Lukas, Kapitel 23
23:1 Und der ganze Haufe stand auf, und sie führten ihn vor Pilatus
23:2 und fingen an, ihn zu verklagen, und sprachen: Diesen finden wir, daß er das Volk abwendet und verbietet, den Schoß dem Kaiser zu geben, und spricht, er sei ein König.
23:3 Pilatus aber fragte ihn und sprach: Bist du der Juden König? Er antwortete und sprach: Du sagst es.
23:4 Pilatus sprach zu den Hohenpriestern und zum Volk: Ich finde keine Ursache an diesem Menschen.
23:5 Sie aber hielten an und sprachen: Er hat das Volk erregt damit, daß er gelehrt hat hin und her im ganzen jüdischen Lande und hat in Galiläa angefangen bis hierher.
23:6 Da aber Pilatus Galiläa hörte, fragte er, ob er aus Galiläa wäre.
23:7 Und als er vernahm, daß er unter des Herodes Obrigkeit gehörte, übersandte er ihn zu Herodes, welcher in den Tagen auch zu Jerusalem war.
23:8 Da aber Herodes Jesum sah, ward er sehr froh; denn er hätte ihn längst gern gesehen, denn er hatte viel von ihm gehört, und hoffte, er würde ein Zeichen von ihm sehen.
23:9 Und er fragte ihn mancherlei; er antwortete ihm aber nichts.
23:10 Die Hohenpriester aber und Schriftgelehrten standen und verklagten ihn hart.
23:11 Aber Herodes mit seinem Hofgesinde verachtete und verspottete ihn, legte ihm ein weißes Kleid an und sandte ihn wieder zu Pilatus.
23:12 Auf den Tag wurden Pilatus und Herodes Freunde miteinander; denn zuvor waren sie einander feind.
23:13 Pilatus aber rief die Hohenpriester und die Obersten und das Volk zusammen
23:14 und sprach zu ihnen: Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht, als der das Volk abwende, und siehe, ich habe ihn vor euch verhört und finde an dem Menschen der Sache keine, deren ihr ihn beschuldiget;
23:15 Herodes auch nicht, denn ich habe euch zu ihm gesandt, und siehe, man hat nichts auf ihn gebracht, das des Todes wert sei.
23:16 Darum will ich ihn züchtigen und loslassen.
23:17 (Denn er mußte ihnen einen nach der Gewohnheit des Festes losgeben.)
23:18 Da schrie der ganze Haufe und sprach: Hinweg mit diesem und gib uns Barabbas los!
23:19 (welcher war um eines Aufruhrs, so in der Stadt geschehen war, und um eines Mordes willen ins Gefängnis geworfen.)
23:20 Da rief Pilatus abermals ihnen zu und wollte Jesum loslassen.
23:21 Sie riefen aber und sprachen: Kreuzige, kreuzige ihn!
23:22 Er aber sprach zum drittenmal zu ihnen: Was hat denn dieser Übles getan? Ich finde keine Ursache des Todes an ihm; darum will ich ihn züchtigen und loslassen.
23:23 Aber sie lagen ihm an mit großem Geschrei und forderten, daß er gekreuzigt würde. Und ihr und der Hohenpriester Geschrei nahm überhand.
23:24 Pilatus aber urteilte, daß ihr Bitte geschähe,
23:25 und ließ den los, der um Aufruhrs und Mordes willen war ins Gefängnis geworfen, um welchen sie baten; aber Jesum übergab er ihrem Willen.1); 2)
23:26 Und als sie ihn hinführten, ergriffen sie einen, Simon von Kyrene, der kam vom Felde, und legten das Kreuz auf ihn, daß er's Jesu nachtrüge.
Wir erblicken in Simons Kreuztragen ein Bild der Arbeit, welche der Gemeinde Christi von Geschlecht zu Geschlecht auferlegt wird; sie ist die Kreuzesträgerin in der Nachfolge Jesu. So merke denn, lieber Christ, dass der Herr Jesus nicht so leidet, um dich alles Leidens zu überheben. Er trägt ein Kreuz, nicht damit du dem Kreuz entschlüpfst, sondern damit du es umso leichter ertragen kannst. Christus reißt dich aus der Sünde heraus, aber nicht aus der Sorge; das bedenke, und mache dich aufs Dulden gefasst! Aber trösten wir uns mit dem Gedanken, dass wir gerade so wie Simon nicht unser eigenes Kreuz, sondern das Kreuz Christi zu tragen haben. Wenn du um deiner Frömmigkeit willen verschmäht und verlästert wirst; wenn deine Gottesfurcht dich unter das Gericht grausamen Spottes stellt, dann erinnere dich, dass es nicht dein Kreuz, sondern Christi Kreuz ist; und wie köstlich ist‘s, unserem Herrn Jesu das Kreuz zu tragen! Du trägst Ihm das Kreuz nach. O, da hast du eine selige Begleitung; dein Pfad ist bezeichnet mit den Fußstapfen deines Herrn. Die Spuren seiner blutgetränkten Schulter sind der schweren Last aufgeprägt. Es ist sein Kreuz, und Er geht vor dir her, wie ein Hirte vor seinen Schafen. Nimm dein Kreuz auf dich und folge Ihm nach. Vergiss auch nicht, dass du dies Kreuz in Gemeinschaft mit Ihm trägst. Einige nehmen an, Simon habe nur das eine Ende des Kreuzes getragen, und nicht das ganze Kreuz. Das ist sehr leicht möglich: vielleicht tat Christus den schwereren Teil auf sich genommen, oben beim Querbalken, und Simon mag das leichtere Ende getragen haben. Jedenfalls ist‘s bei dir so der Fall; du trägst nur das leichte Ende des Kreuzes, und Christus hat den schwersten Teil getragen. Und obgleich Simon das Kreuz nur eine kurze Strecke weit tragen musste, so hat es ihm doch ewige Ehre eingebracht. Und so lastet das Kreuz, das wir zu tragen haben, auch nur kurze Zeit auf uns, und danach empfangen wir die Krone und die Herrlichkeit. Wahrlich, das Kreuz muss uns lieb werden, und statt davor zurück zu schrecken, wollen wir es hoch und wert achten, denn es „schaffet uns eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit.“ (Charles Haddon Spurgeon)
23:27 Es folgte ihm aber nach ein großer Haufe Volks und Weiber, die beklagten und beweinten ihn.
