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Calvin, Jean - Psalm 37.

Calvin, Jean - Psalm 37.

Inhaltsangabe:Dieser Psalm, als dessen Verfasser in der Überschrift David genannt wird, enthält eine sehr nützliche Lehre. Da die Frommen, so lange sie hier auf Erden als Fremdlinge wallen, alles in großer Unordnung sehen, so würden sie alsbald den Mut verlieren, wenn sie sich nicht in ihrer Traurigkeit mit der Hoffnung auf einen besseren Ausgang trösteten. Denn je frecher jemand Gott verachtet, je unbedenklicher er zu jedem Verbrechen greift, umso glücklicher scheint oft seine Sache zu stehen. Da also das Glück ein Zeichen göttlicher Gunst gegen die Gottlosen zu sein scheint, so könnte man daraus leicht den Schluss ziehen, dass in der Welt alles von ungefähr geschehe, dass der Zufall regiere, dass Gott gar keinen Unterschied mache zwischen den Guten und Bösen. Gegen diese Versuchungen wappnet und stärkt der Geist Gottes uns in diesem Psalm. Denn wenn es den Gottlosen auch für eine Zeitlang gut geht, so sagt er doch, dass ihr Glück schwinden werde, und dass deshalb ihre Freude, die sie ausgelassen macht, verflucht ist, während die frommen und heiligen Verehrer Gottes auch in der größten Not glücklich sind, weil Gott für sie sorgt und ihnen zur rechten Zeit hilft. Dieses widerspricht allerdings dem fleischlichen Sinn. Denn weil die Guten oft Mangel leiden, lange unter vielen Leiden dahinsiechen, mit Schimpf und Schande überhäuft werden, während die Frevler und die Bösen ihre Triumphe feiern und sich in ihren Genüssen ergötzen, so kann jemand leicht auf den Gedanken kommen, dass Gott sich gar nicht um die Angelegenheiten der Menschen kümmere. Umso nützlicher ist daher die Lehre des Psalms, da sie unsere Gedanken von der Gegenwart ablenkt und uns befiehlt, uns so lange ruhig an Gottes Vorsehung zu halten, bis er seinen Dienern die Hand zur Hilfe reicht und strenge Rechenschaft von den Gottlosen fordert, weil sie seine väterlichen Wohltaten wie Diebe und Heiligtumsschänder schnöde missbraucht haben.

V. 1 u. 2. Erzürne dich nicht usw. David geht von dem Grundgedanken aus, dass die Kinder Gottes keinen Grund haben, sich zu bekümmern und zu ängstigen, wenn es den Gottlosen gut geht und diese sich wohl fühlen, da ihr Glück bald vergehen wird; während bei den Gläubigen, wenn sie sich auch für eine Zeitlang quälen müssen, der schließliche Ausgang doch so sein wird, dass sie mit Recht mit ihrem Lose zufrieden sein dürfen. Es hängt dieses aber alles von der Vorsehung Gottes ab. Denn wenn wir nicht davon überzeugt sind, dass die Welt von ihm regiert wird, so werden wir bald schwankend werden und verzagen. David wendet sich hier gegen zwei verkehrte Regungen, die jedoch nahe untereinander verwandt sind, und von denen die eine aus der anderen hervorgeht. Erstens ermahnt er die Gläubigen, sich nicht über die Verworfenen zu erzürnen, und zweitens, dass sie diese nicht um ihr Glück beneiden sollen und sich dadurch bestimmen lassen, ihnen nachzufolgen. Zunächst droht nämlich die Gefahr, dass wir die Gottesfurcht aufgeben und uns vom Glauben abwenden, wenn wir sehen, dass es den Gottlosen gut geht, weil dann der Schluss naheliegt, dass Gott sich gar nicht um die menschlichen Angelegenheiten kümmere. Daraus geht dann die andere Versuchung hervor, dass wir uns durch das schlechte Beispiel bestimmen lassen, an ihrem bösen Treiben teilzunehmen. David beobachtet hier die rechte Ordnung. Denn sobald das Glück der Gottlosen uns ärgerlich stimmt, verfallen wir nur zu gern darauf, es ihnen nachzutun. Er warnt uns also zuerst, dass wir uns durch das hinfällige Scheinglück nicht verwirren, und sodann, dass wir uns durch den Neid nicht zur Sünde reizen lassen.

Im zweiten Verse wird der Grund hierfür angegeben: wenn die Bösen heute auch wie das grüne Kraut blühen, so werden sie doch schon morgen abgehauen werden und verwelken. Wir brauchen uns nicht darüber zu wundern, dass dieser Vergleich uns oft in der Schrift begegnet, da er sehr passend ist. Wir sehen es ja, wie verwelklich die Lebenskraft der Pflanzen ist. Ein Windhauch wirft sie nieder, oder die Sonnenglut dörrt sie aus, ohne dass eine menschliche Hand sie anrührt. Und nun verkündigt David, dass Gottes Gericht wie eine Sichel sein werde, welche die Bösen abmäht, so dass sie bald verdorren.

V. 3. Hoffen auf den Herrn. Damit wendet sich David zu einem zweiten Gedanken und führt aus, dass den Gläubigen alles wohl gelingen werde, weil sie unter Gottes Schutz stehen. Und weil es nichts Besseres und Erwünschteres gibt als unter dem Schutze Gottes zu leben, so ermahnt er uns, unser Vertrauen auf ihn zu setzen und uns zugleich der Redlichkeit zu befleißigen. Nicht ohne Grund beginnt er mit dem Glauben. Denn Menschen, wenn sie in der Welt herumgestoßen werden, fällt nichts schwerer, als ruhig und gefasst zu bleiben und sich durch keine Aufregung erschüttern zu lassen. Ebenso schwer ist es für sie, dann in dem Streben nach Rechtschaffenheit beständig zu beharren, wenn sie sehen, dass die Bösen durch ihre schlechten Künste reich werden, dass sie wachsen und durch ihre skrupellosen Untaten an Macht gewinnen. Und umso schwieriger ist die Aufgabe, weil es nicht genug ist, gleichgültig an den Dingen vorüber zu gehen, welche die Menschen insgemein mit Übereifer begehren. Auch einige von den alten Weisen besaßen eine solche Seelengröße, dass sie nicht nur ungerecht erworbenen Reichtum verachteten, von Betrug und Raub sich fernhielten, sondern sich auch sehr missbilligend über den eitlen Glanz der Gottlosen, den der große Haufe töricht bewunderte, aussprachen. Da ihnen jedoch der Glaube fehlte, so raubten sie doch Gott seine Ehre. Infolgedessen blieb das wahre Glück ihnen unbekannt. David beginnt also mit dem Glauben, um zu zeigen, dass Gott der Urheber aller guten Gaben ist, und dass wir nur von seinem Segen das Glück erwarten dürfen. Aber damit verbindet er die Mahnung zur Rechtschaffenheit: tue Gutes. Eine sehr bemerkenswerte Verknüpfung! Wer Gott, dem Herrn, sich anvertraut, wird auch gerecht und unschuldig leben und sich befleißigen, Gutes zu tun.

Bleibe, buchstäblich „wohne“, im Lande. Dies lautet nachdrücklicher, als wenn der Dichter bloß verheißen würde, dass die Gerechten sicher im Lande wohnen sollen. Denn die Befehlsform stellt uns unmittelbar vor den Besitz hin und heißt uns ihn einnehmen. Zugleich lässt der Ausdruck ersehen, dass dieser glückliche Zustand von langer Dauer sein werde: denn wenn die Gläubigen auch Gäste und Fremdlinge in dieser Welt sind, so wird Gott sie doch mit seiner Hand beschützen, dass sie ruhig und sicher sein können. Dies bestätigt auch das nächste Satzglied: Nähre dich redlich. Buchstäblicher wäre zu übersetzen: „Weide in Sicherheit.“ Denn die Meinung ist nicht, dass wir ohne Räuberei ehrlich unsern Lebensunterhalt erwerben sollen, sondern dass wir in friedlicher Ruhe werden weiden und das Land genießen dürfen.

V. 4. Habe deine Lust am Herrn.Dieses Ergötzen wird den eitlen und trügerischen irdischen Vergnügungen gegenübergestellt, welche die Kinder dieser Welt so berauschen, dass sie Gottes Segen verachten und von keinem andern Glück etwas wissen, als welches gegenwärtig in die Augen fällt. Dieser Gegensatz zwischen den verkehrten und wahnsinnigen Freuden, durch welche die Welt sich täuscht, und der wahren Ruhe, deren die Gläubigen sich erfreuen, ist wohl im Auge zu behalten. Denn sei es, dass das Glück uns lächelt, sei es, dass Gott uns durch Unglück prüft, so müssen wir immer an dem Grundsatze festhalten, dass, weil Gott unser Teil ist, das Los uns aufs Liebliche gefallen ist, wie wir Ps. 16, 5 f. hörten. Daher müssen wir uns immer wieder sagen, dass es uns nur dann wohl geht, wenn Gott uns geneigt ist, und dass die Freude, die wir aus seiner väterlichen Gunst schöpfen, alle weltlichen Vergnügungen übertrifft. An diesen Befehl wird die Verheißung geknüpft, dass Gott, wenn wir uns so an ihm genügen lassen, uns selbst freigebig alles schenken wird, was wir uns wünschen. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass die Gläubigen alsbald alles erhalten, was ihnen unbedacht in den Sinn kommt. Es wäre auch nicht gut für sie, wenn Gott in dieser Weise ihren falschen Begierden nachgeben würde. David will nur sagen, dass Leuten, die nicht mit der Welt falschen Trugbildern nachjagen, sondern ihre Sinne allein auf Gott richten, nach seiner Ordnung alles zufallen wird.

