Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 8.

Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 8.

V. 1. Das ist nun die Hauptsache. Es handelt sich bei dieser Ausführung darum, nachzuweisen, dass das Priestertum Christi, das dem gesetzlichen Priestertum ein Ende macht, geistlicher Art sei. Der Apostel führt immer noch den gleichen Gedanken durch; aber weil er ihn recht vielseitig beleuchten will, lenkt er jetzt die Aufmerksamkeit der Leser auf das eigentliche Ziel hin. Er hat im bisherigen gezeigt, dass Christus Hoherpriester sei; jetzt legt er den Nachdruck darauf, dass sein Priestertum himmlische Art an sich habe. Mit seinem Kommen muss daher das durch Mose gegebene, gesetzliche Priestertum, weil es irdisch war, aufhören. Weil nun Christus in der Niedrigkeit seines Fleisches gelitten und sich durch Annahme der Knechtsgestalt auf Erden entäußert hat (Phil. 2, 7), lässt uns der Apostel an seine Himmelfahrt denken. Durch sie ist nicht nur die Schmach des Kreuzes aufgehoben, sondern auch die Erniedrigung, die sein Eingehen in unsere Fleischesnatur mit sich brachte, überwunden. Nach der Kraft und Wirkung des Geistes, die in der Auferstehung und Himmelfahrt Christi hervorbrach, ist die Heiligkeit seines Priestertums zu beurteilen. Wenn er zur Rechten Gottes emporgehoben ist, um im Himmel herrlich zu regieren, so steht er nicht im Dienst eines irdischen, sondern des himmlischen Heiligtums.

V. 2. Ein Pfleger des Heiligen. Was der Apostel unter dem Heiligen versteht, erklärt er selber durch den Zusatz: der wahrhaftigen Hütte. Den Gegensatz bildet die mosaische Stiftshütte, ohne dass diese damit als unwahr und ihre Aufrichtung als willkürliche Tat bezeichnet werden soll. Der Wahrheit steht hier nicht die Lüge gegenüber, sondern das Abbild, wie in dem Wort Joh. 1, 17: Das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus worden. Jene frühere Hütte war also nicht eine leere, menschliche Erfindung, sondern das Abbild der himmlischen. Sie unterscheidet sich von der Wahrheit, wie der Schatten vom Körper, wie das Zeichen vom wirklichen Ding.

Der Hütte, welche Gott aufgerichtet hat. In welcher Absicht verlegt der Apostel das Priestertum Christi in den Himmel? Christus hat doch auf Erden gelitten und mit seinem Blut hienieden unsre Sünden getilgt als Spross aus Abrahams Samen. Seine Hingabe in den Tod war ein sichtbares Opfer. Um sich dem Vater als Opfer darzubringen, musste er vom Himmel auf diese Erde herabkommen und völlig Mensch werden in einem Leben, das allerlei Mühsal und endlich den Tod mit sich brachte. Allein, was auf den ersten Blick bei Christus als irdisch erscheint, ist, mit dem Auge des Glaubens betrachtet, geistlich. So war sein Leib aus dem Samen Abrahams als Tempel Gottes Träger eines höheren Lebens; selbst sein Tod bedeutete für die ganze Welt das Leben, was doch gewiss über die irdische Natur hinausweist. Der Apostel sieht somit nicht bloß auf die menschliche Natur Jesu, sondern vielmehr auf die verborgene Kraft des heiligen Geistes, eine Betrachtungsweise, die vom Tode Christi alles Irdische abstreift. Wenn also von Christus die Rede ist, muss sich unsere Aufmerksamkeit ganz auf Gottes Reich richten, dann bleibt nichts mehr unklar. Ungefähr in der gleichen Weise spricht auch Paulus 2. Kor. 5 hierüber.

Gott wird als Erbauer dieser Hütte bezeichnet, womit auf ihre Festigkeit und ewige Dauer hingewiesen werden soll, sowie umgekehrt das, was Menschenhände bauen, hinfällig oder wenigstens dem allmählichen Zerfall unterworfen ist. Der Apostel hebt dies hier hervor, weil das Erlösungswerk durch Christi Tod wahrhaft göttlich ist und hier auf wunderbare Weise Christi Macht offenbar wurde.