Mitten unter dem Pöbelhaufen, der unsern Herrn und Heiland lärmend zur Richtstätte verfolgte, waren etliche begnadigte Seelen, deren bittere Schwermut sich in Klagen und Tränen Luft machte, - ein recht geeigneter Trauermarsch zur Begleitung auf diesem Leidenswege. Wenn meine Seele vermag, sich den Heiland zu denken, wie Er sein Kreuz nach Golgatha schleppt, dann schließt sie sich den gottseligen Weibern an und weint mit ihnen; denn wahrlich, hier ist ein rechter Grund zum Schmerz, ein Grund, der tiefer liegt, als jene trauernden Frauen dachten. Sie trauerten über die misshandelte Unschuld, über die verfolgte Seelengüte, über die blutende Liebe, über die in den Tod dahingegebene Sanftmut! aber mein Herz hat noch tiefere und schmerzlichere Ursache zur Trauer. Meine Sünden waren die Henkersknechte, die diesen heiligen Rücken zerrissen, die diese bluttriefende Stirne mit Dornen krönten; meine Sünden schrieen: „Kreuzige! kreuzige Ihn!“ und luden seinen treuen Schultern das Kreuz auf. Dass Er zum Tode geführt wurde, ist schon mehr als genug für eine Ewigkeit der Trauer und des Schmerzes: aber dass ich‘s war, der Ihn mordete, ist mehr, unendlich mehr, als je ein armer Tränenquell erzählte. Warum jene Frauen den Herrn Jesum liebten und beweinten, ist so sehr begreiflich; aber sie konnten nicht größere Ursache zur Liebe und zum Schmerz haben, als meine eigene Seele. Der Witwe zu Nain war ihr Sohn aus dem Grabe wieder geschenkt worden - ich bin auferweckt worden zu einem neuen Leben. Petri Schwiegermutter wurde vom Fieber geheilt - ich von der schweren Sündenseuche. Aus Maria Magdalena waren sieben Teufel ausgefahren - aus mir hat Er eine Legion Teufel ausgetrieben. Maria und Martha hatten Ihn oft beherbergt - aber in mir wohnt Er. Seine Mutter hatte Ihn getragen - aber in mir hat Er eine Gestalt gewonnen zur Hoffnung der Herrlichkeit. Ich stehe in der Schuld nicht hinter den heiligen Weibern zurück, so will ich denn auch in dankbarer Trauer ihnen nicht nachstehen. (Charles Haddon Spurgeon)
23:28 Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder.
23:29 Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gesäugt haben!
23:30 Dann werden sie anfangen, zu sagen zu den Bergen: Fallet über uns! und zu den Hügeln: Decket uns!
Als der Prophet Hoseas von der Eroberung der Stadt Samaria und der Zerstörung des Reiches Israel weissagte, so sagte er Hos. 10,8.: es werde dabei so jämmerlich hergehen, daß sie Leute sagen werden: ihr Berge bedecket uns, und ihr Hügel fallet auf uns; und als der HErr Jesus zur Kreuzigung hinausgeführt wurde, so weissagte Er gleichfalls, man werde bei der Belagerung und Eroberung Jerusalems anfahen, zu den Bergen zu sagen: fallet auf uns, und zu den Hügeln: decket uns. Diese Worte wurden also wie im Sprüchwort in der größten Bestürzung und Angst von den Juden gebraucht, und bedeuten ebenso viel, als wenn man nach unserer Weise sagte: ach daß wir lebendig begraben würden! ach daß wir uns unter die Erde verkriechen könnten! ach daß wir stürben! Es werden aber diese Worte Offenb. 6,16. auch denjenigen in den Mund gelegt, welche durch den Anbruch des jüngsten Tages in einen verzweiflungsvollen Schrecken gesetzt werden, wobei aber doch der Wunsch nicht auf das Sterben, sondern auf das Verbergen vor dem Angesicht deß, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes gerichtet ist.
Als der HErr Jesus durch die Gassen Jerusalems zur Kreuzigung hinausgeführt wurde, so war Er in Seiner Seele ruhig und getrost. Er wünschte nicht, daß Berge auf Ihn fallen, und Hügel Ihn bedecken möchten, ja Er wollte nicht, daß die Weiber von Jerusalem über Ihn weinen sollten, ob Er schon mit Schmach und Noth umgeben war. Hingegen weissagte Er von einer angstvollen Verzweiflung, welche bei der Zerstörung Jerusalems über Seine Feinde kommen werde, und führte sogar die Worte an, welche sie alsdann brauchen werden. Ich weiß nicht, was für eine Noth noch auf mich wartet. Wenigstens steht mir die letzte Todesnoth bevor. Aber im glaubigen Angedenken Jesu, und unter dem Beistand Seines Geistes werde ich getrost leiden, und im Leiden ausharren können. Ich werde mir keinen unzeitigen Tod, und noch weniger die Verbergung vor Seinem Angesicht wünschen. Aber die Gottlosen überfällt zuletzt Angst ohne Vertrauen, Schrecken ohne Trost, Verzweiflung ohne Hoffnung. Sie wünschen sich – was denn? Nicht geboren zu sein, oder jetzt zu sterben, oder vor dem Angesicht deß, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes verborgen zu sein. Aber alle diese Wünsche sind vergeblich. Sie sind nun geboren, das Sterben vermindert ihr Elend nicht, sondern vergrößert es, und vor dem Angesicht Gottes müssen sie, um gerichtet zu werden, erscheinen, und den Zorn des Lammes über sich ausbrechen lassen. Dieses ist das Ende der leichtsinnigen Scherze und Spöttereien, der unreinen Wollüste, des rohen Unglaubens, und des trotzigen Uebermuthes, womit solche Leute ihr Leben zugebracht haben. Nun trösten sie sich ihres guten Lebens nicht mehr, nun sind die guten Tage verschwunden, nun brüstet sich ihre Person nicht mehr, nun fällt ihnen der Pöbel nicht mehr zu, nun ist aller Genuß, den sie in der Welt gehabt haben, für sie wie ein Traum. Ach HErr Jesu, sei Du mir gnädig, halte Du mich in Deiner Hand, und laß mich immer in Dir erfunden werden, so wird mich kein Leiden verzagt machen, und kein Fall in die Verzweiflung stürzen. (Magnus Friedrich Roos)
23:31 Denn so man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden?
