Baumgarten, Michael - Am Sonntage Rogate.

Baumgarten, Michael - Am Sonntage Rogate.

Das Beten in Jesu Namen.

Der heutige Sonntag, genannt Rogate, hat seinen Namen vom Gebet. Das Gebet aber, geliebte Zuhörer, ist in dem christlichen Stande Anfang und Ende, von ihm hängt Alles ab, was zum christlichen Wesen gehört; wer da betet, der ist in Christo, wer aber nicht betet, bleibt ewig außer Christo. Weil nun das Gebet eine so entscheidende Wichtigkeit hat, so wird auch nicht leicht ein Prediger die Aufforderung des heutigen Tages, vor der Gemeinde von dem Gebet zu reden, unbeachtet lassen. Es kommt aber zu der Wichtigkeit noch ein Umstand hinzu, der uns diese Sache für unsere gemeinsame Erwägung noch näher legt: da nämlich das Gebet ein tiefes Geheimniß ist, so giebt es immerfort vielfache Mißverständnisse über das Gebet, welche den reichen Segen desselben gar leicht stören und hindern: die Einen meinen zu beten und haben auch vor Anderen den Schein, daß sie beten, in Wahrheit sind sie aber von Nichts weiter entfernt, wie von dem Gebete; die Anderen halten das Gebet für das Erzeugniß eines nunmehr überwundenen und für immer beseitigten Aberglaubens, und meinen das Beten sei in unserer erleuchteten Zeit höchstens noch für Kinder und Ungebildete; auch Solche giebt es, obwohl sie sehr selten sind, welche meinen, daß sie nicht beten können, und doch sind sie dem Beten weit näher, als die meisten Anderen. Da nun diese schlimmen Mißverständnisse über das heilige und selige Geheimniß des Gebetes auch unter uns vorhanden sind, so laßt uns um so mehr und um so williger dem heutigen Tage sein Recht geben und das Gebet zum Gegenstande unserer Betrachtung und Andacht machen. Es kommt uns dabei entgegen das göttliche Schriftwort, welches für den heutigen Sonntag bestimmt ist; vernehmet dasselbe, wie es lautet:

Joh. 16, 23 - 30.

Wenn wir es noch nicht wissen, eine wie große Sache es um das Gebet ist, hier müssen wir es recht merken. Mit seiner feierlichsten Versicherung betheuert Jesus, daß der Umfang des Gebetes schlechterdings durch nichts Anderes beschränkt ist, als durch den Willen seiner Jünger: was immer sie bitten werden, es sei Kleines oder Großes, Dieses oder Jenes, der Vater wird es ihnen geben. Wenn Jesus diese Verheißung mit seinem zwiefachen Wahrlich bekräftigt, so hat kein Mensch die Befugniß, irgend eine Ausnahme oder Beschränkung aufzustellen. Aber nicht bloß umschließt das Gebet nach dem vernommenen Worte Jesu das ganze Gebiet aller Dinge; es wird hier zugleich auch als die Grundkraft hingestellt, durch welche Alles zu seiner Vollendung kommen soll. Wenn nämlich Jesus sagt: bittet, daß eure Freude vollkommen sei, so bezeichnet er ja das Höchste und das Letzte, denn die vollkommene Freude schließt allen Mangel und alle Unvollkommenheit aus, die vollkommene Freude ist das Ziel jeglichen Sehnens und Verlangens, die ewige Ruhe, in welche alle Bewegung und alle Zeit eingehen soll. Da nun diese vollkommene Freude durch das Gebet erreicht werden soll, wie unser Heiland hier sagt, so ist das Gebet das wirksame Mittel, der treibende Grund zur Vollendung aller Dinge. Sagt mir nun, Geliebte, wie erscheint Euch diese Rede von der allumfassenden und alldurchdringenden Wundermacht des Gebetes, wenn Ihr Eure innersten Gedanken fragt? Gar verschieden jedenfalls wird Eure innere Stellung zu dieser Lehre von dem Gebete sein. Ich weiß nicht, ob Solche in Eurer Mitte sind, die, wenn sie den großen gewaltigen Gang der Dinge in der Natur und in der Geschichte ansehen, sofort bei sich festsetzen, Gott habe nur das Ganze und Große im Auge, um das Einzelne und das Kleine kümmere er sich nicht, weil das Einzelne und das Kleine für das Große und Ganze gar Nichts austrage, sondern in dem mächtigen Strome der Bewegung verschwinde, wie die schaukelnde Welle. Es ist dies offenbar eine unfromme Rede, die nicht weiß oder nicht bedenkt, daß immer in dem Einzelnen und Kleinen das Ganze und das Große enthalten ist. Darum müssen Solche erst in sich gehen und erst merken, daß in ihren scheinbar hohen Worten eine große Leichtigkeit und Oberflächlichkeit enthalten ist; erst dann wird man mit ihnen von göttlichen und heiligen Dingen reden können. Aber fast eben so ferne stehen dem Heiligthum der Frömmigkeit diejenigen, die sich schon eher in Eurer Zahl finden werden, welche sagen: allerdings verwalte Gott nicht bloß das Ganze und Große, sondern auch das Geringe und das Einzelste, aber eben deshalb sei auch Alles und Jedes von Ewigkeit her unwiderruflich festgestellt und eine Aenderung sei in keinem Stücke und in keiner Beziehung gedenkbar und darum müsse das Gebet auch für eine unwirksame und unverständige Ceremonie gehalten werden. Mit solchen kalten Verächtern des Gebetes nun kann und will ich nicht über das Geheimniß des Gebetes handeln, sondern muß sie ihrem Geschick überlassen, bis sie an ihrer eigenen äußeren und inneren Bedürftigkeit inne werden, daß nur dasjenige Wesen Gott genannt zu werden verdient, welches sein Auge allewege gerichtet hat auf jedes Menschenkind und für jegliche Noth einer jeden Seele ein erbarmendes Vaterherz hat. Aber zu Euch möchte ich herantreten, die Ihr das heilige Gebet gelernet habt in Eurer frühesten Jugend; und es übet bis auf den heutigen Tag oder wenn es eine Weile durch die Stürme der Welt zum Schweigen gebracht war, so habt Ihr es aus Eurer Kindheitserinnerung wieder aufgenommen und es Euch aufs Neue zu eigen gemacht und hoffentlich mit mehr Eifer, denn vorher und auch zu Euch möchte ich reden über diese Sache, deren Kindheit das Gebet ein fremdes Ding geblieben ist, entweder durch Schuld Eurer Eltern und Lehrer oder durch Eure eigene Herzenshärtigkeit, aber der Ernst Eurer eigenen Erfahrung hat Euch im reiferen Leben beten gelehrt, mit Euch Allen möchte ich handeln von diesem Geheimniß des Gebetes,

