Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - IX. Der Gehorsam Abrahams.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - IX. Der Gehorsam Abrahams.

Meine heutige Predigt stellt in einem lebendigen Beispiel die Wahrheit des Wortes dar: Alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt, und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. (1. Joh. 5, 4.) Eine große Lobpreisung der Macht des Glaubens fürwahr, daß er die schwerste That vollbringt, daß er die Welt in uns und außer uns überwindet. Unser Glaube thut das, der nicht ein bloßes Fürwahrhalten, ein Zugeständniß des Verstandes zur Wahrheit ist, sondern der das Herz und den innerlichsten Menschen mit der geglaubten Sache in Vereinigung setzt, so daß die Wahrheit Kraft und Leben in den innersten Gründen unsres Wesens wird. Dieser Glaube hat freilich verschiedene Stufen. Er ist die Zufluchtnahme einer bedrängten Seele zu Jesu, dem einigen Helfer, und schon diesem ersten Aufblick eines Mühseligen, der weinend und betend zu dem Erlöser kommt, begegnet das tröstende Wort: Gehe hin in Frieden, dein Glaube hat dir geholfen. Aber der zu Jesu Füßen Liegende hört nicht blos das Wort, er nimmt es auch an, und sein Glaube wird eine feste Zuversicht zu der Macht und zu der Liebe des Herrn. Er fesselt uns an Christum, er bringt ihn in das Herz, er schafft ein neues Leben und erweiset sich als „ein göttlich Werk, das uns“, lasset mich noch einmal Luthers Worte wiederholen, „das uns verwandelt und neu gebärt aus Gott, die alte Natur tödtet und aus uns macht andre Menschen an Herz, Muth, Sinn und allen Kräften und den heiligen Geist mit sich bringt, ein lebendig, geschäftig, thätig, mächtig Ding, dem es unmöglich ist, daß er nicht sollte ohne Unterlaß Gutes wirken.“

Dieser Glaube, der die herzliche, innigste Vereinigung mit Jesu sucht und hält, ist der Sieg über die ganze Welt, über all' ihre Lust und ihr Leid, über ihre Herrlichkeit und ihre Schmach und legt ihre Trübsale und ihre Ehre, ihre Lockungen und ihre Drohungen ohnmächtig zu den Füßen dessen, von welchem Paulus bekennt: In dem allein überwinden wir weit, um deßwillen, der uns geliebt hat. (Röm. 8, 37.)

Wunderbar indeß, daß Johannes den Glauben nicht etwa einen Helden nennt, der die Welt überwindet, sondern den Sieg, der sie überwunden hat. Ein Triumph vor dem Treffen: wie ist dies? Meine Freunde, treuer Glaube freut sich der gnadenvollen Zurechnung des Werkes Christi. Darauf ruht er, und weiß, Christi Sieg ist unser Sieg; wir sind sammt ihm gestorben, auferstanden und in das himmlische Wesen versetzt; alle Schätze der künftigen Welt sind unser, als wenn sie schon sichtbar herbeigeführt wären, denn der Glaube ist eine feste Zuversicht deß, das man hoffet und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht. (Hebr. 11, 1.) Mag ich denn auch hienieden die Anfechtung der Welt, selbst das Gericht des Todes über meine Sünde fühlen, ich erhebe dagegen das Wort Christi, daß er die Welt überwunden und der Schlange den Kopf zertreten, daß er auch in mir, so ich nur im Glauben bleibe, herrschen und siegen wird und daß ich um seinetwillen Rechtfertigung, Auferstehung und ewiges Leben habe.

Das Leben hört nicht auf, seine ernsten Aufgaben, seine schweren Versuchungen zu haben und des Menschen Name ist Nichtigkeit und Ohnmacht, aber ist in diesem Menschen ein Etwas, das ihn Gott nahe und an Gottes Herz gebracht hat, ist Glaube in ihm, so wird er stark im Tragen, ausdauernd in der Prüfung, fest im Gehorsam, ein Ueberwinder im Streit seiner eignen Empfindungen.

Wir haben in dem Abschnitt, der unsrer heutigen Betrachtung vorliegt, ein Siegel auf diese Wahrheit. Achten wir denn wohl darauf und mit dem innigen Verlangen, daß wir gleichen Segen ererben.

1. Mose 22, l-3.

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: hier bin ich. Und er sprach: nimm Isaac, deinen einigen Sohn, den du lieb hast und gehe hin in das Land Moria und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham des Morgens frühe auf, und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zween Knaben und seinen Sohn Isaac und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich aus und ging hin an den Ort, davon ihm Gott gesagt hatte.