So viele Anwendungen auch diese Frage umfasst, so drängt sich uns bei ihr doch zunächst der Gedanke auf, dass unser Heiland damit sagen wollte: „Wenn ich, der unschuldige Bürge für die Sünder, schon so viel leiden muss, wie wird‘s erst sein, wenn der Sünder selbst - das dürre Holz - in die Hände des lebendigen Gottes fällt?“ Als Gott seinen Sohn zur Versöhnung hingab für die Sünder, da hat Er seiner nicht geschont, und wenn Er die Unbußfertigen und Unwiedergebornen ohne Christum findet, so wird Er ihrer auch nicht schonen. O siehe, Sünder, den Herrn Jesum führten seine Feinde weg, und so wirst du von bösen Feinden hinweggerissen werden an einen Ort, der für dich bereitet ist. Jesus war verlassen von Gott, und wenn Er, der nur durch Zurechnung für uns zum Sünder geworden ist, verlassen war, wie vielmehr du? „Eli, Eli, lama asabthani!“ welch ein entsetzlicher Angstschrei! Aber wie herzerschütternd wird erst dein Schrei sein, wenn du ausrufen musst: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ und die Antwort zurücktönt: „Weil ich denn rufe, und ihr weigert euch; ich recke meine Hand aus und niemand achtet darauf, und lasset fahren allen meinen Rat, und wollt meiner Strafe nicht; so will ich auch lachen in eurem Unfall und euer spotten, wenn da kommt, was ihr fürchtet.“ Wenn Gott seines eigenen Sohnes nicht verschonet hat, wie viel weniger wird Er euer schonen! Wie warten euer so glühende Geißelhiebe, wenn euch einmal das Gewissen mit all seinen Schrecken schlägt. Ihr reichsten, ihr lustigsten, ihr selbstgerechtesten Sünder; wer möchte an eurer Stelle sein, wenn Gott einmal spricht: „Schwert, mache dich auf über den Mann, der mich verworfen hat, schlage ihn, dass er die Qual spüre ewiglich?“ Jesus wurde verspieen; Sünder, welche Schmach wird deiner harren! Wir vermögen all die Schmerzen, die über das Haupt des für uns geopferten Jesus hereinbrachen, nicht in ein Wort zusammenzufassen, darum ist‘s unsäglich, was für Ströme und was für Meere des Elends über deine Seele hereinstürmen werden, wenn du in deinem gegenwärtigen Zustande stirbst. Bei der Seelenangst, bei den Wunden und dem Blut Jesu Christi beschwöre ich dich, rufe nicht den zukünftigen Zorn über dein Haupt herbei! Setze dein Vertrauen auf den Sohn Gottes, so wirst du nicht umkommen. (Charles Haddon Spurgeon)
23:32 Es wurden aber auch hingeführt zwei andere, Übeltäter, daß sie mit ihm abgetan würden.
23:33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn daselbst und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.
Golgatha ist der Hügel des Trostes; das Haus der Erquickung ist errichtet aus dem Holz des Kreuzes; der Tempel des himmlischen Segens ist auf den zerrissenen Fels gegründet, den Fels des Heils, den der Speer durchstochen und zerrissen hat. Die heilige Geschichte bietet nichts, was so, wie der Anblick seines Todes auf Golgatha, das Herz hinnimmt.
„O Welt, sieh‘ hier dein Leben
Am Stamm des Kreuzes schweben,
Dein Heil sinkt in den Tod;
Der große Fürst der Ehren
Läßt willig sich beschweren
Mit Schlägen, Hohn und großem Spott.“
Licht strömt aus der mitternächtlichen Mittagsfinsternis auf Golgatha, und jedes Pflänzchen des Gefildes blüht herrlich auf unter dem Schatten des einst verfluchten Kreuzholzes. An diesem Ort des Schmachtens hat die Gnade einen Brunnen gegraben, dessen kristallhelles Wasser ununterbrochen strömt; und jeder Tropfen dieses Heilsquells stillt der Menschheit Schmerzen. Ihr, die ihr schwere Kämpfe durchgekämpft habt, müsst bekennen, dass ihr am Ölberge keinen Trost gefunden habt, noch am Berge Sinai, noch auf Tabor; sondern „die Berge, von dannen mir Hilfe kommt,“ Gethsemane, Gabbatha und Golgatha, haben euch Trost und Erquickung gewährt. Der Wermut von Gethsemane hat manchmal die Bitterkeiten eures Lebens weggenommen; die Geißel auf Gabbatha hat oft eure Sorgen weggegeißelt, und Golgathas Todesseufzer haben all euern Seufzern den Tod gebracht. So gewährt uns die Leidensstätte seltenen und reichen Trost. Wir hätten Christi Liebe nie in ihren Höhen und Tiefen so deutlich erkannt, wenn Er nicht gestorben wäre; noch hätten wir des Vaters innige Liebe erfahren, wenn Er nicht seinen Sohn in den Tod gegeben hätte. Die gemeinsamen Gnadengaben, deren wir uns freuen, singen von Liebe, gleichwie die Seeschnecke, die wir ans Ohr halten, uns von der Tiefe des Meeres singt, aus der sie kommt; wenn wir aber den Ozean selber hören wollen, dürfen wir nicht nur nach den täglichen Gnadenerweisungen sehen, sondern dann müssen wir hinschauen auf das, was auf Golgatha sich für uns erfüllt hat. Wer lernen will, was Liebe ist, der gehe hin zur Stätte der Kreuzigung und schaue, wie der Mann der Schmerzen stirbt. (Charles Haddon Spurgeon)
23:34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen sie wissen nicht, was sie tun! Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los darum.3); 4); 5); 6); 7)
