Francke, Heinrich - Die Geschichte der Waldenser

Francke, Heinrich - Die Geschichte der Waldenser

Ursprung des Kollektivnamens Waldenser.

Der Kollektivname Waldenser umfaßt das ganze Sektenwesen seit Karl dem Großen bis auf den Waldenser Petrus, von welchem der Ursprung dieses Namens mit Unrecht abgeleitet wird.

Valdenses, Vallenses, Vaudois heißt Talleute, weil die Gebirgsgegenden von den Alpen bis zu den Pyrenäen der Hauptsitz dieser Gemeinden waren und zum Teil bis auf den heutigen Tag noch sind.

Die Waldenser zerfallen nach ihren Wohngegenden und nach den Namen ihrer vornehmsten Lehrer in viele Untergattungen, welche aber alle in genauer Verbindung miteinander standen; nach den ersten hießen sie Albingenser, Lombarden, Pauvres de Lyon, Transmontani, Thoulouzains, Picarden, Lionisten, Bohemer; nach den letzten Petrobrüsianer, Henricianer, Arnoldisten, Esperonisten, Josephisten, Lollarden, und endlich ausschließlich nach demjenigen Waldenser, durch dessen Schicksal sie in alle Welt zerstreut wurden: Waldenser. Sie selbst nannten sich gern Apostolici; in Italien Fraticelli oder Frairots; hießen auch wohl spottweise in Dauphiné: Chaignards; in Provence: Siccars (Beutelschneider), Insabathas, weil ihnen zum Vorwurf gemacht ward, als feierten sie bloß den Sonntag; in Flandern Turlupins, weil sie zu Zeiten der Verfolgung in den Gebirgen unter den Wölfen wohnten. Chazarer (Ketzer), Bulgarn (bougres) nannte man sie nach der bekannten, spät zum Christentum bekehrten und ihren heidnischen Gebräuchen lange treu gebliebenen Völkern; oder weil sie, wie einige höchst unwahrscheinlich behaupten, zu gewissen Zeiten in diesen Gegenden ihren Zentralpunkt und Obere gehabt haben sollen. Patarener, Catharer, Arianer, Manichäer, Gnostiker, Adamiten, Passagers (Herumtreiber oder Schwärmer) Paulicianer, Cathaphrygianer sind gleichfalls Benennungen, und zum Teil durch die Ähnlichkeit waldensischer Grundsätze mit denen jener morgenländischen Sekten veranlasst.

Hauptsitz der Waldenser.

Piemont war seit dem 9ten Jahrhundert Hauptsitz der Waldenser, und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. Der von ihnen am südlichen Abhange bewohnten Täler sind drei, nämlich das Luzerna –; auch nach dem Bache, der es durchströmt: Pelistal benannt; das von Perusa oder ebenfalls nach dem es bewässernden Bache: Clusontal, und das von St. Martin, welches jetzt auch nach dem an seinem Ausgang befindlichen Fort Bosilletal heißt. Das Luzernatal, das beträchtlichste von allen, wird gegen Untergang von den Alpen begrenzt, die es vom Gunirastal in Dauphiné scheiden, und beginnt auf dieser Seite beim Kreuzpaß. In seiner ganzen Länge und dem Lauf des Pelis oder Pelicebachs, von West nach Ost, begreift es jetzt die Gemeinden von Lobi, Villas, in Tour und St. Jean in sich. Zwei Seitentäler enthalten südlich die kleine Gemeinde von Nora und nordöstlich die beträchtlichere von Angrogna. Die Gemeinde von St. Jean ist noch bis auf den heutigen Tag der äußerste von Waldensern bewohnte Punkt, wie Nora auf der andern Seite des Pelis; obgleich Luzerna, südwestlich von St. Jean, der Hauptort des Tales ist. Um Schritt vor Schritt dem Waldenser-Landstrich zu folgen, der östlich und südlich von dem von Briguniras und von Luzerna begrenzt wird, muss man nördlich den Hügel von St. Jean übersteigen, wonach man die Gemeinde von Angrogna begrüßt, die mit ihren Alpweiden die meisten Waldenser-Gemeinden berührt. Wendet man sich nach Nordost, so erreicht man das Tal von Rocheplatte, und mehr abwärts gegen Südost die Gemeinden von Prarustin, die ihrer im Angesicht von Pignerol befindlichen Weinberge wegen merkwürdig ist. Diese beiden Gemeinden werden das Mediatland genannt, weil sie zwischen den Tälern von Luzerna und Cluson liegen. Rocheplatte und Prarustin haben jede eine Kirche, bilden aber nur einen Pfarrsprengel, der noch ein Drittel der Gemeinde von Envers des Portes in sich begreift, welche sich gegen Cluson erstreckt. Wenn man von Rocheplatte nach dem Tal von Turine herabsteigt, so findet man die kleine Gemeinde dieses Namens, die mit den übrigen zwei Dritteln von Envers des Portes zur Kirche von St. Germain gehört. Diese ist die erste im Clusontal, am rechten Ufer des Baches dieses Namens. Nordwestlich davon öffnet sich das Tal, in dem sich die Gemeinde von Pramol befindet, deren Alptriften sich südlich bis gegen die von Angrogna und nördlich bis nach St. Martin erstrecken. Wenn man aber den Bach aufwärts steigt und sich nach Nordost wendet, so gelangt man nach Envers-Pinache, das zum Sprengel von Pomaret gehört, welches sich dem Hauptort des Tals Peruse gegenüber befindet, und nur eine halbe Stunde davon entfernt ist. Dort ist die Grenze der Waldenser. Von Pomaret gegen Nordwesten betritt man das Tal von St. Martin, welches das gebirgigste von allen ist. Dieses Tal wird vom Germanasquebach durchströmt, und enthält drei Kirchen. Die zweite aufwärts gegen Nordwest ist Mancille, auf einer Anhöhe über dem Dorfe Perrier, dem Hauptorte des Tals. In einiger Entfernung davon sondert sich das Tal in zwei hohe Gebirgstäler. Das eine derselben wird durch die Gemeinde Macel geschlossen, an deren Ausgänge die berühmte Position von Batsille liegt; das andere links führt zu den vereinten Kirchen von Praly und Rodoret, welche die höchsten von allen sind. Man gelangt nur mit viel Mühe nach Rodoret hinauf.

