Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 5.

Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 5.

V. 1. Denn ein jeglicher Hoherpriester usw. Christus wird hiermit den levitischen Priestern, hinsichtlich der Ähnlichkeit oder Verschiedenheit zwischen ihnen, in Vergleichung gebracht. Diese Untersuchung bezweckt lediglich, das Werk Christi ins rechte Licht zu stellen und zu zeigen, dass alle Ordnungen, die unter dem Gesetz bestanden, bereits auf ihn hingezielt hätten. Von hier aus bahnt sich dann der Apostel den Weg, um schließlich (7, 11 ff.) die Vergänglichkeit des alten Priestertums darzutun. Es sind fünf Dinge, die er in unserer Stelle von den Priestern im Allgemeinen aussagt: sie werden aus den Menschen genommen; sie sollen mit Opfern, also nicht mit leeren Händen vor Gott erscheinen, ihn zu versöhnen; unsre menschliche Schwachheit müssen sie aus eigener Erfahrung kennen, um desto lieber den Gedrückten ihren Beistand zu leihen; endlich, sie dürfen sich nicht ohne weiteres ins Amt drängen, sondern ihre Ehre ist erst dann eine rechtmäßige, wenn sie von Gott erwählt und bestätigt sind. Davon ist nun im Einzelnen in der Kürze zu reden.

Die Priester werden aus den Menschen genommen, sagt der Apostel. Christus muss also wahrer Mensch gewesen sein. Denn ein Priester, der nicht einer der Unsrigen wäre, könnte uns auch nicht vor Gottes Angesicht vertreten. Es nimmt daher dem Sohn Gottes nichts von seiner Würde, dass er die gleiche Natur mit uns teilt, sondern macht sie uns nur umso größer. Gerade darum, weil er Mensch ist, ist er instand gesetzt, uns Gottes Liebe zu erwerben. Nachdrücklich nennt ihn deshalb Paulus so (1. Tim. 2, 5), um sein wahres Mittlertum zu erweisen; wäre er aus den Engeln oder sonst woher genommen, so fehlte ihm der Zusammenhang mit uns, und er könnte keine Verbindung mit Gott bewirken.

Wird gesetzt für die Menschen. Dies ist die zweite Aussage: der Priester versteht seinen Dienst nicht als eine Privatangelegenheit, sondern zum gemeinen Besten des Volkes. Es ist wichtig, das mit Bezug auf Christus festzuhalten. Bei seinem Priestertum handelt es sich um unser aller Heil.

Gegen Gott. Als Unheilige sind wir fern von Gott und seinem heiligen Dienst, bis sich der Priester ins Mittel legt und unsere Vertretung übernimmt.

Auf dass er opfere. Die Darbringung von Geschenken ist das dritte, was einem Priester zukommt. Von den beiden hier gebrauchten Ausdrücken, Gaben und Opfer, ist meines Erachtens der erste allgemeine Bezeichnung der Opfer überhaupt, während der zweite auf die Sühnopfer im Besonderen geht. Auf alle Fälle, das ist der Sinn, wird die zwischen Gott und Menschen Frieden stiftende Tätigkeit des Priesters durch ein Opfer vermittelt, weil ohne solches vorangegangene Pfand die Sünde nicht gesühnt, der Zorn Gottes nicht besänftigt wird. Kein Engel vermag darum, uns göttliche Gnade zu erwirken, weil das entsprechende Opfer fehlt; dasselbe gilt auch von den Propheten und Aposteln, Christus allein ist es, der durch sein Opfer unsere Sünden hinwegnimmt.