Joh. 17,9. sagte Jesus, Er bitte (damals) nicht für die Welt; da man Ihn aber kreuzigte, bat Er für Leute, die zur Welt gehörten, nämlich für die rohen Soldaten, die Ihn unter ihren Händen hatten, gleichwie Er auch Luk. 13,8. in einem Gleichniß andeutet, daß Er für einen unfruchtbaren Feigenbaum, das ist für einen fleischlichen Menschen, um Verlängerung seiner Gnadenzeit bitte. Jesus bat also für die Soldaten, die Ihn kreuzigten. Das Getümmel, das um Ihn herum war, die Schmach, die Ihm mit Worten und durch die Entblößung Seines Leibs angethan wurde, und die Schmerzen, welche Ihm die Nägel verursachten, brachten Seine Seele in keine Unordnung und erweckten keinen Grimm in Ihm; auch trieb Ihn das Leiden, das Sein Vater über Ihn kommen ließ, in keinen Unglauben hinein. Er sagte mit einer zufriedenen Seele: Vater. Die Ansprache an Seinen Vater ließ Er sich nicht wehren; weil Er aber Seinen menschlichen Willen in das Leiden, das auf Ihm lag, schon ergeben, und gesagt hatte: es muß also gehen, wie würde sonst die Schrift erfüllet? so bat er nicht mehr um Wegnehmung des Kelchs, wie am Oelberg, sondern legte eine Fürbitte für Seine Kreuziger ein. Vergib ihnen, sprach Er, denn sie wissen nicht, was sie thun. Es ist wahrscheinlich, daß diese Leute durch diese ganz ungemeine Fürbitte gerührt worden seien; denn sie waren ohne Zweifel gewohnt, Flüche, oder doch ein wildes Geschrei von denen, welche sie kreuzigten, zu hören: hier aber höreten sie eine sanfte Fürbitte. Sie höreten denjenigen, den sie kreuzigten, sagen: Vater, vergib ihnen. Nun war ihr Seelenzustand freilich damals nicht so beschaffen, daß ihnen die eigentliche Vergebung der Sünden oder die Rechtfertigung hätte widerfahren können, denn ehe sie dieser theilhaftig werden konnten, mußten sie wissen, was sie gethan hatten, und ihre große Sünde bereuen. Der HErr Jesus hat also für sie, wie Moses für das Volk Israel, nachdem es sich mit dem goldenen Kalb versündiget hatte, gebeten hat, da er auch zu Gott sagte: nun vergib ihnen ihre Sünde, 2 Mos. 32,32. das ist, vertilge sie nicht, wie Du gedrohet hast, gib ihnen noch Raum zur Buße. Die Fürbitte Jesu wandte also eine plötzliche Strafe von den Soldaten ab, und hatte die Wirkung, welche der Fürbitte des Weingärtners Luk. 13,8. zugeschrieben wird. Der Beisatz: sie wissen nicht, was sie thun, zeigt an, warum der HErr Jesus Seinen Vater um eine milde Nachsicht habe bitten können. Wenn man sich an etwas, das heilig ist, vergreift, und nicht weiß, was man thut, so wird es nicht so hoch aufgerechnet, als wenn man weiß, was man thut, weßwegen auch Paulus 1 Tim. 1,13. bezeugt, er habe aus Unwissenheit gelästert, und deßwegen habe ihm Barmherzigkeit widerfahren können; folglich dürfe sich Niemand, der den Heiligen Geist (wissentlich) lästert, auf sein Beispiel berufen. Als hernach die Apostel den Juden Buße predigten, so sagten sie ihnen, was sie gethan haben. Den Messias, sprachen sie, habt ihr gekreuzigt, den Fürsten des Lebens habt ihr getödtet, Apost. Gesch. 2,36. 3,15. Und so ist vielleicht auch den Soldaten, die Jesum gekreuzigt haben, ihre Sünde hernach aufgedeckt worden, wie es denn schon unter dem Kreuz Jesu hat geschehen können, s. Matth. 27,54.(Magnus Friedrich Roos)
23:35 Und das Volk stand und sah zu. Und die Obersten samt ihnen spotteten sein und sprachen: Er hat anderen geholfen; er helfe sich selber, ist er Christus, der Auserwählte Gottes.
23:36 Es verspotteten ihn auch die Kriegsknechte, traten zu ihm und brachten ihm Essig
23:37 und sprachen: Bist du der Juden König, so helf dir selber!
23:38 Es war aber auch oben über ihm geschrieben die Überschrift mit griechischen und lateinische und hebräischen Buchstaben: Dies ist der Juden König.
23:39 Aber der Übeltäter einer, die da gehenkt waren, lästerte ihn und sprach: Bist du Christus, so hilf dir selber und uns!
Das war ein trotziger Streiter, der sich nicht ergeben wollte. Auch in der hoffnungslosen Lage, in die ihn seine Kreuzigung gebracht hatte, bleibt er der Protestierende, der mit Gott und Menschen streitet. Er stritt gegen den römischen Herrscher, als er Bandit wurde; da wurde Pilatus sein Feind. Er stritt gegen die, die sich unter die römische Herrschaft beugten, und hieß sie feige und abtrünnig. Er stritt gegen die Besitzenden, die er plünderte. War es nicht Unrecht, dass er hungerte und sie im Überfluss lebten? Er stritt gegen Gottes Gesetz, das ihm verbot, zu morden; was hatte er noch, um sein Leben zu fristen, als sein scharfes Schwert? Nun streitet er mit dem letzten Atem, den er noch besitzt, gegen Jesus. Ein Christus, der sich ins Sterben am Kreuz ergab, reizt ihn zum Widerspruch. Hat Jesus recht, dann ist sein ganzes Leben und Kämpfen Sünde gewesen, dann stirbt er als der Schuldige. Das trifft ihn noch tiefer als der Hohn und die Qualen des Kreuzes. Dem Hohn antwortet er mit Verachtung; er wird seinen Quälern zeigen, dass ein jüdischer Bandit zu sterben weiß, und keine Qual wird ihn weich machen. Aber neben einem Christus zu sterben, der ohne Widerstand leidet und dennoch bei seinem Christusnamen bleibt, das verneint und richtet alles, was in ihm ist. Dagegen bäumt er sich mit letzter Kraft auf und schreit ihm zu: Steig herab, hilf dir und uns! Jesus hatte gebetet: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Dieses Gebet galt auch dem Schrei des Trotzes, der nichts anderes als Verzweiflung war. Jesus antwortete ihm nicht mit einem scheltenden Wort.
