Johannes, Kapitel 12
12:1 Sechs Tage vor Ostern kam Jesus gen Bethanien, da Lazarus war, der Verstorbene, welchen Jesus auferweckt hatte von den Toten.
12:2 Daselbst machten sie ihm ein Abendmahl, und Martha diente; Lazarus aber war deren einer, die mit ihm zu Tische saßen.
Lazarus ist zu beneiden. Es ist gut, wenn man eine Martha ist und dienen darf, aber es ist besser, ein Lazarus zu sein, und mit Jesu zu Tische zu sitzen. Alles hat seine Zeit, und alles ist recht zu seiner Zeit, aber kein Baum im Garten trägt so köstliche Trauben, wie der Rebstock der Gemeinschaft Jesu. Bei Jesu zu sitzen, seine Worte zu hören, seine Taten zu sehen, und von seinem Lächeln beglückt zu werden, das waren solche Genüsse, die den Lazarus mit Engelsseligkeit erfüllen mussten. Wenn es unser köstliches Teil geworden ist, mit unsrem Freunde das Abendmahl zu halten in seinem Festsaal, so möchten wir nicht einen einzigen Seufzer hingeben für alle Königreiche der Welt. Wir müssen tun wie Lazarus. Es wäre sonderbar gewesen, wenn Lazarus nicht mit Jesu zu Tische gesessen hätte, denn er war tot gewesen, und der Herr Jesus hatte ihn auferweckt. Wenn der Auferstandene abwesend geblieben wäre, während der Herr, der ihm das Leben wieder gegeben hatte, sein Haus besuchte, so wäre dies wahrlich recht undankbar gewesen. Auch wir waren einst tot, und wir stanken schon, wie Lazarus, im Grabe unsrer Sünden; Jesus erweckte uns, und durch sein Leben haben wir das Leben; können wir‘s noch ertragen, ferne von Ihm zu leben? Verschmähen wir, seiner zu gedenken an seinem Tische, wo Er sich herablässt, mit seinen Brüdern das Abendmahl zu halten? Ach, das wäre grausam! Es ziemt sich wohl, Leid zu tragen und zu tun, was Er uns heißt, denn sein geringster Wunsch sollte uns Gesetz sein. Ohne beständigen Umgang mit dem zu leben, von dem die Juden sagten: „Siehe, wie hat Er ihn so lieb gehabt,“ wäre dem Lazarus sehr übel angestanden; und dürfte es etwa bei uns entschuldigt werden, die Jesus geliebt hat mit einer ewigen Liebe? Wäre Lazarus kalt geblieben gegen Den, der über seine leblose Leiche Tränen vergoß, wahrlich, das wäre eine unentschuldbare Rohheit gewesen. Wie viel mehr sind wir Ihm verpflichtet, um derentwillen Er nicht nur seine Tränen, sondern sein teures Blut vergossen hat? Kommt, liebe Brüder, wir wollen unserem himmlischen Bräutigam entgegengehen und um seinen Geist bitten, damit wir Ihm nahe stehen und von nun an mit Ihm zu Tische sitzen. (Charles Haddon Spurgeon)
12:3 Da nahm Maria ein Pfund Salbe von ungefälschter, köstlicher Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber ward voll vom Geruch der Salbe.
12:4 Da sprach seiner Jünger einer, Judas, Simons Sohn, Ischariot, der ihn hernach verriet:
12:5 Warum ist diese Salbe nicht verkauft um dreihundert Groschen und den Armen gegeben?
12:6 Das sagte er aber nicht, daß er nach den Armen fragte; sondern er war ein Dieb und hatte den Beutel und trug, was gegeben ward.
Nimm dich in Acht, daß du dir nicht selbst die Freiheit zur Begehung nur einer einzigen Sünde giebst, denn das würde dich zu einer andern führen, bis sie durch eine üble Gewohnheit zur andern Natur wird. Als Judas erst einiges Geld aus dem Beutel nahm, den er trug, Joh. 12, 6., nahm er später auch die 30 Silberlinge, um die er seinen Meister verrieth, und zuletzt den Strick, an dem der Teufel ihn in die Hölle zog. Apostelg. 1, 18. 25. (John Bunyan)
12:7 Da sprach Jesus: Laß sie in Frieden! Solches hat sie behalten zum Tage meines Begräbnisses.
12:8 Denn Arme habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit.
12:9 Da erfuhr viel Volks der Juden, daß er daselbst war; und sie kamen nicht um Jesu willen allein, sondern daß sie auch Lazarus sähen, welchen er von den Toten auferweckt hatte.
Der HErr Jesus war sehr leutselig und entzog Sich den Menschen nicht. Zu Nazareth wohnte und wandelte Er unter Seinen Anverwandten und unter den übrigen Einwohnern dieser Stadt; hernach aber hatte Er ein Heimwesen zu Kapernaum, zog aber meistens in den verschiedenen Gegenden des jüdischen Landes umher, und hatte überall viele Leute um sich. Nur einige Male suchte Er die Einsamkeit, um lange zu beten, und zugleich ausruhen zu können; sonst war Er immer unter den Menschen, und ließ Sich von ihnen sehen und hören, aß mit ihnen, und half ihnen durch Seine Wunderkraft. Hierin unterschied er sich von dem Täufer Johannes, welcher den größten Theil seines Lebens als ein Einsiedler in der Wüste zubrachte, und auch hernach noch eine einsiedlerische Ernsthaftigkeit und Strenge an sich hatte. Als es nahe dabei war, daß Jesus Seinen Lauf vollenden sollte, wurde Er zu Bethanien im Hause Simonis des gewesenen Aussätzigen, den vermuthlich Jesus geheilt hatte und der Ihn deßwegen zu Gast lud, von Maria, der Schwester des Lazarus, aus einem göttlichen Antrieb mit Nardenwasser gesalbt. Weil nun das Haus vom Geruch der Salben voll wurde, und ohne Zweifel die Vorübergehenden die Salbe rochen, so entstund eine Nachfrage, und da man hörte, daß Jesus in diesem Haus gesalbt worden sei, so sagte es Einer dem Andern, und nun liefen viele Leute in dieses Haus, um Jesum und den Lazarus, den Er kurz vorher vom Tod erweckt hatte, zu sehen. Jesus litt diesen Zulauf, weil Er’s den Leuten gönnte, daß sie noch vor Seinem Hingang aus der Welt einen heilsamen Eindruck von Seinen Worten, von Seinen Werken und von Seiner Gestalt bekämen, ob Er wohl wußte, daß die Hohenpriester und Pharisäer scheel dazu sehen, und diesen Zulauf zum Grund des über ihn beschlossenen Bluturtheils machen, s. Joh. 11,47-50.