V. 2. Der da könnte mitfühlen, d. h. der dazu fähig und tüchtig sei. Diese vierte Aussage bringt bei aller Verwandtschaft, die sie mit der ersten hat, doch Neues hinzu. Dort hieß es, in der Person eines Menschen trete das ganze Geschlecht mit Gott in Verbindung, indem alle dasselbe Fleisch und dieselbe Natur haben. Jetzt wird der andere Punkt berührt, dass ein Priester gegen die Sünder Billigkeit und Nachsicht beweise, weil er ihrer Schwachheiten teilhaftig sei. Doch trifft nicht alles, was hier von den levitischen Priestern gilt, auf Christus zu. Es kann auf ihn nur mit der früher erwähnten Einschränkung angewandt werden, dass er in unseren Schwachheiten versucht worden ist ohne Sünde und also nicht auch für sich selbst reinigende Opfer darzubringen hatte. Indessen, wiewohl er von jeder sündlichen Ansteckung frei geblieben ist, so kennt er doch jenes Gefühl der Schwachheit zu gut, um nicht geneigt zu sein, uns zu helfen, milde und nachsichtig zum Vergeben, bekümmert wegen unsrer Übel.

Die da unwissend sind und irren – ist Bezeichnung derer, welche sich verfehlen.

V. 4. Niemand nimmt ihm selbst die Ehre. Die göttliche Berufung macht die Rechtmäßigkeit des Amtes aus, so dass keiner es ordnungsgemäß bekleidet, er sei denn von Gott dazu erwählt. Das ist das Christus und Aaron Gemeinsame: beide hat Gott berufen. Ihr Unterschied besteht darin, dass Christus auf eine neue Weise, und zwar auf ewig, in sein Amt eingesetzt worden ist, während das Amt Aarons bloß eine vorübergehende, vergängliche Geltung beanspruchen konnte. Wir sehen, wo der Apostel hinaus will. Es galt, das Recht des Hohepriestertums für Christus sicherzustellen. Er tut es, indem er zeigt, Gott habe es ihm übertragen. Allein das kann noch nicht genügen, solange nicht feststeht, dass nach Gottes Willen die frühere Ordnung der Dinge hat aufhören müssen, um der neuen Platz zu machen. Dass dem wirklich so sei, lässt der Apostel schon hier durchblicken, um dann weiter unten mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen. Was ist gegenüber Christi Priestertum von Aaron und seinen Nachfolgern zu halten? Ihr Recht reicht natürlich so weit, wie es ihnen vom Herrn eingeräumt ist, nicht wie menschliche Einbildung es ihnen allfällig zuschreibt.

Aus der gegenwärtigen Stelle lässt sich die allgemeine Lehre ableiten, dass in der Kirche keinerlei Amt für heilig und rechtmäßig zu gelten hat, das die Menschen aus reiner Willkür ersinnen, ohne nach dem Willen Gottes zu fragen. Denn da es Gott zugehört, die Kirche zu regieren, so behält er sich allein vor, die Art und Weise der Leitung zu bestimmen. Und was die Menschen betrifft, die das Amt führen, so muss es eine feste Regel geben, nach der sie zu wählen sind, damit keiner nach eigener Laune sich eindränge. Auch wo es sich um göttliche verordnete Dienstleistung handelt, sollte also keiner sich selber die Ehre nehmen, sondern stets sollte eine öffentliche Anerkennung vorangehen, es wäre denn, dass der Zustand der Kirche Ausnahmen rechtfertigte.

V. 5. Du bist mein Sohn. Es möchte scheinen, als sei dieses Schriftzeugnis etwas weit hergeholt. Denn man könnte sagen, damit, dass Christus von Gott dem Vater gezeugt worden ist, sei er noch nicht zum Hohenpriester bestellt. Allein wir haben uns an das zu erinnern, was in der Erklärung des ersten Kapitels (1, 5) gesagt wurde, dass nämlich diese Zeugung Christi, wovon der Psalm spricht, als die Bezeugung zu verstehen ist, die ihm vonseiten Gottes vor den Menschen zuteil ward. Nicht an die innerliche Beziehung zwischen Vater und Sohn ist dabei zu denken, sondern eher an den Eindruck, den die göttliche Ausrüstung und Auszeichnung Christi auf die Menschen gemacht hat. Und welchen Eindruck? Etwa den eines Menschen ohne Amt und ohne Macht? Vielmehr den, dass hier der wahre Mittler zwischen Gott und Mensch gefunden sei. So schließt jene Zeugung in der Tat das Hohepriestertum in sich.

