Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 23. Predigt

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 23. Predigt

Text: Matth. VI., V. 19-24.

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen, und da die Diebe nach graben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fressen, und da die Diebe nicht nach graben, noch stehlen. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn aber dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn aber das Licht, das in dir ist, Finsterniß ist, wie groß wird dann die Finsterniß selber sein? Niemand kann zween Herren dienen. Entweder er wird einen hassen, und den andern lieben; oder wird einem anhangen, und den andern verachten. Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon.

Mit diesen Worten beginnt der zweite Theil der Bergpredigt. Von den besonderen Pflichten Seiner Jünger in Beziehung auf den ganzen Umfang des Alttestamentlichen Gesetzes hatte Jesus bisher zu dem um Ihn versammelten Volke geredet. Jetzt erläutert Er die großen Vorrechte und Auszeichnungen, welche sie besäßen, und durch deren Besitz es ihnen eben möglich würde, jenen erhabenen Pflichten zu genügen. Jene Vorrechte bestehen nämlich in ihrer Freiheit von der Welt, und zwar von der doppelten Macht, welche die Welt über jeden natürlichen Menschen ausübt, von der Weltlust und von der Weltsorge. Die Knechtschaft ist arg, welche in beiden Stücken der Welt erwiesen wird; der wahre Jünger des Herrn hat aber das Joch abgeschüttelt und über alle feindseligen Gelten triumphirt. Zunächst über die Weltlust und Weltanhänglichkeit. Er liebt die Welt weder als seinen Gott, noch liebt er sie neben seinem Gott. Von beiden Arten der Weltliebe ist er frei geworden.

Laßt uns denn heute dabei stehen bleiben und die Freiheit des Christen von der Liebe zur Welt näher gemeinsam erwägen.

I.

Der wahre Jünger des Herrn besitzt das unaussprechliche Vorrecht, daß er frei sein darf von aller Liebe zur Welt, zunächst und vor Allem insofern, als er sie nicht als seinen Abgott zum Hauptgegenstande seines Strebens und seiner Seligkeit macht. Fertig werden ohne die Welt kann er einmal nicht; denn er lebt in ihr, er bedarf ihrer täglich zur Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse, so lange, bis dieser Leib in Staub zerfällt und die von seinen Banden entfesselte Seele sich über alle Macht der Vergänglichkeit und Eitelkeit himmelan emporschwingt. Diese Abhängigkeit im Aeußern von der Welt theilt er mit jedem Menschenkinde; aber im Innern kennt er sie nicht, da ist er frei von jeder Zuneigung und Hingebung an dieselbe. Er freut sich ihrer, als freute er sich nicht; er weint, als weinte er nicht; er besitzt, als besäße er nicht; er braucht die Welt, ohne sie zu mißbrauchen. Er sammelt sich Schätze im Himmel; darum sieht er die Welt und ihre Güter mit ganz andern Augen an, und nimmt eine Stellung gegen dieselbe ein, wie sie kein natürlicher Mensch einnimmt, noch einnehmen kann. Etwa wie die Himmlischen von Oben herab an die Erde denken und von der Erde reden: so wandelt er über ihre Fluren und benutzt ihre Gaben; aber seine Heimath, sein Vaterland, ist in dem Himmel. Er sucht allezeit, was Droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes; darum trachtet er nicht mehr nach dem, was auf Erden ist. Er ist reich in Gott, Bürger des Gottesreichs, Erbe des Himmels, und hat im Glauben an Jesum Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist, ist selig in der Hoffnung der ewigen Herrlichkeit, wo der volle Genuß der Himmelsgüter ihn umfangen wird; er weiß, hier sammelt er, dort wird er besitzen; hier sucht er, dort wird er finden; wie könnte da die Welt mit ihren Gütern noch die mindeste Anziehungskraft auf ihn ausüben? wie könnte er noch mit seiner Liebe ihr zueilen wie die Kinder der Welt und in seiner Jünglingszeit seinen Schatz im irdischen Vergnügen, in seinen männlichen Jahren in der irdischen Ehre, im höhern Alter in Geld und Gut suchen und erstreben? Nein, die Richtung seines ganzen inneren Menschen ist so sehr auf Gott hingewendet, daß diejenige Macht, die außer Gott ihm entgegentritt, die Welt, für ihn allen Werth verliert und nie der Abgott werden kann, welcher den wahren und lebendigen Gott und die völlige Hingabe an Ihn aus seinem Herzen verdrängt.