Auch jetzt sollte noch Jedermann zu Jesu kommen. Er ist auserkoren oder als eine Fahne aufgesteckt unter viel Tausenden, Hohel. 5,10. Gleichwie sich die Soldaten zu ihrer Fahne versammeln müssen, so sollten sich alle Menschen zu Jesu versammeln. Alle Verbindungen und Verbrüderungen, wodurch sich hohe und niedere, gelehrte und ungelehrte Leute in gewisse Gesellschaften zusammen thun, sind eitel, und wenigstens zur Erlangung der Seelenruhe und Seligkeit unkräftig, wenn nicht Jesus dabei als die Fahne aufgesteckt ist. Außer Ihm ist kein Heil. Sein Name ist allein den Menschen dazu gegeben, daß sie dadurch selig werden. Es sollte auch Sein Name Jedermann anziehen und locken, denn er ist wie eine ausgeschüttete wohlriechende Salbe, Hohel. 1,3. Man bedenke doch, was man sagt, wenn man spricht: der Heiland, der Gesalbte, auf den man lange gewartet hat, der König, der große Prophet, der Hirte, der Hohepriester, der eingeborne Sohn Gottes, das Haupt der Kirche, der Mensch, der zugleich Gott über Alles gelobet in Ewigkeit ist, der Immanuel, Gott mit uns, ist da, Er ist zwar nicht mehr sichtbar da, aber Er ist, wo man in Seinem Namen versammelt ist, Er ist in Seinem Wort und in den Sakramenten zu fühlen, zu finden; Er läßt sich von hungrigen, betenden, glaubenden und stillen Seelen genießen; Er tröstet, lehret, reiniget, heilt, hilft, erquickt, sättigt und macht selig. Sollte nicht Jeder, der dieses hört oder liest, sich aufmachen, kommen und sich zu Jesu nahen, und mit Andern versammeln? Wehe dem, der zurückbleibt!(Magnus Friedrich Roos)
12:10 Aber die Hohenpriester trachteten darnach, daß sie auch Lazarus töteten;
12:11 denn um seinetwillen gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus.
Lebendiger Heiland, gekreuzigter Erlöser, dem Andenken an Dein Leiden Deinen Tod, Deine Auferstehung ist die gegenwärtige Zeit des Kirchenjahres gewidmet. Ach wir haben schon Fastenzeiten genug in unserm Leben gefeiert, in denen wir kein Haar besser geworden sind, als wir vorher gewesen; ja, in denen wir wohl noch viel schlimmer geworden sind und das Wort von Deinem Kreuze uns ein Geruch des Todes zum Tode geworden ist, während es uns hätte ein Geruch des Lebens zum Leben werden können. O treuer Heiland, so gieb nun, daß die heilige Zeit, die wir jetzt vor uns haben, recht sorgfältig von uns möge ausgekauft werden, daß wir an dem heutigen Tage den rechten Bund vor Deinem Angesicht machen, diese sieben Passions-Wochen keinen Tag hingehen zu lassen, da wir nicht etwas von unserer Zeit zur Betrachtung Deines Leidens anwenden, darin wir uns nicht in eine stille Erwägung Deiner herzlichen Liebe einlassen, die Dich für uns in den Tod und in die Schmach gedrängt hat. Gieb, o Herr, daß das Evangelium von Deinem Leiden und Tode uns nicht möge vergeblich verkündigt werden, sondern daß es uns zu unserm Heil gepredigt werde. Segne aber die Predigt von Deinem Leiden nicht nur an uns, sondern überall, wo sie in der Christenheit verkündigt wird. Laß Dein Leiden allen denen, welche es betrachten, ein Geruch des Lebens zum Leben werden, zur Stärkung ihres Glaubens und ihres blöden und verzagten Gewissens. Stärke Deine Knechte, und rüste sie aus mit Kraft und Weisheit, Dein Leiden recht zu verkündigen. Laß um Deines Blutes willen alle Zuhörer theilhaftig werden der Früchte Deines Leidens und Todes. Erbarme Dich aller Kranken, elenden, Armen, aller Sterbenden, aller unschuldig Verfolgten und Gefangenen. Gieb einem jeden, der zu Dir in dieser Noth schreiet, Gnade, und laß kein Gebet unerhört, keine Thräne umsonst vergossen werden, welche aus einer wahren Erkenntniß und aus einem lebendigen Gefühl der Sünde herfließt; sondern siehe allesammt gnädig an und erhöre, was ein Jeder in seiner Noth von Dir bittet, erhöre, was auch ich in dieser gesegneten Zeit, in diesen Tagen des Heils von Dir erflehen werde, um Deines Leidens, Deines Todes und Deiner Auferstehung willen. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
12:12 Des andern Tages, da viel Volks, das aufs Fest gekommen war, hörte, daß Jesus käme gen Jerusalem,
12:13 nahmen sie Palmenzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrieen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des HERRN, der König von Israel!
12:14 Jesus aber fand ein Eselein und ritt darauf; wie denn geschrieben steht:
12:15 „Fürchte dich nicht du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt, reitend auf einem Eselsfüllen.“
12:16 Solches verstanden seine Jünger zuvor nicht; sondern da Jesus verklärt ward, da dachten sie daran, daß solches von ihm geschrieben war und sie solches ihm getan hatten.
12:17 Das Volk aber, das mit ihm war, da er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat.
12:18 Darum ging ihm auch das Volk entgegen, da sie hörten, er hätte solches Zeichen getan.
12:19 Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr sehet, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach!1)
12:20 Es waren aber etliche Griechen unter denen, die hinaufgekommen waren, daß sie anbeten auf dem Fest.
12:21 Die traten zu Philippus, der von Bethsaida aus Galiläa war, baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesum gerne sehen.