Wer von uns hätte wohl jemals ohne ein geheimes Erschauern schon früher in den Tagen seiner Kindheit lesen und heute wieder hören können, was diese Erzählung uns berichtet? Es wird mit diesen Anfangsworten, welche zugleich das Ganze aussprechen, eine Geschichte eingeleitet, die nicht blos außerordentlich, sondern durchaus einzig dasteht. Betrachtet sie von menschlicher Seite, so berührt sie die innersten Empfindungen des menschlichen Gemüths, das Glück der Liebe und den Schmerz des Vaterherzens; sie stellt den Gehorsam auf eine Probe, vor deren Aufgabe wir zurückbeben, weil sie über die Natur geht, und deren Bestehn uns mit Staunen erfüllt; sie zeigt den Glauben im Strahlenglanz seiner Verklärung. Betrachtet die Geschichte dieser Aufopferung des einigen Sohnes von göttlicher Seite, so stehet sie im Reiche Gottes als eine That der größten vorbildlichen Bedeutung in Beziehung auf die Hingabe des eingebornen Sohnes Gottes. Ihr sehet selbst, meine Zuhörer, bei einem solchen Reichthum des Inhalts konnte diese Geschichte unmöglich in einer einzigen Stunde ausgelegt werden. Möge, wenn wir jetzt den Anfang machen, sie näher zu betrachten, der Geist des Herrn uns helfen, ihre Tiefe in etwa zu erkennen. Auf den Gehorsam Abrahams richten wir unsre Andacht und erwägen zuerst

  1. die göttliche Versuchung, sodann
  2. das unausdenklich Schwere in derselben und endlich
  3. die bewundernswerthe Ueberwindung.

1.

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham. Nach diesen Geschichten. Die drohenden Worte der himmlischen Gäste im Hain Manne waren in Erfüllung gegangen. Sodom und Gomorrha, die sündenbefleckten, schuldbeladenen Städte waren schauerlich untergegangen. Aber auch die verheißungsreichen Worte dieser edeln Gäste, daß nach einem Jahre, Sarah, Abrahams Weib, wenn auch alt und betagt, einen Sohn haben solle, waren in Erfüllung gegangen - das Unglaubliche war geschehen. Sarah gab Abraham einen Sohn in seinem Alter, um die Zeit, die ihm Gott geredet hatte und Abraham hieß ihn Isaac, (21, 3.) d. h, man wird lachen, man wird sich seiner freuen, der Freudenbringer. In stiller, heiliger Freude weidete sich Abraham an dem Anblick des geliebten Kindes, aus dessen Augen ihm die seligste Zukunft entgegenlachte. Dann zog er nach Berseba, pflanzte Bäume und predigte daselbst von dem Namen des Herrn, des ewigen Gottes und zwar eine lange Zeit. Während derselben wuchs Isaac, der Sohn der Verheißung, zum Jüngling und Manne auf; denn wir finden, als er nach dem, bald darauf erfolgten Tode seiner Mutter, etwas später Rebecca in die Hütte seiner Mutter führte, sein Alter angegeben. Es heißt: er war vierzig Jahr alt, da er die Rebecca zum Weibe nahm. (25, 21.)