V. 6. Wie er auch am andern Ort spricht usw. Diese Stelle drückt den Gedanken des Apostels deutlicher aus. Sie ist berühmt, wie auch der ganze Psalm, dem sie entnommen ist, darum, weil es kaum eine hellere Weissagung sowohl von Christi Priestertum als von seiner Königsherrschaft gibt. Bekanntlich gebührt es den Königen nicht, priesterliche Verrichtungen auszuüben. Usia zog dadurch, dass er es sich herausnahm, den Zorn Gottes auf sich und wurde vom Aussatz befallen (2. Chron. 26, 18). Schon deshalb kann die Stelle nicht auf David oder einen der späteren Könige gedeutet werden. Von dem König, der zur Rechten Gottes gesetzt wird, bezeugt der Psalm, er werde Priester sein nach der Ordnung Melchisedeks. Eben weil es nur sehr selten und im Volke Gottes überhaupt nicht vorkam, dass König und Priester in derselben Person vereinigt waren, so wird Melchisedek, bei welchem dies zutraf, als ein Vorbild und Vorläufer des Messias hingestellt. Wie bei ihm, so soll auch beim Messias die königliche Würde die gleichzeitige Übernahme des Priesteramts nicht hindern. Im Verlauf des Briefes (7, 1 ff.) knüpft der Apostel selber ausführlichere Erörterungen daran.

V. 7. Und er hat usw. Weil man sich sehr häufig das Bild Christi durch das Kreuz trüben lässt, nicht bedenkend, warum er erniedrigt worden ist, so kommt der Apostel neuerdings darauf zu sprechen, dass gerade hier seine Liebe in ihrer wunderbaren Größe hervorleuchtet, da er sich ja zu unserm Besten unsern Schwachheiten unterzogen habe. Es dient unserm Glauben zur Stärkung, seiner Ehre aber in keiner Weise zur Minderung, dass er unsre Übel auf sich nahm. Der Brief nennt zwei Gründe, warum Christus leiden musste, einen näheren und einen höheren. Der nähere ist: dass er Gehorsam lernte; der höhere: damit er auf diesem Wege zu unserm Heil als Hoherpriester geweiht würde.

In den Tagen seines Fleisches. Damit ist natürlich sein einstiger Wandel auf Erden gemeint, der voller Beschwerden war. Wir dürfen dem Ausdruck die trostreiche Andeutung entnehmen, dass auch unseren Mühsalen Zeit und Grenze bestimmt sind. Gewiss, unsere Lage wäre zu hart und unerträglich, wenn kein Ende des Leidens abzusehen wäre.

Auch die vorangeschickten Aussagen über Christus enthalten für uns nicht wenig Ermutigung. Christus, der doch der Sohn war, der beim Vater Hilfe suchte, der auch erhört worden ist, hat dennoch den Tod erlitten, um Gehorsam zu lernen. Jedes Sätzchen hat da sein großes Gewicht.

Wiewohl er Gottes Sohn war. Seine Würde hob ihn weit über die anderen hinaus, und doch hat er sich um unsertwillen so tief herabgelassen. Welcher Sterbliche dürfte sich da weigern, zu leiden, was andere auch leiden müssen? Auf der andern Seite: mögen wir den Druck der Widerwärtigkeiten noch so sehr empfinden, das streicht unseren Namen nicht aus der Zahl der Kinder Gottes. Sehen wir doch auf dieser Bahn den uns vorangehen, dem allein von Natur das Sohnesrecht zukommt.

