Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 33.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 33.

V. 1. Weh aber dir, du Verstörer! Der neue Abschnitt, der hier beginnt, richtet sich, darin stimmen alle Ausleger überein, gegen Sanherib und sein Heer. Ich pflichte meinerseits dieser Ansicht bei, dass hier den Assyrern, die alle ihre Nachbarvölker in ungerechter Weise bedrückten, die Strafe angekündigt wird, welche die Leiden und Beschwerden des Volkes Israel lindern sollte. Von einem wunderbaren Umschwung der Dinge redet der Prophet. Das blühende Ninive soll zerstört werden, obwohl es unüberwindlich scheint. Die feindlichen Chaldäer werden kommen und die Grausamkeiten rächen, die sie gegen so viele Völker verübt haben. Um seiner Rede besonderen Nachdruck zu geben, redet der Prophet die Assyrer persönlich an: Weh dir, du Verstörer! Und du Räuber! Jetzt dürft ihr ungestraft wüten, keine Macht widersteht euch. Aber meinst du, deine Gewalttaten würden dir ungestraft hingehen? Einst kommen Leute, die dir Gleiches vergelten werden! Diese Sätze wollen das schändliche Treiben der Feinde recht hervorheben, die in ihrer Beutegier niemanden schonten, auch die Unschuldigen nicht, die ihnen nichts zuleide getan hatten. Wenn nun die Juden solch zügelloses, ungerechtes Treiben sahen, sollten sie daran denken, dass es einen gerechten Gott gibt und solche Dinge nicht ungestraft bleiben würden.

Wenn du das Verstören vollendet hast, so wirst du auch verstöret werden. Hier im zweiten Teil des Verses weist der Prophet darauf hin, dass die Assyrer nur darum jetzt rauben, weil Gott es ihnen erlaubt. Einst aber wird er sie daran hindern, dann werden sie keine Kraft mehr zu schaden haben. Den Tyrannen sind also Grenzen gesteckt, die sie nicht überschreiten dürfen. Solange sie auf dem ihnen gewiesenen Wege sind, wüten sie; am Ziele jedoch, wenn es zum Äußersten gekommen ist, müssen sie Halt machen. Mit solchem Troste sollen wir uns aufrichten, wenn wir sehen, wie freche Tyrannen in schändlicher Weise gegen die Kirche Gottes wüten. Der Herr ruft ihnen doch zuletzt ein Halt zu, und je grausamer sie waren, ein umso schlimmeres Gericht wird über sie ergehen. Der Herr wird sie verderben in einem Augenblick. Ihnen selbst erweckt er wieder Feinde; von diesen werden sie dann vernichtet und müssen so für ihre Freveltaten büßen. In solchen staatlichen Umwälzungen kann man Gottes Vorsehung erkennen. Die Gottlosen wähnen, alles geschehe von ungefähr, unter dem Einfluss eines blinden Schicksals. Darüber müssen wir ganz anders denken. Der Herr vergilt den Gottlosen nach Verdienst; sie müssen es erfahren, dass die Grausamkeit, die sie gegen Unschuldige ausüben, nicht ungestraft bleibt. Die Wahrheit dieser Weissagung wurde durch die Folgezeit bestätigt. Denn nicht lange nachher wurde Ninive von den Chaldäern bezwungen und ging unter; ja es wurde so gründlich zerstört, dass es selbst seinen Namen dabei verlor. An seine Stelle trat das nicht minder räuberische Babylon. Mit Recht sagt also der Prophet: „wenn du des Raubens ein Ende gemacht hast, wird man dich wieder berauben.“

V. 2. Herr, sei uns gnädig, denn auf dich harren wir. Der Prophet erinnert die Frommen daran, wohin sie in solchen Nöten ihre Zuflucht nehmen sollen, auch wenn sie aller Hoffnung auf Rettung beraubt zu sein scheinen. Zum Gebet sollen sie dann ihre Zuflucht nehmen. Um Erfüllung solcher Verheißungen sollen sie dann vor allem bitten, wenn sie tief im Elend stecken und die Feinde sie schmählich bedrücken mit übergroßer Macht. Darauf ist hier besonders zu achten, dass, nachdem ihnen Gottes Verheißung vorgehalten ist, sie sogleich zum Bitten ermahnt werden. Ja, der Prophet unterbricht den Faden seiner Rede und geht plötzlich zum Bitten über. Er sah, wie schwer es für die so hart heimgesuchten Juden sein musste, von der Furcht, von der sie fast zu Tode geängstigt waren, loszukommen. Wenn auch der Herr eilt, seine Verheißungen zu erfüllen, so zögert er doch je und dann, um uns in der Geduld zu üben. Sobald wir aber aufs Warten angewiesen sind, fehlt uns standhafte Geduld. Alsbald wird unser Mut gebrochen und sinkt hin. Deshalb sollen wir zum Gebet unsere Zuflucht nehmen. Durchs Gebet allein können unsere Herzen wieder aufgerichtet und von neuem belebt werden; auf Gott müssen wir schauen und das Verlangen haben, durch ihn allein aus unsern Nöten herauszukommen. Lasst uns nur geduldig ausharren in unerschütterlicher Hoffnung und im Vertrauen auf seine Verheißungen. Er wird sich doch zuletzt als treu erweisen, er betrügt uns nicht. Zugleich weist der Prophet darauf hin, dass in dem Gottesgericht gegen die Assyrer Gottes väterliche Gunst gegen sein auserwähltes Volk zu erkennen sei. Jene, will er sagen, sollen nicht nur deshalb verstört werden, damit sie den gerechten Lohn für ihre Habsucht und Grausamkeit empfangen, sondern auch deshalb, weil Gott auf diese Weise für das Heil seiner Kirche Sorge tragen will. Wenn der Prophet uns übrigens ermahnt, um Gnade und Erbarmen zu bitten, so bezeugt er damit, dass wir in einer erbarmenswerten Lage uns befinden. Wenn ferner die Gläubigen sich gegenseitig zum Ausharren ermuntern, so bezeugen sie damit, dass sie auf den Gott, den sie anrufen, ihre Hoffnung setzen. Und sicherlich sind unsere Gebete eitel und nichtig, wenn sie nicht auf diesem Grunde ruhen. „Deine Gnade sei über uns“, sagt David (Ps. 33, 22), „wie wir auf dich hoffen.“ Es wäre aber verwegen, vor Gottes Angesicht zu treten, wenn er nicht selber uns den Zutritt zu sich eröffnete. Wie er uns nun freundlich und gütig einlädt, so müssen wir auch sein Wort und seine Verheißungen umfassen, so oft wir ihm nahen. Dann aber muss zum Glauben auch die Geduld kommen. Fehlt der Glaube, dann verdienen wir es nicht, dass der Herr uns erhört. Wir beten dann ja nicht aus dem Glauben heraus. Allein aus dem Glauben wird ein rechtes Gebet geboren, wie die Schrift an zahlreichen Stellen bezeugt. Fehlt uns derselbe, dann steckt nur Heuchelei in uns, vor Gott das Verabscheuenswerteste, was es gibt. Auch das sollen wir hier lernen, dass der Glaube im Unglück auf die Probe gestellt wird. Darin beweisen wir denselben in Wahrheit, wenn wir in unerschütterlicher Geduld allen Gefahren und Beschwernissen gegenüber ausharren und unsere Ruhe finden in dem Worte und den Verheißungen Gottes. Dann beweisen wir durch die Tat, dass wir wahren Herzensglauben besitzen.

Der du ihr Arm warst … sei auch unser Heil. Andere übersetzen: „Sei ihr Arm … dazu unser Heil.“ Aber nur bei unserer Übersetzung erklärt sich der Wechsel der Person. Der Prophet erinnert an die Wohltaten, welche der Herr den Vätern erwiesen hat. Er will sagen: Du, Herr, hast dich den Bitten unserer Väter nicht versagt; als sie zu dir ihre Zuflucht nahmen, hast du ihnen Hilfe gebracht. So sei auch jetzt unser Heil und hilf uns in unserer Trübsal. „Arm“ und „Heil“ unterscheiden sich dadurch voneinander, dass als Gottes „Arm“ die Macht bezeichnet wird, die er zur Verteidigung seiner Kirche gebraucht, und zwar noch ehe sie heimgesucht wird; „Heil“ jedoch bedeutet Rettung, durch welche die Kirche befreit wird, selbst wenn sie zu Grunde gerichtet erscheint. Der Prophet erinnert also an die früheren Wohltaten, mit denen der Herr einst die Väter überschüttete; dies soll ihn bewegen, ähnliche Barmherzigkeit auch ihren Kindern zuzuwenden. Er will sagen: Du, Herr, hast einst die deiner Kirche drohenden Gefahren abgewandt; sie blühte und war glücklich im Vertrauen auf deine Gunst; als sie bedrängt wurde, hast du sie befreit. Dasselbe wirst du auch unseretwegen tun, zumal es deine Sache ist, in Unglück und Trübsal Hilfe zu bringen.