V. 3. Denn ein jeglicher Hoherpriester usw. Dem Apostel ist daran gelegen, zu zeigen, dass Christi Priestertum und das alte, levitische nicht nebeneinander bestehen können. Nach gesetzlicher Ordnung war die Aufgabe der Priester, Gott Opfer darzubringen. Ohne solche Opfer hat offenbar die Bezeichnung Priester keinen Sinn. Nun aber ist Christus ein Priester ohne Opfer von der Art, wie sie unter dem Gesetz gebräuchlich waren. Daraus ergibt sich die höhere Art seines Priestertums, das nicht von dieser Erde und nicht in der leiblichen Abstammung begründet ist.

Untersuchen wir nun nacheinander die einzelnen Aussagen. Was an erster Stelle steht, ist beachtenswert: kein Priester wird eingesetzt, es sei denn, dass er Gaben und Opfer darbringe. Wir sollen wissen, dass ohne Opfer die Menschen bei Gott nicht Gnade erlangen können. Unsere Gebete müssen sich also, um erhörlich zu sein, auf ein Opfer gründen; und es ist ein unheilvolles Beginnen, an Christus vorbei und ohne seines Todes zu gedenken sich zu Gottes Angesicht einen Weg bahnen zu wollen. Wir wollen daher, wenn wir beten, Christi Tod stets vor Augen haben, damit durch ihn unsere Gebete geheiligt werden. Erst so kann Gott, den wir mit unseren Sünden erzürnt haben, mit vergebender Gnade unsere Gebete erhören. Unserem Bitten muss das Opfer vorangehen, das, wohlgemerkt, kein Mensch und kein Engel für uns darbringen kann.

V. 4. Wenn er nun auf Erden wäre usw. Dass Christus der Hohepriester ist, kann bereits als zugestanden gelten. Wie es nun kein Richteramt gibt ohne Gesetze und Urteile, so auch kein Priesteramt ohne den Dienst des Opferns. Bei Christus finden wir jedoch kein irdisches, sichtbares Opfer; er kann somit nicht ein Priester irdischer Art sein. Man vergegenwärtige sich, dass der Apostel jedes Mal, wenn er vom Tode Christi spricht, nicht das äußere Geschehen, sondern die geistliche Bedeutung und die Frucht dieses Todes im Auge hat. Den Tod erlitt er als allgemein menschliches Schicksal; darin aber, dass er die Sünden dieser Welt priesterlich sühnte, offenbarte sich seine Göttlichkeit. Äußerlicher Art war das Vergießen des Blutes, aber die Reinigung von Sünden war etwas Innerliches und Geistliches. Der Schauplatz des Todes war die Erde, aber Kraft und Wirkung erhielt dieser Tod vom Himmel her.

Dieweil da Priester sind. Von zwei Fällen gilt nur der eine: entweder besteht das gesetzliche Priestertum in Kraft, und Christus ist nicht Priester, weil ihm ein entsprechendes Opfer fehlt, oder aber die gesetzlichen Opfer haben, sobald Christus als Mittler dasteht, ein Ende. Das Erste ist widersinnig, weil es einen Frevel bedeutet, Christus die Ehre des Priestertums abzusprechen; so bleibt uns nur das Bekenntnis, die levitische Ordnung sei jetzt abgetan.

V. 5. Welche dienen bei dem Vorbilde, oder: im Vorbilde und Schatten des Himmlischen. Der wahre Gottesdienst besteht nicht in gesetzlichen Zeremonien. Die levitischen Priester haben es bei Ausübung ihres Amtes nur mit dem Schatten und Abbild zu tun; höher aber steht das Urbild. Der Apostel kommt damit einem allfälligen Einwand zuvor. Der alte Opferdienst war keineswegs überflüssig, da er auf etwas Höheres, nämlich auf die himmlische Wahrheit hinwies.

