Blumhardt, Christoph - Andachten zum Buch des Propheten Daniel

Blumhardt, Christoph - Andachten zum Buch des Propheten Daniel

Daniel 2,21

“Er gibt den Weisen ihre Weisheit und den Verständigen ihren Verstand.“

Das sagt Daniel in einem Lobgesang, als er über einen Traum, den Nebukadnezar gehabt haben wollte, Aufschluss von Gott bekam. Der König hatte nicht nur die Auslegung eines Traums wissen wollen, sondern auch den Traum selbst, weil er ihn vergessen hatte. Alle Traumdeuter waren ratlos und standen in Gefahr, durch den gestrengen König das Leben zu verlieren. Da erbat sich Daniel vom Könige Frist in der Hoffnung, der HErr werde ihm das Nötige offenbaren. Daniel stellte sich dabei auf den rechten Standpunkt, indem er überzeugt war, dass Gott Der sei, der den Weisen ihre Weisheit und den Verständigen ihren Verstand gebe. Er dachte nicht, dass er's von sich aus finden müsste, er meinte auch nicht, dass überhaupt ein Mensch von sich aus etwas haben könne. Sondern er hielt sich an den HErrn, der sich wohl insbesondere dann den Einfältigen offenbaren werde, wenn so vieler Leben daran hing. So betete er und erwartete er den Aufschluss vom HErrn. Die Anderen hatten nicht so gedacht und Ausflucht gesucht; und als diese beim König nichts half, waren sie in Verzweiflung. Daniel hatte wohl bei sich gedacht: Wenn Gott sich dem König zu erkennen gab und ihm hat etwas Besonderes sagen wollen, so wird's der nämliche Gott auch mir sagen! Sagt's Gott dem einen, so kann Er's, wenn's sein muss, denen nicht versagen, die Ihn anrufen und die in einem besonderen Verkehr mit Ihm stehen, wie's bei mir der Fall ist! In diesem kindlichen Glauben stand Daniel. Und wie er dachte, so geschah es denn auch. „Es wurde ihm das verborgene Ding durch ein Gesicht des Nachts geoffenbart.“ Nun dankt er Gott und preist Ihn dafür, dass Er die Weisheit und den Verstand gebe.

Wenn Daniel in seinem Lobgesang sagt: „Er gibt den Weisen ihre Weisheit“, so will er damit sagen: „Was die Weisen weise sind, das haben sie von Gott; und was die Verständigen verständig sind, das hat ihnen Gott gegeben.“ Wie gut wäre es doch, wenn alle Weisen und Verständigen sich das merken würden, so dass sie immer sagen möchten: „Ich hab's von Gott.“ Bei ihnen aber ist's gewöhnlich, dass sie, auch wenn sie es nicht immer sagen, doch denken: „Ich bin der Weise, ich bin der Kluge! über mich geht keiner!“ Nicht entfernt will es ihnen einfallen zu denken, dass das, was sie haben, von Gott komme. Sie überheben sich ihrer Weisheit und nehmen an ihr Anlass zu Stolz und Hochmut und verächtlicher Behandlung anderer. Damit aber versündigen sie sich sehr, besonders, wenn sie's andere entgelten lassen, dass sie weniger Einsicht, Geschicklichkeit, Tüchtigkeit haben als sie. Solche Weisen und Klugen lässt aber Gott oft recht zu Narren werden. Denn eben sie sind's oft, die, wie man sagt, recht törichte Streiche machen können, so dass jedermann sich darob verwundert und sie sich recht offenbar schämen müssen. Oft lässt ihnen Gott auch das künstlichst Angelegte ganz und gar misslingen, so dass andere mit ihrer scheinbar geringen Begabung viel weiter kommen denn sie. „Denn Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen gibt Er Gnade.“

Rühmen wir uns doch keines Wissens und keiner Kunst! Denn der HErr hat es alles gegeben, was es auch betreffe, selbst in äußerer Geschicklichkeit. So hatte Gott einst auch beim Bau der Stiftshütte „den Bezaleel erfüllt mit Seinem Geist, mit Weisheit und Verstand und Erkenntnis und mit allerlei Werk, kunstreich zu arbeiten an Gold, Silber, Erz, kunstreich Steine zu schneiden und einzusetzen, kunstreich zu zimmern am Holz, zu machen allerlei Werk“ (2. Mose 31, 3f.) Wie hässlich ist es doch da, über andere zu spotten und zu lachen oder sie geringschätzig zu behandeln, wenn sie an Einsicht, Verstand und Geschicklichkeit zurückstehen!