Gebet und Flehen geopfert. Das wird als zweites hervorgehoben, dass Christus am rechten Ort Hilfe gesucht habe, um vom Übel befreit zu werden. Es soll sich nämlich niemand einbilden, als hätte Christus ein Herz von Eisen gehabt, das unempfindlich gewesen wäre. Wenn kein Schmerz ihn berührt hätte, brächten uns seine Leiden keinen Trost. Hören wir aber, wie auch er die bittersten Qualen ausgestanden, so wird er uns menschlich nahegerückt. Wenn er den Tod und sonstige Beschwerden erduldete, so geschah es, meint der Apostel, nicht in kalter, gefühlloser Verachtung des Schmerzes; seine Tränen und starkes Geschrei sind Zeugen der heftigen Herzensbeklemmung, in der er nach Gott rief. Ich denke, es wird hier auf jene Bitte in Gethsemane (Mt. 26, 39) angespielt: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir,“ und auf die andere am Kreuz (Mt. 27, 46): „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Denn bei der zweiten erwähnen die Evangelisten lautes Schreien, und bei der ersten sind gewiss die Augen nicht trocken geblieben, da vor übergroßer Traurigkeit der Schweiß wie Blutstropfen vom ganzen Leibe niederrann. Auf jeden Fall ist Christus damals in höchster Seelennot gewesen. Wirkliche Schmerzen waren es, die auf ihm lasteten, und nicht zum Schein hat er den Vater angefleht, dass er ihm Hilfe brächte. Was sollen wir daraus lernen? Doch wohl das, dass wir in allen unsern Ängsten und Nöten des Gottessohnes gedenken dürfen, der sich gleicherweise bedrängt fühlte; so lange wir ihn vor uns haben, ist kein Grund zum Verzweifeln. Dann heißt es aber auch für uns, die Rettung im Unglück nicht anderswo suchen als bei Gott allein. Das Beispiel Christi ist die beste Gebetsregel. Er hat sich geradeswegs an den Vater gewendet, an den, der ihm von dem Tode konnte aushelfen und außer welchem es keinen wahren Helfer gibt. So hat er richtig gebetet. So sollen auch wir tun.

Die Ausdrücke Geschrei und Tränen weisen uns auf die jedem Gebet notwendige Andacht und Inbrunst hin. Nicht oberflächlich und geschäftsmäßig, sondern mit brennendem Verlangen will Gott angerufen sein.

Und ist auch erhört worden aus der Angst. Diese Übersetzung scheint mir richtiger als die andere: erhört wegen seiner Gottesfurcht oder Frömmigkeit. Der Apostel will sagen, die Furcht, unter der Last des Übels zu erliegen und vom Tode gänzlich verschlungen zu werden, sie sei ihm abgenommen worden. Denn selbst diese Angst hatte dem Sohne Gottes zu schaffen gemacht; nicht aus Kleinglaube stamme sie bei ihm, sondern aus dem Gefühl des göttlichen Gerichts, dessen Schrecken nur mit höchster Anstrengung überwunden werden konnten. Jene dritte Aussage über Christus ist beigefügt, damit wir nicht denken, sein Gebet sei verworfen worden. Wurde er auch nicht sogleich vom Übel befreit, so fehlte es ihm doch keinen Augenblick an Gottes Erbarmen und Hilfe. So geht es auch bei uns oft, dass Gott uns erhört, auch wo der Schein dagegen spricht. Es geziemt uns ja nicht, ihm das Wie vorzuschreiben, und ist auch nicht seine Sache, jeden beliebigen, gedachten oder ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen. Aber hinterher stellt sich heraus, dass er unsere Bitte erhört hat gerade in der Weise, wie es zu unserm Heil dient. Scheinbar bekommen wir einen Abschlag und erlangen doch weit mehr, als wenn uns wörtlich willfahrt würde.

Wie ist aber Christus „erhört worden aus der Angst“, da er doch den gefürchteten Tod erleiden musste? Wir müssen den eigentlichen Grund seiner Furcht bedenken. Darum bebte er vor dem Tode zurück, weil ihm darin der Fluch Gottes entgegentrat und ein unausweichlicher Kampf mit der Sündenschuld der Menschheit, ja mit der Hölle selber. Daher sein Zittern und Zagen; denn das Gericht Gottes geht über alle Schrecken. In dieser Hinsicht ist Christus wirklich erhört worden: als Sieger ging er aus den Schmerzen des Todes hervor; die gnädige Hand des Vaters hielt ihn aufrecht, und nach kurzem Streit konnte er über Satan, Sünde und Hölle herrlich triumphieren.