Soll ich Euch nun zurufen: Heil Euch, bleibet in dem, worin Ihr seid, so wirds euch nimmer fehlen? Ich fürchte, wollte ich in diesem Tone zu Euch reden, ich würde mehr Böses stiften, als Gutes; auch würde ich dem heiligen Worte, das Ihr vernommen habt, untreu werden. Denn dieses Wort unseres Herrn führt uns nach einer ganz anderen Seite hin. Zuerst frage ich, wie verhält sich denn die Erfahrung Eures Gebetes zu dem großen Wahrlich unseres Heilandes? Erlanget Ihr denn wirklich Alles, was Ihr bittet, wie der Herr hier verheißt? Besitzet Ihr denn wirklich und genießet Ihr die vollkommene Freude, welche er als die gewisse Frucht dem Gebete zugesagt hat? Die Allermeisten unter Euch werden nicht recht wissen, was sie dazu sagen sollen, aber das fühlen sie in ihren Herzen, daß die Erfahrung ihres Gebetes durchaus nicht stimmet zu dem, was Jesus von dem Gebete gesagt hat. Woran liegt das? Bei Vielen liegt es daran, daß sie nicht in dem Namen beten, an dessen Macht Jesus die gewisse Erhörung des Gebetes geknüpft hat. Sie beten in dem Namen ihres guten Herzens oder in dem Namen ihrer quälenden Noth, aber nicht in dem Namen Jesu. Aber, lieber Mensch, der Du also betest, bedenkst Du denn nicht, daß Du in einem sündigen und sterblichen Leibe wohnest, und daß der, welcher im Himmel seinen Thron hat, dreimal heilig ist? Wie darfst Du wagen, in Deinem eigenen Namen zu dem in der heiligen Höhe Deine Stimme zu erheben? In der That mußt Du es auch oft genug inne werden, daß sich alle Deine Sinne, Gedanken und Worte verwirren, wenn Du im eigenen Namen vor der unnahbaren vernichtenden Majestät erscheinen willst; denn eine innere Stimme sagt es Dir deutlich genug, daß ein solches Gebet in Deinem eigenen Namen auf Erhörung keinen Anspruch hat und Du durch ein solches Gebet die vollkommene Freude niemals gewinnen wirst. In seinem eigenen Namen darf kein sündiger Mensch vor Gott zu treten wagen, sondern nur in dem Namen dessen, der vom Himmel gekommen und zum Himmel gegangen ist; der allein ist die Jakobsleiter, auf welcher unsere Wünsche zu Gott emporsteigen können, um als Erhörungen und Erfüllungen gleich Engeln Gottes wiederum zu uns herniederzukommen.