Lebensart der Waldenser.

Die Lebensart der Waldenser in diesen Alpentälern wurde durch das raue Klima bedingt. Viele ihrer Wohnorte waren 8–9 Monate im Jahr mit Schnee bedeckt; die Wälder waren voller Wölfe und Bären; die beinahe unzugänglichen Gebirge mit undurchdringlichem Urwald bekleidet, den diese armen Leute mit unbgreiflichem Fleiß lüfteten und mit Orten bevölkerten, welche großenteils noch jetzt stehen und auf jenen Ursprung deuten. Mit aller Anstrengung gewinnt man hier nichts als kümmerlich Roggen, ein wenig Hafer und Gerste, und von allem kaum die Aussaat wieder, welches den Leuten gewöhnlich begegnet, wenn der Schnee sie überrascht. Deshalb lassen heutigentags die Männer die wenigen Lebensmittel ihren Weibern und Kindern zum Unterhalt, entfernen sich für den ganzen Winter und suchen ihr Leben in fremden Ländern zu fristen, indem die einen Hanf kämmen, die andern als Schreiner, Zimmerleute und Maurer arbeiten, noch andere Holz fällen und Balken und Bretter hauen. Von dieser Arbeit kehren sie gewöhnlich gegen Ostern zurück, mit dem wenigen Geld, welches sie gewinnen konnten, und wodurch sie sich oft allein vor den Steuereintreibern retten, welche ihnen sonst ihr weniges Vieh oder ihren geringen Hausrat rauben würden. Die Weiber und Töchter dieser armen Gebirgsbewohner suchen sich auf eine andere Art ihren kümmerlichen Unterhalt zu verdienen, indem sie nämlich schlanke Espenbäume, die auf ihren Gebirgen wachsen, mit der größten Anstrengung oft 20 bis 24 Meilen weit bis Pignerol zum Verkauf bringen, um dieselben hier an die Einwohner als Nutzholz zu verkaufen und für das gelöste Geld einige Pfund Salz mit nach Hause nehmen zu können, welches bei ihnen sehr teuer ist. Die tiefer liegenden wärmeren und fruchtbareren Gegenden der Gebirge sind dem ungeachtet so felsig, dass man fast nirgends mit Wagen fahren kann. Aller Bedarf muss durch Maulesel oder auf den Schultern der armen Leute selbst transportiert werden.

Kirche und Kirchenzucht der Waldenser.

In diesen von der Welt abgeschlossenen wilden Gebirgen lebten die Waldenser, arm an Gütern der Erde, ein Jahrhundert nach dem andern, unwandelbar und einförmig, wie die sie umgebenden Alpen fort, auf deren freien Höhen ihre geistlichen Väter ihnen den Gott der Freiheit und das unverfälschte Evangelium verkündeten, welches die Apostel aus seines Sohnes Mund empfingen. Ihre Kirche war der des Urchristentums nachgebildet, so wie die Sitten ihrer Priester denen der Apostel glichen. Die Erzählung von der unumschränkten Gewalt der alten Priester der Waldenser: „dass sie immer einen Hauptpastor hatten mit bischöflicher Gewalt, neben welchem zwei Gehilfen standen, deren einen er seinen ältesten und den andern seinen zweiten Sohn nannte; dass neben diesen noch ein dritter als Diakonus arbeitete, so wie auch, dass dieser die übrigen Pastoren durch Handauflegen einweihte, und dieselben mit päpstlicher Macht absetzen durfte,“ ist völlig erdichtet. Die Berufung ihrer Geistlichen oder Barben1) geschah durch das Volk, dessen Urteil sich der Kandidat unterwerfen musste. Durch das Volk ward derselbe fähig oder unfähig erklärt, einem so wichtigen Amte vorzustehen; das Volk flehte Gott um Beistand und Stärke für seinen neuen Lehrer an.

Keiner dieser Geistlichen konnte das Geringste unternehmen ohne die Einwilligung und den Rat seiner Brüder und Amtsgenossen. Sie hatten weiter durchaus keine Einkünfte als die, welche ihnen die fromme Hand ihrer Gemeindeglieder darbot. Diese geistlichen Vater versammelten sich jährlich einmal, im in einer Generalsynode ihre allgemeinen Angelegenheiten zu besprechen. In spätern Zeiten war diese Synode im September, und in Zeiten der Verfolgung geheim; auch wohl im Winter auf einsamen Alpen, wo der Schnee die Verfolger zurückhielt. Einige dieser Barben verheirateten sich, um sich dadurch von den römisch-katholischen Geistlichen zu unterscheiden; andere nicht, sei es aus Enthaltsamkeit oder weil sie ihren Wohnort oft ändern mussten; auch wohl wegen der häufigen Reisen in fremde Länder. Sie unterhielten nämlich besonders seit der Verbannung des Petrus Waldus und ihrer darauf folgenden Zerstreuung eine ununterbrochene Kommunikation mit ihren Glaubensbrüdern aller Länder, besonders in Böhmen, Deutschland, Gascogne, Provence, Dauphiné, England, Kalabrien und der Lombardei, und durchwanderten diese Länder als Pilgrime. Diejenigen Barben, welche zu Hause blieben, wandten außer dem Predigtamt und der Handhabung der Kirchenzucht besonderen Fleiß auf den Unterricht der Jugend, und vorzüglich solcher Jünglinge, welche wieder zum Dienst der Kirche bestimmt waren.2)

Größtenteils legten sie sich dabei, nach der Versicherung mehrerer Schriftsteller, auf Arzneikunde und Chirurgie, so dass sie Ärzte der Seelen und Leiber ihrer Pfarrkinder zugleich waren. Wie sehr unterschieden sich diese ehrwürdigen Männer von dem größten Teil der damaligen katholischen Geistlichen!

