Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 11.

Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 11.

V. 1. Es ist aber der Glaube usw. Wer immer hier den neuen Kapitelanfang gemacht hat, - der Zusammenhang wird dadurch übel zerrissen. Der Apostel will ja beweisen, dass Geduld nottue. Zu dem Ende hat er das Wort Habakuks angeführt, der Gerechte habe sein Leben durch den Glauben. Jetzt bleibt noch zu zeigen, dass zum innersten Wesen des Glaubens Geduld gehört. Der Gedankenzusammenhang ist also folgender: Zum vollendeten Heil gelangen wir niemals ohne Geduld; denn nur dem Glauben ist Leben verheißen, der Glaube aber weist uns auf Dinge, die für uns noch in der Ferne liegen, und schließt deshalb notwendig die Geduld in sich. Daraus geht auch hervor, wie irrtümlich es ist, hier eine vollständige Begriffsbestimmung des Glaubens zu erwarten: nicht vom Glauben nach allen seinen Seiten spricht hier der Apostel, sondern sofern er für seine gegenwärtige Absicht in Betracht kommt, nämlich hinsichtlich der engen Verbindung mit der Geduld. Nun lasst uns die Worte erwägen.

Den Glauben nennt er eine gewisse Zuversicht des, das man hofft. Nun hofft man aber bekanntlich nicht auf Dinge, die einem zur Hand sind, sondern auf noch verborgene, oder deren Genuss wenigstens erst einer späteren Zeit vorbehalten ist. So wie Paulus Röm. 8, 24 f., nachdem er betont hat, wie sähen nicht, worauf wir hofften, daraus den Schluss zieht: wir warten sein durch Geduld, so erinnert unser Apostel daran, das Vertrauen, das wir Gott schenken, beziehe sich nicht auf gegenwärtige, sondern erst zu erwartende Güter. Der scheinbar widersprechende Ausdruck ist voll Feinheit. Der Glaube, sagt er, ist eine gewisse Zuversicht oder wörtlich Übernahme, Besitzergreifung – von was für Dingen? Von solchen, die wir zurzeit weder greifen noch auch nur mit dem Verstande im Entferntesten fassen können.

Ebenso verhält es sich mit dem zweiten Glied: ein Überführtwerden von dem, das man nicht sieht. Gerade nur auf das Augenscheinliche erstreckt sich sonst die Möglichkeit einer Überführung. Daher liegt auch hier ein scheinbarer Widerstreit vor, der sich indessen vollkommen löst, wo vom Glauben die Rede ist. Denn der Geist Gottes entdeckt uns verborgene Dinge, von denen keine sinnliche Kenntnis zu uns gelangen kann. Ewiges Leben wird uns verheißen – nach dem Tode; man sagt uns von seliger Auferstehung – und überall schauen wir Verwesung; für gerecht werden wir erklärt – und in uns wohnt die Sünde; wir hören von Seligkeit – inzwischen drückt ungezähltes Leid; die Fülle aller Güter wird in Aussicht gestellt – einstweilen ist reichlich Anlass zum Hungern und Dürsten; Gott ruft, seine Hilfe sei vor der Tür – und scheint taube Ohren zu haben bei unserem Schreien. Was wären wir da ohne den Stab der Hoffnung und ohne dass sich unser Geist, dem Lichte des göttlichen Wortes und Geistes folgend, durch alle Finsternis über diese Welt hinaus erheben könnte! Mit Recht heißt darum der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Überführtwerden von dem, das man nicht sieht.

V. 2. Die Alten. Bis ans Ende dieses Kapitels lautet das Thema: die Väter sind auf keinem anderen Wege als dem des Glaubens zum Heile gekommen oder Gott angenehm geworden. Dass die Juden für ihre Vorväter große Verehrung hatten, war nicht ohne Grund. Allein es mischte sich darin so viel eitler Stolz und abergläubische Befangenheit in überlebten Formen, dass diese Verehrung zum großen Hindernis ward, sich ganz der Führung Christi zu überlassen. Deswegen zeigt der Apostel, was den Hauptvorzug jener ausmachte, und worin also auch die Nachkommen die heilige Gemeinschaft mit ihnen suchen müssten. Das werden wir als Haupt- und Angelpunkt der ganzen Rede festzuhalten haben: von Anbeginn der Welt sind die Väter, so viele ihrer Gottes Wohlgefallen genossen, einzig durch den Glauben mit ihm verbunden gewesen; wer vom Glauben weicht, sagt sich eben damit von ihnen und von der Gemeinde los und gehört nicht mehr zu den wahren Söhnen Abrahams.

V. 3. Durch den Glauben merken wir usw. Das zuletzt Gesagte findet hier seine Bestätigung. Die Erkenntnis des Weltschöpfers ist das, was uns über das unvernünftige Tier erhebt; denn wozu anders wäre der Mensch mit Verstand und Vernunft begabt worden, als um seinen Schöpfer zu erkennen? Ist dies aber einzig durch den Glauben wahrhaft möglich, so ist leicht ersichtlich, dass der Glaube die hervorstechende Tugend der Väter gewesen sein muss.

Es könnte aber hier eingewendet werden, dass doch auch der Ungläubige durch den Anblick des Weltgebäudes gezwungen werde, irgendeinen Werkmeister anzunehmen; wie denn Paulus auch die Heiden der Undankbarkeit anklagt, weil sie trotz ihres Wissens von Gott ihm nicht die schuldige Ehre erwiesen (Röm. 1, 21). Gewiss hätte ferner die Religion nicht zu allen Zeiten einen solchen Platz im Leben der Völker behauptet, ohne die allgemeine und tiefgewurzelte Überzeugung von Gott als dem Schöpfer der Welt. Mit dem Glauben scheint also diese Erkenntnis nichts zu tun zu haben. Ich antworte: eine gewisse Ahnung davon, dass die Welt von Gott erschaffen sei, haben allerdings die Heiden immer gehabt, aber keine feste und sichere Erkenntnis. Denn sobald sie sich nähere Vorstellungen darüber machen wollen, verlieren sich ihre Gedanken im Nebel, und sie tasten nach dem bloßen Schatten eines göttlichen Wesens. Man denke auch daran, wie sie in der Weltregierung dem „Schicksal“ die Herrschaft zuschreiben: von einer Vorsehung Gottes wissen sie nichts. So ist denn der menschliche Geist blind für dieses natürliche Licht, das von allen Kreaturen ausstrahlt, bis er, von Gottes Geist erleuchtet, im Glauben zu fassen anfängt, was er anderswie nie erfassen würde. Der Apostel hat darum recht, wenn er eine solche volle und wahre Erkenntnis dem Glauben vorbehält. Die Gläubigen nehmen die Macht des schöpferischen Wortes Gottes wahr, die sich als solche nicht etwa nur vorübergehend bei Erschaffung der Welt gezeigt hat, sondern fort und fort in deren Erhaltung offenbart. Sie fühlen auch nicht bloß die Macht Gottes, sondern seine Güte, Weisheit und Gerechtigkeit, wodurch sie getrieben werden, ihm zu dienen, ihn zu lieben und zu verehren.

Der Schauplatz unsichtbarer Kräfte. Bei diesem Satzglied haben sich meines Erachtens alle Ausleger getäuscht. Der Sinn ist, dass wir in der geschaffenen Welt ein deutliches Spiegelbild göttlicher Kraft und Herrlichkeit haben. Unser Apostel lehrt hier das Nämliche, wie Paulus Röm. 1, 20: Gottes unsichtbares Wesen komme für uns irgendwie zur Erscheinung in den Werken der Schöpfung, indem der ganze Bau des Weltalls von seiner ewigen Weisheit, Güte und Macht ein leuchtendes Zeugnis gebe. Nicht als ob wir Menschen schon aus der Betrachtung der Welt eine hinreichend klare Erkenntnis Gottes gewinnen könnten. Aber den Gottlosen offenbart er sich doch auf diese Weise so, dass sie für ihre Unwissenheit keine Entschuldigung mehr haben; und den Gläubigen, denen er das Auge geöffnet hat, schimmern in allen Kreaturen Funken seiner Herrlichkeit entgegen.

V. 4. Durch den Glauben. Die folgenden Beispiele sollen zeigen, dass allen hervorragenden Taten der frommen Helden ohne Ausnahme der Glaube den eigentlich auszeichnenden Wert verliehen habe. Der Glaube seinerseits aber wird in zweierlei Hinsicht gerühmt: einmal wegen seines Gehorsams, indem er nichts gegen die Regel des göttlichen Wortes anfängt oder unternimmt; sodann weil er, auf Gottes Verheißungen sich stützend, keine anderen Wert und keine andere Würdigkeit kennt als die aus reiner Gnade geschenkte. Dies beides den Lesern einzuschärfen, darauf sieht es der Apostel bei der immer wiederkehrenden Betonung des Glaubens ab.