Das wissen auch Viele unter Euch, und darum sprechen sie ihr Gebet in Jesu Namen und wo sie auch diesen Namen nicht ausdrücklich aussprechen, denken sie ihn doch zu ihrem Gebete hinzu. Und dennoch haben auch gar Manche unter diesen keine freudige Antwort auf meine Frage. Wo liegt denn nun hier der Grund? Der Herr zeigt ihn uns ganz deutlich in unserer Rede an seine Jünger. Er sagt zu seinen Jüngern: Bisher habt Ihr Nichts gebeten in meinem Namen. An diesem Wort hat jeder Christ sein Gebet zu prüfen, Jesus spricht dieses scharfe Wort nicht etwa zu Judas; dieser ist gar nicht mehr in der Mitte der Jünger, als Jesus zu ihnen sprach: bisher habt ihr Nichts gebeten in meinem Namen (s, Joh. 13, 30); er sagt dieses zu den Elfen, er sagt es zu Petrus, Johannes und Jakobus. Diese glaubten doch an ihn und hatten um dieses Glaubens willen Alles verlassen und waren ihm nachgefolgt, und diese glaubten nicht etwa nur wie Nikodemus, daß Jesus sei ein Lehrer von Gott gekommen, oder daß er nur ein Prophet sei mächtig in Wort und Thal, sondern sie hatten geglaubet und bekannt: du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes (s. Match. 16,16); sie hatten ja gesagt: Herr, wohin sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens (s, Joh. 6,68); und in dem Namen Jesu hatten sie Kranke geheilet und Teufel ausgetrieben (s, Luk. 10,17), und so eben haben sie mit Jesu Passa gefeiert und er hat ihnen sein heiliges Abendmahl gereicht und sie haben ihm alle Treue gelobt bis in den Tod und trotz alledem haben sie noch Nichts gebeten in seinem Namen, obwohl er sie außer dem Allen längst ausdrücklich gelehret hat, wie sie beten sollen (s. Matth. 6, 9 -13). Und zwar ist dies nicht etwa nur ein zufälliger Mangel an den Jüngern, sie konnten bisher in seinem Namen gar nicht beten, sagt Jesus, weil er bisher in Sprüchwort, das heißt gleichnißweise zu ihnen geredet hatte. Dieses aber war nicht darum geschehen, weil er ihnen absichtlich noch Etwas vorenthalten wollte, sondern weil, wie er sagt, sie das Weitere, was er ihnen zu sagen hatte, noch nicht zu tragen vermochten (s. Joh. 16, 12). Bei all den großen Vorzügen, die wir den Jüngern Jesu zugestehen müssen, fand sich also doch ein innerer Mangel, um dessen willen sie bisher in dem Namen Jesu Nichts gebeten hatten und Nichts hatten bitten können. Es soll und wird dabei nicht sein Bewenden behalten, es wird die Stunde1) kommen, fügt Jesus tröstend hinzu, da er nicht mehr, wie bisher, gleichnißweise mit ihnen reden werde, sondern frei und offen werde er ihnen verkünden von seinem Vater; an dem Tage, sagt er weiter, dessen diese Stunde sein wird, werden sie bitten in seinem Namen. Wir sehen aus diesen Worten des Heilandes ganz deutlich, daß alles Erkennen Gottes, welches die Jünger erlangt hatten, so lange Jesus bei ihnen war, nur ein gleichnißweises oder an äußerliche Dinge gebundenes Erkennen war, also kein Erkennen und Schauen der göttlichen Herrlichkeit mit aufgedecktem Angesicht, von welchem Erkennen der Apostel Paulus zu rühmen weiß (s. 2 Kor. 3,18); sie haben also bis dahin in dem Angesichte Jesu das Aufleuchten der Erkenntniß der Herrlichkeit Gottes, welches derselbe Apostel erfahren hat (s. 2 Kor, 3, 6), noch nicht geschaut (vgl. Joh. 14,9). Wenn sie aber in Jesu das Angesicht des himmlischen Vaters noch nicht geschaut haben, so kann es auch nicht anders sein, als daß sie in dem Namen Jesu vor das Angesicht Gottes noch nicht kommen können. Von hier aus können wir auch leicht erkennen, welche Stunde Jesus gemeint hat, von der er sagt, daß er ihnen zum ersten Male frei und offen, also ohne Verhüllung und Verdeckung, von dem Vater reden will. Keine andere Stunde, meint er, als die Gebetsstunde des Pfingstfestes, in welcher die Jünger einmüthig beisammen waren, harrend der großen Verheißung, die ihnen gegeben war und in welcher sie die Ausgießung des heiligen Geistes erfuhren. In dieser Stunde hat Jesus den Jüngern zum ersten Mal die ganze Herrlichkeit, Macht, Fülle und Gnade aufgeschlossen, nicht mehr vor ihnen stehend und lehrend in äußerlichen Worten und Gleichnissen, sondern in ihnen wohnend und lebend durch seinen heiligen Geist; in dieser Stunde hat er sie aus der Ferne und Fremde der Welt und aller ihrer Dinge in das himmlische Vaterhaus zurückgebracht und wie Kinder in die Arme und in den Schoß des ewigen Vaters gelegt, so daß fortan Nichts zwischen sie und ihren Gott treten konnte und sich erfüllen mußte, was Jesus in unserem Evangelium sagt: er selbst der Vater hat euch lieb. Dies war nun die Morgenstunde desjenigen Tages, an welchem die Jünger eine neue Zunge empfingen, die Zunge, welche durch das Feuer des Geistes geheiliget war, um nicht mehr von der Erde zu reden (s. Joh. 3,31), sondern in jedes irdische Wort, sei es an Gott oder an Menschen gerichtet, das heilige himmlische Feuer des Geistes zu senken. Mit dieser neuen Geisteszunge redeten sie, nachdem sie trunken geworden waren von den reichen Gütern des himmlischen Vaterhauses (s. Ps. 36,9) die großen Thaten Gottes (s. Apostg. 2,11). An diesem Tage haben sie gebetet im Namen Jesu, denn Alles, was sie gebetet haben, ist erfüllet worden, das zeigt ihr Siegeslauf, der mit diesem Tage anhebt und von einer Kraft zur anderen fortgeht bis an das Ende; das zeigt die Vollendung ihrer Freude, von welcher schon an demselben Tage Gläubige wie Ungläubige Zeugniß ablegen mußten. Nun wird es auch klar sein, weshalb die Erfahrung so vieler in der Gegenwart Lebenden nicht stimmen will zu der großen und theuren Verheißung, welche unser Heiland dem Gebete gegeben hat. Die Meisten nämlich unter Denen, welche beten, bleiben auf dem Punkte stehen, auf welchem die Jünger standen, als der Herr ihnen sagen mußte: bisher habet ihr Nichts gebeten in meinem Namen. Der Glaube Vieler, die sich zu Christo bekennen und in seinem Namen zu beten vermeinen, haftet noch an allerlei Aeußerlichkeiten. Es ist etwa ein Mann, von dem sie das Wort Gottes gehöret und gelernet haben, an diesen Menschen bleibt ihr Glaube dermaßen gebunden, daß sie denselben von ihrem Christus gar nicht zu trennen vermögen; ihr Christus, den sie haben, erscheint ihnen nie und nirgends anders, als in der Beschränktheit und Unvollkommenheit dieses Menschen. Oder es ist die Redeweise oder Lebenssitte einer frommen Gemeinschaft, welche sie so gefangen hält, daß alles Christliche mit diesem engen Kreise völlig Eins geworden ist. Oder es sind gewisse einzelne Erfahrungen ihres eigenen äußeren und inneren Lebens, auf welche sie Alles, was sie zu denken und zu thun haben, zurückbeziehen müssen, sonst kommen sie sich rathlos und gänzlich verlassen vor, sie sind also an diese Einzelheiten mit ihrem Leben wie festgekettet. Oder es kann selbst das an sich Heiligste und Göttlichste sein, was wie ein Aeußerliches, wie ein Gleichniß angeschauet und behandelt wird; es ist gar nicht selten, daß das Wort und die Schrift Gottes, ja die heiligen Sakramente Christi selber als solche Aeußerlichkeiten, als Dinge an sich betrachtet und gebraucht werden und daß ein Mensch sich gewöhnt, an diese Heiligthümer, wie an äußerliche Stützen und Krücken, sein Glaubensleben anzulehnen. Wenn Alles dies als ein Anfang gilt, als eine Uebung der Unvollkommenen und deshalb damit zugleich das lebendige und eifrige Streben verbunden ist, weiter vorzudringen zur Mündigkeit, Freiheit und Selbstständigkeit der Erlöseten, so ist es löblich und gut und Niemand wage es zu tadeln und zu stören, denn wer Einen, der in solchen Anfängen des Christenlebens wandelt, ärgert, der ladet den Fluch des Heilandes auf sein Haupt (s. Matth. 18,6). Ganz anders aber ist es, wenn man sich bei solcher Unvollkommenheit beruhigt oder dieselbe wohl gar, wie es allerdings vorkommt, für einen hohen Stand im Christenthum ansieht und geltend macht; da ist ein arger Selbstbetrug, der der Seele gar leicht den Tod bringen kann. Darum bitte ich Euch, Geliebte, laßt uns über diese Sache ins Reine zu kommen suchen. So lange der Mensch in den genannten dürftigen Anfängen des christlichen Wesens steht, kann er wohl zu frommen Rührungen, zu heilsamen Regungen und Bewegungen des Gemüths gelangen, er kann sich auch zu guten Vorsätzen entschließen und wo es ernstlich zugeht, die Sitten seines Lebens umwandeln und bessern, aber bei dem Allen bleibt der Grund des Herzens und der innere Bestand des Lebens unberührt und unbewegt, und wenn ein Solcher auch tausendmal an jedem Tage den Namen Jesu auf seine Lippen nimmt, beten kann er in diesem Namen nicht. Christus ist ihm, ohne daß er es merkt und weiß, ein zweiter Mose geworden und das Heiligthum des neuen Bundes ist ihm ein alttestamentlicher Tempel; sein Mittler kann ihn nicht zu Gott hinführen, so wenig Mose die Israeliten auf den Berg Jehovas bringen konnte, und zwischen ihm und seinem Gott ist ein dichter Vorhang, durch welchen sein Gebet nicht hindurchzudringen vermag. Darum bleibt das Gebet auf diesem Standpuncte des Glaubens ein vergebliches Ringen, welches keine Erhörung findet und ein mühseliges Versuchen, welches die vollendete Freude nicht gewähren kann. Wer noch nicht weiter gekommen ist mit seinem Christenthum, als daß er Christum immer nur außer sich sieht und immer nur außer sich hört, wie die Jünger, so lange sie mit Christus wandelten, der mag es anfangen, wie er will, er hängt und haftet an dem Sprichwort und Gleichniß und muß es an seiner eigenen Seele erfahren, daß er zu Gottes Vaterhause und Vaterherzen nicht vordringen kann. Da es nun immer noch so Manche unter uns giebt, welche mit ihrem Gebet über diesen Standpunkt eines bloß äußerlichen Glaubens nicht fortschreiten zur Freiheit des Geistes, so dürfen wir uns nicht sehr wundern, wenn Andere, die solches Wesen von außen betrachten, zu dem lästerlichen Gedanken verführt werden, daß alles Beten ein nichtiges und verächtliches Ding sei. Auch um dieser Anderen willen, welche sich nicht scheuen, den heiligen Namen, der über uns genannt ist, zu verunehren, lasset uns Fleiß thun, meine Theueren, daß wir uns ja nicht selbst täuschen und betrügen, und wo es bereits geschehen ist, eiligst unsern Fuß aus den Netzen solcher Selbstbethörung herausziehen. Wenn wir uns gestehen müssen, daß unser Gebet, es mag äußerlich für eine Gestalt haben, welche es wolle, in seiner Folge und Frucht den von uns betrachteten Worten Jesu nicht entsprechend ist, so laßt uns nur ja keinen Augenblick daran zweifeln, daß dies lediglich an uns selber liegt und zwar darin seinen Grund haben muß, daß wir Christum nur noch nach dem Fleische kennen, nicht aber nach dem Geiste. Ich bitte Euch, Geliebte, wenn Ihr es so an Euch befindet, wie ich es beschrieben habe, so scheuet nicht diese Selbstbeschämung, diese Seelenbetrübniß, welche allerdings in einem solchen Geständniß vor Euch selber enthalten ist, scheuet ihn nicht diesen Kummer; auch den heiligen Aposteln Christi ist derselbe nicht ersparet worden. Denn gehet Ihr aufrichtig mit Euch um, verhehlet Ihr Euch Euren Mangel nicht, auch wenn das Selbstbekenntniß desselben Euch bitter kränkt und schmerzt, so wird auch für Euch, wie einst für die ersten Jünger, welche bei aller Unvollkommenheit das köstliche Kleinod der Aufrichtigkeit bewahrten, die geheimnißvolle Stunde schlagen, in welcher auch Euch alle Hüllen und Decken hinweggethan werden und Jesus Euch frei und offen heraus verkündigen wird von seinem und Eurem himmlischen Vater. In dieser Stunde wird auch in Eurem Herzen das Gebet im Namen Jesu geboren werden wie der Thau aus der Morgenröthe. Dann ist der Name Jesu nicht mehr ein Laut und eine Formel Eurer Lippen, sondern eine göttliche und wunderbare Lebensmacht, die Euer ganzes Herz erfüllet, heiliget und beseliget, rann ist dieser Name, wie das Hohelied singt, der heilige Weihrauch auf dem Altare Eures Herzens, der alles Bitten und Flehen zur himmlischen Höhe emporsteigen läßt als ein reines und Gott wohlgefälliges Opfer. Es leuchtet auch wohl von selber Jedem ein, daß nur da in Wahrheit in dem Namen Jesu gebetet werden kann, wo dieser Name den Grund eines Herzens wirklich erfüllt. Denn dürfen wir es auch nur wagen, Etwas vor das heilige Angesicht unseres Gottes zu bringen, was wir erst künstlich zusammensuchen und mühsam herbeiholen müssen? In allem Solchem sind wir nicht selber nach unserer eigentlichen Wirklichkeit und Wahrheit, es ist daher solches Alles ein entlehnter, erborgter Schmuck, den die heilige Majestät, die nur im Geiste und in der Wahrheit angebetet sein will (s. Joh. 4, 24) mit ihrem flammenden Auge verzehren muß.