Die Waldenser hatten ganz die Verfassung der ersten christlichen Gemeinden; daher besaßen ihre Geistlichen zugleich eine große Autorität in der Anordnung und Regierung der äußeren Verhältnisse ihrer Gemeinden. In einem Entwurf ihrer Kirchenzucht heißt es: „Unter andern Vollmachten, welche Gott seinen Dienern verliehen hat, gab er ihnen auch die Macht, Führer zu erwählen, welche das Volk leiten, und Älteste anzustellen in ihren Ämtern, nach den verschiedenen Obliegenheiten für das Volk.“ Und weiter unten: „Wir erwählen aus dem Volk diejenigen, welche es regieren sollen: Älteste, nach der Verschiedenheit der Regierungsgeschäfte. Das Geld, welches uns vom Volk gegeben ist, wird von uns auf die allgemeine Synode gebracht, und vor aller Augen in den gemeinschaftlichen Schatz gelegt; darauf durch unsere Oberen verteilt, und ein Teil desselben denjenigen gegeben, welche Reisen für unsere Kirchen machen müssen, wie es notwendig ist erachtet worden; der andere Teil kommt an die Armen.“ – „Kirchenstrafen sind notwendig, um Gottesfurcht aufrecht zu erhalten bei denjenigen, welche nicht getreu bleiben, damit sie gezüchtigt oder ausgeschlossen werden können, wegen ihres irrigen Glaubens, wegen eines Fehltritts gegen christliche Liebe, wegen Mangels an Hoffnung, oder wegen ihrer schlechten Eigenschaften überhaupt. Wenn Übertreter liebreiche Zurechtweisungen nicht annehmen wollen, so verfahre man nach dem Ausspruch Christi: zwei oder drei Zeugen mitzunehmen, weil die Wahrheit durch zweier oder dreier Zeugen Mund deutlicher spricht. Dies rät der Herr für den Fall, da der Fehltritt noch nicht unter vielen bekannt ist. Ist aber der Fehltritt in der Welt ruchbar geworden, so muss auch die Strafe öffentlich sein. Will der Übertreter sich durch keine Mittel auf den Weg der Besserung zurückführen lassen, sondern bleibt er bei seiner Bosheit, so sollen wir tun was uns Christus in solchem Fall befiehlt: ihn wegen seiner Beharrlichkeit im Bösen von der Kirche, dem Gottesdienst und der Gemeinschaft der Gläubigen ausschließen.“

Durch solche Disziplin hielten die ehrwürdigen Barben die Talleute in steter Gottesfurcht, so dass selbst noch der schweizerische Reformator Bucer, welcher mit zwei waldensischen Geistlichen Bekanntschaft gemacht hatte, gegen Luther, Ökolampadius und Melanchthon das Zeugnis über die Waldenser ablegte: er müsse gestehen, dass die Waldenser die reine Lehre Christi unter sich bewahrt hätten, welches Lob er ihnen nicht verweigern könne. Auch Melanchthon schrieb im Jahr 1559 an sie wie folgt: „Wahrlich ich missbillige diese strenge Weise, die Kirchenzucht in Euern Gemeinden zu handhaben nicht; wollte Gott, sie würde mit etwas mehr Kraft in den unsrigen geübt.“

Die vornehmsten Lehren der Waldenser.

Claudius, Erzbischof von Turin.

Die Kirche der Waldenser entstand unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen. Um diese Zeit lebte zu Turin der Erzbischof Claudius, dessen Ruhm damals ganz Italien erfüllte. Zu seiner Diözese gehörten nicht bloß die savoyischen und piemontischen Täler, sondern selbst auf der andern Seite der Alpen ein Teil von Dauphiné, Provence und Frankreich. Er war ein Schüler des Felix von Urgel, ein Geistesverwandter seiner gleichfalls berühmten Zeitgenossen, Bertram’s und Godiscal’s; ein Freund Karls des Großen und seines Sohnes Ludwigs des Frommen. Dieser kühne Selbstdenker griff das damals kaum befestigte System der Hierarchie an; kämpfte mündlich und schriftlich gegen den Bilderdienst, gegen die Anbetung des Kreuzes und der Reliquien, gegen die Verehrung der Heiligen; die Wallfahrten, den Principal des Papstes und anderes. Er war der erste oder wenigstens hauptsächlichste Kämpfer für die Reinheit der christlichen Lehre, und veranlasste die erste Lossagung der Talbewohner oder Waldenser vom päpstlichen Stuhl. Seine kühne Sprache gegen den Papst erhellet am besten aus einem Antwortschreiben an den Abt Theudemir:

„Deinen Brief voll Geschwätz und Spott habe ich erhalten. Du erklärst in jener Schrift, dass du durch meinen Ruhm in Unruhe versetzt worden seist, welcher sich nicht bloß durch ganz Italien, sondern auch Spanien und andere Länder verbreitet hat: als ob ich eine neue Sekte gepredigt hätte und noch predigte, was durchaus falsch ist. Auch ist es nicht zu verwundern, wenn die Kinder des Satans so von mir sprechen, da sie ja unsern Herrn selbst einen teuflischen Verführer genannt haben. Ich lehre keine neue Sekte, sondern halte mich an die reine Wahrheit, und predige und verkünde nichts als sie; aber nach Kräften unterdrücke, bekämpfe, schlage ich zu Boden und zerstöre ich die Sekten, die Kirchentrennungen, den Aberglauben und die Ketzereien, und werde hiemit nie aufhören, so lange mir Gott hilft und meine Kräfte es zulassen.“

„Die, gegen welche wir es unternommen haben, die Kirche Gottes zu verteidigen, sagen: wir halten die Bilder, welche wir anbeten, nicht für göttlich, sondern verehren sie nur dem zu Ehren, welchem sie nachgebildet sind. Darauf sage ich: wenn du die Bildnisse eines Petrus und Paulus, oder Jupiter, Saturnus und Merkur an die Wand malst, so werden sie dadurch weder die ersten Apostel noch die andern Götter, sondern es bleibt immer ein Irrtum, sie dafür zu halten. Wollte man ja Geschöpfe anbeten, so könnte man ja lieber lebendige anbeten, als solche Darstellungen in oder auf Holz und Stein, welche weder Gefühl noch Vernunft haben. Wenn man aber selbst das Meisterstück von Gottes Hand, den Menschen, nicht anbeten und ihm dienen soll, wie viel weniger darf man Werken von Menschenhand göttliche Ehre erzeigen, welche nur die Abbildungen jener sind. Wenn das Bild, welches du anbetest, nicht wirklich Gott ist, warum beugst du denn deine Knie vor falschen Götzen und krümmst deinen Rücken vor leeren Bildern und menschlichen Erdichtungen. Denn nicht bloß derjenige, welcher Bilder verehrt, sondern gleichviel irgend ein anderes Geschöpf, sei es himmlisch oder irdisch, sei es geistig oder körperlich, der verehrt es anstatt Gottes und erwartet von ihm das Heil seiner Seele, welches er allein von Gott erwarten sollte, und gehört zu denen, von welchen der Apostel sagt: „sie haben das Geschöpf lieber als den Schöpfer.“