Dreierlei sind die Gründe, welche Jesus im Texte für die selige Freiheit der Kinder Gottes von aller Weltlust und Weltliebe anführt. Den ersten Grund nimmt Er aus der Natur der irdischen Güter her: Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen, und da die Diebe nach graben und stehlen. Die irdischen Güter sind vergänglich: denn Motten und Rost können sie fressen; die irdischen Güter sind ungewiß: denn Diebe können danach graben und stehlen. Darum sind sie nicht werth, daß wir in Liebe das Herz an sie hängen. – Sie sind vergänglich! Nehmet, welche irdischen Güter ihr wollt: Häuser und Gärten, oder Speisen und Getränke, oder Gastmähler und Schmausereien, oder Titel und Würden, oder Gold- und Silberberge, - von ihnen allen heißt es: die Welt vergeht mit ihrer Lust, es ist Alles eitel, ganz eitel! Schauet in die Weltgeschichte, in welche Zeiten ihr wollt; was Jahrhunderte hindurch der Stolz und die Freude vieler Geschlechter war, die herrlichsten Tempel, die erhabensten Bauten, die Wunder der alten Welt sind vergangen, ganze Berge sind verwittert, ganze Felsen sind in Staub zerfallen, und einst wird dieser Himmel und diese Erde im furchtbaren Weltbrande untergehen. Wie könnte das kindische Spielzeug in unserer Hand, das, was wir suchen und lieben in den Gütern dieser Welt, unangetastet bleiben von dem Alles verzehrenden Zahne der Zeit? Alles ist eitel, ganz eitel! Erst vergeht die Freude an der Welt; denn ihre Schätze werden alt, und dann sind sie uns keine Schätze mehr -, und es bleibt nur die Arbeit und das Ringen nach den todten Götzen. Dann vergehen die Gegenstände selbst, und es bleibt im blutenden Herzen die Begierde ohne ihren Gegenstand, mithin eine Begierde, die sich selbst aufreibt und verzehrt. Unselige Thorheit, seine unsterbliche Seele, die täglich der göttlichen Gnade in ihrem Heilande froh sein kann und ewig in dieser Gnade jung und frisch bleibt, wenn auch des Leibes Haar erbleicht und sein Rücken sich beugt, an Güter verkaufen wollen, die so nichtig und zerstörbar sind, daß Motten und Rost sie vertilgen können! Und wie ungewiß sind die Güter der Welt! Heute haben wir sie noch und freuen uns ihrer; wer will uns aber dafür bürgen und einstehen, ob wir sie auch morgen noch haben? Diebe können danach graben und stehlen; Feuersbrünste und Wassersnöthe können sie pfeilschnell zerstören; der Feind kann in’s Land einfallen und sie rauben und plündern, Krankheit, Nahrungslosigkeit, sinkendes Vertrauen können ihre Macht an uns versuchen und uns abfordern, was wir mühsam errungen und zusammengescharrt haben; Betrug, List, Ungerechtigkeit, Neid, Gewaltthat können uns zu Grunde richten. Genug, tausendfach sind die Mittel und Wege, auf denen all’ unser Hab’ und Gut uns kann genommen werden, und gegen die all’ unsere Versicherungen nicht ausreichen. Unselige Thorheit, seiner unsterblichen Seele zumuthen wollen, daß sie die bleibenden, ewigen Güter, welche ihr Christus erworben und im Himmel als unangreifbares Capital angelegt hat, daß es dort unermeßliche Zinsen trage, umtauschen soll gegen die allerunzuverlässigsten und unsichersten Güter der Zeit! Nein, hänge sein Herz an die Eitelkeit, suche seine höchste Lust in dem Besitz der irdischen Creatur, mache die Erwerbung zeitlicher Dinge zu seinem Hauptgeschäft, wer da will: unser Schatz, unser Bürgerrecht ist im Himmel, von dannen wir warten des Heilandes Jesu Christi. Wir sprechen mit Assaph: „Herr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und nach Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch alle Zeit meines Herzens Trost und mein Theil.“ (Ps. 73,25-26.) Wir sprechen mit David: „Habe deine Lust an dem Herrn, der wird dir geben, was dein Herz wünscht. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott; wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue?“ (Ps. 37,4. 42,2.3.) Wir haben edlere Güter, höhere Ehren, unvergängliche Freuden, denen wir Zeit und Kraft ohne Reue zuwenden; wir achten für Schaden, was die Welt Gewinn nennt, und jagen nach dem vorgesteckten Ziel, welches uns vorhält unsere himmlische Berufung in Christo Jesu. Wir singen mit dem schönen Liede: „Was frag’ ich nach der Welt und allen ihren Schätzen, wenn ich mich nur an Dir, Herr Jesu, kann ergötzen? Dich hab’ ich einzig mir zur Freude vorgestellt; Du, Du bist meine Ruh’; - was frag’ ich nach der Welt!“