Das beständige Verlangen des Weltkindes geht dahin: „Wer wird uns sehen lassen das Gute?“ Es sucht Befriedigung in irdischem Wohlergehen, in Genüssen und Reichtümern. Aber der erweckte Sünder weiß nur von einem einzigen Gut: „Ach, dass ich wüsste, wo ich Ihn finden kann!“ Wenn er wahrhaft erweckt ist und seine Sündenschuld fühlt, und wenn ihr ihm nun auch alles Gold Indiens vor die Füße schüttet, so spricht er doch: „Weg damit! Ihn muss ich finden!“ Es ist eine selige Sache, wenn ein Mensch all sein Wünschen und Begehren auf eins gerichtet hat, und nur nach diesem einen Notwendigen Verlangen trägt. Wenn er fünfzig verschiedene Wünsche hat, so gleicht sein Herz einem Sumpf stehenden Wassers, das sich zu einem Morast ausbreitet und schädliche Dünste und Krankheiten erzeugt; wenn aber alle seine Wünsche sich in einer einzigen Richtung vereinigen, so wird sein Herz zu einem Strome reinen Wassers, der in sanftem Laufe dahinwogt und die Gefilde befruchtet. Selig ist, wer nur ein einziges Verlangen hat, wenn dies eine Verlangen auf Christum zielt, und wäre es bis dahin auch noch nicht erfüllt. Wenn der Herr Jesus die Sehnsucht einer Seele geworden ist, so ist es ein seliges Zeichen, dass der Geist Gottes in derselben tätig ist. Ein solcher Mensch begnügt sich nicht mit den Heilsmitteln allein. Er spricht: „Ich brauche Christum; ich muss Ihn haben; die Gnadenmittel allein reichen nicht aus; Ihn selber bedarf ich; diese braucht ihr mir nicht anzubieten; ihr zeigt mir das Gefäß, während ich vor Durst verschmachte; gebt mir Wasser, sonst muss ich sterben. Jesus ist mein Verlangen; Ihn möchte ich sehen!“
Steht es so mit dir, liebe Seele? ist dies deine jetzige Stimmung? Dann bist du nicht ferne vom Himmelreich. Hegst du nur einen Wunsch in deinem Herzen, den einzigen Wunsch, dass du möchtest abgewaschen werden von allen deinen Sünden im Blut Jesu? Kannst du in Wahrheit sagen: „Ich gäbe alles drum, wenn ich ein Christ wäre; ich gäbe all mein Vermögen und alle meine Hoffnung hin, wenn ich nur fühlte, dass ich teilhabe an Christo?“ Dann lass alle deine Furcht fahren, sei getrost, der Herr hat dich lieb; du trittst hervor ins helle Licht der Sonne, und freuest dich der Freiheit, damit uns Christus befreit hat. (Charles Haddon Spurgeon)
Das waren fremde Griechen, die so sprachen. Es sind heute mehr, viel mehr Fremde, die dasselbe Sehnen in der Seele bergen, aber sie sprechen es nicht aus. Nur, wenn irgendein wirklich gläubiger Christ, der des Heilands Art mit Takt und Liebe zu tragen und zu zeigen weiß, ihnen menschlich näher tritt, dann kommen die feinen Fühlfäden jener Seelen hervor und tasten zitternd und scheu nach dem Geheimnis des neuen Bekannten, als wollten sie fragen: Ist das „Jesus“? Wir möchten ihn so gerne sehen! Der Ernst der Verantwortung, daß der unsichtbare Jesus keine anderen Darsteller hat als uns, seine schwachen Schüler, kann uns in gewissen Stunden den Atem versetzen. Mach ich's recht, wenn ich diesem die große weltweite Sünderliebe Jesu zeige? Oder muß jener leichtsinnige Frevler sich nicht an meinem scharfen Bußernst das Gewissen erst blutig stoßen, damit er überhaupt Gnade suchen lernt? Es ist nichts so schwer, als mit Seelen zu tun zu haben! Lauter offene Seelenfenster um mich her, und jetzt kann eine ewige Geschichte oder eine wichtige Epoche derselben davon abhängig sein, was von Jesus durch mein Benehmen und meine Worte in jene offenen Fenster fällt. Wie oft habe ich's verfehlt.
Herr Jesus, du mußt ziehen. Mein Bemühen ist zu mangelhaft. Vergib mir alle meine Fehler, die ich in Seelenbehandlung gemacht habe. Mach mich geschickter, treuer, grader, heller, reiner, damit ich dich besser zeigen kann. Amen. (Samuel Keller)
12:22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagten's weiter Jesus.
12:23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, daß des Menschen Sohn verklärt werde.
Wunderbar! „Die Zeit ist gekommen,“ sagt der HErr, „daß des Menschen Sohn verkläret werde;“ - und was sieht Er selbst vor sich? Sagt Er doch gleich nachher: „Jetzt ist Meine Seele betrübt bis in den Tod.“ Das Kreuz kam noch dazwischen hinein. Es war der Tag, auf den der Abschiedsabend folgte, und der Verrat; und am andern Tage hing Er etwa um die nemliche Stunde am Kreuz. Der HErr übersieht diese Trübsal, wie wenn sie gar nicht wäre, beim Blick auf das Größte, das nachfolgte, Seine Verklärung. Der Weg durch's Kreuz war aber notwendig. Daß es diesen Ausgang nehmen sollte, war Ihm schon auf dem Verklärungsberge gesagt worden (Luk. 9, 31). Die Jünger hatten das nicht fassen können, daß die Verklärung des Menschensohnes durch den Tod hindurch werden sollte. Im Kleinen geht's aber bei uns auch so. Wollen wir etwas Großes hintennach, etwas Verklärungsähnliches, so kann uns das Kreuz nicht erspart werden.