V. 5. Befiehl dem Herrn deine Wege.Dies drückt den vorhergehenden Gedanken noch deutlicher aus und bestätigt ihn. Denn wenn Gott unsere Wünsche erfüllen soll, ist es nötig, dass wir mit Hoffnung und Geduld unsere Sorgen auf ihn werfen. Wir lernen hier also, wie wir unter Beschwerden, Gefahren und Unruhen still sein können. Die „Wege“, die wir dem Herrn befehlen sollen, sind ohne Zweifel unsere Geschäfte. Demnach ist die Meinung, dass wir den Ausgang aller unserer Geschäfte in Gottes Entscheidung stellen und geduldig warten sollen, wie er es hinausführt, dass wir ferner mit allen Sorgen, die uns ängstigen, und allen Lasten, die uns drücken, in Gottes Schoß flüchten sollen. Darum heißt es auch weiter: hoffe auf ihn. Denn allein durch solche Hoffnung lässt man dem Herrn in rechter Weise die Ehre, dass er unser Leben regiere, und nur so wird man von einer Krankheit frei, an der fast alle Menschen leiden. Denn woher kommt es, dass die Kinder Gottes die Verworfenen beneiden, dass sie so oft seufzen und schwach werden, dass sie sich bald maßloser Traurigkeit hingeben, bald sich auflehnen und murren? Kommt es nicht daher, dass sie sich zu sehr den Sorgen hingeben und sich dadurch, dass sie zu eifrig bestrebt sind, ohne Gott für sich selbst zu sorgen, gleichsam in einen Abgrund hineinstürzen? Sicherlich laden sie sich eine solche Last von Sorgen auf, dass sie darunter schließlich zusammenbrechen müssen. Diesem Fehler tritt David entgegen, indem er daran erinnert, wie sehr wir uns täuschen, wenn wir die Leitung unseres Lebens selbst übernehmen und für unsere Sachen selbst sorgen wollen, als wären wir einer solchen Last gewachsen, und dass es das einzige Hilfsmittel wider die Sorgen ist, wenn wir unsere Augen auf die Vorsehung Gottes richten und dort Trost in allen unseren Ängsten suchen. Wer diesem Rate folgt, wird sich aus dem furchtbaren Wirrsal freimachen, in welchem alle anderen sich vergeblich abquälen. Denn wenn Gott die Leitung unserer Sachen übernommen hat, so wird der glückliche Erfolg nimmer fehlen. Bleibt dieser aus und werden wir in unseren Hoffnungen getäuscht, so liegt das nur daran, dass wir ihm den Weg verschließen, weil wir bei uns selbst zu weise sein wollen. Denn wenn wir ihn walten lassen, so wird er treu seine Pflicht tun und unsere Hoffnung nicht vereiteln; verharren wir aber im Unglauben, so können wir der gerechten Strafe nicht entgehen.

V. 6. Und wird deine Gerechtigkeit hervorbringen.Dieser Satz will im Voraus allerlei Zweifeln begegnen, wie sie uns meistens ängstigen, wenn es umsonst zu sein scheint, dass wir Gott lauter verehren und gerecht gegen unseren Nächsten handeln, und erst recht dann, wenn wir glauben, von Gott verachtet zu werden, weil unsere Unbescholtenheit sowohl der Schmach der Bösen preisgegeben ist, als uns auch bei den Menschen Schaden bringt. David sagt also, dass Gott es nicht zugeben wird, dass unsere Gerechtigkeit immer im Finstern verborgen bleibe, sondern dass er für sie eintreten und sie dadurch ans helle Licht bringen werde, dass er ihr den Lohn gibt, welchen wir wünschen. Dass unsere Gerechtigkeit wie das Licht aufgeht, erinnert an die Morgenröte, die mit ihrem Schein plötzlich die finstere Nacht verscheucht. Wenn wir also ungerecht bedrückt werden und Gott zu vergessen scheint, sich unserer Unschuld anzunehmen, so braucht uns diese Verkehrung nicht mehr zu beunruhigen, als wenn die Finsternis der Nacht die Erde bedeckt, wobei doch die sichere Erwartung, dass das Tageslicht anbrechen werde, unsere Hoffnung aufrecht erhält.

V. 7 u. 8. Sei stille dem Herrn. David führt noch immer dieselbe Lehre weiter aus, nämlich dass wir alles geduldig ertragen müssen, was unser Herz beunruhigen könnte. Denn bei so vielen Kämpfen, die uns umtreiben, bedarf es einer ungewöhnlichen Geduld. Dass wir vor dem Herrn stille werden sollen, ist eine treffliche Beschreibung der Art des Glaubens: wenn unsere Stimmungen sich wider Gott auflehnen wollen, so leitet der Glaube uns zu stiller Folgsamkeit an und besänftigt allen Aufruhr im Herzen. Davids Wort verbietet uns also, nach Art der Ungläubigen innerlich unruhig oder mürrisch und wider Gottes Regiment aufsässig zu werden: vielmehr sollen wir mit sanftem Geist uns fügen, damit der Herr in der Stille sein Werk ausrichte. Dass wir stille sein und dabei auf den Herrn warten sollen, stellt auch der Prophet Jesaja (30, 15) einmal zusammen. Das nächste Satzglied wiederholt, was wir schon im Anfang des Psalms hörten: erzürne dich nicht über den, dem sein Mutwille glücklich fortgeht. Diese Worte weisen noch einmal darauf hin, welch ein großes Ärgernis es für uns ist, wenn das Glück den Gottlosen lächelt, gleich als ob Gott ihre Schandtaten begünstigte. Das ist etwas, was uns mit Widerwillen erfüllt. Deshalb begnügt David sich auch nicht mit einer kurzen Erinnerung, sondern bleibt hierbei lange stehen.

Die Häufung der Ausdrücke im folgenden Verse, in dem er den Jähzorn zügelt, den Eifer beruhigt und den Widerwillen besänftigt, ist nicht überflüssig. Eine schwer zu heilende Krankheit bedarf eben vieler Heilmittel. Auf diese Weise werden wir daran erinnert, wie reizbar wir sind und wie leicht wir Anstoß nehmen, wenn wir nicht ernstlich kämpfen, um unser unruhiges Herz zum Gehorsam zu zwingen. Da die Gläubigen die Regungen ihres Fleisches nicht ohne Mühe und Schweiß unterdrücken können, wenn das Glück der Gottlosen sie zur Ungeduld treibt, so lehrt diese Wiederholung sie, dass sie in dem Kampfe ausharren müssen: denn nur, wenn sie standhaft bleiben, werden ihre Anstrengungen mit Erfolg gekrönt sein. – Dass du auch übel tust. David erinnert uns daran, dass wenn wir nicht sofort und rasch unseren Ärger bekämpfen, es nicht ausbleiben kann, dass er uns zum Sündigen treibe. So heißt es auch in einem anderen Psalm (125, 3): „Der Gottlosen Zepter wird nicht bleiben über dem Häuflein der Gerechten, auf dass die Gerechten ihre Hand nicht ausstrecken zur Ungerechtigkeit.“