Da - nach diesen Geschichten - versuchte Gott Abraham. Wie, lese ich richtig: Gott versuchte Abraham? Sagt nicht ein heiliger Apostel: Gott versucht Niemand (Jac. 1, 13.) und hier versucht er Abraham, seinen treuen Freund? Meine Freunde, es ist ein großer Unterschied zwischen Versuchung und Versuchung! Jede Versuchung zwar bietet die Möglichkeit zum Abfall, zur Untreue, zur Vergessenheit Gottes dar; aber es giebt Versuchungen, die unmittelbar zum Bösen reizen und locken, die offenbar den Schaden und das Verderben des Menschen beabsichtigen und auf den Umsturz der Seele hinarbeiten. Diese sind nicht von Gott, denn, so fährt der heilige Apostel fort, dessen Worte ich eben anführte, Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen. Er ist seinem Wesen nach lauter Licht und keine Finsterniß in ihm; wie sollte er, der zu den Menschen spricht: ihr sollt heilig sein, Reiz zu bösen und sündlichen Dingen in uns wirken? Nein, das sind vielmehr Angriffe aus der Hölle, aber das ist es, was wir mit dem tiefsten Ernste bedenken müssen, diesen Angriffen der finstern Mächte ist jeder Mensch, bin ich, bist du ausgesetzt; um ihre gnädige Abwendung bitten wir täglich: führe uns nicht in Versuchung, bitten, wie es Luther so trefflich erklärt, „Gott wolle uns behüten und erhalten, daß uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge, noch verführe in Mißglauben, Verzweiflung und andre große Schanden und Laster, und ob wir damit angefochten würden, daß wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.“ Ob wir damit angefochten werden, das wollen auch die beherzigen, welche Gnade empfangen haben, daß ein neues Leben, ein neues Wesen des Geistes sich in ihnen entfaltet hat. Haltet euch auf die Anläufe des Versuchers gefaßt! Dünket euch nicht, als ob nun kein Zunder mehr an euch sei, den er mit seinem Hauche zur Gluth anfachen könne! Er hat sich in der Wüste an den Heiligen Gottes auf dreifache Weise gewagt; er versucht uns auf mannigfachen Wegen; er hat unter den Jüngern des Herrn den einen zur Verleugnung gebracht, den andern zum Verrath und zur Verzweiflung fortgerissen. So hütet euch denn, daß nicht, wie Eva durch das listige Zischen der Schlange betrogen ward, durch sein Einflüstern eure Sinne verrücket werden von der Einfalt in Christo!

Ich habe von diesen Versuchungen zum Bösen vielleicht zu ausführlich geredet; aber ich habe es absichtlich gethan, damit, wie der Schatten das Licht hebt, die göttlichen Versuchungen, die Versuchungen zum Guten in ein helleres Licht treten. Worauf sind diese Versuchungen gerichtet? Nicht auf das Verderben der Seele, sondern auf ihr Leben, nicht auf ihren Umsturz, sondern auf ihre Erbauung, ihren Wachsthum, ihre Kräftigung. Gott versucht die Seinen, auf daß offenbar werde, wie sie es meinen; er prüft sie; er stellt sie auf Proben; er übet sie durch die Bitterkeit der Armuth, durch das Weh der Krankheit, durch die Zertrümmerung ihrer liebsten Plane und süßesten Hoffnungen übet er sie in der Treue gegen ihn, in der vollständigen Verleugnung des eignen Willens, in der Bereitschaft zum Kreuz: er speiset sie mit Thränenbrod, (Ps. 80, 6.) er führt sie in kummervolle Nächte, seine Fluthen rauschen daher, daß hier eine Tiefe und da eine Tiefe brausen, (Ps. 42, 8.) warum? Damit die Inbrunst der Gebete wachse, damit das Gold des Glaubens wie im siebenfachen Feuer geläutert, damit der Gehorsam, die Heiligung gefördert, damit aus einem Kinde des Reiches ein Erbe der Herrlichkeit werde. Ohne Versuchung und Probe keine Bewährung! Gott weiß freilich, was am Menschen ist; er darf es nicht hinterher erst erfahren, er stehet des Geprüften Gehorsam, seine Treue, seinen Sieg im Voraus. Nicht um seinetwillen verhängt er die Versuchung, sondern um des Menschen willen, damit dieser durch die Hitze der Versuchung hindurch gehe, sich in der Liebe Gottes befestige, und vollbereitet, gestärkt, gekreuzigt und gegründet werde. (1. Petri 5, 10.) So ist es Gott nicht allein um den Sieg, sondern es ist ihm auch um den Kampf zu thun. Welch' ein Licht, das über die Versuchungen fällt! Sie sind eine göttliche That, sie sind ein Recht der göttlichen Erziehung, sie sind ein Segen der Geheiligten, sie sind eine stete Regel des göttlichen Reiches, in welches wir durch viel Trübsal eingehn müssen.

So nun versuchte Gott Abraham. Er stellte seinen Gehorsam auf die Probe, seine völlige Unterwerfung unter Gottes Willen, sein Vertrauen auf ewige Verheißungen, auch da, wo sie sich ganz und gar zu vereiteln schienen, seine Hoffnung auch da, wo nichts zu hoffen, seine Willigkeit, auch das Theuerste seinem Gott hinzugeben, seine Anbetung göttlicher Beschlüsse, auch da, wo sie sich in undurchdringliche Geheimnisse und in das tiefste Dunkel verhüllten; alles dies, daß er eine gute Ritterschaft übe, daß er bewährt und ein Schauspiel werde der Welt und den Engeln und den Menschen. (1. Cor. 4, 9.)

