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Calvin, Jean - Psalm 50.

Calvin, Jean - Psalm 50.

Inhaltsangabe:

In der Gemeinde gab es stets Heuchler, die Gott ganz oberflächlich mit äußerlichen Zeremonien verehren wollten. Gerade unter den Juden waren viele, die auf Kosten der Wahrhaftigkeit sich den gesetzlichen Formen unterwarfen, als ob Gott nur Opfer und andere Gebräuche forderte. Diesen groben Irrtum brandmarkt der Dichter und betont mit tiefem Ernste, der Name Gottes werde gelästert, wenn die Frömmigkeit allein in Zeremonien bestehe. Der rechte Gottesdienst, sagt er, ist geistig. Seine wesentlichen Bestandteile sind Anbetung und Dank.

1 Ein Psalm Asaphs. Gott, der Herr, der Mächtige, redet und rufet der Welt vom Aufgang der Sonne bis u ihrem Niedergang. 2 Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes. 3 Unser Gott kommt und schweiget nicht. Fressend Feuer gehet vor ihm her und um ihn her ein groß Wetter. 4 Er rufet Himmel und Erde, dass er sein Volk richte: 5 Versammelt mir meine Heiligen, die den Bund mit mir gemacht haben beim Opfer.

V. 1. Ein Psalm Asaphs. Gott, der Herr usw. Obwohl der Psalm den Namen Asaph an der Spitze trägt, weiß man doch nicht, ob dieser auch der Verfasser ist. Vielleicht ist er ihm als einem der hervorragendsten Sänger von David gewidmet worden. Doch hat das wenig Bedeutung. Wir wollen lieber auf den Inhalt achten. Viele Ausleger deuten den Psalm auf die künftige Erneuerung des Gottesvolks: der Dichter soll die Absicht gehabt haben, die Juden daran zu erinnern, dass der schattenhafte Gesetzesdienst nur vorübergehende Bedeutung besitze. Ohne Zweifel hat Gott einst seine Gemeinde mit solchen Anfangsgründen wie Kinder erzogen, bis sie heranwuchs und die Zeit der Erfüllung kam, von der Paulus Gal. 4, 4 redet. Aber jetzt handelt es sich um etwas andres. Spricht der Dichter zu seinen Zeitgenossen und hält er ihnen den Missbrauch des Gottesdienstes, ja dessen völlige Entstellung vor, oder redet er von dem künftigen Reich Christi? Der Zusammenhang lässt die Entscheidung leicht treffen. Der Dichter war bei seinen Zeitgenossen der Ausleger des Gesetzes. In dieser Eigenschaft belehrt er sie: die Zeremonien tragen auch in ihrer reichsten Entfaltung nicht ihre Bedeutung in sich, sondern weisen auf etwas anderes hin. Allerdings wendet man ein, dass es an unserer Stelle heißt: Gott rufet die Welt vom Anfang der Sonne bis zu ihrem Niedergang , - und dies sei doch erst bei der Offenbarung des Evangeliums geschehen, während die Lehre des Gesetzes nur ein bestimmtes und besonderes Volk um sich gesammelt habe. Aber dieser Einwurf ist leicht zu widerlegen. Der Dichter will ja nicht die ganze Welt berufen, damit alle Völker ohne Unterschied diese Lehre vernehmen, sondern das ganze Menschengeschlecht soll Zeuge sein, wenn Gott sich mit den Juden auseinandersetzt. Eine ähnliche Bedeutung hat die Stelle 5. Mos. 32, 1: „Merket auf, ihr Himmel, ich will reden, und die Erde höre die Rede meines Mundes.“ Oder 5. Mos. 30, 19: „Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen. Ich habe euch Leben und Tod vorgelegt.“ Oder Jes. 1, 2: „Höret, ihr Himmel, und Erde, nimm zu Ohren! Denn der Herr redet.“ Diese kraftvolle Redeweise war Heuchlern gegenüber nötig, damit sie von ihren hohlen Redereien abließen und mit Ernst auf Gottes Richterspruch achteten. Besonders Not tat es, die Juden gerade in diesem Punkte aufzurütteln. Denn wenn Menschen geneigt sind zu eitlen Vorspiegelungen, so messen sie Gott nach ihrem eigenen Maße und glauben, durch fleißige Übung in den Zeremonien am besten von ihm loszukommen. So war es für die Juden leicht, sich ohne weiteres, die äußeren Gesetzesformen anzueignen, als ob sie durch deren Beobachtung Gott vollständig versöhnen könnten. Gegen diesen Aberglauben sind, wie wir wissen, die Propheten stets aufs tatkräftigste vorgegangen. Spielten sich doch gerade die schlechtesten und unreinsten Menschen mit frecher Stirn als die wahren Diener Gottes auf und versuchten, ihre Gottlosigkeit durch irgendeinen Schein von Frömmigkeit zuzudecken. Der Dichter wollte also nicht nur feststellen, dass der Gottesdienst verderbt und entstellt sei, da ja die Menschen nur noch auf die Äußerlichkeiten Gewicht legten, auf den Glauben aber und die Herzensreinheit nichts mehr gaben, - er erhebt vielmehr mit vollem Bedacht und aller Strenge seine Stimme, um die Gleichgültigkeit zu bannen und den falschen Glauben abzustellen. Wenn der Dichter hier also von Gott sagt, er fordere alle Völker vor seinen Richterstuhl, so lege ich das nicht so aus, als ob er aller Welt die wahre, aufrichtige Frömmigkeit beibringen und von allen Seiten die Menschen zu einer ihm gehorsamen Gemeinde versammeln wollte, sondern so: die Heuchler sollten von ihrer Heuchelei ablassen. Denn es musste sie hart treffen, wenn alle Sterblichen Zeugen ihrer gottlosen Verstellung werden mussten und sie so ihrer gemachten Frömmigkeit entkleidet würden. Die Schilderung der Schrecken erregenden Majestät Gottes soll den Heuchlern ihre ganze Kinderei zum Bewusstsein bringen. Denn sie haben es mit einem strengen Richter zu tun. Um den Einwand abzuschneiden, es handle sich hier nicht um das Gesetz und den Umsturz des von Mose angeordneten Gottesdienstes, betont der Dichter ausdrücklich: der Richterspruch, den ich als Herold zu verkündigen habe, wird dem Gesetz entsprechen. Denn Gott wird aus Zion reden, d. h. er bestätigt die Geltung seines Gesetzes. So oft die Propheten diese Redewendung gebrauchen, machen sie Anspruch darauf, als Ausleger des Gesetzes beachtet zu werden. Jener Berg war nicht von menschlicher Gedankenlosigkeit auserlesen, sondern steht in Beziehung zum Gesetz. Und so schneidet der Dichter jetzt den Juden jede Ausflucht und jeden Widerspruch ab: Gott selbst klagt sie, die ihres Herzens Unreinheit mit Heuchelei bedecken, nicht nach irgendeinem neuen Rechte an, sondern setzt sich mit ihnen nach seinem alten, durch Mose vermittelten Gesetze auseinander. Von dem schönen Glanz Zions redet er, weil Gott sich diesen Berg zum Heiligtum erlesen hatte zur Anrufung seines Namens, und weil dort in der Lehre des Gesetzes sein Bild erstrahlte.

