Frommel, Emil - Das Gebet des Herrn in Predigten - IV. Dein Reich komme!

Frommel, Emil - Das Gebet des Herrn in Predigten - IV. Dein Reich komme!

Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Text: Luc. 11, Vers 2.
Dein Reich komme!“ \

In Christo geliebte Gemeinde!

Die erste Bitte, Geliebte, ist gebetet. Aber sie ist nicht völlig erfüllt damit. Denn sie wird nur da erfüllt, wo die zweite erhört wird. Darum hinterläßt die erste Bitte die zweite als seliges Vermächtniß dem betenden Herzen. Wo Gottes Reich kommt, da wird sein Name geheiligt. Wo dies Reich nicht ist, da wird auch des Namens Gottes nicht gedacht. So stehet diese Bitte mit der ersten, so stehet sie auch mit der dritten in heiliger Verbindung. Wo Gottes Reich wahrhaftig ist, da geschieht auch sein Wille auf Erden, wie im Himmel! Ein seliger Dreiklang von Bitten, entsprechend dem Dreiklang des Liedes der Heerschaaren in der Weihnacht, das hier im Erfüllungstone klingt: Ehre sei Gott in der Höhe! Ja Herr, Dein Name ist nun geheiligt! Friede auf Erden, - denn Dein Reich ist gekommen! An den Menschen ein Wohlgefallen: denn Dein Wille geschieht fortan auf Erden wie im Himmel! Und keinen derselben können wir missen weder da noch dort! So ist die erste Bitte die Pforte zur zweiten. Lasset uns eingehen durch dieselbe und heute flehen: Dein Reich komme!

Eine wunderbare Bitte! Sie ist erfüllt, und doch nicht erfüllt und soll einst ganz erfüllt werden. Gottes Reich ist gekommen, und ihm sei ewig Dank dafür; aber noch ist es nicht völlig gekommen, das klagen wir dem Herrn; daß es täglich und stündlich komme, das bitten wir von ihm, und daß es kommen wird in Herrlichkeit, das hoffen wir vom Herrn. In diese Gedanken lasset mich euch heute einführen, Geliebte, indem ich die Bitte: Dein Reich komme! euch darlege als

  1. einen Dank Psalm,
  2. einen Bußpsalm,
  3. einen Bittpsalm,
  4. einen Hoffnungspsalm.

Lieber himmlischer Vater! Dir sei Preis und Anbetung, daß Du uns errettet hast aus der Obrigkeit der Finsterniß und uns versetzt hast in das Reich Deines lieben Sohnes. O Herr, was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkest, und des Menschen Kind, daß Du Dich seiner annimmst! Aber Du weißt auch, wo Dein Reich nicht ist. Du Herzenskündiger! und wir fühlens an innerem Unfrieden, an unserer Freudlosigkeit, daß Dein Reich noch nicht völlig gekommen ist zu uns. So bitten wir Dich, laß es kommen! Ach, laß es kommen mit Macht in dieser Zeit, wo die Reiche der Welt wanken, laß es kommen Dein ewig Reich, aus dem wir nicht vertrieben werden können! Erfreue Deine müden Reichsgenossen mit dem Blicke in das Reich Deiner Herrlichkeit, laß bald die Tage Deiner Zukunft erfüllt werden! Ja, komm Herr Jesu! Amen.