V. 8. Er hat Gehorsam gelernt. Das war der nächste Zweck der Leiden Christi. Nicht als ob er mit Gewalt zum Gehorsam hätte gezwungen oder daran gewöhnt werden müssen; denn an Willigkeit, dem Vater allen schuldigen Gehorsam zu leisten, hat es ihm wahrlich nie gefehlt. Aber uns zugute musste er diesen Beweis der Selbsterniedrigung bis zum Tod geben, und von ihm selber kann allerdings wohl behauptet werden, er habe in seinem Leiden und Sterben vollends gelernt, was es heiße, Gott gehorchen, weil es da für ihn den stärksten Verzicht auf alles Eigene galt. Unter Darangabe des eigenen Willens hat er sich der Leitung des Vaters so vollständig überlassen, dass er nun den Tod, vor welchem ihm anfangs graute, gern und willig auf sich nahm. Der Sinn ist also der: Christus hat in seinem Leiden erfahren, bis zu welchem Grade gehorsame Unterwerfung unter Gott von uns gefordert wird. Gleich ihm gebührt es denn auch uns, durch mancherlei Heimsuchungen und zuletzt durch das Sterbenmüssen zum Gehorsam gegen Gott hingeleitet und erzogen zu werden, ja uns in viel höherem Maße als ihm, da wir ein widerspenstiges, ungezähmtes Gemüt haben, bis der Herr uns durch solche Veranstaltungen zum Tragen seines Joches willig macht. Dieser aus dem Kreuze fließende Segen muss seine Bitterkeit für unser Gefühl lindern. In Zeiten des Glücks, wo uns gleichsam der Zügel nachgelassen wird, werden wir nur zu oft übermütig, schütteln sogar das Joch gänzlich ab und fallen in wilde, fleischliche Ausgelassenheit. Wenn dann aber im Kreuze unserm Willen ein Meister ersteht, so dass wir zu wollen anfangen, was Gott gefällt, da schlägt unserm Gehorsam die wahre Geburtsstunde. Die glänzende Probe der vollkommenen Unterwerfung liegt, meine ich, darin, dass wir den von Gott verordneten Tod, so schreckhaft er sein mag, einem eigenwillig verlängerten Leben vorziehen.

V. 9. Und da er vollendet oder, wie mit Beziehung auf sein Priestertum noch zutreffender übersetzt wird, geheiligt war. So sagt Christus selbst anderswo (Joh. 17, 19): „Ich heilige mich selbst für sie.“ Hier ist der höhere und letzte Zweck seines Leidens angegeben. Er wurde dadurch in sein Priesteramt eingesetzt. Der Apostel will sagen, das Erdulden des Kreuzes und der Tod seien für Christus die feierliche Weihe dazu gewesen; alle seine Leiden hätten somit zu unserm Heil gedient. Sie stehen seiner Würde so wenig im Wege, dass sie vielmehr seinen Ruhm vermehren. Denn wenn uns unsere Seligkeit wertvoll ist, wie teuer muss uns dann die Ursache derselben gelten! Der Apostel handelt nämlich hier nicht mehr bloß vom Beispiel, das Christus uns im Leiden gibt, sondern steigt auf eine höhere Warte: durch seinen Gehorsam, das Gegenmittel wider Adams Ungehorsam, hat Christus unsere Übertretungen gesühnt. Er ist eine Ursache zur Seligkeit geworden, weil er uns bei Gott Gerechtigkeit erwarb.

Allen, die ihm gehorsam sind. Wünschen wir, dass Christi Gehorsam uns etwas nütze, so lasst uns ihm nachfolgen. Nur den Gehorchenden wird die Frucht davon gewährt. Das schließt auch eine Empfehlung des Glaubens in sich; denn nur, insofern wir Christus und seine Güter im Glauben umfassen, bekommen wir Anteil an ihm. Doch scheint der Apostel mit dem Worte „allen“ sagen zu wollen, dass überhaupt niemand von diesem Heile ausgeschlossen sei, der sich gegenüber dem Evangelium von Christus empfänglich und folgsam beweise.