V. 3. Unser Gott kommt usw. Dadurch sollen die trägen Seelen umso mehr in Erregung versetzt werden: Er kommt und wird nicht schweigen bis in Ewigkeit. Deshalb missbraucht meine Geduld nicht länger! Wenn der Dichter sagt: „unser Gott“, so will er sich vielleicht mit den allerdings nur wenigen aufrichtigen Dienern Gottes zusammenfassen und sich mit ihnen zu den Heuchlern in Gegensatz stellen, die fälschlicherweise und in vermessener Prahlerei sich rühmen, dass sie denselben Gott hätten wie die heiligen Väter. Richtiger scheint mir doch die andere Auffassung zu sein, wonach der Dichter als ein Glied des Volkes kundtut, der Gott, dessen Namen allen Kindern Abrahams Bergung bot, werde die Verletzung seines Dienstes rächen: es wird „unser Gott“ kommen, dessen wir uns rühmen; der Gott, der mit Abraham einen Bund geschlossen; derselbe Gott, der uns durch Moses Hand das Gesetz gegeben hat. Was vom Feuer und vom Wetter gesagt wird, soll zur Aufrüttelung der Juden dienen. Sie sollen endlich einmal das Gericht Gottes scheuen lernen, das sie bisher nur allzu leicht genommen haben. Es ist aber auch eine Anspielung auf die bekannten Ereignisse am Berge Sinai (2. Mos. 19, 16). Wir wissen ja, dass die Luft vom Donner und vom Ton der Posaune erdröhnte, der Himmel von Blitzen leuchtete, und das Feuer vom Berge her flammte. Damit wollte Gott das Volk zur Scheu vor seinem Gesetze zwingen. Der Sinn des Verses ist also: wie Gott einst das Volk bei der Offenbarung seines Gesetzes zittern machte, so wird er jetzt mit Schrecken verbreitender Macht sich wappnen, um die grobe Entstellung seiner Lehre zu rächen.

V. 4. Er rufet Himmel und Erde usw. Wiederum wie in V. 1 wird die Erde zum Zeugen aufgerufen, dass Gott mit seinem Volke Israel einen Rechtsstreit haben werde, aber in Gegenwart der gesamten Welt. Dieses außergewöhnliche feierliche Urteil hebt sich ja gewaltig ab von den gewöhnlichen Richtersprüchen, die Gott täglich durch seine Propheten kundgibt. Die Heuchler sollen nicht in ihren Schlupfwinkeln bleiben. Ihre Sache wird, so sagt der Dichter, öffentlich vor den Engeln und allen Sterblichen geführt. Keiner kann entfliehen, er muss vor diese einzigartige Versammlung treten. Doch kann man die Frage aufwerfen: warum zieht der Dichter die wahren Gottesknechte vor Gericht, da die Forderung, welche gleich gestellt wird, nur die falschen, treulosen Juden trifft? Ich antworte: hier redet Gott von seiner ganzen Gemeinde. Wenn auch ein großer Teil des Volkes Abrahams der Frömmigkeit den Rücken gekehrt hatte, so achteten sie doch wenigstens auf die göttliche Ordnung. Von (V. 5) „Heiligen “ redet er, nicht, weil er etwa allen ohne Ausnahme das Zeugnis wahrer Frömmigkeit geben wollte, sondern um sie zu besserer Beachtung des Zieles ihrer Berufung aufzumuntern. Im Blick auf die entarteten und heuchlerischen Juden birgt diese Bezeichnung etwas wie Spott in sich. Im Geheimen müssen sie sich ja doch sagen, wie wenig sie ihrer Berufung entsprechen. Man kann allerdings auch so erklären: Sondert mir die wenigen, welche mit Ernst und von Herzensgrund mich ehren, von der bunten Menge aus, die meinen Namen entheiligt, damit sie nicht noch hinterher dem falschen Schutz äußerlicher Werkheiligkeit zum Opfer fallen. Doch auch die zuerst vorgetragene Erklärung gibt einen guten Sinn: Wenn die Gemeinde auch im großen und ganzen verderbt ist, so wird doch den wenigen Frommen und Unbescholtenen in ihrer Mitte soviel Ehre erwiesen, dass die aus diesen Guten und Schlechten gemischte Schar das heilige Volk Gottes genannt wird. Dass die Heiligen den Bund mit Gott gemacht haben beim Opfer , erinnert daran, dass Gott zur heiligen Verpflichtung seines Volkes und zur gewissen Bekräftigung seines Bundes die Opfer nach dem vom Gesetz vorgeschriebenen wahren und echten Brauch des Gottesdienstes besaßen: sie waren wie Siegel oder Handschriften, kurz wie irgendein Mittel, durch welche der Bund Gottes bekräftigt wurde, wie es auch unter Menschen hier und da Sitte war, Opfer hinzuzufügen, um Verträgen, die man schloss, eine treue und die Gewissen bindende Befolgung zu sichern. Daraus entnehmen wir eine wichtige Wahrheit: nur diejenigen sind in Gottes Augen echte Glieder seiner Gemeinde, welche im heiligen Geiste sich den Brüdern gleichstellen und den angebotenen Bund der Kindschaft mit ernstem Glaubensgehorsam besiegeln. Wer sich also mit einem anderen Gottesdienst decken will, von der reinen Himmelslehre abweicht und sich trotzdem tausendmal rühmt, zu der wahren Gemeinde zu gehören, den schließt der heilige Geist von derselben aus. Opfer und alle Zeremonien wollen ja nur die reine Wahrheit Gottes in uns versiegeln. Daraus folgt: alle Übungen, die nicht aus Gottes Wort hervorgehen, sind falsch und jeder Gottesdienst, der dort nicht seinen Anhalt findet, ist nur eine Verderbnis der Frömmigkeit.