„Siehe was die Verehrer der falschen Religion und des Aberglaubens sagen: ,Wir verehren das Kreuz und beten es an, zu Ehren und zum Gedächtnis unsers Erlösers.’ Daraus geht hervor, dass sie, wie alle Gottlosen, die Juden und Heiden, die Auferstehung leugnen; dass sie glauben, Christus sei verschlungen durch den Tod, und sie müssten nun anstatt seiner das hinterbliebene Zeichen seines Leidens und Sterbens verehren. Diese Leute handeln Gottes Gebot gerade entgegen. Gott befiehlt: das Kreuz auf sich zu nehmen und ihm nachzufolgen, nicht aber dasselbe anzubeten; und diese Menschen sollen es anbeten, ohne es weder körperlicher- noch geistlicherweise auf sich zu nehmen. Gott so dienen, das heißt Ihn verleugnen! Wenn man das Kreuz anbeten müsste, weil Christus daran gehangen hat, wie viele andere Dinge gäbe es dann noch, welche Christus berührt, ja selbst im Fleisch hervorgebracht hat! Hat er nicht neun Monat im Leibe der Jungfrau gewohnt? Warum betet man denn nicht alle Jungfrauen an, weil eine derselben den Heiland geboren hat? Warum nicht Krippen und alte Windeln, weil er in einer Krippe lag und in Windeln gehüllt war? Warum verehrt man nicht Fahrzeuge, da er in einem derselben geschlafen hat? Warum nicht Esel, da er seinen Einzug in Jerusalem auf einem Eselsfüllen reitend hielt? Und Lämmer, da von ihm geschrieben steht: ,Siehe das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.’ Aber diese Leute essen die Lämmer lieber, und beten ihre Bildnisse an. Bete man doch Löwen an, da Christus der Löwe vom Stamm Juda heißt! Steine, weil Er sich einen Eckstein nennt! Dornen, weil er mit denselben gekrönt ist, und Speere, weil einer derselben seine Seite durchbohrt hat! Alle diese Dinge sind lächerlich und sollten eher beweint als beschrieben werden; aber ich bin gezwungen, sie zur Bestreitung dieser Narren aufzuzählen; zu reden gegen diese versteinerten Herzen, bei welchen die Pfeile und Weisheitssprüche des göttlichen Wortes nichts ausrichten. Deshalb muss man ihnen solche Steinwürfe versetzen. Geht in euch, elende Sünder! Warum habt ihr euch von der Wahrheit entfernt, und seid Toren geworden? Warum kreuziget ihr von neuem den Sohn Gottes, setzet ihn der Verachtung aus und macht dadurch die Seelen zu Genossen des Teufels, indem ihr sie durch das Verbrechen des Bilderdienstes von ihrem Schöpfer entfernt, und sie in die ewige Verdammnis stürzt?“

„Was deinen Vorwurf anbetrifft, dass ich die Welt hindere, nach Rom zu wallfahrten, so frage ich zuerst dich selbst: ob nach Rom wallfahrten Buße tun heißt? Wenn das ist, warum hast du denn schon so lange die Menge armer Seelen in dein Kloster gesperrt und darin aufgenommen um Buße zu tun? Warum hast du sie auf diese Weise gezwungen, dir zu dienen anstatt nach Rom zu wallfahrten, welches ja doch nach deiner Meinung Buße tun heißt? Ich behaupte: wer dieser geringsten einen ein Ärgernis gibt, dem wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist. Wir wissen wohl, dass der Spruch des Evangeliums leider falsch verstanden wird: ,Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben.“ Er veranlasst die unerfahrene Menge, nach Rom zu strömen, um das ewige Leben zu erwerben. Das Amt der Schlüssel gehört allen wahren Wächtern und Hirten der Kirche, welche es so lange verwalten, als sie in der Welt sind, und welchen, wenn sie die Schuld des Todes bezahlt haben, andere folgen, mit gleichem Ansehen und gleicher Macht. – Kehrt zurück ihr Blinden zu eurem Licht! Kehrt zurück zu dem, der alle Menschen erleuchtet, welche in die Welt kommen! Ihr wandelt allzumal in Finsternis, wenn ihr nicht einzig diesem Licht anhanget! Ihr wisst nicht, wo ihr wandelt, denn die Finsternis hat eure Augen verstockt! Gott will nicht, dass jemand weder auf eigene Verdienste noch auf die Verwendung der Heiligen baue. Hört dies, ihr törichten Völker, ihr, die ihr Narren seid! Werdet endlich weise und laufet nicht nach Rom, um dort die Fürsprache eines Apostels zu suchen! Was würde der heilige Augustin dazu sagen, von welchem ich euch so oft predige!“

„Der fünfte Punkt, welchen du mir vorwirfst, ist, dass es dir missfällt, dass der ,apostolische Herr’, wie es dir beliebt den seligen Papst Pascal zu nennen, mich mit diesem Amte beehrt hat; aber wisse, dass nur derjenige ein Apostolicus ist, welcher die Lehre der Apostel bewahrt, und nicht der, welcher sich brüstet, auf dem Stuhl der Apostel zu sitzen, und sich nicht um das Amt der Apostel kümmert; denn der Herr sagt, dass auch die Schriftgelehrten und Pharisäer auf Moses Stuhl sitzen.“

Soweit die Antwort des Bischofs Claudius. „Wollte Gott!“ sagt Flacius, „dass wir diese und die übrigen Schriften des trefflichen Bischofs ganz besäßen, so würden wir ohne Zweifel noch mehr Irrtümer Roms gründlich und ausführlich widerlegt und verdammt finden.“

Der Hauptinhalt der vorhandenen ist also die Erklärung, keine neue Sekte zu stiften, sondern der alten Reinheit des Glaubens und Kultus getreu bleiben zu wollen; nur der Papst und die römische Kirche seien eine Sekte, weil sie abgewichen seien. Seine und seiner Gemeinde Lehre sei die echte christliche, die des Papstes dagegen eine falsche Religion. Er verspottete seine Autorität, seine Befehle und vorgebliche Gewalt der Schlüssel des Himmelreichs, und hatte schon in der Hauptsache dieselbe Ansicht wie alle späteren Reformatoren, nur dass er die Messe unangefochten lässt, und zwar wahrscheinlich, weil dieselbe zu seiner Zeit noch weniger als eigentlicher Glaubensartikel betrachtet ward.