„Denn wer hat dich vorgezogen? Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich denn, als hättest du es nicht empfangen (, sondern selbst erworben)?“

Zusatz - zu Daniel 2,21 „Nebukadnezars Traum“

In der Geschichte, aus welcher der Spruch genommen ist, erscheint es sehr auffallend, wie Nebukadnezar dazukommen konnte, von seinen Sternsehern und Weisen es zu fordern, dass sie ihm den Traum - den er gehabt und wieder vergessen hatte - sagen sollten, und zwar selbst bei Todesstrafe es von ihnen zu fordern. Es sieht einer entsetzlichen Brutalität und unerhörten Tyrannei gleich.

Wenn man aber die Sache näher untersucht, so war seine Forderung nicht so ungereimt und unvernünftig, als es im ersten Augenblick aussieht. Denn die Sternseher und Weisen behaupteten, dass sie alles, was sie wissen, aus einer (höheren) Eingebung wissen. Nun hatte der König den Eindruck, dass sein Traum etwas sehr Bedeutsames enthielt; Gott hatte ihm diesen Traum entfallen lassen, damit er keine verkehrte Auslegung bekäme. Der König musste also (aufgrund der Behauptung seiner Sternseher) die Voraussetzung haben, dass die Götter sich wirklich seinen Weisen offenbaren. Er forderte demnach nicht zu viel, wenn er erwartete, dass die Götter das, was sie ihn selbst hatten sehen lassen, auch seinen Weisen zeigen werden. Er konnte denken, dass alle ihre Sache nichts sei, wenn sie diesen Traum nicht wissen, und dass er dann alles Recht habe, sie überhaupt als Betrüger anzusehen. Warum sollten denn jetzt auf einmal die Götter sich dem König offenbaren - und nicht denen, die eigentlich berufsweise in solchen Sachen stehen?

Die Weisen sagen's dem König rundweg ab, dass so etwas gefordert werden könne, weil niemand das wisse, ausgenommen die Götter, welche nicht bei den Menschen wohnen. Ein solches Benehmen konnte den König nur noch mehr erzürnen, weil eben damit all ihre Wahrsagerei als eine nichtige gerichtet wurde. Darum sagt er zu ihnen: „Das Recht geht über euch als die ihr Lüge und Gedicht vor mir zu reden vorgenommen habt, bis die Zeit vorübergeht (bis die Zeiten und Verhältnisse sich ändern).“ Der König findet's sogar ganz recht, dass er den Traum vergessen habe. Denn, so sagt er, wenn sie dennoch den Traum von sich aus wüssten, so könne er merken, dass sie auch die Deutung richtig treffen. Andernfalls könnten sie ihm ja vorsagen, was sie wollten - wie er sie wahrscheinlich längst im Verdacht hatte. Wenn also wirklich Gott oder die Götter sich ihnen offenbaren würden - auf welche Weise das auch nach den Gedanken des Königs geschehen mochte -, so hätten sie überhaupt ein gutes Gewissen gehabt und wäre ihre Sache eine rechte gewesen. Dann hätten sie es zumindest so machen sollen wie Daniel, der nur um Frist bittet, bis es Gott ihm sage. Die Weisen aber konnten auch von einer Frist nichts erhoffen, weil ja, wie sie sagen, die Götter nicht bei den Menschen wohnen. Dagegen konnte der König mit Recht erwarten, dass sie vermittelst desselben Gottes, der ihm den Traum gegeben hatte, sollten ihm wieder auf den Traum verhelfen können. Denn sie rühmten sich ja auch sonst der göttlichen Eingebung! Sie waren in eine Falle gekommen, bei der ihre Betrügerei offenbar wurde. In der Forderung des Königs liegt also viel mehr Vernunft als Unvernunft. Und wenn er, der unumschränkte König, sich von Betrügern frei erhalten will - kann es uns da verwundern, dass er sich solcher Leute durch Hinrichtung geradezu ganz entledigen wollte? So wurden auch einst auf Elias Anstiften die Baalspfaffen hingerichtet.

Der König dachte also (mit Recht): Was ihm geoffenbart wird, müssen seine Weisen auch wissen.