Der Blick auf's Kreuz Christi, dem die Verklärung folgte, kann uns die Überzeugung geben, daß wir nicht meinen dürfen, als müßte uns alles Kreuz nur so geschwind hinweggenommen werden, wenn wir bitten. So wenig, als der HErr JEsus Sich Sein Kreuz verbitten konnte, so daß Er sagen mußte: „Nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe!“ und sagen mußte: „Nicht, wie Ich will, sondern wie Du willst,“ - so wenig können wir uns oft Herbes, das wir durchmachen müssen, wegbitten, weil nur durch solches Kreuz hindurch irgendwie Verklärungsähnliches an uns gewirkt und zu Stande gebracht werden kann, von dem HErrn, der aller Heil und Seligkeit schaffen will. Wie aber Er verklärt worden ist, so reifen wir alle, unter Kreuz und Trübsal einer Verklärung entgegen. Wie wird's uns da einst so wohl seyn! (Christoph Blumhardt)
12:24 Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt's allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.2)
Wir feiern oft Gedenktage, aber bei jedem Gedenktag wird der große Unterschied sichtbar zwischen dem, was der Gefeierte selbst erreicht hat, und dem, was seither als Ernte aus seiner Arbeit erwachsen ist. Die Anerkennung, die er selber fand, und der Erfolg, der ihm nachher beschieden war, sind weit voneinander verschieden. Es gilt vor allem, was groß ist und bleibt: erst muss das Weizenkorn in die Erde hinein. Sprich hier nicht von einem harten Schicksal. Gottes Gnade schützt dich gegen dich selbst, indem sie vor deine Ernte das Sterben des Weizenkorns stellt. Würdest du dich, wenn du deine Ernte selbst sähest und zu sammeln vermöchtest, nicht zu jenen Weingärtnern gesellen, die sich selber die Frucht des Weinberges zueigneten? Ständest du nicht plötzlich an der Seite Nebukadnezars, der in Babel seine Stadt sah, die er erbaut habe? Was dich vor dir selber schützt, wehrt nicht nur Fall und Verderben ab, sondern hat schaffende Kraft in sich. Das, was am Weizenkorn wie ein Sterben aussieht, ist die Bewegung und Entfaltung des lebendigen Keimes, der Anfang jenes Prozesses, der die Frucht hervorbringt. Aus der Entsagung entsteht der Erfolg, aus dem Gehorsam die Macht und darin, dass ich in mir selbst nichts bin, besteht meine Fähigkeit zu Gottes Dienst. Unter diese göttliche Ordnung hat sich Jesus mit entschlossener Festigkeit gestellt. Das Wort vom Weizenkorn, das sterben muss, stellt Johannes damit zusammen, dass einige Griechen nach Jesus fragten. Wie lockend war für ihn der Blick hinüber zu den Griechen! Während er am galiläischen See wohnte, hatte er die griechischen Städte fortwährend vor Augen und bei jedem Fest in Jerusalem sah er auch Männer, die aus den griechischen Ländern gekommen waren. Sein Blick auf sie war von jüdischem Stolz völlig frei. Er sah mit dem leuchtenden Auge der göttlichen Gnade auf die Völkerwelt. Die reiche Ernte kommt! Sie kommt aber nicht dadurch, dass er vor dem Kreuze flieht und die Gemeinschaft mit Jerusalem zerbricht. Nur dadurch, dass er den Gehorsam vollendet bis zum Tod auf Golgatha, kommt der große Erntetag, der aus Griechen Kinder Gottes macht. Er sagte seinen Jüngern: Es gibt auch für euch keinen anderen Weg zur Ausrichtung eures Amtes. Sie bauten die Kirche in Jerusalem. Das war nicht mehr als ein in die Erde sterbendes Weizenkorn. Allein so und nur so entstand die Kirche, die für alle Völker offen ist.
Ich preise Dich, unser Herr und Haupt, dass Du den Weg all der Deinen anders ordnest als sie selber es sich wünschten. Uns alle umringen hemmende Schranken und Unvermögen ist das Kennzeichen unseres Tuns. Denn das, womit wir Gott ehren, soll unser Gehorsam sein. So bleiben wir bei der Schar, die sich um dein Kreuz versammelt, den Ort, an dem das Weizenkorn in die Erde fiel, die Stätte, wo du bis zum Tod gehorsam warst. Amen. (Adolf Schlatter)
Möchten wir viele Früchte bringen oder unser Leben so halbwegs behaglich für uns genießen? Ist das letztere unser heißester Wunsch, so kann, wenn er erfüllt wird, unser Weg ums Sterben, das hier gemeint ist, herumkommen; aber dann geht es uns mit seinem Ertrage für die Ewigkeit verloren. Im andern Falle gilt nur der Todesweg. Nicht immer so massiv wie bei Jesus, aber dafür ist das Sterben über viele Tage und Stunden unseres Lebens verteilt. Wir werden stückweise unsere Aussichten und Hoffnungen auf Erdenglück in den Tod geben müssen. Früchte gibt es nur in dem Maße, wie wir unserm eigenen Ich abgestorben sind. Und das ist ein zähes, langlebiges Ding! Das ist schon längst zum Tod verurteilt und hat schon manchen starken Stoß erhalten, und es ist doch nicht tot. Man spürt sein empfindungsreiches Leben deutlich, wenn wir verkleinert oder verkannt werden. Dann bäumt es sich gekränkt empor. Anstatt, daß wir uns freuen sollten, daß unsre Gegner uns wieder ein Stück Tod des alten Menschen bereitet haben, begehren wir auf, als widerführe uns etwas Seltsames. Die Freiwilligkeit zum Sterben findet sich sogar bei denen, die sich gern „Gestorbene“ nennen, oft in sehr winzigem Grade.
Herr Jesu! Zieh uns in dein Sterben. Laß mit dir gekreuzigt sein, was doch zu dir nicht paßt und dir nur im Wege steht. Lehre uns dein Leben besser erkennen und verspüren, damit uns unser Sterben leichter fällt. Amen. (Samuel Keller)
12:25 Wer sein Leben liebhat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird's erhalten zum ewigen Leben.
12:26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.
Der höchste Dienst ist Nachahmung. Wenn ich Christi Diener sein will, muß ich sein Nachfolger sein. Zu tun., wie Jesus that, ist der sicherste Weg, seinem Namen Ehre zu bringen. Laßt mich daran jeden Tag gedenken.
Wenn ich Jesu nachahme, so werde ich seine Gesellschaft haben; wenn ich Ihm gleich bin, werde ich bei Ihm sein. Seiner Zeit will Er mich hinaufnehmen, um droben bei ihm zu wohnen, wenn ich mittlerweile gestrebt habe, Ihm hienieden zu folgen. Nach seinem Leiden kam unser Herr zu seinem Thron, und ebenso sollen wir, nachdem wir eine Zeitlang mit Ihm hienieden gelitten haben, in die Herrlichkeit eingehen. Der Ausgang seines Lebens soll der Ausgang des unsern sein: wenn wir mit Ihm in seiner Erniedrigung sind, sollen wir auch mit Ihm in seiner Herrlichkeit sein. Komm, meine Seele, fasse Mut, und setze deinen Fuß nieder in die blutbezeichneten Fußstapfen, die dein Herr dir hinterlassen hat.
Laß mich nicht verfehlen zu beachten, daß der Vater diejenigen ehren will, die seinem Sohne folgen. Wenn Er mich Jesus treu sieht, will Er mir Zeichen der Huld und Ehre verleihen um seines Sohnes willen. Keine Ehre kann dieser gleichen. Fürsten und Kaiser erteilen bloße Schatten der Ehre; die wahre Herrlichkeit kommt von dem Vater. Darum, meine Seele, hänge du an deinem Herrn Jesus inniger denn je. (Charles Haddon Spurgeon)
12:27 Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in die Welt gekommen.
12:28 Vater verkläre deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn verklärt und will ihn abermals verklären.
12:29 Da sprach das Volk, das dabeistand und zuhörte: Es donnerte. Die andern sprachen: Es redete ein Engel mit ihm.
12:30 Jesus antwortete und sprach: Diese Stimme ist nicht um meinetwillen geschehen, sondern um euretwillen.
12:31 Jetzt geht das Gericht über die Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden.