V. 9. Denn die Bösen werden ausgerottet. Nicht ohne Grund hebt David immer wieder hervor, dass das Glück der Gottlosen nur Schein- und Blendwerk ist. Hält doch der erste Eindruck unsere Gedanken derartig gefangen, dass wir nicht an den Ausgang denken, nach dem doch alles zu beurteilen ist. Zu beachten ist der Gegensatz zwischen den beiden Gliedern unseres Verses. Das erste verkündigt den künftigen Untergang der Gottlosen, deutet also an, dass sie so lange blühen und grünen werden, bis die rechte Zeit zu ihrer Vernichtung kommt. Das zweite verheißt, dass die Frommen das Land erben sollen, woraus zu ersehen ist, dass Gottes Segen sie durch ihr ganzes Leben bis zum Tode begleiten wird. So muss man denn, wie wir soeben schon sagten, auf das Ende schauen, um ein richtiges Urteil über Menschenschicksale zu gewinnen. Dass Gottes Kinder zur Prüfung ihres Glaubens durch einen harten Dienst geübt werden, ersehen wir auch aus den Worten, mit denen David sie beschreibt. Sie werden hier nicht einfach als Fromme und Gerechte bezeichnet, sondern als Leute, die des Herrn harren. Wozu wäre ein solches Harren nötig, wenn sie nicht unter der Last des Kreuzes seufzten? Im Übrigen erlangen die Kinder Gottes den Besitz des Landes, der ihnen hier verheißen wird, nicht immer offensichtlich: denn oft müssen sie als Fremdlinge darinnen wandeln, denen Gott keinen festen Wohnsitz schenkt; oft werden sie umgetrieben, damit sie desto eifriger nach der himmlischen Ruhe ausschauen lernen. Das Fleisch wünscht immer sich hier einzunisten; und wenn wir nicht unstet hin- und hergeworfen werden, so fangen wir leicht an, das ewige Erbe zu vergessen. Durch diese Unruhe wird uns aber der Besitz des Landes, von dem David redet, nicht entrissen. Denn einmal wissen die Gläubigen bestimmt, dass sie die rechtmäßigen Erben des Landes sind, und deshalb essen sie mit ruhigem Gewissen ihr Brot; und wenn sie auch einmal Mangel leiden, so kommt Gott ihnen doch zur rechten Zeit in ihrer Not zu Hilfe. Ferner wenn die Gottlosen sie auch aus der Welt zu verbannen suchen, weil sie sie nicht für wert halten, mit ihnen dieselbe Luft zu atmen, so beschützt Gott sie doch mit seiner ausgestreckten Hand, und endlich erhält er sie so durch seine Kraft, dass sie sicherer in der Verbannung leben, als die Gottlosen in dem Neste, das sie sich gebaut haben. Dieses Gut, das David hier preist, ist also zum Teil ein inneres und verborgenes, weil unser fleischlicher Stumpfsinn nicht fasst, was es heißt, das Land zu besitzen; aber zugleich erfahren die Gläubigen in Wahrheit durch glänzende Beweise, dass dieses ihnen nicht umsonst verheißen ist. Denn da sie ihren Anker auf Gott geworfen haben, so leben sie von Tag zu Tag ruhig dahin. Und Gott zeigt es in der Tat, dass der Schatten seiner Hand genügt, um sie zu beschützen.

V. 10 u. 11. Es ist noch um ein kleines usw. Dies ist eine Bestätigung des vorhergehenden Gedankens. Man könnte nämlich leicht einwenden, dass die Lage der Welt uns einen ganz anderen Anblick gewähre, als David ihn uns hier beschreibt, da die Gottlosen in ihren Ergötzungen ausgelassen sind, während die Gläubigen in fortwährender Schwachheit elend dahinsiechen. Er warnt uns also vor einem voreiligen Urteil und befiehlt uns, eine kurze Zeit zu warten, bis Gott die Bösen mit Stumpf und Stiel ausreißt, während er an den Gläubigen die Macht seiner Gnade offenbart. Der heilige Sänger fordert also von den Gläubigen die Klugheit, dass sie mit ihrem Urteil eine Zeitlang zurückhalten, bis Gott vom Himmel her zeigt, dass die Zeit zur Erfüllung gekommen ist. Dann werden sie nicht bei dem, was sie gerade im Augenblick sehen, stehen bleiben, sondern ihren Geist zu der Vorsehung Gottes erheben.

Mit gutem Grund werden nun die Leute, von denen es zuvor hieß, dass sie auf Gott harren, jetzt (V. 11) als die Sanftmütigen bezeichnet. Denn wenn man nicht daran festhält, dass Gott die Seinen wunderbar beschützt wie Schafe unter den Wölfen, so wird man immer in Versuchung kommen, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen. Nur die Hoffnung gebiert die Sanftmut, da sie die stürmischen Regungen des Fleisches zügelt und den Eifer beruhigt, und da sie die Menschen, sie sich dem Herrn unterwerfen, zum Gleichmut und zur Geduld erzieht. Übrigens scheint Christus seine Seligpreisung (Mt. 5, 5) aus unserer Stelle entnommen zu haben. Das Wort Frieden wird oft bei den Hebräern im allgemeinen Sinn zur Beschreibung eines glücklichen Zustandes gebraucht. Hier aber werden wir bei seinem eigentlichen engeren Sinne stehen bleiben müssen: während die Gottlosen sich selbst beunruhigen und Gott sie von allen Seiten erschreckt, werden die Gläubigen sich eines großen Friedens erfreuen, - nicht als ob sie von aller Mühsal frei bleiben könnten, aber die innere Gemütsruhe wird sie stärken, und weil sie sich sagen, dass ihre Anfechtungen nur kurze Zeit währen, erquicken sie sich während derselben an der Hoffnung auf die verheißene Freude.

V. 12 u. 13. Der Gottlose sinnt Böses wider den Gerechten.Diese Worte wollen einem Einwurf begegnen, der sich leicht gegen den vorigen Satz erheben konnte. Denn wo ist Friede und heitere Ruhe zu finden, da doch die Frevler wüten und alles gegen die Kinder Gottes in Bewegung setzen? Wie sollten die Gläubigen für die Zukunft guter Hoffnung sein, da sie sehen, dass ihnen von vielen Seiten der Tod droht? David antwortet deshalb, dass, wenn ihr Leben auch von vielen Gefahren umringt ist, sie doch bei allem, was die Frevler unternehmen, durch Gottes Hilfe sicher und unter seinem Schutze geborgen sein werden: sie müssen in Ewigkeit unangetastet bleiben. Es ist also Davids Absicht, unserer Furcht zu begegnen, damit die Bosheit der Gottlosen uns nicht übermäßig erschrecke, als wären wir ihrer Willkür preisgegeben. Er gesteht aber, dass sie sowohl voller List sind, um zu schaden, als auch voll Gift und Galle, und dass sie vor Wut brennen. Er sagt nämlich, dass sie listige Pläne schmieden und ihre Zähne zusammen beißen. Aber nachdem er dieses zugegeben hat, fügt er gleich nachher hinzu, dass alle ihre Anstrengungen umsonst sein werden. Jedoch scheint das, was er sagt, wenig trostreich zu sein, und nicht geeignet, uns von unseren Schmerzen zu erlösen; denn er sagt von Gott nicht mehr, als dass er über die Bösen lacht.Wenn unser Wohl ihm am Herzen liegt, weshalb eilt er dann nicht gleich herbei, um unseren Feinden Widerstand zu leisten? Aber es ist dieses eine notwendige Prüfung unserer Geduld, wie schon zu Ps. 2, 4 gesagt wurde, dass Gott nicht alsbald gerüstet hervortritt, um die Feinde in die Flucht zu schlagen, sondern sie eine Zeitlang gewähren lässt und seine Hand zurückhält. Weil aber unser fleischlicher Sinn meint, dass er dann zu langsam sei, und aus seinem Zögern schließt, dass er in seinem eigenen Frieden ruhe und die menschlichen Dinge vernachlässige, so ist es ein kräftiger Trost, wenn das Auge des Glaubens den Herrn lachen sieht; denn daraus gewinnen wir die Zuversicht, dass er im Himmel nicht müßig ist, noch mit geschlossenen Augen die Regierung der Welt dem Schicksal überlässt, sondern dass er absichtlich zaudert, weil er die Torheit der Bösen verachtet. Und damit unser Fleisch nicht aufs Neue darüber murre, dass Gott lacht, statt zu rächen, so gibt David auch den Grund dafür an: er sieht, dass sein Tag kommt.Wie kommt es, dass wir verwirrt werden, wenn wir uns in unwürdiger Lage befinden? Kommt es nicht daher, dass wir an der Besserung unserer Verhältnisse verzweifeln, wenn sich nicht alsbald Hilfe zeigt? Wer jedoch sieht, dass der Scharfrichter mit entblößtem Schwerte hinter dem Übeltäter steht, der wünscht keine Beschleunigung der Rache mehr, sondern weidet sich vielmehr an diesem frohen Schauspiel. Deshalb erinnert David uns daran, dass es für Gott nicht passen würde, dass er sich ereifere, wie wir es wünschen; denn der Herr sieht, dass die Gottlosen dem Untergang nahe sind. Welch ein Gegensatz zwischen Gott und den Menschen, den wir hier zwischen den Zeilen lesen können! Ihr Auge ist in unruhiger Zeit blind, und sie können vor Angst und Furcht nicht lachen: sie geraten vielmehr in ein unwilliges Toben, weil sie des Wartens müde sind. Aber es ist nicht genug, dass wir erkennen, wie bei Gott die Verhältnisse anders liegen als bei uns, sondern wir müssen auch lernen, geduldig zu weinen, während Gott lacht, damit unsere Tränen Opfer des Gehorsams werden, - und zugleich müssen wir ihn bitten, dass er uns mit seinem Lichte erleuchte. Denn das wird zur Folge haben, dass das, was unser Auge dann sieht, uns mitten in der Traurigkeit an seinem Lachen teilnehmen lässt.