6 Und die Himmel werden seine Gerechtigkeit verkündigen; denn Gott ist Richter. (Sela.) 7 Höre, mein Volk, lass mich reden; Israel, lass mich unter dir zeugen: Ich, Gott, bin dein Gott.8 Deines Opfers halber strafe ich dich nicht; sind doch deine Brandopfer immer vor mir. 9 Ich will nicht von deinem Hause Farren nehmen, noch Böcke aus deinen Ställen. 10 Denn alle Tiere im Walde sind mein und Vieh auf den Bergen, da sie bei tausend gehen. 11 Ich kenne alle Vögel auf den Bergen; und allerlei Tier auf dem Felde ist vor mir. 12 Wo mich hungerte, wollte ich dir nicht davon sagen; denn der Erdboden ist mein und alles, was drinnen ist. 13 Meinst du, dass ich Ochsenfleisch essen wolle oder Bocksblut trinken?

V. 6. Und die Himmel werden usw. Weil die Juden so töricht waren, sich einzubilden, mit ihrem Possenspiel alle Gerechtigkeit zu erfüllen, droht der Dichter, Gott werde, wenn er auch jetzt mit ihnen sei, seine Gerechtigkeit vom Himmel her offenbaren und dadurch alle ihre Lügen aufdecken und zu Schanden machen. Meint ihr denn, sagt er, ihr würdet Gott durch eure Betrügereien versöhnen, mit denen ihr ihn um besten habt? Lasst immerhin den Rauch eurer Opfer aufsteigen, Gott wird doch vom Himmel herab seine Gerechtigkeit kundtun und sie loslösen von eurem falschen Tun. Die Himmel selbst sollen Zeugen eurer Treulosigkeit sein, in der ihr die wahre Heiligkeit verachtet und den aufrichtigen Gottesdienst verderbt habt. Denn Gott wird eure Willkür nicht länger dulden, denn eure innerliche Bosheit, die ihr bisher unter wertlosem Zierrat zu verstecken wusstet, wird vor seinen Richterstuhl gezogen.

V. 7. Höre, mein Volk, lass mich reden . Der Dichter hat das Amt eines Herolds erfüllt, er hat mit Fug und Recht die Menschen aufgerüttelt. Jetzt lässt er Gott selber reden, und weil ihm der Gegenstand so wichtig ist, spart er bei der Aufforderung, zuzuhören, die Worte nicht. Indem Gott Israel als sein Volk anredet, beansprucht er für sein Wort Achtung und Ehrfurcht. Dann gibt er zu verstehen, dass er nicht eine allgemeine Rede halten, sondern dass er Grund zu tadelnder Aussprache habe, weil sein Volk von den Satzungen seines Glaubens abgewichen sei: lass mich unter dir zeugen. Manche übersetzen zwar: „lass mich wider dich zeugen.“ Aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der heiligen Schrift ist hier nicht von einem einseitigen Zeugnis die Rede, sondern beide Parteien finden sich zusammen, damit Gott das Gedächtnis an seinen Bund auffrischen könne. Und in der feierlichsten Weise will er unter seinem Volke von dem zeugen, was ihm auf Grund des Bundes gebührt, und will es eintreiben. Darum verkündet er auch einleitend mit feierlichem Nachdruck: Ich, Gott, bin dein Gott. So muss Israel seinem Rat und Wink allein folgen. Die Wiederholung des Gottesnamens will sagen: wenn ihr neben mich eure Wahngebilde stellt, denkt ihr auch daran, in welch schreiendem Widerspruch diese eure Frechheit und Unbesonnenheit zu der Ehrerbietung steht, die mir gebührt? Denn da ich Gott bin, so müsste meine Majestät jede Keckheit niederzwingen, so dass alles Fleisch stille wäre, wenn ich redete. Bei euch aber, denen ich mich doch als Gott geoffenbart habe, hätte ich desto mehr Gehorsam verdient.