Der Hirt tritt dem Wolf entgegen und stirbt. Wie ist dies aber der Sieg über den Wolf und der Schutz der Herde? So hätte Jesus nicht sprechen können, hätte er nur auf das geachtet, was das Kreuz uns allen zeigt, und sein Urteil aus dem gewonnen, was sichtbar ist. Er stand aber nicht nur im Verkehr mit den Menschen, sondern auch mit Gott und nahm darum nicht nur die irdischen Vorgänge wahr, sondern ist auch an derjenigen Geschichte beteiligt, die über der irdischen steht, weil sie vor Gott im Himmel geschieht. Vor seinem Tod findet nicht nur eine Gerichtsverhandlung vor Kaiphas und den Häuptern der Judenschaft statt, auch nicht nur vor Pilatus mit der Mitwirkung des jüdischen Volkes, sondern es wird auch im Himmel vor Gott Gericht gehalten. Jetzt, sagt Jesus, da er zum letzten Mal im Tempel ist und ihn verlässt und damit den Gang in den Tod antritt, ergeht über die Welt Gericht. Jetzt wird ein göttliches Urteil gesprochen. Dieses stellt aber nicht nur fest, dass die Welt in ihrer Gottlosigkeit den nicht erkannte, der ihr den Vater zeigte, und dass die, die die Seinen waren, den Treubruch an ihm begingen und ihn nicht aufnahmen, sondern das Gericht ergeht auch über den, der die Welt beherrscht und sich als unser Widersacher und Verkläger vor den Richterstuhl Gottes stellt. Nicht nur die Welt, sondern auch ihr Fürst, nicht nur der Mensch, sondern auch sein Verkläger wird gerichtet, und das göttliche Urteil, das über ihn ergeht, treibt ihn fort und stößt ihn aus. Der menschliche Richter stößt Jesus aus, verflucht ihn und lässt ihn am Fluchholz sterben. Der göttliche Richter dagegen stößt den Verkläger aus. Der menschliche Richter erfüllt mit seinem Urteil den Willen des Satans. Gott dagegen vernichtet den Willen des Satans und tut den Willen Jesu, der als unser Anwalt vor Gott steht und aus seiner Seele das Lösegeld für uns macht. So wird aus dem menschlichen Gericht, das Jesus verdammt, das göttliche Gericht, das uns freispricht. Das schuf Jesus durch seinen leuchtenden Gehorsam bis zum Tod. Ausstoßung des Teufels, das heißt, uns ist Vergebung gewährt. Die Abweisung seiner Klage ergibt die uns geschenkte Rechtfertigung. Indem Jesus mit seinem Tod der Verdammung das Ende bereitet, beginnt der neue Bund, dessen Grundgesetz lautet: es gibt für die, die in Christus sind, keine Verurteilung.
Alle meine Lasten darf ich, Vater, niederlegen vor Jesu Kreuz und aus Deiner Hand die Gerechtigkeit empfangen, die Du dem Glauben gibst. Deine erlösende Gnade, die meinen Willen aus seinen Fesseln löst, suche ich bei Dir, beim unerschöpflichen Schutz Deiner Erbarmung. Amen. (Adolf Schlatter)
12:32 Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen.
Kommt, ihr Arbeiter, fasset Mut. Ihr fürchtet, daß ihr keine Hörer herbeiziehen könnt. Versucht es mit der Predigt von einem gekreuzigten, auferstandenen und gen Himmel gefahrenen Heiland; denn die „zieht“ mehr, als irgend etwas andres, was sich je unter den Menschen kund gegeben hat. Was zog euch zu Christus, als Christus? Was zieht euch jetzt zu Ihm, als seine eigne, teure Persönlichkeit? Wenn ihr durch irgend etwas andres zur Religion gezogen worden seid, so werdet ihr bald wieder davon weggezogen werden; aber Jesus hat euch gehalten und wird euch bis ans Ende halten. Warum wollt ihr denn an seiner Macht zweifeln, andre zu ziehen? Geht mit dem Namen Jesus zu den Halsstarrigen, und seht, ob der sie nicht ziehen wird.
Kein Art von Menschen ist über diese ziehende Macht hinaus. Alte und Junge, Reiche und Arme, Unwissende und Gelehrte, Tiefgesunkene oder Liebenswürdige - alle Menschen sollen die Anziehungskraft fühlen. Jesus ist der eine Magnet. Laßt uns nicht an einen andren denken. Musik wird nicht zu Jesus ziehen und ebensowenig Beredsamkeit, Logik, Zeremoniell oder Lärm. Jesus selber muß die Menschen zu sich selber ziehen; und Jesus ist durchaus im stande zu diesem Werke in allen Fällen. Laßt euch nicht verführen durch die Quacksalbereien der Gegenwart, sondern arbeitet als Arbeiter für den Herrn in seiner eignen Weise und zieht mit des Herrn eignen Seilen. Zieht zu Christus und zieht durch Christus, denn alsdann wird Christus durch euch ziehen. (Charles Haddon Spurgeon)
Jesus sah mit der Gewissheit auf sein Kreuz, dass er von dort aus alle Widerstände überwinden werde, die uns von ihm trennen. Auf uns liegt der dunkle Schatten, den das Sterben über uns breitet, in mir erweckt. Lohnt es sich, auf dem Weg zum Grab einen Heiland zu suchen? Gibt es denn Gemeinschaft mit Gott für uns, die Sterbenden? Auf diese Frage gibt uns Jesus dadurch die Antwort, dass er ans Kreuz erhöht wurde. Dort geht der Lebende in den Tod, der Auferstehung gewiss, und macht im Sterben die Herrlichkeit des Lebens offenbar. Uns beschwert das Leiden, verzehrt unsere Kraft und macht uns totwund. Können wir denn glauben, mit der Beschränktheit unseres Bewusstseins, die uns zum Irren zwingt, und der Fesselung unseres Vermögens, die uns kein tüchtiges Handeln zulässt? Sieh auf den ans Kreuz Erhöhten! Er macht aus dem Leiden die wirksame Tat und aus den Schmerzen die Verkündigung des göttlichen Ruhms. Aus der leeren Nichtigkeit unseres Lebens entsteht die Menge der unechten Dinge, die auswendig glänzen und innen nichts sind als lügender Schein. Sie rauben uns die Fähigkeit zum Glauben. Wer hat denn Jesus zum Kreuz gehängt? Ein Volk, das scheinbar fromm war, Priester, die scheinbar Priester waren, ein Regent, der scheinbar regierte und log, wenn er sich einen Richter nannte. Sieh aber nicht nur auf die, die neben dem Kreuz stehen, sieh auf Ihn.