V. 3. Lass fliehen die Völker. Nachdem der Prophet im zweiten Verse seinen Gedankengang durch einen kurzen Gebetsseufzer unterbrochen hat, knüpft er nun wieder an den ersten Vers an. Dort hatte er gesagt, die Assyrer sollten niedergeworfen werden, obwohl sie gegen allen Glückswechsel gesichert zu sein schienen. Jetzt malt er dies den Juden lebendig aus. Gewaltig war die Macht der Assyrer, für alle Völker ein Gegenstand des Schreckens; sie galten für unbesiegbar. Darum schildert Jesaja ihren Untergang, der unbegreiflich schien, so, als wäre er schon eine vollendete Tatsache. Er redet von Völkern, in der Mehrzahl: „Lass fliehen die Völker.“ Das Reich der Assyrer bestand aus einer Reihe von Völkerschaften, und ihr Heer setzte sich aus vielerlei Nationen zusammen. Sie mögen aber noch so zahlreich und mächtig sein, sie werden doch jammervoll zugrunde gehen.

Von dem großen Getümmel. Einige Ausleger verstehen das so, als wenn der Herr allein durch großen Lärm die Feinde in die Flucht schlagen werde. Doch ist diese Auslegung zu gekünstelt und sachlich nicht begründet. Ich verstehe lieber darunter das Getümmel, den Lärm, der von den Medern und Persern erregt werden sollte.

Wenn du dich erhebst. Das fassen manche als eine besonders feierliche Offenbarung der Macht Gottes. Ich verstehe den Ausdruck einfach so: Der Herr, der vorher zu ruhen schien, weil er die Chaldäer ungestraft wüten ließ, steht jetzt plötzlich auf und tritt mitten auf den Schauplatz. Infolge seiner Langmut wurde er ohne Zweifel von den Feinden stolz verlacht, als wenn der Gott Israels gebrochen und besiegt wäre. Aber er hat sich erhoben, hat sich auf den Richtstuhl gesetzt und den Frevel der Gottlosen bestraft. Dieses Sich-Erheben steht also im Gegensatz zu jener Machtlosigkeit, welche der Herr scheinbar zeigte, als er sein Volk geplagt und verstört werden ließ.

V. 4. Da wird man euch aufraffen als einen Raub. Der Prophet redet hier die Assyrer an. Damit dass er so offen und persönlich gegen die stolzen Feinde losfährt, gibt er seiner Weissagung besonderen Nachdruck. Es ist zweifelhaft, ob hier an den letzten Untergang jenes Volkes zu denken ist oder an die Niederlage Sanheribs, als sein Heer durch die Hand des Engels vor den Mauern Jerusalems vernichtet wurde. Doch mag dem sein, wie ihm wolle, es ist leicht zu erkennen, dass diese Worte ihre Spitze gegen das Reich Ninive richten.

Wie man die Heuschrecken aufrafft. Mit Heuschrecken vergleicht der Prophet jenes kriegerische Volk. Es ist ein sehr treffendes Bild, das auch der Prophet Nahum (3, 15) gebraucht, allerdings in einem etwas andern Sinn. Jene Insekten sind dem Baum- und Graswuchs sehr gefährlich und überaus schädlich, sodass sie mit Recht eine Geißel der Erde genannt werden. Aber trotz ihrer ungeheuren Menge haben die Heuschrecken doch keine Kraft, sich zu schützen. So ist es selbst Kindern ein Leichtes, sie abzuschütteln, zu sammeln und haufenweise zu vernichten. Ebendasselbe nun wird jenen überaus gefräßigen Räubern widerfahren. Zwar haben sie durch ihre Räubereien lange Zeit viel geschadet, zuletzt werden sie aber doch ohne Mühe aufgerieben und vernichtet. Geschwächt, wie tot werden sie unter die Hand der Feinde fallen, und die üppige Macht Ninives, durch Räubereien zusammengebracht, wird an Babylon übergehen. Ein zweites Bild wird hinzugefügt: die Assyrer sollen wie Käfer zerscheuchet werden. Käfer sind überaus gefräßig; unersättlich im Fressen und schnell und leicht dahinfliegend verderben sie alle Früchte des Landes.

V. 5. Der Herr ist erhaben. Ausführlicher schildert der Prophet hier die Erhabenheit Gottes. Wie oben, so zeigt er auch hier, dass bei dem Untergang eines so mächtigen Reiches offenbar wird, wie Gott dem Herrn seine Kirche und ihr Heil so wert ist. Um ihretwillen wird er Ninive, die Königin der Städte, samt ihren Einwohnern verderben. Der Hinweis, dass Gott die Gottlosen und Verächter nicht schont, ist sehr angebracht. Ihrer Willkür stellt der Herr sich entgegen und will damit bezeugen, wie sehr er seine Auserwählten liebt. Das ist ein mächtiger Trost, dass Gottes Ehre am hellsten in der Rettung seiner Kirche leuchtet. Zunächst sagt nun der Prophet: „der Herr ist erhaben.“ Die Gottlosen wähnten, er sei in den Niedergang seines Volkes verwickelt und mit zu Boden gestürzt. Weiter heißt es: denn er wohnet in der Höhe. Niemand soll meinen, Gott habe etwas, was ihm verloren gegangen war, wiedererlangt, wie in der Welt Niedergeworfene wieder zu neuer Kraft und Macht sich zu erheben pflegen, wenn die Verhältnisse sich gebessert haben. So ist es bei Gott nicht. Denn er wohnet in der Höhe. Das ziemt sich ja für den, der die Himmel innehat. Ob er auch sehr oft seine Macht verbirgt, niemals lässt er seines Rechtes sich berauben, sondern so oft es ihm gut dünkt, offenbart er seine Erhabenheit, dass er in der Höhe wohnt. Damit bezeichnet der Prophet den Gipfel aller Macht, der auch der Erdkreis unterworfen ist. Zugleich weist er damit darauf hin, dass es Gott ein Leichtes ist, zu Boden zu werfen, was in der Welt erhaben ist.

Er hat Zion voll Gerichts und Gerechtigkeit gemacht. Mit diesen Worten bezeichnet der Prophet es wieder als einen besonderen Beweis göttlicher Gnade, dass die Juden der Tyrannei der Chaldäer entrissen wurden. Gott, der Urheber solcher Gnadenerweisung, sollte ihnen recht vor Augen gestellt werden. Wir wissen, in wie schmählicher Weise unsere Undankbarkeit seinen Ruhm verdunkelt. Gott schüttet in freigebiger Fülle seine Gnade aus, indem er seine Kirche wieder aufrichtet. Nicht unpassend kann man bei diesen Worten auch an geordnete, rechtliche Verhältnisse denken, unter denen alles recht und gerecht hergeht. Ohne solche gerechten Ordnungen wird es in der Kirche niemals wohl stehen, mag auch alles andere nach Wunsch gehen. Heilige und gerechte Ordnungen, nicht verderbliche Üppigkeit sollen wir für unser Glück erachten.