V. 8. Deines Opfers halben strafe ich dich nicht. Hier wird zum Ausdruck gebracht, dass Gott sich nichts aus Opfern macht und sie als solche nicht wertet. Nicht als ob die Juden zwecklos und ohne Erfolg geopfert hätten. Es wäre doch allzu töricht, anzunehmen, dass Gott irgendeine unnütze Anweisung gegeben hätte. Aber wenn Gott gewisse Dienste schlechthin billigt, so sind es die Übungen der Frömmigkeit, sofern sie mit dem Gesetz übereinstimmen. Wenn aber den äußerlichen Handlungen die innere Wahrheit fehlt, so verschmäht sie Gott mit Recht. Dieser Gedanke ist den Propheten geläufig, wie wir schon öfters bemerkten, besonders zu Psalm 41. Die Zeremonien haben also an sich keinen Wert Gott stellt auch nicht die Forderung an seine Diener, in denselben aufzugehen, da sie ja doch nur zur Unterstützung des Gottesdienstes im Geiste dienen. So erklärt er Jer. 7, 22, dass er nie geboten habe von Brandopfern und anderen Opfern. Mich. 6, 7 heißt es: „Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen Öls? Nein, er fordert: Gottes Wort halten, Liebe üben usw.“ Denselben Gedanken enthält Hos. 6, 6: „Liebe will ich und nicht Opfer“. Überhaupt findet sich diese Lehre an zahllosen Stellen bei den Propheten, zumal bei Jesaja (z. B. 1, 12; 58, 1 ff.; 66, 3). Da, wo Gott sich über die Heuchelei der Gottlosen beim Opfer beklagt, erklärt er oftmals, dass es fruchtlos und darum ohne Wert vor seinen Augen sei. Aber noch mehr: solche Schlechtigkeit ruft seinen Zorn hervor. Dieser Unterschied muss aber festgehalten werden: wo die Opfer als Einrichtung Gottes unter den Menschen bestehen, und wo letztere sich in den Zeremonien zur Nährung und Stärkung ihres Glaubens üben, da bilden sie einen Teil der wahren Frömmigkeit, zu deren Unterstützung sie dienen. Wo sie aber ohne Glauben von Heuchlern gebracht werden, ja sogar ohne Herzensreinheit zur Verhöhnung Gottes dienen sollen, da sind sie nicht nur völlig wertlos, wie eitle Wolken, sondern sie werden auch aufs schwerste verurteilt wie Schmutz, der den Dienst Gottes schändet. Halten wir also fest, dass Gott, wenn er sein Volk des Opferns halber nicht strafen will, eben tiefer schaut und mehr verlangt als Förmlichkeiten. Er ruft dem Volke zu: deine Brandopfer sind immer vor mir, - nämlich bis zum Überdruss und Ekel, wie man wohl nach Jes. 1, 13 auslegen muss, wo Gott erklärt, dass Israels Opfer ihm ein Gräuel sind.

V. 9. Ich will nicht von deinem Hause Farren nehmen. Zwei Gründe führt der Herr dafür an, dass ihm die Opfer gleichgültig sind und keine Freude machen: einmal, wenn er sich auch durch Opfer nähren würde, brauchte er doch der Menschen Hilfe nicht dazu, da die ganze Fülle der Erde in seiner Hand ist; und dann, weil er Speise und Trank überhaupt nicht nötig hat, da dies nur ein Erfordernis der menschlichen Schwäche ist. Gott hebt also zuerst (V. 9 – 12) seinen Reichtum hervor, der ihm alle menschliche Hilfeleistung überflüssig macht. Zum andern (V. 13) sondert er sich klar ab von den Menschen, die ihr vergängliches Leben mit Speise und Trank fristen. Sein Leben, das der Grund alles Lebens auf der Welt ist, ist überreich in sich selbst. Der Dichter sagt uns scheinbar nichts Neues, wenn er der menschlichen Natur die Neigung zuschiebt, Gott auch in fleischlicher Weise zu dienen, - legt der Mensch doch an Gott denselben Maßstab an, wie an sich selbst. Und doch ist die Mahnung sehr nützlich und enthält die verborgene Weisheit, dass die Menschen, selbst wenn sie alles versuchen, dem Herrn doch nichts geben können. Ferner: Gott verlangt nichts zu seinem Unterhalt. Vielmehr sucht er in allen seinen Anordnungen den Menschen zu nützen, da er selbst in sich völliges Genüge hat. Einen ähnlichen Sinn hat Jes. 66, 1: „Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank; was ist` s denn für ein Haus, das ihr mir bauen wollt? Hat nicht meine Hand das alles gemacht?“ Damit erklärt Gott: Ich habe nichts nötig, denn ich bin ewig. Daraus ergibt sich: bei Gott ist völlige Selbstgenugsamkeit, weil er in sich selbst Genüge hat, so dass alles andre zusammen genommen für ihn nicht ausreicht.

14 Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde! 15 Und rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen.