Dort siehst du echtes, mit der Wahrheit geeintes Leben, Gemeinschaft mit Gott, im heißen Feuer erprobt, Gehorsam, in hartem Kampfe errungen und vollendet, Liebe, die das göttliche Gebot in Wahrheit erfüllt, Gott über alles ehrt und den Bruder ganz zu sich erhebt. Hier siehst du nicht Schein und kannst hier nicht zweifeln. Hier kannst und sollst du glauben. Die stärkste Hemmung, die uns von Jesus trennt, entsteht aber aus dem Fluch der Schuld. Wir tragen heimlich die Angst vor Gott in uns und unser Blick auf ihn gleicht dem lauernden Blick dessen, der sich nach seinem Verfolger umsieht. Aber der ans Kreuz Erhöhte zieht uns zu sich, uns alle, die wir uns vor Gott flüchten, weil er gerecht ist, und das Licht nicht ertragen, weil es unsere Verwerflichkeit enthüllt. Dort am Kreuz treibt die Liebe die Furcht aus. Weil ich nicht zu ihm komme, kommt er zu mir, tritt an meine Stelle und leidet, was mir gebührt. Weil er vergibt, zieht er mich zu sich. Nun kann ich glauben.
Es ist mir heilsam, dass ich, Herr Christus, an Deinem Kreuz verweile. Dort weichen die Einbildungen und ich werde still. Dort sprichst Du zu mir. Dort kann ich hören, was mir Deine wahrhaftige Gnade sagt. Amen. (Adolf Schlatter)
12:33 (Das sagte er aber, zu deuten, welches Todes er sterben würde.)
12:34 Da antwortete ihm das Volk: Wir haben gehört im Gesetz, daß Christus ewiglich bleibe; und wie sagst du denn: „Des Menschen Sohn muß erhöht werden “? Wer ist dieser Menschensohn?
12:35 Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, daß euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.
Zunächst bezieht sich dieses Wort auf die Zeit, da Jesus, „das Licht“ während seines Erdenlebens seinen Zeitgenossen leuchtete. Es ist aber kein Unrecht, wenn wir die darin enthaltene Mahnung auf unser Leben anwenden. Auch wir können solche besonderen Lichtzeiten haben, in denen eine Veranstaltung Gottes durch Menschen oder Verhältnisse und Entscheidungen nahe legt, die in dieser scharfen Beleuchtung vielleicht nur eine kurze Dauer haben und ähnlich nicht wiederkehren. Wenn wir solchen Gnadenstunden gegenüber, wo uns das Heil oder eine besondere Stufe des Wachstums näher ist als sonst jemals, nicht treu sind und sie nicht benutzen, wandert dieses Licht wieder weiter und kann uns ganz entzogen werden. Welch ein lebhafter Akzent liegt dann auf dem Ausdruck „noch eine kleine Zeit“! Gewisse Fortschritte werden jetzt von uns erwartet. Wer seine Heimsuchung nicht merkt oder vernachlässigt, kann später vielleicht vergeblich das Licht zurückersehnen; seine Gelegenheit war schön und reich angelegt, aber er hat sie verpaßt. Wie schmerzlich und demütigend, wenn wir nachher so etwas erkennen, wo es zu spät ist. Darum: wandelt, dieweil ihr das Licht habet!
Du bist unser Licht, Herr Jesu! Mach uns die Gelegenheiten wichtig, wo wir dir dienen oder uns besser für dich entscheiden können. Hilf uns gegen den drohenden Überfall der Finsternis. Herr, erbarme dich unser und laß uns leuchten dein Angesicht. Amen. (Samuel Keller)
12:36 Glaubet an das Licht, dieweil ihr es habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid.3)
Aus dem Zusammenhang gerissen, dürfte dieser Spruch sehr befremdlich klingen: wie kann man an etwas glauben, was man hat, und wie kann man ein Kind dessen werden, was man schon hat? Aber dort, wo Jesus die Worte sagt, meint er mit dem Lichte sich selbst und ermahnt seine Hörer, an ihn zu glauben, wodurch sie erst zur Gotteskindschaft kämen. Unglaube wäre im Sinn dieser Stelle der geheime Widerspruch gegen Jesus, die Trägheit, einen starken Schritt auf ihn hin zu machen, die dreiste Energie, mit dem alten Glauben zu brechen. Dergleichen Anwandlungen kommen auch an solche heran, die längst Gotteskinder sind. Innere Verstimmungen, Unzufriedenheit mit seinen Wegen, Kreuzesscheu und Trägheit belasten in solchen Augenblicken unsern Glauben, daß der Versucher Gehör findet für die Einflüsterung: Ist Jesus dir wirklich genug? Ist der Glaube ein entsprechendes Entgelt für aufgegebene Weltfreude? Man braucht nur noch seelisch müde oder körperlich krank zu sein, so wird solche Versuchung gefährlich. Glauben ist dann ein Entschluß, ein Ruck des Willens, ein die Augenschließen für alles andere. Dennoch! Wie auf dem Absatz herumgedreht und allen jenen Stimmen und Stimmungen den Rücken gekehrt!
Herr Jesus, du bist mir genug. Ich will nichts weiter als dich. Aber auch wirklich dich. Mein angefochtener Glaube windet sich wie eine Ranke um dein Wort und deine Hilfe und deine Liebe. Halte selbst dein schwaches Kind! Amen. (Samuel Keller)
12:37 Solches redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen. Und ob er wohl solche Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie doch nicht an ihn,
12:38 auf daß erfüllet werde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte: „HERR, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des HERRN offenbart?“
12:39 Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaja sagte abermals:
12:40 „Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, daß sie mit den Augen nicht sehen noch mit dem Herzen vernehmen und sich bekehren und ich ihnen hülfe.“
12:41 Solches sagte Jesaja, da er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm.
12:42 Doch auch der Obersten glaubten viele an ihn; aber um der Pharisäer willen bekannten sie's nicht, daß sie nicht in den Bann getan würden.
12:43 Denn sie hatten lieber die Ehre bei den Menschen als die Ehre bei Gott.