V. 6. Und wird zu deiner Zeit Glaube sein, Reichtum an Heil usw. Der Prophet verheißt eine fröhliche, glückliche Zeit unter der Regierung des Königs Hiskia, fröhlich und glücklich zumal im Vergleich mit den unseligen, verderbenbringenden Wirrnissen, die unter Ahas zu Tage getreten waren. Das hätte freilich wohl niemand gehofft, dass die Lage der so schwer heimgesuchten Juden nach der Niederwerfung der Feinde wieder eine so glückliche, wie früher, werden könnte. Einige Ausleger nehmen an, der Prophet zähle hier auf, worin das Glück des Volkes unter dem frommen Könige bestehen werde, und sind der Ansicht, dass mit den einzelnen Ausdrücken „Glaube, Heil, Weisheit, Klugheit“ ebenso viele Wohltaten Gottes bezeichnet würden. Wenn ich aber den Worten des Propheten genauer nachgehe, dann möchte ich diese Stelle lieber so auffassen, dass unter der Regierung des Hiskia Glaube oder noch besser Beständigkeit und Heil bestehen wird in Weisheit und Klugheit. Der Prophet weist also darauf hin, dass dann erst der Bestand der Kirche gesichert ist, wenn Weisheit und Klugheit in ihr regieren, dass dauerndes Glück und Heil nur da ist, wo lebendige Gotteserkenntnis herrscht, wo Menschen in göttlicher Weisheit gelehrt sind. Aus dieser Stelle können wir besonders klar lernen, wie durch unsere Undankbarkeit den Segnungen Gottes das Tor verschlossen wird, wenn wir eben ihn, den Schöpfer, übergehen und in sinnlichen, irdischen Wünschen stecken bleiben; und ferner dies: es mag uns an Gütern und Gaben zuströmen, was immer gewünscht und erdacht werden kann, es schlägt uns dennoch nichts zum Heile aus, wenn es nicht durch das Salz der Weisheit und Klugheit gewürzt ist. Die Kirche kann nur dann blühen, wenn über allen ihren Gütern das eine Gut steht: die Erkenntnis Gottes. Ist aber keine Erkenntnis des Wortes Gottes vorhanden, ist alle wahre Gotteserkenntnis erloschen oder vergraben, dann ist jedes glückliche Gedeihen noch schlimmer und gefährlicher, als der Ruin. Also dann wird die Lage der Kirche eine sichere, beständige sein, wenn die Menschen, von ihrer Blindheit und Unwissenheit befreit, anfangen, Gott zu erkennen. Wenn uns darum der Herr solche Gnade erweist, dass unter uns in Wahrheit das Licht des Glaubens und der Erkenntnis leuchtet, dann kommen ganz von selbst andere Gnadenerweisungen hinzu; wenn uns dann auch mannigfache Stürme hin- und herwerfen, wir werden doch immer erhalten durch Gottes Hand. – Mit dem Worte: „zu deiner Zeit“ deutet der Prophet auf die Zeit des Hiskia. Diesen redet er an als Repräsentanten des ganzen Volkes. Da aber das Reich des Hiskia nur ein schwacher Schatten des Reiches Christi war, wie wir schon früher aussprachen, so müssen wir dies alles auch auf Christum beziehen, in dem alle wahre Weisheit und Klugheit verborgen ist. Wo also Christus nicht erkannt wird, da fehlt den Menschen die wahre Weisheit, auch wenn sie in allen Wissenschaften noch so bewandert sind. Ihre ganze Weisheit ist eitel, bis sie Gott wahrhaft erkennen.

Die Furcht des Herrn wird sein Schatz sein. Das fügt der Prophet hinzu, um noch klarer und deutlicher zum Ausdruck zu bringen, dass die von ihm gemeinte Weisheit die Lehrerin der Gottesfurcht ist, dass sie keine kalte, eitle Weisheit ist, sondern eine solche, die mächtig in unsere Herzen eindringt und uns zur Gottesfurcht treibt. Daher wird auch anderswo (Spr. 1, 7 vgl. Ps. 111, 10) die Furcht Gottes der Weisheit Anfang genannt, d. h. das wichtigste Stück derselben. Es ist ein Irrtum, unter dem Anfang der Weisheit deren erste, einfachste Elemente zu verstehen, während doch Salomo damit das wichtigste, höchste Stück derselben bezeichnet. Ein Schatz wird die Furcht Gottes genannt, ohne den alles Glück ein elendes Ding ist. Alles Glück des Lebens besteht also in der Erkenntnis Gottes, die wir im Glauben erlangen. Die Furcht des Herrn wird „sein“ Schatz, d. h. des Königs Schatz sein, also ein königliches Gut. Ein köstliches, unschätzbares Gut ist es, Gott mit der ihm gebührenden Furcht zu ehren. Diejenigen, die ohne Gottesfurcht sind, hält der Prophet für elende, verlorene Leute, für die glückseligsten dagegen die, welche den Herrn fürchten, mögen sie auch die Menschen für die unglückseligsten halten. Der Prophet redet hier aber von der Furcht vor Gott, welche den wahren Gehorsam gegen ihn in sich schließt und unsere Herzen erneuert. Die Furcht, von der die Gottlosen erfasst werden, ist eine andere; sie erschrecken vor Gott, wie der Übeltäter vor dem Richter. Diese Furcht verdient kein Lob, denn sie geht weder aus der rechten Gotteserkenntnis hervor, noch aus dem aufrichtigen Verlangen, Gott zu ehren. Sie ist von der Weisheit, die Jesaja preist, weit entfernt.

V. 7. Siehe, ihre Helden schreien draußen. Man weiß nicht genau, ob der Prophet hier schildert, wie angstvoll die Juden zitterten und in wie großer Gefahr sie sich befanden. Solche Schilderung würde den Zweck haben, die gnädige Errettung in ein desto helleres Licht zu rücken. Recht wohl möglich ist auch, dass eine kommende Heimsuchung angekündigt werden soll, damit inmitten derselben die Frommen nicht den Mut verlieren. Mir ist es sogar das Wahrscheinlichste, dass sich diese Sätze nicht auf etwas Vergangenes beziehen; sondern da eine harte, schwere Prüfung bevorstand, sollen wahrscheinlich die Herzen der Gläubigen gestärkt werden, in solch verzweifelter Lage geduldig der Hilfe des Herrn zu warten. Wie dem auch sei, jedenfalls wird hier eine traurige und beklagenswerte Lage der Kirche geschildert, und zwar zu dem Zweck, damit die Gläubigen nicht aufhören, auch in ihren Ängsten getrost zu hoffen, und damit sie, wenn sie aus der Gefahr errettet sind, erkennen, dass dies durch Gottes wunderbare Macht geschehen ist.

Die Boten des Friedens weinen bitterlich. Das wird als ein Zeichen der verzweifelten Lage angegeben, dass die Boten des Friedens, die gesandt waren, um den Tyrannen zu besänftigen, nichts erreichten. Hiskia versuchte alle Wege und Mittel, Frieden zu erlangen, aber er erreichte nichts. Die Boten des Friedens kehrten in größter Trauer zurück, und auch unterwegs können sie ihren Schmerz nicht verbergen; unter so jammervollen Verhältnissen war es ja auch schwer, denselben zurückzuhalten. Ohne Zweifel will der Prophet darauf hinweisen, dass der Friedensantrag stolz und schnöde von Sanherib zurückgewiesen werden würde, sodass die Boten gezwungen würden, ihre Würde vergessend, ihrem Schmerz und ihren Klagen vor allem Volk Ausdruck zu geben. Bevor sie zu ihrem Könige zurückkehrten und über ihre Sendung Rechenschaft ablegten, unterließen sie nicht, öffentlich kund zu tun, was für eine Antwort sie von dem grausamen Tyrannen heimbrachten.

V. 8. Die Steige sind wüste usw. Die Wege werden gesperrt werden, sodass nach keiner Richtung mehr ein Verkehr stattfindet. So pflegt es in Kriegszeiten zu sein. Der Prophet scheint die Boten redend einzuführen, wie sie erzählen: Der Verkehr stockt, keine Straße ist mehr frei; die Steige sind wüste, es gehet niemand mehr auf der Straße.

Er hält weder Treue noch Glauben usw. Einige Ausleger legen diese Wort so aus, als ob Heuchler sich beklagten, Gott halte seine Verheißungen nicht. Wenn man dies nun wirklich auf Gott beziehen will, so ist es dabei doch nicht nötig, solche Klage gerade den Gottlosen zuzuschreiben. Denn auch Gläubige rechten zuweilen in dieser Weise mit Gott. Doch diese Auslegung passt nicht. Vielmehr wird in ununterbrochenem Zusammenhang von der Grausamkeit und unerbittlichen Wut des Sanherib erzählt, der das zuvor mit Hiskia eingegangene Bündnis treulos gebrochen hat. Denn obschon er Ruhe und Frieden versprochen hatte, so brach er doch die Treue und rüstete zum Kriege, sobald sich ihm eine günstige Gelegenheit zur Eroberung Judäas bot.