Zunächst sagt er: Abel habe Gott ein größer Opfer gebracht als Kain, nur weil es durch den Glauben geheiligt war; denn ohne Zweifel war es nicht der Wohlgeruch des Fettes der Tiere, der Gott versöhnen konnte. Die Schrift sagt auch deutlich genug, warum sein Opfer Gott angenehm gewesen sei: „Der Herr sah gnädiglich an Abel und sein Opfer“ (1. Mose 4, 4). Darum also fand die Gabe Gefallen, weil er selbst Gott wohlgefällig war; und woher anders nun dieses Wohlgefallen, als weil er ein durch den Glauben gereinigtes Herz hatte?

Da Gott zeugte. Das über seine Gabe ausgesprochene Zeugnis war ein Zeugnis für seine eigene Gerechtigkeit. Denn vor Gott gelten keine andern Werke für gerecht als die des gerechtfertigten Menschen. Diese Wahrheit ist wichtig und umso sorgfältiger zu beachten, als sie uns nicht leicht eingeht; denn durch die blendende Außenseite irgendeiner Tat lassen wir uns alsbald zur Bewunderung hinreißen und meinen, Gott könne sie doch nicht verwerfen. Aber Gott, der nur auf die Reinheit des Herzens schaut, fragt nichts nach äußerem Schein. Bedenken wir denn, dass wir zu keiner wahren Tugend fähig sind, bis Gott uns selbst in seine Gnade aufgenommen hat.

Durch denselbigen redet er noch. Auch das schreibt der Brief dem Glauben zu, dass Gott noch nach dem Tode Abels, nicht weniger als in seinem Leben, sich sichtlich seiner angenommen habe. Dass Abel, wiewohl gestorben, noch rede, bezieht sich nämlich auf die mosaische Erzählung, wonach er oder sein Blut – was beides gleicherweise bildlich zu verstehen ist – zum Himmel geschrien habe und Gott dadurch bewogen worden sei, den schändlichen Mord zu rächen. Dieses besondere Zeichen göttlicher Liebe und Teilnahme stellt ihn in die Reihe der Heiligen Gottes, deren Tod wert gehalten ist vor dem Herrn.

V. 5. Henoch . Mit wenigen Beispielen aus der ältesten Zeit bahnt sich der Verfasser den Weg zu Abraham und dessen Nachkommen. Die ungewohnte Art, wie Gott den Henoch von der Erde nahm, war für jedermann ein auffallender Beweis, wie wert ihm dieser war. Gottlosigkeit und Sittenverderbnis herrschten damals überall. Wäre er gestorben wie andere auch, so wäre kein Mensch auf den Gedanken gekommen, dass Gottes Vorsehung ihn durch den Tod vor der Ansteckung bewahrt habe. Indem er aber ohne Tod dahingerafft wurde, zeigte sich vom Himmel her die Hand Gottes, die ihn wie aus dem Feuer riss. So wurde er einer außerordentlichen Ehre gewürdigt. Durch den Glauben, sagt der Apostel, sei sie ihm zuteil geworden; denn er war ein frommer Mann und „führte ein göttlich Leben“ (1. Mose 5, 24), und die Grundlage der Frömmigkeit ruht im Glauben.

V. 6. Aber ohne Glauben usw. Der erste der beiden Sätze findet seine Erklärung durch den zweiten. Der Grund, warum niemand ohne Glauben Gott gefallen kann, ist der: es gibt kein Hinzutreten zu Gott ohne durch Glauben. Und zwar verschafft uns der Glaube den Zugang auf doppelte Weise: er ist unser Führer zum Dienst des wahren Gottes, den er uns als solchen erst gewiss macht; und er gibt uns auf Grund des göttlichen Heilswillens die Überzeugung, dass wir Gott nicht vergeblich suchen werden.

Wenn der Apostel Glauben daran verlangt, dass Gott sei, so scheint er freilich damit zunächst nichts Großes zu sagen. Und doch: wenn uns der Herr nicht in der Erkenntnis seiner selbst festhält, so beschleichen uns immer wieder Zweifelsgedanken, die das Gefühl für Gott gänzlich verdrängen können. In seinem Hang zur Oberflächlichkeit sieht der Mensch so leicht über Gott hinweg. Der Apostel meint ja auch nicht bloß die Überzeugung, dass es einen Gott gäbe, sondern er spricht vom wahren Gott. Es genügt nicht, sich irgendeinen Gott zu denken und vorzustellen, ohne Augen zu haben für den wahren Gott. Denn was könnte ein erdichtetes Gedankenbild helfen, das man mit göttlicher Würde bekleidet? So verstehen wir den Gedanken des Apostels: er betont, wir hätten keinen Zugang zu Gott, wenn wir nicht von der Wirklichkeit Gottes tief durchdrungen seien, so dass wir uns auf keinen Abweg schwankender Einbildungen mehr einlassen. Ohne Innehalten der rechten Spur ist jedes Bemühen, Gott zu dienen und ihn zu verehren, umsonst; und von Religion kann schließlich doch nur da gesprochen werden, wo man Gott als Wahrheit und Realität besitzt. Wenn aber wahre Gotteserkenntnis, eine Erfahrung von seiner Majestät, in unseren Herzen wohnt, erwacht notwendig die Ehrfurcht; dann entsteht auch der Trieb, ihm zu dienen, und das ganze Leben bekommt seine Richtung auf ihn als das Ziel hin.

Das zweite, was zum Glauben gehört, ist die Überzeugung, dass wir Gott nicht umsonst suchen. Daran hängt die Gewissheit des Heils und des ewigen Lebens. Denn was uns zum Suchen Gottes veranlasst, ist der Gedanke an seine Güte und die Hoffnung, dass uns bei ihm Heil bereit sei; ohne solche frohe Aussicht fliehen oder verachten wir Gott. Erinnern wir uns jedoch, dass es dabei auf festen und standhaften Glauben ankommt, nicht auf eine Ansicht, wie sie auch die Gottlosen zuzeiten haben können, ohne damit Gott näher zu kommen! Auf dieses gläubige Suchen bezieht sich die „Vergeltung“, welche Gott übt, niemals aber auf verdienstliche Werke, die er uns vergelten müsste. Von solchen weiß die Schrift nirgends; der einzige Weg, Gott zu suchen, führt nach ihr durch Zerschlagenheit und Angst des Herzens hindurch. Aber wie hoch hinauf stellt uns nun diese gewisse Zusage, dass Gott nicht vergeblich gesucht wird! Weit übersteigt sie unser Verständnis, zumal wenn wir sie nicht nur im Allgemeinen gelten lassen, sondern jeder sie, wie er soll, sich persönlich zueignet: Gott kümmert sich um mich; an meinem Heil liegt ihm so viel, dass er mir niemals seinen Beistand entziehen wird; er erhört meine Bitten und führt mich aus aller Gebundenheit heraus.

Aus diesen beiden Stücken lässt sich jetzt erkennen, wieso und warum es unmöglich ist, ohne Glauben Gott zu gefallen. Er hätte ein Recht, uns zu hassen, da wir von Natur unter dem Fluche sind; zudem steht das Heilmittel nicht in unserer Macht. So muss uns Gott selbst mit seiner Gnade zuvorkommen. Das geschieht, wenn uns ein für alle Mal die Erkenntnis des lebendigen Gottes aufgeht, ohne den wir nichts können und vermögen und dessen Verherrlichung das einzig rechtmäßige Ziel des Lebens ist, und wenn dann weiter unser Glaube sich vollendet im festen Vertrauen, dass wir nicht umsonst ihn suchen und unser Heil von ihm erwarten. Nur verblendeter Hochmut und Eigendünkel könnten dieses Vertrauen zu Gott als dem Vergelter auf verdienstliche Werke und eigene menschliche Würde, statt auf die Gnade Gottes, gründen wollen. Da aber Gottes Gnade durch Christus vermittelt ist, so muss der Glaube stets auf ihn zurückgehen, auf ihn allein schauen, an ihm allein hangen.

V. 7. Noah. Bisher war vom Glauben der Väter die Rede, welche im ersten Weltzeitalter gelebt hatten. Als Noah mit seiner Familie der Sintflut entrann, begann gleichsam die Geschichte einer neuen Menschheit. Aber zu allen Zeiten ist es immer wieder der Glaube gewesen, durch den die Menschen Gott angenehm geworden sind oder etwas Rühmliches vollbracht haben. An Noah wird uns ein Vierfaches zur Betrachtung vorgehalten: er fürchtete das göttliche Gericht, wiewohl es noch weit in der Zukunft lag; er baute die Arche; er sprach der Welt damit das Urteil; er wurde ein Erbe der Gerechtigkeit, die durch den Glauben kommt.