Den zweiten Grund, warum der Christ sein Herz nicht an die Welt verkauft, entnimmt der Herr aus der Natur des menschlichen Herzens. Er sagt: Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. Das menschliche Herz nämlich ist für die Liebe geschaffen, und muß einen Gegenstand haben, dem es sich hingeben kann. Was es als sein höchstes Gut betrachtet, mit dem verbindet es sich auch ganz, das füllt seine Seele aus; das verschlingt sein Denken, Wünschen, Wollen und Streben; Alles ordnet es ihm unter, und hat für nichts Anderes mehr Sinn, als für den Gegenstand seiner Liebe und für das, was mit demselben in Beziehung steht. Was der Mensch liebt, darin lebt er, dafür setzt er seine Kraft in Bewegung, danach richtet er seine Zeit ein, danach bildet er sich sogar und nimmt es auf in sein innerstes Wesen, so daß er eins wird mit dem Gegenstande seiner Lust. Ist daher dieser Gegenstand ein irdischer, Genuß, Ehre, Macht: so wird unser Herz auch ein irdisches, und durchaus nicht besser, noch edler und höher, als diese Dinge, denen es nachjagt; nicht besser also, als todtes Metall, Erde, Fleisch, Thiereslust, Hochmuth. Unser Herz ist das, was unser Lieben und Wollen ist. Und je heftiger wir also nichtigen und sündlichen Dingen nachtrachten, je lieber wir an sie denken, je häufiger wir uns mit ihnen befassen: desto nichtiger und sündhafter wir selbst. Ach, und wenn wir einstmals sterben und die Welt verlassen müssen, das Herz hängt aber noch an dieser Welt und ihrem Gut, Genuß und ehre, und sehnt sich nach unten zurück: können wir dann für den Himmel und die seligen Geister geschickt sein? Unsere Welt ist ja gestorben, unser Eins und Alles ist gestorben, für Gott und den Himmel haben wir nie gelebt: was kann unser Loos anders sein, als der andere Tod? Sein Herz hängen an die Welt und ihre Güter, heißt: sich wegwerfen, sich erniedrigen, sich zu elendesten Staube herabziehen, den Adel seiner Seele tödten, und untergehen in lauter Nichtigkeit. Dazu aber ist doch wahrlich unsere Seele zu gut; diese Seele, die die Ewigkeit in sich trägt, die für Gott geschaffen und daher unruhig ist in sich selber, bis sie Ruhe findet in Gott, die mit all’ ihren Gaben und Vermögen, mit ihren Gefühlen und Empfindungen das Gepräge himmlischer Abkunft und himmlischer Zukunft auf ihrer Stirn hat. Ja, dazu ist sie zu gut. Darum lebe wohl, Welt, wir mögen dich nicht. Wo unser Schatz ist, da soll auch unser Herz sein. Unser Schatz aber ist Jesus und Seine Liebe; darum soll auch unser Herz Ihm, Ihm allein, angehören. Weg mit allen Schätzen! Du bist mein Ergötzen, Jesu, meine Lust. Weg, ihr eitlen Ehren! Ich mag euch nicht hören, bleibt mir unbewußt. Elend, Noth, Kreuz, Schmach und Tod, soll mich, ob ich viel muß leiden, nicht von Jesu scheiden.

