Härter, Franz Heinrich - Der Glaube, ein Bedürfnis für die Schule

Härter, Franz Heinrich - Der Glaube, ein Bedürfnis für die Schule

Als ein junger, erst kürzlich der Schule entwachsener Theologe sollte August Herrmann Franke1) im Jahr 1687 zu Lüneburg predigen über den 31sten Vers unseres heutigen evangelischen Abschnitts. Er hatte bisher mit großem Eifer auf mehreren Hochschulen Deutschlands studiert, war aber dabei stets nur bedacht gewesen auf Vermehrung seines Wissens, worin er sich selber wohlgefiel. Indem er nun auf jene Predigt sich vorbereitete, und über die Worte nachdachte: „Diese aber sind geschrieben, dass ihr glaubt Jesus sei der Christ, und dass ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen,“ da wurde ihm plötzlich vom Geist Gottes der Unglaube seines Herzens aufgedeckt; mit Schrecken sah er ein, dass er, der anderen den lebendigen Glauben predigen sollte, selbst diesen Glauben noch nicht habe, und darum vor Gott verwerflich sei2). Ihn ergriff große Seelenangst; unter Seufzen und Flehen rang er nach der Vergebung seiner Sünde, die zum ersten Male in ihrer ganzen Größe vor ihm stand. -

Er ward erhört. Der Heilige Geist machte ihm die Verheißung des Evangeliums zur seligen Gewissheit; er konnte die Gnade Gottes in Christo Jesu ergreifen; seine Traurigkeit verschwand; ein reiches Maß von himmlischer Freude übergoss ihn, dass er mit Zuversicht die heilige Stätte betreten konnte, und das Lob Gottes entströmte seinem Mund aus der Fülle des dankenden Herzens. In einer schriftlichen Erinnerung an diesen für sein ganzes Leben und Wirken so entscheidenden Tag, sagt er unter anderem: „Was ich dergestalt in geistlicher Erfahrung gelernt, ist mir gewisser, als was meine leiblichen Augen sehen, und meine leiblichen Hände betasten.“

Ihr fragt wohl, wie geht dies zu einer Schulpredigt? - Sehr gut, meine Geliebten, denn es zeigt uns den wichtigen Unterschied zwischen Wissen und Glauben, welcher Unterschied auch als Hauptgedanke aus unserm Text hervorgeht. Der Herr sprach zu Thoma: „Reiche deine Finger her, und siehe meine Hände, und reiche deine Hand her, und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Aus einigen früheren Äußerungen des Apostels Thomas3) können wir schließen, dass sein Gemüt von Natur sehr ernst und heftig war; darum hielt er auch seine Zweifel so fest in stolzer Selbstquälerei, und sagte zu denen, die ihm die frohe Runde von der Auferstehung Christi verkündigten: „Es sei denn, dass ich in seinen Händen sehe die Nägelmale, und lege meinen Finger in die Nägelmale, und lege meine Hand in seine Seite, will ich es nicht glauben!“

Thomas will also nicht glauben, sondern wissen; darum musste er so lange trostlos warten, bis der Herr ihm erschien, und er zu seinen Füßen sich aus der Nacht der Zweifelsucht herauswand mit dem Aufruf: „Mein Herr und mein Gott!“ Der freundliche Heiland aber bestrafte ihn nochmals nachdrucksvoll mit den Worten: „Dieweil du mich gesehen hast, Thoma, so glaubst du? Selig sind die nicht sehen und doch glauben!“ Was der Mensch sieht, das glaubt er nicht, sondern er weiß es; das Wissen und das Glauben sind von einander ganz verschieden; jenes ist zwingend, dieses freiwillig; jenes gehört dem Verstand, dieses dem Herzen an; jenes geht auf das Sinnliche, und bildet den Menschen für die Erde; dieses geht auf das Übersinnliche und erzieht den Menschen für den Himmel. Soll nun die Schule ihren Zweck erreichen, so darf sie nicht auf das bloße Wissen sich beschränken, denn das Wissen ohne den Glauben ist leer, tot und seelenverderblich. Dies wird nicht immer erkannt und bedacht; darum wollen wir zeigen: Dass der Glaube ein Bedürfnis für die Schule ist.

