Harms, Ludwig - Am vierten Sonntage des Advents 1863

Harms, Ludwig - Am vierten Sonntage des Advents 1863

Der vierte Sonntag des Advents ist unter allen Sonntagen im Kirchenjahre ein besonders wichtiger, weil er der Thürhüter ist, der uns hineinläßt in die Weihnachtswoche. Und was giebt es wohl für eine lieblichere Woche, als die Weihnachtswoche, und welcher Sonntag könnte uns deßhalb wichtiger sein, als der, der uns in diese Woche hineinführt? Es haben viele Sonntage ihr besonders Schönes; aber den vierten Adventssonntag übertrifft keiner an Lieblichkeit. Aber was ist aus diesem Sonntage geworden? Der ärgste Märtyrersonntag seit der Zeit, daß man das Weihnachtsfest seinem göttlichen Ursprung beraubt hat und es nur noch als ein menschliches Fest feiert. Läutet es zum vierten Advent, so eilen alle wahren Christen, denen es der HErr nicht wehrt, in das Gotteshaus, um den letzten Adventssegen zu holen, um bei Jesu zu sein. Wo aber Weihnachten nicht als ein Gottesfest gefeiert wird, da kommen die Leute auch nicht zur Kirche am vierten Advent. Warum nicht? Die Leute haben keine Zeit. Der Erste muß flicken, der Zweite muß stricken, der Dritte muß backen, der Vierte muß Narrenkram machen; und das geschieht nicht zur Ehre des HErrn Jesu, sondern den Menschen zu Ehren. Ein Götzenfest ist aus dem Weihnachtsfest geworden. Die Eltern machen ihre Kinder zu Götzen und die Kinder ihre Eltern, die Brüder machen ihre Schwestern zu Götzen und die Schwestern ihre Brüder, der Mann macht das Weib und das Weib den Mann zum Götzen, und Jeder will seinem Götzen etwas schenken, das am vierten Advent zurecht gemacht und vorbereitet werden muß. Darum müssen die heiligen Engel an diesem Sonntage blutige Thränen weinen. Und wer entheiligt diesen Tag am meisten? Das thun die Reichen, Vornehmen und Gebildeten, die den andern Leuten doch mit einem guten Beispiel vorangehen sollten. Was ist denn Weihnachten die Hauptsache? Ist das die Hauptsache, daß du ein gesticktes Taschentuch und allerlei Krimskram, was du nicht einmal recht gebrauchen kannst, unter dem Tannenbaum liegen hast? Ich meinte, das wäre die Hauptsache: Gelobet seist Du, Jesu Christ, daß Du Mensch geboren bist. Wenn du dann auch sonst nichts hast, als einen Weihnachtsbaum und einen leeren Platz darunter. Auf dem leeren Platze liegt das Jesuskind, und dies Jesuskind nimm in dein Herz auf. Was hilft es aber, wenn es gedrückt voll liegt unter dem Weihnachtsbaum und der HErr Jesus fehlt? Man sollte wünschen, daß zu Weihnachten nichts Irdisches mehr geschenkt würde, auch nicht die kleinste Liebeserweisung, denn auch der Neid und die Mißgunst kommen bei den Weihnachtsgeschenken so recht zum Vorschein. Wenn zu Weihnachten den Kindern die Tische recht vollgepackt werden, dann kommt es gewöhnlich recht bald zum Zanken und Streiten, zum Kratzen und Beißen, und die erwachsenen Leute machen es oft nicht besser. Das soll unsere Weihnachtsfreude sein: Mein Jesus ist geboren; und wenn wir dabei Nahrung und Kleidung haben, so sollen wir uns genügen lassen. - Wir haben uns nun zu unserm lieben vierten Adventssonntage hier im Gotteshause versammelt, und da wollen wir fragen:

Jesus kommt zu uns; was bringt Er?