1. Einen Dankpsalm,

Geliebte, habe ich zuvörderst diese Bitte genannt. Was will aber der Dank, wo ich bitten will? Ist Bitte nicht Bitte, und Dank nicht Dank? Gewiß. Aber ich kann mir kein rechtes Bitten denken, ohne zu danken. Der Dank ist's, der uns den Credit offen erhält für neue Bitten. Wer nicht danken kann, kann auch nicht bitten. An der Hand der dargereichten Wohlthaten Gottes gehe ich getrost auf's neue zu meinem Herrn. Wenn aber eine Bitte im Vaterunser mir recht den Dank zuerst auf die Lippen legt, ehe ich bitte, so ist's die Bitte: „Dein Reich komme.“ Denn nicht von meinem armen Bitten hängt das Kommen des Reiches Gottes ab; „denn Gottes Reich kommt wohl ohne unser Gebet von ihm selbst“ sagt der Katechismus. Sein Reich ist ja schon gekommen, noch ehe ich darum bat, seinen Tisch hat mir der Herr bereitet, noch ehe ich darnach hungerte. So kann ich die Bitte nicht beten, ohne in ein Halleluja, in einen Preis meines Gottes auszubrechen, der wahrlich hier an seinem Reiche das Wort erfüllt hat: „Noch ehe sie rufen, will ich schon antworten.“ Ja darin hat meine Bitte ihren heiligen, festen Grund, daß ich mit jubelndem Herzen sagen kann: „Dein Reich ist schon gekommen.“ Solch ein danksagendes Herz setzt diese Bitte voraus; denn wer könnte bitten um das Kommen des Reiches, ohne dem HErrn zu glauben, der da spricht: Siehe, es ist bereits mitten unter Euch? Ihr kennet es ja, dies Reich, das der HErr aufgerichtet, das gekommen ist, Es ist nicht jenes Reich der Allmacht, in welchem jeder Mensch von Geburt bereits lebt. Nicht das Reich der Natur, der Schöpfung, in welchem die Himmel die Ehre Gottes verkündigen und die Veste seiner Hände Werk. Wohl fühlen und schauen wir sein Walten, beugen unsere Kniee und beten Ihn drin an als in seinem heiligen Tempel. Aber das ist nicht das Reich, das erst hätte kommen müssen. Es ist ja von Anfang schon da. Ein anderes Reich hat kommen müssen. Denn ihr kennt jenes dunkle Reich, in das wir alle getreten, wo der Fürst dieser Welt König, die Sünde die Königin, der Tod der Nächste am Throne ist! Seine selige Freiheit hat der Mensch darin verloren und dafür eingetauscht schmähliche Knechtschaft, seine Unschuld, seinen Frieden und seine Gerechtigkeit hat er eingebüßt und dafür Schuld, Unfriede und Angst auf sein Herz geladen, und statt des Lebens und der Seligkeit erwartet ihn Tod und Gericht. Nichts ist ihm geblieben, als eine tiefe Sehnsucht, herauszukommen, ein bitteres Heimweh nach dem Reiche des Lichtes. Aber ewig blieben wir bei aller Sehnsucht in diesem Nachtreiche, unter diesem eisernen Scepter, wenn der Herr sich nicht erbarmt hätte. Mit dem ersten Schritte hinein in jenes finstere Reich, hat der Herr schon angefangen sein Reich zu bauen - ein Reich der Gnade, da Gerechtigkeit, Friede, und Freude im heiligen Geiste wäre. Er ist es, der Feindschaft gesetzt hat zwischen dem Schlangensamen und dem Weibessamen, Er ist es, der uns jene tiefe Sehnsucht nach Erlösung mitgegeben. Still und verborgen baut nun der Herr im alten Bunde in seinem Volke Israel. Ein unsichtbares heiliges Oberhaupt im Himmel, das seine Wohnung mitten unter dem Volke hat, ist der König dieses Reiches; ein heiliges Priesterliches, von allem Unheiligen und Sündlichen geschiedenes Volk auf Erden, das sein Reichsgesetz in steinernen Tafeln hat, sich heiligt durch Reinigungen und Fasten, versöhnt wird durch seine Opfer, von Gottes Wort und Gnade und Wundern lebt, das sind die Reichsgenossen. So deutete dies Reich auf das rechte Reich, das nicht von dieser Welt, da der König droben im Himmel und dennoch stets bei den Seinen wäre bis an's Ende der Tage; deutete auf ein Volk, das versöhnt wäre durch ein einiges Opfer, dargebracht von einem ewigen Hohepriester, geheiligt durch Ihn, erhalten durch sein Wort und Sacrament an Geist, Seele und Leib, das Gesetz im Herzen trüge, seinem König diente in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.