Also nur, wo der Name Jesu nicht erlerntermaßen und gedächtnißweise zu dem Gebete herangezogen wird, sondern aus dem Grunde des Herzens mit dem Gebete selber emporsteigt, nur da wird in dem Namen Jesu gebetet und dies selbst auch dann, wenn dieser Name in dem Gebete gar nicht ausdrücklich genannt wird. Denn wo das Gebet in diesem Namen wirklich aus dem Grunde des Herzens und dem Geiste Gottes gekommen ist, da bildet es den innersten und stetig bleibenden Grundton der Seele. An demselbigen Tage werdet ihr bitten in meinem Namen, sagt der Herr. Dieser Tag ist Deine ganze Lebenszeit, wofern Du wirklich jene geheimnißvolle Stunde der Offenbarung Jesu Christi innerhalb Deines Herzens erfährest. Wer diese goldene Frühstunde gefeiert hat zu irgend einer Zeit seines Lebens, über den kommt nicht mehr die Finsterniß der Welt, sondern in dem Lichte des Tages führt er seinen Wandel, so lange ihm hier auf Erden zu weilen bestimmt ist. Gleichwie aber zuweilen ein Erdentag in seiner Stimmung und seinem Verlauf durch ein gutes und schönes Wort der Morgenfrühe bedingt ist, so steht der geistliche Lebenstag eines Christen unter der himmlischen Macht des heiligen Namens, der während der Morgenstunde in dem Herzen geoffenbaret ist.