Wir möchten oft in dem umgekehrten Fall sein (, zu denken: Was einem andern geoffenbart wird, das müssen wir wissen). Da will sich dieser oder jener einer besonderen Offenbarung rühmen. Nun sollten wir auch denken: Was diesem oder jenem angeblich Gott gesagt hat, werde Er auch uns offenbaren! Geschieht das letztere aber nicht - so dass das Gesagte (, weil es keine Gottes-Offenbarung ist,) gar keinen Widerhall in unserem Geiste findet -, so ist die Anmaßung (dessen, der sich der Offenbarung rühmt,) und was mit ihr gefordert wird, entschieden zurückzuweisen.

Es kommt öfters vor, dass Leute Offenbarungen haben wollen, mit denen sie Anspruch auf Glauben machen. Darf man sie annehmen? Ist es Vernunft oder ist es Unvernunft, sie anzunehmen? Nehmen wir uns in acht und geben wir uns nicht so leicht- fertig Leuten hin, die etwas aus sich machen, als ob ihnen durch einen Traum oder ein Gesicht oder einen Geist eine Offenbarung zugekommen wäre! Solches kommt jetzt schon viel vor und mag in der kommenden Zeit noch viel häufiger vorkommen. Wie töricht aber ist es, auf Offenbarungen durch Somnambulen, durch Träumer, durch Hellseher zu bauen! Ja, unter Umständen: wie greuelhaft ist es! Was dir nicht Gott durch Sein Wort sagt und dir nicht selbst durch Seinen Geist nach Seinem Wort zu fühlen gibt, kannst und darfst du nimmermehr annehmen - wenn du nicht dem Aberglauben, dem Betrug, der Unvernunft überhaupt anheimfallen willst! Wer darauf Anspruch machen will, dass du ihm Glauben schenkst, weil's ihm geoffenbart sei, der ist ein gefährlicher Mensch für dich - und vor diesem fliehe!

Auch bei Nebukadnezar sieht man deutlich, dass es ihm gar recht ist, einmal der Weisheit seiner Weisen auf die Spur zu kommen. Denn es muss ihm längst zuwider gewesen sein, ihr ohne weiteres zu trauen, ohne in seinem eigenen Geiste irgendeinen Beweis dafür zu haben, dass sie mit der Wahrheit umgehen.

Und wir wollten jedem“ Träumer“ nur gleich zufallen? Es ist schon ein Übelstand, dass manche frommen Leute sagen, dieses oder jenes - worüber verschiedene Ansichten denkbar sind und obwalten - sei ihnen durch anhaltendes und ernstliches Gebet gewiss geworden. So sollte kein Christ reden; denn damit wird den Gewissen anderer in ungebührlicher Weise Zwang angelegt.

Dass man doch nur gleich ein Prophet sein will, mit dem Gott rede, und dem zu glauben sei, weil Gott mit ihm rede!

Daniel 9.18.

Wir liegen vor Dir mit unsrem Gebet, (und vertrauen) nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit.

Daniel betet um die Rückkehr der Gefangenen aus Babylon. Diese war zwar auf eine gewisse Zeit hin verheißen; denn durch Jeremia hatte es Gott dem Volke anzeigen lassen, daß die Gefangenschaft 70 Jahre dauern würde (25,11). Aber Daniel, der jetzt „auf die Zahl der Jahre merkte“ (Dan. 9,1), wußte nur zu gut, daß solche Verheißungen stets nur bedingt gegeben sind und fehlen (ausbleiben) können, wenn auf Seiten derer, denen sie zufallen sollen, Gesinnung und Glauben fehlt. So kann es wirklich so sein, daß Gott wohl sagt: „In 70 Jahren dürft ihr in die Heimat zurückkehren“ - wenn aber keiner der Gefangenen sich darum bekümmert, keiner sich's ein Anliegen sein läßt, daß es wirklich werde, keiner darum bittet, dann kann es doch noch fehlen, so bestimmt es auch Gott vorausgesagt hat. Selbst wenn Zahlen angegeben sind, fühlt sich Gott nicht gleichsam mechanisch daran gebunden. Es ist immer so zu nehmen, wie wenn Er nur sagen würde: „In 70 Jahren wäre es Mein Sinn und Gedanke; haltet euch darnach, daß es geschehen kann!“

Jede Gnade, wenn sie auch verheißen ist, muß doch wieder erbeten sein. Und so hat Daniel es für nötig befunden, den HErrn recht ernstlich im Namen des Volkes zu bitten, daß Er die gegebene Verheißung erfüllen möge. Ein Mann wie er konnte sich auch als den Stellvertreter aller ansehen um des Ernstes willen, mit dem er beständig vor Gott stand. Es kann oft an einer einzigen Person liegen - wie das mehrmals im Alten Testament der Fall war -, die nicht gleichgültig sein darf; und auf sie vornehmlich sieht dann der HErr, ob es ihr darum zu tun sei. Von andern wird nicht immer dasselbe gefordert, weil ihnen die Einsicht gebricht und weil sie weniger die Aufgabe haben, das Ganze auf dem Herzen zu tragen. So hat Daniel wenigstens versucht, seine Schuldigkeit zu tun.