V. 14 u. 15. Die Gottlosen ziehen das Schwert. Jetzt geht David weiter und sagt, dass die Gottlosen mit Schwert und Bogen bewaffnet sind und den Kindern Gottes mit dem Tode drohen. Er tut dieses, um den Versuchungen zuvorzukommen, denen wir sonst unterliegen müssten. Denn die Verheißungen Gottes sind nicht für diejenigen da, die im Schatten und in der Ruhe sind, sondern für solche, die in harten Kämpfen stehen. David lehrt uns jetzt also, dass dem Gerechten dieser Friede, von dem er kurz vorher sprach, keineswegs geraubt wird, wenn auch die Gottlosen bestrebt sind, ihn im Augenblick zu töten. Denn wenn die Sünder auch das Schwert ziehen und den Bogen spannen, so wird doch alles, was sie tun, ihnen selbst zum Verderben gereichen. Beachtung verdienen die Ausdrücke, mit denen die traurige Lage beschrieben wird, in der die Gerechten sich befinden, bis Gott ihnen endlich zu Hilfe kommt. Die Gerechten heißen Elende und Arme.Dann werden sie mit Schlachtopfern verglichen, weil sie gar keine Macht haben, um sich gegen die Gewalt der Feinde zu schützen, sondern vielmehr machtlos zu ihren Füßen liegen. Daraus folgt, dass ihnen unser Psalm durchaus nicht ein Glück verheißen will, das man ununterbrochen und öffentlich wird sehen können, sondern dass ihnen vielmehr in Unglück und Anfechtung eine Hoffnung auf ein glückliches Ende gegeben werden soll, an der sie sich aufrichten können. Da es übrigens oft geschieht, dass die Bösen sich durch eigene Schuld verhasst machen und infolgedessen schwer zu leiden haben, so bezeichnet David die Gläubigen als solche, die rechtschaffen wandeln,um damit anzudeuten, dass sie wider Verdienst bedrückt werden. Früher hat er sie wegen ihrer Herzensgesinnung gelobt, jetzt rühmt er sie wegen ihrer Biederkeit im äußeren Leben. Damit zeigt er eben, dass sie nicht nur ungerecht gequält werden, da sie ihren Feinden hierzu durch keine bösen Taten Veranlassung gegeben haben, sondern dass sie auch selbst dann, wenn man sie durch Ungerechtigkeit zum Kampfe reizt, noch nicht vom rechten Wege abweichen. Jetzt redet aber David nicht mehr von dem Lachen Gottes, sondern er kündigt seine Rache an. Hörten wir doch auch im 2. Psalm, dass wenn Gott sich eine Zeitlang verstellt und es zugelassen hat, dass die Gottlosen ihren Mutwillen treiben, er danach im Zorn zu ihnen redet, um sie zu Boden zu werfen. Kurz, statt etwas zu erreichen, wird das Schwert, das sie gezogen haben, vielmehr in ihr Herz dringen und ihr Bogen zerbrochen werden.

V. 16 u. 17. Das Wenige, das ein Gerechter hat usw. Mögen die Gottlosen in der Welt groß dastehen, großen Reichtum haben und auf ihre Schätze trauen, so hat ein Gerechter an seinem geringen Besitz doch mehr als sie an ihrem großen Haufen. Hieraus schließen wir, dass David nicht so sehr die äußeren Verhältnisse im Auge hat, als vielmehr an den geheimen Segen Gottes denkt, der die Gerechten in Wahrheit reich macht. Denn wenn sie auch nur für den Tag leben, so ernährt Gott sie doch, ebenso wie er einst die Kinder Israel mit Manna gespeist hat, während die Gottlosen immer hungrig sind oder in ihrem Überfluss verkommen. Hierauf bezieht sich auch der Grund, den der nächste Vers angibt: in der Welt ist nichts beständig, was nicht durch Gottes Hand gestützt wird. Nun verkündigt David aber, dass nur die Gerechten von Gott erhalten werden, während er die Kraft der Gottlosen zerbricht. Hier sehen wir aufs Neue, dass wir, um ein richtiges und verständiges Urteil über das wahre Glück zu erlangen, unsere Augen auf die Zukunft richten müssen, vor allem auf die verborgene Gnade Gottes und auf seine jetzt noch verhüllten Gerichte; denn wenn wir nicht überzeugt sind, dass wir in seinem Schoße sitzen, so wird unsere Dürftigkeit uns immer zur Last sein, und ebenso werden wir das Glück der Gottlosen preisen, wenn wir nicht daran denken, dass ihr Arm zerbrochen werden wird. Dagegen wenn die Gläubigen sich diese Lehre recht eingeprägt haben, wenn sie es gelernt haben, sich ruhig auf Gottes Segen zu verlassen, so werden sie nicht nur von ihrem Wenigen viel Freude und Genuss haben, sondern sie werden dann auch tapfer die großen Schätze, mit denen die Gottlosen sich brüsten, wie von oben herab verachten. Zugleich werden wir daran erinnert, dass wir, wenn die Gottlosen sich auf ihre eigenen Kräfte stützen und frech ihrer Macht sich rühmen, warten müssen, bis Gott ihren Arm zerbricht. Für ist es jedoch bei unserer Schwachheit ein Trost, dass Gott selbst uns hält.

V. 18. Der Herr kennt die Tage der Frommen. Nicht ohne Grund kommt die Rede immer wieder darauf zurück, dass die Gerechten deswegen glücklich sind, weil Gott für ihre Notdurft sorgt. Wir wissen ja, wie sehr der Geist der Menschen zu Zweifeln geneigt ist, und wie sie sich mit unnötigen Sorgen plagen, denen sie niemals Maß und Ziel setzen können. Dazu gesellt sich dann noch der andere Fehler, dass sie gar zu vorsichtig und fürsorglich sein wollen: so greifen sie denn bei allem Scharfsinn und Eifer in ihren Plänen fehl, und der Erfolg lässt sie nicht selten im Stich. Daher ist es das Nützlichste, dass wir uns immer Gottes Vorsehung vorhalten, die allein aufs Beste für uns sorgen kann. Aus diesem Grunde sagt David, dass Gott die Tage der Gerechten kenne, d. h. es ihm nicht verborgen ist, wie vielen Gefahren sie ausgesetzt sind und welche Hilfe sie nötig haben. Diese Lehre müssen wir uns bei jeder Erschütterung, die uns zu verderben droht, zu Nutze machen, denn wenn wir auch noch so sehr hin- und hergeworfen werden, und wenn diese Erschütterung uns auch in Todesgefahr bringt, so muss uns dieses doch als Trost genügen, dass Gott nicht nur unsere Tage gezählt hat, sondern dass er auch die verschiedenen Wechselfälle kennt, die wir durchzumachen haben. Wenn Gott so über uns wacht, um unser Wohl zu beschützen, so müssen wir in dieser Fremdlingschaft innerlich ebenso ruhig sein, als wenn wir sicher in unserem Erbteil säßen. Denn daraus, dass Gott uns ansieht, zieht David den Schluss, dass unser Erbe ewiglich bleiben werde. Da er aber sagt, dass die Frommen (wörtlich die Rechtschaffenen) in dieser Weise vom Herrn beschützt werden, so ermahnt er uns dadurch, dass wir uns mit aufrichtigem Eifer der Rechtschaffenheit befleißigen. Wollen wir unter Gottes Schutz sicher geborgen sein, so müssen wir die Sanftmut pflegen und das teuflische Sprichwort von uns verbannen, dass man mit den Wölfen heulen müsse.

V. 19. Sie werden nicht zu Schanden usw. Auch dieser Vers lehrt uns, dass den Gläubigen nicht eine Bewahrung von allen Beschwerden verheißen wird, wie das Fleisch sie sich wünscht, sondern eine solche Erlösung, die zwar in voller Wirklichkeit stattfindet, die man aber doch nur im Glauben erfährt. So wie die Gläubigen in dieser Welt mit den Bösen vermischt sind, so sind auch Hunger und Unglück beiden Teilen gemeinsam, - das eine folgt unabtrennbar aus dem anderen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Gott den Seinen in der Not die Hand reicht, während er die Gottlosen verlässt. Sollte jemand einwenden, dass die Bösen in Zeiten der Hungersnot oft herrlich tafeln und sich reichlich mästen, während die Guten Mangel leiden, so antworte ich, dass die Sättigung, von der hier die Rede ist, vor allem darin besteht, dass Gott die Gläubigen auch bei ärmlichem Leben, ja bei allen Seufzern, die sie in Hunger und Dürftigkeit ausstoßen müssen, nicht minder aus seinem reichen Vorrat ernährt wie die Ungläubigen, die vielleicht die ganze Welt herunterschlingen, ohne wirklich satt zu werden. Hierzu kommt, dass jene zeitlichen Segnungen, wie schon gesagt, nicht immer zu sehen sind, weil sie uns nicht immer in gleicher Weise zuströmen. Denn wenn Gottes Hand auch immer geöffnet ist, so sind wir doch gewöhnlich selbst zu karg, und unsere Untreue steht seiner Wohltätigkeit meistens hindernd im Wege. Ja weil unser Fleisch leicht zügellos wird, so hält Gott uns knapper, um uns nicht durch seine Güte zu verderben, und erzieht uns dadurch zum rechten Haushalten, dass er uns nur ein Weniges von dem gibt, das er unter anderen Umständen in reichem Maße geben würde. Gewiss wird ein jeder, der recht bedenkt, wie sehr wir alle zu einer zügellosen Genusssucht neigen, sich nicht über den Hunger, durch den Gott die Gläubigen übt, wundern. Selbst wenn Gott uns nicht so viel darreicht, als nötig ist, um uns zu sättigen, so würden wir doch, falls unsere Undankbarkeit uns nicht daran hinderte, auch bei Hunger und Mangel es merken, dass wir gütig und freigebig von ihm genährt werden.