Und dies Reich, es ist gekommen. In Christo Jesu ist es gekommen. Erst in Kreuzesgestalt, in Schmach und Niedrigkeit. In Knechtsgestalt kam der König und mit ihm das Reich, milde einladend zum Reiche, nur das Eine verlangend, Buße und Glaube, alle Mühseligen rufend, keinen hinausstoßend, der zu ihm kam. Sein Königsamt war Dienen, seine königliche Herrlichkeit, daß Er der Verachtetste und Unwertheste ward. Seine Krone die Dornenkrone, sein Scepter ein Rohr, sein Abzeichen ein zerlumpter Purpurmantel, die Huldigungen das „Kreuzige ihn!“, die Schläge und der Speichel und sein Thron ein Kreuz. Als er das Wort rief: „Es ist vollbracht!“ da hat er sein Reich gegründet, als ersten Reichsgenossen nimmt er den sterbenden Schacher. Da eben hat er das Reich der Finsterniß zerstört; da brach er die Burgen des Todenreiches, da hat er den Fürst der Welt gerichtet, der Sünde die Macht genommen, und die Seinen aus der Knechtschaft erlöst. Und darum hat ihn Gott gesetzt zum Haupt seiner Gemeinde, nun ist er ein HErr und König der Seinen; verworfen von seinem Volk ist er zum Eckstein geworden. Mit dem Pfingstfeuer getauft, ziehen seine Reichsherolde hinaus, um den Kreuzesthron und um den König daran sammelt sich ein Volk aus aller Welt Zungen, und in ihnen ist heiliger Friede und unaussprechliche Freude; und wo sie das Reich hintragen, da kommt Freiheit, Gerechtigkeit, Friede und Freude, da siegt es langsam, ohne Schwertstreich, da beugen sich Roms Adler vor dem Flügelschlag der Friedenstaube aus Jerusalem, da nisten die Vögel des Himmels unter dem Wunderbaume aus dem Morgenland. Das Alles hat der Herr gethan dir zu gut; ohne dein Gebet siehst du durch die Jahrtausende sein Reich kommen, und feiernd und anbetend über solche Gnade Gottes steigt als ein Dankpsalm deine Bitte empor: Dein Reich komme!

Wohl ist es gekommen, und dennoch bitten wir: Dein Reich komme? Warum und wozu denn? Gekommen ist es, Geliebte, aber ist es denn auch zu uns gekommen? ist es ganz und völlig gekommen, und an wem liegt die Schuld, wenn es nicht völlig gekommen? Mühte es nicht anders bei uns stehen, wenn Gottes Reich gekommen wäre? Ja, würde uns der Herr die Bitte in den Mund legen: „Dein Reich komme,“ wenn es wirklich schon ganz gekommen wäre? Nur eine Seele, die den Schmerz fühlt, daß Gottes Reich noch nicht völlig gekommen, kann dann brünstig beten: „Dein Reich komme!“ Darum wird diese Bitte dem betenden Herzen

2. zum Bußpsalme.

Dünkt dir dies Wort zu scharf, möchtest du diesen tiefen Ton heraus haben aus deiner Bitte?