Und so wie das Gebet im Namen Jesu der Grundton ist in dem Lebenstage des Christen, so ist der Inhalt dieses Tages wesentlich nichts Anderes, als die Erfahrung der großen und heiligen Verheißung, welche der Herr in unserem Evangelium diesem Beten zugesagt hat. Denn was wird nun der Gegenstand des Gebetes sein in einem Herzen, in welchem der Name Jesu der Aufgang eines neuen Lebens geworden ist? Der Gegensatz des Guten und des Bösen, der Sünde und der Gerechtigkeit, das ist der Angelpunkt, um welchen sich das ganze Seelenleben eines Menschen in Christo bewegt. Aus der unendlichen Mannigfaltigkeit und Zerstreutheit der Außendinge, in welche der Mensch von Natur verwickelt ist, ist der Christ befreit und auf diesen einfachen Punkt zurückgeführt und von diesem Punkte aus betrachtet und behandelt er alle Dinge, mit denen er zu schaffen hat. Das Böse nun und die Sünde kennt der Christ nicht bloß im Allgemeinen, er hat diese widergöttliche Macht als eine in sein innerstes Wesen und Leben eingedrungene erfahren, er weiß es in schmerzlichster Gewißheit, die Sünde ist Feindschaft wider Gott und deswegen Tod und Verdammniß. Aber eben so gewiß ist es ihm auch, daß seine Sünde ihm durch den Namen Jesu vergeben ist und er damit ein- für allemal die Sünde überwunden hat. So lange aber der Christ in diesem Leibe wohnt, weiß er sich auch noch in Berührung mit der Sünde nicht bloß überhaupt, sondern auch mit seiner eigenen Sünde; es ist noch immer derselbe Leib, dessen Glieder er dereinst in den Dienst der Sünde dahingegeben hat und so lange dieser Leib sein Leben hat, liegt auch immer noch die Möglichkeit der Sünde vor der Thür seines Hauses, wie ein reißendes Thier, das ihn zu verschlingen droht; und darum ergeht an den Christen alle Tage die Mahnung, wie einst an Kam, über die vor der Thür ruhende Sünde die Herrschaft zu erzwingen. Aber dem Christen bleibt dieses Wort nicht wie dem Kam eine bloß von außen kommende Mahnung, es ist zugleich sein allerinnerstes, sehnlichstes und kräftigstes Verlangen; es ist dieses Wort einer der Grundtöne seiner bleibenden Seelenstimmung. Er hat es ja Mit tausend Schmerzen erfahren, daß die kleinste Sünde eine Scheidung von Gott ist und daher ein unerträgliches Wehe. Daher ist ihm der Gedanke an jegliche Berührung mit der Sünde Angst und Pein und darum schreiet seine Seele Tag und Nacht um Bewahrung vor jeglicher Befleckung der Sünde. Die Seele des Christen schreiet aber nicht, wie ein Verzagender und Verzweifelnder, sondern sie rufet, wie das Kind in seiner Verlegenheit die Mutter anrufet; denn in dem Namen Jesu ist sie versichert, daß, so wie ihr die Sünde vergeben ist, sie ebenso gewiß hinfort aller Sünde mächtig werden soll, daß sie hinfort aller Sünde ledig gehen wird, daß sie heilig und vollkommen werden wird, wie ihr Vater im Himmel heilig und vollkommen ist. So versuchlich also auch das Leben sein mag, so tausendfach die Gestalt der Sünde an den Menschen herantritt, immerdar nicht minder zuversichtlich als dringend, weil in dem Namen Jesu, steigt das Gebet um Bewahrung vor der Sünde, um Herrschaft über die Sünde aus dem Herzen des Christen empor. Verwickelt freilich und voll unerwarteter Zufälle ist jedes Menschenleben, aber der, in dessen Herz der Name Jesu leuchtet, wandelt im Lichte und am Tage und er stehet die gefährlichen Stellen seines Weges meistens schon im Voraus und ehe er an sie gelangt, hat schon die Seele ihr Gebet zur heiligen Höhe entsendet. Aber nicht bloß zur Reinheit von der Sünde ist der Christ berufen, sondern auch zur Uebung der Gerechtigkeit und zum Wirken des Guten. Je weher ihm die Erinnerung ist, daß er einst seine Glieder zum Dienste der Ungerechtigkeit hingegeben hat, desto brennender ist sein Verlangen, nunmehr seine Glieder dem heiligen Dienste der Gerechtigkeit zu weihen. Diese Gerechtigkeit hat für ihn gleichfalls eine ganz bestimmte und abgegränzte Gestalt. Alle Kräfte Leibes und der Seele, Alles, worauf er gewiesen ist durch seinen Beruf und durch sein Haus, sowie durch die Gemeinschaft mit den Menschen, in welcher er sich findet, dies Alles ist ihm das göttliche Maß, welches er mit den Werken seiner Gerechtigkeit erfüllen soll. Er weiß sehr wohl, daß dies nicht in Wünschen und Vorsätzen, nicht in Worten und äußerlichen Leistungen geschehen kann, sondern nur Mit Thaten, die aus der ganzen Kraft und Fülle der Seele geboren sind und deßhalb einen täglichen und stündlichen Fortgang haben. Das fühlt er also in voller Klarheit und Gewißheit, nur in Gott könne er diese Gerechtigkeit, die das ihm gesetzte Maß voll machen soll, leisten. Aber in den Augenblicken, in denen er im Hinblick auf diese hohe Aufgabe seine eigene große Unreinheit und Untüchtigkelt empfindet, wird ihm auch unfehlbar durch den Namen Jesu gewiß, daß er Alles, was er braucht, von Gott erlangen kann und soll. In dem Namen Jesu ist ihm die volle Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ein für allemal zugeeignet und die Gerechtigkeit, die er leisten soll, ist nichts Anderes als die Entfaltung und Ausbreitung der ihm zu Theil gewordenen Gerechtigkeit Jesu. Mögen sich nun die Aufgaben von außen steigern und mehren s? hoch und so viel sie wollen, mag sein Gewissen das Ziel der Gerechtigkeit immer klarer erkennen und daher auch immer höher stellen, der Christ erschrickt nicht vor der steilen Höhe, sondern immer nur um so brünstiger fleht er in dem Namen Jesu zu dem Vater aller guten Gaben und aller heiligen Kräfte. So ist nun der Gang des Christen durch das Leben ein stetiges Beten und die einzelnen Gebete sind wie heilige Boten, die zum Himmel eilen, um die Stellen besonderer Gefahren und besonderer Anforderungen anzuzeigen, und wie anders sollten diese Boten zurückkommen, denn als Engel Gottes, welche den Wanderer vor jedem Anstoß bewahren und ihn auf den Händen tragen, und wenn ihm die Kraft mangelt, ihn mit himmlischer Kraft ausrüsten? Ein solcher Mensch in Christo mag bitten, was immer er will, kein Gesetz in dem ganzen Weltgebiete ist so gewiß und untrüglich, als dieses, daß er erlangen wird, um was er bittet. Und so wird seine Freude vollkommen werden. Denn welche Freude kann reiner und vollkommener sein, als die, daß der Mensch, der sich seiner Sündhaftigkeit und fortwährenden Untüchtigkelt bewußt bleibt, erlebt, wie seine Herrschaft über die Sünde in stetigem Wachsen und Siegen ist und seine Kraft zum Guten von einer Stufe zur andern fortschreitet, und zwar erfährt der betende Mensch dieses so, daß er inne wird, wie sein innerster Sinn und Wille im vollen Einklange steht mit dem obersten Gesetze, welches alle Dinge, die kleinen wie die großen, verwaltet.