V. 9. Das Land liegt kläglich und jämmerlich usw. Hier schildert der Prophet noch ausführlicher die zukünftige jammervolle, beweinenswerte Lage der Juden. Ihr Glaube soll aber nichtsdestoweniger aus dem Abgrund der Hölle wieder emportauchen. Im Einzelnen führt er den Libanon, Saron, Basan und Karmel an. Diese Gegenden lagen weit auseinander und bildeten ungefähr die Grenzen des heiligen Landes. Nichts wird also in diesem Lande heil und unverletzt bleiben. Bei dieser Schilderung hebt nun der Prophet die Eigenart jeder einzelnen Gegend besonders hervor. Vom Libanon sagt er: er stehet schändlich zerhauen. Sein glänzender Schmuck waren seine herrlichen, wertvollen Wälder. Saron, sagt er, ist wie eine Wüste; es war eine fruchtbare Ebene. Basan und Karmel, heißt es, ist öde; sonst hätten sie an Früchten reichen Überfluss. Der Prophet spielt also auf die Eigenart der einzelnen Gegenden an und beschreibt damit ihre jammervolle Verwüstung. Umso herrlicher will er dadurch die Gnadentat Gottes hervorheben, durch die sie von ihrem Jammer erlöst werden sollen.

V. 10. Nun will ich mich aufmachen, spricht der Herr usw. Bedeutsam ist dies „nun“ in seiner dreimaligen Wiederholung. Auf die Zeit ist zu achten, auf welche dies „nun“ bezogen werden muss. Es ist eine Zeit, in der es um die Kirche geschehen zu sein scheint. Dann ist für Gott der Zeitpunkt gekommen, wo er Hilfe bringt. Den Frommen stellt der Prophet schwere, harte Heimsuchungen vor Augen, denen sie leicht unterliegen konnten, wenn sie nicht durch irgendwelchen Trost aufrecht erhalten wurden. Nun will er ihnen sagen: Der Herr lässt es zu, dass es mit euch bis zum Äußersten kommt; aber sobald ihr euch verloren gegeben und vergeblich alle Hilfsmittel versucht habt, wird der Herr sich aufmachen und euch Hilfe bringen. Es muss mit uns in unsern Heimsuchungen bis zum Äußersten kommen, damit wir Gott als den alleinigen Urheber unserer Rettung erkennen. Weshalb Gott seine Hilfe soweit aufschiebt, das kann den Menschen freilich unbegreiflich erscheinen. Wir aber kennen den sehr triftigen Grund dafür. Die Frommen sollen in der Geduld geübt, ihr Glaube soll geprüft, die Regungen ihres Fleisches müssen gedämpft, ihr Gebetseifer muss angefeuert, ihre Hoffnung auf das ewige Leben fest gegründet werden. Die dreimalige Wiederholung des „nun“ ist in besonderem Maße geeignet, diese Verheißung zu bekräftigen. In verzweifelten Lagen meinen wir ja, es sei alles aus. Aber gerade dann müssen wir am meisten die Hoffnung festhalten. Denn gerade in solcher Zeit will der Herr einen besonderen Beweis seiner Macht geben. So richtet er die Frommen auf zu getrostem, festem Mut, dass sie zuversichtlich des Übermutes der Feinde spotten.

V. 11. Mit Stroh gehet ihr schwanger, Stoppeln gebäret ihr. Hier wendet sich der Prophet gegen die Feinde der Kirche. Ihre Frechheit ist vergeblich und töricht. Sobald Gott in seiner herrlichen Macht sich erhoben hat, werden sie erkennen, dass ihre Anstrengungen umsonst sind und dass sie nichts erreichen werden, auch wenn sie in ungeheuren Massen sich gegen ihn verschwören. Der Herr lacht über das Toben derer, die meinen, sie hätten alles in ihrer Hand. Sie mögen noch so stark gerüstet sein, er kann sie stracks, im Nu niederwerfen und vernichten. Das Bild, dass jemand mit etwas schwanger geht, wird oft in der Schrift gebraucht im Blick auf Leute, die irgendetwas im Schilde führen und mit sich herumtragen. Das Schwangersein dieser Leute aber, sagt der Prophet, wird eitel sein; eine Fehlgeburt wird erfolgen. Alles, was sie unternehmen, wird ohne Erfolg sein. Wir brauchen also vor der glänzenden Macht der Feinde nicht zu erschrecken. Wenn Gott ihnen auch eine Zeitlang erlaubt, sich zu regen, Lärm und Unruhe zu machen, - am letzten Ende wird er doch alles, was sie im Übermute planen, zunichtemachen. Was Jesaja hier von Sanherib weissagt, gilt von allen Feinden der Frommen und der Kirche.

Euer Feuerschnauben wird euch verzehren. Dies versteht man gewöhnlich von der schnaubenden Wut der Feinde, die sie schließlich selbst verzehren wird. Aber dies wäre ein sehr unpassendes Bild. Die richtige Auslegung liegt viel näher: Das Feuer, das durch euer Schnauben angeblasen ward, soll euch verzehren. Wir pflegen durch Schnauben oder Blasen das Feuer anzufachen. Das Feuer also, das die Gottlosen mit ihren Schandtaten angefacht haben, wird ihnen verderbenbringend werden, weil es sie selbst verzehrt. Es ist das die gleiche Anschauung, welche die Schrift in mannigfachen Bildern so oft hervorhebt. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Ps. 57, 7): „Sie graben vor mir eine Grube und fallen selbst hinein.“ Das Schwert, das sie gezogen hatten, bohrte sich in ihren eignen Leib. Ihr Bogen ist zurückgeschnellt und hat sie selbst verwundet. Der gottlose Tyrann, der Judäa verwüstete und Jerusalem mit einem gewaltigen Heer belagerte, zieht sich also, gleich andern Feinden der Kirche, selbst den Untergang zu und wird zuletzt umkommen. Sie werden von eben demselben Feuer verschlungen werden, das sie selbst angezündet haben.

V. 12. Und die Völker werden zu Kalk verbrannt werden. So hart sind sie, sie werden wie Kalksteine im Feuer weich und zu Staube werden. Und in der Tat! Je ungestümer und hitziger die Gottlosen Schaden zu verursachen trachten, umso eher richten sie sich durch ihre Kühnheit selber zu Grunde. Nicht minder treffend ist das folgende Bild: wie man abgehauene Dornen mit Feuer ansteckt. Dornen wehren sich zwar mit ihren scharfen Stacheln gegen die Berührung menschlicher Hände, aber es brennt doch kein Holz besser und keines ist schneller verzehrt. So wird es also den Chaldäern ergehen. Ohne Mühe wird sie der Herr vernichten, mögen sie anfänglich auch noch so furchtbar scheinen, und mag es unwahrscheinlich sein, dass sie irgendwie durch Feuer verzehrt werden können. Darum, so oft wir sehen, dass die Feinde der Kirche alle Macht und Hilfsmittel zusammenbringen, um uns zu verderben und die ganze Welt in Brand zu setzen, sollen wir doch wissen, dass dasselbe Feuer, welches sie entzünden, sie elend zu Grunde richten wird. Das hat sich an Sanherib erfüllt. Sein Ausgang hat diese Weissagungen, obwohl sie völlig unglaublich schienen, bestätigt. Auch allen andern Feinden der Kirche, welche die Taten dieses Tyrannen sich zum Muster nehmen, wird dasselbe widerfahren. Damit sollen wir uns in unsern Heimsuchungen und unserm Elend trösten. Für uns folgt sichere Rettung, für die Feinde furchtbare Strafe.

V. 13. So höret nun, die ihr ferne seid, was ich getan habe usw. Hier hebt Jesaja an wie einer, der über eine sehr wichtige Sache reden will. Er befiehlt seinen Zuhörern, sie sollen aufmerken, wie es wohl zu geschehen pflegt, wenn es sich um eine sehr bedeutsame Sache handelt. Er redet dabei sowohl die an, die nahe sind, die Augenzeugen dieser Taten sein werden, wie auch die Völker, die ferne sind, zu denen das Gerücht von diesen Dingen dringen sollte. Der Prophet will damit sagen: Gott wird eine solche Macht offenbaren, dass sie nicht nur einigen wenigen Leuten, etwa nur den Nachbarn bekannt wird, sondern auch denen, die in weiter Ferne wohnen. Es wird eine glänzende, einzigartige Offenbarung göttlicher Macht zustande kommen. Dann werden die Gottlosen, die früher in ihrer stumpfen Sicherheit taten, als wenn sie gegen alles Ungemach und alle Gefahren gefeit wären, von Schrecken hin- und hergetrieben werden.