Schaue doch einmal in dich selbst hinein. Wenn Gottes Reich auch zu dir gekommen wäre ganz und völlig, da wäre dein Herz voll Friedens, voll Freude im heiligen Geiste. Und doch mußt du es täglich inne werden, wenn du Acht hast und es dir Ernst ist, daß dein Herz keine Friedensstätte, sondern ein Gerichtshof ist, wo sich die Gedanken untereinander anklagen und entschuldigen. Das nimmt dir deinen Frieden. Die Sünde mit ihrer Kraft und Macht läßt dich wohl fühlen, daß das Reich Gottes nicht völlig ist in dir. Dein Geist ist willig, aber dein Fleisch ist schwach, und aus einem Kampfe gehts in den andern, heute Friede, morgen Streit. O gestehe es, daß es Tage und Wochen gibt und gegeben hat, wo dir das Reich Gottes sehr wenig am Herzen lag, ja wo es dir nur hindernd im Wege stand und dir darinnen überall zu eng ward, wo es dir tausendmal besser im Reiche der Welt gefiel, um frei nach dem Willen deines thörichten Herzens zu leben. Darum fehlt dir auch die rechte Freude im Herzen. Daher kommen all' die trüben Stunden und das manichfache Herzeleid. Du hast keine Freudigkeit zum Beten, keine Freude den Willen Gottes zu thun. Woher das? Woher all die Angst, alle die Sorgen, all die Furcht vor Tod und Grab? Woher anders, als daß Gottes Reich nicht ganz, nicht völlig in dir ist? Nun schaue von dir weg hinaus in die Welt. Wo sind die Seelen, deren erstes Trachten wäre nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit? Jahr aus, Jahr ein wird geladen zum Reiche des Herrn; der Herr selbst läßt die Glocken seines Gerichtes scharf an die Herzen tönen. Aber wer glaubt seiner Predigt und wem wird der Arm des Herrn geoffenbart? Er wirbt selbst als der rechte Hausvater und dingt in seinen Weinberg bis zur letzten Stunde - wer folgt seinem Rufe? Ja wenn es nicht gälte, Alles dahinten zu lassen, wenn man in dieses Reich kommen könnte ohne Buße, ohne Aenderung seines Lebens, so ohne Schmerz und ohne Leid - wenn sich's drin leben ließe herrlich und in Freuden, wenn man hier auf Erden der reiche Mann und im Himmel in Abrahams Schoos der arme Lazarus sein könnte, ja wenn dies Reich Essen und Trinken wäre, dann würde es Genossen genug haben. So aber, da es eine kostbare Perle ist, für die Alles drangegeben werden muß; nicht ein offenbarer, sondern ein verborgener Schatz im Acker, für den man Alles hingeben muß - ist es verachtet und verschmäht. Sie fürchten, dies Reich möchte Fallthore haben, die dem Menschen die Rückkehr in das Reich der Welt abschneiden, sie fürchten einen Tausch, bei dem sie am Ende zu kurz kämen. Wohl sind ihrer viele, von denen man sagen könnte: Du bist nicht fern vom Reiche Gottes; wir haben unter uns die Zeit gehabt, wo die schweren Trübsale und Heimsuchungen Gottes gewaltig lockten zum Reiche des HErrn, aber bei wie vielen ist's geblieben bei dem, daß sie nicht fern bleiben wollten von ihm! Sie meinten, es könne ja immer später noch geschehen, daß sie einträten. Allein die Züge Gottes in sein Reich gehen nicht jede Stunde; und wer heute nicht fern war von dem Reiche Gottes, kann bald viel tausend Meilen davon entfernt sein.

Thu' einen Blick von den Herzen in die Häuser, stehen sie in Salems Thoren? Ist Friede in den Pallästen und in ihren Mauern Gerechtigkeit? O, wenn das Reich Gottes drin wäre, da müßte man drinnen beten, statt fluchen hören; da müßten statt Sabbathschändung die schönen Gottesdienste des HErrn zu schauen sein; da würdest du nichts sehen von Elternthränen und Kinderfluch; nichts von Mord und Ehebruch und Dingen, die schändlich sind zu sagen. O, wenn das Reich Gottes im Lande völlig wäre, da müßte man's merken in allen Kirchen, in allen Amtsstuben, in allen Häusern und Herzen. Ist dem so, mein Christ? Ja, wenn es völlig gekommen, da schautest du nicht mit trübem Blick auf die finstere Heidenwelt, da hörtest du nicht, daß täglich ihrer 60.000 sterben, ohne Frieden, ohne Hoffnung, hinabsteigend in ein dunkles Grab ohne Trost und ohne Licht! Ist's nicht eine schwere Schuld der Christenheit, die so lange vergessen hat, des Herrn letzten Willen zu erfüllen? Mein Christ! hat dich das schon geschmerzt und tief geschmerzt, daß deines Gottes Reich so verachtet und vergessen und noch so ungekannt ist? Hat es dich schon der Leute erbarmt, die im Finstern sitzen und auch versetzt sein konnten in das Reich des lieben Sohnes? Hat es vor Allem dich geschmerzt, daß es noch nicht völlig in dir ist? O, wer vorhin gedankt, daß der Herr sein Reich hat kommen lassen, der muß trauernd seine Blicke niederschlagen wenn er sieht, wie durch eigne Schuld dies Reich noch nicht gekommen, wie es kommen sollte und kommen konnte; aber eben darum muß er aus tiefster Seele rufen und schreien: Unser Vater im Himmel! Ach, dein Reich komme! dem wird solches Gebet dann auch zum