V. 11. Davon hätten wir wohl viel zu reden. Weil es sich der Mühe lohnte, die angedeutete Vergleichung Christi mit Melchisedek weiter durchzuführen, die Leser aber daraufhin zu größerer Aufmerksamkeit angespornt werden mussten, so lässt der Apostel einen Zwischenabschnitt folgen, mit der Absicht, auf diesen Gegenstand nachher zurückzukommen. Darum beginnt er, er hätte manches darüber zu sagen; damit es jedoch nicht umsonst geschähe, müssten sie in der richtigen Verfassung sein. Die Aufgabe werde schwierig sein, gibt er zu bedenken, nicht um sie abzuschrecken, sondern im Gegenteil, um sie aufzumuntern. Denn während leichte Dinge uns leicht schläfrig machen, hören wir sofort gespannter zu, wenn etwas Schwerverständliches zur Sprache kommt. Immerhin wird im vorliegenden Falle die Schwierigkeit den Lesern selbst, nicht der Sache Schuld, gegeben.

Und gewiss, der Herr handelt mit uns immer so klar und ohne Rätselwort, dass sein Wort mit Recht unser Licht heißt; durch unsre eigne Finsternis wird die Helle desselben verdunkelt. Teils kommt dabei unsere große, geistliche Stumpfheit für göttliche Dinge in Betracht, teils die aus verkehrter Willensrichtung entspringende Gleichgültigkeit, da wir unsern Sinn lieber auf Eitles richten als auf die göttliche Wahrheit. Bald ist der Stolz, bald sind die Sorgen dieser Welt, bald wieder fleischliche Gelüste der Strick, der uns gefangen hält.

V. 12. Die ihr solltet längst Meiser sein. Dieser Tadel geht der Trägheit der Hebräer mit scharfer Spitze zu Leibe. Es sei unnatürlich und eine Schande, dass sie noch Lehrlinge seien, während sie Meister sein sollten. Man dürfte von euch erwarten, sagt ihnen der Apostel, dass ihr andere lehren könntet, und nun seid ihr nicht einmal imstande, als Schüler eine keineswegs außerordentliche Lehre zu fassen; denn ihr versteht euch noch nicht hinlänglich auf die Anfangsgründe des Christentums.

Die ersten Buchstaben. Sie lernen gleichsam noch am Alphabet herum. Das Lernen muss freilich durch das ganze Leben fortdauern, da gerade die wahre Weisheit erkennt, wie viel am vollen Verständnis mangelt. Aber der Fortschritt soll doch beim Lernen stattfinden, dass wir nicht immer in den Grundlagen stecken bleiben, sondern, entsprechend der Zeit, seitdem wir angefangen, zu reicherer Erkenntnis kommen. Mit jedem dahinten liegenden Jahre, mit jedem einzelnen Tag hätten wir gewissenhaft haushalten sollen; aber wie wenige sind, die von der vergangenen Zeit sich Rechenschaft geben oder über die noch bleibende sich Gedanken machen. So werden wir billig um unsrer Trägheit willen gestraft, weil die Mehrzahl auf der kindlichen Stufe verharrt. Zugleich werden alle an ihre Pflicht erinnert, nach dem Maße ihrer erlangten, höheren Einsicht den Brüdern davon nach Kräften mitzuteilen, damit eines jeden Weisheit, statt vereinzelt zu bleiben, vielmehr zur gegenseitigen Erbauung Nutzen schaffe.