Um aber in dieser heiligen Sache noch gewisser, zu werden und unsern Glauben ganz bis zu dem Ziele hinzuanbringen, das uns das große Wahrlich unseres Heilandes bezeichnet hat, lasset uns schließlich unser Blick einmal in die ganze Weite hinausrichten, welche das Wort des Herrn in unserm Evangelium umspannt. Weit vollständiger nämlich bewährt sich noch die Verheißung, welche Jesus dem Gebete in seinem Namen gegeben hat, wenn wir nicht bloß den einzelnen Christen ansehen, sondern die ganze Gemeinde ins Auge fassen. Da nämlich der Herr hier zu seinen Aposteln redet, welche er als die Säulen des Baues seiner Gemeinde weiß und anschaut, so hat er hier nicht bloß die Einzelnen als solche im Auge, sondern die ganze Gemeinde, welche sich durch alle Zeiten hindurchzieht und bis an die Enden der Erde reicht. Die Gemeinde Jesu hat die Aufgabe, das Reich der Finsterniß zu zerstören und das Reich des Lichtes zu verbreiten und über Alles sieghaft zumachen; darum hat sie immerdar mit der ganzen Menschheit zu thun, sie ist so zu sagen das Herz der ganzen Menschheit, das Herz der ganzen Welt, Alles was sich in der ganzen Menschheit, in der ganzen Welt regt und bewegt, in der Gemeinde Jesu kommt es zu seinem klaren Bewußtsein, zu seiner bestimmten, scharfen und vollen Empfindung. Die Menschheit, in so weit sie außerhalb der Gemeinde der Gläubigen und Heiligen ist, erscheint der Gemeinde als fern von Gott, als verloren in der Welt und gefangen in der Macht des Argen, aber zugleich erscheint sie auch als in allen ihren Gliedern berufen zur Gemeinschaft mit Gott als berufen zum Erbtheil des ewigen Lebens, sintemal sie versöhnet und erlöset ist durch das Blut Jesu Christi. Darum ist es die stetige und eifrige Arbeit der Gemeinde Christi, diese Berufung zur Gemeinschaft mit Gott in Christo Jesu an alle Völker und an alle Menschen zu bringen. Sobald nun die Gemeinde Jesu in diese Arbeit an der Menschheit eintritt, entsteht eine Bewegung nach zwei Seiten hin, die Einen nehmen die Berufung Gottes an und werden damit der Gemeinde eingefügt, die Andern aber verwerfen diese Berufung; aber wie jene durch die Annahme andere werden als sie gewesen, so werden auch diese durch die Verwerfung andere, als sie gewesen sind. Jene lassen ihre Sünden und Irrthümer, die sie in der Welt hatten, hinter sich und alle Erinnerung daran gereicht ihnen zu einer immer festern Einfügung in die Gemeinschaft der Heiligen; diesen verwandelt sich ihre bisherige Sündhaftigkeit und Verkehrtheit zu einer Feindschaft gegen Christi Reich. So bilden sich auf der Erde zwei Heerlager, die sich feindlich gegenüberstehen, das Reich Christi in seiner Gemeinde, das Reich des Antichristen in der Welt. In der Mitte der beiden Lager bleibt aber immer noch, so lange Entwickelung währt, ein großes Zwischengebiet. Dieses Zwischengebiet ist noch nicht christlich, es ist aber auch noch nicht widerchristlich, es ist nicht in Gott, wird aber doch noch von göttlichen Kräften getragen und von göttlichen Ordnungen zusammengehalten; es ist das Gebiet, wo Recht und Ordnung walten, wo Herkommen und Sitte gelten, wo Wissenschaft und Kunst in mancherlei Art das Leben zieren und verherrlichen. Jedes der beiden Reiche strebt nun unablässig, dieses Zwischengebiet für sich zu gewinnen und es ist daher niemals ein Stillstand in diesem Gegensatz, mit jedem Menschenalter ändert sich die Lage. Was nun die Gemeinde Jesu anlangt, so hat sie immerdar ein lebendiges, tiefes und starkes Gefühl von der Bosheit. List und Gewalt des feindlichen Reiches, sie sieht mit Zittern und Zagen die Gefahr, welche die Menschheit von dieser Seite her allewege bedroht, anderseits schaut sie mit der innigsten Theilnahme und Liebe jede Kraft und Fähigkeit der Menschheit, welche noch unentschieden ist, aber empfänglich und berufen ist für das Reich Christi, Dieser heilige Eifer gegen das böse Reich und diese göttliche Liebe für die Menschheit wird nun in dem Herzen der Gemeinde zu dem Gebete in dem Namen Jesu. Das Gebet der Gemeinde richtet sich von Anfang bis zu Ende gegen alle Erscheinungen und Kräfte des widerchristlichen Reiches, so wie gegen dessen Wirkung, Mehrung und Ausbreitung, andererseits aber breitet es seine schirmenden Fittige aus über alle noch vorhandene göttliche Ordnung auf Erden; an allen Enden heben die Gläubigen immerdar heilige Herzen und Hände empor ohne Zorn und ohne Zweifel, und bringen Gebet, Bitte, Flehen und Danksagung vor den höchsten Thron für alle Menschen, für den König und alle Obrigkeit, auf daß die Heiligen ein ruhiges Leben unter ihrem Regimente führen und Christi Reich in Frieden ausbreiten mögen wider alle Macht des Argen, der in der Welt herrschet als der Gewaltige und als der Fürst. Und dieses Gebet der Gemeinde, welches von den Tagen der Apostel her (s. 1 Tim, 2, 1-4) in ununterbrochener Reihe durch alle Zeiten hindurchgeht, ist die geheimnißvolle Macht auf Erden, durch welche die Weltordnung bis auf den heutigen Tag erhalten worden ist. Dieses Gebet ist die heilige Hut und Wehr, welche den letzten Ausbruch des Bösen bisher noch gehindert hat, ist die göttliche Wunderkraft, durch welche alle Umwälzungen von Recht und Ordnung noch allemal wieder in eine geebnete Bahn zurückgeführt worden sind. Sehet da, Geliebte, in einer großen weltgeschichtlichen Thatsache, von der auch wir selber Zeugen gewesen sind, eine große und herrliche Bewährung des Wortes, welches Jesus über das Beten der Seinen im Namen des Heiles gesprochen hat! Aber so groß und herrlich sich auch schon während des Weltlaufs die Macht des Gebetes, welches die Gemeinde unablässig in dem Namen Jesu vor Gott bringt, bewährt, so werden wir doch die ganze Fülle und Tiefe dieser Macht erst erkennen können, wenn wir unsern Blick auf das Ende richten.