V. 20. Denn die Gottlosen werden umkommen. Während die Gerechten in Hunger gesättigt werden, werden die Gottlosen auch mitten im Überfluss zu Grunde gehen, weil Gott sie, während sie auf ihren Vorrat vertrauen, auf geheime Weise vernichten wird. Dass diese Leute Feinde des Herrn heißen, erinnert daran, dass seine Rache sie mit Recht treffen wird, weil sie dieselbe durch ihre Taten verdient haben. Das Köstliche der Lämmer bedeutet ohne Zweifel auserwählte Lämmer, die besonders fett sind. Hieraus lernen wir, was ein anderer Prophet sagt, dass die Gottlosen zum Schlachttage gemästet werden (Jer. 12, 3), so dass ihr Untergang umso rascher kommt, je herrlicher sie gehalten werden. Dass sie umkommen, wie der Rauch vergeht,will besagen, dass sie in kürzester Frist verschwinden sollen, als hätten sie überhaupt keinen festen und greifbaren Körper gehabt.

V. 21 u. 22. Der Gottlose borgt und bezahlt nicht usw. Einige meinen, dass die Gottlosen hier wegen ihrer Unredlichkeit verurteilt werden, weil sie durch Betrug fremdes Gut an sich reißen; dagegen würden die Kinder Gottes wegen ihrer Freundlichkeit gelobt, weil sie bereit sind, dem Mangel ihrer Brüder abzuhelfen. Dies ist aber ein Irrtum. Vielmehr preist der Prophet den Segen, den Gott den Frommen zuteilwerden lässt, und anderseits bezeugt er, dass die Gottlosen nie genug haben. Alles in allem: Gott gibt den Seinen solch reiche Fülle, dass sie auch von ihrem Überfluss anderen mitteilen können; die Gottlosen dagegen müssen immer hungrig sein, so dass der Mangel sie zu Betrügereien und Räubereien treibt. Und gewiss, wenn unsere Augen nicht gar zu gleichgültig und stumpf wären, würden wir hierfür jeden Tag Beweise sehen. Denn mögen die Gottlosen auch noch so großen Überfluss haben, so treibt ihre unersättliche Gier sie doch, nach allen Seiten hin wie Wegelagerer zu rauben, und weil sie zu gierig sind, denken sie auch nie daran, ihre Schulden zu bezahlen. Indessen gibt Gott seinen Kindern nicht nur so viel, dass sie notdürftig leben können, sondern er versorgt sie so reichlich, dass sie auch andere unterstützen können. Allerdings leugne ich nicht, dass die Gottlosen hier getadelt werden, weil sie unmäßig alles verschlingen und dadurch ihre Gläubiger betrügen, und dass die Gerechten gelobt werden, weil sie Gottes Güte zum rechten Zweck gebrauchen, aber die Absicht des Propheten ist doch vor allem, zu zeigen, was Gott Segen vermag.

Dieser Gedanke wird im folgenden Verse, der uns den Gegensatz zwischen Gottes Segen und Fluch vor Augen stellt, des Weiteren bekräftigt. Fragt man also, woher die Kinder Gottes die Mittel haben, um die Armen zu unterstützen und Wohltätigkeit zu üben, und weswegen die Gottlosen Schulden machen und nicht dazu gebraucht werden können, dieselben zu bezahlen, so gibt David zur Antwort, dass jene von Gott gesegnet seien, diese dagegen durch seinen Fluch zu Grunde gehen. Kurz, alles, was wir nötig haben zur Erhaltung unseres Lebens und zu den Werken der Nächstenliebe, bekommen wir weder vom Himmel noch von der Erde, sondern dies ist alles nur ein Ausfluss der göttlichen Güte. Daher, wenn Gott uns seine Gnade entzieht, so kann der Überfluss der ganzen Welt uns nicht genügen.

V. 23. Von dem Herrn wird solches Mannes Gang gefördert. Einige erklären diesen Vers so: Gott fördert durch seine Gunst den Gang der Frommen, weil die Menschen in eigener Kraft das, was recht und billig ist, nicht tun können, sondern nur dann, wenn sie vom Geiste Gottes regiert werden. Die Folge davon ist, dass Gott das begünstigt, was sein Werk ist, und dass er daran sein Wohlgefallen hat. Aber David fährt einfach in der Lobpreisung des göttlichen Segens fort, den er den Frommen zuwendet, und dabei hebt er dieses mit Recht rühmend hervor, dass der Herr alles, was sie unternehmen, zu einem glücklichen und erwünschten Ziele führt. Zu beachten ist zugleich der Grund, weswegen Gott alle Ereignisse im Lebenslauf der Frommen begünstigt und zum Guten wendet. Er tut es, weil sie nichts unternehmen, woran er kein Gefallen hat. Das Bindewort „und er hat Lust an seinem Wege – gibt hier nämlich den Grund an. Der Sinn ist: Weil Gott Wohlgefallen hat an dem Leben der Frommen, deshalb führt er ihre Schritte zu einem erfreulichen Ziele. Weil Gott sieht, dass die Gläubigen auf die Stimme ihres Gewissens hören und nicht von dem Wege, den er ihnen vorgezeichnet hat, abweichen, deshalb segnet er ihre Bestrebungen. Die Worte des Propheten sind allgemein gefasst, aber es ist gewiss, dass er hier nur von den Gläubigen redet. Der „Weg“ des Menschen ist seine Lebensweise; diese hält der Fromme in der Richtung, die Gottes Ruf ihm vorschreibt. Der „Gang“ deutet dann auf die einzelnen Schritte.

V. 24. Fällt er, so wird er nicht weggeworfen.Dieser Vers wird oft als Sprichwort gebraucht in der Bedeutung, dass, wenn der Gerechte auch fällt, sein Fall doch nicht tödlich ist. Aber das ist hier Davids Meinung nicht; denn er redet von dem Glück des Frommen und will uns einfach lehren, dass, wenn Gott seine Diener mit Unglück heimsucht, er dieses zugleich mildert, damit sie nicht davon überwältigt werden. So wie Paulus sagt (2. Kor. 4, 9): „Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“ Einige meinen, dass die Gerechten deswegen nicht umkommen, weil sie den Mut nicht verlieren, sondern vielmehr mit unbesiegter Tapferkeit jede Last ertragen, die ihnen auferlegt wird. Gewiss gebe ich zu, dass sie aus dem Grunde nicht überwältigt werden, weil sie wegen ihrer Biegsamkeit den Lasten nicht unterliegen; doch sagen diese Worte nach meiner Meinung noch mehr, nämlich dass Gottes Milde die Beschwerden der Frommen derartig erleichtert, dass sie durch die Last derselben nicht aufgerieben werden, und dass sie, wenn sie auch fallen, doch nicht zu Boden stürzen. Aus diesen Worten lernen wir, dass die Gläubigen, obgleich sie den Herrn rein verehren und sich der Unschuld befleißigen, doch nicht immer beständig in demselben Stande bleiben, sondern durch viele Mühsale erschüttert und niedergeworfen werden, und dass der Unterschied zwischen ihnen und den Ungläubigen allein darin besteht, dass ihr Fall kein tödlicher ist. Wir wissen ja, dass wenn Gott die Verworfenen auch nur leicht schlägt, dieses sie doch in das äußerste Verderben bringt. Salomo geht noch weiter, wenn er sagt (Spr. 24, 16): „Der Gerechte fällt siebenmal und steht wieder auf.“ Mit diesen Worten erinnert er, dass die Frommen nicht bloß je und dann im Leben durch Unglück betroffen, sondern in täglichen Prüfungen erprobt werden, dass der Herr sie aber niemals verlässt. Es ist auch noch kurz zu bemerken, dass der geringste Fall genügen würde, uns zu vernichte, wenn Gott nicht seine Hand über uns hielte.