Wie die göttliche Antwort zu Mose sprach. Mit deutlichem Hinweis auf 2. Mose 25, 40 legt der Apostel dar, dass der ganze Gottesdienst nach dem Gesetz nur ein Bild und Gleichnis dessen war, was in Christus geistlich vorhanden ist. Gott befiehlt, dass die Stiftshütte in allen Teilen dem Urbild entspreche, das Mose auf dem Berge gezeigt worden war. Wie die äußere Einrichtung der Hütte auf höheres Vorbild hinwies, so sollte es auch mit den Gebräuchen und dem ganzen priesterlichen Dienst sein. Sie hatten also in sich selbst keinen Bestand. Diese Stelle ist deshalb wichtig, weil sich aus ihr drei bemerkenswerte Gedanken ergeben.

Zuerst lernen wir, dass es sich bei den früheren gottesdienstlichen Gebräuchen nicht um willkürliche Aufstellungen handelt, von Gott nur dazu bestimmt, das Volk wie in kindlichem Spiel zu beschäftigen, und dass der Bau der Hütte nicht dem eitlen Zweck dienen sollte, bloß durch äußeren Glanz die Blicke auf sich zu ziehen und zu fesseln. Alles hatte vielmehr eine wahre und geistliche Bedeutung, da Mose befohlen war, es genau in Übereinstimmung zu bringen mit dem himmlischen Urbild. Man darf daher auch nicht annehmen, die Zeremonien seien nur dazu eingesetzt worden, um der Zügellosigkeit des Volkes heilsame Schranken aufzuerlegen und zu verhindern, dass es auf heidnische Bräuche verfalle. Das kommt freilich auch in Betracht, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Das viel Wichtigere darf man nicht übersehen, dass es Übungen waren, die das Volk zum Glauben an den Mittler vorbereiten sollten. Wir dürfen hierbei freilich nicht so weit gehen, hinter jedem Nagel und dergleichen Kleinigkeiten irgendein erhabenes Geheimnis zu vermuten. Man muss Maß halten in der Weise, dass wir nicht mehr wissen wollen, als was uns in Christus offenbart worden ist.

Zum Zweiten werden wir hier belehrt, dass alle gottesdienstlichen Übungen verkehrt und falsch sind, welche die Menschen nach eigenem Ermessen und ohne göttlichen Befehl aufzustellen sich erlauben. Wenn Gott vorschreibt, dass alles nach seiner Ordnung geschehe, so darf daneben nichts völlig anderes gemacht werden. „Schaue zu, dass du machst alles nach dem Bilde usw.“ bedeutet so viel wie: Schaue zu, dass du nichts machst ohne nach dem Bilde. Nicht im Geringsten sollen wir von der Ordnung abweichen, auf deren genaue Befolgung er Gewicht legt. Dadurch werden alle von Menschen aufgestellten, gottesdienstlichen Bräuche hinfällig, welche nicht aus Gott ihren Ursprung haben, und sollten sie auch Sakramente genannt werden.

Drittens geht hieraus hervor, dass es keine wahren, religiösen Sinnbilder gibt als die, welche auf Christus Bezug haben. Hüten wir uns aber davor, im Bestreben, unsere eigenen Erdichtungen mit Christus in Einklang zu bringen, aus ihm etwas zu machen, was ihm selber gar nicht entspricht. Es kommt uns nicht zu, etwas Beliebiges zu ersinnen, sondern Gottes Sache allein ist es, Weisung zu geben: nach dem Bilde, sagt er, das dir gezeigt ist.

