten Laufe anschicken, und den von Gott verordneten Weg betreten, sonst werden wir nicht hineinkommen.

II.

Was gehört denn aber nun zu dem wahren Lauf eines Christen nach dem himmlischen Kleinod? Aus dem Bisherigen schon konntet ihr abnehmen, was dazu gehöre. Vor allen Dingen ein ganzer Ernst. Wie ernstlich waren jene griechischen Kämpfer; zehn Monate lang bereiteten sie sich oft auf den Tag des Kampfes vor; sie nahmen keine Speise zu sich, durch die sie in ihrer Kraft geschwächt werden konnten; sie hielten sich sehr nüchtern und mäßig, denn ein Kämpfer, wie Paulus sagt, enthält sich alles Dings. Und wie gieng es auf dem Kampfplatz selber zu? Wie geschwind, wie behende, wie hurtig wußte Einer immer besser zu laufen und zu ringen als der Andere, und sie kämpften um eine vergängliche Krone: uns aber ist eine unvergängliche vorgesteckt. Wenn die Nachricht käme, du habest in einem entfernten Welttheil eine bedeutende Erbschaft zu erheben, das würde dich hoch erfreuen, das würde dich munter und regsam machen, da würdest du gar emsig zu den Leuten laufen, die dir zum Besitze jenes Gutes verhelfen könnten, da würdest du gar begierig seyn nach gutem Rath, und ihn willig befolgen, und wenn etwa die Erbschaft nicht flüssig werden wollte, so würdest du es gewiß nicht für eine zu große Aufopferung halten, dich selbst auf den Weg zu machen, du bestiegest im Nothfall ein Schiff, und steuertest durch entlegene Meere, und zwar nur, um deinen Mammon in Empfang zu nehmen. Sehet, solche Mühe gibt man sich, solche Aufopferungen läßt man sich gefallen um irdischer Schätze und Güter willen. Uns aber ist die Erbschaft Gottes und die Miterbschaft Christi angeboten; ewige, unveräußerliche, bleibende Güter, welche nicht von dem Rost und den Motten gefressen werden, und die uns Niemand entwenden kann, und die Wenigsten lassen es sich einen Ernst seyn, sich darnach zu strecken und darnach zu trachten. Sind wir nicht die Thorheit selber? Der Heiland streckt den Kämpfern die unvergängliche Lebenskrone entgegen und spricht: „Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!“ Darauf achten aber die Wenigsten, und Diejenigen, die darauf achten, schleppen sich so träge und matt herbey, wie wenn es sich um die allergeringfügigste Sache von der Welt handelte. Zum Lauf nach dem himmlischen Kleinode gehört also ein ganzer Ernst, und dieser belohnt sich schon auf dem Wege, wie vielmehr aber am Ende; denn der ernstliche Kämpfer erlangt schon hier das große Glück, daß er mehr und mehr lernt, gewisse Schritte zu thun, daß er mehr und mehr versiegelt wird mit dem heiligen Geist, daß er mehr und mehr schmeckt den Trost der Vergebung der Sünden, und den Frieden, der von Christo stammt; die Lahmen und die Trägen aber kommen zu keiner Ruhe, zu keinem Frieden, zu keiner Stärkung, und was das Aergste ist, verscherzen ihren Antheil am Erbtheil der Heiligen im Licht.

Ein anderes Erforderniß zum wahrhaftigen Lauf nach dem himmlischen Kleinod ist die Liebe zur Wahrheit. „Wer aus der Wahrheit ist, der höret Meine Stimme“, sagt der HErr, und dieß gilt für den Anfang und Fortgang des Laufs. Wie kommt ein Mensch zur Buße? Nicht anders denn durch demüthige Beugung seines Herzens unter die Wahrheit. Wenn das Wort Gottes sagt: „du sollst nicht stehlen;“ und: „die Diebe werden das Reich Gottes nicht ererben;“ so beredet sich ein Wahrheitsliebender nicht mit den Gedanken: du hast es ja nicht zu arg gemacht, du hast ja dir nur einige kleine Vortheile erlaubt; er bemäntelt seine Diebstähle nicht vor sich selbst, sondern er demüthigt sich, wenn sein Herz ihn in dieser Hinsicht, obgleich auch nur heimlich verklagt, unter diese Worte der heiligen Schrift, macht gut, was von seinen Sünden, die er im unbekehrten Zustande begangen hat, gut gemacht werden kann, bittet um Gnade, um Vergebung seiner großen Schuld, bittet um die Kraft, Treue zu beweisen im Kleinen, in dem, was ihm anbefohlen ist, nicht nur in Absicht auf Geld und Gut, sondern in Absicht auf Zeit und andere Dinge. Oder wenn das Wort Gottes sagt: „du sollst nicht lügen, die Lüge ist vom Teufel, dem Vater der Lügen“, so sagt ein wahrheitsliebender Mensch nicht, damit kann man es doch auch nicht so ganz genau nehmen; sondern, so ihm offenbar wird, daß er auch in diesem Stücke unrein ist vor Gott, wirft er sich zu den Füßen seines Heilandes nieder, und bittet um Tilgung seiner Sünde und um Ueberwindungs-Kraft, daß dieses Schlangen-Gewächs der Falschheit, diese Teufelsbrut, die Heucheley und Lüge möchte ganz aus ihm ausgerottet werden. Und eben so macht es der wahrheitsliebende Mensch bey andern strafenden Worten der Schrift, z.B. wenn sie sagt, daß Fressen und Saufen zu den Werken des Fleisches gehören, die den Tod bringen, oder: wer nicht den Bruder liebe, ein Todtschläger sey; nicht verzärtelnd und beschönigend geht er mit sich um, sondern Vergebung und Ueberwindungs-Kraft sucht er beugungsvoll bey’m HErrn, und in Seinem Tod und in Seiner Auferstehung. So wie aber ein Mensch auf diese Weise der Wahrheit offen steht, so hält die Sünde nicht mehr lange Stich, wo nicht mehr geheuchelt, nicht mehr entschuldigt, nicht mehr beschönigt wird, wo das Licht der Wahrheit hereinbricht, da muß sie fliehen, denn sie ist eine Geburt der Finsterniß und des Fürsten der Finsterniß. O liebe Zuhörer, wir thun oft Buße über Dinge, über die es nicht nothwendig wäre, Buße zu thun, über eigene Grillen und Einbildungen, und wollen uns doch häufig dabey erst nicht in das volle Licht der Wahrheit hineinstellen. So thue doch Buße über die groben Dinge, die in dir sind, über deine Abgötterey, daß du vielfach das Geschöpf höher achtest denn den Schöpfer, über deine Falschheit, Heucheley und Lüge, über Wollust, Geiz und Neid, über dein Afterreden und Lästermaul, über den Zorn, die Bosheit, Unbußfertigkeit und Schalkheit deines Herzens. Darüber demüthige dich, darüber thue Buße.