V. 25. Ich bin jung gewesen usw. Der Sinn dieser Worte ist durchaus nicht zweifelhaft. David sagt, dass er schon alt sei, aber noch nie gesehen habe, dass ein Gerechter oder eines seiner Kinder um Brot gebettelt habe. Aber wenn wir auf die Sache selbst sehen, so erhebt sich für uns eine verwickelte Frage: denn es steht fest, dass sehr viele Gerechte an den Bettelstab gekommen sind. Was David hier aber von seinen Erfahrungen sagt, beansprucht Bedeutung für alle Zeiten. Hierzu kommt, dass er diesen Gedanken von Mose entlehnt hat. Denn Betteln wird 5. Mo.15, 4 unter die Folgen des göttlichen Fluches gezählt, und das Gesetz sagt ausdrücklich, dass solches die Verehrer Gottes nicht treffen wird. Wie reimt es sich nun, dass nie ein Gerechter ein Bettler gewesen sein soll, und dass doch Christus den Lazarus (Lk. 16, 20) unter die verachtetsten Bettler stellt? Ich antworte, dass wir im Gedächtnis behalten müssen, was ich früher angedeutet habe, nämlich, dass wir bei den zeitlichen Segnungen Gottes kein bestimmtes und gleiches Maß feststellen können. Es gibt nämlich viele Gründe, derentwegen Gott in dieser Welt seine Gunst nicht allen Frommen äußerlich erweisen kann, und die ihn bestimmen, die Einen zu züchtigen, während die Anderen verschont bleiben. Bei dem Einen sind solche Züchtigungen nötig, um ihn von verborgenen Krankheiten zu heilen, und an den Anderen geht er deswegen vorüber, weil sie ein solches Heilmittel nicht nötig haben. Einige prüft er in der Geduld entsprechend dem Geiste der Tapferkeit, mit dem er sie früher ausgerüstet hat. Einige stellt er endlich als Beispiel hin. Aber alle ohne Ausnahme demütigt er durch die Zeichen seines Zorns, um sie durch solche Reizmittel zur Buße zu führen. Endlich sucht er durch mannigfache Heimsuchungen ihre Gedanken auf das himmlische Leben zu richten. Trotzdem ist es nicht eitel und leer, was das Gesetz verkündigt, dass Gott seine Diener irdischer Wohltaten würdige, in denen er ihnen Zeugnisse seiner gnädigen Gesinnung gibt. Ich gestehe deshalb, dass das Gesetz nicht umsonst und ohne Grund den Gläubigen eine solche Fülle verspricht, dass sie genug zum Leben haben sollen; nur muss als Beschränkung hinzugefügt werden: sofern Gott sieht, dass es ihnen nützlich ist. So bleibt es im Allgemeinen dabei, dass im Leben der Menschen Gottes Segen sich auswirkt, und dass doch manche Gläubige Mangel leiden, weil es ihnen so nützlich ist. Sollte es also je einem Gläubigen zustoßen, dass er an den Bettelstab kommt, so muss er seine Gedanken zu jenem seligen Erbe erheben, durch welches Gott reichlich ersetzen wird, was jetzt an vergänglichen Segnungen fehlt. Und ebenso müssen wir anerkennen, dass nichts Widersinniges darin liegt, wenn die Gläubigen dieselben Strafen treffen wie die Gottlosen, und wenn sie von denselben Krankheiten befallen werden. Denn wenn sie auch nicht so weit gehen, dass sie Gott verachten, wenn sie auch den Lastern nicht ergeben sind, wenn sie auch kein Gefallen an sich selbst haben, wenn sie auch nicht in ihren Fehlern beharren, so sind sie doch nicht von aller Schuld frei. Daher brauchen wir uns auch nicht darüber zu wundern, dass ihnen bisweilen zeitliche Strafen auferlegt werden. Aber dabei bleibt es doch Wahrheit, dass Gott für die Seinen sorgt, so dass sie mit ihrem Lose zufrieden sein können und nichts bedürfen. Denn weil sie einfach leben, so haben sie ein gutes Auskommen; wie Paulus sagt (Phil. 4, 12): „Ich habe gelernt, übrig zu haben und Mangel zu leiden.“

V. 26. Er ist allezeit barmherzig. Damit wird wiederholt, was wir schon hörten, dass Gottes Gnade eine unerschöpfliche Quelle aller Güter ist. Wenn der Herr also den Gläubigen spendet, so gibt er ihnen nicht nur genug für ihren eigenen Gebrauch, sondern er setzt sie auch in den Stand, anderen mitzuteilen. Dass der Same des Gerechten gesegnet wird, wäre wörtlich zu übersetzen: er „ist zum Segen“. Dies verstehen manche Ausleger so, dass auch er in die Fußstapfen der Väter treten und die von Gott empfangenen Wohltaten an Arme weitergeben, überhaupt sich freundlich erweisen wird. Einfacher ist doch der Sinn, dass auch er gesegnet sein soll: Gottes Gunst geht von den Vätern auf die Kinder über. Wenn ein Gerechter stirbt, so erlischt Gottes Segen nicht, sondern vererbt sich auch auf die Kinder. Und sicherlich ist es das sicherste Erbe für unsere Kinder, wenn Gott sie zugleich mit uns in seine Gunst einschließt und sie zu Mitgenossen seines Segens macht.

V. 27. Lass vom Bösen. In diesem Verse zieht David den Schluss, dass wir, wenn wir das Glück, von dem er geredet hat, genießen wollen, uns von jeder Ungerechtigkeit rein halten müssen: insbesondere sollen wir die Werke der Nächstenliebe üben und uns der Wohltätigkeit befleißigen. Allerdings entspricht dieser Satz nicht unserem fleischlichen Sinn. Aber doch ist es gewiss, dass das ganze menschliche Geschlecht nur aus dem Grunde so viel Ungemach und Beschwerden zu leiden hat, weil ein jeder für sich Ungerechtigkeiten, Betrügereien, Räubereien und Schlechtigkeiten ergeben ist und dadurch Gottes Segen von sich weist. Die Menschen sind also selbst schuld daran, dass sie in dieser Welt nicht glücklich leben und dass nicht ein jeglicher fröhlich und ruhig besitzt, was sein ist. Nicht ohne Grund geht David daher von der vorhergehenden Belehrung zu dieser Ermahnung über. Denn weil die Sanftmütigen das Erdreich besitzen werden, so muss ein jeder, der wünscht, dass es ihm gut gehe, auch danach trachten, rechtschaffen und wohltätig zu werden. Zu beachten ist auch, wie diese beiden Stücke nicht ohne Grund zusammengestellt werden, dass die Gläubigen sich des Wohltuns befleißigen und sich aller bösen Taten enthalten sollen. Denn wie wir bei Ps. 34 gesehen haben, geschieht es oft, dass einer sich nicht nur leutselig gegen bestimmte Menschen zeigt, sondern auch mit vollen Händen von dem Seinen austeilt, aber dabei andere beraubt, um seine Freigebigkeit zeigen zu können. Wer also wünscht, dass seine Taten Gott gefallen sollen, muss sich in der Weise um seine hilfsbedürftigen Brüder verdient machen, dass er nicht dem einen zum Schaden des anderen hilft, noch den einen dadurch erheitert, dass er den anderen betrübt. Mit diesen Worten fasst David kurz die Gesetze der zweiten Tafel zusammen. Die Gläubigen sollen erstens ihre Hände von jeglichem Schaden rein halten, damit sie niemandem Ursache zum Klagen geben, zweitens sollen sie nicht sich selbst leben, noch auf ihren eigenen Vorteil bedacht sein, vielmehr muss es ihr Wunsch sein, auch, so viel es in ihrer Macht steht, der Gesamtheit zu nützen. Wir haben aber schon vorher gesagt, dass dieser Segen Gottes, der den Gerechten verheißen wird, nicht immer in gleicher Weise in Erscheinung tritt: man sieht nicht immerdar,dass sie auf Erden sicher wohnen.Wir erkannte auch den Grund davon: Gott findet unter seinen Menschenkindern äußerst selten ein Beispiel untadelhaften Wesens; auch Leute, die vor anderen fast vollkommen scheinen, schaffen sich durch eigene Schuld allerlei Elend. So dürfen wir uns nicht wundern, dass Gott seinen Segen zurückhält, wenn nicht ganz, so doch teilweise. Dann wissen wir ja auch, wie wild die Begierden unseres Fleisches werden, wenn Gott sie nicht zügelt. Hierzu kommt noch, dass ohne immer wiederholten Anreiz niemand mit rechtem Ernst nach dem himmlischen Leben trachtet. Aus alledem ergibt sich dann, dass der Besitz des Landes, den David Gottes Kindern verheißt, nicht immer ein fester Wohnsitz ist: denn sie leben oft in Unruhe und Verstörung. Und doch ist es keine Lüge, was er verheißt: die obgleich die allgemeine Erfahrung es noch nicht deutlich zeigt, dass die Kinder Gottes die Erben des Landes sind, so merken wir doch nach dem Maße unseres Glaubens, was der Segen Gottes vermag, der wie eine unerschöpfliche Quelle fortwährend sprudelt. Sicherlich sind die mehr als blind, die nicht sehen, dass Gott den Gerechten schon jetzt dadurch vergilt, dass er sie mit seinem Schutz umfängt und deckt.