V. 14. Opfere Gott Dank usw. Damit beginnt der zweite Teil der Rede. Und dieser bringt nicht wenig Klarheit über das, was seither gelehrt war. Hätte Gott den Opfern allen Wert abgesprochen, so hätte man Zweifel hegen können, warum er eigentlich Opfer gefordert habe. Jetzt kommt aber durch die Gegenüberstellung mit dem wahren Gottesdienst Licht in jenes Dunkel. Denn es erhellt nunmehr, dass Gott die Opfer nicht verschmäht, wenn sie nur rechtmäßig dargebracht werden. In aller Herzen wurzelt von Natur der Gedanke, und er kann nicht ausgerottet werden, dass man Gott dienen müsse. Aber allen widerstreitet es, Gott in reiner geistiger Weise zu dienen: darum muss man sich schattenhafte Vorstellungen erfinden. Trotz der Einsicht, dass diese keinen Nutzen einbringen, bleiben die Menschen in ihren Trügereien befangen. Denn sie scheuen sich, ja sie zittern vor dem Gedanken, allen Gottesdienst von sich abschütteln zu sollen. So haben denn die Zeremonien das Reich immer behauptet, bis man wusste, wie man Gott recht und schlecht dienen müsse. – Übrigens verzeichnet der Dichter gewissermaßen nur einen Teil der wahren Gottesverehrung, wenn er befiehlt, Gott als den Urheber aller guten Gaben anzuerkennen und ihm den Dank zu zollen, der ihm gebührt, damit er nicht um seine Rechte gebracht werde. Dann aber gilt es auch, sich ihm vertrauensvoll hinzugeben, alle Sorgen an seinem Herzen abzuladen. Niemand sonst soll als Helfer angerufen werden, damit dann, wenn das Heil da ist, nur ihm Dank abgestattet werde. Auch Glaube, Selbstverleugnung, ein neues Leben, Kreuztragen sind wahre Opfer, die Gott wohl gefallen. Aber weil das Anrufen Gottes eine Frucht des Glaubens und stets mit Geduld gepaart ist und die Tötung des Fleisches im Gefolge hat, so kann auch die wahre Dankbarkeit nicht ohne aufrichtige, klare Herzensteilnahme sein. Es kann nicht Wunder nehmen, dass der Dichter alles dies als ein Dankopfer bezeichnet. Um ferner zu zeigen, dass der Gottesdienst geistig sei, stellt er den Dank Gottes und seine Anrufung den Zeremonien und allen äußeren Betätigungen der Frömmigkeit gegenüber. Wenn er mit dem Dank beginnt, so kehrt er nicht etwa die rechte Ordnung um. Richtiger könnte es freilich scheinen, wenn erst das Anrufen genannt wäre und dann der Dank. Aber der hat den Anfang zum Beten gemacht, der Gott die Ehre erweist, die ihm von Rechts wegen gebührt, und der hat das ABC des Glaubens begriffen, der Gott als die einzige Quelle aller guten Gaben sucht. Darum hat der Dichter mit gutem Bedacht den Dank an die erste Stelle gesetzt. Es gebühren Gott ja schon Dankesbezeugungen, da er uns mit seinen Wohltaten schon entgegenkam, als wir noch nicht in der Welt waren, und erst recht, wenn uns etwa irgendeine Not trieb, seine Hilfe zu erbitten. Kurz, wenn die Menschen schon von Natur Vernunft und Arbeitskraft besitzen, so müsste es selbstverständlich sein, dass sie mit dem Opfer des Dankes beginnen. Der Dichter will hier nur allgemein verständlich schildern, dass der geistige Gottesdienst in Lob, Bitte und Dank besteht.

Bezahle dem Höchsten deine Gelübde!Dieser Zusatz ist eine Anspielung auf einen alttestamentlichen Brauch, wie es auch Ps. 116, 12 heißt: „Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die er an mir tut? Ich will den Kelch des Heils nehmen und des Herrn Namen predigen.“ Was Gott im Allgemeinen von seinen Kindern fordert, ist Dankbarkeit; eine besondere Form, dieselbe zu bezeugen, waren einst feierliche Opfer. Unsere Stelle ist eine bedeutsame Aussage darüber, die uns Anlass zu einer ausführlicheren Behandlung dieses Lehrstücks gibt. Zuerst ist zu beachten, dass die Juden so gut wie wir von Anfang an Gott im Geiste dienen sollten. Denn wenn Christus beweisen will, dass Gott an keinem anderen Dienste Gefallen habe, so legt er darauf Gewicht, dass Gott Geist sei (Joh. 4, 24). Gott wurde doch aber nicht erst Geist, als er die Zeremonien des Gesetzes abschaffte. Es erhellt also, dass er von den Vätern in der gleichen Weise verehrt werden wollte wie von uns. Wenn er aber von ihnen noch Zeremonien verlangte, so tat er das entsprechend der damaligen Zeit, wie er für unsere Bedürfnisse sorgt, als er sie abschaffte. Übrigens ist der Gottesdienst nach seinem wesentlichen Inhalt ein und derselbe und nur in der äußeren Form verschieden. Gott passte sich einst dem Verständnis des unerzogenen, schwachen Volkes an und bekannte sich deshalb zu den Zeremonien und ähnlichen Hilfsmitteln. Mit uns aber, die wir nach Christi Kommen herangewachsen sind, handelt er einfacher. Aber in ihm selbst gibt es keine Veränderung. Da alle äußerlichen Gebräuche an sich kalt und armselig sind und auch nur zur Erbauung des Glaubens dienen, damit Gott in Reinheit angerufen werde, so verkündigt unser Psalm mit Recht, dass die Heuchler mit ihrem leeren Gepränge sich vergeblich abmühen. Der Einwurf, die Opfer, die doch in der Zeit des Gesetzes nicht überflüssig gewesen seien, würden ganz missachtet, lässt sich leicht zurückweisen. Der Dichter hält ja den Juden das Ziel vor Augen: nicht die Hilfsmittel sollen sie wegwerfen, sondern nur ihre Mängel abstellen. Denn durch diese mussten sie vom rechten Wege abgelenkt werden.