1. Ein fröhliches Herz.

Es heißt in unserm lieblichen Episteltext: Freuet euch in dem HErrn allewege, und abermal sage ich euch: Freuet euch! Da sehet ihr recht, was das liebe Jesuskind bringt: Freude, Freude, nichts als Freude! Denn es heißt: Freuet euch in dem HErrn allewege, d. h. immer und immer wieder freuet euch, allenthalben, an allen Orten und zu aller Zeit freuet euch. So sind also die Christen fröhliche Leute, ja ich sage euch, die allerfröhlichsten Leute, so fröhlich, daß der drückendste Schmerz, daß die Schrecken des Todes, daß Gram und Kummer von Außen und Innen ihre Freude nicht trüben kann: denn es heißt bei ihnen: Denen die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Die Freude der Christenleute bleibt auch in den schwersten Tagen immer oben. Aber merkt euch wohl, meine Lieben, die Freude in dem HErrn. Denn wahre Christenfreude ist nur eine Freude im HErrn; alles Andere kann die Christen nicht recht erfreuen und ergötzen. Diese Freude ist allein seine Freude, alles Andere ist ihm schaal und kahl dagegen, diese Freude geht durch Alles hindurch. Selbst dasjenige, was irdisch zu sein scheint, ist bei ihm Freude in dem HErrn; alles, was irdische Freude ist, wird verklärt zu einer himmlischen. I. B.: ein Christ und ein Weltkind gehen im Sommer an einem Roggenfelde vorüber: da freuet sich das Weltkind über die Himpten, die es dreschen und über die blanken Thaler, die es daraus lösen kann; der Christ aber freuet sich darüber, wie Gott gleichsam aus den Steinen Brot wachsen läßt, und deßhalb kann er nicht zum Berechnen der Himpten und Thaler kommen. Das kommt daher, das Herz des Christen ist ganz auf Gott gerichtet, und darum erquickt ihn die Freude in Gott; während das Herz des Weltkindes nur auf das Irdische gerichtet ist. Der Christ mag weder tanzen noch spielen, sein Herz verlangt nicht darnach; er kann nur beten für solche Menschen, die ihr Vergnügen daran finden. Die Weltfreuden ekeln ihn an, er sehnt sich nicht darnach, denn er hat seine Freude an Jesu. Diese Freude besteht darin: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Habe ich das Wort durch den Glauben in mein Herz aufgefaßt, dann giebt es keinen fröhlicheren Menschen als ich bin. Ich habe dann keinen zornigen Gott mehr, sondern einen lieben Vater. Aller Zorn Gottes ist aufgehoben durch Christi Blut und dies Blut wäscht mich rein von aller Sünde. Dann kann ich sagen: Mein Gewissen beißt mich nicht meines ganzen Lebens halber, denn meine Sünden sind abgewaschen mit dem theuren Blute Christi. Nun ich Vergebung der Sünden und dadurch einen gnädigen Gott habe, so scheint mir die Sonne zehn Mal heller und der Mond sieben Mal reiner; der Tod kann mich nicht schrecken, er führt mich in die ewige Seligkeit, die Verdammniß kann mir nicht schaden, denn ich gehe zu Gott in den Himmel. Sehet, so verschwindet alle Angst und Furcht, ich habe nur Freude. Ich habe einen gnädigen Gott, was mir fehlt, giebt Er mir; und wenn ich diese Zuversicht habe: Er vergiebt mir täglich und reichlich alle meine Sünden, Er vergiebt sie mir, wenn ich auch siebenzig Mal sieben Mal gesündigt habe, Er wäscht ab alle meine Unreinigkeit, nimmer stößt Er mich von sich weg, da kann ich sagen: Ich habe einen offenen Born wider alle Unreinigkeit. Ja, der HErr macht es mit dem Christen wie eine Mutter mit ihrem kleinen Kinde, wenn das gefallen ist, so hebt sie es wieder auf und ist betrübt darüber, daß es gefallen ist. Und dieser Jesus kommt nun Weihnachten wieder zu uns, muß sich da nicht unser ganzes Herz freuen?