Sende mir Deines Geistes Licht, dass mir Dein Dulden und Leiden nicht zum Anstoß sei. Unser Herz ist bald trotzig und bald verzagt und kann sich vor dem Schwanken nicht schützen, wenn du nicht unser Fels und Teil geworden bist. Dann aber können wir sagen: mein Leib und meine Seele verschmachten; dennoch bleibe ich stets bei Dir. Dann erkennen wir in Deinem Dulden Deine Herrlichkeit. Amen. (Adolf Schlatter)
23:40 Da antwortete der andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?
23:41 Und wir zwar sind billig darin, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts Ungeschicktes getan.
23:42 Und er sprach zu Jesu: HERR, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
„Ich muss wirken, solange es Tag ist,“ hat Jesus gesagt. Jetzt war die letzte Stunde seines irdischen Tages da, die Stunde der Ohnmacht, der Pein und der Gottverlassenheit. Aber auch in dieser letzten Stunde erfüllte sich sein Wort: Ich muss wirken. Auch am Kreuz bewährte er sich als den, der wirkt und zeigte er, was Er wirkt. Busse wirkte er und Glauben und dies so, dass das eine am anderen entsteht. An der Busse entsteht der Glaube und am Glauben entsteht die Busse und ihre untrennbare Verbundenheit ist das Merkmal, dass sie das Werk Jesu sind. Weil Jesus mit dem Christusnamen über seinem Haupt und mit der Ergebung in Gottes Willen am Kreuz hing, endete in einem von denen, die neben ihm gekreuzigt waren, der trotzige Widerspruch, der sich gegen Gott und die Menschen auflehnt. Nun fiel auf sein Verhalten ein völlig neues Licht und darum sah er auch sein Schicksal in einem anderen Licht. Die Rolle des Helden, in die er sich hineingeträumt hatte, war nun vorbei. Blickte er zu Jesus hinüber, so sah er: der, der sich am Kreuz in Gottes Hand weiß, ist der starke Held, nicht der, der sich gegen ihn aufbäumt. Nun war der Kampf gegen die Machthaber, der ihm das Schwert in die Hand gab, falsch und sein Aufruhr gegen das Gesetz, das das Leben des Menschen schützt, war Sünde. Daher gebührt ihm der Tod. Und eben deshalb, weil er in seinem Schicksal Gottes Urteil ehrt und unter sein Gericht sich beugt, kann er nun glauben. Der, der mit dem Christusnamen das Kreuz auf sich nimmt, der geht – das weiß er – Gottes Weg und handelt und leidet in Gottes Sendung. Und weil er glaubt, kann er, was er vorher nicht konnte. Vorher konnte er fordern, murren und trotzen. Jetzt kann er bitten: Denk an mich. Für Gottes Herrschaft hat auch er gestritten, doch in falscher Weise. Gewalttat und Schwert schaffen sie nicht. Der, der deshalb stirbt, weil er der Christus ist, wird Gottes Reich bringen. Darum sieht er nun auch, wie er zum Leben gelangt. Auch als er nach der Weise der Banditen im Kampf mit jedermann stand, hob er seine Hoffnung über das Grab hinaus und begehrte nach der Auferstehung von den Toten. Damals hat er sich durch seine Taten den Eingang in das Leben versperrt. Nun geht er einen anderen Weg, den des Bittenden, der weiß: man empfängt das Leben als die Gabe des Christus und er gibt sie in der Vollmacht seiner Gnade dem, an den er denkt. Buße und Glaube in ihrer Eintracht, wer kann Herrlicheres sehen oder Größeres empfangen? Sie haben an dem Glanz teil, der auf allen göttlichen Werken liegt.
Du hast uns an Deinem Kreuz gezeigt, dass Du kein Menschenherz verachtest, auch wenn es hart geworden ist in vielen Sünden und gebunden in schwere Schuld. So rufst du uns alle zu Dir, damit wir aus Deiner Hand Busse und Glauben empfangen zum Lob Deiner Gnade. Amen. (Adolf Schlatter)
Es gereichte dem HErrn Jesu ohne Zweifel zur Erquickung in Seinem tiefen Leiden, daß sich einer von den Uebelthätern, die mit Ihm gekreuzigt worden waren, in seinen letzten Stunden bekehrte, und Er also ihn als eine Beute bekam. Es war auch solches desto wunderbarer, weil es schien, daß die Schmach und das ganze Leiden des lieben Heilandes damals den Glauben an Ihn hindern, nicht aber erwecken und fördern könne. Allein der Heilige Geist wirkte so kräftig in des Uebelthäters Seele, daß er alle Aergernisse überwand, und durch die Geberden und Reden Jesu überzeugt wurde, daß Er der HErr sei, in dessen Angedenken ein Sterbender sich empfehlen könne. Nachdem er also seinen Kameraden, der Jesum in der Ungeduld lästerte, bestraft hatte, so sprach er zu Jesu: HErr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommest. Ohne Zweifel sah er Jesum für den Messias an, und wußte als ein Jude, daß der Messias ein König sei, und ein Reich habe; denn diese Wahrheit wurde unter dem Judenvolk damals sehr stark getrieben, da hingegen die Wenigsten wußten, daß Er auch ein Priester und ein Opfer für die Sünde sei. Der Uebelthäter aber sah wohl, daß es mit Jesum dem Tod zugehe, hoffte aber, er werde wieder lebendig werden, und dereinst in Sein Reich kommen. Wie deutlich und wie richtig er sich diese Zukunft Jesu vorgestellt habe, können wir nicht sagen, gewiß aber ist’s, daß er auch seine eigene Auferstehung geglaubt habe, weil er bat, daß der HErr Jesus seiner bei der Zukunft in Seinem Reich gedenken möchte. Dieses Alles wußte er wegen des Unterrichts, den er als ein Israelite aus dem Wort Gottes bekommen hatte, und was er wußte, wurde nun in ihm lebendig und kräftig, und es kam noch der Glaube dazu, daß Jesus, der neben ihm am Kreuze hing, der Messias sei. Der HErr Jesus übersah hiebei Vieles; wie denn der Uebelthäter, wenn er nach allen Artikeln des