V. 6. Nun aber hat er ein besseres Amt erlangt. Wie vorher (7, 22) aus der Würde des Priestertums Christi die Herrlichkeit des Bundes gefolgert wurde, so wird jetzt umgekehrt betont, dass sein Priestertum um so viel besserer Art sei, als er der Herold und Mittler eines besseren Bundes ist. Das eine wie das andere musste hervorgehoben werden, weil es galt, die Juden von der abergläubischen Verehrung der Zeremonien zu lösen, die sie hinderte, die klare und einfache Wahrheit des Evangeliums geradewegs zu erfassen. Darum sagt der Apostel, es sei billig, dass Mose und Aaron vor der Erhabenheit Christi zurücktreten, weil das Evangelium ein besserer Bund ist als das Gesetz und der Tod Christi ein viel wertvolleres Opfer als die Opfer des Gesetzes. Nicht ganz leicht verständlich jedoch ist der Zusatz, dass der Bund des Evangeliums auf besseren Verheißungen steht. Die Väter, die unter dem Gesetz lebten, hatten doch sicherlich die gleiche Hoffnung des ewigen Lebens wie wir; es galt ihnen auch dieselbe Gnade der Kindschaft. Ihr Glaube musste sich also auf die gleichen Verheißungen stützen. Aber was der Apostel vergleichen will, geht mehr auf die Form der Zusage als auf ihren Inhalt. Mag immerhin Gott ihnen das nämliche Heil verheißen haben, wie er es uns heute verheißt, so waren doch Art und Umfang der Offenbarung nicht gleich und übereinstimmend. Wer hierüber weiteren Aufschluss begehrt, den verweise ich auf das 4. und 5. Kapitel des Galaterbriefes und auf meine „Unterweisung in der christlichen Religion“ (II, 10 f.).

V. 7. Denn so jenes untadelig gewesen wäre usw. Der Apostel bekräftigt das über die Vortrefflichkeit des neuen Bundes Gesagte durch den Hinweis darauf, dass der Bund des Gesetzes keinen festen Bestand hatte. Wäre dieser ohne Mangel gewesen, wozu hätte ein anderer an seine Stelle treten müssen? Dass dies geschehen ist und Gott durch Christus mit uns einen neuen Bund geschlossen hat, macht klar, dass der alte nicht mehr in allen Teilen vollkommen war. Hierfür wird das Zeugnis des Jeremia angeführt, das wir sogleich untersuchen werden. Wie reimt sich aber die Aussage, dass nicht für einen anderen Bund hätte Raum gesucht werden müssen, wenn der frühere untadelig gewesen wäre, mit dem nachfolgenden Wort, dass das Volk getadelt werde und darum ein neuer Bund als Heilmittel gegeben sei. Es ist ja unpassend, für die Schuld des Volkes den Bund Gottes haftbar zu machen. Wenn Gott hundertmal das Volk beschuldigte, so wäre damit doch nicht gesagt, dass der Bund selber fehlerhaft sei. Es ist aber nicht schwer, auf diesen Einwand zu antworten. Wenn der Bund verletzt wurde, so wird das mit Recht dem Volke zur Schuld gerechnet, das durch seine eigene Untreue vom Herrn abfiel. Dennoch kann gleichzeitig auf die Unvollkommenheit des Bundes hingedeutet werden, weil er nicht in die Herzen geschrieben war. Darum erklärt Gott, ein besserer müsse an seine Stelle treten, der dann heilig und gültig sei. Nicht ohne Grund sagt somit der Apostel, es habe für einen anderen Bund Raum gesucht werden müssen.

V. 8. Siehe, es kommen die Tage usw. Der Prophet spricht von der zukünftigen Zeit. Er beschuldigt das Volk der Treulosigkeit in Hinsicht auf das empfangene Gesetz, das es nicht gehalten hat. Um den Schaden dieses Bundesbruches zu heilen, verspricht Gott einen neuen Bund, einen anderen, als der erste war, womit stillschweigend die Ergänzung, die Aufhebung des alten Testaments, ausgesprochen ist. Es ist nun keineswegs eine gewaltsame Deutung (wie es auf den ersten Augenblick erscheint), wenn der Apostel seinem Zweck gemäß das, was der Prophet vom Gesetz im Allgemeinen sagt, auf die Zeremonien bezieht. Die Zeremonien waren gewissermaßen das Kleid, die äußere Hülle des Gesetzes. Wozu soll jetzt nach des Leibes Vernichtung das Kleid dienen? Allgemein gilt doch, dass das Nebensächliche sich nach der Hauptsache richtet. Kein Wunder also, wenn die Zeremonien, dieser untergeordnete Bestandteil des alten Testaments, zugleich mit dem ganzen mosaischen Dienst aufhören. Die Berufung auf die Weissagung des Jeremia ist daher wohl am Platze.