Einen göttlichen Befehl von dem, das man noch nicht sah. Da schauen wir wieder das eigentümliche Wesen des Glaubens: Verborgenes und den Sinnen Unzugängliches wird ihm im Worte Gottes sichtbar. Als hundertundzwanzig Jahre zum voraus die Sintflut angekündigt wurde, hätte schon die lange Frist gegen die Furcht abstumpfen können. Überhaupt war die Sache unglaubhaft; die ganze Welt ergab sich nach wie vor sorgloser Üppigkeit, und die ernste Botschaft konnte als ein leeres Schreckgespenst erscheinen. Allein Noah hält das göttliche Wort so hoch, dass er trotz dem, was vor Augen liegt, den angedrohten Untergang fürchtet, als sei er schon gegenwärtig. Der Glaube, den er dem Worte Gottes schenkt, macht ihn tüchtig zum Gehorsam gegen Gott. Es möchte indessen auffallen, dass hier von Noah gesagt wird, der Glaube habe ihn zur Furcht bewogen, da doch der Glaube viel eher mit Gnadenverheißungen als mit Drohungen zu tun hat, weshalb Paulus das Evangelium Word des Glaubens nennt (Röm. 10, 8). In der Tat, aus der Verheißung empfängt der Glaube Leben, Kraft und Richtung; darum ist uns Christus, in welchem alle Verheißungen des Heils bestätigt und besiegelt sind, das wahre Ziel des Glaubens. Nichtsdestoweniger nimmt der Glaube auch die Befehle und Drohungen, die aus Gottes Munde gehen, ehrfürchtig an und unterwirft sich ihnen ohne Wanken. Nur weil sie für sich allein nie das Gott wohlgefällige Verhalten bewirken würden, wird vorzugsweise das Evangelium als die Kunde von dem göttlichen Heilswillen das Wort des Glaubens genannt.

Die Arche zubereitet. Hierin zeigt sich der Gehorsam, der aus dem Glauben fließt, wie der Bach aus der Quelle. Der Bau der Arche war ein langwieriges, mühsames Werk, das die Spöttereien tausendmal zum Stillstand hätten bringen können; denn es ist nicht zu zweifeln, dass dem heiligen Manne von allen Seiten übel mitgespielt wurde. Dass er den frechen Hohn ungebeugten Mutes ertrug, offenbart einen ungewöhnlich standhaften Gehorsam. Und dieser wiederum hatte seinen Grund darin, dass Noah die Verheißung, die ihm Rettung zusagte, ergriffen hatte und im Vertrauen darauf bis aufs äußerste beharrte. Im andern Fall wäre er einer solchen Menge von Hindernissen und Beschwerden nicht gewachsen gewesen und in seinem Vorhaben nicht so lange fest geblieben. So ist der Glaube allein Lehrmeister des Gehorsams; sowie umgekehrt der Unglaube uns hindert, Gottes Willen zu tun. Und wenn heutzutage so wenige sind, die sich Gott zu Gebote stellen, so wirft das ein erschreckendes Licht auf den Unglauben der Welt.

Und die verdammte die Welt. In doppeltem Sinn gereichte seine Tat der Welt zur Verurteilung. Seine lange Beschäftigung mit dem Bau der Arche nahm den Gottlosen jede Entschuldigung; und der schließliche Ausgang, die Verschonung des einen Gerechten mit seiner Familie, brachte es an den Tag, dass der Untergang der übrigen ein gerechter war. Indem Noah dem Gebot Gottes gehorcht, verurteilt er mit der Tat den Trotz der Welt; und indem er dem allgemeinen Tode wunderbar entgeht, zeigt sich, dass die Gesamtheit an eigener Schuld zu Grunde geht. Gott hätte sie zweifellos gerettet, wenn sie nicht der Rettung unwürdig gewesen wäre.

Und hat ererbet die Gerechtigkeit. Dies das letzte, was der Apostel in Bezug auf Noah zu bedenken gibt. Er war ein Mann ohne Tadel (1. Mose 6, 9). Der Apostel bezeugt, dass der Glaube Ursache und Wurzel dieser Gerechtigkeit gewesen sei. Das ist richtig nicht nur darum, weil kein Mensch je ganz aufrichtig sich Gott zur Verfügung stellt, er hege denn, gestützt auf die Verheißungen des väterlichen Wohlwollens, das Vertrauen, das Opfer seines Lebens werde gnädig angenommen, sondern auch deshalb, weil das Leben keines noch so geheiligten Menschen, an der göttlichen Regel gemessen, ohne Sündenvergebung wohlgefällig sein kann. Notwendig beruht also Gerechtigkeit auf Glauben.

V. 8. Durch den Glauben ward gehorsam Abraham. Jetzt kommt der Brief auf Abraham zu sprechen, den vornehmsten Vater der Gemeinde Gottes auf Erden, dessen Namen die Juden mit Stolz zu nennen pflegten, als ob sie schon dadurch, dass sie zum heiligen Samen Abrahams gehörten, mehr wären als alle anderen Menschen. Der Verfasser zeigt, worin sich jene Abstammung in erster Linie zu bewähren habe: im Glauben. Denn alles Große, das an Abraham zu finden ist, ist aus dem Glauben geflossen. Zwei Tatsachen stellen seinen Glauben in ein helles Licht: der unverzügliche Gehorsam gegenüber dem göttlichen Befehl zum Verlassen des Vaterlandes, sodann das stete Beharren auf dem Wege der Berufung.

Da er berufen ward auszugehen. Freiwillig legte er sich Verbannung auf und tat doch nichts ohne Gottes Auftrag. Und gewiss gehört das zu den Grundlagen des Glaubens, keine Fuß zu versetzen, ohne dass Gottes Wort uns den Weg weist und gleich einer Leuchte uns voraufgeht (Ps. 119, 105). Darum sei unser Augenmerk im ganzen Leben darauf gerichtet, nichts zu unternehmen, wozu Gott uns nicht aufruft.

In das Land, das er ererben sollte. Zum Gebot trat die Verheißung, ihm das Land zum Erbe zu geben. Unverzüglich umfasst er sie und eilt gerade so, wie wenn er den Besitz gleich antreten sollte. Das ist ein seltener Erweis des Glaubens: lassen, was einem zur Hand ist, um Fernes und Unbekanntes zu suchen. Denn da Gott Abraham auswandern heißt, bezeichnet er ihm den Ort nicht, wo er künftig leben soll, sondern lässt ihn einstweilen darüber ganz im Ungewissen. Gehe, spricht er, in ein Land, das ich dir zeigen will (1. Mose 12, 1). Wozu anders verschiebt er die Angabe des Ortes, als um den Glauben in steigendem Maße zu üben? Schon die Liebe zur angestammten Heimat hätte nicht bloß Abraham freudigen Entschluss verzögern, sondern wie eine Fessel die Ausführung gänzlich hindern können. Ungewöhnlicher Art war darum sein Glaube, der ihn allen Hindernissen zum Trotz trieb, wohin Gott ihn rief.

V. 9. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen. Dass er nach Betreten des Landes kaum als Gast und Fremdling Aufnahme fand, ist das zweite, worauf hingewiesen wird. Wo war nun das Erbe, darauf er gehofft? Da hätte ihm doch gleich der Gedanke kommen können, er sei von Gott betrogen worden, besonders als er dann bald durch eine Teuerung von dort vertrieben wurde und später abermals (nach Gerar) fliehen musste. Der Apostel erwähnt davon nichts; schon allein ein Fremdling sein zu müssen, war ein Widerspruch zur Verheißung. Dass Abraham in dieser Versuchung standhaft aushielt, erforderte eine ungemeine Kraft, wie sie nur aus dem Glauben stammen konnte.

Mit Isaak und Jakob. Die Meinung ist nicht, als ob Abraham mit seinem Sohn und seinem Enkel in den nämlichen Zelten oder zur gleichen Zeit gelebt hätte; aber sie gehören mit ihm als Genossen zusammen, insofern auch sie sich in dem verheißenen Erbe als Fremdlinge aufhielten, ohne doch den Mut zu verlieren, wie sehr sie auch Gott aufs Warten verwies. Je länger der Aufschub, desto gefahrdrohender war die Versuchung, hätten sie nicht mit dem Schild des Glaubens alle Anläufe des Zweifels abgewehrt.

V. 10. Denn er wartete usw. Sie schauten nach dem Himmel, und das war ein Sehen auf das Unsichtbare. War es schon etwas Großes, die Verheißung einer neuen irdischen Heimat gläubig festzuhalten, bis nach mehreren Jahrhunderten die Erfüllung da war, so gaben sie doch noch einen helleren Beweis ihres Glaubens, indem sie darüber hinaus nach dem himmlischen Reiche trachteten.

