Bogatzky, Carl Heinrich von - Der Hohe Artikel von der Rechtfertigung Eines armen Sünders vor Gott

Bogatzky, Carl Heinrich von - Der Hohe Artikel von der Rechtfertigung Eines armen Sünders vor Gott

Vorrede an den christlichen Leser

Die Veranlassung zu dieser längst verfertigten Schrift - habe bereits in der Vorrede zu dem Traktat von dem großen Werk der Buße angezeiget - finde also hier nichts weiter zu erinnern, als daß doch ein jeder, der ein evangelischer Christ sein will, diesen Hohen Artikel von der Rechtfertigung auch recht hoch und teuer halte; denn er ist ja der rechte Augapfel, das güldne Kleinod und die köstlichste Perle unserer evangelischen Religion, dadurch wir uns wie von Papisten so auch von andern Irrgläubigen unterscheiden, und durch welchen Artikel,, wenn wir ihn recht aus Gottes Wort und der Erfahrung verstehen lernen, auch, wie Luther saget, am besten von allen andern Lehren urteilen, wie auch am besten und vor aller falschen Lehre bewahren können.

Wer in diesem Artikel wohlgegründet ist und feste steht, den werden auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen und so viel weniger allerlei Irrgeister verführen. Wer aber in diesem hohen Hauptartikel nicht rechten Grund geleget hat, der kann, wenn er auch etwas Gutes hat, sich bald allerlei Irrgeister einnehmen und das Ziel verrücken lassen, besonders wenn sie, wie sie pflegen, mit allerlei Dingen kommen. Wer diesen Artikel recht erfahren hat, der wird dadurch wohl am besten vor allem enthusiastischen, fanatischen und hochfliegenden Wesen bewahrt (indem er einen aus tiefste demütiget). Obwohl die jetzige blinde und überkluge Welt sein Tun dafür hält und ausgibt; denn die Christenheit ist leider auch in unserer protestantischen Kirche so verfallen, daß, wenn einer nur etwas von den Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes und von einer lebendigen Erfahrung gedenket, solches von manchen, auch wohl in öffentlichen Schriften für enthusiastisch gehalten wird.

Es bewahret aber dieser Artikel auch einen jeden, der ihn recht versteht, vor allem pelagianischen unfruchtbaren Wesen der Weisen dieser Welt, welche alles auf ihr Kräfte nehmen. Denn man kann diesen Artikel nicht verstehen lernen, wenn man nicht vorher sein gänzliches Unvermögen in geistlichen Dingen erkennet und von eigner Wirksamkeit und Gerechtigkeit ausgezogen worden, als in welcher Ordnung man erst nach Christo und seiner Gerechtigkeit hungert und durstet, und die Rechtfertigung aus Gnaden im Blute des Lammes erlanget.

Also ist dieser Artikel auch deshalb ein hoher und teuerer Artikel, weil er uns vor allen Abwegen zur Rechten und Linken am sichersten bewahret.

Wie ich nun aber in besagter Vorrede gedacht, daß die Menschen von dem großen Werke der Buße gar kleine und geringe Gedanken haben und damit bald meinen fertigzuwerden; also haben sie auch von diesem Hohen Artikel von der Rechtfertigung gar niedrige Gedanken.

Die gemeinen, unwissenden und sicheren Leute verstehen gar nichts davon und sind dabei voller Selbstrechtfertigung, oder machen sich lauter falschen Trost, und setzen ihre Gerechtigkeit in ihren bloß äußerlichen Gottesdienst, in ihr Kirche-, Beicht- und Abendmahlgehen, in ihr Beten und Singen, damit sie doch nur ein Opus operatum, ein bloß äußerliches Werk treiben und zufrieden sind, wenn nur äußerlich das Werk getan und der Gottes- oder Kirchendienst verrichtet worden, ob sie gleich ein Jahr wie das andere unbußfertig und sicher bleiben.

