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12) Ihre geistliche Vermessenheit

Einige dieser Schwärmer hatten von den evangelischen Predigern gehört, daß das Neue Testament im Geist und nicht im Buchstaben bestehe, wie auch M. Luther in der Vorrede seiner deutschen Uebersetzung der Bibel gemeldet hatte. Da sie sich nun geistlicher als alle Menschen zu seyn bedünkten, so warfen etliche ihre Testamentbücher in den Ofen und verbrannten, oder zerrissen sie, und sagten: der Buchstabe ist todt, der Geist aber macht lebendig; und Gott spricht durch den Propheten Jeremiä 31,33: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben, und in ihren Sinn schreiben. Wenn nun einer über ihre Reden und Handlungen den Grund und die Ursache aus der heil. Schrift zu erfahren wünschte, so lachten und schrien sie: weh, weh, euch Schriftgelehrten! zeigten dann mit dem Finger auf ihr Herz und sprachen: hier, hier! Wie sie nun vernahmen, der Mensch habe keinen freien Willen, sondern Gott wirke alles in allem, so fielen sie in die Vermessenheit, nichts mehr zu thun und zu unternehmen, sondern setzten sich nieder und hielten sich wie gefühllose Stöcke, und vermeinten, daß, wenn Gott etwas durch sie vollbringen wolle, so werde es auch ohne ihr Zuthun geschehen. Fiel ihnen nun irgend ein Gedanke bei, so sprachen sie: das ist des Vaters Wille! mit welchen Worten sie alle ihre Handlungen glaubten entschuldigen zu können, so daß es nach und nach unter dem Volke zum Sprüchwort ward: das und das will ich thun, es ist des Vaters Wille. Ja, hätte sich nicht die Obrigkeit durch öffentliche Verbote ins Mittel gelegt, so wäre der Name Gottes oft gemißbraucht worden. Aus diesem Grunde wollten sie nicht mehr beten, sondern sagten: wenn Gott ihnen etwas zu geben willens sei, so werde es sonst geschehen, man könne ihn ja nicht dazu anhalten, wenn er nicht wolle. Daher wollten sie Niemanden, der ihnen auf der Straße begegnete, mehr grüßen, oder sich grüßen lassen, sondern schlichen mit verschlossenem Munde auf der Straße dahin und meinten, weil sie untüchtig und zu allen Dingen ohnmächtig wären, auch das, was sie wünschten, nicht geben könnten, so wollten sie jeden ohne Gruß und Gegengruß gehen lassen. Vielleicht möchte, sagten sie, der eine seinem Nächsten einen guten Tag wünschen, aber Gott wolle ihm denselben etwa nicht gönnen, - so könne ja der Mensch nichts thun, ihm denselben zu geben. Etliche von denen zu erst Wiedergetauften, waren nicht mit so vielen Meinungen befleckt als die Spätergetauften, und hielten sich streng an die Artikel, welche sie von Conrad Grebel erlernt hatten. Diese grüßten zwar auch keinen Unwiedergetauften, aber nicht aus jetzt erzähltem Grunde, sondern weil sie ihn für einen ungläubigen Heiden hielten, und wollten sich daher mit ihrem Gruße der Sünden derer nicht theilhaftig machen, welche von den Unwiedergetauften begangen würden. Denn Johannes sagt 2. Brief 10 - 11: „So jemand zu euch kommt, und bringet diese Lehre nicht, den nehmet nicht zu Hause, und grüßet ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßet, der machet sich theilhaftig seiner bösen Werke.

Hätten ihre Irrthümer nur lauter solche Gegenstände betroffen, die befolgt, aber auch unterlassen werden können, ohne daß jemand, sonderlich viel dabei gewinnt oder verliert, weil sie nur äußere Höflichkeitsbezeugungen betreffen, so wär' es noch angegangen; aber dabei blieben diese Leute nicht stehen, sie fielen immer tiefer in den Abgrund der Schwärmerei hinein, wie wir nun bald sehen werden, und brüteten die ungereimtesten und abscheulichsten Dinge aus.