Wenn aber Daniel betet, darf er sich auf nichts anderes stützen; auf nichts, das auf seiner oder seines Volkes Seite an Gutem wäre, nicht etwa auf die Gerechtigkeit oder irgendwelche Güte, irgendwelchen Vorzug des Volkes vor anderen. Auf solches kann und will sich Daniel nicht berufen. Er stellt daher sich und sein Volk ganz als Sünder dar. Er muß es sagen und laut bekennen, wie sehr das Volk von Gott abgewichen gewesen und mit Recht in das große Elend hereingekommen sei, in dem es sich jetzt befinde. Darum sagt er auch: „Wir liegen vor Dir mit unsrem Gebet, (und vertrauen) nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit.“

Die Barmherzigkeit Gottes, die ist es, auf die wir trauen dürfen - wenn wir ihrer auch noch so unwürdig sind! Wir müssen es erkennen, daß es lauter Barmherzigkeit Gottes ist, wenn Er auf unsre Bitten auch nur amtet. Nehmen wir sie, und sie allein, mit aller Demut in Anspruch, so steht sie für uns auch offen. So müssen wir bei jeder Bitte nur vor allem unsere Gerechtigkeit hingeben, diese ganz hinfallen lassen, um allein auf Gottes Barmherzigkeit hin bitten zu können. Wenn sie allein es sein soll, dann können wir etwas hoffen. Wenn wir aber zu ihr etwas von uns hinzulegen wollen, so bleibt alles im Ungewissen, was wir bitten und erwarten.

Gebe uns doch der HErr, sooft wir Ihn anrufen, vornehmlich Demut und klare Erkenntnis unsrer Unwürdigkeit und Sünde!

Zusatz Zu Dan. 9,18 Das Fehlen (Ausbleiben) der Weissagung

Wie selbst Zahlen, auch wenn sie bestimmt vorausgesagt sind, fehlen (nicht eintreffen) können, wenn die Gesinnungen der Betreffenden sich ändern, das beweist vornehmlich die Geschichte des Propheten Jona. Dieser mußte den Niniviten bestimmt anzeigen, daß ihre Stadt in 40 Tagen untergehen werde (3,11). Die Niniviten taten Buße. So „reute auch Gott das Übel, das Er ihnen angekündigt hatte, und Er tat's nicht“ (3,10) - was bekanntlich den Propheten Jona mit Unmut erfüllte, weil er mehr auf seine Ehre und Unfehlbarkeit als auf das Wohl der Bedrohten sah. übrigens kam später doch der Untergang Ninives.

Wie aber hier Gott des Übels reute, so kann Ihn auch, wenn die Betreffenden sich dessen unwürdig erzeigen, des Guten reuen, das Er zu tun gedachte. Dies ist besonders wichtig bei der Erwägung der Frage, wie es komme, daß die verheißene baldige Rückkehr des HErrn Christus so lange verziehe - was bei vielen so großen Anstoß erregt. Wir können einfach antworten: „Es reute den HErrn, in der Kürze das Vorausgesagte und Verheißene geschehen zu lassen. Denn mit der Gemeinde auf Erden machte es sich nicht so, wie es hätte sein sollen; und vor allem erfolgte die Verbreitung des Evangeliums unter alle Völker - die der HErr in Seinem letzten Wort befohlen hatte - nicht. Diejenigen, die in der Einfalt des Glaubens stehen, denken, die Zeit der Verheißung der Zukunft des HErrn sei eben wie immer auch eine bedingte gewesen; und sie lassen sich nicht stören, dennoch des HErrn zu harren. Sein endliches (Wieder-) Kommen bleibt dennoch gewiß; und der Verzug wird es um so herrlicher machen!