Der dritte Grund endlich, warum der wahre Jünger Christi sein Herz nicht an die Welt hängen kann, betrifft die Gefahren, welche mit der Weltliebe verbunden sind. Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn aber dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster sein, d.h. wie in leiblicher Beziehung kein Glied ein eigenes Auge braucht, sondern alle Glieder an demselben Lichte Theil nehmen, dessen Werkzeug das eine Auge ist: so ist es auch im Geistlichen. Ist unser Auge gesund, so wandelt der ganze Leib im Lichte des Auges; Hand, Fuß und alle Glieder thun ihre Schuldigkeit. Ist unser Auge aber krank, sieht es doppelt oder schielt es, erkennt es die Gegenstände nicht so, wie sie sind: dann ist der ganze Leib finster und all’ sein Handeln ein unsicheres und falsches. Also auch im Geistlichen! Hat unser Herz und unsere Willensrichtung den rechten Gegenstand und das Licht des göttlichen Wesens gefunden: dann ist das ganze Gebiet unserer Neigungen und Triebe geregelt, unsere Handlungen und Thaten sind recht und Gott gefällig, oder, wie der Dichter sagt: „Wenn wir in der Einfalt stehen, ist es in der Seele licht; aber wenn wir doppelt sehen, so vergeht uns das Gesicht.“ Wenn aber das Licht, das in uns ist, Finsterniß ist, wie groß wird dann die Finsterniß selber sein! das heißt, wenn unser Herz, statt auf den Herrn gerichtet zu sein, nach der Welt hin sich wendet, so erfüllen uns unnütze Gedanken und Neigungen, und es verschwinden allmälig die guten Gedanken; die Finsterniß, die schon vorher da gewesen ist wegen unserer angeborenen Sündhaftigkeit, wird immer finsterer; das Göttliche wird uns immer gleichgültiger; das ewige Heil der Seele wird uns Nebensache; mit uns selbst werden wir immer fremder und unbekannter, immer zerstreuter, immer seltener bei uns zu Hause, und es entsteht nichts als Unachtsamkeit, Gleichgültigkeit, Trägheit und Verzagtheit im Christenthum. Unser Gemüth wird gefoltert mit immerwährender Unruhe, - bald mit der quälenden Begierde, Neues zu erwerben, bald mit der Besorgniß, das Erworbene zu verlieren. Wir erfahren je länger je mehr die Wahrheit des Schriftworts: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?“ Ach, und die arme Seele, muß sie nicht darben und verhungern bei allem Haschen nach irdischen Schätzen? Kann sie noch beten zu Gott mit Andacht und Inbrunst, ohne zerstreuende Gedanken von der Welt her? Kann sie einmal mit Ruhe denken an ihren Tod, wo sie Alles wird zurücklassen müssen, und der Mensch nichts mit hinausnehmen kann, weil er nichts hineingebracht hat? Muß das Donnerwort sie nicht erschrecken: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und was wird’s dann sein, das du dir gesammelt hast?“ kann sie einmal sanft einschlafen zum letzten Schlummer? Nimmermehr! Grabstätten kann man sich wohl kaufen mit Geld und Gut, Grüfte kann man sich wölben, Leichenzüge veranstalten, Lobreden bezahlen, Monumente errichten; aber sanft und selig sterben kann man nicht, wenn die Welt der Abgott gewesen ist, vor dem man seine Kniee lebenslang gebeugt hat. Darum, darum: geben wir Jesu unsere Herzen und unsere Liebe! Er hat sich besser um uns verdient gemacht, als die Welt. Sie nimmt, Er giebt. Sie betrübt, Er erfreut. Sie tödtet, Er macht lebendig. Sie hat uns nicht zuerst geliebt, sondern wir haben sie suchen und lieben müssen, und sie liebt uns auch nicht wieder, und vergilt unser treues Suchen mit treuem Bleiben nicht: Sein Herz aber ist gebrochen vor Liebe zu uns und Er lohnt jede kleine Gegenliebe durch größere Gnade und Treue. Lieben wir Jesum, so ruhet Er in unserm Herzen, und ihr wißt, wo Er ist, da ist der Himmel. Hinaus denn, Welt, aus unserm Herzen! Hinaus, Weltlust und Weltliebe, Weltsehnsucht und Weltverlangen! Jesus soll unser Herz haben; Er allein; Er ganz und ungetheilt. Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide, Jesu, meine Zier! Ach, wie lang, wie lange, ist dem Herzen bange und verlangt nach Dir! Gotteslamm, mein Bräutigam, außer Dir soll mir auf Erden sonst nichts Lieberes werden.