Dieses wird genannt eine Stadt, die einen Grund hat. Sie steht ewig fest, während auf Erden alles dem Wechsel und Unbestand unterworfen ist. Gott ist dieser Stadt Baumeister. Was Menschenhände schaffen, trägt die Spuren der Hinfälligkeit an sich; was Gott im Himmel bereitet, ist unvergänglich wie er selbst. Und darauf die Erwartung gerichtet halten, hilft wider alle Verdrossenheit und Ermüdung im Wandel nach Gottes Wort.

V. 11. Auch Sara. Damit die Frauen wissen, dass die vorgetragene Wahrheit ihnen nicht weniger gelte als den Männern, fügt der Apostel das Beispiel der Sara, der Mutter aller Gläubigen, hinzu. Sie hat zwar zunächst über die Ankündigung der Geburt Isaaks ungläubig gelacht; aber weil sie, darüber zurechtgewiesen, ihr Misstrauen besiegte und das Wort gehorsam annahm, gilt ihr Glaube dennoch vor Gott. Daraus mögen wir den Trost schöpfen, dass, wenn auch unser Glaube in dieser oder jener Hinsicht auf schwachen Füßen steht, Gott ihn trotzdem anerkennt, vorausgesetzt nur, dass wir gegen unser Misstrauen ankämpfen.

Sie achtete ihn treu. Ihr Glaube bestand darin, dass sie Gott für wahrhaftig hielt, wahrhaftig in seinen Verheißungen. Ohne dass wir Gott zu uns reden hören, entsteht kein wahrer Glaube, keine Überzeugung von seiner Wahrheit; diese enge Verbindung zwischen Gottes Wort und dem Glauben ist immer festzuhalten. Weil aber, wie früher ausgeführt wurde, der Glaube vornehmlich auf Gottes Güte sich gründet, so würde, um ihn hervorzurufen, nicht jedes beliebige Wort genügen, und wäre es direkt aus Gottes Mund hervorgegangen; sondern dazu braucht es die Verheißung als Zeugnis der Gnade. Darum heißt es von Sara, sie habe Gott für treu gehalten, als der eine Verheißung gegeben hatte. Das macht also den Glauben aus: auf Gottes Rede horchen und auf seine Verheißung sich verlassen.

V. 12. Darum sind auch von einem, wiewohl erstorbenes Leibes, viele geboren. Eher hätte man erwarten können, aus einem Felsen Öl fließen zu sehen, als dass eine Nachkommenschaft hervorgehe von jenen beiden kinderlosen Ehegatten, die schon im Greisenalter standen; und nun erwächst ihnen doch ein unzählbares Geschlecht. Wenn daher das jüdische Volk stolz sein will auf seine Abstammung, so soll es auch bedenken, dass es seine ganze Existenz dem Glauben Abrahams und seines Weibes verdankt. Und ebenso kann es seinerseits seine hohe Stellung nicht anders behalten und wahren als durch den Glauben.

V. 13. Diese alle sind gestorben im Glauben. Von einer besonderen Seite her erscheint der Glaube der Patriarchen noch größer. Wiewohl sie von der Erfüllung der göttlichen Verheißungen nur wenig zu kosten bekamen, haben sie doch über ihrer Süßigkeit nichts weiter hinzubegehrt von allen den Dingen, die in der Welt waren, und niemals, weder im Leben noch im Sterben, die Erinnerung an den ihnen zuteil gewordenen geringen Vorgeschmack eingebüßt. Die Worte „im Glauben gestorben“ werden allerdings verschieden erklärt. Manche verstehen sie einfach so: im diesseitigen Leben hätten sie eben die verheißenen Güter noch nicht erlangt, gerade so wie auch heutzutage unser volles Heil unter der Hoffnung verborgen ruht. Dagegen gebe ich eher denen recht, welche hier einen Unterschied zwischen uns und den Vätern ausgedrückt sehen, so dass der Sinn entsteht: Obschon Gott die Gnade, die über uns reichlich ausgegossen ist, den Vätern nur spärlich gewährte und ihnen Christi Bild, das sich unsern Augen jetzt deutlich enthüllt, bloß aus dunkler Ferne zeigte, so haben sie trotzdem darin Ruhe gefunden und sind nie vom Glauben gefallen bis an den Tod. Wie viel mehr Grund zum Beharren haben wir heute! Werden wir mutlos, so sind wir zwiefach unentschuldigt. Es soll also der Umstand hervorgehoben sein, dass die Väter das geistliche Reich Christi von weitem schauten, dessen Anblick heute so nahe gerückt ist, dass sie von fern die Verheißungen begrüßten, die uns so vertraut sind. Verheißungen sind allerdings auch ihnen geworden, sonst wäre ihnen das Glauben nicht möglich gewesen; aber der klare Ausblick in das Heil, wie er uns in Christus gegeben ist, war ihnen nicht vergönnt, und dennoch ließen sie sich genügen.

Und bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge wären. So sagt Jakob vor Pharao: „Wenig und böse ist die Zeit meiner Wallfahrt und langet nicht an die Zeit meiner Väter in ihrer Wallfahrt“ (1. Mose 47, 9). Wenn er sich als einen Pilgrim erkennt in dem Lande, das ihm zum bleibenden Erbe verheißen war, so muss er sich überhaupt nicht auf Erden festgewurzelt, sondern seinen Sinn über alle Himmel erhoben haben. Darum folgert der Apostel, die Väter hätten mit jenem Bekenntnis ihres Pilgerstandes zu verstehen gegeben, dass sie ein besseres Vaterland und einen dauernden Wohnsitz im Himmel hätten. Wenn sie nun trotz dem sie beschattenden Dunkel den Geistesflug nach oben nahmen, was haben wir heute zu tun, da Christus uns vom Himmel her seine hilfreiche Hand reicht? Wenn das Land Kanaan sie nicht festzuhalten vermochte, wie viel mehr sollen wir, denen kein sicherer Aufenthalt auf Erden winkt, zum Reisen fertig sein!

V. 15. Wo sie das gemeint hätten. Nicht etwa darum wollen sie Fremdlinge heißen, weil sie ihr erstes Vaterland Mesopotamien verlassen haben. Hätten sie darnach wieder verlangt, so stand ihnen die Rückkehr dorthin frei. Aber darauf haben sie ein für alle Mal verzichtet; ein anderes Vaterland meinen sie, das außer der Welt sei.

V. 16. Darum schämt sich Gott nicht usw. Das geht auf jenes Wort: „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ (2. Mose 3, 6). Welche große Ehre, dass Gott seinen Namen mit den Namen menschlicher Personen verknüpft und daran gleichsam sein Erkennungszeichen zum Unterschied von den falschen Göttern haben will. Auch dieses Vorrecht erlangten nach dem Apostel die Väter durch den Glauben: da sie nach dem himmlischen Vaterland getrachtet haben, will Gott sie seinerseits als Bürger seiner Stadt ansehen. Wir aber sollen daraus lernen, dass wir der Welt entsagen müssen, um zu den Kindern Gottes zu gehören, und Fremdlinge sein auf Erden, um den Himmel zu erben. Aus jenem Worte: „Ich bin der Gott Abrahams usw.“ kann der Apostel mit Recht schließen, dass die Väter Erben des Himmels sind; denn der, welcher so spricht, ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen (Mt. 22, 32).

V. 17. Durch den Glauben opferte Abraham den Isaak. Noch eins ist bei Abraham zu erwähnen: die Opferung seines Sohnes. Sie ist ein so hervorragender Erweis der Glaubensstärke, dass kaum etwas Ähnliches gefunden werden kann. Darum wird sie besonders hervorgehoben durch die Worte: da er versucht ward. In vielen Proben hatte sich Abraham früher schon bewährt; aber diese Versuchung übertraf weit alle übrigen und soll demnach vor allem gewürdigt werden. Die „Versuchung“ ist so viel wie eine Prüfung. Gott versucht uns nie in dem Sinne, dass er uns zum Bösen reizen würde (Jak. 1, 13); wohl aber stellt er unsere Unschuld und unseren Gehorsam auf die Probe. Und doch ist das wieder nicht so zu denken, als ob er ohne dieses Mittel nicht wüsste, was in unseren Herzen ist. Gott bedarf, möchte ich sagen, nicht erst einer Probe, um uns kennen zu lernen. Allein diese Redeweise ist der Schrift ja geläufig, auf Gott zu übertragen, was unter Menschen geschieht. Er prüft oder versucht uns, das heißt: er sorgt dafür, dass in unseren Werken offen an den Tag kommt, was zuvor verborgen war. Ihm wird eine Sache kund, das will sagen: er lässt sie hervortreten ans helle Licht.