Um dieselbe Zeit, etwa ums Jahr 840, trat auch der Priester und Mönch Bertram auf; verteidigte die ursprüngliche Ansicht vom Abendmahl, und hatte dieselben Grundsätze, wie Claudius, in einem Buch niedergelegt, welches er Lothar I. widmete.

Die Waldensergemeinden behaupteten ihre Grundsätze seit dieser Zeit ihrer Trennung von Rom stets mit Unerschrockenheit und bildeten im Laufe der Zeit zu einem ausführlichen Lehrsystem aus, welches bei seiner allgemeinen Bekanntwerdung (im 12-ten Jahrhundert) noch ganz dieselben, schon von Claudius gelehrten, Grundsätze, nur in einer abgemilderten Form, enthielt.

Mit Ablauf des ersten Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung erwartete man, den Weissagungen des Propheten Daniels und der Offenbarung Johannis zufolge, den Antichrist und den Untergang der Welt. Wirklich war um diese Zeit eine solche Unordnung und Not in manchen Teilen der bürgerlichen Gesellschaft eingerissen, dass die Weissagung in Erfüllung gehen zu wollen schien. Auch die Waldenser in den Tälern von Piemont und Savoyen scheinen um diese Zeit in hartem Drucke gelebt zu haben, wie aus den Geschichtsschreibern erhellet, die den damaligen Zustand der Kirche und die Verfolgungssucht der Päpste beschreiben. Die armen Gemeinden durften ihren Gottesdienst nicht mehr frei wie sonst feiern, sondern mussten ihre Prediger auf hohen Gebirgen, in tiefen Wäldern oder in einsamen Dörfern hören, welche am weitesten von der Verfolgung der Päpste entfernt waren. Das Tal St. Martin war damals ein Hauptzufluchtsort der Bedrängten, so wie die Dörfer Salse, Macel, Rodoret und Prals; ferner das Tal Perouse, wo Taläk, Pevi, Grand Diblon, Dormiglious, Praroustin, St. Barthelemi, Rocheplatte, de li Gaudini liegen; ferner das Gebirge von Vachere, das Tal von Luzerne, die Kommunen Angrogne, Boby und Roras. Wollten die verfolgten Gemeinden an andern als diesen genannten Orten sich versammeln, um Gottes Wort zu hören, so mussten sie, um der Wut ihrer Feinde zu entgehen, dieses bei Nacht tun, in den entlegendsten Privathäusern und oft sogar in Höhlen, Kellern und Wäldern, weshalb ihre Dränger sagten, sie trieben an diesen verborgenen Orten die größten Abscheulichkeiten.

Berengar von Tours.

Bald nach dieser Verfolgung aber erhielten die Waldensergemeinden, nach der auf gelehrte Zeugnisse gestützten Versicherung ihres Hauptgeschichtsschreibers (Leger I.) eine wenigstens mittelbar bedeutende Stütze an Berengar, Lehrer an der Stiftsschule seiner Vaterstadt Tours und Archidiakonus zu Angers. Seine Lehre stimmte, auch außer der Abendmahlstheorie, in den meisten Punkten mit derjenigen der Waldenser überein, so dass ihm ein großer Teil der Gemeinden anhing, ihn als Haupt und Vorkämpfer betrachtete, und sich, der oben angeführten Gewohnheit gemäß, nach ihm Berengarianer nannte. Die durch viele Wunderfabeln bestätigte und vorzüglich von der italienischen Geistlichkeit beschützte Rotbertische Theorie von wirklicher Verwandlung im Abendmahl fand besonders in Frankreich zuerst den lautesten Widerspruch. Berengar blieb, trotz des wohlmeinenden Widerspruchs seines Freundes, des Bischofs Adelmann von Brescia, bei der einmal gewagten Behauptung, dass eine wirkliche Verwandlung im Abendmahl der heiligen Schrift zuwider sei und dass die Weihe des Priesters das Brot und den Wein bloß symbolisch als den Leib und das Blut des Erlösers bezeichnen könne. Ebenso verwarf er den von den meisten Waldensergemeinden und später auch von Arnold von Brescia bestrittenen Glauben an die Notwendigkeit und Kraft der Kindertaufe als eines Gebrauchs ohne diejenige Bedeutung, welche diesem Sakrament ursprünglich erteilt ward. Ob er über die Priesterweihe, sowie über die Ehe im Allgemeinen die liberaleren Grundsätze der Waldenser gehabt, ist nicht mit Gewissheit zu bestimmen.

Lanfrank aus Pavia, Abt zu Ber, hernach zu Gaen, verklagte ihn bei Leo IX., welcher Berengar’s Ketzereien auf einer Kirchenversammlung zu Rom verdammte. Berengar war bei dem Konzil nicht zugegen gewesen, kehrte sich auch wenig an seine Verdammung, sondern fuhr fort seine Grundsätze auszubreiten, bis derselbe Papst 1050 ein Konzilium zu Vercelli in Piemont hielt, wohin Berengar zitiert wurde. Dieser aber fürchtete die ihm gestellte Falle und weigerte sich, auf den Rat seiner Freunde Fervardus und Waldo (welcher nach einigen den Waldensern den Namen gegeben haben soll), dort zu erscheinen, schickte jedoch zwei seiner Kleriker ab, seine Sache auf dem Konzil zu führen. Auch hier wurde seine Lehre verdammt, und er bald darauf von seinem König Heinrich I. ins Gefängnis gesetzt und aller seiner Habe beraubt; denn dieser Monarch hatte sich dem Lütticher Bischof Deoduin überreden lassen, dass Ketzern keine Gerechtigkeit gebührt. Kaum war er wieder in Freiheit gesetzt, als er auch fortfuhr, seine Grundsätze unerschrocken wie früher zu lehren, so dass sich sein Anhang außerordentlich vergrößerte, bis Papst Victor, Leos Nachfolger, 1054 ein Konzil nach Tours berief, auf welchem Hildebrand das Legatenamt versah. Dieser sprach vor den versammelten Vätern zu Berengar: „Ich zweifle nicht, dass du von dem Opfer Christi nach der Lehre der Schrift richtig denkst; doch weil ich gewohnt bin, in allen wichtigen Angelegenheiten zur heiligen Maria meine Zuflucht zu nehmen, trug ich einem gottseligen Freunde auf, von ihr zu erflehen, dass sie mir bestimmt durch ihn offenbarte, wohin ich mich in dieser Sache neigen und worauf ich unbeweglich stehen sollte. Da vernahm mein Freund von der Mutter Gottes, und verkündigte mir, dass man von dem Opfer Christi durchaus nichts anderes denken, glauben und behaupten solle, als was die echten heiligen Schriften darüber bestimmten, gegen welche du nichts gelehrt hast.“