2. Tröstung in Schmerz.

Weißt du wohl, wie Er das macht? Zwei Mittel werden uns in unserer Epistel angegeben. Der HErr sagt zu den Gläubigen: Eure Lindigkeit lasset kund werden allen Menschen, und zu dir sagt Er: Der HErr ist nahe. Du bist hungrig, und was dir ein noch größerer Schmerz ist, deine Kinder sind hungrig; traure nicht zu sehr, siehe, da kommt schon ein Christ und speist dich und deine Kinder. Merkst du's, Gott hat einen gelinden Menschen geschickt. Oder du hast keine Kleider für dich und deine Kinder; da schickt Gott einen gelinden Christen, der dich und deine Kinder kleidet. Oder du hast sonst Gram und Kummer, da thut Gott einem Christen das Herz und den Mund auf, und der tröstet dich wie ein Bruder. Oder du bist krank, da sendet Gott einen christlichen Bruder, der dich besucht, der mit dir betet und dir vorliest. Dazu kommt noch der Haupttrost: Der HErr ist nahe; allenthalben wo du bist, da ist Er auch. Liegst du auf dem Krankenbette, Jesus ist da; sage Ihm: HErr, den Du lieb hast, der ist krank, sage es Ihm nur geradezu: Den Du lieb hast; denn Gott hat dich lieb, Er hat ja Seinen eingebornen Sohn für dich in den Tod gegeben. Oder Küche, Keller und Geldbeutel sind bei dir leer, sage es dem HErrn, der kann alle Bäcker, Müller und Schlächter willig machen, daß sie dir Lebensmittel ins Haus schicken. Du mußt nur nicht sehen auf die gelinden Menschen, sondern auf den treuen HErrn; schreie zu Ihm, Er ist nahe und macht die Herzen der Leute willig zum Helfen. Ist's Ihm aber auf diesem Wege nicht möglich, so kann Er auch unmittelbar helfen. Das ist auch im Geistlichen so; steckst du in großem Sündenschmerz, in großen Anfechtungen, setzt der Satan deiner Seele tüchtig zu, laufe nicht viel zu Menschen, die können dir nicht helfen und oft wollen sie auch nicht helfen. Aber Eins rathe ich dir, gehe in die Kirche, da hast du Gottes Tröstung für deinen Schmerz, da giebt dir Gott, was dich erquickt. Ich will nicht sagen, daß du Menschen nicht auch um Rath fragen sollst, aber thue es selten; die Hauptsache ist, gehe in die Kirche, wo Gottes Wort gepredigt und Gottes Sakrament ausgetheilt wird, und du wirst da den rechten Trost finden, so daß du sagen mußt: Gott hat Seinem Diener in den Mund gegeben, was er mir sagen sollte.

3. Den betenden Mund.

Ja, sagt der Apostel, sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Der liebe Apostel, wie möchte man ihm die Hand küssen für dieses Wort! Er nimmt uns alle Sorgen ab, indem er sagt: Sorget nichts, weder im Leiblichen noch im Geistlichen. Alle eure Sorgen werfet auf Gott, denn Gott sorgt für euch. So haben wir seligen Christen nur die beiden Stücke zu thun, zu beten und zu arbeiten; das Sorgen will der HErr selbst übernehmen.

Ja, meine Lieben, der liebe Gott nimmt es übel, wenn wir sorgen wollen, denn wir fallen Ihm damit in Sein Amt. Das Sorgen sollen wir Gott überlassen, auf Seine starken Schultern sollen wir alle unsere Sorgen legen und dann ein rechtes Kinderleben führen. Das ist ja das Eigenthümliche bei den Kindern: Sie lassen die Eltern sorgen. Der Tisch ist gedeckt, das Bett ist gemacht, die Schuhe stehen bereit, woher kommt das alles? Darnach fragen sie nicht, das ist Sache der Eltern. Ja, sie machen oft einen dummen Streich und fragen doch nicht darnach, ob sie auch Essen und Trinken bekommen werden, ob sie auch im Bette schlafen dürfen; sie haben Eltern und die bitten sie um Vergebung. Also beten sollen wir, und dies Gebet besteht aus den drei Stücken: Bitte, Flehen und Danksagung. Ich habe Gott zu bitten um das tägliche Brot Leibes und der Seelen, um Abwendung des Uebels, um Vergebung der Sünden. Erhört der HErr nicht gleich, so wird aus meiner Bitte ein Drängen, und das nennt der Apostel Flehen. Ich halte dem HErrn im Glauben Seine Verheißungen vor, dringe mit Seinem Worte in Sein Herz, und habe ich das gethan, dann wird mein Her; so fröhlich, daß ich sogleich anfangen kann zu danken, wenn ich auch noch nicht die Erhörung meiner Bitte sehe, ich weiß, es wird geschehen. Daraus sehet ihr, daß nur das Beten ein rechtes Beten ist, wenn man glaubt, daß man wirklich erhört wird. Ich werde nie einen Menschen um zwei Pfennige bitten, wenn ich nicht glaube, daß er sie mir geben wird. Ist's nicht ein Unsinn, Gott um etwas zu bitten, wenn man nicht glaubt, daß Er's geben wird? Wenn uns auch alle Menschen täuschen könnten, so kann es der HErr nicht; Er ist treu und wahrhaftig. Habe ich nun solch einen betenden Mund erhalten, so kann ich ganz getrost sein und brauche nicht zu sorgen, weder im Geistlichen noch im Leiblichen, denn mein Gott giebt mir Alles, was ich brauche. O sehet in die Bibel und leset die Geschichte von dem Propheten Elias und der Wittwe zu Zarpath, 1. Kön. 17. Elias hatte keine Speise, Gott läßt ihn durch Raben speisen. Dann muß er bei der Wittwe zu Zarpath einkehren, die soll ihn ernähren, und siehe, das Mehl im Kad wird nicht alle und dem Oelkruge mangelt nichts. So macht es dein Gott, wenn Er dir nicht auf gewöhnlichem Wege helfen kann, so läßt Er dich Seine Wunderwege erfahren. Das Sorgen laß nur; dagegen arbeite als ein Christ und bete als ein Christ, aber bete auch das rechte Gebet, das aus Bitte, Flehen und Danksagung bestehen muß und du kannst mit dem König David sprechen: Ich bin jung gewesen und alt geworden, und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Samen nach Brot gehen, Ps. 37, 25.