Die Gelehrten aber sind großenteils damit zufrieden, daß sie die reine Lehre von diesem Artikel auf dem Papier oder im Kopfe, im Munde haben, und bald fertig sind, zu sagen oder zu schreiben: Sola fides justificat, und daß sie solches auch recht demonstrieren, beweisen und verteidigen können. Aber wenige, wenige auch von den sogenannten Gottesgelehrten haben einen recht erleuchteten Verstand davon; denn sie haben von dem Glauben, durch welchen wir allein gerecht werden, gar geringe Gedanken; indem sie das sich selbst gemachte Vertrauen auf Christi Verdienst oder, nach Luthers Worten, den bloß selbstgemachten Gedanken, der da spricht: Ich glaube, für den Glauben halten und nicht wissen noch erfahren haben, daß der Glaube allein in einem bußfertigen, zerbrochenen, zerschlagenen Herzen oder, wie unsere symbolischen Bücher reden, in terroribus conscientiae gewirket wird. Da wissen sie auch nicht und haben es nicht erfahren, wie einer Seele zumute ist, wenn sie recht bußfertig, recht erschrocken, zerbrochen und zerschlagen ist und sich nach ihrem Gewissen vor Gottes Richterstuhl gestellet siehet, sich aber nach Christo als ihrem Gnadenstuhl und nach seiner Gerechtigkeit sehnlich ausstrecket und nicht ruhet, bis sie weiß, sie habe durch Christum Gnade gefunden und sei von aller ihrer Sünde gerechtfertigt und losgesprochen worden. Weil sie dies alles nicht erfahren haben und nicht wissen, daß gar nicht viel hierzu gehöre, so halten sie freilich diesen Artikel nicht so hoch und teuer, wie sie ihn halten sollten, und der große Apostel Paulus wußte doch nichts Höheres und Größeres als diese Sache, daher er alles andere, was ihm auch vorher ein Gewinn war, wegen der überschwenglichen Erkenntnis Christi für Schaden und Dreck hielt, damit er nur immer besser Christum gewinnen könnte und in ihm erfunden würde, nicht habend seine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird, Phil. 3.

Diese zugerechnete Gerechtigkeit ist das schöne Hochzeitskleid, darüber sich die gläubige Seele hoch erfreuet, wie Jesaja 61 zu sehen ist. Es bekommt aber niemand dieses Kleid des Heils, diesen Rock der Gerechtigkeit, als der in wahrer Buße den befleckten roch des Fleisches hasset und ausziehet; aber auch den Bettellappen aller eigenen Gerechtigkeit fahren läßt, und als ein ganz armer elender Sünder nur nach Christo und seiner Gerechtigkeit recht hungert und dürstet. Und so kann sich auch niemand über das schöne Brautkleid erfreuen, der nicht vorher göttlich traurig ist und Leid trägt. Dahin gehen die tröstlichen Worte aus Jes. 61,2-3: Der Geist des Herrn Herrn ist über mir, darum hat mich der Herr gesalbet. Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Öffnung; zu predigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unseres Gottes; zu trösten alle Traurigen; zu schaffen den Traurigen zu Zion, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für einen betrübten Geist gegeben werden.

Weil nun aber die meisten, auch viele unter den Gelehrten, von dem ersten, von dem zerbrochenen Herzen, von der göttlichen Traurigkeit, von dem betrübten Geiste nichts wissen oder nichts erfahren haben, also haben sie auch nichts von der Freude erfahren, welche andere gläubige Seelen über ihrer erlangten Rechtfertigung, über ihren geschenkten schönen Kleidern empfunden haben. Sie haben also von diesem hohen Artikel eine bloße buchstäbliche Erkenntnis und Wissenschaft im Kopfe, dabei sie aber im Herzen keine Kraft empfinden und daher auch keine rechten Früchte der Gerechtigkeit bringen, daß sie über dieser köstlichen Perle alles andere verleugnen und fahren ließen.

Dieser Artikel aber, wenn er recht verstanden und erfahren wird, macht, daß man alle Dinge in der Welt verleugnen und Sünde, Satan und Welt überwinden kann; darum ist ihm auch Satan und Welt so feind, daß darüber viele tausend Märtyrer worden sind, und dieser Artikel hat eben auch die teuren Märtyrer zu aller ihrer Marter so willig und freudig gemacht, daß sie auch mitten in Flammen Gott mit Freuden gelobet haben.

Dieser Artikel macht aber auch noch jetzo einen jeden Gläubigen in seinem Leiden und in seinem Tode getrost, er sterbe auch welchen Tod er wolle; denn er ist die unerschöpfliche Quelle alles göttlichen Trostes im Leben und im Sterben.