V. 14. Die Sünder zu Zion sind erschrocken. Es könnte jemand einwenden, es handele sich hier doch nicht um eine so wichtige Sache, dass eine solche Einleitung, wie sie der vorige Vers gibt, vonnöten wäre, in welcher der Prophet an die Nahen und die Fernen sich wendet und gleichsam die ganze Welt in Erregung bringt. Oder ist es etwas so Wichtiges, wenn die Gottlosen von Schrecken erfasst werden? Wer aber die Sache sorgfältiger erwägt, wird finden, dass es durchaus keine gewöhnliche Offenbarung göttlicher Macht ist, wenn den Gottlosen ihre wahnwitzigen Gedanken derart erschüttert werden, dass sie, sie mögen wollen oder nicht, merken, wie Gott ihr Richter ist, - zumal wenn zu ihrer Verachtung Gottes noch die Heuchelei kommt. Denn obschon es schwer ist, natürliche Menschen, deren Herzen mit einer dichten Decke umhüllt sind, aufzurütteln, so ist das bei Heuchlern, die in dem Wahne leben, Gott sei ihnen verpflichtet, doch noch viel schwerer. Die sind wie vom Wahnsinn gepackt, dass sie alle Drohungen und Schrecken verachten, Gottes Gerichte verlachen und alle Weissagungen mit Witz und Scherz verspotten. Da muss man es für ein Wunder halten, wenn Leute, die so wider Gott streiten, erschreckt zu Boden sinken. Darum entbrennt der Zorn des Propheten mit vollem Recht gegen solche Leute. Ohne Zweifel hat er, wenn er von den Sündern zu Zion redet, schlechte Glieder des jüdischen Volkes im Auge. Im Schatten des Tempels geborgen, glauben sie in einer unüberwindlichen Burg zu sitzen. Und in der Tat erheben sich, wie ich schon oben bemerkte, in stolzem Übermut diejenigen am meisten, welche sich des Namens Gottes rühmen und mit ihrer Zugehörigkeit zu seinem Volke prahlen.

Zittern ist die Heuchler ankommen. Unter den Heuchlern kann man auch allgemein treulose, gänzlich verdorbene Abtrünnige verstehen. Diese Leute waren so frevelhaft, dass sie Gott und die Propheten zum Spott hatten. Darum verkündigt der Prophet, es werde ihnen ein strenger, harter Richter erstehen, damit sie aufhören möchten, an ihrem heuchlerischen Treiben Gefallen zu finden.

Und sprechen: Wer ist unter uns, der bei einem verzehrenden Feuer wohnen möge? Dies Bekenntnis trägt den Schein der Demut an sich. Durch dasselbe will der Prophet noch deutlicher machen, dass die Heuchler, die freiwillig dem Worte nicht gehorchen, doch zuletzt durch die Erfahrung, ihre Lehrmeisterin, zu der Erkenntnis kommen, wie schrecklich Gottes Gericht ist. Wenn der Spott sich in Zähneknirschen verwandelt hat, dann fangen sie an zu bekennen, dass ihre ganze Kraft ist wie Spreu und Kehricht. Die Ausleger dieser Stelle gehen darin auseinander, dass die einen dies Feuer auf den assyrischen König, die andern auf Gott beziehen. Ich neige mehr zur letzteren Auffassung. Denn wenn auch der assyrische König wie ein Feuer war, das mit seiner Glut die Erde versengte, so wollte der Prophet doch noch etwas weit Schrecklicheres zum Ausdruck bringen, nämlich die innere Seelenqual, von der die Gottlosen hin- und hergetrieben werden, die Gewissensbisse, die nicht unterdrückt werden können, das unauslöschliche Feuer der Sünde, das alle Qualen übersteigt. Was die Gottlosen auch immer tun mögen, sie müssen es erfahren, dass Gott ein verzehrend Feuer ist, wie es bei Mose (5. Mose 4, 24, vgl. Hebr. 12, 29) genannt wird. Manche Ausleger nehmen an, der Prophet habe in diesen Worten allgemein alle Menschen als Schuldige hinstellen wollen. Sie sollten dadurch bewogen werden, ihr Vertrauen auf ihre guten Werke abzulegen und in Beugung und Demut zur Gnade Gottes ihre Zuflucht zu nehmen. Der Prophet wolle sagen: Kein Mensch könne vollkommen gerecht vor Gottes Richtstuhl treten; darum seien sie alle verflucht. Doch der Prophet redet hier nur im Sinn derer, die vorher alle Drohungen verspotteten. Jetzt führt er sie persönlich ein mit der angstvollen Frage: Wer will es wagen, vor Gottes Angesicht zu treten? Diese jammervolle Klage zeugt von ihrem Schrecken. Ihrer Ohnmacht überführt, schreien sie nun in ihrem Schmerz: Wer kann Gottes Gegenwart ertragen? Weil sie nun dem Herrn trotzdem entgegen treten, ob er ihnen auch wider ihren Willen solche Seufzer entlockt, so gibt der Prophet ihnen im folgenden Verse Antwort auf ihre Fragen, um ihr gottloses Geschrei zur Ruhe zu bringen. Gott, antwortet er, ist nicht von Natur ein schrecklicher Gott, und es liegt nicht in seiner Natur, Menschen Schrecken einzuflößen. Es ist ihre eigne Schuld, dass Gott so schrecklich auftreten muss. Das böse Gewissen in Folge ihrer Sünden, welchem der Herr keine Ruhe gönnt, setzt sie so in Schrecken.

V. 15. Wer in Gerechtigkeit wandelt usw. Hier bringt es der Prophet zu klarem Ausdruck, dass diejenigen, welche Gottes Zorn hervorrufen und dadurch seine Güte von sich stoßen, keinen Grund haben, dem Herrn übergroße Strenge vorzuwerfen. Die in ihre Schuld Verstrickten mahnt er zur Buße. Er zeigt, dass es zwischen Gott und den Menschen wohl steht, wenn diese der Gerechtigkeit folgen und sie pflegen wollen, wenn sie wahr und recht und heilsverlangend, wenn sie rein sind von aller Verderbnis und in Unschuld leben mit ihren Nächsten. Dagegen wenn sie in allerlei Sünden leben, wenn sie der Bosheit, der Lästerung, dem Geiz, dem Rauben und andern Freveltaten ergeben sind, muss der Herr sie in Schrecken setzen, sie niederwerfen und sich ihnen in seiner Furchtbarkeit offenbaren. Kurz, des Propheten Absicht ist es, den gottlosen Schwätzern den Mund zu stopfen, dass sie bei ihrem Untergang Gott nicht der Grausamkeit anklagen, während auf ihnen allein die Schuld ruht. Dagegen bestätigt der Prophet, dass Gott den Seinen immer gnädig ist; wer ihm mit frommem Herzen naht, wird es in der Tat erfahren, dass nichts köstlicher und lieblicher ist als seine Gegenwart. Wenn Gott also den Frommen sein freundliches Angesicht scheinen lässt, dann haben sie Ruhe und Frieden mit ihm, in einem guten Gewissen. – Dadurch, dass nun der Prophet einzelne Seiten der Gerechtigkeit hervorhebt, stellt er die Missetaten jener Heuchler nur umso klarer ans Licht. Er zählt die hauptsächlichsten Lebensbetätigungen auf, welche zeigen, was für Leute wir sind. Dazu zieht er wieder die zweite Tafel des Gesetzes heran, die ein Spiegel wahrer Frömmigkeit ist. Denn wie das Gold im Feuer bewährt wird, so ist unseres Herzens Stellung zu Gott aus der Beschaffenheit unseres alltäglichen Lebens zu erkennen; in ihm muss unsere Treue und Aufrichtigkeit sich in der Erfüllung unserer Pflichten beweisen. Unter „Gerechtigkeit“ versteht der Prophet allerdings nicht eine vollkommene Erfüllung des Gesetzes, sondern jene Rechtschaffenheit, wie sie von den Geboten der zweiten Tafel gefordert wird. Danach geht er auf die einzelnen Seiten dieser Rechtschaffenheit ein. Da nun die Zunge hauptsächlich dasjenige Glied des Leibes ist, durch das der Mensch sein Tun kundgibt, so nennt er dieselbe nach der Gerechtigkeit an erster Stelle: und redet, was recht ist. Wer seine Zunge abhält von Verleumdung, von Lästerung und Trug, Meineid und Lüge, und seinen Nächsten in keinem Stück verletzt und beleidigt, das ist einer, der redet, was recht ist.

Wer Unrecht hasset samt dem Geiz. Der Prophet hätte einfach sagen können: Wer den Geiz hasset. Aber er drückt sich etwas umständlicher aus, um dem mangelnden Verständnis und der Hartherzigkeit der Menschen zu begegnen. Wer nämlich habgierig ist und vom Rauben, sowie von schändlichem, nichtswürdigem Gewinn nicht lässt, der verübt auch Unrecht, der quält auch die Armen und Schwachen und kennt keine andere Sorge, als überall, ob es Recht oder Unrecht ist, Geld zu erpressen.