Demnach war Hildebrand zufrieden, als Berengar öffentlich bekannte: „Das Brot des Altars sei nach der Einsegnung der wahre Leib des Herrn, wie er jetzt zur Rechten des Vaters sitze; und der Wein sei nach der Einsegnung das wahre Blut, welches am Kreuze aus der Seite des Erlösers geflossen wäre.“ Er ward mit einem Geleitbrief entlassen, worin jedermann bei Strafe des Bannes verboten ward, dem losgesprochenen Greise an Leib und Gut zu schaden, oder ihn mit dem Ketzernamen zu beschimpfen. Seine Gegner indessen ruhten nicht eher, bis Nikolaus abermals ein Konzil nach Rom berief, 1059. Hier musste Berengar sich in die Not des Augenblicks schicken, und ein von Humbert von Bourgogne verfasstes Bekenntnis unterschreiben: „dass nämlich nach der Einsegnung des Brotes und Weines Christi Leib und Blut ganz eigentlich und nicht nur biblisch gegenwärtig sei; von des Priesters Händen betastet und gebrochen, und von den Zähnen der Gläubigen zermalmet werde.“ Kaum war er aber wieder in seine Heimat zurückgekehrt und hatte die große Verfälschung der christlichen Lehre überlegt, die er hatte unterschreiben und als seine Überzeugung anerkennen müssen, als er den Schritt herzlich bereute, Buße tat und seine Grundsätze, denen er jetzt bis ans Ende treu blieb, mit neuem Heldenmut predigte. Er muss sich nach dem Konzil noch tapfer gegen seine Feinde gewehrt haben; und alle Schriftsteller, wenn auch nicht immer derselben Ansicht, können diesem großen Mann ihre Verehrung nicht versagen; machen ihn wegen seines Widerrufs keine Vorwürfe, weil derselbe erzwungen war; nennen ihn einen durch Gelehrsamkeit und moralischen Charakter gleich ausgezeichneten Mann; eine Stütze der Kirche, und die letzte Hoffnung des Klerus (Erzbischof Hildebrand von Mans in seinem Epitaphium auf Berengar). Seine letzten Tage lebte er im Ruf großer Heiligkeit auf der Insel Cosmas, und starb im Jahr 1088; nach andern [Angaben] 1099. Seine Lehre ward besonders durch Lenserich, Erzbischof von Sens, fortgepflanzt.

Arnulph.

Auch jenen oben erwähnten Arnold oder Arnulph machen die Geschichtsschreiber der Waldenser zu dem Ihrigen. Dieser Mann von großer Gottesfurcht und außerordentlichem Predigertalent hatte in den Wohngegenden der Waldenser, im südlichen Frankreich und im nördlichen Italien, unter unendlichem Zulauf des Volkes gegen die Missbräuche der Kirche gepredigt, kam dann unter Honorius II. nach Rom; trat gegen die Zügellosigkeit, Wollust, Geiz und Stolz des Klerus auf; stellte die Armut und Heiligkeit der Lehrer in den ersten Zeiten des Christentums als Beispiel auf; gefiel damit als ein Zeuge der Wahrheit zwar dem römischen Adel sehr; zog sich aber den Hass der Kardinäle und anderen Geistlichen in solchem Grade zu, dass sie ihn nachts ergreifen und heimlich umbringen ließen. Man sagt, dass Gott ihm seinen Märtyrertod schon früh geoffenbart habe, als er noch in Verborgenheit lebte; dass er ihn berufen habe, das Evangelium in Rom zu verkünden. Deshalb predigte der kühne Mann: „Ich weiß, dass ihr meine Seele verfolgt; weiß, dass ihr mich in kurzer Zeit töten werdet. Aber warum? Ich sage euch die Wahrheit, strafe euren Übermut, eure Wollust, eure Habgier, mit welcher ihr Elenden nach Schätzen strebt; deswegen gefalle ich euch nicht. Ich rufe Himmel und Erde zum Zeugen an, dass ich euch verkündige, was mir Gott befohlen hat; ihr aber verachtet mich und euern Schöpfer, der euch durch seinen eingeborenen Sohn erlöset hat. Und kein Wunder, wenn ihr mich, einen sündigen Menschen, der euch die Wahrheit verkündet, dem Tode überantwortet, da ihr, wenn der heilige Petrus heute von den Toten wieder auferstünde und eure Laster strafte, selbst seiner nicht schonen würdet.“ Als er dies mit lauter Stimme gerufen; fügte er noch hinzu: „Ich scheue mich zwar nicht, den Tod für die Wahrheit zu erleiden; euch aber verkündige ich im Namen Gottes, dass der Allmächtige eure Laster nicht ungerochen lassen wird; denn ihr, mit jeglichem Unflat beladen, gehet dem euch anvertrauten Volk in die Hölle voran. Das ist Gott mein Zeuge.“ Er ward ersäuft.

Merkwürdiger als alle bisher genannten Häupter der mystischen Sektierer, sowohl wegen ihres schon vollständigen ausgebildeten Lehrsystems als auch besonders wegen des Einflusses, welchen sie auf die Grundsätze und Reformationspläne Arnolds von Brescia übten, waren Peter von Bruys und Heinrich.

Peter von Bruys.