Also ist dieser Artikel nicht hoch genug zu erheben und zu preisen, und doch ist er den meisten eine gar geringe Sache. Und ob die Weltkinder, sonderlich die Fleischlichen, Weisen und Klugen dieser Welt, in unserer evangelischen Kirche noch so viel Rühmens von diesem Artikel machen, so sind sie doch auch keinem Artikel mehr zuwider als diesem, wenn man nämlich nicht mit einer bloßen Wissenschaft davon will zufrieden sein, sondern zeigen, in welcher Ordnung man die wahre Rechtfertigung im Blute des Lammes erlange. Von dieser Heilsordnung wollen sie nichts wissen. Denn man muß sich als ein ganz armer Sünder zum Kreuze Christi schmiegen und biegen, man muß sich von aller seiner eignen Würdigkeit und Wirksamkeit und von allem eignen Ruhm ausleeren, ja ganz nackt ausziehen lassen, sich als einen, der ganz nackt, blind und bloß ist, ansehen, und in Jesum und seine Gerechtigkeit einkleiden lassen. Dies alles geschieht in tiefster Demut und Beugung seines Herzens, da man in sich selbst muß nichts werden; so man in Christo will etwas oder gerecht und selig werden. Und dieser Weg, diese Ordnung steht wie überhaupt der hoffärtigen Natur, so besonders diesen sich klug dünkenden geistern gar nicht an. Und da ist ihnen der gekreuzigte Christus nicht göttliche Kraft und göttliche Weisheit, sondern ein Ärgernis und eine Torheit, ob sie es auch nicht Wort haben wollen. Denn sie halten doch die wahren Glieder und Nachfolger Christi, die mit Paulo von nichts als von Christo dem Gekreuzigten wissen wollen, für törichte, alberne Menschen, und also ist ihnen auch Christus, ihr Haupt, in seiner Gnadenordnung selbst eine Torheit und ein Ärgernis. Darum sagt Luther über das Evangelium am 3. Sonntag des Advents: Du mußt blind, lahm, taub, tot, aussätzig und arm sein, oder wirst dich an Christo ärgern.

Die Menschen können eher die strengsten Gesetzpredigten und die schärfste Moral vertragen, aber wenn dieser Artikel in rechter Ordnung unablässig getrieben wird, das können sie nicht wohl leiden. Denn er lässet dem Menschen keinen eigenen Ruhm, sondern ziehet ihn ganz nackend aus, da will der Mensch nicht dran; indem er immer noch etwas sein, noch etwas vor Gott bringen will, dessen er sich rühmen könnte. Und doch muß diese Sache unablässig in allen Predigten getrieben werden. Denn dieser Artikel macht und erhält wahre Christen.

Hingegen wenn dieser Artikel danieder liegt, sagt Luther, so liegt schon alles. Darum ist's wohl vonnöten, daß wir ihn täglich treiben und, wie Moses in seinem Gesetz befiehlet, daß wir ihn wohl schärfen und einbleuen.

An diesem Artikel, sagt er an einem anderen Ort, ist ganz viel gelegen, welcher auch zu klarem richtigem Verstande der ganzen heiligen Schrift vornehmlich dienet, und zu dem unaussprechlichen Schatz und der rechten Erkenntnis Christi allein den Weg weiset, auch in die ganze Bibel allein die Tür auftut, ohne welchen Artikel auch kein armes Gewissen einen rechten beständigen gewissen Trost haben oder die Reichtümer der Gnade Christi erkennen mag.

Er ist der edle, hochnötige, fürnehmste Artikel, ohne welchen niemand Christum erkennen wird.

Von diesem Artikel kann man nicht weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde, oder was nicht bleiben will.

Wir müssen also diesen Hauptartikel unserer evangelischen Kirche noch viel besser verstehen lernen und dessen Kraft erfahren, daß wir auch in allerlei Anfechtung und Verfolgung bestehen und aushalten können; denn wir wissen bei den jetzigen Gerichten und bei der Macht der Feinde nicht, wie nahe die letzte Wut der Feinde unserer Kirche ist, da wohl das Bekenntnis dieses Artikels noch gar blutige Verfolgungen könnte nach sich ziehen. Da werden die nicht bestehen, welche diesen Artikel bloß auf dem Papier und im Kopf, aber nicht im Herzen haben.

Wer aber auf dem felsenfesten, ewig bleibenden Grunde dieses Artikels recht erbauet und darinnen recht zu Hause ist, der wird auch unter allen Verfolgungen feste stehen und auch im Tode getrost sein.

Dazu helfe uns der Herr aus Gnaden, und segne auch dazu diese Schrift um seines Namens willen, Amen.