Wenn wir von dem Bedürfnis des Glaubens für die Schule reden, haben wir vorzüglich die Volksschule im Auge; wir wollen aber darum die Gelehrtenschulen nicht davon ausschließen. Mit großem Bedauern blicken wir auf diese letzteren, und bemerken darin gar häufig die Einseitigkeit des sogenannten wissenschaftlichen Strebens, welches die jungen Gemüter in hochmütige Zweifel verstrickt, und sie im gefährlichsten Alter den Verführungen der Sinnlichkeit preisgibt. Möge es dein Herrn gefallen, auserwählte Rüstzeuge zu wecken, die mit gediegener Gelehrsamkeit auch einen echt evangelischen Glauben verbinden, und sie unserer Kirche zu Hilfe zu senden. - Die Bürgerschule ist es aber besonders, die uns heute beschäftigt, und für deren Lehrer und Schüler wir den Glauben als ein wesentliches Bedürfnis betrachten wollen.

1. Vor allen Dingen müssen wir nun fragen: Was ist dieser Glaube?

Wir antworten darauf ganz einfach: Es ist der wahrhaft schriftgemäße Glaube, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist4). Das ist etwas Anderes als die bloße Moral oder Sittenlehre, wie man sie in manchen Schulen antrifft. Nicht wenige Lehrer des Volks und der Jugend, von der Philosophie und losen Verführung geblendet5), stehen nämlich in dem Wahn, Christus sei ein ausgezeichneter Weiser, der die Menschen unterrichtete, wie sie durch die Tugend glücklich und Gott wohlgefällig werden können. Andere, die eine höhere Meinung von ihm vorgeben, bilden sich ein Alles gesagt zu haben, wenn sie ihn den größten Gesetzgeber nennen, der als Gesandter Gottes die Regeln der reinsten Sittlichkeit durch Wort und Beispiel lehrte; der Inbegriff des Christentums, so sagen sie, ist das Gebot der Liebe, und darin besteht, wie sie sich einbilden, das Evangelium.

So wird auf eine beklagenswerte Weise das Gesetz an die Stelle des Evangeliums untergeschoben; dazu werden aus der Bibel meist nur solche Sprüche den Schülern erklärt, welche moralische Vorschriften enthalten; die anderen übergeht man mit Stillschweigen, weil sie, wie man behauptet, nicht praktisch sind, das heißt auf das Leben nicht anwendbar, oder doch den Kindern zu hoch; das sind aber gerade diejenigen Aussprüche der Heiligen Schrift, in welchen der Glaube als einzige Bedingung unserer Seligkeit dargestellt ist, und deren Inbegriff der Heilige Geist in das Kernwort zusammengefasst hat6): „Christus ist des Gesetzes Ende, wer an den glaubt, der ist gerecht.“

Dieses und ähnliche Worte sind freilich dem Unglauben gar gewaltige Anstöße, und wer noch als Moralist sich zerarbeitet die eigene Gerechtigkeit aufzurichten, vermag dieselben weder zu erklären noch anzuwenden; aber daran unterscheidet sich eben der wahre evangelische Glaube von dem gesetzlichen Wesen, das ein Christentum ohne Christus treibt. Das Evangelium erfasst den Menschen stets von der Seite seiner Erlösungsbedürftigkeit, und hat für die Kinder, wie für die Erwachsenen, nur einen Heilsweg. Denn es ist in keinem Andern Heil, als in Christo Jesu; auch ist kein anderer Name den Menschen gegeben, darin sie sollen selig werden7). Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch Ihn.8)

