Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Drittes Kapitel.

Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Drittes Kapitel.

Notwendigkeit der Kunst, das Notwendige vom Unnöthigen zu unterscheiden; Grund, in jeder Sache jenes zu suchen und Weg, dasselbe zu finden.

§. 1.

Aus dem Vorhergehenden erhellt, 1 daß die Welt, wie ein wahres Labyrinth mit Irrthümern, vergeblichen Arbeiten und trügerischen Hoffnungen ganz angefüllt sei, 2. daß die Menschen selbst ihres Unglücks Urheber sind, und 3. durch ihre eigne Unachtsamkeit, auf das Nothwendige und Nützliche, in die unnöthigen und schädlichen Dingen sich verwickeln. Daraus folgt, daß Nothwendige für das Unnöthige, und daß das Nützliche für das Schädliche zu erwählen wissen, eine Kunst über alle Künste, und der Grund und zugleich der Gipfel aller menschlichen Klugheit sei. In dieser Hinsicht will ich in diesem Capitel dreierlei darzuthun suchen. 1. daß jetzt bei dem Ende der Welt1) dieselbe mehr als jemals nöthig sei; 2. daß sie jetzt bei dem Ende der Welt schwerer als jemals geworden; 3. daß diese Schwierigkeiten dennoch überwunden, und eine Kunst, nicht zu irren, nicht vergeblich zu arbeiten, und den Gewinn der Arbeit nicht zu verlieren, erfunden werden könne.

§. 2.

Die Notwendigkeit dieser Kunst geht daraus hervor, weil das Leben des Menschen eine Reise ist, welche von der Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft nach und nach fortgeht, und allezeit etwas Neues, vormals unbekannte Oerter, Sachen und Personen betrifft. Es ist daher Jedem, der einen unbekannten Weg geht, ein treuer und erfahrener Führer, oder doch ein richtiger Wegweiser nöthig, der zeigt, was zu beobachten sei, um nicht vom richtigen Wege abzukommen; besonders wenn zwei, drei oder mehrere Wege sich darbieten, wie dies im Laufe des Lebens sich öfters ereignet. Hier beweise ich also: Der erste Mensch im Paradiese hatte einen zwiefachen Weg vor sich - die zwei Bäume mit dem Gebot und Verbot. Da galt es, das Nützliche mit Klugheit zu erkennen. Aber noch größerer Umsicht bedürfen die Nachkommen, welche unter mancherlei hinzugekommenen Ermahnungen und Warnungen, zu thun, und zu meiden haben. Bei den vielen Irrwegen der Gedanken, Reden, Handlungen, Partheiungen, Zweifel und Fehltritten, die immer noch in einem unglaublichen Wachsthum begriffen sind, ist ja dem Menschen nichts unter dem Himmel nothwendiger, als zu wissen, worin eigentlich für ihn das Nothwendige bestehe,

§. 3

Diese Einsicht ist nun aber durch die, alle Beispiele früherer Jahrhunderte überbietende Vermehrung der überflüssigen und schädlichen Dinge selbst, um so mehr erschwert worden. Dem ersten Menschen war diese Kunst so schwer nicht, insofern sich zum Irrthum - außer jener einzigen von dem verbotenen Baume - keine Gelegenheiten darboten. Zu Salomo's Zeit vermehrten sich die Menschen, die Geschäfte, Sonderbarkeiten, und hiermit die Labyrinthe mit ihren Verirrungen nicht allein bei dem Volk, sondern auch bei den sehr weisen Salomo selbst. Was sollen wir nun erst von unserem Zeitalter sagen, da Alles tausendmal mannichfacher und verwirrter geworden ist, als zu. Salomo's Zeit? Unmöglich scheint es allem menschlichen Verstande einen Ausgang zu finden: doch tröstet uns jenes Wort Christi: „Was bei Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich.“ (Luc. 18, 27.) Und die mannichfach wiederholten Verheißungen Gottes, daß bei dem Ende der göttlichen Regierung Alles sehr gut sein werde, wie es bei dem Ende der Schöpfung gewesen ist. (1 Mos. 1, 31.)