So versuchet Gott auch dich, mein Lieber, sei es von außen her mit allerlei Unglück, Trübsal und Noth, von innen mit Traurigkeit und Schwermuth. Und warum? Daß du allen deinen eignen Gedanken des Mißmuthes Widerstand thuest, dein Anliegen auf den Herrn werfest und auf seine Treue festiglich bauest, daß er nie und nie versuche über Vermögen, sondern macht, daß die Versuchung ein Ende nehme, daß wir sie können ertragen. (1. Cor. 10,13.) Siehe denn nicht so starr auf das, was gegenwärtig und sichtbar ist, davon reiße deine Gedanken los, ergreife Gott in seinem Wort der Gnade und schwinge dich auf zu dem, was unsichtbar ist! Wenn sie da ist, die Trübsal, so scheint sie so schmerzhaft, so bitter, aber sie gibt etwas, sie gibt eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit, wem? denen, die dadurch geübt werden. Wunderliche Kinder, diese, die, ohne in Uebung gesetzt zu werden, die rechte Tüchtigkeit erlangen wollen! „Nicht begehre ich,“ sagt Luther in der Auslegung des Vater Unser, „aller Anfechtung ledig zu sein, denn das wäre erschrecklich und ärger denn zehn Anfechtungen. Da sprechen denn wohl Etliche, ja, ich wollte wohl fromm sein und nicht zürnen, wenn ich Friede hätte. Und so bleiben sie arme, faule Ritter, die nicht angefochten sein, noch streiten wollen; darum werden sie auch nicht gekrönt.“ Also auch du, willst wohl nicht zürnen, wenn du nur Frieden hast? Du willst wohl Sanftmuth üben, wenn dich nur niemand beleidigt? Dann willst du geläutert werden ohne Feuer und Salz, gesichtet werden, ohne daß das Sieb dich rüttle! Nein, ohne Anfechtung gelingt das nicht! Man sieht es auch wohl manchem rechtschaffnen Christen an, daß er, wie man wohl sagt, viel gegen den Wind gegangen, die Brust ist stark geworden und der Fuß thut feste und gewisse Tritte. Was bewegt nun unser Innres? Ist es noch Verwunderung oder ist es Bewunderung der Wege Gottes in den Versuchungen der Seinen? O Geliebte, lasset uns den Muth haben, das Wort zweier Apostel dann, wenn auch uns eine schwere Trübsal beugt, fest im Auge zu behalten, das eine des Apostels Jacobi: Meine lieben Brüder, achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallet, (Jac. 1, 2.) und das andre des Apostels Petrus: Aus Gottes Macht, durch den Glauben bewahrt zur Seligkeit, werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wie es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, auf daß euer Glaube rechtschaffen und viel köstlicher erfunden werde, denn das vergängliche Gold, das durch's Feuer bewähret wird. (1. Petri 1, 6.)

2.

Zu diesem Zwecke hat Gott Abraham versucht. Aber wie ist es nun, wenn wir weiter lesen? Wir halten mitten in Versuchungsstunden den Trost der Verheißung fest, daß wir nicht sollen über Vermögen versucht werden. Wenn wir aber auf diese, Abraham vorbehaltene Versuchung sehen, scheint sie uns nicht über das menschliche Vermögen zu gehn? Und Gott sprach: nimm Isaac, deinen einigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen will. Wie könnte Gott solch ein Opfer fordern? wie war das möglich? Ich behalte mir die befriedigende Antwort auf die Frage vor, bis dahin, wenn wir am Schlusse der Geschichte die unverkennbare, vorbildliche Bedeutung dieses Befehls und seine Beziehung auf jenes anbetungswürdige Opfer erwägen, welches, da die Zeit erfüllet war, auf einer der Höhen des Berges Morija, den Gott Abraham sagen wollte, auf Golgatha, gebracht ward. Heute bedenket ein Anderes, bedenket, es war ja nicht auf das Geopfertwerden Isaacs abgesehen, sondern auf das Opfer, das Abraham williglich bringen soll; nicht auf das Sterben und Bluten des Jünglings und auf das Zerstücktwerden seiner Glieder zum Feuer des Brandopfers, sondern auf das Bluten eines zerrissenen Vaterherzens. Das äußerliche Opfer sollte nicht vollzogen werden, sondern das innerliche der Liebe, des Glaubens, des Gehorsams. Wer vermag aber auszudenken, was für ein Weh dieser Befehl in Abrahams Brust senkte! Eine Prüfung verhängte er, auch dem vielgeprüften Manu unaussprechlich schwer, die schwerste seines ganzen Lebens. Sie drang schneidend in das innerste Mark der tiefsten und gewaltigsten Gefühle ein, die in einem Menschenherzen sich regen. Versetzt euch einmal in seine Gemüthslage, denket nun, dieser Sohn war der Sohn der Verheißung.