Und seine Hände abzeucht, dass er nicht Geschenke nehme. Bei den Geschenken denkt der Prophet wohl besonders an solche, mit welchen Richter bestochen wurden. Doch schließt er dabei auch alle andern Arten von Bestechung ein. Nichts verderbt aber mehr der Menschen Gesinnung und gerechtes Urteil. Darum mahnt er, sie sollen ihre Hände abziehen; peinlich und ängstlich sollen sie von solchen Bestechungen sich fernhalten. Ja, sie sollen sie nicht einmal mit der Hand anrühren, damit sie nicht, durch die bloße Berührung befleckt, vom Wege des Rechtes und der Gerechtigkeit abbiegen.

Wer seine Ohren zustopft, dass er nicht Blutschulden höre. Unter Blutschulden versteht der Prophet hier in erster Linie Mord und Totschlag, dann aber auch Verbrechen aller Art. Wir sollen unsere Ohren dafür nicht offen halten. Denn dadurch erklären wir unsere Zustimmung. Nicht, dass wir die Ohren zuhalten sollen gegenüber den Klageseufzern der Armen, wenn sie Unrecht leiden und bedrückt werden. Wir sollen uns aber fernhalten von gottlosen Plänen, in denen gottlose Menschen gegen Unschuldige Verderben sinnen. Nicht einmal unsere Ohren sollen wir ihren Reden öffnen und sollen uns auf keine Weise zum Bösen reizen lassen. Zuletzt fordert der Prophet das Gleiche von den Augen: und seine Augen zuhält, dass er nicht Arges sehe. Alle unsere Sinne sollen wir in Zucht halten und den Gottlosen auch nicht das geringste Zeichen von Zustimmung geben, wenn wir dem Zorn Gottes und jenem schrecklichen Feuer, von dem zuvor die Rede war, entfliehen wollen.

V. 16. Der wird in der Höhe wohnen usw. Die Juden sollen zu der Erkenntnis kommen, dass die von Gott auferlegten Züchtigungen gerecht gewesen sind, und sollen danach trachten, sich mit ihm wieder zu versöhnen. Deshalb redet der Prophet davon, dass des Herrn Segen für diejenigen bereit liegt, die gut und recht handeln, wie er es im vorigen Verse geschildert hat. Ihnen droht nicht die geringste Gefahr, sie brauchen jenes Feuer nicht zu fürchten, sie wohnen in der Höhe, d. h. an einem sicheren Orte. Wenn aber den Gottlosen und Frevlern, den Fluchern, den Räubern und Betrügern gegenüber, welche mit Zungen, Händen, Ohren und Augen nicht von Frevel und Schandtaten ablassen können, Gott sich härter zeigt als sonst, so ist das nicht zu verwundern; auch dies nicht, dass Gott ihr Richter ist, sintemal ihr eigenes Gewissen sie verurteilt. Das einzige Heilmittel ist also dies, Gottes Gegenwart zu fürchten und aus freien Stücken in seiner Furcht zu wandeln. Unter der Höhe versteht der Prophet einen durchaus sicheren, vor jeder Gefahr geschützten Platz, in den keine feindliche Macht eindringen kann. Das wird noch klarer durch die unmittelbar darauf folgenden Worte: Felsen werden seine Feste und Schutz sein.

Sein Brot wird ihm gegeben usw. Jetzt spricht der Prophet von den reichen Gaben, die jenen zuteilwerden. Er will eben sagen, dass Leuten, welche dem Herrn rein und heilig dienen, nichts fehlen wird. Gott wird sie nicht nur schützen und vor jedem Schaden unversehrt erhalten, sondern ihnen auch reichlich darbieten, was zur täglichen Notdurft gehört. Zu betonen ist am Schluss das Wort: gewiss. Das steht im Gegensatz zu den Gottlosen, die jetzt zwar eine Zeitlang Überfluss haben, hinterher aber verhungern und verdursten. Gott droht ihnen in seinem Gesetz mit Hunger und Durst (z. B. 5. Mose 28, 23). Für alle Frommen aber wird der Lebensunterhalt ein gewisser sein. Löwen irren hungernd umher; die aber den Herrn fürchten, werden nicht Mangel leiden. Gott ist von Natur freigebig; er ist unermüdlich im Segnen, und erschöpflich ist die Fülle seiner Gaben. Da übrigens das menschliche Leben mancherlei Gefahren unterworfen ist und Überfluss an allerlei irdischem Gut keineswegs zu unserm Schutze genügt, wenn der Herr mit seiner Macht uns nicht schützt, so bleibt also das die Hauptsache, was der Prophet am Anfang des Verses gesagt: der wird in der Höhe, an einem sicheren Orte, wohnen. Der Herr ist ein guter Hirte, der nicht nur seiner Herde Nahrung darbietet, sondern sie auch gegen alle feindlichen Angriffe von Räubern und Wölfen schützt. Er hält sie in seiner treuen Hut, dass ihnen nichts zustößt. Wenn also Feinde uns bedrohen, so sollen wir daran denken, dass wir für unsere Sünden die verdiente Strafe leiden, und dass wir darum von Gottes Hilfe verlassen wurden, weil wir ihrer nicht wert sind. Was wir an Bösem zu tragen haben, müssen wir unsern Missetaten zuschreiben. Auf der andern Seite aber sollen Leute, die ein gutes Gewissen haben, nicht meinen, sie seien in solchen Zeiten von Gott verlassen, sondern sollen bis ans Ende ihr Vertrauen auf solche Verheißungen setzen, in welchen der Herr den Seinen einen sichern Zufluchtsort verspricht. Zwar kann niemand so rein und heilig sein, dass er Gottes Anblick zu ertragen vermöchte. David sagt (Ps. 130, 3): „So du willst, Herr, Sünden zurechnen, Herr, wer wird bestehen?“ Wir bedürfen eines Mittlers, durch dessen Vermittlung uns unsere Sünden vergeben werden. Diese durch die ganze Schrift gehende Wahrheit wollte der Prophet durchaus nicht bei Seite schieben, sondern er wollte die Gottlosen, die das böse Gewissen unablässig peinigt und verfolgt, in Angst und Schrecken setzen. Das ist wohl zu beachten gegenüber den römischen Auslegern, welche solche Stellen, in denen allerlei Werke empfohlen werden, dazu missbrauchen, um die Gerechtigkeit allein aus Glauben hinfällig zu machen, als müsste die Vergebung der Sünden, die wir durch das Opfer Christi erlangen, bei Seite geschoben werden.

V. 17. Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne. Wenn auch der Prophet in seiner Anrede die Person wechselt, so muss dieser Vers doch mit dem vorhergehenden verbunden werden. Er redet die wahrhaftigen Gottesverehrer an, denen er noch eine andere Gnadengabe verheißt. Sie sollen nämlich den König sehen in seiner Schöne. Solche Verheißung war sehr nötig, um die Herzen der Frommen aufzurichten, die in Judäa in einer so jammervollen, verzweifelten Lage sich befanden. Jerusalem war umlagert, der König innerhalb der Stadt eingeschlossen, umgeben von treulosen Ratgebern; das leichtsinnige Volk machte Aufruhr, alle sahen den Untergang vor Augen, kurz, alle Hoffnung schien aus zu sein. Dabei war die königliche Macht des Davidischen Hauses ein besonderes Unterpfand der Liebe Gottes. Der Gefahr der Verzweiflung begegnet nun Jesaja. Obwohl es seinen König jetzt voll Schmach und Trauer sieht, soll derselbe – das verheißt der Prophet – doch wieder zu seiner früheren Schöne und Herrlichkeit kommen. Zunächst ist da zu bemerken, was für eine unschätzbare Gottesgabe geordnete staatliche Verhältnisse und gute Herrscher sind, die nach Recht und Billigkeit alles regieren. Sodann ist auch zu beachten, dass jenes Reich ein Vorbild des Reiches Christi gewesen ist; Hiskia war ein Vorbild auf Christum. Diese Verheißung muss also auch auf Christum bezogen werden; ihre Erfüllung unter Hiskia allein wäre sonst doch etwas dürftig. Glaube niemand, dass hier gekünstelte Auslegung gebe. Davon halte ich mich fern. Ich beziehe diese Worte nicht direkt auf Christum, aber weil allein in Christo jenes Reich zu Stand und Wesen gekommen ist, dessen schattenhafter Umriss das Reich des Hiskia war, so führt letzterer uns gleichsam an seiner Hand zu Christo hin. Kurz, Jesaja verheißt hier die Wiederherstellung der Kirche.