V. 28. Denn der Herr hat das Recht lieb. Das ist eine Bestätigung des vorangehenden Gedankens, die deshalb besondere Beachtung verdient, weil sie sich auf den tieferliegenden Grundsatz stützt, dass der Herr überhaupt an Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit Gefallen hat. Doch scheint dieser Beweisgang eine Lücke zu haben: dieselbe wird aber dadurch geschlossen, dass David ohne weiteres voraussetzen kann, woran kein frommes Herz zweifelt, dass Gottes Vorsehung die Welt regiert. Halten wir denn vor allem fest, dass dem Herrn der Zustand des Menschengeschlechts am Herzen liegt, dass nichts durch Zufall geschieht, sondern dass sein Rat alles bestimmt, so dass alle Ereignisse durch seinen Willen geordnet und durch seine Hand regiert werden. Dazu ist zweitens zu fügen, was David sagt, dass Gott Gefallen an Gerechtigkeit hat. Daraus folgt dann, dass ein jeder, der gerecht und unschuldig unter den Menschen lebt, glücklich sein wird, weil, wenn Gott ihm gewogen ist, ihm alles gelingen muss. Dabei wollen wir gedenken, wie die ganze Verheißung daran hängt, dass Gott den Schutz der Frommen in seine Hand genommen hat, - nicht als hegte er sie immer in Schatten und Muße, aber doch so, dass er nach vieler Kreuzesübung ihnen immer wieder durchhilft. Denn ein großes Gewicht haben die Worte: Er verlässt seine Heiligen nicht. Wer die Gnade, die Gott seinen Gläubigen in diesem Leben erweist, von der Hoffnung und der Geduld trennt, erklärt diesen Psalm ganz verkehrt. Ja, damit keiner ein voreiliges Urteil fälle, fordert der heilige Sänger sogar die frommen Herzen auf, zu warten, bis Gott sein Gericht nach dem Tode der Gottlosen an ihren Nachkommen offenbare: der Gottlosen Same wird ausgerottet. Vollzieht also Gott sein Gericht auch nicht sofort an den Gottlosen und Übeltätern, so wird es ihnen doch in ihren Kindern übel ergehen, welche die gerechte Strafe ereilen wird. Wenn nun aber der Fluch Gottes noch nicht gleich in Wirkung tritt, so dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn er seine Gunst über seine Gläubigen noch verborgen hält.

V. 29. Die Gerechten erben das Land. Die Wiederholung dieses Gedankens ist nicht überflüssig, da es sehr schwer hält, ihn unserem Herzen einzuprägen. Denn während alle nach Glück trachten, erwartet es doch unter Hunderten kaum einer von Gott; vielmehr glauben die Menschen am besten für sich zu sorgen, wenn sie den Herrn um die Wette und wie mit Absicht zur Rache reizen, indem die Einen sich mit Betrug und Meineid beflecken, andere rauben, andere Rohheiten jeder Art verüben und andere wiederum mit Mord und Giftmischerei wüten. Wie es zu verstehen ist, dass die Gerechten ewiglich im Lande wohnen, haben wir schon öfter gesagt: unter allen Unruhen und Stürmen deckt Gott sie mit seinen Flügeln, und während sonst nichts unter dem Monde Bestand zu haben scheint, birgt er sie wie in einem sicheren Hafen. Hierzu kommt dann noch die innere Ruhe, die mehr gilt als hundert Leben und die mit Recht als ein unvergleichliches Vorrecht angesehen wird.

V. 30 u. 31. Der Mund des Gerechten redet Weisheit. Da es den Heuchlern eigen ist, sich getrost alles, was der heilige Geist von den Gerechten und Rechtschaffenen sagt, anzueignen, so bestimmt David die Gerechtigkeit genauer, die Gott von seinen Kindern fordert. Er teilt sie in drei Hauptstücke: Ihre Rede soll lauter sein, das Gesetz des Herrn soll in ihrem Herzen herrschen, und drittens sollen sie einen rechtschaffenen Lebenswandel führen. Das erste Glied ist schwerlich darauf zu beschränken, dass die Gerechten als Lehrer und Führer für andere Weisheit reden. Denn „Weisheit“ und Recht bildet hier einen Gegensatz einmal zu allen unheiligen und unreinen Reden, mit denen die Gottlosen des Herrn Namen auszutilgen suchen, dann zu allerlei Schlichen, Betrügereien und Nachstellungen, sowie zu unrechtmäßigen Drohungen und Einschüchterungen. Der Sinn ist also, dass die Gerechten mit Ehrfurcht und Scheu Gottes Gerechtigkeit preisen, um sich und andere zu völliger Frömmigkeit zu erziehen, zweitens dass sie bei ihren eigenen und bei fremden Sachen ohne Winkelzüge tun, was recht ist, und nicht pfiffig dem Bösen einen guten Schein zu geben suchen, und endlich, dass sie nie von der Wahrheit abgehen.

Hinzugefügt wird dann (V. 31), dass der Gerechte sich rein hält in seinem Herzen. Das ginge zwar der Ordnung nach eigentlich voran, aber die Schrift hält bei Aufzählung der Tugenden nicht immer eine peinliche Folge inne. Diese Reinheit des Herzens findet sich aber dort, wo dem Menschen das Gesetz seines Gottes ins Herz geschrieben ist. Denn dieses allein ist die rechte Richtschnur für das Leben und ist auch allein imstande, die schlechten Neigungen und Begierden zu zügeln und die Herzen zum Streben nach Gerechtigkeit zu erziehen. Denn nur der wird unentwegt einem rechtschaffenen Wesen nachjagen, nur der wird ohne Rücksicht auf sich selbst den Brüdern dienen, die Habsucht zurückdämmen, den Zorn zügeln und wider seinen eigenen Sinn Krieg führen, der mit Furcht Gottes begabt ist. Endlich folgt das dritte Stück, das sich auf das äußere Leben bezieht: seine Tritte gleiten nicht. Dies fassen allerdings manche Ausleger als eine Verheißung; ich zweifle aber nicht, dass David noch in der Beschreibung der Gerechtigkeit fortfährt. Der Sinn ist dann, dass die Kinder Gottes nicht schwanken, obgleich viele Versuchungen zur Sünde an sie herantreten und nur zu viele Menschen sie, so viel sie nur können, durch ihre Schlechtigkeit von der Furcht Gottes abzubringen suchen. Denn weil das Gesetz Gottes ihr Herz in Besitz genommen hat und sie regiert, so bleiben sie immer ihrem Vorsatze treu und beharren auf dem rechten Wege.

V. 32 u. 33. Der Gottlose lauert auf den Gerechten.Jetzt wird noch deutlicher beschrieben, in welchem Sinne und welcher Art die Frommen das Erdreich besitzen werden: Gott schützt die Seinen, wenn sie auch auf allen Seiten von Feinden umlagert werden. Daraus ergibt sich von neuem der Rückschluss, dass ihnen zuvor nicht etwa ein ganz ruhiger, von allen Beschwerden freier Stand verheißen werden sollte. Denn es würde nicht zusammenstimmen, dass die Gläubigen ruhig und vergnügt in ihrem Erbe säßen, und dass sie dort wie Schafe täglich aus dem Rachen der Wölfe gerissen werden müssen. Indessen enthalten diese beiden Verse den herrlichen Trost, dass sie trotz mannigfachen Schadens doch durch Gottes Schutz erhalten bleiben werden. David erinnert also die Gläubigen im Voraus daran, dass sie, wenn sie sehen, wie ihre Feinde auf sie lauern und darauf sinnen, ihnen auf alle Weise zu schaden, ihre Augen davon abwenden und vielmehr darauf blicken müssen, wie besorgt Gott für das Wohl der Seinen ist, und wie sehr er darüber wacht, dass sie unverletzt bleiben. Allerdings gesteht David, dass die Nachstellungen, mit welchen die Gottlosen nicht nur nach den Gütern, sondern auch nach dem Leben der Guten trachten, an und für sich schrecklich sind, weil sie sich grausam zu ihrem Untergange verschwören. Und doch befiehlt er den Gläubigen, mit ungebrochenem Mute auszuharren, da Gott verheißt, dass er als Rächer erscheinen werde. Zu beachten ist auch, welcher Art diese Erlösung sein wird: Gott wird damit nämlich solange warten, bis sie in Todesgefahr sind.