Dass man euch Milch gebe. Dasselbe Bild braucht Paulus 1. Kor. 3, 1 f., indem er den Korinthern den nämlichen Mangel vorwirft oder doch einen ziemlich ähnlichen. Er sagt nämlich, weil sie fleischlich wären, vertrügen sie feste Speise nicht. Die Milch ist somit die einfachste Lehre für die Anfänger. In einem anderen Sinne fasst Petrus das Bild (1. Petr. 2, 2), wenn er uns ermahnt, wie neugeborene Kindlein begierig zu sein nach der lauteren Milch. Man kann eben in zweifacher Weise ein Kind sein, an der Bosheit oder am Verständnis (1. Kor. 14, 20). Wer fortwährend so schwach ist, dass er sich tiefere Erkenntnis nicht aneignen kann, wird im tadelnden Sinn ein Kind genannt. Denn das empfangene Wort, wenn wir es recht gebrauchen, soll uns instand setzen, dass wir hingelangen zur männliche Reife, zum Maße des vollen Alters, und nicht mehr Kinder seien, die sich wägen und wiegen lassen von jedem Wind der Lehre (Eph. 4, 13 f.). Denen, die von Christus noch nichts geschmeckt haben, ist es freilich nachzusehen, wenn sie starker Speise nicht mächtig sind; wer aber der Zeit nach hätte heranwachsen sollen und doch immer ein Kind bleibt, verdient keine Entschuldigung. Das Wort von Christus enthält allerdings sowohl Milch für die Unmündigen wie feste Speise für die Gereiften. Indessen, gleichwie der Säugling allmählich an kräftigere Nahrung zu gewöhnen ist, so will uns auch die Schrift anfangs ihre Milch, später aber ihr Brot darreichen. Beide, Milch und starke Speise, beziehen sich durchaus auf dieselbe gesunde Lehre; sie werden aber unterschieden, weil anders bei Anfängern der Grund zu legen, anders bei Vorgerückten weiter zu bauen ist.

V. 13. Wem man noch Milch geben muss usw. Auch die Erwachsenen verschmähen die Milch nicht. Allein es ist hier an jenen Zustand gedacht, wo man ein Kind ist am Verständnis und jeder ernsteren Erkenntnis ausweicht, wie wenn Gott beständig nur stammelnd zu uns sprechen müsste. Von solchen Kindern heißt es, sie seien untüchtig, das Wort der Gerechtigkeit zu fassen, wobei unter Gerechtigkeit dasselbe verstanden ist, was gleich nachher unter Vollkommenheit. Denn meines Erachtens berührt hier der Apostel die Frage nicht, wie wir gerecht werden vor Gott, sondern redet einfach von der richtigen, aus dem Evangelium stammenden Erkenntnis, die uns zu vollkommenen Menschen in Christus machen kann (Kol. 1, 28). Der Sinn ist also: wer sich in seinem Anfängertum behagt, ist ausgeschlossen von der reinen Erkenntnis Christi, und so nützt ihm das Wort des Evangeliums nichts, weil er nie auch nur annäherungsweise zum Ziele gelangen wird.

V. 14. Den Vollkommenen aber usw. Die Vollkommenen bilden hier, wie auch 1. Kor. 2, 6; 14, 20; Eph. 4, 13, den Gegensatz zu den unmündigen Kindern; es sind also die Erwachsenen und Gereiften. Das Mannesalter stellt das Menschenleben in seiner Vollkommenheit dar; die geistlich Gesinnten sind darum, bildlich gesprochen, Männer in Christus. Der Apostel meint, es sollten alle Christen solche sein, denen es durch unausgesetzte Übung zur anderen Natur geworden sei, zu unterscheiden Gutes und Böses. Denn erst dann sind wir in der Wahrheit wohl unterwiesen, wenn wir an ihr einen kräftigen Schutz haben wider Satans Lügen. Darum heißt sie ja auch das Schwert des Geistes. Was wäre eine Glaube wert, der zwischen wahr und falsch unsicher hin- und herschwankte? Könnte der nicht jeden Augenblick in nichts zergehen?

Zu diesem Kampf ruft der Apostel nicht einfach unseren Geist, sondern alle unsere Sinne auf: wir sollen nicht ruhen, bis uns das Wort Gottes nach allen Seiten hin zur unverbrüchlichen Wehr geworden ist, so dass der Satan an keinem Punkte mit seinen Ränken ankommen kann.

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