II.

Wahre Jünger des Herrn haben indeß nicht nur das eine Vorrecht, daß sie frei sein können von der unwürdigen und vergiftenden Weltliebe, die die Welt als ihren Gott liebt, sondern auch von jener Weltliebe, die die Welt neben Gott liebt! Das ist eine andere verkehrte Gesinnung, die sich nicht minder bei den Kindern dieser Welt findet; selbst bei bessergesinnten Menschen, die aus Scheu vor dem Kampfe mit dieser Welt der Scheidung ausweichen wollen, indem sie es mit beiden zu halten gedenken, mit Gott und mit der Welt. Es ist dieser Mangel an Entschiedenheit, diese Halbheit des Wesens, nur eine andere Form der Weltliebe, und daher vor dem Herrn ebenso verwerflich, des Christen ebenso unwürdig, seiner Seligkeit ebenso nachtheilig, wie jene erstere Art.

Darum sagt auch Jesus: Niemand kann zweien Herren dienen; entweder er wird einen hassen und den andern lieben, oder wird einem anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen sammt dem Mammon. Der Herr verlangt durchaus Entschiedenheit. Gott ist ein eifersüchtiger Gott und kann es nicht leiden, daß ein Anderer neben Ihm im Herzen wohnt und regiert. Er will es ganz haben, oder gar nicht. Er duldet keine Theilung. „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet!“ erklärt der Herr; und Sein Apostel schreibt: „Was hat die Gerechtigkeit für Genieß mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsterniß? Wie stimmt Christus mit Belial? Was hat der Tempel Gottes für eine Gleiche mit den Götzen? Ihr aber seid der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott spricht: Ich will in ihnen wohnen und in ihnen wandeln, und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret kein Unreines an; so will ich euch annehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der allmächtige Herr.“ (2. Kor. 6,14-18.) – Aber auch die Welt duldet keine Theilung; auch sie will das ganze Herz, oder gar nicht. Halbe Liebe ist ihr so gut, wie keine Liebe. Sie streckt die Hände unablässig nach uns aus, und gelingt es ihr nicht durch Lockungen und Verheißungen, so stellt sie sich bei uns ein mit Drohungen und Strafen. – Ja, unser eigenes Herz duldet sogar keine Theilung. Wir haben ja nicht zwei Herzen, sondern nur ein Herz von Gott empfangen: darum soll, darum kann es auch nur einem Herrn angehören. Alles überdies ist einfach, was sich auf den Himmel und die ewige Seligkeit bezieht: nur einen Gott giebt es, nur einen Erlöser, nur einen heiligen Geist, nur ein Himmelreich, nur einen wahren, lebendigen und seligmachenden Glauben, eine enge Pforte und einen schmalen Weg: darum soll, darum kann das Herz auch nur ein Ziel erwählen, und zu diesem Ziele den einen, rechten und nächsten Weg.