3. Bittpsalm.

Fröhlich und zuversichtlich, meine Brüder, wollen wir beten: Dein Reich komme! Ist es schon gekommen ohne unser Gebet, wie wird es erst kommen mit unserm Gebete! Gedenket doch, daß der Herr uns also bitten lehrt und wir heiligen Grund unter den Füßen haben, wenn wir also beten! Soll nicht die Erde voll werden von der Erkenntniß der Ehre des HErrn, wie Wasser das Meer bedecket, und das Evangelium vom Reich, soll es nicht gepredigt werden in der ganzen Welt? Ja, es will kommen, das ist seine Natur und sein Leben, daß es kommt. Der Herr hat nicht umsonst die beiden Worte so nahe zu einander gestellt. Aber, fragst du: wie und wann kommt es? Da antworte ich dir mit dem Katechismus: „Wenn der himmlische Vater uns seinen heiligen Geist gibt, daß wir durch seine Gnade seinem Worte glauben und göttlich leben, hie zeitlich und dort ewiglich.“ Daran siehst du, wer dem Reiche Gottes die Bahn macht, damit es zu uns und in uns komme. Das ist nicht Menschen- sondern Gottes Werk. Der heilige Geist ist es, der es wirkt. Da fällt denn alles äußerliche Werk und Wesen weg. Es läßt sich nicht herbefehlen, nicht durch Verordnungen und Gesetze einführen; es kommt auch nicht in äußerlichem Glanz und Herrlichkeit, wie der Herr sagt: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Geberden.“ Der Mensch kann's auch nicht selber aufbauen, denn „Es kann Niemand zu mir kommen, es ziehe ihn denn der Vater.“ Daß Gottes Reich also kommt, „liegt nicht an Jemandes Rennen und Laufen, Thun und Machen“ sondern an Gottes Erbarmen. Siehe, es ist ein Werk des Geistes Gottes an reinem Herzen. Das ist aber ein still und verborgen Werk, denn der Geist fähret wo und wohin er will, sein Sausen merkest du wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Wenn's vollendet ist, merkst du es, aber nicht seinen Anfang noch Ausgang. So gehen alle Werke Gottes aus der Verborgenheit und Stille heraus und wieder in die Verborgenheit hinein.

Darum täusche dich nicht. Deine Taufe hat dich wohl in den Kreis des Reiches Gottes aufgenommen, dein Bekenntniß, dein Kirchen- und Abendmahlsgang ist gut und nothwendig, aber es ist noch kein sicheres Zeichen, daß das Reich Gottes in dich gekommen wäre. Du kannst ein Zweig am Baume des Reiches Gottes sein, - aber ein welker oder todter. Ein lebendiger Zweig aber wirst du durch den Glauben. Sieh darum kommt das Reich Gottes da, wo du durch den heiligen Geist „dem Worte Gottes glaubst,“ ja wo du zunächst nur einmal den Ruf in sein Reich vernimmst. Der Herr ladet dich ein zu seinem Reich, zu seinem Abendmahl beruft er dich, in seinen Weinberg dingt er dich, leise lockend mit dem süßen Ruf der Gnade, oder mit dem Rufe seines Ernstes: „Komm, es ist Alles bereit, laß dich versöhnen mit Gott!“ Das ist das erste Wehen und Wirken des Geistes am Herzen. Ach, wie treu hat er das gethan! Wie oft hat der Herr sein unsichtbares Netz ausgeworfen uns herauszuziehen aus dem Meer der Welt mit seinen Untiefen und wilden, verderblichen Strudeln! Ja, da bittest du denn in dieser Bitte: O Herr, suche auch mich heim, ja wahrhaft heim - das heißt zu Dir in die rechte Heimath, meine Seele in dein Reich! Und nicht nur mich, sondern auch all' die Meinen, und sie nicht allein, an aller Menschen Thüre klopfe an!