Bei der Opferung Isaaks kommt die Gesinnung des Herzens in Betracht, da es nicht von Abraham abhing, dass der Auftrag nicht zur vollen Ausführung kam. Die Bereitschaft zum Gehorsam gilt so viel, wie wenn er den Sohn geopfert hätte. Und gab dahin den Eingeborenen. Dieser Umstand samt den anderen, die dem mosaischen Bericht zu entnehmen sind, zeigt die Größe und Schwere der Versuchung Abrahams. Isaak, seinen Sohn, den einzigen und den er lieb hat – soll er nehmen, um ihn zum Opfer zu bringen. Die gehäuften Bezeichnungen sind ebenso viele Wunden für das Herz des zärtlich liebenden Vaters. Noch größer wird die Qual, da er einen Weg von drei Tagereisen zurücklegen soll, immer den Sohn vor Augen, den er bereits dem herben Tod geweiht hat. Am Orte angelangt, bereitet Isaak ihm neues Herzbrechen mit der Frage, wo denn das Opfertier sei. Jeder Tod des Sohnes wäre ihm mehr als bitter gewesen und ein gewaltsamer Tod erst recht; dass er ihn nun aber mit eigener Hand opfern soll, ist wahrlich zu viel für das väterliche Gefühl. Tausendmal hätte er unterliegen müssen, hätte nicht der Glaube sein Herz über diese Welt erhoben. Nicht umsonst erwähnt darum der Apostel, damals sei er versucht worden.

Da er schon die Verheißungen empfangen hatte. Dies steigerte die Versuchung vollends ins Riesengroße. Denn alle Verheißungen ruhten auf dieser einen: In Isaak soll dir der Same genannt werden (1. Mose 21, 12). Wurde diese umgestoßen, so blieb keine weitere Segens- und Gnadenhoffnung übrig. Da kam nicht etwas Irdisches in Frage, sondern das ewige Heil Abrahams, ja der ganzen Welt. Und trotz alledem schlägt er im Glauben alle Bedenken aus dem Felde, um zu tun, was er geheißen ward. Wahrlich, ein solcher Glaube verdient den höchsten Preis, da er ihn befähigte, sich mit bewundernswerter Kraft unbesiegt durch so viele grause Schwierigkeiten durchzuringen.

Allein es entsteht hier die schwierige Frage, wieso Abrahams Glaube gelobt wird, da er doch von der Verheißung Abschied nimmt. Denn wie am Glauben der Gehorsam hängt, so der Glaube selbst an der Verheißung. Und nun bedeutete doch der Tod Isaaks den Untergang aller Verheißungen; denn Isaak kam nicht als ein beliebiger Mensch in Betracht, sondern als der, der Christus in sich schloss. Wird also Abraham der Verheißung beraubt, so muss notwendig auch sein Glaube zusammenfallen. Der Apostel löst diesen Zwiespalt durch die nachfolgende Bemerkung, Abraham habe Gott zugetraut, dass er den Sohn von den Toten erwecken könne. Die empfangene Verheißung wirft er also nicht weg, er dehnt nur ihre Kraft und Wahrheit aus über das Leben des Sohnes hinaus, indem er Gottes Macht nicht in so enge Schranken fasst, dass sie mit dem Tode Isaaks gehemmt oder ausgelöscht wäre. Auf diese Weise hielt er fest an der Verheißung; die Macht Gottes war für ihn nicht gebunden an das Leben Isaaks, sondern er hatte die Überzeugung, dass sie sich ebenso gut noch über dessen Asche wirksam erweisen könne.

V. 19. Daher er auch ihn gleichnisweise wieder bekam. Der Sinn ist: jene Hoffnung war auch nicht trügerisch, weil es allerdings eine Art von Wiedererweckung war, als der Sohn plötzlich frei wurde. „Gleichnisweise“ hat ihn der Vater wieder bekommen. Ich verstehe das einfach so, dass Isaak, wiewohl er nicht wirklich auferweckt werden musste, doch durch Gottes unvermutetes Eingreifen gleichsam vom Tode erstand. Doch missfällt es mir auch nicht, wenn andere Ausleger in dem Widder, der an Isaaks Stelle trat, ein Gleichnis unseres Fleisches sehen, welches dem Tode unterworfen wird. Ebenso erkenne ich den Gedanken noch anderer als richtig an, dass in dieser Opferung die Geschichte Christi vorgebildet sei. Aber es handelt sich jetzt nicht darum, was mit Grund bemerkt werden kann, sondern was der Apostel gemeint hat; und da ist nach meinem Dafürhalten der wahre Sinn der, dass Abraham seinen Sohn nicht anders zurückerhielt, als wäre er ihm aus dem Tode erstattet worden zu neuem Leben.

V. 20. Durch den Glauben segnete Isaak. Auch das war eine Tat des Glaubens, über zukünftige Dinge segnend zu verfügen. Wo von der Sache noch nichts zu sehen ist, sondern das bloße Wort erscheint, da kann es nur auf Glauben ankommen. Das Segnen, wovon hier die Rede ist, bedeutet nicht, wie sonst oft, im Allgemeinen eine fromme Fürbitte; im Munde Isaaks war es wie eine Besitzübertragung in Bezug auf das Land, das Gott ihm und seinen Nachkommen verheißen hatte. Und doch besaß er darin weiter nichts als das Recht eines Begräbnisplatzes. Recht eigentümlich hören sich deshalb jene kühnen Worte an: „Völker müssen dir dienen, und Leute müssen dir zu Fuße fallen“ (1. Mose 27, 29). Welche Herrschaft hatte er zu verleihen, der sich selbst kaum seine Freiheit gewahrt hatte? Wir sehen, dass dieser Segen sich ganz auf Glauben stützte, indem Isaak außer dem Worte Gottes nichts zu übertragen hatte.

V. 21. Durch den Glauben segnete Jakob. Was irgend Erwähnenswertes die Geschichte des Volkes aufweist, ist nach des Apostels Meinung dem Glauben zuzuschreiben. Doch kann er nicht alles aufzählen, sondern wählt aus der Menge wenige Beispiele, wie das vorliegende, aus. Der Stamm Ephraim spielte eine so hervorragende Rolle, dass andere vor ihm in den Schatten traten; oft fasst die Schrift unter seinem Namen das ganze Zehnstämmereich zusammen. Und doch ist Ephraim der jüngere der zwei Söhne Josephs gewesen. Was fand Jakob an ihm, dass er ihn, als er beide segnete, dem Erstgeborenen vorzog und absichtlich seine rechte Hand auf das Haupt Ephraims legte? Zudem weist er dem Hause Josephs zuversichtlich zwei Teile an, wie wenn er schon Herr des Landes wäre, aus welchem die Hungersnot ihn vertrieben hat. Nur vom Standpunkt des Glaubens aus wird das alles verständlich. Mögen darum die Juden, wenn sie etwas sein wollen, in nichts anderem als im Glauben ihren Ruhm suchen.

Und neigte sich gegen seines (Josephs) Stabes Spitze. Der Apostel folgt hier der Leseart der griechischen Übersetzung des alten Testaments, welche seinen jüdischen, aber griechisch sprechenden Lesern vertrauter war als der hebräische Grundtext. Nach dem letzteren lautet die betreffende Stelle (1. Mose 47, 31) vielmehr: „Er neigte sich zu Häupten des Bettes“. In der Sache selbst macht es einen geringen Unterschied aus. Jakob neigte sich verehrend vor dem Symbol der Gunstbezeigung; durch den Glauben ist er bewogen worden, sich so unter seinen Sohn zu stellen.

V. 22. Durch den Glauben redete Joseph. Das ist das letzte, was der mosaische Bericht aus dem Leben des Patriarchen als denkwürdig hervorhebt. Dass weder Reichtum, noch Wohlleben und Ehrenstellen Joseph die Verheißung vergessen lassen, beweist in der Tat einen nicht geringen Glauben. Denn woher anders als aus seinem himmelwärts gerichteten Sinn stammt die Seelengröße, dass er alles, was in der Welt angestaunt wird, geringschätzt, alles, was sonst für wertvoll gilt, für nichts achtet? Wenn er befiehlt, seine Gebeine von dannen zu führen, so geschieht es nicht seinetwillen, als ob er im Lande Kanaan süßer und besser gebettet wäre als in Ägypten; es ist ihm nur darum zu tun, das Verlangen und die Sehnsucht seines Volkes nach Errettung kräftig anzufachen, sowie auch den Glauben zu stärken, damit sie umso gewisser auf ihre endliche Befreiung hofften.