Wehe, wer zweien Herren angehören wollte! er machte sich selbst im höchsten Grade unglücklich in solcher Doppelherzigkeit seines Wesens. Denn wie sieht es aus in einem getheilten Gemüthe? Nun, Nichts ist bei ihm ganz, Alles nur halb; sein ganzes Wesen ist zersplittert. Beobachtet seine Urtheile: sie sind unklar und unbestimmt; er weiß nie recht, was er will. Beobachtet seine Handlungen: Treue, Zuverlässigkeit, Festigkeit, Charakter, Ausdauer, Muth, sind Eigenschaften, die ihr vergeblich sucht; wankelmüthig, verfährt er heute so, morgen so. Beobachtet seine Beweggründe: sie sind unlauter, Rücksichten auf Menschenbeifall, auf irdischen Vortheil und Gewinn, auf Genuß und Vergnügen entscheiden Alles. Darum fehlt ihnen überall Grund und Boden. Zu keiner großen That ist er fähig. Keinen Sturm kann er ertragen. Keinem Schmerze ist er gewachsen. Kommt die Anfechtung: er unterliegt. Und da es auf die Dauer mit dieser Zerrissenheit nicht fortgehen kann, da endlich für jeden Menschen ein Zeitpunkt der Entscheidung kommen muß: so entscheidet er sich zuletzt für die Welt und gegen den Herrn, zieht die Geschöpfe, die Erdenwürmer, die Sünder, dem Schöpfer, dem ewigen Herrn, dem Könige aller Herzen und der anbetungswürdigen Quelle aller Heiligkeit vor, stellt sie über ihn, und opfert die Ehre der Schande, opfert das untrügliche Urtheil des göttlichen Worts dem schwankenden Urtheil eines schwachen Verstandes, opfert die Ewigkeit der Zeit, den Himmel der Erde, Gott der Welt auf. Ihr sehet’s an Bileam im Alten Bunde. Er wollte es gern mit Balak, dem Könige der Moabiter, halten und die ihm angebotenen Ehren annehmen; aber doch wollte er es auch mit Gott nicht verderben: wohin kam er zuletzt, nachdem er lange hin und her geschwankt hatte? Dahin, daß er den Moabitern den teuflischen Rath gab: Israel zum Götzendienst zu verführen; dahin, daß er in der Schlacht als ein Opfer seiner Treulosigkeit fiel. Ihr sehet’s an dem reichen Jünglinge im Neuen Testamente. Er kam zu Christo mit der Frage: Guter Meister, was muß ich Gutes thun, daß ich das ewige Leben möge haben? Zugleich aber hing sein Herz noch an den Reichthümern der Erde. Wohin führte ihn sein halbherziges Wesen? Dahin, daß er betrübt von dannen ging und lieber seine Schätze behalten, als Jesum gewinnen wollte. So treffend ist das apostolische Wort: „So Jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Und so jemand der Welt Freund sein will, der muß Gottes Feind sein.“ Wie wir zwei Schwerdter nicht in einer Scheide tragen, wie unsere Füße zugleich nicht bergan und nicht bergab gehen können: so können wir auch keine doppelte Liebe nähren zu schroff entgegengesetzten Gegenständen. Eine Liebe treibt die andere aus. Lieben wir Gott, so hassen wir die Welt; lieben wir die Welt, so hassen wir Gott. Ein Fluß, wenn er in viele kleine Bäche zertheilt wird, läuft nicht mehr so stark, wie vor der Theilung, und endlich trocknet er ganz aus. so nimmt auch die Liebe, unter Viele ausgetheilt, an ihren Kräften ab, und verlischt endlich ganz. Wo aber die Liebe aufhört, da fängt der Haß an. – Zumal wenn die Gegenstände der Liebe so entgegengesetzt sind, wie Gott und die Welt, und die Anforderungen so grell gegenüber stehen, wie die Anforderungen, welche Gott und welche die Welt an uns macht. Die Welt verlangt Stolz und Hochmuth, - Gott fordert Demuth. Die Welt berechnet Alles auf Befriedigung der Sinnlichkeit, - Gott fordert Sieg des Geistes über das Fleisch. Die Welt treibt zur Unabhängigkeit und Zügellosigkeit, - Gott fordert die dienende und sich selbst aufopfernde Liebe. Die Welt nährt die Selbstsucht, - Gott legt es an auf Selbstverläugnung und Selbstüberwindung. Die Welt verdammt, verhöhnt, verlacht das Leben in Christo, - Gott fordert unbedingte Nachfolge. Unseliges Herz, das noch theilen will zwischen Beiden, und das, weil auf die Dauer eine Theilung unmöglich ist, sich zuletzt für die Welt entscheidet, welche noch nie einen Menschen glücklich gemacht hat!