V. 15. Rufe mich an usw. Es ist beachtenswert, dass hier zunächst die Anrufung gefordert, dann die Verheißung hinzugefügt wird, dass die Bitten derer, die ihre Zuflucht zu Gott nehmen, nicht vergeblich sein sollen; an dritter Stelle kommt dann der Dank. Wenn es aber heißt: „in der Not“, so wird die Pflicht des Gebets nicht dermaßen an diesen Zeitumstand gebunden, dass die Gläubigen sie nicht täglich und in jedem Augenblick ausüben dürften. Wir sollen also unter keinen Umständen vom Beten ablassen, auch nicht, wenn wir in Ruhe sind, ohne jede Mühsal in allem Glück haben und unter keiner Unbequemlichkeit leiden müssen. Wir wissen ja, dass es um uns geschehen ist, wenn Gott auch nur einen Augenblick seine Gnade zurückzieht. In trüben Zeiten wird aber unser Glaubensgehorsam besonders geprüft. Darum wird mit Recht an die Zeit der Not besonders erinnert. Man muss, das ist der Gedanke des Dichters, Gott in jeder Not suchen, weil er unser einziges Heil ist. Weil jedoch die Menschen beim Blick auf Gott erzittern, oder weil seine unbeschreibliche Herrlichkeit sie schreckt, und weil sie der Gedanke an ihre eigne Unwürdigkeit niederdrückt, folgt gleich die Verheißung, die uns zum Beten Mut macht und antreibt. Wo immer Gott unser Gebet zu erhören verheißt, fordert er auch unsern Dank. Ferner, wenn wir hören, dass die Anrufung gleichsam den ersten Platz in der Gottesverehrung einnimmt, so gebührt es sich, diese Ehre Gott auch mit allem Eifer unvermindert und uneingeschränkt zuteil werden zu lassen, wenn man den Wunsch hat, die Frömmigkeit durch ernste Übung zu betätigen. Wenn die Römischen auch tausendmal ihre Kniee äußerlich vor Gott beugen, so entziehen sie ihm doch seine Ehre, indem sie neben ihm verstorbene Heilige anrufen. Dass wir übrigens unsern Gott gerade in der Not anrufen dürfen, bringt schwachen und ängstlichen Seelen vielen Trost. Denn sobald Gott die Zeichen seiner Huld zurückhält, packt sie der Zweifel, ob er sich ihres Heils annehmen wolle, ja es kommt bis zum Misstrauen. Gott benutzt aber gerade die Trübsal, um uns wie mit Peitschen zu treiben, ihn zu suchen und anzurufen. Auch das ist wohl beachtenswert, dass dann unsre Bitten Gott wohlgefällig sind, wenn uns Gott durch sein Gebot einlädt und durch Verheißung uns dazu ermutigt, uns der Erhörung zu getrösten. Wenn die Römischen den Schluss von V. 15 auf bestimmte Gelübde beziehen, die zur Spielerei mit Gott werden, so ist das Kindertorheit. Es ist vielmehr, wie schon gesagt, vom feierlichen Dank die Rede. Sie aber kaufen sich durch ihre Gelübde von Gott los. Und dann machen sie sich beim Ablegen ihrer Gelübde keine Sorge darum, ob sie Gott gefallen, ja sie tragen sogar kein Bedenken, etwas zu geloben, was in offenem Widerspruch mit seinem Worte steht.

16 Aber zum Gottlosen spricht Gott: Was verkündigest du meine Rechte und nimmst meinen Bund in deinen Mund, 17 so du doch Zucht hassest und wirfst meine Worte hinter dich? 18 Wenn du einen Dieb siehest, so läufest du mit ihm und hast Gemeinschaft mit den Ehebrechern. 19 Deinen Mund lässest du Böses reden, und deine Zunge treibet Falschheit. 20 Du sitzest und redest wider deinen Bruder; deiner Mutter Sohn verleumdest du.

V. 16. Aber zum Gottlosen usw. Jetzt geht Gott seinen heuchlerischen Dienern noch offener zu Leibe. Ihre ganze Religion bestand darin, ihm Zeremonien wie blauen Dunst vorzumachen. Wir wissen ja, wie gern sich die Welt unter falscher Decke verkriecht. Hier sagt nun Gott: wer mit unreinem Herzen und frevelhaftem Leben Zeremonien vor mir ausübt, der findet kein Gehör. Dieses Urteil, das alle einstimmig annehmen mussten, war den Juden sehr ärgerlich und verstimmte sie außerordentlich. Einmütig gestehen sie zwar, dass der Gottesdienst entheiligt werde, wenn er nicht mit Ernst und von Herzen geübt wird. Auch die weltlichen Dichter teilten diese Ansicht. Und wir wissen, dass Verbrecher den Tempel und die Opferstätten nicht betreten durften. Indes, was in aller Herzen geschrieben stand, erstickten sie in ihrer Heuchelei und vergaßen es so sehr, dass die Unreinsten es wagten, vor Gottes Angesicht zu treten, als ob sie mit ihren gottlosen Künsten ihn sich unterwerfen könnten. Darum schärfen die Propheten immer wieder mit guten Gründen die Lehre ein: je mehr sich die Gottlosen in ihrer heuchlerischen Frömmigkeit abquälen, ein desto härteres Urteil ziehen sie sich durch ihre Trügereien zu. Ja, wenn auch der göttliche Geist warnt: Missbrauch des Namens Gottes ist Gotteslästerung, so schmücken sie sich doch mit dem äußerlichen Schein von Frömmigkeit. Dabei fehlt aber aller wahrer Glaube und jegliche Buße. Die Römischen haben die satanische Lehre, dass man nur die Absicht haben müsse, mit den törichten Possen ihrer Zeremonien dem Herrn zu gefallen, so werde man sein Ziel erreichen. Wenn also ein Mönch sich von seinem unreinen Lager erhebt und dem Herrn seinen heillosen und entweihten Mund aufdrängt und ohne jede Herzensteilnahme Psalmen singt, - wenn ein Hurer oder ein Meineidiger oder ein Räuber durch Messen, Wallfahrten und ähnliche Possen seine Verbrechen sühnt – seine Leistung soll nicht vergeblich sein! Gerade das Gegenteil aber erklärt Gott: wer die äußerlichen Zeichen der Frömmigkeit vom Glauben und der rechten Gesinnung des Herzens losreißt, vergeudet seine Kraft, ja er macht sich sogar der Gotteslästerung schuldig, weil er den Namen Gottes ganz und gar missbraucht. Hier entkräftet der Dichter den geläufigen Vorwurf und weist ihn zurück: Wie? lässt Gott denn nicht wenigstens irgendwo Opfer zu seiner Ehre zu? Er zeigt nämlich, dass seine Anklage auf Gotteslästerung zu Recht besteht: denn jene Leute belügen Gott und entweihen seinen Namen. Ihre freche Gottlosigkeit bezeichnet er mit den Worten: Was verkündigest du meine Rechte? d. h. du tust, als gehörtest du zum heiligen Volke, als gälte auch dir mein Bund. Wenn Gott übrigens hier jede Frömmigkeitsäußerung zurückweist, die nicht aus reinem Herzen kommt, was muss dann erst mit den Zeremonien geschehen, welche doch viel tiefer stehen als die Verkündigung des Wortes Gottes?