Carl Heinrich von Bogatzky

Halle, den 15. Dezember 1757

Die erste Betrachtung

Von dem Hohen Artikel der Rechtfertigung An und für sich selbst, nebst einigen Zeugnissen Luthers

I.

Weil so vieles, ja alles daran gelegen ist, daß die Seele durch den Glauben in Christo Gerechtigkeit, Vergebung der Sünden, Leben und Frieden finde oder den Artikel der Rechtfertigung nach dem Worte Gottes und aus der Erfahrung recht verstehen lerne, und weder mit einer falschen Selbstrechtfertigung sind betrüge, noch aus Blödigkeit und Unwissenheit des Trostes und Friedens und der göttlichen Kraft beraubet werde, so sie aus der wahren Rechtfertigung haben kann, so wollen wir die wichtigsten Stücke, die bei der Rechtfertigung vorkommen, zusammennehmen, und selbige nach den Worten Pauli Römer 3, 23-26 in ihrem Zusammenhang so betrachten, wie es auch, was die Hauptsache betrifft, alle bußfertigen und gläubigen Seelen in ihrer Rechtfertigung oder auch in der täglichen Applikation der erlangten Rechtfertigung zu erfahren pflegen. Denn obwohl sonderlich zu unserer Zeit von dieser Sache viel geredet wird, so ist doch dieser Hauptartikel, als der Augapfel, die Perle und das Kleinod unserer evangelischen Lehre, so wichtig auch so tröstlich und kräftig, daß man nie genug davon sagen kann, zumal da man hierbei so leicht bald zur Rechten, bald zur Linken von dem richtigen Wege kann abweichen. Der Herr aber leite uns selbst in alle Wahrheit und lehre uns davon handeln nach seinem Wohlgefallen. Denn wer ist hierzu tüchtig?

II.

Wir handeln nun hier von der Rechtfertigung, wie sie nach der heiligen Schrift im gerichtlichen Verstande genommen wird, da Gott als der Richter einem wegen seiner Sünden verklagten Menschen, der aber mit bußfertigem und gläubigem Herzen zu Christo, dem Gnadenstuhl, Zuflucht nimmt, die Gerechtigkeit seines Sohnes zurechnet und um deswillen seine Sünden nicht zurechnet, sondern ihn in seinem Gericht von allen Sünden völlig absolvieret und losspricht. Dabei sehen wir aber nicht nur auf Actum oder punctum justifi ationis in foro divino, auf das, was im Gerichte Gottes geschieht, sondern auch auf das, was im Herzen und Gewissen vorgeht; weil doch Gott keinem in seinem Gerichte der erlangten Rechtfertigung und Vergebung der Sünden versichert, in dem er nicht zuvor Buße und Glauben gewirket habe, ob es zuerst auch nur in kleinem Maße wäre. Und da sind folgende Hauptpunkte zu bemerken, welche bei der Rechtfertigung vorkommen und im Herzen eines bußfertigen Sünders, obwohl in verschiedenem Maß, erfahren werden.

III.

Der Heilige Geist überführet den Menschen durch sein Strafamt vermittels des Wortes Gottes seiner vielen Sünden und Übertretungen und zeiget ihm, daß zwischen ihm und andern, auch großen Sündern, nach der Natur gar kein Unterschied, sondern er auch ein Sünder sei, und des Ruhmes, den er vor Gott haben solle, der göttlichen Herrlichkeit, das ist der in Adam anerschaffenen Gerechtigkeit, oder des Ebenbildes Gottes ermangele. Darum heißt es in den gedachten Worten: Es ist hier kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben sollten.

Hierüber sagt Luther in der Randglosse, Merke, dies, da er saget: Sie sind allzumal Sünder usw. ist das Hauptstück und der Mittelplatz dieser Epistel und der ganzen Schrift, nämlich, daß alles Sünde ist, was nicht durch das Blut Christi erlöset im Glauben gerecht wird. Darum fasse diesen Text wohl, denn hier lieget danieder aller Werk, Verdienst und Ruhm, wie er selbst hier saget, und bleibet allein lauter Gottes Gnade und Ehre.