Das ist nun aber erst das Anklopfen, es kommt das Andere, daß du die Thüre aufthust, daß du der Stimme, die dich lockt, glaubst. Das ist nun keine leichte, sondern eine harte und schwere Arbeit. Bis du erkennst daß du nicht im Reiche der Gnade bist, bis alle inwendigen Riegel und Schlösser gefallen, dauert's lange. Das fordert ein Drangeben und Aufgeben des Reiches dieser Welt, ein Armwerden in sich, denn hier gilt des HErrn Wort: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr.“ Es ist ein Reich der Gnade, darum gilt hier kein Recht und kein Verdienst.

Heißt's schon von der irdischen Liebe:

Doch suchst umsonst auf irrem Pfade
Die Liebe du im Drang der Welt,
Denn Lieb' ist Wunder, Lieb' ist Gnade,
Die wie der Thau vom Himmel füllt,
Da hilft kein Drängen, kein Verlangen,
In Demuth magst du sie empfangen,
Als kehrt ein Engel bei dir ein!

so gilt das in viel höherem Sinne von der himmlischen Liebe und ihrem Reich. Sie kehrt nur ein, wo ein von sich selbst leeres, an sich selbst armes Herz ist. Da geht es denn durch einen Schmerz hindurch, den kein Mensch beschreiben kann. Mit jeder Sünde, die du erkennst, fällt ein Riegel. Gottes Wort öffnet das Auge, und wo man hinschaut, da ist statt Licht Finsterniß, statt der vermeinten Tugenden dunkle Flecken, und was Gutes da wäre, ist dennoch nur Gnade von Gott. „Ja in Gottes Reich stirbt des Menschen Recht und er behält vor seinem Gotte nur ein schreiendes Unrecht.“ Aber eben diese Stunde innerer Schmerzen und Thränen sind die Geburtswehen des neuen Menschen, der in's Reich Gottes geboren wird. Sowie der Schrei eines Kindes sein erstes Lebenszeichen ist, so ist ja der tiefe Schrei eines geängsteten und zerschlagenen Herzens über sich, der Schrei aus der Tiefe hinauf zu Gottes Herzen, das erste Lebenszeichen des neuen Menschen. Das ist die Stunde, von der der Herr spricht: „Es sei denn, daß Jemand von Neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Der erste und sauerste Schritt ist geschehen; durch die enge und kleine Pforte kommt gebeugt, arm, elend, jämmerlich blind und blos, in den zerrissenen Kleidern ein verlorner Sohn, der satt geworden der Thränen- und Träberweide, die große Beichte im Herzen und auf den Lippen, so steht er draußen vor dem Herrn in seinem Reich. Draußen? was sage ich draußen, bereits drinnen und ihm eilt der Vater entgegen, der ihm um den Hals fällt und ihn küßt. Wie es dann dir sein wird, willst du's wissen? besser kann ich dir es nicht sagen, als ein treuer Zeuge triumphirend es ausspricht: „Gnade hat den Menschen gebeugt, Gnade erhebt ihn wieder; das Reich der Gnaden hat uns zum Untergang geführt, nun geht die Sonne des Reiches auf und Heil unter ihren Flügeln. Gnade hat uns unsere vermeinten Rechte genommen, Gnade beschenkt uns mit besseren Rechten, mit den Rechten Christi. Was man sich vorher fälschlich angemaßt hat, das empfängt man nun vom ewigen Bräutigam zur Morgengabe wieder, gereinigt, geheiligt, erhöht und vermehrt. Wir bringen beim Eintritt in's Reich der Gnaden nur Sünden mit: als geladene Hochzeitgäste empfangen wir Vergebung der Sünden - ungerecht kamen wir an; uns wird genommen die Ungerechtigkeit und zum Geschenke gegeben die Gerechtigkeit Christi. Wir achteten uns nicht werth, Taglöhner zu sein bei unserm Vater: als Kinder werden wir empfangen, das Wort der Verheißung wird uns in's Herz geschrieben, daß wir Gottes Kinder sind. Sonst kannten wir keinen Frieden, als den Frieden gefühlvoller Stunden, die mit dem Glockenschlage kommen und mit dem andern unwiderruflich wieder gehen. Nun aber wird unser Gewissen durch die Vergebung der Sünden, durch die unumstößliche Versicherung des göttlichen Wortes mit einem Frieden erfüllt, der über alle Vernunft ist, wir sehen unsern Frieden auf dem Felsen des Wortes Gottes gegründet und von heiligen Eiden des HErrn verschanzt und jauchzen: „Deine Schaafe soll Niemand aus Deiner Hand nehmen.“ - Siehe Solches bringt dies Reich! O selig wer das Brod isset im Reich Gottes!