Das Haus Israel und das Haus Juda werden genannt, weil die Nachkommenschaft Abrahams in zwei Reiche geteilt war. So wird eine Wiedervereinigung aller Auserwählten verheißen, wie sehr sie auch vorher voneinander getrennt waren.

V. 9. Nicht nach dem Testament usw. Der Prophet betont hier die Verschiedenheit zwischen dem damals bestehenden Bund und dem neuen, auf den er hoffen lässt. Gott sagt nicht bloß: „Ich will den Bund, der durch eure Schuld gebrochen ist, wiederherstellen“, sondern er erklärt ausdrücklich, der neue Bund werde ungleichartig sein. Wenn er dann weiter spricht von dem Tage, da er ihre Hand ergriff, sie auszuführen aus der Knechtschaft, so hebt er durch die Erwähnung einer solchen Wohltat das große Unrecht der Abtrünnigkeit hervor. Die Anklage richtet sich aber nicht bloß gegen die Undankbarkeit einer Generation. Wie die damals Befreiten alsbald abtrünnig wurden, so sind ihre Nachkommen in gleicher Weise fort und fort rückfällig geworden; das Volk ist also ganz allgemein bundesbrüchig gewesen.

Ich habe ihrer nicht achten oder nicht für sie sorgen wollen . Damit gibt Gott zu verstehen, dass sie als das einmal auserwählte Volk nichts voraus haben, wenn er ihnen nicht durch ein neues Heilmittel Hilfe bringe. Dass die Worte des Propheten im hebräischen Text anders lauten, ist für die vorliegende Frage nicht von Bedeutung.

V. 10. Das Testament, das ich machen will. Zwei Bestimmungen gelten vornehmlich für diesen Bund: die Sündenvergebung aus Gnaden und die innerliche Erneuerung des Herzens, wozu man als drittes rechnen kann die Erleuchtung der Sinne zur Erkenntnis Gottes. Hierüber ist viel zu sagen, was besonderer Beachtung wert ist.

Zunächst ein Wort über die Herzenserneuerung: Ich will geben mein Gesetz in ihren Sinn. Solange Gott nur durch Menschen zu uns spricht, bleibt sein Ruf ohne Wirkung. Lehre und Mahnung, wie wahr sie auch sind, werden tauben Ohren gepredigt; wenn es auch scheint, als ob wir hörten, so kommt doch nur von außen ein Ton an unser Ohr, das Herz aber ist voll Verkehrtheit und Trotz und verschmäht jede heilsame Lehre. Überhaupt kann Gottes Wort nie in unser wie Eisen und Stein hartes Herz dringen, bis dieses von Gott selbst erweicht wird; ja es ist ihm sogar ein widersprechendes Gesetz durch eines Menschen Stimme verkündigt, es sei denn, dass er es auch durch seinen Geist in unser Herz schreibt, d. h. uns zum Gehorsam willig und geschickt macht. Daraus ist ersichtlich, was wir mit unserem freien Willen ausrichten, und wie es sich mit der natürlichen Rechtbeschaffenheit verhält, bevor Gott uns wiedergeboren hat. Freilich haben wir einen Willen, und zwar einen eigenen, und eine Wahl, aber der Wille wird wie mit wütendem Ungestüm zum Widerstand gegen Gott hingerissen, so dass er sich seiner Gerechtigkeit in keiner Weise unterziehen kann. So bringt uns das Gesetz Tod und Verderben, solange es nur auf steinernen Tafeln geschrieben bleibt (2. Kor. 3, 3). Erst dann, wenn Gott durch seinen Geist die natürliche Verkehrtheit des Herzens ändert und umgestaltet, halten wir in treuem Gehorsam am Befehl Gottes fest; ohne das fände er bei uns nichts anderes als sündliche Triebe und ein Herz, das ganz zum Bösen geneigt ist. Denn es heißt deutlich, dass ein neuer Bund geschlossen werden muss, durch den Gott sein Gesetz in die Herzen eingräbt, sonst wäre er unwirksam und ungültig.