V. 23. Mose, da er geboren war. Es ist auch bei nicht besonders frommen Eltern schon vorgekommen, dass sie ihre Kinder selbst unter Gefahren retteten, nicht aus Gottesfurcht, sondern einfach aus Sorge um ihre Nachkommenschaft. Aber der Apostel sagt, Moses Eltern seien von einem höheren Beweggrund geleitet gewesen. Im Vertrauen auf die Hilfe, die Gott seinem geknechteten Volke verheißen hatte, stellten sie die Rettung des Kindes über ihre eigene Sicherheit. Indessen scheint die Bemerkung, dass seine schöne Gestalt sie bewogen habe, etwas dem Glauben Fremdes zu enthalten. Wurde doch Isai von Samuel getadelt, da er ihm seine Söhne nach ihren leiblichen Vorzügen vorstellte (1. Sam. 16, 7); Gott will wahrlich nicht, dass wir uns bei Äußerlichkeiten aufhalten. Allein die Eltern Moses werden zu seiner Rettung auch nicht durch ein oberflächliches Mitleid und bloßes Wohlgefallen an seiner Schönheit veranlasst worden sein. Vielmehr muss irgendetwas an dem Knäblein seine künftige, hohe Bestimmung haben ahnen lassen und im Zusammenhang damit die Hoffnung auf Befreiung belebt haben. Für die Leser des Briefes war es aber von großem Gewicht zu hören, dass Mose, der Retter ihres Volkes, seine wunderbare Bewahrung vor dem Tode dem Glauben verdankt habe. Ein sehr schwacher Glaube ist es allerdings gewesen, dem hier Anerkennung widerfährt; das ist zuzugeben. Denn später, als es sich darum gehandelt hätte, ohne feige Rücksicht den Knaben aufzuerziehen, setzen ihn die Eltern aus. Ihr Glaube ist also offenbar bald ins Wanken gekommen und sogar zusammengebrochen; wenigstens lassen sie, indem sie das Kind an das Ufer des Flusses legen, ihre Pflicht ganz außer acht. Aber uns kann es zu umso stärkerer Aufmunterung dienen, wenn wir vernehmen, dass selbst ein schwacher Glaube Gott dermaßen wohlgefalle, dass ihm etwas so Großes wie die Bewahrung Moses, wovon die Befreiung des Gottesvolkes abhing, gewährt wird.

V. 24. Mose, da er groß ward. Moses eigenes Beispiel musst für die Hebräer vor allem denkwürdig sein, weil durch seinen Dienst das Volks aus der Knechtschaft herausgeführt, mit Gott in einen Bund getreten und vermittels des Gesetzes zum Gottesvolk geworden war. Wenn daher an ihm vorzüglich zu sehen ist, was Glaube heißt, so können sie in seiner Nachfolge unmöglich anderswohin als auch zum Glauben gelangen. Das wären schlechte Schüler des Gesetzes, die nicht durch dieses zum Glauben hingeleitet würden. Worin sieht denn aber der Verfasser den gepriesenen Glauben Moses? In erster Linie hebt er hervor, dass er, schon erwachsen, es verschmäht habe, als ein Sohn der Tochter Pharaos zu gelten. Das Alter wird erwähnt, weil jener Entschluss als Tat eines Knaben den Leichtsinn oder Unverstand hätte zugeschrieben werden können; denn Kinder und junge Leute lassen sich leicht aus Mangel an Einsicht zu unbesonnenen Schritten fortreißen. Hier aber ist nichts ohne lange und reifliche Überlegung geschehen; daher betont der Apostel die Übereinstimmung mit den geschichtlichen Tatsachen, Mose sei damals erwachsen gewesen. Weiter wird von ihm gesagt, er habe es abgelehnt, ein Sohn der Fürstentochter zu heißen. Wenn er seine Brüder besuchte, ihre Lage zu erleichtern strebte, ihre Unbilden ahndete, so zielte das ja alles auf eine Rückkehr zu seinem Geschlechte und galt so viel wie ein freiwilliger Verzicht auf das Bleiben am königlichen Hofe. Darin war Glaube: ohne das Überzeugtsein von dem Segen, den dem Geschlechte Abrahams die göttliche Zusage verbürgte, wovon aber äußerlich nichts zu sehen war, hätte er viel besser getan, in Ägypten zu bleiben. Im Glauben schaute er, was leiblichen Augen weit entrückt war.

V. 25. Und erwählte viel lieber usw. Es ist wohl zu achten auf die Lehre, die uns hier gegeben wird, dass alles, was nur um den Preis einer Beleidigung Gottes erlangt wird, wie tödliches Gift gemieden werden muss.

Ergötzung der Sünde heißen nämlich alle weltlichen Genüsse, welche von Gott und göttlicher Berufung abziehen. Die Bequemlichkeiten dagegen, die mit reinem Gewissen und nach Gottes Erlaubnis gebraucht werden dürfen, sind nicht dahin zu rechnen. Möchten wir also stets zu unterscheiden wissen, was Gott uns gestattet. Es gibt aber gewisse, an sich erlaubte Dinge, die uns in Ansehung der Zeit oder des Orts oder anderer Umstände verwehrt sind, so dass bei allen Bequemlichkeiten des irdischen Lebens darauf zu sehen ist, dass sie uns zu Hilfen im Dienste Gottes und nicht zu Hindernissen werden.

„Zeitlich“ heißt die Ergötzung der Sünde, weil sie schnell vorübergeht, zugleich mit diesem Leben.

Dem ist (V. 26) die „Schmach Christi“ gegenübergestellt, welche alle Frommen willig auf sich nehmen sollen. Denn welche Gott erwählt hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollen dem Ebenbild seines Sohnes (Röm. 8, 29): nicht so, dass er alle in gleicher Weise Schmach und sonstiges Kreuz erdulden lässt, aber so, dass alle bereit sein müssen, mit Christus Genossen des Kreuzes zu werden. Prüfe darum ein jeder, inwieweit er zu solcher Gemeinschaft berufen sei, um dann mit allem zu brechen, was da hindert. Es ist auch nicht zu übersehen, dass nach der Meinung des Apostels jede Kränkung, die seit Anfang der Welt von Gläubigen ertragen worden ist, zur „Schmach Christi“ gehört. Denn wie sie Glieder eines Leibes mit uns sind, so ist auch hier gesamtes Ergehen für und nichts Fremdes. Nun ist zwar jedes Leiden als Lohn der Sünde und Frucht des über die ersten Menschen verhängten Fluches zu betrachten; allein, was immer wir an Unbill von gottlosen Menschen her um Christi willen erfahren, das sieht er als ihm angetan an. So kann Paulus rühmen, er erstatte an seinem Fleisch, was noch mangele, an den Trübsalen Christi (Kol. 1, 24). Würden wir das gehörig bedenken, so käme es uns nicht so hart und sauer an, für Christus etwas zu leiden. Mose konnte seine Zugehörigkeit zum Volke Gottes nicht anders beweisen als durch Teilnahme an dessen Ungemach; das war für ihn die Schmach Christi. Und wenn für uns höchstes Ziel ist, vom Leibe der Gemeinde nicht geschieden zu werden, so mögen wir wissen, dass all unser Leiden geheiligt ist im Namen unseres Hauptes.

Im Gegensatz dazu sind die Schätze Ägyptens solche, deren Besitz mit der Verleugnung der Gemeinde unausweichlich verbunden ist.

Denn er sah an die Belohnung. Aus dem Glauben, wie er oben beschrieben wurde, ging jene Seelenstärke hervor, indem Mose die Augen auf Gottes Zusage gerichtet hielt. Er hätte nicht hoffen können, das bessere Teil zu wählen mit dem israelitischen Volke, wenn er nicht einzig auf die Verheißung vertraut hätte.

V. 27. Durch den Glauben verließ er Ägypten. Dies könnte ebenso gut von der Flucht aus dem Hause Pharaos verstanden werden wie vom späteren Auszug mit dem Volke; denn damals schon kehrte er dem Lande Ägypten den Rücken. Dazu kommt, dass die Feier des Passah erst nachher erwähnt wird. Der Beziehung auf Moses Flucht stehen auch die Worte: „er fürchtete nicht des Königs Grimm“ nicht entgegen, wiewohl wir 2. Mose 2, 14 lesen, dass die Angst ihn gedrängt habe; denn auf den Anfang gesehen, da er sich zum Beschützer des Volkes aufwarf, hatte er keine Furcht. Dennoch leuchtet mir, wenn ich alles erwäge, die Beziehung auf den zweiten Auszug besser ein. Damals zeigte er jene überlegene Verachtung des königlichen Zorns, durch Gottes Geist so stark gewaffnet, dass er die wütende Bestie gelegentlich selbst herausforderte. Eine bewunderungswürdige Kraft des Glaubens lag wahrlich darin, dass er an der Spitze einer schwerfälligen, des Kriegs ungewohnten Menge sich darauf verließ, Gottes Hand werde ihnen durch ungezählte Schwierigkeiten hindurch den Weg bahnen. Er sah den mächtigsten Fürsten außer sich vor Wut und wusste, dass er es aufs äußerste würde ankommen lassen. Doch da die Reise auf Gottes Geheiß unternommen ward, befiehlt er ihm den Ausgang und zweifelt nicht, dass er jeden Anprall der Ägypter zur rechten Zeit aufhalten werde.