Margaretha - die Schwester des obgenannten Hottinger von Zollikon, führte anfänglich einen sehr züchtigen und untadelhaften Lebenswandel, daher sie auch von den Wiedertäufern deshalb sehr geschätzt und geliebt wurde; - diese gab sich für Gott selbst aus, und fand sogar Glauben und viele Anhänger; ja sie bewies gegen die, welche etwa Zweifel gegen ihre angenommene Gottheit hegten, und Einwendungen machten, aus den Worten Christi: Evangel. Johannes 10,34: steht nicht geschrieben in eurem Gesetz (Psalm 82,6) ich habe gesagt, ihr seid Götter? und wer mein Gebot hält, der bleibet in mir und ich in ihm, Joh. 14,21. Sie gab auch vor: wer bete, der sündige;1) doch wollte sie Niemanden eine weitläufige Erklärung darüber geben. Sie brach öfters in ein solches unsinniges Geschwätz aus, daß kein Mensch wußte, was damit gemeint sei, und dennoch gab sie und ihr Anhang vor, sie sei so tief in Gott eingedrungen2)daß ihre Zunge und Sprache in Gott, Niemand als sie verstehen könne!

Uebrigens führte sie dabei ein strenges Leben, und stand in hohem Ansehen bei den Schwärmern, daher bei vielen ihres Anhanges die Meinung entstand, daß der, welcher am meisten Geschwätze treibt, oder sonst etwas seltsames thue, das Niemand verstehen oder aussprechen könne, der sei am höchsten in Gott vergöttert, und in Gott vertieft.

1)
Ein reicher und angesehener Kaufmann in einem kleinen Seestädtchen des K. Thurgau, wurde bei dem Durchzug der berüchtigten Fr. Krudener mit ihrem Gesindel durch jene Gegenden, von dieser religiösen Schwärmerinn so bethört, daß er ihr und ihrem Anhang sein ganzes Vermögen Preis gab, und in Armuth versank. Dieser bedauernswürdige Unglückliche sagte in seinem zerrütteten Zustande gleichfalls: er brauche nicht mehr zu beten; zwar nicht, daß er durch das Gebet sündige, sondern weil er schon so in Gott eingedrungen sei, daß er des Gebetes zu ihm nicht mehr bedürfe! Seitdem ist er leider in tiefe Geisteszerrüttung herabgesunken! - Dies sind die bittern Früchte eines solchen Unkrauts! -
2)
War dies nicht auch die Sprache jener Wildenspucher-Fanatiker? und sollte man nicht glauben, daß Margrethe Peter mit ihrer 300 Jahre ältern Schwester Margretha Hottinger in der genauesten Verbindung gestanden, und ihre schwärmerischen Ideen aus ihrem Munde geschöpft hätte? Hätten die wiedertäuferischen Schwärmer in St. Gallen ihre unsinnigen Meinungen in Schriften abgefaßt und der Nachwelt übergeben, so würde man zuversichtlich glauben, sie wären in Widerspruch gelesen und einstudirt worden. Gewiß findet der Psycholog hier einen reichhaltigen Stoff, um über die Geistesverwandtschaft dieser Schwärmer aus der Vorzeit und Gegenwart näher nachzudenken. - Eine Anecdote aus dem Leben der Margr. Peter, deren Aechtheit verbürgt wird, mag hier einen Platz finden: Eines Tages befand sie sich in einer benachbarten Stadt in Gesellschaft vornehmer Frauen. Während dem allgemeinen Gespräche wurde Margarethe auf einmal ganz still; man fragte sie etwas, sie gab keine Antwort; man redete sie von einer andern Seite an, sie schwieg noch immer; man ließ sie endlich aus dem Gespräch, weil man glaubte, sie wolle über etwas nachdenken. Auf einmal, gleichsam wie aus einem Traume erwacht, wendete sie sich zur Gesellschaft, bat um Verzeihung, daß sie vorher keine Antwort gegeben, und setzte hinzu: sie sei so eben im Himmel gewesen und habe mit Gott geredet; jetzt sei sie aber wieder hier, und stehe zu Diensten!-
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