V. 17. So du doch Zucht hassest usw. Der Dichter überführt die Heuchler ihrer Treulosigkeit, dass sie mit dem Munde fromm sind, mit dem Leben und ihren Taten aber den Worten ins Gesicht schlagen. Den Grund zu dieser Verachtung Gottes findet er in der mangelnden Scheu vor seinem Worte: und wirfest meine Worte hinter dich.Darin besteht ja die rechte Achtung vor Gott, dass wir uns seinem Worte unterwerfen und gerne annehmen, was er uns darin lehrt und vorschreibt. Doch die Heuchelei der Menschen sucht sich immer wieder durch weitschweifige und verwickelte Deutungen diesem Gehorsam zu entziehen. Deshalb sieht der Dichter da, wo man Gottes Wort verwirft, die Quelle der Gottlosigkeit und sagt, der Anfang des wahren Gottesdienstes sei der Glaubensgehorsam. Zugleich weist er auf den Grund dieser Hartnäckigkeit hin: die unlauteren Menschen wollen eben des Herrn Joch nicht tragen. Gerne würden sie ihm den Ruhm lassen, dass das, was aus seinem Munde geht, wahr und recht sei, aber weil uns Gott durch` s Wort zur Ordnung zwingt, uns Zügel anlegt, um alle unsre fleischlichen Lüste zu bändigen, ist uns sein Wort beschwerlich und verhasst. Also unsre Unbändigkeit hetzt uns gegen Gottes Wort auf, weil wir uns nicht gerne bessern lassen wollen. Niemand kann Gottes Wort mit sanftmütigem und gelehrigem Sinn hören und ihm gehorchen, der sich ihm nicht zur Leitung und Besserung hingeben will. Sodann gedenkt der Dichter der Früchte der Gottlosigkeit: die Heuchler, sagt er (V. 18), halten Gemeinschaft mit Dieben und Ehebrechern , bringen also Gottes heiligen Namen in eine ärgerliche Verbindung mit den Schandtaten solcher Leute. Übrigens sind es nur einzelne Beispiele von Lastern, welche angeführt werden: aber diese genügen, um zu beweisen, dass alle widerspenstigen und unbotmäßigen Leute, welche die Zucht verachten, rettungslos ihren eignen Begierden oder bösen Beispielen preisgegeben sind, sodass sie gierig und zügellos dahinstürmen müssen. Neben Diebstahl und Ehebruch wird dann Verleumdungssucht und Falschheit genannt. Wenn übrigens (V. 19) der Frevler seinen Mund Böses reden lässt, so deutet dies nicht bloß auf Schmähsucht, sondern auf allerlei schädliche Reden. Folgt doch sogleich: deine Zunge treibet Falschheit . Wir wissen ja, wie viele Künste lügnerischen und listigen Zungen zur Verfügung stehen, um zu schaden und zu beleidigen. Dass die bösen Leute (V. 20) „sitzen“, will besagen, dass sie gleichsam zu Gericht sitzen: unter dem Schein eines ordnungsmäßigen Richterspruchs reißen sie ihre Brüder ungerechterweise herunter. Allerdings könnte man auch daran denken, wie schwatzhafte Menschen müßig zusammensitzen und über ihren Nächsten klatschen. Passender aber scheint es mir, eine Anspielung auf eine öffentliche Gerichtssitzung anzunehmen, bei der gottlose Menschen gute, einfältige Leute mit Schmutz überhäufen und mit übler Nachrede verfolgen. So wäre das Verbrechen noch größer; und wenn es vollends den Bruder , der Mutter Sohn betrifft, so erscheint die grausame Schmähsucht in desto grellerem Lichte: sie vergessen die natürlichen Bande, so dass sie nicht einmal ihrer leiblichen Brüder schonen.

21 Das tust du, und ich schweige: da meinest du, ich werde sein gleich wie du. Aber ich will dich strafen und will dir` s unter Augen stellen. 22 Merket doch das, die ihr Gottes vergesset, dass ich nicht einmal hinraffe und sei kein Retter da. 23 Wer Dank opfert, der preiset mich; und wer seinen Weg ebnet, dem will ich zeigen das Heil Gottes.

V. 21. Das tust du, und ich schweige usw. Da sich die Heuchler, solange sie nicht die Hand Gottes im Nacken spüren, in ihrem schmutzigen Treiben steigern und auch nicht durch den strengsten Tadel aus der Fassung bringen lassen, so greift der Dichter sie kräftiger an und sagt ihnen: wenn Gott eine Zeitlang durch die Finger sieht, so meint ihr, ihn mit euren leeren Schmeicheleien besänftigt zu haben; aber ihr täuscht euch, euer Verderben wird die Folge sein. Ja, es ist eine Verhöhnung Gottes, die schwer ins Gewicht fällt, wenn ihr glaubt, er billige eure Schandtaten. Man kann Gott keine größere Schmach antun, als wenn man ihn seiner Gerechtigkeit beraubt. Freilich sagen ja die Heuchler nicht öffentlich, was ihnen hier untergelegt wird: aber sie machen sich in ihrer törichten Einbildung ein ganz falsches Bild von Gott, indem sie seine Langmut auf Mutwillen ziehen. Denn wenn sie ernstlich davon überzeugt wären, dass Gott ihre Schandtaten verabscheue, so müssten sie nie zur Ruhe kommen können. Sie legen sich also die große Nachsicht Gottes ganz falsch aus; sie nehmen ihm nicht nur das Amt des Richters, sondern bilden sich auch ein, er sei ein Schutzherr der Schandtaten und heiße sie gut. Zugleich wirft der Dichter den Heuchlern vor, sie knüpften an die falsche Auffassung von Gottes Milde und Geduld die Hoffnung auf Straflosigkeit. Deshalb kündigt er ihnen an: ihr habt bisher eure Schandtaten vor Gottes Augen zu verbergen gesucht, aber bald kommen sie ans Licht, und ihr müsst sie mit eigenen Augen sehen. So verstehe ich nämlich den Ausdruck: unter Augen stellen. Gott wird ihnen ein wohl geordnetes Verzeichnis aller ihrer Schandtaten vorhalten, das sie – sie mögen wollen oder nicht – lesen und anerkennen müssen.