Der Kampf zwischen den beiden Reichen wird nämlich nicht ins Endlose fortgehen, sondern er hat seinen von Gott versehenen Fortschritt, er hat seine im göttlichen Rathe bestimmten Zeiten und Grenzen, Endlich wird das ganze Zwischengebiet erobert werden und Nichts übrig bleiben, was unentschieden in der Mitte schwebt. Aber denkt nur nicht, daß das Reich Christi diese Eroberung machen wird, das ganze Zwischengebiet fällt endlich als Siegesbeute dem Reiche des Antichristes anheim, alle Ordnungen und Kräfte der Welt, alle Güter und Gaben der Erde werden durch die Gewalt der Ungerechtigkeit und der Lüge in den Dienst des Bösen genommen werden, so daß Niemand, der mit reinem Gewissen und reinen Händen Gott dienen will, dieselben gebrauchen kann. Das ist die letzte Stunde des Weltlaufs. Diese finstere Stunde sieht aus wie der Untergang der Gemeinde der Gläubigen, wie das Unterliegen all ihrer Kraft, wie die Vergeblichkeit all ihres Bittens und Flehens, wie die Vernichtung der Verheißung, von der wir handeln. In Wahrheit ist es aber mit dieser Stunde der Gemeinde der Heiligen ganz ebenso, wie mit jener Stunde der Finsterniß, die einst über ihren Herrn und Meister gekommen ist. Gleichwie Jesus, als ihm alle Freiheit der Bewegung genommen, als ihm sein Leib durchbohret war, durch das Gebet und Flehen seines Geistes sein Werk vollbracht und dadurch eben im Unterliegen einen ewigen unverlierbaren Sieg gewonnen hat, so wird es auch seiner Gemeinde ganz in derselben Weise widerfahren. Wenn sie dahin kommt, daß alles Gebiet der Erde besetzt ist von der Gewalt der Lüge und der Bosheit, daß ihr Weg vermauert ist nach allen Seiten, daß sie an Händen und Füßen gebunden ist und die Gerechtigkeit ihrer Werke und ihres Wandels nicht mehr offenbaren kann, so wird sie alle ihre Kraft nach Innen nehmen und aus der Tiefe des Geistes beten, wie noch niemals zuvor; sie wird das Gebet Jesu beten in seinem Namen mit einer Klarheit, Kraft und Inbrunst, wie sie es niemals hat zu thun vermocht. Und wie es geschah, daß, .als die Gemeinde in Jerusalem zum ersten Male betete, Angesichts der Argheit und Gewalt dieser Welt, die Erde erbebete (s. Apostg. 4, 23-31), so wird es sein, wenn sie nun ihr Gebet sprechen wird in der letzten Stunde. Jenes Erdbeben in Jerusalem bei dem ersten Gebet der Gemeinde ist das Zeichen gewesen von dem, was geschehen soll bei dem letzten Gebet. Denn wenn die Gemeinde in ihrer letzten Bedrängnis in dem Namen Jesu flehen wird zu ihrem himmlischen Vater um die Heiligung des göttlichen Namens, dessen Heiligkeit an allen Enden in das Gegentheil verkehret wird, um das Kommen des göttlichen Reiches, dessen Stätte von dem Reiche des Satans in Besitz genommen ist und um das Geschehen des göttlichen Willens, dessen Vollbringen auf der ganzen Erde in den Bann gethan wird, wenn die Gemeinde in jener Zeit also beten wird aus den Tiefen ihrer Bedrängniß, so wird dieses Gebet zu einem Feuer werden, in welchem die Elemente der Welt zerschmelzen und die Himmel vergehen müssen mit Krachen, so wird dieses Gebet zu einer Schöpfermacht, durch welche ein neuer Himmel und eine neue Erde entstehen muß, auf welcher das Reich Christi waltet ohne Widerstand, so wird dieses Gebet die Höhe aufschließen und die vollkommene Freude wird sich als ein himmlischer Strom in alle Herzen ergießen, die dann noch der Freude fähig sein werden. Dieses Gebet der Gemeinde ist das Gebet der Abendstunde, mit welcher der Welttag zu Ende geht, der mit der Morgenstunde des christlichen Pfingsttages seinen Anfang genommen. Eine düstere Dämmerungsstunde ist es, aber weil sie von dem Gebete der Gemeinde im Namen Jesu durchwaltet wird, so hat auch mit ihr die Last und Hitze des Tages für immer ein Ende, und nicht die Nacht folgt auf ihrem Fuß, sondern vielmehr der Tag der Ewigkeit.