Der Mensch, der gerechtfertiget wird, ist zuerst anzusehen als ein Verklagter, denn sonst, wenn er nicht verklagt wäre, dürfte er nicht gerechtfertiget oder absolvieret werden. Er ist ein Sünder und Übertreter als Gebote Gottes, und eben wegen solcher seiner Sünde und Übertretung wird er in seinem Gewissen vor Gottes Gerichte gestellet und verklaget. Der Richter ist Gott selbst, gegen den er sich eben versündiget, und der Macht hat, ihn zu verdammen oder loszusprechen. Dieser unser Gott und Richter aber ist bei diesem Gerichte zwar als ein gerechter, doch nicht mehr als ein zorniger Richter gegen uns anzusehen, sondern so wie er durch Christum mit uns schon versöhnet ist und lauter Gedanken des Friedens über uns hat, wie ihm durch Christum schon für alle unsere Schuld genug geschehen und alles bezahlet worden. Also ist es kein Zorn-, sondern Gnadengerichte, vor welches wir gefordert werden, welches nämlich auf kein Strafen, Verwerfen und Verdammen, sondern auf lauter Vergeben, Absolvieren und Begnadigen seine Absicht hat. Daher wir uns gar nicht vor dem Prozeß der Rechtfertigung fürchten dürfen, sondern froh sein mögen, wenn der Herr uns in unserm Gewissen recht aufweckt und recht hineinführet. Wir werden durch Christum, unsern Advokaten, bei einem so gnädigen und schon versöhnten Richter, den Prozeß wohl gewinnen.

Doch muß bei diesem heiligen Gerichte alles richtig nach Urteil und Recht hergehen; indem Gott nicht einen jeglichen Menschen, sondern nur einen wahren Bußfertigen und Gläubigen gerecht machet. Denn die Rechtfertigung gibt keinem sichern Sünder einen Los- oder Freiheitsbrief, ungestraft immerfort zu sündigen. Die in der Rechtfertigung erlangte Gerechtigkeit ist nicht ein solches Kleid, welches bei einem Unbußfertigen alle seine beharrlichen Sünden bedecket, wie die Welt meinet, sondern es wird nur ein armer, leidtragender, gnadenhungriger Sünder damit bekleidet, welcher sowohl den befleckten Rock des Fleisches als auch seine eigene Gerechtigkeit ausziehet, und wie gerechtfertiget, also auch zugleich wiedergeboren und ein anderer, neuer Mensch wird. Auf das alte fleischliche, ungebrochene Herz läßt sich der Trost von der Vergebung der Sünden und der Rechtfertigung nicht so hinschmieren und die Wunden so oben hin zuheilen. Nein, wir müssen zugleich bei der Vergebung der Sünden durch das Blut und die Wunden Christi gründlich geheilet werden, daß wir auch die Herrschaft über die Sünde erlangen und ganz andere, neue Menschen werden. Der Mensch kann auch der Absolution, Rechtfertigung und Lossprechung von der Sünde nicht teilhaftig, viel weniger derselben recht froh werden in seinem Gewissen, wenn er nicht zuvor wegen seiner Sünden die Anklagen des Gesetzes und bösen Gewissens fühlet und darüber göttlich traurig, gebrochen und niedergeschlagen wird, denn der Herr tröstet nur alle Traurigen, Ps. 61,2, und richtet auf alle, die niedergeschlagen sind, Ps. 146,8, und siehet nur an die Elenden, die zerbrochenen Geistes sind, Jes. 66,2. Der Herr ist nahe bei denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die zerschlagen Gemüt haben, Ps. 34,19. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten, Ps. 51,19.

IV.

Darum stellet Gott in dem Gewissen des Menschen ein ordentliches Gerichte an, da hat er seinen Gerichtsstuhl. Das Gewissen ist auch sozusagen das Protokoll, darinnen alle Sünden des Menschen aufgezeichnet stehen. Obwohl der Mensch in seiner Sicherheit und Blindheit wenig Sünden darinnen geschrieben findet und etwa nur die gar groben Dinge erblicket, so sind sie doch alle genau aufgezeichnet. Und wenn der Mensch zur Buße erweckt wird und ihm die Augen recht aufgehen, da findet er Sünde über Sünde, daß er weder aus noch ein weiß. Ja, das Gewissen ist auch zugleich ein Kläger mit, wie auch ein Zeuge und Richter, davon hernach noch was wird zu sagen sein.