Darum muss Jesus Christus auch in der Schule als Eck- oder Grundstein gelegt werden9), wenn ein Segen für das ganze Leben daraus erwachsen soll. Von Ihm, als dem Licht der Welt, müssen alle Strahlen der wahren Aufklärung ausgehen10); auf Ihn, als den Ursprung und das Ziel der ganzen Schöpfung, muss der Lehrer die ihm anvertrauten Seelen hinweisen, dass sie den Zweck ihres Daseins erkennen und erreichen11). Hieraus erhellt nun von selbst, dass es nicht genug ist, Christus den Schülern als das Beispiel aller Tugenden vorzuhalten; allerdings hat er uns in seiner Menschennatur ein Vorbild dargestellt, dass wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen12); jedoch, so lange wir nicht wiedergeboren sind aus dem unvergänglichen Samen des Wortes Gottes, das da ewig bleibt13), und wir nicht durch den Glauben an seine Verheißungen teilhaftig werden der göttlichen Natur14), kann uns das Beispiel Jesu wohl unsere Sünden enthüllen, durch den strafenden Gegensatz gegen unser Verhalten; allein es nachzuahmen und Nachfolger des Herrn zu sein, das vermögen wir nicht aus eigener Kraft.

Der wahre Gläubige steht aber nicht mehr in der eigenen Kraft; er hat seine natürliche Ohnmacht erkannt; er weiß, dass die Macht der Sünde, die in ihm wohnt, ihn verhindert das Gesetz in seinem geistlichen Sinn zu erfüllen, und den guten heiligen Gotteswillen zu tun15). Deswegen sucht er die höhere Hilfe, und ergreift mit Sehnsucht das Evangelium von Christo Jesu, in welchem eine Gotteskraft zur Seligkeit ihm dargeboten wird16). Dieses Evangelium, diese frohe Botschaft für den der hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit die vor Gott gilt, weil ihm die eigene Gerechtigkeit wie ein beflecktes Kleid erscheint17), liegt aber nicht in der Lehre; sondern in der Person Jesu, und in den Zeugnissen, die Er von sich selber gab, und welche die Propheten und Apostel von Ihm als dem Heiland der Sünderwelt, gegeben haben. So würden, zum Beispiel, die hohen Lehren der reinsten Sittlichkeit, wie wir sie in der herrlichen Bergpredigt lesen, ganz umsonst sein, und uns nur trostloser machen, wenn wir den himmlischen Prediger selbst nicht kennten, der uns einlädt geistlich arm zu werden, damit wir als Mühselige und Beladene zu Ihm kommen und Erquickung finden18). Die Bergpredigt ist furchtbar erhabenes Gesetz, das Evangelium dabei ist Er.

Die engen Schranken unserer Betrachtung erlauben uns nicht, diesen wichtigen Gegenstand weiter auszuführen. Das Gesagte mag genügen um zu zeigen, was wir unter dem Glauben verstehen, der Bedürfnis für die Schule ist. Es kommt Alles darauf an, dass die jungen Seelen zu ihrem Erlöser gebracht werden, wie er selber befiehlt19): „Lasst die Kindlein zu mir kommen, und wehret ihnen nicht!“ Soll eine Schule wahrhaft gesegnet sein, so muss der Lehrer das gründliche Wissen auf den Grund des evangelischen Glaubens bauen; den Glaubensgrund kann er aber nur dann in die Schüler legen, wenn er ihn selbst im Herzen trägt. Darum ist:

2. Der Glaube ein Bedürfnis für den Lehrer.

Dass der Beruf des Schullehrers von großer Wichtigkeit sei, ist gar nicht Not zu beweisen, denn ihm vertrauen ja die Eltern das Liebste an, das sie haben, ihre Kinder, und legen deren künftige Wohlfahrt in seine Hand; ja, die Eltern erwarten meistens von dem Lehrer das, was sie selbst zu leisten sich unvermögend fühlen, nicht nur rücksichtlich der wissenschaftlichen Ausbildung, sondern vorzüglich in Bezug auf die Erziehung der Jugend. Will nun ein Lehrer den hohen Anforderungen, die an ihn ergehen, zu entsprechen suchen, so muss er selbst nicht nur das Wissen im Kopf, sondern auch den Glauben im Herzen tragen; nur durch den letzteren wird er für sein Amt ganz geeignet.