Denn er war stark geworden, als hätte er den Unsichtbaren gesehen. Im feurigen Busch hatte er allerdings Gott gesehen und war durch jenes Gesicht mit Mut erfüllt worden, bevor er das kühne Wagnis der Befreiung des Volkes unternahm. Immerhin war diese Gottesschau nicht derart, dass sie ihn gegen jedes sinnliche Gefühl und alle Gefahren der Welt abgehärtet hätte. Nur ein Zeichen seiner Gegenwart gewährte ihm Gott damals, aber von ferne nicht den vollen Anblick seines ganzen Wesens. Der Apostel will indessen sagen, Mose sei so stark geworden, als hätte er, zum Himmel entrückt, nur Gott vor Augen gehabt, und als wären ihn die Menschen und die Gefahren dieses Lebens und der Streit mit Pharao gar nichts angegangen. Und doch hätten die vielen Schwierigkeiten ihm sicherlich zuweilen den Gedanken nahe legen können, Gott sei ferne, oder die reichen Machtmittel des Königs würden wenigstens schließlich den Sieg davontragen. Gott hatte sich ihm geoffenbart und ihm damit eine Hilfe gegeben, aber nicht so, dass für den Glauben kein Raum mehr blieb. Da sammelte denn Mose, rings von Schrecken umdroht, alle seine Sinne auf Gott; er sah mehr, als was ihm jenes sichtbare Zeichen von Gott her zugetragen hatte. Er schaute Gottes Macht, die imstande war, alle Besorgnisse und Gefahren hinweg zu tilgen, und im Vertrauen auf die Verheißung erschien ihm das unterdrückte Volk bereits als Herr über das gelobte Land. Hieraus sehen wir, dass es dem Glauben wesentlich ist, Gott allezeit vor Augen zu haben; sodann, dass alles, was wir mit unseren leiblichen Sinnen erfassen, nie heranreicht an die Blicke, die der Glaube in Gottes verborgenes Wesen tut; endlich, dass der Blick auf Gott allein genügt, um unsere weichliche Schwäche zu heilen und uns gegen alle Anläufe des Satans härter als Stein zu machen. Darum kann man sagen: je schwächlicher und unmännlicher einer seiner Gesinnung nach ist, desto mehr fehlt ihm der Glaube.

V. 28. Durch den Glauben hielt er die Ostern. Dies musste bei den Lesern zur Empfehlung des Glaubens viel beitragen, weil das Passah den Juden als vornehmstes und verehrungswürdigstes Opfer galt. Der Verfasser sagt, im Glauben sei es das erste Mal gefeiert worden: nicht darum, weil das geschlachtete Lamm eine Weissagung auf Christus war, sondern weil die Besprengung der Türpfosten ihre schützende Wirkung nicht sogleich bei sich hatte. Im Glauben musste darauf gewartet werden. Es konnte sogar lächerlich scheinen, dass Mose in dieser Weise dem göttlichen Strafgericht Einhalt tun wollte. Trotzdem genügten ihm Gottes Befehl und Zusage, um nicht zu zweifeln, dass das Volk frei bleibe von der Plage, die den Ägyptern bevorstand.

V. 29. Durch den Glauben gingen sie durchs Rote Meer. Gewiss gab es in der großen Menge auch viele Ungläubige; aber um des Glaubens der wenigen willen gewährte der Herr allen einen sicheren Durchgang durch das Meer. Das verschiedene Schicksal der Israeliten und der nachdrängenden Ägypter führt sich darauf zurück, dass die ersteren im Vertrauen auf Gottes Wort sich zwischen die Wassermassen hineinwagten, während jene mit ihrem Untergang nur ihre Vermessenheit büßten.

V. 30. Durch den Glauben fielen die Mauern Jerichos. Durch denselben Glauben, in welchem das Volk das Joch der Knechtschaft abgeworfen hat, ergreift es nun auch Besitz vom verheißenen Erbe. Die uneinnehmbaren Mauern der Stadt Jericho, die beim ersten Betreten des Landes ihren Vormarsch aufhielten, sind gewiss nicht infolge des Geschreis und Lärmens des umziehenden Kriegsvolkes oder durch das Schmettern der Posaunen gefallen, sondern weil das Volk fest auf das zählte, was der Herr zu tun verheißen. Auch das dürfen wir auf uns anwenden: im Glauben entrinnen wir der Zwingherrschaft des Teufels und sehen die Bollwerke der Hölle fallen.

V. 31. Durch den Glauben ward die Hure Rahab nicht verloren. Wiewohl dieses Beispiel auf den ersten Blick wegen der niedrigen Abkunft der Person schlecht in die Reihe zu passen scheint, wird es doch nicht ohne Grund vom Apostel herbeigezogen. Bis dahin wurde gezeigt, dass die ausgezeichnetsten Männer der israelitischen Vorzeit vor Gott nichts galten ohne durch den Glauben; jetzt weist er auf ein fremdes und aus den untersten Schichten seines Volkes hervorgegangenes Weib, das um des Glaubens willen ein Glied des heiligen Gottesvolkes wurde. Die Rahab, auf deren Glauben auch der Brief des Jakobus (2, 25) Bezug nimmt, hielt für wahr, was Gott den Israeliten verheißen hatte, und erbat sich von ihnen, als wären sie schon Sieger, Schonung für sich und die Ihrigen, während sie noch furchtsam außerhalb des Landes standen. Sie schaute dabei nicht auf Menschen, sondern auf Gott; und dass sie die Kundschafter unter eigener Lebensgefahr verbarg, dient zur Bestätigung ihres Glaubens, um dessentwillen sie dann dem Verderben ihrer Stadt entrann.

Die Bezeichnung „Hure“ lässt die Gnade Gottes umso größer erscheinen, hat indessen sicherlich auf das vergangene Leben Bezug; denn eben der Glaube ist Gewähr einer erfolgten Umkehr.

V. 32. Was soll ich mehr sagen? Er möchte dem Schein vorbeugen, als gehörte der Ruhm des Glaubens einigen wenigen; darum will er nicht länger bei einzelnen verweilen: die bisherigen Beispiele ließen sich leicht aus der ganzen Geschichte des Gottesvolkes vervielfältigen. So weist er zunächst auf jenen Zeitraum zwischen Josua und David hin, als der Herr zur Regierung des Volkes Richter erweckte, wie die vier genannten.

Gideon, Barak, Simson, Jephthah. Der Angriff Gideons mit seinen dreihundert Mann auf ein großes Kriegsheer war ein lächerlicher Gedanke, und mit dem Zerschlagen der Krüge konnte man Kinder schrecken. Barak war seinen Gegnern bei weitem nicht gewachsen, und von einem Weibe empfing er seine Befehle. Und was vermochte Simson, der bis dahin nur die Geräte eines Landmanns zu führen verstand, wider den stolzen Feind, dessen Faust auf dem ganzen Lande lag? Wer hätte nicht Jephthah anfangs der Tollkühnheit zeihen mögen, als er sich in verzweifeltster Lager zum Retter aufwarf? Aber weil sich diese alle der Führung und Verheißung Gottes überließen, als sie an ihr Werk gingen, bezeugte sich der heilige Geist herrlich in ihnen. Was Gutes sie wirkten, entstammte dem Glauben, der freilich bei keinem von ihnen ein tadelloser war; denn Gideon kommt nur recht mühsam zu seinem Entschluss, Barak muss durch hartes Zureden der Debora fast gezwungen werden, Simson fällt zu seinem und des Volkes Schaden in die Stricke der Wollust, und Jephthah tut ein sehr übereiltes Gelübde, dessen starre Ausführung den herrlichen Sieg mit dem grausamen Tod der Tochter befleckt. So findet sich bei allen Frommen immer etwas Tadelnswertes. Dennoch hört der Glaube, mag er auch unvollkommen sein, nicht auf, Gottes Beifall zu finden, weshalb wir uns durch unsere Fehler nicht brauchen beirren und entmutigen zu lassen, wofern wir nur im Glauben auf dem Wege unserer Berufung fortschreiten.