Je höher wir stehen, desto enger ist unsere Berührung mit dem Evangelium. Wenn eine große Verantwortlichkeit auf uns liegt, die das Schicksal vieler von unserem Verhalten abhängig macht, so wissen wir, was wir dem zu verdanken haben, der uns als sicherer Führer dient. Wächst die Pflicht, so wächst auch unsere Schuld und damit unsere Bedürftigkeit, die uns für die vergebende und helfende Gnade empfänglich macht. Mit der hoch gehobenen Stellung wird unser Sehfeld und der Einblick in das, was der Mensch ist und bedarf, deutlich. Mit der Klarheit des Blicks ist uns aber zugleich die Befähigung zum Glauben gegeben. Dies haben viele von denen gespürt, die Jerusalem damals regierten, als die Stadt über ihr Verhältnis zu Jesus und damit über ihr Schicksal die Entscheidung traf. Diese Vielen wussten, dass Jerusalems Heil oder Unheil an der Weise hing, wie sich Jerusalem zu Gott stellte, und das war das große Thema, über das Jesus mit ihnen sprach. Die Lage gab den Regierenden Grund zu bangen Sorgen, weil die Seele des Volks, umworben von verschiedenen Stimmen und nach entgegengesetzten Seiten gezerrt, in stürmischer Erregung war. Mit jedem Wort, das Jesus sprach, berührte er das Tiefste von dem, was die Regierenden bewegte, und brachte Licht in das, was sie quälte. Daher gab ihnen ihre Lage in besonderem Maß den Anlass zum Glauben. So wird auch heute jeder, der in hoher Stellung steht, durch einen besonders kräftigen Zug zu Jesus gezogen. Wenn er diesem Zug gehorcht, dient seine Macht ihm selbst und den anderen zum Heil; widersetzt er sich dagegen diesem Zug, so entsteht aus seiner Macht sein Fall und für die, die er führt, wird sie zur Not. An der hohen Stellung entsteht aber nicht nur die stark Berufung zum Glauben, sondern auch ein besonders schweres Hemmnis, das ihn unmöglich macht. Für niemand ist die Ehre unentbehrlicher als für die Regierenden. Ehrlos können sie nicht regieren. Trifft sie der Bann, der sie von der Gemeinde trennt, so sind sie in Ohnmacht versetzt. Die Menschen ehren sie aber nicht dafür, dass sie Jesus folgen und Gott untertan sind. Sie verlangen von ihren Regierenden die menschliche Größe, die Ehrung und Verherrlichung des eigenen Volks, die Darstellung dessen, was der Mensch zu leisten vermag. Weil mit der großen Macht die Gefahr groß wird, dass wir uns selbst bewundern und an uns selber glauben, darum macht der Besitz der Macht uns den Glauben an Jesus schwer. Als sich der Jüngling, der gehofft hatte, Jesus werde ihn ins ewige Leben führen, von Jesus trennte, nannte es Jesus unmöglich, dass ein Reicher ins Reich Gottes trete. Mit großer Macht verhält es sich nicht anders als mit großem Besitz. Als aber die Jünger erschraken, weil sie nur an das Vermögen des Menschen dachten, sagte er: Was bei den Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott.
Aus Deinen guten Gaben, großer Gott, bereiten wir uns den Fall, weil wir das, was Du uns gibst, unserer Eigensucht übergeben und unsere Begehrlichkeit damit sättigen, und doch ruft mich jede Deiner Gaben, auch die, die Du mir durch die Natur verleihst, zu Dir. Ist es mir unmöglich, Dir ist es möglich, mir Deine Gnade so zu zeigen, dass sie mich durch Deine Gaben zu Dir führt. Amen. (Adolf Schlatter)
12:44 Jesus aber rief und sprach: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat.
12:45 Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat.
12:46 Ich bin gekommen in die Welt ein Licht, auf daß, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.
Diese Welt ist dunkel wie die Mitternacht; Jesus ist gekommen, damit wir durch den Glauben Licht haben und nicht länger in der Dunkelheit sitzen, welche die übrige Menschheit bedeckt.
Wer ist ein sehr weiter Ausdruck, er meint dich und mich. Wenn wir auf Jesum vertrauen, werden wir nicht mehr in dem dunklen Schatten des Todes sitzen, sondern in das warme Licht eines Tages eingehen, der niemals enden wird. Warum kommen wir nicht sogleich hinaus an das Licht?
Eine Wolke mag zuweilen über uns hängen, aber wir werden nicht in der Finsternis bleiben, wenn wir an Jesum glauben. Er ist gekommen, uns helles Tageslicht zu geben. Soll Er vergeblich gekommen sein? Wenn wir Glauben haben, so haben wir das Vorrecht des Sonnenlichtes: laßt uns dessen genießen. Aus der Nacht des natürlichen Verderbens, der Unwissenheit, des Zweifels, der Verzweiflung, der Sünde, des Schreckens uns zu befreien, dazu ist Jesus gekommen; und alle Gläubigen sollen wissen, daß Er nicht vergeblich kommt, eben wie die Sonne nicht aufgeht, ohne Wärme und Licht zu verbreiten.
Schüttle deine Niedergeschlagenheit ab, lieber Bruder! Bleibe nicht im Finstern, sondern bleibe im Licht! In Jesu ist deine Hoffnung, deine Freude, dein Himmel. Blicke auf Ihn auf Ihn allein; und du wirst dich freuen, wie die Vögel beim Sonnenaufgang sich freuen und wie die Engel vor dem Throne sich freuen. (Charles Haddon Spurgeon)
12:47 Und wer meine Worte hört, und glaubt nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern daß ich die Welt selig mache.
12:48 Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht auf, der hat schon seinen Richter; das Wort, welches ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage.
Ein schweres Wort aus dem Munde des Herrn, der nicht gekommen ist, daß er die Welt richte, sondern daß er die Welt selig mache. Ein Wort, das uns an jedem Morgen zu einem heiligen Ernste wecken sollte. Es ist uns gesagt, was recht und gut ist, und was der Herr unser Gott von uns fordert. Das Wort Gottes, das wir nie ganz austilgen können aus dem Gedächtniß unsres Gewissens, das uns begleitet zu unsrer Arbeit und zu unsrer Ruhe, diese Gottessprüche umfassen gar viel, verlangen ein bußfertiges Herz, einen kindlichen Geist, eine feste Treue und einen willigen Gehorsam. Es ist eine hohe Aufgabe, die wir übernehmen, wenn wir in die Gemeinschaft mit dem Herrn treten. Wir sollen Allem absagen, Alles verlassen, um Christum zu gewinnen und ihm nachzufolgen. Wir sollen vollkommen sein, wie unser Vater im Himmel auch vollkommen ist. Er ruft uns zu: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr euer Gott!“ 3 Mos. 19, 2. Aus eigner Kraft aber vermögen wir nicht, auf dem Wege zum ewigen Leben zu wandeln. Da geht uns denn Christus voran, ermuntert und stärkt unsre Seele, wenn sie matt und müde werden will, hilft uns die Bürde tragen und den Sieg erringen. Darum will ich mich nicht selbst betrügen durch den eitlen Wahn und die thörichte Hoffnung, daß der Herr uns schwache Menschenkinder bei all unsrer Sünde und Missethat aus Gnaden seiner Seligkeit theilhaftig machen werde. Nein, ich weiß, Gott läßt seiner Gebote nicht spotten, und was der Mensch säet, das wird er ernten. Gal. 6, 7. Der Ewige und Alleinselige hat nichts versäumt, nichts unterlassen, um uns selig zu machen. Er hat seinen eingeborenen Sohn in's Fleisch, in die Armuth des Menschenlebens, in den blutigen Tod am Stamme des Kreuzes gegeben; er hat uns theuer erkauft - sollten wir der Sünde dienen? Das sei ferne! Darum will ich wachen und beten, daß ich nicht in Anfechtung falle und gegen den Herrn meinen Gott sündige. Sein heiliges Gesetz soll wohnen in meinem Herzen und ein Licht sein auf meinen Wegen.(Christian Wilhelm Spieker)
12:49 Denn ich habe nicht von mir selber geredet; sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll.