Es kommt nämlich bei der Übung des Lehramts vorzüglich darauf an, ob man dasselbe vor dem Herrn oder vor den Menschen übt; und ich wage es gegen einen Jeden zu behaupten, dass ein Lehrer, der in seinem Beruf nicht vor dem Herrn, das heißt, im Glauben wandelt, ein Mietling sei, und das nicht leiste, was er den Schülern zu leisten schuldig ist. Der Mietling denkt nur an den zeitlichen Lohn seiner Arbeit und achtet der Seelen nicht. Der zeitliche Lohn ist entweder Geld oder Ehre; wer für das erste arbeitet, meint schon genug getan zu haben, wenn er nur treulich seine Stunden gegeben hat, unbekümmert um das, was daraus erwächst; wer auch seine Ehre beim Schulhalten sucht, scheint zwar mehr zu leisten, denn er treibt seine Zöglinge im Wissen voran, aber sein Wirken läuft doch nur auf den Schein vor der Welt hinaus, und die Herzen der Schüler bleiben ungebildet; die Schwächeren werden entmutigt, die Begabteren von Dünkel aufgebläht; beide leiden Schaden, und der großen Aufgabe der Schule, die jungen Seelen zu erziehen, wird nicht gedacht.

Aber der Schaden fällt auch auf den Lehrer zurück bei solcher Mietlingsarbeit, denn seine Seele trocknet jämmerlich aus. Mancher junge Schulmann tritt mit Freudigkeit in seinen Beruf; der Reiz der Neuheit, die ersten Anstrengungen seiner Kraft, das Gelingen seiner methodischen Versuche, flößen ihm das angenehme Gefühl der Selbstgefälligkeit ein. Doch nach wenigen Jahren, und oft schon früher, verschwindet dies, durch die eintönige Wiederholung derselben Übungen; es ist keine neue Ehre mehr einzuernten, man bleibt bei seinem Beruf, weil der irdische Lebensunterhalt darauf gegründet ist, und treibt nun seinen Schlendrian Jahr aus, Jahr ein.

Solcher Schulen gibt es nicht wenige, wo dies traurige Bild sich darstellt; es sind keine Erziehungsstätten, sondern Lernfabriken; man kann dem Lehrer keinen Vorwurf machen nach dem Gesetz, der Schulinspektor hat keine namhafte Klage, der Lehrplan wird befolgt, die Schüler bestehen so ziemlich in der jährlichen Prüfung alle geforderten Gegenstände des Wissens, auch die sogenannte Religion, sind vorhanden. Nur das, was die gewöhnlichen Schulbehörden nicht beurteilen können, und auch nicht fordern: Der Glaube fehlt dem Lehrer.

Fehlt aber dem Lehrer der Glaube, so ist auch sein Wirken nicht gesegnet; denn ohne Glauben ist es uns möglich Gott zu gefallen20), ohne Glauben erhält der Lehrer nichts von Gott, am allerwenigsten die Weisheit, die ihm zur Führung seines Amtes nötig ist21). Der Glaublose kann nicht für seine Schüler erhörlich beten, und ihnen darum auch nicht geben noch für sie sein, was er nach Gottes Willen geben und sein sollte. Geben soll er ihnen den rechten Unterricht, sein soll er ihnen ein rechter Erzieher; beides ist nur bei dem wahren Glauben möglich.

Bei dem Unterricht ist auf zweierlei zu sehen: was wird gelehrt, und wie wird es gelehrt? In dem Ersten liegt der Unterrichtsstoff, und dazu rechnen wir Alles, was die Schüler im richtigen Denken, Sprechen und Schreiben übt, und ihnen die Fertigkeiten gibt, welche für ihre künftigen bürgerlichen Verhältnisse nötig und wünschenswert sind; aber über diesem muss doch das Eine, was Not ist, stehen, und der Teil des Unterrichts, welcher sich darauf bezieht, auch die angemessene Stelle auf dem Lehrplan haben, so dass demnach die Religionslehre nicht als eine Nebensache erscheine, der man nur kümmerlich die nötige Zeit gestattet, sondern als die Hauptsache, welche dem andern Unterricht vorausgeht, und demselben, so wie der ganzen Schule, die Weihe gibt.