Wer solche Gnade Gottes glaubt und eben durch den Glauben erfährt, der hat ein göttlich Leben innerlich schon angefangen, ein Leben in Seligkeit nach innen, aber auch damit ein Leben der Gerechtigkeit nach außen. Denn siehe, Gottes Reich kommt und ist da, „wo man göttlich lebt hie zeitlich.“ Wahrhaft erfahrene Gnade Gottes ist kein Ruhepolster, sondern ein Stachel, der dem innern Menschen keine Ruhe läßt; denn mit dem „Herr Herr sagen“ ist's nicht gethan. Das Reich Gottes stehet ja nicht in Worten, sondern in Kraft. Mit frommen Schwätzern ist im Reich Gottes nichts gethan. Der HErr will unser Herz nicht nur erobern, sondern wenn Er es erobert hat, dann will Er es auch regieren. Da gilts dann nach dem Gesetz und Recht, das in diesem Reiche besteht, leben, und hier heißt es, seine Gebote sind nicht schwer. Denn der König dieses Reiches kann thun, was kein König auf Erden kann, nämlich seinen Unterthanen die Kraft geben seine Gesetze zu halten. Siehe die Liebe Christi dringet uns also. Schritt für Schritt, langsam aber und sicher, will der HErr dann sein gewonnen und theuer erkauftes Land anbauen. Da hat er alte Wurzeln auszureißen, alte Sünden bloßzulegen, damit sie an der Sonne der Gnade verdorren; da pflanzt er neue Blumen der Gerechtigkeit, deren Duft Gott und Menschen erquickt, da wachsen die Früchte des Geistes, Friede, Freude, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Sanftmuth, Keuschheit. Da schneidet Er an seinen Reben die üppigen Welt- und Wasserschosse weg, damit wir mehr Frucht bringen; an seinen Bausteinen arbeitet Er hienieden, schlägt die Kanten und rauhen Seiten weg, damit sie droben eingefügt werden in heiliger Stille in seinen Tempel. Das ist die inwendige heiligende Kraft des Reiches Gottes, jene Kraft, von der der HErr sagt: „Das Reich Gottes ist gleich einem Weibe, das einen Sauerteig nahm und mengete ihn unter drei Scheffel Mehl, bis er gar durchsäuert ward.“ So durchdringt und heiligt das Reich Gottes den Menschen , gibt ihm Halt und Kraft und Würze, wie der Sauerteig dem Mehl, durchgährt und läutert ihn nach Geist, Seele und Leib. Ja siehe, wo man göttlich lebt hie zeitlich, da kommt das Reich Gottes. Da möchtest du nicht mit bitten, daß dies Reich käme zu dir, in dein Herz, in dein Haus? Ja, wer von diesem Reiche auch nur Etwas gesehen und erfahren, der kann nicht anders, er möchte Alle drin haben, wer nur von den Brosamen geschmeckt, möchte Alle mitsitzen sehen an dem reichen Tische. So viel vom Reiche Gottes in dich gekommen, so viel Gebet um sein Kommen. Kannst darum merken, wie viel es dir werth ist. Da greift dein Arm weit, da ist kein Ort und kein Fleck auf Erden, wohin du nicht das Reich des HErrn wünschtest. Hin in des Königs Schloß, und zur geringsten Hütte, bis hinaus in die finstere Heidenwelt, auch sie möchtest du selig wissen, die von Morgen und Abend, von Mittag und Mitternacht! Ja hättest Freude wo du das Reich Gottes fändest unter uns in allerlei Gestalt und Art, wenns auch deine nicht gerareist; wüßtest auch, daß der Berg Zion höher ist, denn alle Kirchthürme der Welt, und hättest selige Freude, wo du Buße zu Gott und Glauben an den HErrn Jesum, wo du nur ein aufrichtig Suchen des HErrn fändest. Dennoch aber bei allem Frieden und bei aller Seligkeit in diesem Reiche, man fühlt's doch wohl, daß man hier nicht zu Hause ist. Derweil man hier in der Hütte wandert, ist man beschwert, und empfindet bitter, daß das Reich der Welt mit seinen Lüsten das Reich des Herrn in und um uns hindert. Ach, wir wünschten's zu schauen dies Reich in seiner völligen Schöne, seine Reichsgenossen dargestellt ohne Flecken, ohne Runzel oder deß etwas, möchten vor Allem schauen den König, das theure Haupt, sitzend zur Rechten seines Vaters, möchten alle Engel Brüder nennen und mit ihnen den Willen unsers heiligen Königs vollkommen thun! Da wird aber die Bitte zur seligen Gewißheit: der Herr wird uns aushelfen zu seinem Reich und die unscheinbare, kleine Bitte wird zum sieghaften