12:50 Und ich weiß, daß sein Gebot ist das ewige Leben. Darum, was ich rede, das rede ich also, wie mir der Vater gesagt hat.
Wie großen Dank bin ich Dir schuldig, Herr Jesu, daß Du die Strafen meiner Sünden auf Dich nahmst, und Hunger, Durst, Kälte, Ermüdungen, Verläumdungen, Verfolgungen, Schmerzen, Armuth, Banden, Geißeln, Dornenstiche, ja, den bittersten Kreuzestod ertragen wolltest! Wie groß ist die Flamme Deiner Liebe, die Dich getrieben hat, für den verachtungswürdigsten und undankbarsten Knecht Dich selbst freiwillig in jenes Meer der Leiden zu versenken! Deine Unschuld und Gerechtigkeit machte Dich von allen Leiden frei; aber Deine unermeßliche und unaussprechliche Liebe stellt Dich an unsrer statt als Schuldner und Angeklagten dar. Ich hatte übertreten: Di thust genug; ich hatte geraubt: Du bezahlst; ich hatte gesündigt: Du leidest. O gütigster Jesu, ich erkenne die Herzlichkeit Deiner Erbarmung und die Gluth Deiner Liebe an. Du scheinst mich mehr zu lieben als Dich, da Du Dich selbst für mich dahingiebst. Was hast Du, Gerechtester, mit den Todesgedanken, mit Geißeln und Banden zu thun? Mir gebührte dies Alles; Du aber steigst aus unaussprechlicher Liebe in den Kerker dieser Welt herab, ziehst mein Knechtsgewand an und übernimmst ganz bereitwillig die mir gebührenden Strafen. So viel ich Werkzeuge Deines Leidens ansehe, so viel sehe ich Anzeigen Deiner Liebe gegen mich; denn meine Sünden sind jene Bande, jene Geißeln, jene Dornen, die Dich geschlagen haben, die Du alle aus unaussprechlicher Liebe um meinetwillen erduldet hast. Wer bin ich, daß Du um meinetwillen so viele Jahren dienen wolltest, daß Du um meinetwillen Dich nicht einmal zu sterben weigertest, daß Du um meinetwillen vor dem Holze des Kreuzes nicht schauderst? Ich bin Dir wahrlich eine Blutbraut, um deren willen Du eine so große Menge Blut vergießest. Ich bin Dir, der schönsten Lilie, ein Dorn, der Dich verletzt und sticht. Ich lege Dir eine harte und beschwerliche Last auf, deren Gewicht Dich so sehr drückt, daß Blutstropfen reichlich aus Deinem Leibe fließen. Dir, Herr Jesu, einiger Erlöser und Mittler, will ich um dieser Deiner Liebe willen ewiglich lobsingen. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Das Gebot, das der Vater dem Sohne gegeben hat, daß er es ausrichte und davon zeuge, ist das ewige Leben für die Menschheit. Damit diese ganze wertvolle Gottesschöpfung nicht dem ewigen Tode verfalle, sondern herausgerettet Anteil am Leben Gottes und Christi bekomme - dazu kam Jesus, dazu lehrte, litt und starb er. Merkwürdig, daß solch ein Gebot nicht brausende, jauchzende Zustimmung aus jeder Menschenseele bekommt! Warum verhalten sich die Leute gegen dieses großartige Gottes-Gebot: „Ihr sollt ewig leben!“ so teilnahmslos? Weil es von der Sünde scheidet, weil es uns auf Gottes Seite ruft, weil es aus der Selbstverliebtheit herausreißt und uns binden will an Gott mit Seilen der Liebe - darum überlegt sich die Menschheit immer noch, ob sie sich rücksichtslos seinem Gebote fügen soll. - Es kommt nun noch der Irrwahn hinzu, als ob man ohne Christum auch schon im Besitz von ewigem Leben sei. Nein, außer Christus ist nur Tod! Ach, daß die Decke von euren Augen genommen würde und ihr erkennt, ehe es zu spät ist, wie nahe euch die selige Gottesgabe ist: Leben und volles Genüge! Ach, daß wir bessere Verkündiger dieses Lebens wurden im Lande der Sterbenden!
Du weißt, Herr Jesu, daß der Vater ewiges Leben geben will, wie einen Strom! Wir glauben es auch; dann lege deine Worte in unsern Mund, daß wir besser davon zeugen können und ziehe die Herzen zu deiner heilsamen Gnade. Amen. (Samuel Keller)
Sein Gebot? Wie soll man das verstehen: gebietet er, daß wir das ewige Leben annehmen sollen, oder liegt in Gottes Gebot, wenn man es erfüllt, das ewige Leben drin? Es mögen beide Gedanken zusammenfließen, wenn Jesus so spricht. In ihm war das Leben erschienen, und nun gebot Gott allen, die Jesu Wort hörten, daß sie es annahmen und darinnen wandelten. Über solchem Gehorsam gegen des Vaters Willen würden sie das ewige Leben erhalten und verspüren. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Einen Augenblick stillen Sinnens zeigt mir, daß fast alle die Unruhe meiner Seele am heutigen Tage nicht als Gottes klarer Wille an mich heran kam, sondern aus menschlichen Schwächen gegen andere Menschen oder menschliche Verhältnisse herstammte. Das Wenige, was ich heute ganz klar nach Gottes Willen tat, sagte, schrieb, las, entschied - hat Ruhe und Kraft, Stille und Leben an sich und für mich. Immer wieder muß ich mich aus allerlei Netzen der Menschengefälligkeit, der Eitelkeit, der Selbstsucht herausziehen lassen, damit Gottes klares, festes Gebot mich leitet. Auf dieser Bahn begegnet mir Friede und Leben.
Ich weiß das längst, mein Herr und Gott, erinnere mich täglich daran! Hilf mir deinen Willen erkennen und kindlich freudig ihn tun, damit deine Luft mich umfängt und dein Leben über meinen Tag und seine Arbeit komme. Überlaß mich nicht mir selbst! Amen. (Samuel Keller)