Du wirst das Land erweitert sehen. Diese Wiederherstellung wird nach zwei Seiten hin geschildert; erstlich, der König erscheint wieder in seiner Schöne; zweitens, die Grenzen des Reiches werden erweitert. Das Bild Christi ist aber, wie wir wissen, vielfach so entstellt, dass es der Welt verächtlich ist, weil da von Schönheit und Lieblichkeit nichts zu sehen ist. Doch wird seine Majestät, seine Hoheit und Herrlichkeit zuletzt sichtbar werden, sein Reich wird blühen und weit und breit sich ausdehnen. In getroster Hoffnung sollen wir diesen unsern König erwarten, der am letzten Ende auf einem hohen und erhabenen Stuhle sitzen und sein Volk in wunderbarer Weise herrlich machen wird.

V. 18. Dass sich dein Herz sehr verwundern wird usw. Dieser Vers schildert weiter die zukünftige glückliche Lage der Kirche. Die Schreiber, nach denen man vergeblich fragen wird, sind Leute, die zum Zweck der Steuererhebung die Familienhäupter, ihre Häuser und Grundstücke aufschrieben und die Steuerlisten anfertigten. Die Vögte sind dann die eigentlichen Steuereintreiber. Als Türme werden hervorragende Gebäude bezeichnet, welche jene Steuereintreiber besonders durchsuchten, um so viel Steuern wie möglich von ihren Bewohnern zu erpressen. Oft genug bedrückten diese Leute das Volk und saugten es bis aufs Blut aus. Da verheißt nun der Prophet, dass einst jegliche Bedrückung aufhören wird und dass man dann erstaunt fragen wird: Wo sind nun die Schreiber? Usw. Diese Schilderung will die den Frommen verheißene Gnadentat Gottes nur noch größer erscheinen lassen.

V. 19. Du wirst das starke Volk nicht mehr sehen usw. Darunter versteht der Prophet zweifellos die blutrünstigen Assyrer. Die werden sie dann nicht mehr sehen; durch Gottes Hand werden dieselben niedergeworfen und vertrieben werden. Diese Worte sollen wieder die große Gnadentat Gottes ins helle Licht stellen, die Errettung des Volkes Israel aus der Knechtschaft der Assyrer.

V. 20. Schaue Zion, die Stadt unsrer Feste. Dieser Vers enthält eine Verheißung, die alle Frommen hochhalten sollen. Sie betrifft die Wiederherstellung der Kirche, die der Prophet wie etwas Gegenwärtiges darstellt, obwohl er nur von etwas Zukünftigem redet. Seine Rede soll dadurch mehr Nachdruck gewinnen. Er will sagen: Du wirst Zion wiederhergestellt und Jerusalem in seiner Blüte sehen. Mögen auch die Gläubigen alles zerstört und zerstreut sehen und an ihrer eignen Rettung verzweifeln, Zion wird dennoch eine ruhige, sichere Wohnstätte sein. Die Stadt unserer Feste nennt der Prophet Zion. Er weist mit diesen Worten darauf hin, weshalb es hauptsächlich um die Wiederherstellung Zions etwas so Herrliches ist. Dort kam das Volk zusammen, das Gesetz zu hören, den Bund des Herrn zu bestätigen, seinen Namen anzurufen und Opfer darzubringen. Als dies alles dem Volke fehlte, war es zerstreut, fast verloren, gleichsam von seinem Haupt geschieden und völlig verlassen. Daher beweinten die in Babylon gefangenen Frommen nichts so sehr, als die Trennung von der Heimat und dass sie zugleich aller jener Güter beraubt waren. Das war, wie aus einer Reihe von Schriftstellen klar hervorgeht, die schmerzlichste Klage aller Frommen. Sehr zu beachten ist hier, dass der gute Zustand der Kirche das wichtigste und einzig wünschenswerte Gut ist. Alles andere ist nichts, wenn dies eine fehlt. Dagegen können wir nicht unglücklich sein, solange Jerusalem, d. h. die Kirche blüht. Dann aber wird sie erneuert und steht in Blüte, wenn Gott bei unsern Zusammenkünften in unserer Mitte ist und wenn wir, in seinem Namen verbunden, an ihm hangen. Zwar schützen auch die Gottlosen den Namen Gottes vor, als ob auch sie unter seiner Leitung stünden und zusammenkämen. Aber das ist eine leere Phrase; im Geiste sind sie fern von ihm und tun alles ohne ihn.

Deine Augen werden Jerusalem sehen, eine sichere Wohnung. Der Prophet verheißt, dass die Gläubigen, die lange Zeit in großer Angst hin- und hergeworfen wurden, in der Kirche Gottes eine sichere Wohnung finden werden. Einen Vorgeschmack dieser Sicherheit und dieses Friedens gab Gott seinem Volk unter Hiskia, aber die volle Erfüllung kam erst unter Christus. Doch ist es nicht so, als ob von dieser Zeit an die Kinder Gottes äußerlich vollkommen sicher und ruhig in der Welt wohnten. Diese Ruhe ist ja auch heute noch eine verborgene; unstet und flüchtig irren wir hierhin und dorthin, in mannigfachem Sturm und Wetter werden wir umhergeworfen; zahllose Feinde stürmen auf uns ein, mancherlei Kämpfe müssen wir ausfechten, sodass wir kaum einen Augenblick Ruhe haben. Es wird also nicht eine äußere, fleischliche Ruhe verheißen, sondern unser innerstes Herz wird durch Gottes Geist erneuert, dass wir jenen Frieden genießen, der, wie der Apostel Paulus sagt, höher ist, denn alle Vernunft (Phil. 4, 7).

Eine Hütte, die nicht weggeführt wird usw. Wenn der Prophet die Kirche mit einer Hütte vergleicht, so schildert er damit ihre wahre Lage. Er hätte sie ja auch eine feste Stadt nennen können, aber er nennt sie eine Hütte. Eine solche kann ihrer Art nach schnell anderswohin gebracht werden. Obwohl wir nun wähnen, die Lage der Kirche sei eine unbeständige und mannigfachem Wechsel unterworfen, so sollen wir doch wissen, dass sie in Wirklichkeit nicht erschüttert und niedergeworfen werden kann. Allem Wind und Wetter, allem feindlichen Ansturm gegenüber wird sie bestehen bleiben, ob dies auch der Natur der Sache und unserer menschlichen Vernunft entgegen ist. Dass man in einer Hütte sicherer wohnt, als in irgendeiner noch so starken Burg, diesen Widerspruch löst der Glaube allein. So oft wir die Kirche nicht nur wanken, sondern ungestüm hierhin und dorthin geworfen sehen, haben wir hier einen Schild gegen die Versuchungen, die unsern Glauben so leicht zu Fall bringen. Denn wer würde in solchen Stürmen behaupten, eine Hütte sei ein sicherer Zufluchtsort? Aber der Herr will nicht, dass die Seinigen so ans Irdische gebunden sind, vielmehr sollen sie von ihm allein abhängen. Darum ist auch der Schutz, den er uns verheißt, höher zu schätzen, als hundert und tausend Stützen.

V. 21. Denn der Herr wird mächtig daselbst bei uns sein usw. Der Prophet gibt den Grund an, weshalb die Kirche, die doch einer beweglichen Hütte ähnlich erscheint, an Festigkeit auch die festesten Städte überragt: der Herr ist in ihrer Mitte. Deshalb heißt es auch im 46. Psalm: „Darum wird sie wohl bleiben.“ Lösen wir die Kirche von Gott los, dann wird sie bald ohne äußeren Anstoß in sich zusammenstürzen. Denn dann besteht sie nur aus Menschen, und das sind die schwächsten und hinfälligsten Geschöpfe. Wenn aber Gott bei uns wohnt, dann stützt und stärkt er, was von Natur schwach ist; er ist für uns dann wie eine stark befestigten Burg, wie ein weiter Wassergraben, der eine Stadt von allen Seiten umgibt. Das ist eine Anspielung auf die Lage Jerusalems, das nur auf einer Seite ein kleines Flüsschen hatte, keinen großen, reißenden Strom, wie Babylon und andere Städte. Das Volk sollte, allein mit Gottes Macht zufrieden, ruhig und getrost sein und nicht nach dem Schutz breiter Ströme Verlangen tragen. Der Prophet will sagen: Unsere unüberwindliche Stärke wird Gottes Schutz sein. Unter seinem Schutz und Regiment sind wir übergenug gesichert.