Nie haben größere Erwartungen auf einem Menschenkinde geruht. Mit was für Freude, Hoffnung und Wohlgefallen mögen Abrahams Augen auf dieses Kind geblickt, wie oft mag er an stillen Abenden mit seinem Sohn von den großen Verheißungen geredet haben, die an seinen Namen, den „Freudenreichen,“ geknüpft waren, daß sein Geschlecht zahllos werden solle, wie die Sterne am Himmel, daß dies Land, in welchem er als Fremdling geboren, sein und seiner Kinder Erbe werden, daß aus seinen Nachkommen der hervorgehn solle, welcher allen Geschlechtern der Erde Trost und Segen sei. Und diese Verheißung, den Stern seiner Sehnsucht und seiner Freude, sollte er nun selbst scheinbar vernichten, o, es mußte ihm ja sein, als lege er nun all seinen Glauben, all sein Hoffen ins Grab.

Dann noch mehr: Dieser Sohn war sein einiger Sohn, den er lieb hatte, der Trost und das Glück seines Alters, den er lange Jahrzehnde hindurch mit Verlangen erwartet hatte, mit dessen Liebe die süßesten Hoffnungen seiner spätern, vereinsamten Tage so innig zusammenhingen; o ihr Väter und Mütter in dieser Versammlung, die ihr der Stunde nicht vergessen könnt, wo euere Lieblinge, die Stützen und die Freude eures Lebens auf dem Krankenbette lagen, als ihr die Zeugen ihrer Sterbenskämpfe wäret, und den letzten, ach! den Scheideblick ihrer brechenden Augen empfinget, ihr könnt es ahnen, welch ein Schwert des Schmerzes durch Abrahams Seele drang mit diesem: nimm Isaac, deinen einigen Sohn, den du lieb hast und opfere ihn. -

Und noch mehr: Abraham selbst soll also seine Hand an sein Kind legen, der Vater selbst soll den einigen Sohn opfern, zum Brandopfer opfern, das heißt, den mit eigner Hand getödteten Leib mit eigner Hand in Stücke zerhauen und diese verbrennen. Welche Zumuthung für eine Vaterhand, für ein Vaterherz! Taufendmal lieber hätte der Vater sein eignes Leben hergegeben, denn die höchste Liebe auf Erden ist ja die Elternliebe, und diese Liebe sollte Abraham verleugnen, o bittrer Kelch, o harte Prüfung! Und dachte er endlich an die kommenden Tage, wenn er ohne den Sohn zurückkehrte in die verödete Hütte, wenn er der Mutter gebrochenes Herz, ihre verweinten Augen, ach! vielleicht ihren erlöschenden Glauben, ihr trostloses Verzweifeln sehn müßte - o ermesset es, wie schwer, wie unsäglich schwer ihm diese Prüfung werden mußte, welche Gottes Gebot ihm auferlegte. Sein Herz war blutend zerrissen, und hat wohl nie mehr ein Vater empfunden, was da in diesem Vaterherzen sich regte, was kein Mund sagen kann!

3.

Und wie überwand er dies alles? Da stand Abraham des Morgens frühe auf und gürtete seinen Esel und nahm, mit sich zwei Knaben und seinen Sohn Isaac und spaltete Holz zum Brandopfer und machte sich auf und ging hin an den Ort, davon ihm Gott gesagt hatte. Seht, er überwindet weit in dem allen. Gott ruft: Abraham! Abraham antwortet: Siehe, hier bin ich! O schönes Wort, das die willige Bereitschaft seiner Seele zu allem, was sein Gott verlangt, ausdrückt! Er merket auf, wie später Samuel, der auf gleichen Ruf des Herrn an ihn sprach: Rede, Herr, dein Knecht höret. Gott spricht, Abraham hängt wie an seinem Munde. Der Herr befiehlt, sein Knecht gehorcht. Gott fordert, wie wir sehen, das schmerzenvollste Opfer, Abraham ist ohne die leiseste Einwendung willig und bereit. Das macht uns diesen Mann so groß und so ehrwürdig. Gott ist sein höchstes Gut, sein Ein und sein Alles. Das neutestamentliche Wort: Wer Vater oder Mutter, wer Sohn oder Tochter mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht werth, (Matth. 10, 37.) hat hier seine alttestamentliche Erfüllung. Die Macht dieser Gottesliebe ist es, die in Abraham den Sieg über alles menschliche Empfinden erringt. Wie ihm sein Herz auch klopft, die Empfindungen desselben kommen nicht zum Wort. Darum theilt er auch Sarah, seinem Weibe, nichts mit; ihre Thränen hätten ihm die Seele nur weich gemacht; ihr Schmerz hätte ihm den Kampf nur erschwert. Keine Klage dringt von seinen Lippen, keine Thräne füllt sein Auge; er will weder sie, noch Isaac in den Jammer reißen, in sich selbst verarbeitet er die ungeheure Last des Schmerzes, die sein Vaterherz zerdrückt, in sich selbst und in seinem Gott erkämpft er sich Ruhe und Muth.