Vor allen diesen Gefahren bleibt Gottlob der wahre Christ bewahrt. Wer die Gesinnungen der geistlichen Armuth, des Leidetragens über die Sünde, der Sanftmüthigkeit, des Hungerns und Durstens nach Gerechtigkeit, der barmherzigen liebe, des reinen Herzens und der Friedfertigkeit sich zu eigen gemacht hat, ja, wer um der Gerechtigkeit willen sogar geschmäht und verfolgt wird: wie könnte der noch die Welt lieben, sei es mit ganzem, sei es mit halbem Herzen, der er abgestorben ist? Seine Lebenslosung steht fest. Sie lautet: „Es sei fern von mir Rühmen, denn allein von dem Kreuze unseres Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt!“ und diese Entschiedenheit ist sein Heil, seine Seligkeit. Während der Halbherzige unbestimmt, unentschlossen, wankelmüthig und unzuverlässig ist und bleibt, ist und bleibt er klar, entschieden, felsenfest und treu seinem Herrn bis in den Tod. Während der Halbherzige jedem Sturme der Leiden und der Anfechtungen unterliegt, geht er wie ein Sieger aus jedem Kampfe hervor. Er verfolgt ruhig und heiter sein erhabenes Ziel, selig gewiß der Hoffnung, daß er es erreichen werde, im Voraus schon dankend für alle Gnade, die ihm noch bevorsteht, und die Welt verachtend und verlachend, welche, einfältig genug, ihn mit ihren elenden Träbern noch zu locken wähnt. Die Scheidung ist längst vollbracht. Ihre Lügen, ihre Täuschungen hat er hundertmal erkannt. Er hat nichts mehr an ihr, und sie hat nichts mehr an ihm. So lebt sich’s leicht; denn nichts zieht das Herz mehr von Jesu ab. So stirbt sich’s selig; denn man ist Alles los, was das Sterben schwer und bitter macht. Ja, das Sehnen ist gestillt; denn die Seele verlangt nur Eins: Jesum und Sein Heil, und in diesem Einen hat sie Alles. O seliges, entschiedenes Herz! beneidenswerther Vorzug wahrer Christen!

Herr, gieb uns ein solches entschiedenes Herz, das nur Dich sucht und mit Dir verkehren will. Du bist Sonne und Schild; Du giebst Gnade und Ehre; Du lässest nichts Gutes mangeln den Frommen. O Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf Dich verläßt! Amen. (Ps. 84,12.13.)

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