christlichen Glaubens hätte geprüft werden sollen, von vielen keine Antwort hätte geben können. Er konnte auch der heiligen Taufe und des heiligen Abendmahls nimmer theilhaftig werden; übrigens war sein Herz redlich. Er bereute und verabscheute seine Sünde, hatte zu Jesu als dem HErrn, dem Messias ein Vertrauen, auch in Ansehung einer zukünftigen Seligkeit, und bekannte diesen Glauben öffentlich. Er starb mit seinem zerknirschten und glaubigen Herzen noch am selbigen Tag, und kam in das himmlische Paradies, von dem die Juden etwas wußten, und wurde da in ein großes Licht versetzt. Doch soll Niemand hieraus den Schluß machen, daß an den Artikeln des christlichen Glaubens, worin der Uebelthäter unwissend war, nichts gelegen sei; denn wenn er länger gelebt hätte, so hätte er sich taufen lassen, und von der christlichen Lehre so Vieles fassen müssen, daß es bei ihm den Ausschlag gegeben hätte, sich von dem Judenthum weg, und zu der christlichen Kirche zu wenden. Auch wären ihm bei den täglichen Versuchungen viele Wahrheiten unentbehrlich gewesen, deren er in den letzten Stunden nicht mehr bedurfte. (Magnus Friedrich Roos)
23:43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.
8);
9);
10);
11);
12);
13);
14)
Christus hat uns erlöset von dem Fluch des Gesetzes, da Er war ein Fluch für uns, denn es stehet geschrieben: verflucht sei Jedermann, der am Holz hanget, Gal. 3,13. Aber auch damals, da Er als ein Fluch am Holz hing, ließ Er Segen von sich ausfließen, um anzuzeigen, daß Er nur für uns und an unserer Statt ein Fluch geworden sei. Er betete für Seine Kreuziger; Er stiftete eine mütterliche und kindliche Liebe zwischen der Maria und Seinem Jünger Johannes, zu einem von den Uebelthätern aber, die mit Ihm gekreuzigt waren, sagte Er: wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit Mir im Paradies sein. Wodurch dieser Uebelthäter so viel Licht bekommen habe, daß er seinen Kameraden bestrafen, seine eigene Sündenschuld bekennen, Jesum einen HErrn nennen, und ihn um Sein gnädiges Angedenken bitten können, wissen wir nicht, außer daß wir glauben können, die Worte und das Bezeugen Jesu haben ihm einen tiefen Eindruck gegeben. Aber warum nicht auch dem andern Uebelthäter? Dieses weiß der Herzenskündiger. Die beiden Uebelthäter hatten einerlei böse Thaten begangen, und doch war das Herz des einen eines heilsamen Eindrucks fähig, das Herz des andern aber nicht. Es gibt Leute, welche das Beispiel des bußfertigen Schächers dazu mißbrauchen, daß sie sich vornehmen, muthwillig zu sündigen, so lange sie gesund sind, auf dem Todtenbett aber schnell Buße zu thun und Gnade zu erlangen, wie dieser Schächer. Aber weißt du denn, o Mensch, daß du alsdann eines guten Eindrucks noch fähig sein werdest? Der Schächer hing mit gesundem Leib am Kreuz, du aber wirst als krank und schwach da liegen, und die Krankheit wird vielleicht deinen Verstand benebeln oder gar verwirren. Und wie? wenn du plötzlich stürbest? Wie ging’s alsdann deiner armen Seele? Uebrigens hat der HErr Jesus an dem bußfertigen Schächer gezeigt, wie kräftig Seine Erlösung, und wie reich Seine Gnade sei, und wie schnell Sein Geist wirken könne. Ein gräulicher Missethäter, der selber bekannte, er empfahe, was seine Thaten werth seien, sollte noch selbigen Tags vom Kreuz weg in’s Paradies kommen, und da mit Jesu sein. Man konnte also noch selbigen Tags die Seele eines Missethäters bei Jesu im Paradies sehen. Jesus weigerte sich nicht, neben dem Missethäter am Kreuz zu hangen: Er schämte Sich also auch nicht, seine Seele im Paradies bei Sich zu haben. Die Gnade hatte sie ehrlich gemacht. Nun zu diesem barmherzigen Heiland und zu Seiner reichen Gnade wende sich ein Jeder, der sich vieler Sünden bewußt ist, und sich selbst für einen großen Uebelthäter halten muß. Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert. Nach dieser Regel kann ein Mensch, der keine bürgerliche Strafe befürchten darf, dem aber die Gnadenmittel reichlich gegeben worden sind, vor Gott eine sehr große Sündenschuld auf sich haben. Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist Seine Gnade viel mächtiger. Auch ängste sich ein solcher bußfertiger Sünder nicht wegen seines Looses in der Ewigkeit; denn auch hierin thut der Heiland mehr, als wir bitten und verstehen. Er hat ein Paradies für bußfertige Schächersseelen bereitet, und da sollen sie bei Ihm sein. Wer sollte sich nicht damit begnügen lassen?(Magnus Friedrich Roos)
Als der Gekreuzigte Jesus bat, machte Jesus noch einmal sein Wort gültig; nach deinem Glauben geschehe dir. Noch einmal machte er aus dem Glauben die Gemeinschaft mit ihm und er gab seiner Gemeinschaft die Vollständigkeit, da er den Gekreuzigten heute mit sich ins Paradies einführt. Vom Paradies sprach er mit ihm, vom Ort der Gerechten, in den sie nach ihrem Tod eingehen, nicht vom jüngsten Tag und der Auferstehung der Toten, nicht von seinem Kommen in herrschender Macht und Vollendung des göttlichen Reichs, damit der Sterbende wisse, dass nichts ihn von Jesus trennen wird. Auf denselben Grund hat Jesus die Hoffnung aller seiner Jünger gestellt. „Du kommst einst zu deinem königlichen Werk“, hatte der Gekreuzigte gehofft und alle Jünger hofften es mit ihm. Das war das wunderbare Ziel, das über allem, was sie taten und litten, leuchtete. Wann kommst du mit deinem Reich? Dieser Frage blieb die Antwort versagt. Keiner von