§. 4.

Der menschliche Fleiß selbst, welcher soviel besondere, vormals unmöglich geschienene Dinge bereits erfunden, und in eine Kunst gebracht hat, vermehrt diese Hoffnung, daß er auch endlich diese allgemeine Kunst, sich aus allen Labyrinthen dieser Welt los zu machen, in eine Kunst werde bringen können. Zu dieser Hoffnung aber ist ein dreifacher Grund: 1. weil wir soviel Beispiele von Irrenden vor uns haben, die uns nicht zu irren lehren können. Denn sicherlich, wenn ich einen anderen habe fallen sehen, so ist ja nicht nöthig, daß ich auch falle, indem ich der also wahrgenommenen Veranlassung seines Falles ausweichen kann, wenn ich anders nicht dummer bin als ein Thier. Daher kommt das Sprichwort: „Glücklich ist der, dem fremde Gefahren gereichen zur Warnung,“ und was dergleichen Erinnerungen der Weisen mehr sind.

2. Weil Salomo, durch Erörterung der Ursache menschlicher Irrthümer, zugleich auch die Mittel, denselben abzuhelfen, anweist, indem er sagt: Das habe ich gefunden, daß Gott den Menschen aufrichtig gemacht hat, aber er hat sich in unendlichen Fragen verwickelt (Pred. 7, 30.) Als wollte er sagen: Die Vielfältigkeit, in die der Mensch aus Vorwitz sich verwickelt hat, hat ihn verderbt: darum sollen sie wiederum zur Einfachheit zurückkehren, damit sie sich herauswickeln.

3. Besser aber ruft der himmlische Salomo alle nicht nur von der Mannichfaltigkeit und Einfachheit auch von der Vielheit zur Einheit durch jenen göttlichen Ausspruch: „Eins ist noth.“ Oder, wie es Andere auslegen: Ein Einziges ist nothwendig. (Luc. 10, 42.) O! was für ein kurzer Inbegriff ist das, wenn eines statt unzähliger Dinge genug ist. Wenn wir nun dieses einzig Nothwendige in jeder Sache zu finden wissen, so werden wir die rechte Kunst haben, alle Dädalischen Irrgärten, alle Sisyphischen Arbeiten, und tantalischen Vorspiegelungen zu vermeiden.

§. 5.

Ich weiß, daß die „Vielgeschäftigten“ eben in den vielen Verrichtungen die Kunst nicht zu irren, nicht zu ermüden, und des verhofften Gutes nicht zu verfehlen suchen, und denselben zu besitzen, ganz getrost sich einbilden. Daß aber jene trüglich sei, bezeugen die deutschen Sprichwörter: „Die besten Schwimmer ertrinken; die besten Steiger fallen sich zu Tode; die besten Fechter werden erstochen.“ Weil sie nämlich ihrer Faust vertrauen, so unterwerfen sie sich auch allzu kühn vielen Gefahren, aber doch trifft bisweilen das Unglück denjenigen, den es öfters verschont hat. So wird es demnach für den, welcher Unfall furchtet, am sichersten sein, daß er die Mannigfaltigkeit und Vermessenheit meide, dem allein Unentbehrlichen dagegen nachstrebe.

§. 6.