David . Er steht da als Repräsentant aller frommen Könige des Reiches Juda, und ihm zur Seite stehen Samuel und die Propheten. Jedermann kennt die vielen Siege, die David über seine Feinde erfochten hat, die Charakterfestigkeit und unübertreffliche Regierungskunst Samuels, die göttlichen Machterweisungen im Leben der heiligen Propheten und Könige. Das alles, versichert der Apostel, ist auf Rechnung des Glaubens zu setzen. Von den ungezählten Beispielen göttlichen Beistandes berührt er dann nur einige wenige. David ist so oft als Sieger nach Hause gekehrt, Hiskia ist gesund geworden von schwerer Krankheit, Daniel der Löwengrube unversehrt entstiegen, seine Gefährten im glühenden Ofen umhergegangen wie auf einer Wiese im Morgentau. Ist hierin überall der Glaube wirksam gewesen, so sollen wir wissen, dass er auch heute noch das einzige Mittel ist, in unserem Leben der göttlichen Güte einen großen Platz zu sichern.

Besonders beachtenswert ist der Satz: durch den Glauben haben sie Verheißungen erlangt. Denn wiewohl Gott wahrhaftig bleibt, auch wenn wir alle ungläubig wären, so berauben wir uns doch durch den Unglauben der Kraft und Wirkung seiner Verheißungen.

V. 34. Sind kräftig geworden aus der Schwachheit. Diese Worte scheinen mir gut auf Hiskia zu passen, obschon ihnen der weitere Sinn gegeben werden kann, dass der Herr seine Heiligen immer wieder aufgerichtet hat, wenn sie darniederlagen, und ihre Schwachheit in Vollkraft verwandelte.

V. 35. Andere aber sind zerschlagen. Soeben war von glücklichen Erfolgen die Rede, die Gott dem Glauben der Seinen als Belohnung zuteilwerden ließ, jetzt dagegen von Heiligen, welche auch im schwersten Leiden sich glaubend durchkämpften, ja bis zum Tod unbesiegt ausharrten. Zwischen beiden Fällen klafft auf den ersten Blick ein großer Unterschied: dort solche, die über ihre Feinde herrlich triumphieren, vom Herrn wunderbar bewahrt werden, auf immer neue Weise dem Tod entrinnen, hier andere schmählich behandelt, verspien von der ganzen Welt, durch Mangel erschöpft, vor dem Hass der Menschen in die Schlupfwinkel wilder Tiere sich verbergend, auf grausame und schreckliche Art dem Tod überliefert. Diese letzteren scheinen von Gottes Hilfe völlig verlassen zu sein, da er sie so dem Stolz und der Erbarmungslosigkeit der Bösen preisgibt – wo ist da die Übereinstimmung mit jenen anderen? Und doch, dort und hier regiert der Glaube, hier wie dort erweist er sich kräftig; ja in den letzteren sieht man noch deutlicher, was er vermag. Denn den Tod verachten ist ein glänzender Sieg des Glaubens, als sein Leben auf fünf Menschenalter bringen. Im geduldigen und standhaften Ertragen von Schmach und Mangel und äußerster Not wirkt er sich herrlicher aus, als wenn einer auf wunderbare Weise seine Gesundheit oder ein anderes leibliches Gut erlangt. Halten wir fest: die Widerstandskraft der Heiligen ist zu allen Zeiten des Glaubens Werk gewesen. Wer irgend sich wahrhaft auf Gott verlässt, ist gegenüber jeglichem Ansturm des Satans mit der nötigen Macht zum Überwinden ausgerüstet, und zumal im Leiden soll es uns niemals an Geduld mangeln, wenn wir Glauben haben. Denn die Art des Glaubens ist heute dieselbe wie bei den Vätern, an die der Apostel erinnert. Verlieren wir im Kreuz und Verfolgung aus Feigheit den Halt, so machen wir uns des Unglaubens schuldig.

V. 37. Die Schafpelze und Ziegenfelle bezeichnen wohl nicht Zelte aus Tierhäuten, sondern vielmehr die armseligen, rauen Gewänder, mit denen diese frommen Märtyrer bei ihrer Flucht in die Einöde bekleidet waren.

Jeremia soll gesteinigt, Jesaja zersägt worden sein, und von Elia, Elisa und anderen Propheten erzählt die heilige Geschichte, dass sie in Bergen und Höhlen umhergeirrt seien. Ich glaube indessen, dass der Verfasser an dieser Stelle des Briefes die wütenden Verfolgungen, die unter Antiochus Epiphanes und noch später über das Volk Gottes hereinbrachen, im Auge hat.

Haben keine Erlösung angenommen. Der Ausdruck ist durchaus angemessen. Den kurzen Genuss dieses Lebens, der für sie nur um den unheilvollen Preis der Verleugnung Gottes und des Verzichts auf ihren Beruf zu erkaufen gewesen wäre, haben sie fahren lassen, um dafür das ewige Leben im Himmel zu gewinnen (Mt. 10, 39). Wenn wahre Sehnsucht nach der zukünftigen Auferstehung in unseren Herzen wohnt, wird es uns leicht, vom Tod gering zu denken. Zu welchem anderen Zweck leben wir denn, als um Gott zu leben? Verwehrt man uns das, wie sollten wir nicht ohne Bedauern sterben können? Die Hoffnung der seligen Auferstehung, die jene aufrecht erhalten hat, ist auch unsere Kraft in allen Widerwärtigkeiten, die in unserem Leben so wenig fehlen können wie in der vergangenen Geschichte der Gemeinde und für uns ebenso wenig ein Zeichen sind, dass wir Gott gleichgültig wären, wie für die heiligen Väter.

V. 38. Deren die Welt nicht wert war. Es könnte scheinen, als ob jene von den Menschen geächteten, heiligen Propheten, die gleich wilden Tieren gehetzt wurden, nicht verdienten, dass die Erde sie trüge. Der Apostel kehrt die Sache um: die Welt war ihrer nicht wert. Denn überall, wo die Knechte Gottes hinkommen, bringen sie seinen Segen wie einen Wohlgeruch mit. So wurde Potiphars Haus gesegnet um Josephs willen (1. Mose 39, 5), und Sodom wäre verschont geblieben, wenn man zehn Gerechte hätte darin finden können (1. Mose 18, 32). Mag darum die Welt die Knechte Gottes wie Auswürflinge behandeln, sie straft damit doch nur sich selbst. Jede gewaltsame Ausstoßung eines Gerechten kommt einem unheildrohenden Vorzeichen gleich; die Welt war nicht wert, ihn zu beherbergen, und er sollte nicht mit ihr verderben (Jes. 57, 1). Die Frommen aber mögen ihrerseits, wenn sie in Acht und Bann erklärt werden, ausgiebigen Trost darin finden, dass dasselbe den Propheten widerfahren ist, die bei den wilden Tieren mehr Milde antrafen als bei den Menschen und in Bergen und Wäldern, Gruben und Gefängnissen die Stimme des Geistes Gottes frei erschallen ließen. Auch wir sollen Mut genug haben, durch die ganze Welt uns nicht anfechten zu lassen, also dass, wenn sie uns ausspeit aus ihrem Munde, wir es für ein Entrinnen aus dem Rachen des Todes und für eine gnädige Veranstaltung Gottes zu unserer Rettung achten.

V. 39. Diese alle usw. Es ist ein ungleiches Maß der Gnade, das Gott den Gläubigen unter dem Gesetz zu teil werden ließ und dessen er uns heute würdigt. Denn sie haben „die Verheißung“, d. h. den großen Abschluss aller Verheißungen in Christus, noch nicht sich erfüllen sehen. Wenn sie darum bei dem so viel spärlicheren Lichte, das ihnen gewährt war, dennoch solche Standhaftigkeit im Leiden und himmelwärts gerichteten Sinn zeigten, womit wollten wir unseren kleinen Glauben und unser Kleben an der Erde entschuldigen, da unsern Weg der volle Glanz des Evangeliums bestrahlt!

V. 40. Als Grund, warum die Väter noch nicht die reiche Befriedigung ihres Glaubens erlebten wie wir, wird angeführt: Gott hat das vollendete Heil auf unsere Zeit, auf die Zeit der Erscheinung Christi, verschoben, dieweil er uns alle mit jenen zu einer heiligen Gemeinschaft verbinden wollte. Und darin liegt wahrlich ein großer Beweis von Gottes Güte gegen uns, dass er, wiewohl huldvoll gesinnt gegen seine Kinder von Anfang der Welt her, doch seine Gnade stufenweise entfaltet hat zum Besten der Gesamtheit seines Leibes. Was kann ich mir Größeres denken, als dass bei allen Gnadenerweisungen Gottes gegen Abraham, Mose, David und alle Patriarchen, Propheten und frommen Könige auch auf mich schon Bedacht genommen ist, dass ich in Christus mit jenen Teil bekäme am gleichen Heil? Aber dann sind wir auch doppelt und dreifach undankbar gegen Gott, wenn wir jetzt, unter Christi Herrschaft, weniger Glauben an den Tag legen, als die Väter unter dem Gesetz in so hervorragenden Proben bewiesen haben.

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