Wenn nun, in solchen gesegneten Stunden, ein gläubiger Lehrer das Wort Gottes den Schülern treulich mitteilt, und ihnen aus innerster Überzeugung die Geschichten und Kernstellen der Heiligen Schrift mit einfacher Erklärung ans Herz legt, so gehen von ihm Ströme des lebendigen Wassers aus22), und die Nachwirkung davon lässt sich in allen anderen Zweigen des Unterrichts spüren, denn nun zeigt ihm auch der Geist, um den er täglich fleht, wie er alle übrigen Gegenstände der Schulwissenschaft behandeln soll. Jeder Lehrer hat zu einem Unterrichtsgegenstande mehr Lust und Geschick als zu dem andern, und doch soll keiner derselben vernachlässigt werden; da kommt es denn hauptsächlich auf die Treue an, welche darin besteht, dass für die weniger angenehmen Stunden, Ernst, Fleiß und Aufmerksamkeit verdoppelt werden; diese Selbstverleugnung ist aber nur dem gläubigen Lehrer möglich, der selbst in der Nachfolge Christi wandelt23).

Von dieser Treue des Lehrers geht dann auch für die Schüler der große Segen aus, dass sie die rechte Triebfeder zum Lernen bekommen; sie können an dem lebendigen Beispiel, das täglich vor ihren Augen steht, sehen was das heißt, um des Herrn willen seine Pflicht tun, und es gibt unter den heranreifenden Kindern immer eine nicht unbedeutende Zahl, die nach und nach darauf achten und dem Beispiel nachahmen; diese bilden alsdann den Kern der Schule, und erleichtern und verschönern dem Lehrer sein schweres Amt; ein guter Geist verbreitet sich merklich unter der jugendlichen Schar, der selbst auf die Unartigen besänftigend wirkt, und die strengen äußeren Strafmittel größtenteils entbehrlich macht.

Es ist der Geist Gottes, welcher von dem gläubigen Lehrer, der ohne Unterlass für seine Schüler betet, auf diese übergeht, und sich an ihnen als den rechten Zuchtmeister beweist, der die Sünde innerlich straft24). Zwar behaupten wir keineswegs, dass einem solchen Lehrer nicht auch manche schmerzliche Erfahrungen bereitet seien; im Gegenteil werden ihm die Verirrungen einzelner Zöglinge eben deswegen desto schwerer erscheinen, weil er die anvertrauten Seelen betend auf dem Herzen trägt; aber er hat auch in den Kampfeszeiten den Beistand von oben; der Herr gibt Kraft und Weisheit, und verleiht seinem treuen Knecht nicht selten den erfreulichsten Sieg. So wird der Lehrer im Glauben selbst erzogen, und eben dadurch ein stets tüchtigerer Erzieher, der eine wohltuende Macht über die Schüler übt.

Wie ganz anders steht dagegen ein Lehrer, dem der wahre Glaube fehlt, in seinem Wirkungskreis! Er ist auf die bloß natürlichen Mittel verwiesen, auf die Gefühle der Furcht und der Ehre, die er in seinen Schülern zu wecken sucht; und nun wird er entweder ein harter Schultyrann, der seine Herrschaft über die ihm untergebene Herde auf ein unerbittliches Strafsystem gründet, oder er sucht in den jungen Gemütern den Stachel der Ehrfurcht zu wecken, wodurch er sie teils im Zaum zu halten, teils zu großen Anstrengungen anzutreiben hofft; wenn es ihm aber auch gelänge, und er die äußere Stille erzwingen, und ungewöhnliche Leistungen bei einigen Schülern hervorrufen könnte, so wäre doch im Innern dadurch nichts gewonnen; die gewaltsam zurückgepressten Jugendsünden würden im Verborgenen fortwuchern, die Herzen blieben bei allem hochmütigen Wissen leer und tot, und das aus solchen Schulen erwachsene Geschlecht brächte aus seinen Bildungsjahren nichts mit als stolze Rohheit, die nun alle Zügel abstreift, und sich für den angetanen Zwang schadlos zu halten sucht, wie wir es leider an einem großen Teil unsrer jungen Leute wahrnehmen, aus den Volksschulen sowohl, als aus den Gelehrtenschulen.