denen, die Jesus nachfolgten, hat es unternommen, für sie die Antwort zu finden. Sie warteten, wie die Glaubenden es tun, auf Gottes Werk. Warum legte sich zwischen sie und ihr Ziel noch ein langer Weg. Er führte sie in die Arbeit und das Leiden hinein; doch davor erschraken die Jünger nicht. Er ist bei uns, sagten sie. Es kam aber nicht nur das Leiden, sondern auch der Tod zu ihnen. Auch das ängstigte sie nicht und kein Zweifel zerriss ihre Seele. Sie konnten sterben, auch wenn der Herr in seiner Herrlichkeit noch nicht gekommen war. Denn wer Ihm glaubt, gehört Ihm und ist bei Ihm, wo Er ist, sei es im Himmel oder auf Erden, sei es im Paradies oder in der Gottesstadt der neuen Welt. Sie kannten den Willen Jesu, dass die, die der Vater ihm gegeben hat, da seien, wo Er ist, und seine Herrlichkeit sehen. Eine andere Sicherung für ihre Hoffnung begehrten die Jünger nicht und meinten nicht, sie werde fester, wenn sie sie durch ihre eigenen Gedanken stützten. Sie fragten nicht, wo sich wohl das Paradies befinde und was Jesu Werk an denen sei, die dort geborgen waren. Sie schickten auch ihre Gedanken nicht in die himmlische Stadt hinauf, als ob sie wissen müssten, wie ihnen dort am Ende ihrer Wanderschaft die Heimat bereitet sei. Auf den, den sie kannten, schauten sie, auf ihren Herrn, und glaubten an seinen Namen und wussten, dass ihr Glaube sie mit ihm verband an jedem Ort und zu jeder Zeit, im Leben und im Tod, im Leib und ohne den Leib, in seiner Verborgenheit und in seiner offenbaren Herrlichkeit, in der vergehenden und in der ewigen Welt. Was macht das Band, das uns mit Jesus eint, so stark? Die Treue Jesu macht es fest.
Du wurdest, o Jesus, als Du unter das Gericht gestellt warst, zum Zeugen der Gnade und in der Todesnot zum Spender des Lebens. So hast Du an Deinem Kreuz den Vater verklärt. Amen. (Adolf Schlatter)
23:44 Und es war um die sechste Stunde, und es ward eine Finsternis über das ganze Land bis an die neunte Stunde,
23:45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels zerriß mitten entzwei.
23:46 Und Jesus rief laut und sprach: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt, verschied er.
15);
16);
17);
18);
19);
20);
21)
Auf eine so geziemende Weise beschloß der HErr Jesus Sein Leben und Leiden auf Erden. Die schweren Leiden, welche der Vater Ihm aufgelegt hatte, hatten Ihn nicht unzufrieden und unglaubig gemacht, weßwegen Er am Ende derselben noch in dem völligsten Glauben und in der reinsten Liebe Ihn Vater nannte. Er befahl Seinen Geist, der nun aus der Hütte des Leibes ausgehen sollte, in Seine Hände, ohne Sich etwas besonders auszubedingen. Es war Ihm genug, wenn der Vater denselben in Seine Hände nehmen, und als eine gute Beilage annehmen und bewahren würde, weil Er gewiß glaubte, daß Er alsdann vor allen weitern Anfällen der Welt und böser Geister bewahrt werden, und Erquickung, Ruhe und Herrlichkeit genießen werde. Er rief die Worte: Vater, Ich befehle Meinen Geist in Deine Hände, laut aus, weil Er sie in einem großen Ernst und in einer starken Begierde aussprach, und weil Er Sich durch dieselben aus dem großen Gedränge, worin Er vorher gestanden war, herausarbeiten, und durch alle Feinde, die Ihn umgaben, durchdringen wollte. Auch wollte Er durch das laute Schreien anzeigen, daß Er nicht an der Verblutung oder am kalten Brand sterbe, wie andere Gekreuzigte, sondern Sein Tod ein freiwilliger Tod, ja ein Sterben im lautersten Gehorsam sei, wie es auch zur Erlösung des menschlichen Geschlechts nöthig war. Er verschied, nachdem er diese Worte ausgerufen hatte, und wurde durch Seinen Tod das Sündopfer, welches allein die Kraft hatte, die Welt mit Gott zu versühnen.
Bei der Betrachtung dieser Worte denke ich billig auch an den Ausgang meines irdischen Lebens, an welchen mich auch der Ausgang dieses Jahres mahnt, welches mich, da es nun beinahe verflossen ist, zu demselben um ein Merkliches näher hingebracht hat. Wann und wie ich mein Leben endigen werde, weiß ich nicht. Die vielerlei Krankheiten, welche den Menschen befallen können, sind neben den gewaltsamen Anfällen auf sein Leben gleichsam vielerlei Thore, durch welche sie aus der Stadt dieser Welt hinausgeführt werden. Welches nun das Thor sei, durch welches ich da hinausgehen werde, weiß ich nicht; dieses aber weiß ich, daß auch meine letzten Tage und Stunden von dem Willen des HErrn werden eingerichtet werden, daß alsdann ein Leiden auf mir liegen werde, daß ich aber bei meinem Abschied aus der Welt nicht mehr werde laut rufen können, sondern daß ich schwach sein, und vielleicht außer den Gebrauch meines Verstandes und meiner Sinnen gesetzt sein werde. Ich befehle also heute, HErr Jesu, meinen Geist in Deine Hände. Mein letztes Leiden sei eine Gemeinschaft mit Deinen Leiden, die Du als ein Sterbender am Kreuz ausgestanden hast, und werde dadurch gesegnet und geheiligt. Dein Geist erhalte mich in Deinem Frieden und in der Vereinigung mit Dir. Zerbrich meine Leibeshütte sanft, und wenn meine Seele aus derselben gehen wird, so führe sie in das Haus Deines himmlischen Vaters, und die Wohnung, welche Du ihr darin bereitet hast. Durch Deinen Todeskampf und blutigen Schweiß, durch Dein Kreuz und Tod, durch Dein heilig Auferstehen und Himmelfahrt, in unserer letzten Noth hilf uns, lieber HErr Gott.(Magnus Friedrich Roos)
23:47 Da aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!