Peter von Bruys, ein Geistlicher von Toulouse, trat am Anfang des zwölften Jahrhunderts als Lehrer der albigensischen Waldenser auf, und behauptete sich zwanzig Jahre in diesem ehrwürdigen Berufe in Languedoc, Provence, Dauphiné und hier besonders in den Diözesen Gab und Ambrün, bis er sein der Wahrheit geweihtes Leben im Jahr 1124 zu St. Gilles beschloss, wo man ihn als Ketzer verbrannte. Die Summe seiner Überzeugungen war die der Waldenserlehre überhaupt: nicht die zu bloßem Menschenwerk gewordene päpstliche Kirche, aus welcher der Geist Christi entflohen, ist die seligmachende; sondern diese wohnt in den Herzen der Gläubigen und äußert sich in der Form der ersten christlichen Gesellschaftsverfassung. An diesen Hauptsatz reihen sich alle übrigen Ansichten wie Säulen und Pfeiler des Tempels. Seine Anhänger legten ihr Glaubensbekenntnis in einer in der Provenzialsprache abgefassten Schrift nieder, deren Inhalt folgender ist:

„Das Fegefeuer ist eine neuere Erfindung; der Bilderdienst Abgötterei, denn Christus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen; Christus hat nur einmal vor seinem Leiden seinen Leib in dem Brot hervorgebracht, und ihn seinen Jüngern gegeben, daher ist die Feier nicht zu wiederholen. Glaubt ja nicht – sprach Peter – dem euch verführenden Klerus, der, wie in vielen andern Dingen, so auch bei dem Dienst des Altars euch betrügt, wenn sie erdichten, dass sie den Leib Christi hervorbringen und euch zu eurem Seelenheil übergeben. Totenmessen und Almosenteilung für Verstorbene sind überflüssig, weil es kein Fegefeuer gibt. Die Taufe ist kein absolutes Heiligungsmittel, weil das Wasser an sich nicht heiligt, sondern allein das Leben in Gott, welches der Täufling führt. Daher ist die Kindertaufe ein Missbrauch, weil der Täufling noch gar kein Leben, oder wenigstens kein solches geführt hat, dessen Taten ihm zuzurechnen sind. – Gott kann an jedem Ort und nicht bloß in der Kirche angerufen werden, denn die Kirche besteht nicht in äußern Dingen, sondern in der Gemeinschaft der Gläubigen. Daher ist alle Pracht christlicher Tempel unnütz; alle Zeremoniell verdammlich, wie das der Pharisäer; Gott wird nicht durch den kunstvollen Kirchengesang gerührt, sondern nur verspottet, sobald die Gesinnung gleichgültig, kalt oder schlecht ist. Die Verehrung des Kreuzes als eines äußern Zeichens ist gleich dem Bilderdienst verwerflich; das abergläubische Fasten ist ein äußerer Gebrauch und unstatthaft, wie die Annahme jeder religiösen Satzung, welche nicht aus der heiligen Schrift hervorgeht. Endlich ist das Zölibat verdammlich, weil es bloß eine Erfindung der Hierarchie, und heiraten besser ist als Brunst leiden.“

Heinrich, Arnolds von Brescia Freund und Lehrer.

Des ehrwürdigen Abts Peter von Clugny Widerlegungsschrift machte bei den Petrobrusianern keinen großen Eindruck, da Peters Freund, Heinrich, in seine Fußtapfen trat und ein gewaltiger Hort für die bedrängten Gemeinden ward. Dieser Mann, früher Mönch in Clugny, war aus dem Kloster getreten, weil ihn der begeisternde Gedanke ergriffen hatte, nach Art der Apostel durch die Länder zu wandern und das Evangelium zu verkünden, wie es die heiligen Schriften überliefern. Sein Äußeres war edel und entsprach dem großen Geiste, welcher durch seinen Mund das Volk hinriss. Der Bischof Hildebert gestattete ihm zu Mans als Volkslehrer aufzutreten, während er selbst gleich darauf eine Geschäftsreise nach Rom machen musste. Die Menge verehrte den großen Redner als einen Heiligen, indem er ihnen die einfache brüderliche Gemeinschaft der ersten Christen, den Geist des Glaubens und der Liebe vormalte, welcher sie beseelte, und sie zur Nachahmung aufforderte. Die bei dem Volk alle Achtung verlierende Geistlichkeit schrieb ihm:

„Unsere Kirche hat Euch brüderliche Liebe erwiesen in der Hoffnung, dass Ihr das Volk über das Heil der Seelen belehren und den Samen des göttlichen Worts in die Herzen säen werdet; aber Ihr habt Liebe mit Hass, Segen mit Fluch vergolten und die Kirche zu beunruhigen gesucht; Ihr habt Zwietracht gesät zwischen der Geistlichkeit und dem Volk; mit Knüppeln und Schwertern die aufrührerische Menge gegen die Kirche bewaffnet; Ihr habt uns den Judaskuss gegeben, uns insgesamt öffentlich Ketzer genannt, und was das Ärgste ist, von vielen Seiten den katholischen Glauben angegriffen. Daher verbieten wir Euch und allen Euren Genossen im Namen der heiligen Dreieinigkeit, der ganzen katholischen Kirche, des Ersten der Apostel des heiligen Petrus, seines Stellvertreters des Papstes Paschalis, so wie auch unsers Bischofs Hildebert, in dem ganzen Bistum von Mans insgeheim oder öffentlich zu predigen, und Eure verkehrte Lehre fortzupflanzen. Wenn Ihr aber, einem so großen Ansehen zuwider, Euch wieder erkühnt, aus Eurem schändlichen Munde das Gift zu verbreiten, so exkommunizieren wir, vermöge desselben Ansehens, Euch und alle Eure Genossen; es treffe Euch am Tage des furchtbaren Gerichts der ewige Fluch dessen, des Gottheit Ihr unaufhörlich angreift.“

Heinrich glaubte, Gott mehr gehorchen zu müssen als den Menschen und fuhr fort Bruderliebe zu predigen, wie sie die ersten Christen übten; die Verderbnis der Kirche zu bekämpfen; innere Reinheit und Genügsamkeit, äußerem Schein und Geiz gegenüberzustellen. Unkeuschheit strafte er hart; verdammte aber auch den unnatürlichen Zölibat und die Hindernisse, welche die Kirche oft den Heiratslustigen in den Weg legte. Deshalb verheiratete er, unbekümmert um kanonische Satzungen, viele junge Leute, nachdem er dieselben zu lebenslänglicher unverbrüchlicher Treue verpflichtet. Vielleicht zog sich der edle Mann durch diese liberalen Ansichten über Liebe und Ehe bei seinen Gegnern einen bösen Ruf zu, welches folgende Stelle eines Briefes zu beweisen scheint, den der nie rastende Zionswächter und Ketzerverfolger, der Abt Bernhardt von Clairveaux an den Grafen Ildefons von St. Gilles und Toulouse schrieb:

„Höre, welch ein Mensch dieser Heinrich ist. Er ist ein Abtrünniger, welcher das heilige Gewand ausgezogen hat, und zu der Unreinigkeit des Fleisches und der Welt zurückgekehrt ist, wie der Hund zu dem, was er gespien hat. Vor Wildheit hält er es nicht aus unter Verwandten und Bekannten zu wohnen; vielleicht aber auch, weil es ihn wegen der Größe seines Verbrechens nicht gestattet wird. Er hat seine Lenden umgürtet und ist ein Herumtreiber und Landstreicher geworden. Er missbraucht das Evangelium zum Gewinn, feilschte mit Gottes Wort, und predigte um des täglichen Brotes willen. Konnte er von einfältigen Leuten oder vornehmen alten Frauen etwas mehr erpressen, so vergeudete er es durch Würfelspiel oder noch größere Schändlichkeiten. Oft ist er nämlich Nachts, wenn er tags zuvor den lärmenden Beifall des Volkes eingeerntet hatte, bei Huren gefunden, oder bei Eheweibern. Frage doch nach, edler Graf! Wie er die Stadt Lausanne verlassen hat; wie Le Mans, wie Poitiers, wie Bourdeaux. An keinen dieser Orte darf er zurückkehren, so scheußliche Spuren hat er überall hinterlassen. Er hat gemacht, dass das Land, wo er sich aufhielt, einen stinkenden Geruch über die ganze Erde verbreitete.“

Nach Hildeberts Rückkehr von Rom zog sich Heinrich auf die benachbarten Schlösser bei Mans zurück, wo er fortfuhr zu predigen. Das Volk war so sehr von ihm hingerissen und gegen seine Geistlichkeit empört, dass es seinem Bischof, der es segnen wollte, zurief: „Wir verlangen Eure Wissenschaft und Euren Segen nicht; segnet und heiligt den Kot; wir haben einen Vater, wir haben einen Priester, der an Ansehen, heiligem Lebenswandel und Wissenschaft Euch übertrifft. Den verabscheuen Eure Geistlichen als einen Gotteslästerer, weil sie wohl fühlen, dass er mit prophetischem Geiste ihre Laster aufdeckt, ihre Irrlehren und Ausschweifungen durch die heilige Schrift straft; aber die Rache wird sie bald treffen, dass sie dem heiligen Manne, Gottes Wort zu verkünden, zu verbieten sich unterstanden haben.“

Darauf stattete Hildebert einen Besuch bei Heinrich ab, um den gefährlichen Mann näher kennen zu lernen; fand sich in seinen Erwartungen getäuscht, erklärte ihn für einen unwissenden Menschen und verwies ihn aus dem Bistum. Heinrich zog nun weiter in der Tracht eines Büßenden, mit langem Barte, barfuß selbst im Winter, einen Stab in der Rechten, auf welchem ein Kreuz statt des Knopfes befestigt war. Glücklich pries sich das Haus, in welchem der Heilige die Nacht blieb, und den folgenden Tag ward er von der durch seine gottseligen Reden begeisterten Menge weiter geleitet. So kam er nach Poitiers und Bourdeaux; von dort ins südliche Frankreich, wo er sich mit Peter von Bruys vereinte und gemeinschaftlich zur Auferbauung der Gemeinden wirkte. Nach Peters Tod hielt er sich in Provence, Languedoc und Gascogne auf als anerkanntes Haupt aller Sektierer, bis er 1134 von dem Bischof zu Arles gefangen und vor das Konzil zu Pisa geführt ward. Ob er hier zum Widerruf gezwungen worden, ist ungewiss. Er ward dem heil. Bernhardt zur Aufsicht nach Clairveaux geschickt, von diesem vielbeschäftigten Mann jedoch bald wieder entlassen, und stellte sich nun mit größerer Sicherheit an die Spitze der von ihren Grafen geschützten albigensischen Waldenser. Hier tat er Wunder der Beredsamkeit; das ganze Land schien sich von der römischen Kirche trennen zu wollen, und der damals in Frankreich anwesende Papst Eugen schickte den Kardinalbischof von Ostia in die südlichen Provinzen desselben, um den Aufruhr zu beschwören. Das gelang diesem mit Hilfe des heiligen Bernhardt, dadurch dass die Ketzer und ihre Beschützer von allen Rechten der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Heinrich ward gefangen, gefesselt, vor Eugen auf das Konzil [gehalten 1148] nach Reims geschleppt und zu lebenslänglichem Gefängnis in einem Kloster verdammt, in welchem er bald nachher starb. 3)

Quelle: Francke, Heinrich: Arnold von Brescia und seine Zeit

1)
Anmerkung: Das Wort „Barbe“ soll soviel als Oheim bedeuten, welches in früherer Zeit ein Ehrenname war wie Leger I. versichert. Andere übersetzen das Wort durch: Bartmann, weil die Geistlichen vielleicht größere oder anders geformte Bärte trugen. J. E. Freiherr von Moser: „Geschichte der Waldenser in den letzten dritthalb hundert Jahren“, S. 10
2)
Anmerkung: Da sie ihre zum geistlichen Stand bestimmten Jünglinge nicht zu den Scholastikern schicken konnten, bildeten sie eigene Seminare, welche sehr besucht waren. Die Historie des Martyrs lib. I pag. 22 sagt: Die Elsässer hatten denselben Gebrauch: ihre für den geistlichen Stand bestimmten Jünglinge wurden in die Täler geschickt
3)
Anmerkung bzw. Fussnote vom Autor Dr. Heinrich Francke: „Natürlich beschließe ich mit Peter von Bruys und Heinrich die Übersicht der Geschichte der Waldenser, ohne Peter Waldus zu berühren, weil dieser nach Arnold wirkte, und es nach der Schilderung des Treibens der Scholastiker nur darauf ankam, das Feld zu zeichnen, welches gleich dem der Scholastik eine Bildungsschule für Arnold ward.“
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