An diesem großen und herrlichen Ende aller Dinge wird es völlig klar und offenkundig werden, daß das Wort Jesu von dem Gebet in seinem Namen im allereigentlichsten und buchstäblichsten Sinne zu nehmen und zu verstehen ist, und daß das zwiefache Wahrlich des Herrn ein ewiger Felsengrund ist, auf welchem der Mensch des Glaubens mit beiden Füßen Stand gewinnen soll. In dem Gebet der Gemeinde Jesu ist die große heilige Flamme des Geistes, welche von dem Feste der Pfingsten an bis zum letzten der Tage durch die tiefe Nacht der Erde immerdar zum Himmel emporleuchtet und das geheimnißvolle Wunder vollbringt, von welchem das Wort unseres Evangeliums Zeugniß giebt und Jeder, dessen Gebet erloschen ist wie eine todte Kohle oder nur noch eben glimmt, wie ein ersterbender Docht, hinzutreten soll er zu diesem heiligen Altar, um an diesem Feuer seine Fackel wieder anzuzünden, hier soll er heiliges Oel empfangen für seine Lampe, damit er wach bleibe und nicht ausgeschlossen werde, wenn in der Mitternacht der Welt der Ruf erschallt: wachet auf, denn siehe, der Bräutigam kommt.

Wenn Ihr Euch nun denkt, Geliebte, daß es wirklich eine solche innere Macht, ein solches tiefgewaltiges Leben des Gebetes auf Erden giebt, so werdet Ihr darüber nicht leicht in Zweifel sein, daß ein solches Beten auf Erden der Erhörung im Himmel gewiß sein dürfe. Aber das dünkt Euch gar zu unbegreiflich und geheimnißvoll, wie eine solche Kraft und Beständigkeit des Gebetes in das verwirrte und unstäte Herz des Menschen hineingebracht werden könne.

Ein unbegreifliches Geheimniß ist es nun auch wirklich, es ist nämlich einzig und allein das Werk Gottes des heiligen Geistes. Nur der heilige Geist kann den Namen Jesu zu einer solchen Macht des Gebetes in den Herzen der Menschen aufrichten. Darum, so wie Jesus seine Apostel, als er mit ihnen von dem Gebete in seinem Namen redete, auf die Pfingststunde verwies, so wollen auch wir, von der Mahnung des heutigen Sonntages aufgefordert, auf das nahende Pfingstfest hinblicken. Wenn wir denn nun erkannt haben, daß das Gebet in Jesu Namen ein so tiefes und heiliges Geheimniß ist, daß wir allesammt, wir mögen stehen wie auch immer, stets in demselben zu wachsen und zuzunehmen haben, so lasset uns Alle mit einander unser Sehnen und Verlangen der göttlichen Verheißung des heiligen Geistes entgegenstrecken, ja lasset uns sofort uns vereinigen, daß wir ihn selber anrufen, der nicht an Zeit und Stunde gebunden ist, daß er uns lehre in dem Namen Jesu erhörlich beten. O du heiliger seliger Geist, du unergründliche Tiefe des göttlichen Wesens und Lebens, wir flehen zu deiner Macht und Liebe, du wollest auch über uns ausgießen deine Fülle, ja du wollest selber mit deiner Fülle dich senken in unseren verborgensten Seelengrund und daselbst verklären den Namen Jesu unseres Herrn und Heilandes und diesen heiligen Namen machen in uns zu einer unbesiegbaren Kraft des Glaubens und der Liebe, zu einer unwandelbaren Macht des brünstigen unablässigen Flehens, auf daß auch wir würdig werden, Theil zu haben an der großen Verheißung der Erhörung und an der vollkommenen Freude. Amen.

Quelle: Baumgarten, Michael - Zeugniß des Glaubens für die Gemeinde der Gegenwart

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Das Wort, welches Luther durch Zeit übersetzt, heißt in der Grundsprache eine Stunde.
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