Des Morgens früh stand er auf. Frühe. Wer zur Ueberwindung hindurchdringen will, wem es ein Ernst ist, in der Prüfung wohl zu bestehn, der merke sich dies Wort, der säume, zögere nicht! der Aufschub läßt immer den Eifer erkalten: wozu du heute dich freudig angetrieben, wozu du in dieser Stunde dich mächtig gehoben fühlst, das ist dir in der nächsten Stunde schon gleichgültiger geworden, das lässest du morgen kaltsinnig liegen. Willst du einer bösen Gewohnheit entsagen, die dich gefesselt hält? Möchtest du deiner Leidenschaft Meister werden, deine Schooßsünde, den Isaac, den du lieb hast, opfern? Fühlst du eine geheime Unruhe darüber, daß du die Pflicht des Hausgottesdienstes bisher versäumt, und willst du von nun an eine christliche Hausordnung einführen unter den Deinen? willst du das heute, o um Gotteswillen, warte nicht mit der Ausführung bis morgen, heute, da du Gottes Stimme hörest, heute!

Abraham stand des Morgens frühe auf, gürtete seinen Esel, spaltete Holz zum Brandopfer und machte sich auf. Er trifft sofort alle Anstalten zur schauerlichen That. Es ist ihm Ernst, dem Gebot des Allerhöchsten folgsam zu werden. Ueber ihm ist eine absolute Autorität und diese verpflichtet ihn zu einem unbedingten Gehorsam.

Ich zweifle nicht, meine Theuren, ihr bewundert diese Stärke seines Gehorsams, aber ihr fraget: wie ward es ihm möglich, solchen Gehorsam zu leisten? Diese Frage dränget sich uns auf; die Antwort leset Hebräer 11,17. und sie lautet: Durch den Glauben opferte Abraham den Isaac, da er versucht ward und gab hin den Eingebornen, da er schon die Verheißung empfangen hatte, von welchem gesagt war: in Isaac wird dir dein Saame geheißen werden und dachte, Gott könne auch wohl von den Todten erwecken. Er glaubte Gott und zweifelte nicht an Gottes wahrhaftigem Worte. So wenig er an dem göttlichen Befehle zweifelte, so wenig zweifelte er an der göttlichen Verheißung, die ihm von diesem Isaac gegeben war. Wie dieser Befehl: Nimm Isaac und opfere ihn mir zum Brandopfer, mit der Verheißung: In Isaac wird dir dein Saame geheißen werden, sich vereinigen, mit andern Worten, wie es zugehn solle, daß Isaac sterbe und dennoch lebe, daß Abraham ihn hingebe und dennoch behalte, das stellte er dem göttlichen Walten anheim. Das war nicht seine Sache, das überließ der Mann des Glaubens dem, der einst gesprochen: Ich bin der allmächtige Gott. Bei ihm ist kein Ding unmöglich, er kann auch von den Tobten erwecken. So war der Glaube seines Lebens Kraft, der Sieg, der alles überwand. O daß er auch uns wäre, auch uns würde! daß wir alle im ganzen Herzen mit dem Bischof der Brüdergemeinde Albertini sprächen:

Glaube, du lebend'ge Kraft
Unerschrock'ner Ritterschaft!
Stähle täglich unsern Muth,
Röthe unsres Herzens Blut!
Glaube, treuer Wanderstab,
Muthvoll schreitet man zum Grab,
Dich zur Hand mit heiterm Sinn,
Durch' umwölkte Leben hin.
Glaube, Licht am dunklen Ort,
keucht' uns Pilgern fort und fort,
Bis die Sonn' am Himmel steht,
Glaub' in Schauen übergeht! Amen.

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