Insonderheit führet Moses, das ist das durch Moses gegebene, aber auch schon anfänglich ins Herz geschriebene Gesetz, oder eigentlich die Gerechtigkeit Gottes durch das Gesetz die Hauptklage. Die Gerechtigkeit Gottes, welche durch Übertretung des göttlichen Gesetzes beleidiget worden und nun den Sünder strafen sollte, zeiget dem Sünder seine vielfältigen Sünden und Übertretungen. Das Gesetz ist sozusagen das Rechtsbuch, das rechte Corpus juris divini, wonach er seiner Sünden überführet, gerichtet und bestrafet wird. Dies göttliche und heilige Gesetz zeiget ihm seine vielfältigen wirklichen Sünden, und zwar nicht nur die groben, ausbrechenden, sondern auch die innerlichen Sünden, die bösen fleischlichen Gedanken und Begierden des ungläubigen Herzens; dieweil das Gesetz geistlich ist und nicht nur die äußere Tat, sondern auch die innere Lust schon bestrafet, und saget: Laß dich nicht gelüsten.

Nach dieser Geistlichkeit des Gesetzes ist der schon ein Totschläger und Mörder, der seinen Nächsten nur hasset, und der schon ein Ehebrecher, der nur ein Weib ansiehet, ihr zu begehren in seinem Herzen. Das Gesetz Gottes zeiget ihm aber nicht nur an, was er wirklich mit Gedanken, Begierden, Worten und Werken Böses begangen, sondern auch, was er Gutes unterlassen hat, daher auch bei der Beschreibung des letzten Gerichts lauter peccata omissionis, lauter Unterlassungssünden vorkommen. Indem es nicht heißet: Ihr habt getötet, ihr habt gestohlen usw., sondern: Ihr habt mich nicht gespeiset, ihr habt mich nicht gekleidet usw. Wenn nun die Gerechtigkeit Gottes durch das Gesetz auf solche Weise ihre Klage anstellet und das Gesetz in seiner Geistlichkeit recht erkannt wird, da kommen Millionen Sünden heraus, und der Mensch siehet, daß er alle Gebote Gottes übertreten und auf tausend nicht eins antworten kann. Denn sein Gewissen fällt dem Gesetze bei, ist, wie gesagt, der Zeuge, und saget: Ja, so ist es, das und das hast du gedacht, begehret, geredet und getan, du kannst es gar nicht leugnen. Ja, es wird wohl selbst mit zum Kläger, Richter und Peiniger, und zeiget dem Menschen, es habe es übertäubet und unterdrückt und wider sein besser Wissen und Gewissen gesündigt.

Da spricht denn das wider aufgeweckte Gewissen selbst zugleich mit dem göttlichen Gesetze das Urteil, daß der Mensch von Rechts wegen solle verdammt werden. Und wenn der Mensch sich nicht will bald demütigen, seine Sünden recht erkennen und bekennen und in rechter Ordnung der Buße durch Christum vom bösen Gewissen sich losmachen, so fängt es an ihn zu peinigen und zu quälen, und ist gleichsam auch die Tortur und Folter, durch welche man die Übeltäter zum Bekenntnis ihrer Sünden zwinget. Der Satan, als der Stockmeister über das Gefängnis des Todes, kommt wohl zuweilen auch dazu. Denn obwohl dieser nicht dazu gehöret, auch nichts mit Recht hierbei zu sagen hat, weil wir nicht ihm gesündiget, sondern er vielmehr der Anführer und Verführer gewesen; so macht er doch, soviel ihm der Herr zuläßt, den Menschen angst und bange; und wie er ihn erst hat zur Sicherheit verleitet und die Sünde gering gemacht, so will er ihm jetzo die Sünde größer machen als Gottes Gnade, und ihn zur Verzweiflung bringen. Wenigstens sucht er den inneren Unglauben sehr zu erregen, Gottes Herz verdächtig zu machen und ihn mit allerlei Skrupel anzufechten, daß der arme Mensch oft weder aus noch ein weiß; doch wendet der Herr alles zum besten, und es kommt auch immer einer leichter und eher durch als der andere.

V.