4. Eine selige Stund.

Diese selige Stunde ist meine Sterbestunde. Wenn ich einst im Sterben liege und meine Seele macht den Abschied vom Leibe, da höre ich den Spruch in meinem Herzen: Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu; und mit diesem Spruch schlafe ich fröhlich und selig ein. Ich habe ja Vergebung der Sünde und darum Frieden mit Gott. Aber habe ich denn auch ganz gewiß Vergebung der Sünden? Ja, so wahrhaftig als ich getauft und absolvirt bin, so wahrhaftig als ich das heilige Abendmahl empfangen und die Predigt gehört habe. Mir ist das Wort gesagt: Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht dich rein von aller Sünde. Gott hat mir die Vergebung der Sünden gegeben und ich habe sie im Glauben angenommen. Weil ich Vergebung der Sünden habe, so habe ich Frieden mit Gott, und dieser Friede ist höher als alle Vernunft. Und ob meine Vernunft dieses und jenes sagt, so antworte ich: Gott hat mir Vergebung der Sünden geschenkt, ich habe es selbst mit meinen Ohren gehört. Und ob der Satan spricht: Deine Sünde ist blutroth, größer, denn daß sie dir vergeben werden könne, mehr denn Sandes am Meer, so antworte ich: Ob bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade; Sein Arm zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade. Von Gott ist mir die Vergebung der Sünden gegeben und mitgetheilt, die Vernunft muß schweigen, der Satan muß weichen; der selige Gottesfriede ist in meinem Herzen eingekehrt und der bewahrt mein Herz und Sinn in Christo Jesu. Ich kann nun sagen: Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns. Und ob der Tod kommt, so heißt es: Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn; ich habe Lust abzuscheiden und daheim zu sein bei Christo Jesu, meinem lieben HErrn. Und dann, wenn ich eingeschlafen bin, kommen die heiligen Engel und tragen meine Seele in Abrahams Schooß. Zwar wird mein Leib in's Grab gelegt, aber da ruht er nur bis zum jüngsten Tage, dann kommt der HErr Jesus und weckt ihn wieder auf, dann wird er vereinigt mit der im Paradiese harrenden Seele und nun geht es mit dem HErrn Jesu auf die neue Erde. Seht, einen solchen treuen Gott haben wir, wer kann uns wohl aus Seiner Hand reißen? - Das alles bringt uns Jesus zu Weihnachten: Ein fröhliches Herz, Tröstung in Schmerz, den betenden Mund, eine selige Stund'. Wollt ihr denn nicht, daß Jesus bei euch einkehrt? ich denke, ihr habt es Alle groß nöthig. Thut Ihm das Herz recht weit auf; wenn auch der Platz unter dem Weihnachtsbaume leer bleibt, Er kommt und bringt euch himmlische Schätze. Müßt ihr da nicht sagen: Das Loos ist uns gefallen auf's Lieblichste, uns ist ein schön Erbtheil worden?

Nun mein Herze steht Dir offen, zeuch, mein Heiland, bei mir ein; laß mich nicht vergeblich hoffen, laß mich nur Dein eigen sein; tilge Du all mein Verbrechen, so kann ich ganz fröhlich sprechen: Du bist mein und ich bin Dein, allerliebstes Jesulein! Amen.

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