Zusatz Zu Dan. 9,18 Verkürzung der Trübsal

Daniels Gebet war um so wichtiger, als es immerhin ungewiß war, von wann an die 70 Jahre der Gefangenschaft zu zählen waren. Damals, als er betete und „auf die Zahl der Jahre merkte“, war's das Jahr 536 vor Christus. Da aber Jerusalem im Jahr 588 v. Chr. zerstört und dann erst vornehmlich das Volk, das am Leben blieb, in die Gefangenschaft abgeführt wurde, so schienen an der Zahl 70 noch 18 Jahre zu fehlen. Daniel aber wagt's, schon von der ersten Wegführung etlicher Israeliten an zu rechnen, die im Jahr 606 geschah. Da hätte, menschlich gesprochen, der HErr alle Freiheit gehabt, die Erfüllung der Verheißung bis zum Jahr 518 anstehen zu lassen. So aber kann man sagen: Ein Gebet wie das Daniels verhinderte den Verzug. Oder: Der HErr verkürzte die Zeit und machte es gnädiger, als etwa viele sich's gedacht hatten, und ließ Daniels Rechnung gelten.

So wird auch einmal in den letzten Nöten die Zeit der Trübsal um der Auserwählten willen verkürzt werden (Mat. 24,22), d.h. sie wird schneller zu Ende gehen, als es zuerst im Plan war. „Diese Auserwählten“, so heißt es auch Luk. 18,7f., „die zu Ihm Tag und Nacht rufen, wird Er erretten in einer Kürze“. Ebenso sollte der HErr drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde liegen wie Jona im Bauch des Walfisches (Mat. 12,40). Aber die Wartezeit der überaus treuen und betenden Jünger - obwohl sie nicht recht wußten, was sie beten sollten - wurde verkürzt, indem es nicht drei volle Tage anstehen durfte, sondern indem ein Weniges vom ersten Tage, der sich schon mit Sonnenuntergang nach dem Begräbnis schloß, und die Hälfte des dritten Tages, vom Abend bis zum Morgen, für ganz genommen wurde.

In gleicher Weise können auch wir nicht wissen, wie viele Zeit wir uns an jeder Trübsal - auch wenn wir diese nicht wegbitten können - wenigstens abkürzen durch ernstliches Bitten und Flehen zum HErrn, während andere, die nicht demütig bitten, den Leidenskelch bis auf die Neige austrinken müssen. Da können namentlich bei Krankheiten schöne Erfahrungen gemacht werden!

Daniel 9, 23.

“Da du anfingst zu beten, ging dieser Befehl aus; und ich komme darum, daß ich dir's anzeige. Denn du bist lieb und wert.“

Der Prophet Daniel hatte ein ernstliches Gebet zu Gott gerichtet, daß doch Israel möchte wieder nach dem Gelobten Lande zurückkehren dürfen, um von neuem einen jüdischen Staat zu gründen. Er demütigte sich sehr, indem er seine und seines Volkes Sünden bußfertig bekannte. Er mußte aber mehrere Tage, längere Zeit fortbeten, ohne eine Wirkung seines Gebetes zu verspüren. Und endlich wurde ihm ein Engel Gottes gesandt, der mit den Worten kam: „Da du anfingst zu beten, ging ein Befehl aus.“

Also gleich mit dem Anfang seines Gebets wurde er erhört, obwohl die Ankunft des Engels erst jetzt erfolgte. Dies hat seinen Grund gehabt in besonderen eigenartigen Widerständen, die vonseiten der Finsternis gemacht wurden. Solche konnten ja damals leichter gemacht werden, ehe Christus, unser HErr, die Macht der Finsternis gebrochen hatte. So gab's gleichsam Verzug zwischen dem Himmel und Daniel; aber doch war schon der Anfang des Gebets dem HErrn wohlgefällig.

Auch wir müssen oft lange beten, bis wir merken, daß der HErr Sein Ohr darauf richtet. Der Feind ist wohl überwunden; aber daß er wieder Schwingen bekommen hat, können wir wohl merken. Er ist noch zu überwinden, bis er ganz aus dem Mittel getan ist. Deswegen wissen wir auch vom Heiland, daß Er herrscht und, zur Rechten Gottes sitzend, mit allen Mächten der Finsternis streitet, bis Er sie alle unter Seine Füße gebracht hat. Darum mag's auch bei uns, wenn wir beten, Widerstände geben, verborgene, geheimnisvolle Widerstände, um derentwillen wir Geduld haben müssen. Es muß ohnehin oft, wenn wir um etwas bitten, vieles vorher durch die Macht des HErrn weggeräumt werden. Wir müssen also oft warten. Wir wissen ja nicht, wieviel noch im Wege steht, das zuvor beseitigt werden muß! Erst dann kann es an das kommen, was wir wünschen und begehren.