Um besser verstanden zu werden, sage ich, daß die menschliche Bemühung um die Geschäfte zweierlei sei: 1. daß man viele Dinge zu verrichten, auch vieler Sorgfalt bedürfe; 2. daß man nur nöthige Dinge vornehmen müssen mit nöthiger Sorgfalt. Die erste Art ließe sich die Sorgsamkeit der Martha nennen, welche sich viel zu schaffen macht; die andere der Fleiß der Maria, welcher nur mit dem erwähnten Einen sich beschäftigt. Denn die Martha lief in dem Hause hin und her, wie sie den Gästen zu ihrer möglichsten Bequemlichkeit dienen möchte, die Maria hatte unter Allem nur dem Einen - dem Herrn - ihr Augenmerk zugewendet, aus dessen Munde sie Worte des Lebens zu hören begierig war, und sich zu seinen Füßen setzte, weßwegen sie von Christo mehr belobt wurde, als ihre Schwester. Diese zwiefache Bemühung, der Martha und Maria, können wir auch die Salomonische und Christliche nennen. Denn Salomo wollte Alles erfahren, Gutes und Böses; (Pred. 1,1.3.10.) Christus aber nichts, als daß er, nach einmaliger Verwerfung des Bösen, allezeit und allein dem Guten anhinge. (Jes. 7, 45.) Und das ist die Kunst Maria und Christi, den besten Theil zu erwählen, welcher nicht von uns ausgenommen werden soll; die Kunst, das Kostbare von dem Schlechten, das Unentbehrliche vom Entbehrlichen zu scheiden.

§. 7.

Um diese Kunst vor ihrer Ausübung zu begreifen, müssen wir vorher wissen,

  1. worin dies sogenannte Nothwendige bestehe und sich vom Unnützen unterscheide;
  2. in welchem Sinne es das allein Nothwendige heiße;
  3. wie es in jeder Sache zu finden sei.

§. 8.

Das Nothwendige ist das zur Ausführung oder Erlangung erforderliche vornehmste Stück, ohne welche alles Uebrige vergeblich wäre, und das gleichsam der Grund ist, worauf der Bau ruht, und ohne welchen das ganze Gebäude zusammenstürzen würde. Kurz, ohne welches eine Sache nicht bestehen könnte. Es heißt auch sonst das Vornehmste, Erste, die Hauptsache, der Grund, die Wurzel, das Hauptwerk, das Wesentliche, das Wesen der Sache selbst. In dieser Hinsicht heißt dann das Uebrige das Zufällige, Anhang, Zusatz, Nebensache, das Unwesentliche. Der Unterschied liegt darin, daß Ersteres schlechterdings zu dem Wesen gehört, das Letztere dagegen nur dazu, daß ein Ding anders, sei es nun besser oder schlechter, sei. Z. B. Die Wurzel ist das dem Baume nothwendige Stück, weil derselbe ohne jene weder stehen, noch wachsen, noch Frucht bringen könnte. Die Aeste aber, die Blätter, Blüthen und Früchte sind weniger nothwendige Theile des Baumes, weil in ihrer Ermangelung derselbe doch nicht aufhört zu sein. Ebenso verhält es sich mit den Kunstgegenständen. Fragt man nach dem Nothwendigen eines Gemäldes, so wird die Antwort sein: einen Gegenstand so lebhaft vor Augen zu stellen, daß man aus dem Anblick des Gemäldes den Gegenstand selbst erkennen könne. Ob die Farbe schön und diese ober Zierrathen daran gemalt sind, das thut zum Wesen der Sache nichts. So unterscheiden sich überall die wesentliche Merkmale von den zufälligen, die nothwendigen von den unnöthigen.

§. 9.

Die nicht nothwendigen Dinge lassen sich wiederum in nützliche, unnütze und schädliche sondern. Nützlich heißt das, was zwar das Wesen eines Dinges nicht ausmacht, jedoch zu seinem Wohlsein gehört, als angenehmerer und gesunderer Speisen sich bedienen. Schädlich ist das, was Uebelsein oder Nichtsein verursacht, als ungesunde oder vergiftete Speise. Unnütz oder gleichgültig ist das, was weder nützt noch schadet, als, Weizen- oder Roggenbrod, Rind- und Kalbfleisch, Schaaf- oder Ziegenfleisch essen u. s. f., weil beides Nahrung giebt.

§. 10.