Der Zustand der Glaublosigkeit straft sich aber gewöhnlich auch an den Lehrern selbst auf eine Weise, die sie sollte zum Nachdenken bringen; denn sie sehen das Unzulängliche ihrer Bemühungen schon während der Schulzeit. Die gärenden Kräfte der sündlichen Natur brechen oft unerwartet durch alle Schranken, und spotten des Lehrers, der in seiner Ohnmacht ohne Gott trostlos dasteht, und sein undankbares Amt beklagt, an das er durch Verhältnisse gebunden ist. Ja gewiss, wenn der Lehrer nicht im Glauben arbeitet, ist es ihm nicht möglich in die Länge fortzufahren, ohne zu versinken; nur der Glaube erhält einen freudigen Mut bis an das Ende, und ist demnach dem Lehrer unentbehrlich.

3. Aber eben so ist der wahre Glaube auch für die Schüler ein dringendes Bedürfnis,

und wir können unmöglich die Schule eine gute nennen, die dieses Bedürfnis unbeachtet und unbefriedigt lässt.

Man vergisst gar häufig, dass unsere Schüler Christenkinder sind, denen durch die heilige Taufe schon das Recht auf eine Geistes- und Herzensbildung erteilt wurde, wie solche einem Jünger, einer Jüngerin Jesu nötig ist, um das Ziel ihrer himmlischen Berufung zu erreichen. Ein rechtschaffener Schullehrer sieht in seinen Zöglingen nicht bloß künftige Arbeiter und Staatsbürger, sondern auch Bürger des Reiches Gottes und Seelen, die seinem Heiland angehören, der sie von der Macht des Todes mit seinem Blut erkauft hat, und sie nun zum ewigen Leben beruft durch sein Evangelium.

Dies wird aber von vielen Bildnern der Jugend gar nicht beachtet, besonders seitdem in unserm Land Kirche und Schule gesetzlich getrennt sind; da meint wohl mancher Lehrer, er habe auf den Glauben keine Rücksicht mehr zu nehmen, und könne diesen Gegenstand ausschließlich der Sorge des Geistlichen überlassen. Dadurch hat eine große Anzahl unserer Volksschulen aufgehört Christenschulen zu sein, dass weltliche Wissen herrscht darin so, dass man bei dem Besuch derselben den Eindruck empfängt, als ob man in dem heidnischen Rom oder Griechenland wäre; kaum dass noch ein kaltes unverständlich gesprochenes Gebet am Anfang und Ende der Stunden an etwas Höheres erinnert, um den Mangel desto betrübender hervorzuheben.

Arme Jugend, die so verkümmern muss! Bedauernswerte Lehrer, die in Verlegenheit kommen, wenn man sie an das erinnert, was sie den Seelen ihrer Zöglinge von Gottes wegen schuldig sind! Die Kinder begehren freilich nicht was sie nicht verstehen, aber der Herr wird einst die Seelen von denen fordern, die als ihre Erzieher versäumt haben ihnen zu geben, was sie für die Ewigkeit retten konnte25). Die Erfahrung lehrt, dass die jugendlichen Eindrücke sich dem Herzen tief einprägen, und auch dann wieder hervorkommen, wenn ganze Jahre von verwüstenden Einflüssen über dasselbe ergangen sind. Schon manchem Schüler, der den Unterricht eines gläubigen Lehrers genoss, und darauf wenig zu achten schien, ist in der Folge erst die Kraft der Wahrheit im Innern aufgegangen, wann schwere Heimsuchungen Gottes über ihn kamen; da erinnerte er sich an die heilsamen Worte, die ihm jetzt erst wie ein Licht erschienen in der Dunkelheit, und ihm den Weg zeigten um dem Verderben zu entfliehen; und nun, als ein Geretteter, als ein Begnadigter, segnet er das Andenken des treuen Jugendlehrers, der den Samen des Lebens auf Hoffnung in ihn gelegt hatte. Das Wort aus Gottes Mund wird nie vergeblich verkündigt26); bei Manchen geht es freilich nur spät auf, wie eine Wintersaat; aber bei vielen jungen Seelen bringt es auch früh schon seine gesegneten Früchte. Das Zeugnis der Heiligen Schrift bestätigt sich immer wieder, dass aus dem Glauben an Jesum Christum das wahre Leben erwächst. „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der bat das Leben nicht“.27) In diesem einfach erhabenen Ausspruch des Heiligen Geistes liegt das Todesurteil über alle Lehranstalten, hohe und niedere, in welchen Christus ein Fremdling ist; sie haben kein Leben, und können darum auch kein Leben hervorbringen.

