2. Johannes, Kapitel 1
1:1 Der Älteste: der auserwählten Frau und ihren Kindern, die ich liebhabe in der Wahrheit, und nicht allein ich sondern auch alle, die die Wahrheit erkannt haben,
1:2 um der Wahrheit willen, die in uns bleibt und bei uns sein wird in Ewigkeit.
Wenn einmal die göttliche Wahrheit Eingang findet im menschlichen Herzen und sich den ganzen Menschen untertan macht, so kann sie keine menschliche noch teuflische Macht mehr in uns ausrotten. Sie bleibt nicht als Gast bei uns, sondern als göttliche Herrscherin; das ist unumgänglich notwendig für einen Christen, und der ist kein Christ, der dies nicht glaubt. Wer die lebendigmachende Kraft des Evangeliums empfindet, und die Macht des Heiligen Geistes kennt, der des Herrn Wort auftut, wirken lässt und besiegelt, ließe sich eher in Stücke zerreißen, als dass er sich das Evangelium von seiner Erlösung rauben ließe. Wie viel tausend Gnadensätze sind in der Zusicherung enthalten, dass die Wahrheit in uns bleibt und bei uns sein wird in Ewigkeit; dass sie im Leben unsre Hoffnung, im Sterben unser Trost, in der Auferstehung unser Triumphlied, in der Ewigkeit unsre Verherrlichung sein wird: das ist des Christen Vorrecht, ohne dasselbe hat unser Glaube einen geringen Wert. Über manche Wahrheiten wachsen wir hinaus und lassen sie hinter uns zurück, weil sie nur Vorübungen und Einleitungen für Anfänger enthalten; aber mit der göttlichen Wahrheit können wir nicht in gleicher Weise verfahren, denn ob sie gleich für kleine Kindlein süß und lieblich ist wie Milch, ist sie doch zugleich im höchsten Sinne des Worts starke Speise für die Starken. Die Wahrheit, dass wir Sünder sind, ist peinlich für uns und macht uns demütig und wachsam; die köstlichere Wahrheit, dass selig wird, wer an den Herrn Jesum glaubt, bleibt allezeit unsre Hoffnung und Freude. Die innere Erfahrung, weit entfernt, unser Festhalten an den Lehren der Gnade zu lockern, hat uns je länger je fester an dieselben gekettet. Wir glauben jetzt zuversichtlicher und unerschütterlicher als je zuvor, und unsre Gründe, an diesem Glauben festzuhalten, sind zahlreicher als zu irgendeiner Zeit, und wir hoffen zuversichtlich, dass es so bleiben wird, bis wir im Tode den Heiland in unsre Arme schließen. Wo nur immer diese bleibende Liebe zur Wahrheit sichtbar wird, haben wir die Pflicht, Liebe zu üben. Unser Mitgefühl umschließt nicht nur einen engen Kreis; unsre Herzensgemeinschaft muss weit sein wie die erwählende Liebe. So lasset uns zwar mit dem Irrtum kämpfen, aber dennoch den Bruder lieben um des Maßes von Wahrheit willen, das wir in ihm wahrnehmen. (Charles Haddon Spurgeon)
1:3 Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und von dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und in der Liebe, sei mit euch!
1:4 Ich bin erfreut, daß ich gefunden habe unter deinen Kindern, die in der Wahrheit wandeln, wie denn wir ein Gebot vom Vater empfangen haben.
1:5 Und nun bitte ich dich, Frau (nicht als schriebe ich dir ein neues Gebot, sondern das wir gehabt haben von Anfang), daß wir uns untereinander lieben.
1:6 Und das ist die Liebe, daß wir wandeln nach seinem Gebot; das ist das Gebot, wie ihr gehört habt von Anfang, daß ihr in derselben wandeln sollt.
1:7 Denn viele Verführer sind in die Welt gekommen, die nicht bekennen Jesum Christum, daß er in das Fleisch gekommen ist. Das ist der Verführer und der Widerchrist.
1:8 Sehet euch vor, daß wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangen.
1:9 Wer übertritt und bleibt nicht in der Lehre Christi, der hat keinen Gott; wer in der Lehre Christi bleibt, der hat beide, den Vater und den Sohn.
1:10 So jemand zu euch kommt und bringt diese Lehre nicht, den nehmet nicht ins Haus und grüßet ihn auch nicht.
1:11 Denn wer ihn grüßt, der macht sich teilhaftig seiner bösen Werke.
1:12 Ich hatte euch viel zu schreiben, aber ich wollte nicht mit Briefen und Tinte; sondern ich hoffe, zu euch zu kommen und mündlich mit euch reden, auf daß unsere Freude vollkommen sei.
1:13 Es grüßen dich die Kinder deiner Schwester, der Auserwählten. Amen.
Ein lieblicher und doch sehr ernster Brief des greisen Apostels an eine angesehene Christin, eine wackere Hausmutter, namens Kyria, deren Kinder Johannes kennen gelernt und lieb gewonnen hatte, gerichtet. Nach der Ueberschrift und den Zusicherungen seines Segens und seiner Freude über ihre gläubigen Kinder ermahnt der Apostel zur Standhaftigkeit in der Liebe und Wahrheit Christi, und warnt vor Irrlehrern. wie Christus vor den falschen Propheten warnte (Matth. 7,15), so Johannes vor den Irrlehrern seiner Zeit. „Seht euch vor, daß wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangen.“ Wer zu Irrlehrern übertritt und nicht ind er Lehre von Christo beharrt, der hat keinen Gott, weil er den wahren Gott in christo nicht hat, sondern sich selbst einen todten Gedankengott meiselt durch seine Vernunft; nur wer in der Lehre von Christo bleibt, der hat durch den Glauben beide, den Vater und den Sohn. Nur in dem Sohne wird der Vater erkannt, nur durch den Sohn mit dem Vater Gemeinschaft gestiftet; ohne die Erkenntniß des Sohnes ist der Mensch ohne Gott und ohne Theilnahme am ewigen Leben.“ Dem hochbetagten Johannes ist dieser Verlust so wehmüthig, daß er hinzusetzt: „So jemand zu euch kommt, und bringt diese Lehre, daß Jesus Christus der im Fleisch erschienene Gottes Sohn ist, nicht, den nehmet nicht zu Hause freundlich auf und grüßet ihn auch nicht brüderlich; meidet jeden Schein, als ob ihr mit denen, die das Wesentliche des christenthums angreifen und läugnen, das Band der Brüderschaft nocht festhaltet, denn wer ihn so grüßet, der macht sich theilhaftig seiner bösen Werke, indem er den Schein giebt, als ob er seine Irrlehre und böses Thun billigte oder für unschädlich hielte.“ So ernst warnt der Apostel der Liebe. Und mit Recht. Kannst du denn mit vollkommener Herzensfreundlichkeit den Mörder deines Vaters, den Räuber deines Kindes grüßen? Und was ist leiblicher Mord gegen Seelenmord? Aber allerdings ist Brüderlichkeit etwas andres als helfende Menschenfreundlichkeit. Sei nur, wenn auch nicht Aller Bruder, doch Niemandes Feind; oder handle, wie Jemand sagte: Schenk’ Allen deine Liebe, nur Wenigen dein Herz, - und du wirst die Klippen glücklich umschiffen, die hier vorspringen. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)