Das Wort des Herrn: Eins ist noth, wird entweder von Einem ganz allein, oder mit andern zusammengesetzt, verstanden. Eines, allein fröhlich selbst, ist in denjenigen Dingen, wo das eine dem anderen entspricht, z. B. ein lebendiger Körper bedarf nur eines Hauptes, ein Haupt nur eines Leibes. Denn ein Leib mit mehren Häuptern, oder umgekehrt, gäbe eine Mißgeburt. Gleichfalls genügt einem Haupte ein Hut, und umgekehrt einem Hute ein Haupt. Zwei Hände haben dagegen zwei Handschuhe, zwei Füße zwei Schuhe nöthig. Und so Alles nach Verhältniß und Gleichheit, daß, was über die Notwendigkeit hinausgeht, überflüssig und zweckwidrig ist.

§. 11.

Zusammengesetzt wird dies Eine genannt, wenn es in wesentlichen, gewöhnlich drei, Theilen zerfällt. Die drei, jeden Dinge nöthigen Stücke sind: 1. ein nützlicher Endzweck, der zu solcher Handlung anlockt; 2. mögliche Mittel, die das Gelingen versprechen; 3. die zweckmäßige Art der Anwendung der zur Erreichung des Zweckes nöthigen Mittel. Die Mittel sind dreierlei: 1. der Ausführende: 2. das Auszuführende; 3. das Ausführungsmittel, d.i. der Thäter, das Werk oder der in eine Form zu bringende Stoff, und das Werkzeug. Fragt man nach den Erfordernissen des Thäters, so sind es wieder dreierlei: das Können, Wissen und Wollen. Oder: ausreichende Kräfte, Kunstfertigkeit und Unverdrossenheit. Ein Beispiel wird die Unentbehrlichkeit dieser drei Stücke darthun. Befiehlst du einem Stummen, zu singen, so kann er nicht - einem Bauer, so weiß er nichts davon; aber einem Musikkundigen, so kann und weiß er es, jedoch wenn er nicht will, wird kein Gesang erfolgen. Und so ist es überall.

§. 12.

Allein, wie kann man das allein Nothwendige bei so großer Menge unnützer Dinge finden? Keine vergebliche Frage - denn die Unwissenheit hierin läßt die Meisten in steten Labyrinthen herumirren, unaufhörlich Steine werfen und steten Hunger nach dem Guten leiden. Was ist daher zu thun? Man muß auf die wahre Beschreibung jedes Dinges, auf dessen Endzweck oder Ziel und wodurch dasselbe zu seinem Endzweck geschickt gemacht werde, sehr wohl Acht geben. Denn sobald du dies gefunden, hast du das Vornehmste und höchstnothwendige. Dies will ich mit Beispielen darthun. Wozu dient die Erde? - Uns und unsere Gebäude zu tragen. Hierzu bedarf sie daher einer Festigkeit, denn weich und sumpfigt würde sie ihrem Zweck nicht entsprechen. Wozu dient das Wasser? - uns zu befeuchten. Daher ist die Feuchtigkeit, Weiche und Flüssigkeit bei ihm das einzig Nothwendige. Ohne diese - wie es geschieht, wenn es zu Eis gefriert - ist es unbrauchbar, bis das Eis wieder geschmolzen ist. Wozu dient die Luft? - Athem zu holen. Hierzu bedarf sie der Dünne und Lauterkeit. Wozu das Feuer? - Uns zu erwärmen, rohe Sachen zu kochen, flüssig zu machen u. s. f. Daher bedarf es der Hitze in einem zweckdienlichen Grade: und zwar der wirksamen, nicht in Feuerstein oder Zunder gebundenen Hitze. Wozu unsere Nahrung, Speise, und Trank? Sie bedürfen eines mit unseren Lebensgeistern und Säften in gleichem Verhältniß stehenden Saftes und Geistes. Und so verhält es sich mit allen Dingen in der ganzen Natur.

§. 13.

Wir wollen nun die Ausübung dieser Dinge betrachten, damit wir aus den menschlichen Verirrungen, Mühseligkeiten und Täuschungen einen Ausweg finden und die Wahrheit dieser Kunst erfahren.

1)
Es ist bekannt, daß Comenius von der Hoffnung eines bald (im J. 1672) bevorstehenden tausendjährigen Reiches, besonders in den spätern Lebensjahren erfüllt war.
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