Wir kommen zum zweiten Punkt, nämlich der sündenvergebenden Gnade. Wenn sie auch gesündigt haben, sagt der Herr, so will ich ihnen doch verzeihen. Auch das ist ein rechtes Kern- und Hauptstück. Gott bildet uns nie so zum Gehorsam seiner Gerechtigkeit, dass nicht noch viele sündliche Regungen der fleischlichen Natur vorhanden wären. Vielmehr wird unsere natürliche Verderbnis nur zum Teil umgestaltet, so dass auch nachher noch schlechte Begierden hervorbrechen können. Daher denn jener Kampf, über den Paulus Röm. 7, 19 ff. klagt, dass die Frommen Gott nicht gehorchen, wie es sich gebührt, sondern auf mache Weise stolpern. Wie stark auch das Verlangen in uns ist, recht und heilig zu leben, so sind wir doch vor Gott des ewigen Todes schuldig, weil unser Leben von der Vollkommenheit des Gesetzes immer weit entfernt bleibt. Der Bund hat somit keine Festigkeit, wenn Gott uns nicht gnädiglich die Sünden vergibt. Das ist übrigens ein besonderes Vorrecht der Gläubigen, die den in Christus angebotenen Bund einmal fest ergriffen haben, dessen gewiss zu sein, dass Gott ihnen gnädig ist und dass die Sünde, deren sie sich schuldig gemacht haben, ihnen nicht schaden kann, da sie die Verheißung der Vergebung haben. Dabei ist zu bemerken, dass ihnen diese Verheißung nicht nur für einen Tag gilt, sondern bis zum Lebensende, so dass ihre Versöhnung mit Gott täglich in Kraft bleibt. Wahrlich, das ist unsers Glaubens einzige Freistätte; wenn wir nicht dorthin fliehen, bleibt uns nichts anderes als beständige Verzweiflung. Wir alle stehen unter der Anklage der Schuld und können nicht anders erlöst werden, als wenn wir bei Gottes gnädigem Erbarmen, das uns freispricht, Zuflucht suchen.

Und sie sollen mein Volk sein usw. Das ist die Wirkung des Bundes: Gott nimmt uns an als sein Volk und erklärt, unsers Heils Beschützer sein zu wollen. Dies nämlich liegt in dem Ausdruck: Ich will ihr Gott sein, da er ja nicht der Gott der Toten ist und uns durch die Aufnahme in seinen Schutz der Gerechtigkeit und des Lebens teilhaftig machen will. Mit Recht ruft daher David aus: Wohl dem Volke, des der Herr Gott ist (Ps. 144, 15; 33, 12). Es darf keinem Zweifel unterliegen, dass wir das auf uns beziehen sollen. Die Israeliten stehen freilich an erster Stelle als die eigentlichen und rechtmäßigen Erben des Bundes; aber trotz ihrem Vorrang haben auch wir daran teil. Soweit überhaupt Christi Herrschaft reicht, erstreckt sich auch die Segenskraft dieses Bundes.

Man möchte vielleicht fragen, ob es denn nicht schon unter dem Gesetz eine sichere und wirksame Heilsverheißung gegeben habe. Waren denn die Väter, die mit aufrichtigem Herzen und reinem Gewissen Gott dienten, ohne Gnadenbeistand des Geistes, der sie innerlich leitete? Und bekamen nicht auch sie Gottes väterliche Güte in Vergebung der Sünden zu schmecken, so oft sie sich angesichts ihrer Mängel im Vertrauen auf sein gnädiges Verzeihen aufgerichtet haben? Nun aber hat es den Anschein, als ob ihnen der Apostel diese beiden Heilsgüter abspreche, indem er die Weissagung des Jeremia auf die Zeit der Erscheinung Christi deutet. Es soll nicht schlechthin geleugnet werden, dass Gott auch schon in alter Zeit das Gesetz den Seinen ins Herz geschrieben und ihnen die Sünden vergeben habe. Aber was ist jene anfängliche Erfahrung der Gnade, die die Väter unter dem Gesetze machen durften, im Vergleich mit der reichen Fülle unter Christi Herrschaft! Dort noch undeutliche und verhüllte Verheißungen, wie das Licht der Sterne und des Mondes, hier das Evangelium mit seinem hellen Glanz.