Das folgende Glied (V. 33) enthält die weitere Erinnerung, dass, wenn die Guten sich auch noch so sehr vor jeder Missgunst hüten, wenn sie auch versuchen, sich um alle verdient zu machen, wenn sie auch alle Beleidigungen und jeden Zank vermeiden, sie trotzdem falschen Anklagen ausgesetzt sein werden. David verkündigt nämlich nicht, dass die ganze Welt ihnen Beifall klatschen und ihre Tugenden preisen werde, wie sie es verdient haben, sondern er befiehlt ihnen, wenn sie vor Gericht gestellt und so mit Verleumdungen belastet werden, dass sie schon wie verurteilt dastehen, sich damit zufrieden geben, dass Gott sie beschützt, und dass er endlich ihre Unschuld gegenüber dem unbilligen Urteil jener beweisen werde. Sollte jemand hiergegen einwenden, dass viele von den Kindern Gottes, nachdem sie verurteilt waren, mit einem grausamen und bitteren Tode bestraft worden sind, so antworte ich, dass trotzdem ihr Rächer im Himmel ist. Auch Christus, obgleich er unter der größten Schmach zu dem grausamsten Tode geschleppt wurde, ist doch aus der Angst und dem Gericht genommen worden, wie Jesaja (53, 8) sagt. Und so handelt Gott täglich mit seinen Gliedern. Sollte man diesem wiederum entgegenhalten, dass David hier nicht vom zukünftigen, sondern vom zeitlichen Leben redet, so verweise ich auf das, was ich schon früher zur Lösung dieser Schwierigkeit gesagt habe, nämlich dass Gott seine Segnungen nach seinem Rate einschränkt, dass er, je nachdem er es für gut hält, sie bald ganz oder zum Teil zurückhält, bald in Erscheinung treten lässt, und dass sie den Gläubigen nicht immer in gleicher Weise zuströmen. So wird es den heiligen Blutzeugen geschehen, dass Gott, nachdem Menschen sie verurteilt haben, sie dem Tode überlässt, als hätte er sie verlassen: und das wird ihnen nicht vielleicht darum zu teil, weil sie selbst nichts Besseres und Wünschenswerteres kennen, als Gottes Ehre durch ihren Tod zu verherrlichen. Dabei hört derselbe Gott, der die Gottlosen ungezügelt ihre Wut ausüben lässt, nicht auf, als Verteidiger für die Gerechtigkeit der Seinen einzutreten: er bekennt sich zu ihnen vor den Engeln und der ganzen Gemeinde und zeigt, dass er Rächer sein will. Ja, er hebt sie aus der Finsternis, in die sie versenkt waren, empor und schafft dadurch, dass von ihrer Asche ein lieblicher Geruch ausströmt. Endlich wird der Herr, nachdem er es eine Zeitlang geduldet hat, dass sie mit unwürdiger Schande bedeckt wurden, selbst seinen Urteilsspruch verkündigen und dadurch ihre gerechte Sache von allen ungerechten Schmähungen reinigen.

V. 34. Harre auf den Herrn. Aufs Neue wendet David sich der Ermahnung zu, damit die Gläubigen auf Gottes Verheißungen vertrauen und, auf sie gestützt, sich durch keine Versuchungen hierhin und dorthin auf krumme und verkehrte Wege bringen lassen, sondern standhaft im Gehorsam gegen Gott verharren. Zuerst ermahnt er sie also zur Hoffnung und zur Geduld. Damit will er ihnen sagen, dass sie, wenn alles in Unordnung ist, auf Gott sehen und ruhig warten müssen, bis er ihnen sein Angesicht, das er verborgen hat, aufs Neue zeigt. Das wird dann zur Folge haben, dass sie von dem Wege des Herrn nicht abweichen. Denn wenn die Hoffnung und die Geduld wirksam sind, so werden diese leicht die Geister zügeln, dass sie nicht auf Unerlaubtes verfallen. Denn gewiss werden wir finden, dass ein jeder deswegen durch schlechte Künste für seinen Vorteil sorgt, weil keiner auf Gott vertraut oder doch meint, dass er sich umsonst bemühe, rechtschaffen zu leben, wenn das Glück ihm nicht alsbald lächelt. Ferner sollen wir aus dieser Stelle lernen, dass wenn viele rechtschaffene und einfältige Leute ihr Leben traurig unter fortwährenden Beschwerden hinbringen, sie diese Strafe verdient haben, da kaum unter hundert einer geduldig auf Gott wartet und den rechten Weg verfolgt. Und erst recht halten sie nicht daran fest, dass es sein eigentliches Geschäft ist, nicht nur die Seinen aus dem Staube zu erheben, sondern sie auch aus dem Grabe zu erlösen. Nicht ohne Grund gebraucht David das Wort „erhöhen“. Er gibt damit zu verstehen, dass Gott den Gläubigen oft dann erst die Hand entgegenstreckt, wenn es scheint, dass sie durch die Last der Leiden erdrückt werden. Sodann wird hinzugefügt, dass die Gottlosen vor den Augen der Frommen untergehen sollen. Denn wenn der Ausgang anders wäre, so würden auch die Besten leicht durch das Glück, dessen die Verworfenen sich für eine Zeit erfreuen, zur Sünde verführt werden. Und fürwahr, Gott würde uns täglich durch solche Schauspiele erfreuen, wenn wir Augen hätten, um seine Gerichte zu schauen. Und doch, obgleich die ganze Welt blind ist, hört Gott doch nicht auf, die bösen Taten der Welt gerecht zu vergelten. Aber weil er dies mehr im Verborgenen tut, entzieht er uns diese Frucht, um die uns also unser stumpfer Sinn betrügt.

V. 35 u. 36. Ich habe gesehen usw. Jetzt bestätigt David, was er soeben sagte, aus eigener Erfahrung. Wenn die Gottlosen sich auch durch ihr Glück, das jedermann bewundert, berauschen lassen, so ist dasselbe doch hinfällig und vergänglich und deshalb nichts als eitler Schein. So hören wir denn zuerst, dass es nichts Neues und Unerhörtes ist, wenn ein Gottloser im Stolz über sein Glück sich nach allen Seiten ausbreitet und einfältigen Gemütern dadurch Furcht einflößt. Sofort aber wird hinzugesetzt, dass diese viel bewunderte Größe alsbald verschwinden müsse.

V. 37 u. 38. Beobachte den Frommen. David ermahnt die Gläubigen, alle Beispiele der Gnade und des Gerichts Gottes, die ihnen begegnen, sorgfältig zu beachten, und zugleich lehrt er, dass es verkehrt sei, sich ein Urteil nach dem ersten Eindruck zu bilden. Denn wenn man nicht mit ruhigem Gemüt wartet, bis die gelegene Zeit gekommen ist, die Gott nach seinem Willen bestimmt hat, so wird der Glaube erlöschen und zugleich die Wirkung der Verheißungen Gottes verloren gehen. Darum werden die Gläubigen ausdrücklich aufgefordert, genau zu beobachten und sich umzusehen. Denn wenn das erste Bild, das unseren Augen sich darbietet, unsere Sinne gefangen hält, so werden wir durch voreiliges Urteilen auf verkehrte Gedanken kommen. Wenn dagegen jemand wie von einer hohen Warte aus weit in die Ferne blickt, so wird er erkennen, wie wahr es ist, dass für die letzte Zukunft die Verworfenen von den Gerechten geschieden werden. Dieser Satz scheint eine Art Einschränkung zu enthalten. Wir sollen daraus lernen, mit unserem Urteil zu warten, wenn Gott das, was er bislang gesagt hat, nicht sofort ausführt. Wenn unsere Wünsche zu stürmisch sind, so müssen wir sie alsbald damit beruhigen, dass das Ende noch nicht gekommen sei, und dass man dem Herrn Zeit lassen müsse, um das, was verwirrt ist, in Ordnung zu bringen. Wenn Gott seine Diener hart geprüft hat, so segnet er sie wieder in ihrem Unglück, während er hingegen die Freude der Gottlosen in Trauer verkehrt.

V. 39 u. 40. Aber der Herr hilft den Gerechten. Der kurze Inhalt dieser Stelle ist: Was auch geschehen mag, die Gerechten werden doch erhalten bleiben, weil sie in Gottes Hand sind und er sie nie vergessen kann. Dieses ist wohl zu beachten, weil nun auch die Allerelendesten die gewisse Zuversicht fassen dürfen, dass das Heil, das sie von Gott erwarten, unbedingt feststeht, weil Gott ewig ist und durch seine Herrschaft die Welt regiert; wie Christus sagt (Joh. 10, 29): „Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles.“ Zu Grunde liegt wiederum die Voraussetzung, dass Gott darum seine rechten Anbeter nicht verlassen noch seiner Hilfe berauben kann, weil ihm ihre Gerechtigkeit wohlgefällig ist. Daher heißt David die Gläubigen sich auf Gott verlassen, nicht bloß wenn alles nach Wunsch geht, sondern auch unter dem Druck der Anfechtung. Mit diesen Worten lehrt er, dass es genug ist, wenn Gott seinen Dienern Kraft gibt, damit sie nicht in der Angst verzagen oder seufzend den schweren Leiden unterliegen.

Hierauf bezieht es sich auch, dass David zweimal (V. 40) das Wort „erretten“ einschaltet. Die Kinder Gottes sollen sich daran gewöhnen, die Versuchungen zu ertragen. Und wenn Gott sie längere Zeit hinhält, so sollen sie sich immer wieder vorhalten, dass er sie endlich befreien wird, nachdem er ihre Geduld genügend erprobt hat.

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