Aber in der Schule wo er einkehrt, mit seinem Geist und seiner Kraft, da zeigt sich bald ein fröhliches Gedeihen; sie wird einem Gottesgarten ähnlich, in welchem eine lebendige Quelle fließt, die im Verborgenen die Wurzeln der Pflanzen nährt, während Licht und Wärme von oben den Wachstum befördern. Mit Verwunderung sieht man da, wie in ganz zarten Kindern schon der Sinn für das Ewige aufgeht, gleich einer herrlichen Blume, die man noch gar nicht erwartete; an Anderen, die anfangs widerstrebend waren, offenbart sich eine erfreuliche Willigkeit des Gehorsams; man sieht, dass sie aus Liebe arbeiten. So wie sie nun mit den Jahren zu höheren Stufen des Unterrichts übergeben, werden sie auch verständiger; man kann ihnen die rechten Beweggründe zur pflichtmäßigen Tätigkeit mitteilen, und weil sie im Glauben beten, wird es ihnen möglich, mit Selbstverleugnung auch das zu tun, wozu sie keine natürliche Neigung in sich fühlen; sie werden treu, nicht bloß vor den Augen des Lehrers, sondern vor dem Angesicht Gottes, und erlangen durch fortgesetzte Übung die Tüchtigkeit, welche auch zu ihrem zeitlichen Beruf erfordert wird.

Und sind nun solche Zöglinge, an welchen der Lehrer mit Dank gegen den Herrn das beginnende Werk der Gnade schauen durfte, der Schule entwachsen, so nehmen sie außer den nützlichen Kenntnissen, die sie für ihr irdisches Fortkommen gesammelt haben, als edelstes Kleinod den Glauben mit, der sie reich in Gott macht, und ihnen Kraft gibt den Versuchungen der Sünde zu widerstehen, und durch die Gefahren der Welt, bis an das selige Ziel, den Weg zu verfolgen, den sie in früher Jugend an der Hand eines Lehrers betreten haben, welcher, selber gläubig, sie im wahren Glauben erzog.

Ach, warum ist sie doch noch so gering die Zahl der Lehrer, denen der Glaube als ein dringendes Bedürfnis für die Schule erscheinet, und die mit dem Sinne eines August Herrmann Franke, sich bereiten, der leidenden Menschheit zu Hilfe zu eilen. Herr Jesus Christus, wecke du dir viele solcher Hirten für die zarten Lämmer deiner Herde, für unsre liebe Kinderschar!

Amen.

1)
geboren zu Lübeck 1663, Gründer des Hallischen Waisenhauses.
2)
1. Kor. 9,26.27
3)
Joh. 11,16; 14,5
4)
Eph. 2,20
5)
Kol. 2,8-9
6)
Röm. 10,4
7)
Apg. 4,12
8)
Joh. 14,6
9)
1. Kor. 3,11
10)
Joh. 8,12
11)
Koloss. 1,16.17
12)
1. Pet. 2,21
13)
1. Pet. 1,23
14)
2. Pet. 1,4
15)
Röm. 7,12-24
16)
Röm. 1,16.17
17)
Jes. 64,6
18)
Mat.5,3
19)
Mark. 10,14.15
20)
Heb. 11,6
21)
Jak. 1,5-7
22)
Joh. 7,38
23)
Mat. 16,24
24)
Joh. 16,8
25)
Hes. 3,17-19
26)
Jes. 55,10.11
27)
1. Joh. 5,11-13; vergl. Ev. Joh. 3,16 und 36.
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