Wer so alle Schuld bey sich gesucht und gefunden,
Der hat den offenen Weg zu JEsu Wunden.

Die Wahrheit muß gelten, dann weicht der Schein, dann weicht auch die Sünde: denn die Sünde hat ihre größte Kraft in der Lüge; dann wird man nicht mehr träge und faul in seinem Lauf, sondern spricht mit dem Apostel: „Ich jage nach dem vorgesteckten Ziele, nicht als ob ich es schon ergriffen hätte, ich jage ihm aber nach, ob ich es etwa ergreifen möchte.“

Freilich der Weg ist lang und oft beschwerlich, der Boden ist schlüpferig, der Versuchungen sind viele, der Kampf oft hartnäckig. Was gibt da Kraft, was verleihet Ausdauer? Liebe Zuhörer! nichts anders als der Blick auf Den, der gesprochen hat: „In der Welt habt ihr Angst, aber seyd getrost, Ich habe die Welt überwunden;“ nur der Blick auf Den, von dem der Apostel sagt: „Lasset uns aufsehen auf den Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Der Blick auf Ihn ist das einzige Mittel, unter Seinem Kreuze wird der schwerste Kampf leichter und der Sieg sicher, unter Seinem Kreuze bekommt der Schwächste Muth und Kraft zum Ueberwinden und Siegen. O es sind gewiß Seelen unter uns, die es erfahren haben und bezeugen können, daß unter dem Kreuze Christi allein die Sünde getödtet, und der Feind geschlagen und überwunden werden, und daß nur der Heiland die Sache zum Siege hinausführen könne.

Jenen griechischen Kämpfern mag freilich auch oft der Lauf lange geworden seyn; es mag wohl auch oft aus banger Brust der Gedanke bey ihnen aufgestiegen seyn: ach, wäre ich am Ziele, und das Kleinod wäre mein! So kann einem Christen im Kampfe auch die Zeit zu lange werden: aber auch das muß ihn antreiben, immer mehr aufzusehen auf den Anfänger und Vollender des Glaubens, und zu rufen:

Will der Weg mir lange werden,
Zeige mir das nahe Land,
Ist das Streiten voll Beschwerden,
Stärke mir zum Sieg die Hand.

Sollte nun eine Seele unter uns in irgend einer Ecke seyn, die da dächte, heute sey nicht ihr, sondern Andern gepredigt worden: so sage ich ihr, daß ich das herzlichste Bedauern, das innigste Mitleiden mit ihr fühle, und keinen andern Auftrag für sie habe, als ihr zuzurufen: verlaß doch die breite Straße, laß dich versöhnen mit Gott. Sollte aber eine leidtragende, eine schüchterne, eine verlegene Seele unter uns seyn, die darüber betrübt ist, daß sie schon so manche falsche Tritte gethan hat, der ihr Kampfeslauf zu lange wird, dieser darf ich zurufen, daß noch eine Ruhe vorhanden ist für das Volk Gottes, und daß es besser ist, auch mit manchen falschen Tritten, auch durch Fallen und Aufstehen seinen Lauf nach dem himmlischen Kleinod auf dem schmalen Wege fortzusetzen, als wenn Andere mit gesunden Tritten auf der breiten Straße der Hölle zuwandeln. Sollten aber Heuchler unter uns seyn, welche die Falschheit ihres Herzens mit dem Evangelium überdecken, denen habe ich zu sagen, daß die Hoffnung der Heuchler wird verloren seyn; die habe ich zu bitten, daß sie sich bekehren von der Falschheit des Herzens zum wahrhaftigen Gott, daß sie sich reinigen und waschen, und von sich thun die bösen Werke, auf daß wir Alle an jenem Tage, wann der Erzhirte erscheint, nicht als Heuchler, sondern als wahrhaft erfunden werden.

Ach HErr, unser Gott! Du hast gesagt, daß die Heuchler nicht in Zion bleiben dürfen, sondern daß sie Zittern ankommen werde vor Deiner Zukunft. O HErr, vor Dir können wir das, was wir auch vor allen Menschen verbergen können, nimmermehr verbergen, darum mache uns treu und wahrhaftig vor Deinem heiligen Angesichte; gib uns gesunde Augen; reiß’ hinweg alle Phantasieen und alle hohen Einbildungen von unserem Christenthum, und mache uns zu armen, ja zu armen Sündern. O Lamm Gottes, erbarme Dich über uns! Amen.

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