23:48 Und alles Volk, das dabei war und zusah, da sie sahen, was da geschah, schlugen sich an ihre Brust und wandten wieder um.22)
23:49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne und die Weiber, die ihm aus Galiläa waren nachgefolgt, und sahen das alles.
23:50 Und siehe, ein Mann mit Namen Joseph, ein Ratsherr, der war ein guter, frommer Mann
23:51 und hatte nicht gewilligt in ihren Rat und Handel. Er war von Arimathia, der Stadt der Juden, einer, der auch auf das Reich Gottes wartete.
23:52 Der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu;
23:53 und nahm ihn ab, wickelte ihn in Leinwand und legte ihn in ein gehauenes Grab, darin niemand je gelegen hatte.
Mit dem Tod Jesu fing alsbald eine gewisse Erhöhung des HErrn Jesu an, denn Sein Geist ging damals in die göttliche Ruhe und Freude ein, und Sein Leib wurde nicht auf den Richtplatz auf eine unehrliche Weise verscharret, wie den Leichnamen der zwei Schächer geschehen sein mag, sondern ehrerbietig in das Grab, welches ein reicher Rathsherr für sich und sein Geschlecht in einen Felsen hauen lassen, gelegt. Die Vorsehung Gottes fügte es so, daß noch Niemand je in dieses Grab gelegt worden war, damit man nicht sagen könnte, die Gebeine eines Andern hätten den Leib Jesu lebendig gemacht, wie die Gebeine des Elisa einen israelitischen Mann, oder damit man nicht, wenn zwei oder drei Leichname darin gelegen wären, nach der Auferstehung Jesu mühsam untersuchen müßte, welcher von ihnen auferstanden wäre, weil doch damals viele Leiber der Heiligen auferstunden. Man fand aber hernach das Grab leer, Niemand als Jesus war darin gelegen: folglich war Er auferstanden. Jesus lag also allein in des Josephs Grab, aber doch mitten unter vielen Millionen Leichnamen, die auf der ganzen Fläche des Erdbodens begraben waren. Gleichwie Seine abgeschiedene Seele zu den abgeschiedenen Seelen kam, also kam Sein Leichnam in die Gesellschaft der begrabenen Leichname. Der Stand eines begrabenen Todten, wovor uns oft graut, ist Ihm also nicht zu verächtlich gewesen, und das glaubige Angedenken an Seine Grabesruhe sollte jenes Grauen bei uns vertilgen. Er hätte alsbald nach Seinem Tod, da er noch am Kreuz hing, oder, sobald Er davon herabgenommen war, wieder lebendig werden, und sodann gen Himmel fahren können: allein auf diese Weise hätte man zweifeln können, ob Er wahrhaftig gestorben sei, und wir hätten den Trost nicht gehabt, daß Er uns in Ansehung der Grabesruhe gleich geworden sei. Im Grab ruhte Sein Fleisch auf Hoffnung der Auferstehung. Mit dieser Hoffnung will ich auch an die Einwicklung meines todten Leibes, an die Verschließung desselben in eine Bahre, und an seine Einsenkung in die Erde, an seine Bedeckung mit der Erde, und an die Verwesung in der Erde denken. Alles dieses gehört zum Weg und nicht zum Ziel. Hindurch! das Ziel ist ewiges Leben, auch in Ansehung des Leibes. Christus ist als der Erstling unter den Todten und als der Durchbrecher vorangegangen, und die Glaubigen dürfen Ihm nachfolgen. Werde ich gleich länger im Grabe liegen als Christus, und die Verwesung sehen, die Er nicht gesehen hat, so werde ich doch davon keine Ungelegenheit empfinden, auch wird meine Seele in der himmlischen Wohnung bei dem Warten auf die Auferstehung des Leibes keine lange Weile haben. Nur ist nöthig, daß ich Ihm angehöre und anhange, und mich auf der Erde keine Lust noch Furcht von Ihm abziehe. Unter der Erde werde ich alsdann keine Gefahr mehr haben. Wenn Himmel und Erde vergehen werden, so wird auch mein Grab vergehen, und mein durch Seine Stimme auferweckter Leib wird alsdann den Stand der Verwesung auf ewig zurückgelegt haben. Ein reicher Mann, ein ehrbarer Mann, der einen guten Namen unter den Menschen hatte, und ein vornehmer Rathsherr, der zu dem Pilatus einen Zutritt haben, und um den Leichnam Jesu bitten durfte, mußte derjenige sein, der Jesum begrub, und Nikodemus, der ohne Zweifel mit dem ihm gleichgesinnten Joseph schon vorher eine Bekanntschaft unterhalten hatte, mußte ihm dabei helfen. Was diese zwei angesehenen und vermöglichen Männer thaten, konnte damals keiner von den Aposteln thun, was aber diese thaten, konnten jene nicht thun. Gott hat verschiedene Knechte; ein jeder thue, was ihm angewiesen ist.(Magnus Friedrich Roos)
23:54 Und es war der Rüsttag, und der Sabbat brach an.
23:55 Es folgten aber die Weiber nach, die mit ihm gekommen waren aus Galiläa, und beschauten das Grab und wie sein Leib gelegt ward.
23:56 Sie kehrten aber um und bereiteten Spezerei und Salben. Und den Sabbat über waren sie still nach dem Gesetz.