Darüber kein Schiff mit Rudern fahren, noch Galeeren schiffen können. Große Ströme haben den Nachteil, dass sie Feinden einen Zugang bieten können, sodass diese mit ihren Schiffen näher herankommen, als erwünscht ist. So ist das, was zunächst nützlich erscheint, sehr oft schädlich. Der Herr aber sagt, er werde Jerusalems Strom sein, bei dem solcher Nachteil nicht zu fürchten sei, und welcher den Feinden keinen Zugang offen lasse. Darum sollen wir nirgends anderswo unser Heil suchen, als allein bei Gott. Umsonst türmt man allerlei Befestigungswerke zum Schutze auf; wenn wir Gott nicht haben, sind sie nichtig, ja gereichen uns zum Verderben.

V. 22. Denn der Herr ist unser Richter usw. Der Prophet zeigt, wie Gott in seiner Kirche regiert. Er wird in ihr als Richter, Meister und König anerkannt und verehrt. Die, welche Gott gehorsam sind und sich ihm als ihrem Könige unterwerfen, werden es erfahren, dass er der Hort ihres Heils ist. Die aber fälschlich sich seines Namens rühmen, hoffen vergeblich auf seine helfende Nähe. Lasst uns nur seiner Herrschaft uns unterwerfen, lasst uns seine Stimme hören und ihm gehorsam sein, er seinerseits wird sich dann auch als der treueste Schutz und Hort erweisen. Verachten wir aber seine Stimme und sind seinem Worte ungehorsam, so ist es kein Wunder, wenn wir in Gefahren von ihm völlig verlassen werden. Das ist also die wahre Kirche, die Gott als ihren Richter, Meister und König anerkennt.

V. 23. Lasst sie ihre Stricke spannen, sie werden doch nicht halten. Dieser Vers bezieht sich auf die Assyrer, zugleich jedoch auf alle Feinde der Kirche. Nachdem der Prophet der Kirche eine Festigkeit verheißen, die niemals wanken soll, macht er das törichte Vertrauen der Gottlosen zunichte, die da wähnen, mit ihren tiefsten Wurzeln in das Zentrum der Erde hinabzureichen. Sie mögen sich im Rausche des Glücks noch so sehr einbilden, ihre Macht sei am festesten gegründet und am besten gesichert, sie werden dennoch plötzlich untergehen, weil Gottes Hand nicht ihre Stütze ist.

Also werden sie auch das Fähnlein nicht auf den Mastbaum ausstecken usw. Hier knüpft der Prophet wieder an das Bild an, das er im 21. Vers gebraucht hat. Er hatte da die Kirche mit einem festen Platz verglichen, der umgeben ist von weiten Wassergräben, über welche den Feinden kein Zugang offensteht. Hier nun lässt er die Gottlosen auf Schiffen heranfahren. Er will damit andeuten, dass sie keinen sicheren Grund unter den Füßen haben, wenn sie auch noch so furchtbar anzusehen sind, vor Wahnsinn glühen, wild wüten, und wenn es scheint, als ob niemand ihrer Wut Widerstand leisten könne. Aber der Herr wird ihre Schiffe vernichten, ihre Stricke zerreißen, ihre Mastbäume stürzen und sie im Schiffbruch zugrunde gehen lassen. Lasst uns darum nur nicht bange werden vor ihrer Gewalttätigkeit und Kühnheit, sondern lasst uns warten auf den Tag des Herrn, an dem er ihre Wut und ihre Gewalttätigkeit gegen ihre eignen Häupter richtet.

V. 24. Und kein Einwohner wird sagen: Ich bin schwach. Der Untergang, welcher den Assyrern angedroht wurde, schlägt zum Troste der Frommen aus. Die Kirche würde ja nicht heil bleiben, wenn Gott nicht den vielen feindlichen Angriffen, die von allen Seiten auf sie einstürmen, seinen väterlichen Schutz entgegensetzte. Nachdem also der Prophet kurz darauf hingewiesen, dass alle Gottlosen, welche die Kinder Gottes bedrücken, hinweggerissen werden, so hebt er nun die andere Seite dieses Gedankens hervor und führt aus, dass Gott nichts unterlassen wird, das Wohl der Frommen zu fördern. Die Glieder der Kirche sollen von allem Übel frei werden und unter Gottes Gnade glücklich sein.

Denn das Volk, so drinnen wohnet, wird Vergebung der Sünden haben. Dieser zweite Teil des Verses begründet den ersten. Dann hindert den Herrn nichts mehr, uns reich zu segnen, wenn unsere Sünden vergeben sind. Daraus können wir den Schluss ziehen, dass alles Elend, das auf uns lastet, in nichts anderem seinen Grund hat, als in unsern Sünden. Allerdings könnte dieser Grund, den der Prophet anführt, etwas weit hergeholt und wenig passend erscheinen. Aber das ist grundsätzlich festzuhalten: soviel Schweres Gott uns auferlegt, soviel Zeichen seines Zornes treten bei uns zu Tage. Wird nun die Schuld aufgehoben, dann bleibt dem Herrn nichts Anderes übrig, als uns zu segnen und uns mit väterlicher Liebe zu pflegen. Wünschen wir darum unserm Ungemach entrissen zu werden, dann muss diese Reihenfolge inne gehalten werden: Zuerst müssen wir Versöhnung mit Gott suchen. Dann, wenn die Ursache, die Sünde, aufgehoben ist, werden auch die Folgen der Sünde beseitigt. Ist aber unser Dichten und Trachten verkehrter Art, sind wir nur über die Strafen voller Unruhe und drücken gegenüber der Wurzel des Übels, der Sünde, die Augen zu, dann brauchen wir uns nicht zu verwundern, wenn uns keiner Erleichterung zuteilwird. Die täuschen sich also, die von Heimsuchungen frei und los sein wollen, dabei aber an ihren Sünden Gefallen haben. Auch wenn sie äußerlich unter keinem Unglück leiden, sind sie doch allezeit elend. Ein ruhiges Herz können sie nicht haben, so lange das Gewissen sie um ihrer Sünden willen straft. Das wahre Glück besteht darin, dass wir von Gott Vergebung der Sünden erlangen und nun tief im Herzen es fühlen, dass alle von seiner Hand uns zukommenden Wohltaten Folgen seiner väterlichen Güte sind.

Aus diesem Verse sollen wir ferner lernen, dass wir Gott nur gefallen können und dass er uns des Namens seiner Kinder nur dann wert achtet, wenn er aufhört, Sünden zuzurechnen. Allein die freie Versöhnung macht uns dem Herrn angenehm und ebnet uns den Weg zu seiner Güte. Wenn nun auch eine völlige Freiheit von allem Übel auf Erden niemals zu sehen ist, so nimmt dies der Verheißung doch nicht ihre Zuverlässigkeit. Den Gläubigen genügt, auch wenn sie von Gottes Hand heimgesucht werden, völlig der Trost, dass sie dennoch Gottes liebe Kinder sind. Denn soweit sie durch seinen Geist wiedergeboren sind, fangen sie an, den Segen zu kosten, der vor dem Falle Adams unbeschränkt auf Erden blühte. Sie sind aber noch mit vielen Sünden belastet und bedürfen darum einer fortdauernden Reinigung. Doch ist Gott dabei maßvoll im Strafen, er trägt ihrer Schwachheit Rechnung und zeigt, dass er um ihr Heil besorgt ist. Er lindert und mildert alles Schmerzliche, auch wenn er es nicht gänzlich wegnimmt. Nicht ohne Grund nimmt also der Prophet die Kirche von dem allgemeinen Elend und Jammer in der Welt aus, soweit darin sich Gottes Fluch offenbart.

Auch das ist noch zu beachten, dass nur die Bürger der Kirche dieses Vorrecht genießen. Denn außerhalb des Leibes Christi und der Gemeinschaft der Frommen ist auf keine Versöhnung mit Gott zu hoffen. Darum bekennen wir auch im dritten Artikel, dass wir an eine heilige, allgemeine, christliche Kirche glauben, die Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden. Wie Gott nur die mit seiner Liebe umschließt, die er als Glieder an dem Leibe seines eingeborenen Sohnes erkennt, so gewährt er auch nicht außerhalb dieses Leibes Christi seine aus freien Stücken erfolgende Zurechnung seiner Gerechtigkeit. Welche darum von der Kirche sich scheiden, denen bleibt nichts Anders übrig, als in ihrem Fluche unterzugehen. Die Trennung von der Kirche ist die offenbare Verwerfung des ewigen Heils.

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