Es wird aber dem Menschen, der zur rechten wahren bußfertigen Erkenntnis seiner Sünden gebracht und gerechtfertiget wird, nicht nur seine wirkliche Sünde, sondern auch der Greuel der Erbsünde aufgedecket und ihm gezeiget, daß er, wie bald anfänglich gedacht worden, des Ruhms an Gott oder des göttlichen Ebenbildes ganz und gar ermangele, wie er durch und durch verderbt und von der Fußsohle bis auf die Scheitel voller Sünde sei. Da fühlet er nichts als Sünde und erkennet, daß er Zorn und Strafe verdienet, zur Hölle gehöre und verloren müsse werden, wenn ihm nicht geholfen würde. Er fühlet auch zugleich, daß er sich selbst nicht helfen und die beleidigte Gerechtigkeit Gottes mit nichts bezahlen und befriedigen kann, und wird daher aufs tiefste gebeuget und niedergeschlagen, und recht arm und elend oder ausgeleert von seiner eigenen Gerechtigkeit und Kraft, und gehet da das vor, doch in unterschiedenem Maß, wovon in dem Traktat von dem großen Werk der Buße gehandelt worden, und also hier nicht zu wiederholen ist.

Zwar ehe der Mensch zur rechten Armut am Geist kommt und sein Elend und Ohnmacht recht fühlet, so will er sich zuerst noch eine Zeitlang selbst rechtfertigen und entschuldigen, oder wenn er seiner Sünden überführet ist und nicht mit seinen Entschuldigungen fortkommen kann; so will er es auch aus eigener Kraft besser machen, viel Gutes tun und recht fromm und heilig leben, eine neue eigene Gerechtigkeit aufrichten und damit Gott bezahlen, der Anklage des Gesetzes ein Genüge tun, und sein Gewissen damit befriedigen und beruhigen, wie dort jener Schuldknecht sagte: Herr, habe Geduld mit mir, ich will dir alles bezahlen, was ich dir schuldig bin. Mat. 18,26. Aber es ist alles vergeblich. Je mehr er zahlen will, je mehr macht er Schulden, und fällt nur, wie wir singen, immer tiefer drein.

Der Grund davon ist die uns allen angeborene Hoffahrt, da der Mensch nicht als ein armer Sünder nur aus bloßer Gnade will gerecht und selig werden, sondern sich immer selbst rechtfertigen, welches aber der wahren Rechtfertigung aus Gnaden just entgegenstehet, und dieselbe am allermeisten verhindert, ja nichts als verdammlicher Unglaube ist und die größte Sünde, besonders im Neuen Bunde, da Christus schon gekommen ist und nichts von uns verlanget, als daß wir nur durch seine Gnade im Glauben seine schon geschehene Genugtuung annehmen und in ihm allein alles Heil suchen. Wer nicht dahin sich bringen lässet, der bleibet im Unglauben, als in der recht eigentlichen Sünde, die den Menschen verdammt, oder vielmehr unter dem schon gesprochenen Urteil und Gerichte der Verdammnis lässet, weswegen Christus saget: Wer nicht glaubet, ist schon gerichtet. Und Joh. 16,9 heißt es, daß der heilige Geist die Welt strafen werde, und zwar um der Sünde willen, darum, daß sie nicht an ihn glauben.

Der heilige Geist fährt also fort, dem Menschen den Spiegel des Gesetzes in seiner Geistlichkeit immer besser vorzuhalten und ihm auch sonderlich den gekreuzigten Christum vorzustellen, der nur für Sünder und Gottlose gestorben ist, und der nur kommen ist, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist, und sich selbst nicht helfen kann. Da erkennt der Mensch am meisten den Greuel der Sünde, und auch den Zorn Gottes über dieselbe, weil Gott unsere Sünde selbst an seinem Sohne gestrafet und denselben nicht verschonet hat. Da wird er am meisten gebrochen, gebeuget und von allem Ruhm eigner Gerechtigkeit und Kraft ausgeleeret. Da lernt er die Unzulänglichkeit aller seiner vermeinten guten werke und Übungen und seine Ohnmacht recht erkennen, und kommt dahin, daß er sich endlich Gott in allem schuldig gibt, sich selbst richtet und anklaget und bekennet, daß er nichts vor Gott aufbringen, noch dem Gesetz genugtun und sein Gewissen beruhigen kann; denn er siehet, daß er mit allem seinen Werk und Wesen müsse verlorengehen, wo er nicht im Glauben zu Christo kommt, und allein in seinem Tode und Verdienst oder teuren Werk der Erlösung alles Heil suchet und annimmt, oder gern annehmen will. Denn wo das ist, da ist kein herrschender und mutwilliger Unglaube, der allein nur verdammlich ist.

Quelle: Bogatzky, Carl Heinrich von - Der Hohe Artikel von der Rechtfertigung Eines armen Sünders vor Gott

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