4. Hoffnungspsalm.

Uns zum Trost hat der Herr den Schleier gelüftet, und zeigt uns, wie durch das Kreuzesreich hienieden schon sein Reich der Herrlichkeit schimmert. Wir aber stehen und warten, und freuen uns seines Kommens. Dann wird abgethan sein alle Schmach von unserm König und seinem Reich, wenn Er mit ihm kommen wird in den Wolken des Himmels. Wie der Blitz leuchtet vom Aufgang bis zum Niedergang, so wird alsdann sein die Zukunft des Menschensohnes, wir aber werden jauchzen und rufen: Gelobt sei der da kommt im Namen des HErrn! Da schaue denn fleißig hin, liebe Seele, wenn's dir bang werden will um dich und bang werden will um sein Reich. Er wird's bringen zu seiner Zeit. Sorge dich darum nicht ab. Die Heiden haben erzählt von einem Riesen, der den Himmel auf seinen Schultern tragen müsse, damit er nicht einfiele. O, es gibt der thörichten Christen genug, die meinen, ihres Herrn Himmel und Thron auf ihren Schultern tragen zu müssen. Sein Reich ist fest gebaut, das glaube du, und sein Thron ist ein ewiger Thron. Seine Feinde setzen ihn nicht ab, so viel ihrer sind. Er bringt sein Reich in Herrlichkeit. Dann sollen auch wir mit ihm offenbar werden. Der Leib der Sünde ist dann todt, wir sind ganz unseres Christus und seines Gottes geworden, wir werden ihm gleich sein. Darum warte du die arme Spanne Zeit, und dulde auch etwas um dies Reich, Es ist es werth. Sei ein Daniel hienieden an Babylons Wasserflüssen, der des Königs Welttisch verachtet, der fröhlich hinabsteigt in die Löwengrube, in der Gefangenschaft sein Fenster offen hat gen Jerusalem und seinen Berg, dorthin sich neigt und betet. Je finsterer es um dich wird, je näher sein Reich. Je mehr Versuchung über den Erdkreis, je mehr Tage der Leiden, desto näher die Verkürzung dieser Tage, dann kommt Er und bringt mit, was in Adam verloren, bringt es wiedergefunden, aber herrlicher und schöner. Dann sind alle Reiche der Welt Gottes und seines Christus geworden. Dann wird der Sohn sie dem Vater übergeben und ein großer Gesang wird gehen durch die Himmel: „Halleluja! Der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen und Er ist Alles in Allem!“ Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonnen in ihres Vaters Reich, und ererben aus Gnaden das Reich, das ihnen bereitet ist vom Anbeginn der Welt. So laßt uns beten vor ihm im Dank- und Buß-, im Bitt- und Hoffnungston: Dein Reich komme! Der Geist und die Braut bitten: Ja komm, Herr Jesu! Und der Herr wird die heilige und selige Antwort geben: Sieh Ich komme bald! Amen.

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