V. 22. Merket doch das usw. Diese Drohung zeigt aufs Neue, dass man es mit Heuchlern zu tun hat, die sich völlig sicher fühlen. Der Dichter mahnt sie zur schleunigen Umkehr, wenn sie sich noch Hoffnung auf Vergebung machen wollten. Um ihre Lässigkeit zu bannen, erinnert er sie an das strenge Gericht Gottes und an dessen plötzlichen Beginn. Zugleich wirft er ihnen ihre Gottvergessenheit als schmähliche Undankbarkeit vor. Besonders beachtenswert ist es, dass Gott seine Gnade auch denen noch anbietet, die seinen Dienst in der schändlichsten Weise verletzt und seine Geduld mit gotteslästerlicher Frechheit verlacht haben und sich die gröbsten Schandtaten zu Schulden kommen ließen. Wenn sie nur zur Besinnung kommen, so will er ihnen gnädig sein. Denn er fordert die Menschen nicht zur Buße auf, ohne ihnen Hoffnung auf Vergebung zu machen, so dass sie freudig vor ihn zu kommen wagen dürfen. Das ist gewiss eine unschätzbare Milde, wenn er treulose Abtrünnige und Bundbrüchige, die von der Frömmigkeit abgewichen, in der sie erzogen waren, wieder zu sich einlädt, dass sie einen Platz in seiner Gemeinde bekommen sollen. Hier wird sicherlich nichts gesagt, was wir nicht alle schon zum Teil erfahren haben, wir, die Gott in seinem unglaublichen Erbarmen wieder zu seiner Herde gesammelt hat, da Treulosigkeit und Abfall uns ihm entfremdet hatten. Zugleich achte man auf die Mahnung des Dichters: wer von Gott abgefallen ist, soll schleunigst zurückkehren, denn das Tor ist nicht immer offen. Und davor müssen wir uns hüten, dass wir in unserer Trägheit nicht die Zeit des Wohlgefallens verrinnen lassen, so dass wir einmal vergeblich wie Esau klagen müssen (1. Mos. 27, 34). Das nämlich will Gottes Drohung sagen: dass ich nicht einmal hinraffe und sei kein Retter da.

V. 23. Wer Dank opfert, der preiset mich.Zum dritten mal betont der Dichter: Gott ist nichts so angenehm als Lobopfer, durch das wir unsere Dankbarkeit gegen ihn bezeugen. Die Wiederholung ist aus zwei Gründen nicht überflüssig. Denn einmal vergessen wir nur zu leicht die Wohltaten Gottes, ja, in unsrem Leichtsinn und in unsrer Oberflächlichkeit genießen wir von den tausenderlei Gaben kaum eine mit tiefer gehender Dankbarkeit. Und dann geben wir dem Lobe Gottes nicht den ihm gebührenden Platz. Denn, wenn es die wichtigste Pflicht der Frömmigkeit ist, in der wir uns nach Gottes Willen unser ganzes Leben lang üben sollen, so ist ihre Vernachlässigung gemein und ein Zeichen von Gottlosigkeit. Darum verkündet unser Psalm laut: der rechte Gottesdienst kann des Lobopfers nicht entraten. Dass man Gott „preisen“ soll, lehrt uns, dass man ihm erst dann recht und wahrhaft dient und die gebührende Ehre erweist, wenn man seine Wohltaten mit Aufrichtigkeit und Dankbarkeit anerkennt. Andere Opfer aber, wie sie die Heuchler mit so großem Eifer bringen, achtet er nicht und verwirft sie in seinem Dienst. Indes darf man nicht vergessen, was schon gesagt wurde, dass unter dem hier geforderten Lobpreis Glaube und Anrufung zu verstehen ist. Denn die Erfahrung von Gottes Güte öffnet uns den Mund zum Lobe Gottes. Und diese Güte empfinden wir wiederum nur durch Glauben. Daraus erhellt, dass hier die gesamte Anbetung Gottes im Geist nach ihren Wirkungen beschrieben wird. Deshalb erklärt der Dichter auch ganz allgemein, dass nur, wer seinen Weg ebnet, darauf rechnen darf, mit seinem Gehorsam dem Herrn zu gefallen. „Den Weg ebnen“ – bedeutet aber weder bloß, wie einige Ausleger wollen, seine Sünden bekennen, noch ist dabei vom Wege der andern die Rede, aus dem man etwa die Anstöße wegräumen sollte. Vielmehr wird ein rechter Wandel den viel verschlungenen Irrwegen der Leute entgegengestellt, welche Gott nur in heuchlerischer Weise suchen: nur mit aufrichtigem Herzen und mit schlichter Geradheit kommt man zu Gott. Unter dem Heil Gottes verstehe ich nicht, wie manche, etwas Besonderes, Außergewöhnliches, sondern Gott redet meines Erachtens in der dritten Person von sich selbst, um es klarer zu machen, dass er sich seinem innersten Wesen nach seinen wahren Dienern offenbaren werde. Sie sollen ihn nicht vergeblich für ihren Heiland halten.

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autoren/c/calvin/calvin-psalmen/psalm_50.txt · Zuletzt geändert: von aj
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