So erscheint auch der Engel dem Daniel nur um ihm zu sagen: „Ich komme darum, daß ich dir's anzeige“; er sagt nicht: „…, daß ich's schon vollführe“. Einstweilen wird's ihm nur angezeigt, daß sein Gebet erhört sei. Und Daniel muß noch weiter Geduld haben!

Von großer Wichtigkeit ist's, daß wir's fest glauben: Wenn wir beten, wird es gehört und beginnt sogleich die Erhörung - auch wenn wir die Wirkung der Erhörung nicht sehen! Diese kann schon längere Zeit angefangen haben, ohne daß wir's merken. Darum müssen wir ruhig und getrost sein - und nicht gleich so verzweifelt tun, wenn es uns nicht so bald fühlbar wird!

Zusatz 114 „Der liebenswerte Beter“

Beachten wir auch die Worte des Spruchs: „Denn du bist lieb und wert“! So, denkst du, möchte der HErr nicht gerade zu jedem Beter sagen können! Aber verzage deshalb nicht, wenn du dich auch nicht einem Daniel gleichstellen kannst. Warum ist Daniel dem HErrn lieb und wert? Gewiß schon darum, weil er betet und seine und seines Volkes Anliegen mit dem Glauben an Gottes Zusage vor Gott bringt. Wer du auch seist: wenn du nur betest, so fängst du schon an, dem HErrn lieb und wert zu werden. Freilich, wenn du eigenwillig, anmaßend, selbstgerecht und darum anspruchsvoll betest, ist's nicht das rechte Gebet! Und das möchte einstweilen überhört werden, weil du so dem HErrn noch nicht lieb und wert wirst. Aber Daniel demütigte sich und bekannte vor allem im Gebet seine und seines Volkes Sünde. Nur mit einem solchen Gebet ist er dem HErrn lieb und wert.

Indessen ist's doch auch ein Gewöhnliches bei uns, daß in dem Augenblick, da ein Mensch anfängt zu beten und seine Knie zu beugen - besonders dann, wenn er's vorher nicht gewohnt war -, auch etwas von Buße bei ihm einkehrt und von kindlicher Unterwerfung und kindlichem Vertrauen zu Gott. So kann jeder Beter leicht dem HErrn lieb und wert werden. Das aber ist auch zu bedenken, daß deine Sünden dem HErrn eine Hinderung sind und Er um ihretwillen dich's nicht so schnell fühlen lassen kann, daß Er dich höre. Denn mit der Sünde hast du dem Verkläger ein Recht gegeben; und so muß auch des Verklägers Mund zuvor gestopft werden. Das erfordert einen Kampf, wie auch bei Daniel ein Kampf mit dem Fürsten der Finsternis nötig war - eben um der vorgelaufenen Sünden des Volkes willen. Das aber darfst du glauben, daß dein Heiland gleich den Kampf auf sich nimmt, wenn du recht betest. Habe also Vertrauen und Geduld und warte getrost! Unterdessen übe dich, durch Buße und Glauben dem Heiland immer lieber und werter zu werden. Denn dann wird er schneller mit deinen verderbten Sachen fertig, um dir endlich die Hilfe nahezubringen.

Einen Engel nun freilich dürfen wir nicht erwarten, wenigstens keinen sichtbaren. Der kam freilich nur dann, wenn es sich um etwas Großes handelte wie bei Daniel. Denn da hing doch alles davon ab, daß der jüdische Staat wiederhergestellt werde, in welchem noch Christus geboren werden sollte. Da ist es begreiflich, daß ein Engel kam. So wichtig aber werden deine Gebetsanliegen so bald nicht sein! Aber auch sonst kommt vorderhand kein Engel mehr. Jedoch kommt stattdessen ein Wehen des Heiligen Geistes, ein sanftes Säuseln von Ihm ins Herz hinein. Dann kann's dir wohl werden, als wäre nicht nur ein Engel, sondern dein Heiland selber bei dir! Sorge nur recht dafür, daß du Ihm lieb und wert wirst und immer lieber und werter, dann brauchst du fürs weitere nicht mehr zu sorgen! Lieb und wert zu werden, dahin kannst du's durch Seine Gnade bringen!

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