V. 11. Und soll nicht lehren jemand seinen Nächsten. Dieser Gedanke steht in enger Beziehung zu der Verheißung: „Ich will geben mein Gesetz in ihren Sinn.“ Der Geist Gottes wirkt in der Weise, dass er unsre Sinne erleuchtet zur Erkenntnis des Willens Gottes und unsere Herzen zum Gehorsam richtet. Denn die rechte Gotteserkenntnis ist eine Weisheit, die über menschliches Begreifen weit hinausgeht, und niemand kann zu ihr anders als durch innerlichste Geistesoffenbarung gelangen. So sagt auch Jesaja da, wo er von der Erneuerung der Kirche redet: alle Kinder Gottes werden von ihm gelehrt sein (Jes. 54, 13). Im gleichen Sinne will auch unsere Stelle verstanden sein: sie sollen mich kennen. Gott verheißt nämlich nichts, was wir aus uns selbst vermöchten, sondern was nur er allein uns geben kann. Unser Sinn ist blind und mangelt der rechten Einsicht, bis er durch Gottes Geist erleuchtet ist. Daher kann Gott nur von denen recht erkannt werden, die er einer besonderen Gnadenkundgebung gewürdigt hat.

Von dem Kleinsten an bis zu dem Größten. Wenn Gottes Gnadenfülle sich ergießt, so kommen keine Standesunterschiede in Betracht. Die Leute des gemeinen, ungebildeten Volkes können der himmlischen Weisheit teilhaftig werden, und die Großen und Edlen gelangen zu ihr nicht vermöge ihrer Scharfsinnigkeit und Gelehrsamkeit. So stellt Gott die Kleinsten und Niedrigsten mit den Größten auf die gleiche Stufe; sie alle haben einen und denselben Lehrmeister, den Geist. Wenn aber fanatische Menschen hieraus folgern, das äußere Predigtamt müsse in Christi Reich als überflüssig beseitigt werden, so ist die Widerlegung einer solch unsinnigen Behauptung nicht schwer. Man übersieht nämlich etwas, was besonders beachtenswert ist. Der Prophet stellt nicht ganz allgemein in Abrede, dass die einen die andern belehren werden, sondern er drückt sich so aus: sie sollen nicht lehren und sagen: Erkenne den Herrn; also mit andern Worten: die Menschen werden nicht mehr wie früher über Gott in völliger Unwissenheit sein. Die Belehrung hat aber, wie wir wissen, einen doppelten Zweck. Erstlich soll sie denen, die noch ganz unwissend sind, die ersten Anfangsgründe vermitteln; sodann soll sie die, die schon einiges Verständnis haben, in ihrer Erkenntnis fördern. Christen müssen, solange sie leben, Fortschritte machen, und sicher ist keiner so weise, dass er der Belehrung nicht mehr bedürfte. Die Willigkeit zu lernen soll eins der ersten Kennzeichen unserer Weisheit sein. Im Hinblick auf dieses Fortschreiten in der Erkenntnis bei denen, die Christi Schüler sein wollen, nennt Paulus im Epheserbrief (4, 11) unter den verschiedenen Ämtern auch das der Hirten und Lehrer. Daraus geht hervor, dass der Prophet nichts weniger im Sinn haben konnte, als die Kirche eines so notwendigen Dienstes zu berauben. Er wollte bloß sagen, dass Gott sich den Geringen wie den Großen kundgeben werde. So hat es auch Joel (3, 1. 2) verheißen. Nebenbei merke man sich auch, dass das Licht der gesunden Erkenntnis als der Kirche eigentümlich verheißen ist. Diese Stelle leidet daher nur auf die Genossen des Glaubens Anwendung.

V. 13. Indem er sagt: Ein neues usw. Das eine steht fest, mithin muss das andere, das zum ersten im Gegensatz steht, fallen. Der Name „altes Testament“ dient dem Apostel zum Beweis, dass es aufgehoben werden musste; denn was alt ist, geht dem Verfall entgegen. An die Stelle jenes Früheren sollte ein Neues treten, das, wie gesagt, anderer Art ist. Wenn also der ganze mosaische Dienst, sofern er dem Dienst Christi entgegensteht, hinfällig wird, so hören auch die Zeremonien auf.

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